Áèáëèîòåêà / Ïðèêëþ÷åíèÿ / Êåíò Àëåêñàíäåð : " Die Entscheidung Kapitan Bolitho In Der Falle " - ÷èòàòü îíëàéí

Ñîõðàíèòü .
Die Entscheidung: Kapitan Bolitho in der Falle Àëåêñàíäåð Êåíò

        Ñàãà î Ðè÷àðäå Áîëèòî #6

        Alexander Kent
        Die Entscheidung
        Kapitan Bolitho in der Falle

        Fur Walter J. Minton, der zu dieser Serie den Startschu? gab

        Es scheint unerbittliches Gesetz zu sein: wer nichts wagt, kann nicht gewinnen.

    John Paul Jones



        Der Autor dankt der U.S. Navy fur ihre Unterstutzung bei seinem Besuch der Chesapeake Bay. Sein Dank gilt ferner: Captain A. G. Ellis, Direktor des U.S. Naval Academy Museum in Annapolis; der Hall of Records in Annapolis; dem Mariners Museum in Newport News, Virginia; und der Mugar Memorial Library der Boston University.

    A. K.



        In fremden Gewassern

        Kapitan Richard Bolitho starrte auf den teilweise fertiggestellten Brief, den er an seinen Vater geschrieben hatte, und trug dann mit einem Seufzer seinen Stuhl zum entgegengesetzten Ende des Tisches. Es war druckend hei?, und die trage in der Flaute liegende Sparrow schwoite kaum merklich; jedoch erreichte ihn dadurch das harte Sonnenlicht und zwang ihn, noch weiter von den Fenstern abzurucken.
        Flaute. Wie sehr er sich an diese Situation gewohnt hatte. Er rieb sich die Augen und hielt seine Feder wieder uber das Papier. Es war schwierig zu wissen, was er schreiben sollte, insbesondere da er niemals wu?te, ob dieser oder ein anderer Brief seinen Weg auf ein heimwarts fahrendes Schiff finden wurde. Es war eigentlich noch schwieriger, sich mit dieser anderen Welt in England verbunden zu fuhlen, die er auf der Trojan vor fast sechs Jahren verlassen hatte. Und doch… Seine Feder verhielt unsicher: seine eigene Welt, so nahe und lebendig in Farbe und Geruch im hellen Sonnenlicht, und dieses Wort» Flaute «waren fur seinen Vater eine noch immer zu schmerzliche und bittere Erinnerung an die Marine, die zu verlassen er gezwungen worden war.
        Aber Bolitho wunschte sich so sehr, ihm alles zu erzahlen, seine Gedanken und Erinnerungen in die richtige Perspektive zu bringen, sein eigenes Leben mit ihm zu teilen und dadurch die einzige darin verbleibende Lucke zu fullen.
        Oben auf dem Achterdeck klapperten Blocke und trampelten Fu?e. Jemand lachte, und er horte ein leises Aufklatschen, als einer der Matrosen eine Angel auswarf.
        Seine Augen wanderten von dem Brief zu dem offenen Logbuch, das quer uber der Seekarte in der Nahe lag. Das Logbuch hatte sich genauso verandert wie er selbst. An den Ecken abgenutzt, vielleicht gereift. Er starrte das Datum der aufgeschlagenen Seite an: 10. April 1781. Es war fast auf den Tag genau drei Jahre her, seit er in English Harbour zum erstenmal an Bord dieses Schiffes gekommen war, um das Kommando zu ubernehmen. Er konnte, ohne eine Bewegung zu machen, durch das umfangreiche Logbuch hindurch zuruckblicken, und obwohl er nicht einmal eine Seite beruhrte, konnte er sich so viele der Ereignisse ins Gedachtnis zuruckrufen, Gesichter und Begebenheiten, die Anforderungen, die an ihn gestellt worden waren, und wie er mit unterschiedlichem Erfolg damit fertig geworden war. Er hatte oft in ruhigen Momenten in der Kajute versucht, eine Art von vorherbestimmter Linie in seinem Leben herauszufinden, die uber die naheliegenden Erklarungen von Gluck oder gunstigen Umstanden hinausging. Bis jetzt war ihm dies nicht gelungen. Und als er nun in der gewohnten Kajute sa?, in der sich so viel ereignet
hatte, konnte er akzeptieren, da? das Schicksal sehr viel mit seinem Hiersein zu tun hatte. Wenn es ihm, als er die Trojan verlassen hatte, nicht gelungen ware, eine Prise auf dem Wege nach Antigua zu kapern, oder wenn es bei seiner Ankunft keine Gelegenheit zur sofortigen Beforderung gegeben hatte, ware er wahrscheinlich noch immer Leutnant auf dem alten Linienschiff. Und wenn ihn bei diesem ersten Geleitzug Colquhoun nach English Harbour zuruckgeschickt hatte, anstatt selbst zu fahren, ware es ihm dann jemals gelungen zu beweisen, da? er in Geschick oder Gluck besser als der Durchschnitt war?
        Vielleicht war Colquhouns schicksalhafte Entscheidung an jenem weit zuruckliegenden Tag die Chance gewesen, der Wink des Schicksals, der ihn auf seinen endgultigen Weg gewiesen hatte.
        Bolitho war nach Antigua nicht nur als ein Offizier zuruckgekehrt, der wieder zu seiner Schwadron sto?t, sondern zu seinem eigenen Erstaunen als eine Art Held. In seiner Abwesenheit hatten sich Geschichten von der Rettung der Soldaten aus der Delaware Bay und der Zerstorung der Fregatte schnell verbreitet. Nachdem die Neuigkeiten vom Ende der Bonaventure bekannt wurden und er mit den geretteten Passagieren ankam, schien es, als ob jedermann ihn sehen und ihm die Hand drucken wollte. Die Bonaventure war sogar noch viel gefahrlicher gewesen, als Bolitho zu dieser Zeit annahm, und ihre Erfolge waren ungeheuer. Ihr Verlust mochte fur den Feind wenig bedeuten, fur die Briten aber bedeutete er eine enorme Starkung ihres angeschlagenen Stolzes und Selbstvertrauens.
        Der Admiral hatte ihn in Antigua mit kaum unterdruckter Freude empfangen und seine Hoffnungen fur die Zukunft deutlich zum Ausdruck gebracht. Andererseits war Colquhoun der einzige gewesen, der ihn weder ermutigt noch seine in so kurzer Zeit erreichten Leistungen gelobt hatte.
        Wenn Bolitho sich an ihr erstes Zusammentreffen erinnerte und an Colquhouns Warnung uber das Los eines Kapitans, wurde er an die schmale Spanne zwischen Ruhm und Vergessen gemahnt. Ware Colquhoun beim ersten Geleitzug geblieben, hatte er wahrscheinlich nicht das Schicksal der Miranda geteilt, denn er war zu schlau und vorsichtig, um irgend etwas als gegeben hinzunehmen. Wenn er das Gluck gehabt hatte, die Bonaventure zu treffen und zu zerstoren, hatte er das einzige errungen, woran ihm etwas lag, genau wie Commander Maulby es gesagt hatte, namlich die unerschutterliche Macht eines Flaggrangs oder zumindest den begehrten Breitwimpel eines Kommodore. Statt dessen war er geblieben, was er vorher war, Fregattenkapitan, und wurde wahrscheinlich, da der Krieg sich so rasch anderte, sogar den Befehl uber diese kleine Flotte verlieren. Maulby nannte ihn nicht langer» kleiner Admiral«. Heute schien dies sogar fur ihn zu grausam zu sein.
        Acht Glasen schlugen vom Vorschiff, und er konnte sich muhelos vorstellen, wie die Mannschaft sich fur das Mittagsmahl vorbereitete, auch fur die willkommene Portion Rum. Uber seinem Kopf wurden Tyrell und der Steuermann ihre mittaglichen Messungen vornehmen und ihre Ergebnisse vergleichen, ehe sie sie in die Seekarte eintrugen.
        In dem Jahr, nachdem Bolitho den gro?en Freibeuter zerstort hatte, gab es fur ihn die nachste Uberraschung. Der Admiral hatte ihn zu sich rufen lassen und ruhig verkundet, da? die Admiralitat ebenso wie er selbst es fur richtig hielt, dem Kommandanten der Sparrow eine Chance zur Erweiterung seiner Erfahrung zu geben: Beforderung zum Korvettenkapitan. Sogar jetzt, nach achtzehn Monaten, fand er es schwierig, dies zu glauben.
        Innerhalb der Flotte hatte dieser unerwartete Sprung auf der Erfolgsleiter einige Unruhe verursacht. Reine Freude seitens der einen, offenen Neid seitens anderer. Maulby hatte die Neuigkeiten besser aufgenommen, als Bolitho zu hoffen gewagt hatte, denn er hatte den lakonischen Kommandanten der Fawn zu sehr schatzengelernt, um die Freundschaft zerbrechen zu wollen. Maulby war dienstalter als er, hatte aber nur bemerkt:»Ich wurde mir nicht wunschen, da? der Rang an jemand anderen geht, also trinken wir darauf!»
        An Bord der Sparrow hatte es keine geteilte Meinung gegeben. Alle schienen denselben Stolz, dasselbe Gefuhl fur Leistung zu teilen, das fur sie zu keinem gunstigeren Zeitpunkt hatte kommen konnen. Denn der Krieg hatte sich im letzten Jahr sehr verandert. Er war nicht mehr blo? eine Angelegenheit von Patrouillen oder Geleitzugen fur die Armee.
        Die gro?en Machte hatten sich entschieden, und Spanien und Holland zogen zusammen gegen England, um die amerikanische Revolution zu unterstutzen. Die Franzosen hatten eine gut zusammengestellte, machtige Flotte in den West Indies gemustert. Sie stand unter dem Oberbefehl des Compte de Grasse, des fahigsten und talentiertesten verfugbaren Admirals. Admiral Rodney kommandierte die englischen Geschwader, da aber der Druck von allen Seiten taglich gro?er wurde, war es fur ihn sehr schwierig, seine Schiffe dorthin zu schicken, wo sie am dringendsten benotigt wurden.
        Und die Amerikaner gaben sich nicht damit zufrieden, ihre Angelegenheiten den Verbundeten zu uberlassen. Sie verwendeten weiterhin Freibeuter, sooft es moglich war, und ein Jahr nach der Zerstorung der Bonaventure tauchte ein anderer Angreifer auf, um die Moral der Briten bis ins Innerste schwer zu erschuttern.
        Der Freibeuter und fruhere Sklavenhandler Paul Jones besiegte mit seinem Schiff Bonhomme Richard die Fregatte Seraphis vor der englischen Kuste. Es machte keinen Unterschied, da? der Freibeuter, ebenso wie die Seraphis, aus der hitzig gefuhrten Schlacht nur als zerschossenes Wrack hervorging. Von den englischen Kapitanen wurde erwartet, da? sie Risiken eingingen und gewannen, und eine Niederlage so nahe der Heimat trug mehr dazu bei, als es die Amerikaner fur moglich gehalten hatten, den Krieg und seine Hintergrunde in die Heimstatten der Englander und auch in ihre eigenen zu tragen.
        In den West Indies und entlang der amerikanischen Kuste gewannen die Patrouillenfahrten eine neue Bedeutung. Bolitho hatte es immer fur weit besser gehalten, da? die Augen der Flotte nicht unmittelbar auf ihm ruhten. Getreu dieser Ansicht hatte der Admiral ihm fast vollige Unabhangigkeit angeboten. Er konnte nach eigenem Ermessen patrouillieren und den Feind nach seiner eigenen Methode suchen, selbstverstandlich unter der Voraussetzung, da? seine Bemuhungen von Erfolg gekront waren.
        Bolitho lehnte sich in seinem Stuhl zuruck und starrte an die Kajutdecke. Wieder ging ihm das Wort Gluck durch den Kopf.
        Maulby hatte uber diese Erklarung gespottet. Er hatte einmal gesagt:»Du bist erfolgreich, weil du dich dazu erzogen hast, wie der Feind zu denken. Verdammt, Dick, ich habe einen mit Konterbande vollgeladenen Lugger aufgebracht, der vom Suden aus Trinidad kam, und sogar dieser elende Kerl hatte von dir und der Sparrow gehort!»
        Bolitho gab zu, da? ganz gewi? eines stimmte: sie waren erfolgreich gewesen. Allein in den vergangenen achtzehn Monaten hatten sie zwolf Prisen aufgebracht und zwei kleine Freibeuter versenkt, mit einem Verlust von zwanzig Toten und Verletzten und geringem Schaden am Schiff.
        Er lie? seine Augen durch die Kajute schweifen, die jetzt weniger elegant gestrichen war, fast sogar schabig nach dem Dienst in so vielen Wettern. Es war eine seltsame Feststellung, da? abgesehen von der unerwarteten Beforderung, die durch den Uniformrock mit den wei?en Aufschlagen und goldenen Besatzen symbolisiert wurde, au?erlich fast nichts darauf hindeutete. Und doch war er ein reicher Mann und zum erstenmal in seinem Leben unabhangig von seinem Zuhause und dem Besitz in Falmouth. Er lachelte traurig. Fast mu?te man sich schamen, verhaltnisma?ig reich zu werden, nur weil man tat, was einem Spa? machte.
        Er runzelte die Stirn und versuchte sich auszudenken, was er sich kaufen wurde, wenn sie die Erlaubnis bekommen sollten, einen Hafen anzulaufen. Und dies war langst fallig.
        Trotz ihres mit Kupferblech beschlagenen Rumpfes war die Geschwindigkeit der Sparrow bei sonst einwandfreien Segelbedingungen um einen vollen Knoten herabgesetzt durch Bewuchs auf dem Unterwasserschiff, der dem Kupfer und allen Bemuhungen trotzte.
        Vielleicht wurde er etwas Wein kaufen. Wirklich guten Wein, nicht das saure Zeug, das normalerweise als die einzige Alternative zu fauligem Trinkwasser verwendet wurde. Ein Dutzend Hemden oder mehr. Er spielte mit dem Gedanken eines solchen Luxus. Augenblicklich besa? er nur zwei Hemden, die naherer Betrachtung standhalten konnten.
        Vielleicht war es auch moglich, irgendwo einen guten Degen zu finden. Nicht wie jenen, der an Bord des Freibeuters zerbrach, auch keinen kurzen Sabel, wie er ihn seitdem benutzte, sondern etwas Besseres, Dauerhaftes.
        Er horte leise Tritte hinter der Tur und wu?te, da? es Tyrell war. Er hatte es auch zu jeder anderen Zeit gewu?t, bei einer anderen Wache. Denn seit seiner Verwundung hinkte Tyrell und mu?te einige Schmerzen ertragen.
        In anderer Beziehung hatte sich der Erste Leutnant nicht sehr verandert. Vielleicht hatten auch die vergangenen drei Jahre sie einander so nahegebracht, da? er es nicht bemerkte. Anders Graves, der sich immer mehr zuruckzuziehen schien und nach jedem Gefecht oder Scharmutzel merklich nervoser wurde.
        Auf Grund seiner Beforderung zum Kapitan stand Bolitho ein weiterer Leutnant zu, und diese Stellung wurde gerade an dem Tag frei, an dem die beiden Fahnriche das Schiff verlie?en, um sich der Prufungskommission zu stellen. Heyward hatte mit fliegenden Fahnen bestanden, und ruckschauend war es geradezu schwierig, sich ihn noch als Fahnrich vorzustellen.
        Bethune hatte seine Prufung nicht bestanden, und zwar nicht nur einmal, sondern gleich dreimal. Bolitho hatte sich schon wiederholt gefragt, wie er ihn loswerden konnte.
        Er hatte Bethune sehr ins Herz geschlossen, wu?te aber, da? er gegen dessen verbleibende, wenn auch schwindende Chancen handelte, indem er ihn auf der Sparrow zuruckhielt. Seine Navigationskenntnisse waren hoffnungslos, und seine Anstrengungen, das Achterdeck zu ubernehmen und die Leute beim Segelsetzen zu leiten, waren traurig anzusehen. Als Offizier der Seesoldaten oder sogar als Infanterist ware er ganz annehmbar gewesen. Er konnte Befehlen gehorchen, wenn es ihm auch schwerfiel, diese zu formulieren. Im Geschutzfeuer hatte er sehr viel Mut gezeigt und einen jugendlichen Stoizismus, an den nicht einmal die erfahrenen Seeleute so leicht herankamen. Jetzt, im Alter von zwanzig Jahren und ohne Hoffnung, die Prufung zu bestehen, was er sich sehnlichst wunschte, fuhlte er sich als funftes Rad am Wagen. Heyward hatte versucht, ihm zu helfen, sogar mehr, als Bolitho gedacht hatte. Aber es nutzte nichts. Die Schiffsmannschaft akzeptierte Bethune mit einer Gutmutigkeit, die sie auch einem Kind entgegengebracht hatte. Sein Los wurde nicht erleichtert durch die Ernennung eines neuen Fahnrichs, der
Heywards Platz einnahm.
        Roger Augustus Fowler, sechzehn Jahre alt und mit den schmollenden Gesichtszugen eines verargerten Ferkels, hatte es bald verstanden, eher zu Bethunes Elend beizutragen als dieses zu erleichtern.
        Fowlers Ankunft aus England hatte die Kluft zwischen Bolitho und Colquhoun noch vertieft. Der Junge war der Sohn des besten Freundes des Admirals, und daher war seine Uberstellung auf dieses oder ein anderes Schiff fast ein koniglicher Befehl. Der Nachkomme einer einflu?reichen Personlichkeit konnte fur einen jungen und vielbeschaftigten Kapitan ein Hindernis sein, andererseits konnte er ihm aber auch Turen offnen, die ihm auf dem Dienstwege verschlossen geblieben waren.
        Colquhoun hatte offenbar bei der Ankunft des Jungen seine Chancen fur letzteres gesehen und war au?erordentlich wutend, als er erfuhr, da? der Admiral die Sparrow seiner Fregatte Bacchante vorgezogen hatte. Fowler war seit acht Monaten an Bord und nicht beliebt. Es war etwas Undefinierbares. In Gegenwart seiner Vorgesetzten war er gehorsam und aufmerksam, konnte jedoch scharf und sarkastisch sein gegenuber Seeleuten, die mehr als doppelt so alt waren wie er. Er hatte eine bestimmte Art, sein Gesicht zu verschlie?en, wobei seine blassen Augen und vorstehenden Lippen wie eine Maske wirkten. Wenn er jemals einen Kommandorang erreichte, wurde er ein tyrannischer Vorgesetzter werden.
        Es klopfte, und Bolitho drangte seine Uberlegungen in den Hintergrund.
        Tyrell hinkte in die Kajute und setzte sich an den Tisch. Unter dem offenen Hemd war seine Haut fast mahagonifarben gebraunt, und sein Haar war in den vergangenen Sommern etwas heller geworden. Er schob die Berechnungen uber die Seekarte, und sie betrachteten gemeinsam die ungefahre Position der Sparrow.
        Im Suden lagen die nachsten Auslaufer der Bahamas, das Gebiet der unzahligen Riffe und Klippen, der trugerischen Sandbanke und der Inselchen.
        Ungefahr achtzig Meilen westlich lag die Kuste von Florida und im Osten der Hauptschiffahrtsweg fur Schiffe, die von den Westindischen Inseln nach New York und zuruck fuhren. Es war ein Gewirr von Inseln und engen Kanalen, obwohl es fur das ungeubte Auge einer Landratte so aussehen konnte, als ob die See ruhig dalage, nur hier und da unterbrochen von friedlichen, purpurroten Landklumpen, in leichten Dunst gehullt. Dem Seemann aber zeigte die Karte weit mehr und dennoch weniger, als er wissen mu?te, um wirkliche Sicherheit zu kennen. Eine kleine wei?e Schaumkrone konnte auf ein verstecktes Riff hindeuten, der dunklere Fleck auf der Wasseroberflache mochte eine Ansammlung von Wasserpflanzen auf einer unter der Oberflache lauernden Felsspitze sein, deren scharfe Steine den Kiel wegrei?en konnten wie die Schale von einer Orange.
        Schlie?lich sagte Tyrell:»Ich schatze, wir haben den verdammten Kerl verloren.»

«Vielleicht. «Bolitho offnete eine Schublade und entnahm ihr zwei lange Tonpfeifen. Er reichte eine davon Tyrell, griff nach dem Tabaksbeutel und fragte dann:»Ist die Fawn immer noch in Sicht?»
        Tyrell grinste.»Aber sicher. Ungefahr drei Meilen ostwarts. «Er stopfte den Tabak in seiner Pfeife fest und fugte hinzu:»Unser Ausguck glaubt, Brecher in Sudwest zu sehen. Wenn das stimmt, mu?te es die Mantilla-Untiefe sein.»
        Bolitho zundete an der herunterhangenden Laterne seine Pfeife an und ging dann ruhelos zu den Fenstern. In der Nahe der Fensterbank fuhlte er, wie die Frischluft von drau?en ihm kuhlend uber Gesicht und Brust strich. Wenn der Wind die Segel wieder zum Leben erweckte, war es wunschenswert, da? er wie vorher aus Sudosten kam. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, um noch naher an diese todlichen Untiefen getrieben zu werden. Sie mu?ten aber nahe genug daranbleiben, um mindestens drei Fahrrinnen beobachten zu konnen, wahrend die Fawn weiter ostlich patrouillierte. Seit sechs Wochen schon hatten sie mit der anderen Korvette nach einem gro?en Blockadebrecher gesucht. Das franzosische Schiff war von Martinique aus mit nordlichem Kurs gemeldet worden, wahrscheinlich wollte es zur feindlichen Marinebasis nach Newport auf Rhode Island. Eine solche Information von Spionen oder anderen, die es nur auf Anerkennung oder Belohnung abgesehen hatten, war immer etwas zweifelhaft. Aber ein gro?es Kriegsschiff, von dem man einen Teil der Geschutze entfernt hatte, um den schnellen Transport von Mannern und Vorraten zu
erleichtern, war zu wichtig, um ignoriert werden zu konnen.
        Die dritte Korvette der Flotte, die Heran, befand sich irgendwo im Suden vor den Andros-Inseln, und Colquhouns Bacchante war, soviel Bolitho wu?te, westlich im offenen Meer geblieben, zwischen den Bahamas und dem amerikanischen Festland.
        Sobald sie Colquhouns Aufsicht entronnen waren, hatte Bolitho die Korvetten auf ihre jetzigen Positionen gebracht. Auf der Seekarte schien die Moglichkeit, mit einem einzelnen Feind Kontakt aufzunehmen, gleich Null zu sein, aber er wu?te inzwischen, da? die See, wenn sie auch leer aussah, in Wirklichkeit durch verstreute Riffe und Klippen in Fahrrinnen eingeteilt war und da? dies fur Freund und Feind eine Gefahr darstellte.

«Wenn wir sie erwischen, haben wir uns wieder eine Feder verdient. «Tyrell beobachtete, wie der Rauch seiner Pfeife durch das uber ihm liegende Skylight abzog.»Manchmal frage ich mich, ob das fur den Krieg uberhaupt einen Unterschied macht.»

«Alles hilft, Jethro.»
        Bolitho blickte ihn ernst an. Wie nahe sie sich gekommen waren. Die Anrede mit Vornamen, das rituelle Pfeiferauchen, solange der Tabakvorrat reichte, alles war ein Zeichen dafur, was das Schiff aus ihnen gemacht hatte.
        Zeit und Entfernung, die unter allen moglichen Bedingungen verbrachten Stunden und Tage, all das hatte die Gemeinschaft der Sparrow gezeichnet. Sogar die durch Tod oder Verletzung notwendigen Wechsel, Entlassungen oder Abkommandierungen waren nicht imstande, der Besatzung des kleinen Schiffes den Glauben an ihre Bestimmung zu nehmen.
        Ungefahr ein Drittel der Mannschaft war seit Bolithos Kommandoubernahme als Ersatz an Bord gekommen, darunter einige Kolonisten, Neger, ein paar Matrosen der Handelsmarine, die von einem heimwarts fahrenden Schiff gepre?t worden waren, und ein einzelner Grieche, der von seinem eigenen Schiff desertiert war, um dann als Gefangener an Bord einer franzosischen Brigg zu gelangen. Diese Brigg, von der Sparrow als Prise aufgebracht, hatte einige neue Manner gestellt, und der Grieche hatte sich als ausgezeichneter Hilfskoch erwiesen.

«Wie lange geben Sie dem franzosischen Schiff?»
        Bolitho uberlegte.»Vielleicht noch eine Woche. Wenn es bis dann nicht auftaucht, konnen wir annehmen, da? es an uns vorbeigesegelt ist oder irgendwo umgedreht hat. Au?erdem konnte es auf eine der Patrouillen weiter sudlich gesto?en sein.»

«Aye. «Tyrell gahnte.»Und dann konnen wir einige Zeit im Hafen bleiben.»
        Auf Deck trampelten Fu?e, und sie horten Buckle rufen:»Alle Mann an Deck! Der Wind frischt auf!»
        Es klopfte, und Bethune spahte zu ihnen herein, das runde Gesicht schwei?uberstromt.

«Empfehlung von Mr. Buckle, Sir. Der Wind frischt von Sudosten auf. Die Marssegel der Fawn fullen sich bereits.»

«Ich komme nach oben. «Bolitho wartete, bis sich der Fahnrich zuruckgezogen hatte, dann fragte er ruhig:»Was soll ich nur mit ihm machen?»
        Tyrell zuckte die Schultern.»Er kann nur durch ein Wunder befordert werden. Sollen wir ihm vielleicht unsere nachste Prise anvertrauen?«Er schuttelte den Kopf, ehe Bolitho seine Meinung au?ern konnte.»Allmachtiger Gott, er wurde samt der Prise verlorengehen!»
        Auf Deck wurden die Mannschaften bereits gemustert, wahrend die Segel unruhig im Wind killten; der Masttopstander flatterte, als die erste Brise ihn erreichte.

«Klar bei Brassen!«Tyrell ging zur Reling und blinzelte in das glanzende Licht.»Es wird bald wehen, Burschen.»
        Bolitho beschattete die Augen mit der Hand und beobachtete die andere Korvette; ihre Segel fullten sich plotzlich und brachten sie heran. Auf der glitzernden Oberflache der See sah er die ersten vom Wind gekrauselten Wellen, dann fuhlte er die von der Sonne ausgetrockneten Planken sich unter seinen Schuhen heben, die unmittelbare Antwort der Blocke und Fallen.
        Die Decks der Sparrow waren trocken wie Zunder, und es machte keinen Unterschied, wie oft sie befeuchtet wurden. Die Farbe blatterte in der Hitze ab; als er sich umwandte, um die geschaftigen Manner zu beobachten, stellte er fest, da? es schwierig war, die Neger von seiner ursprunglichen Besatzung zu unterscheiden. Sie waren mager und vielleicht ausgedorrt, aber sie sahen gesund und strahlend aus, bereit zu allem.

«Soll ich jetzt den Backbordkutter zu Wasser lassen, Sir?«fragte Tyrell.
        Bolitho nickte. Nur wenn sie die Kutter abwechselnd zu Wasser lie?en, konnten sie hoffen, sie vor dem Austrocknen zu bewahren.

«Ja. Sagen Sie Mr. Tilby, er soll…«Er hielt inne und korrigierte sich:»Sagen Sie dem Bootsmann Bescheid, bitte.»
        Selbst nach sechs Monaten war es noch schwierig, seinen Namen nicht auszusprechen oder zu erwarten, sein schwei?bedecktes Gesicht nach dem Achterdeck ausschauen zu sehen.
        Sie hatten vor der Great Bahama Bank einen spanischen Schoner gestellt, waren aber gezwungen gewesen, auf ihn zu feuern, da er sich nicht ergeben wollte. Dann, wahrend die Enterhaken wie Schlangen durch die Luft flogen, war die Sparrow in altbewahrter Art langsseits gegangen. Dieses Manover war so gut eingeubt, da? es auch von den neuen Mannern ohne weiteres bewaltigt wurde. Einige Pistolenschusse, der Anblick der halbnackten Manner mit gezogenen Entermessern, dies genugte, um den Widerstand der Spanier zu brechen, und alles war vorbei, fast ehe es begonnen hatte. Irgendwann mitten in diesem Manover, als die Manner hin und her rannten, um Segel zu reffen und sich zum Entern fertigzumachen, wahrend Bolitho mit dem Arm winkte, um den spanischen Kommandanten zur Ubergabe ohne Blutvergie?en zu bewegen, war Tilby gestorben.
        Nicht in der Hitze und im Schrecken des Gefechts oder in einer feindlichen Breitseite, sondern ruhig und ohne Umstande, wahrend er an seinem Lieblingsplatz am Fu? des Fockmasts stand, von wo aus er gewohnlich ein wachsames Auge auf das Schiff hatte. Dalkeith hatte ihn untersucht und berichtet, da? das Herz des Bootsmannes ausgesetzt hatte wie eine Uhr, die abgelaufen ist und einfach nicht mehr weiterkann.
        Sein Tod beeindruckte alle tief, die ihn gekannt hatten. So zu sterben war undenkbar. Tilby, der Seeschlachten und unzahlige, durch Trunkenheit verursachte Schlagereien in Hafenkneipen der ganzen Welt uberstanden hatte, war hinubergeglitten, ohne da? jemand es bemerkte.
        Als Tyrell Tilbys Besitztumer zusammengesucht hatte, war Bolitho besturzt, da? kaum etwas vorhanden war, was man unter der Mannschaft hatte versteigern konnen, um Geld fur die Angehorigen zu sammeln, die er vielleicht in England hatte.
        Zwei kleine Holzmodelle von Schiffen, auf denen er fruher einmal gedient hatte, eines davon zerbrochen, eine Sammlung auslandischer Munzen, eine silberne Bootsmannspfeife, die ihm kein geringerer als Kapitan Oliver von der Menelaus uberreicht hatte, wo er als Bootsmannsmaat gedient hatte.
        Armer Tilby, er hatte nicht einmal gelernt, seinen eigenen Namen zu schreiben, und seine Sprache war die meiste Zeit auf das Notwendigste beschrankt gewesen. Aber er kannte sich mit Schiffen aus, und er kannte die Sparrow wie sich selbst.
        Harry Glass, der dienstalteste Bootsmannsmaat, war an seine Stelle befordert worden, aber wie die meisten anderen konnte auch er es kaum fassen, da? er nun nicht mehr abhangig war von Tilbys brummiger Stimme und seinem stets wachsamen Auge.
        Als Bolitho beobachtete, wie der Kutter aus seinen Klampen auf dem Geschutzdeck gehievt wurde, fragte er sich, ob sich an Land uberhaupt jemand um Tilby gramte.
        Er beruhrte die sonnendurchgluhte Reling und schauderte. Er war jetzt Kapitan; ein Traum, den er getraumt hatte, seit er denken konnte, hatte sich erfullt. Wenn nun der Krieg plotzlich zu Ende ginge, oder er durch andere Umstande gezwungen wurde, die Marine zu verlassen, dann wurde er von seiner jetzigen Position sturzen wie ein fallender Stein. Da er noch nicht in seinem hoheren Rang bestatigt war, wurde er als einfacher Leutnant auf Halbsold enden, und all dies ware nur noch hohnische Erinnerung. Aber viel schlechter waren jene wie Tilby dran. Er lie? seine Augen uber die Manner streifen, die in seiner Nahe an den Brassen arbeiteten, um die Sparrow wieder in den Wind zu bringen. Sie besa?en uberhaupt nichts. Wenn sie Gluck hatten, ein bi?chen Prisengeld, vielleicht eine Pramie von einem wohlgesinnten Kapitan, sonst mu?ten sie sich mit weniger an Land begeben, als sie bei Dienstantritt gehabt hatten. Das war ungerecht. Mehr noch, es war unehrenhaft, Manner so schabig zu behandeln, wenn ohne deren Einsatz und Mut das Heimatland schon Jahre zuvor an den Feind gefallen ware.
        Er begann uber Deck zu gehen, das Kinn auf die Brust gepre?t. Vielleicht wurde man dies eines Tages andern konnen und aus der Marine eine Institution machen, in der Manner aus allen Schichten genauso gern wie er ihren Dienst in vertretbarer Sicherheit versahen.

«Wahrschau an Deck! Brecher backbords voraus!»
        Er tauchte aus seinen Gedanken auf und sagte:»Drehen Sie zwei Strich bei, Mr. Buckle. Wir wollen den Riffen weit aus dem Wege gehen, bis wir klar sind.»

«Aye, Sir.»
        Er wandte seine Aufmerksamkeit der anderen Korvette zu und bemerkte, da? es Maulby trotz der Hitze gelungen war, ihren Rumpf neu zu streichen. Die Fawn hatte genau die gleiche Farbe wie die Sparrow, und jedem fremden Auge mu?ten sie wie Zwillinge vorkommen. Wenn sie getrennt segelten, wurden durch die Tatsache, da? sie sich so ahnlich sahen, der Feind oder seine Spione unsicher gemacht. Wie auch durch den Flaggenspind, in dem fast jede fremde Flagge zu finden war. Tauschung und Uberraschung waren Erfolgsrezepte des Feindes gewesen. Bolitho hatte sich dessen Erfolge zunutze gemacht und drehte nun den Spie? um.

«West-Nordwest liegt an!»

«Sehr gut. «Er blickte auf den Kompa? und auf die Trimmung der Marssegel.»Nicht viel Wind, Mr. Buckle, aber es genugt.»
        Den ganzen Nachmittag und fruhen Abend blieben die beiden Korvetten auf gleichem Kurs, ohne da? sich der Wind in Starke oder Richtung geandert hatte.
        Die Hundewache ging gerade zu Ende, und Bolitho machte einen erneuten Versuch, seinen Brief zu Ende zu schreiben, als Segel aus Sudwesten gemeldet wurden. Bolitho signalisierte an die Fawn, in der Nahe zu bleiben, und anderte seinen Kurs, um nachzuforschen. Doch als der Neuankommling keine Anstalten machte, abzudrehen, nahm er an, da? es sich um ein befreundetes Schiff handelte. Der Ausguck bestatigte bald, da? es tatsachlich der kleine Schoner der Flottille, die Lucifer, war. Dieser Segler war so beschaftigt wie sie alle, eher noch mehr, brachte Depeschen und erkundete Buchten und Flu?mundungen, in denen sich sogar die Korvetten nicht mehr richtig bewegen konnten.
        Im dumpfen, bronzenen Sonnenlicht war sie ein prachtiger Anblick mit ihren gro?en Vor- und Besansegeln, die sich uber ihrem schmalen Rumpf wie Flugel ausbreiteten, wie sie da mit wehenden Signalflaggen auf die Korvetten zukam.
        Bethune rief:»Haben Depeschen an Bord!»
        Bolitho blickte Tyrell an.»Beidrehen, bitte. «Zu Bethune gewandt, fugte er hinzu: Signal an Fawn. Bleiben in Position. «Er ging zur Reling hinuber, als Tyrell sein Sprachrohr senkte.»Man kann nie sicher sein. Vielleicht sind gute Nachrichten fur uns dabei.»
        Tyrell klammerte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Reling, als die Sparrow mit killenden Segeln in den Wind drehte.

«Dieses verdammte Bein!«In ruhigerem Ton fuhr er fort:»Gute oder schlechte Nachrichten, es ist schon, einen Freund zu treffen. Ich fing schon an zu glauben, da? wir die einzigen in diesen verlassenen Gewassern seien.»
        Das Beiboot war schon unterwegs, und Bolitho sah, da? Leutnant Odell, der Kapitan des Schoners, selbst kam; er fuhlte eine plotzliche, hoffnungsvolle Erregung.
        Odell kletterte an Bord und gru?te mit seinem Hut zum Achterdeck hin. Er war ein schneller, aufbrausender junger Mann, und man sagte von ihm, da? er leicht verruckt sei. Im Augenblick aber schien er ganz ruhig und handigte Bolitho, als er in der Kajute angekommen war, zuerst den umfangreichen Umschlag aus, ehe er sagte: Ich komme soeben von Kapitan Colquhoun. «Er nahm ein Glas Wein von Fitch entgegen und starrte es an.»Er ist sehr aufgeregt.»
        Bolitho schlitzte den Umschlag auf und uberflog die kritzelige Handschrift von Colquhouns Sekretar.
        Tyrell stand an der Tur, und Bolitho bemerkte auch Buckles Schatten uber dem Skylight. Er wollte nicht direkt lauschen, aber wenn er zufallig etwas horen sollte, na ja…
        Bolitho sah auf und sagte:»Kapitan Colquhoun hat ein Fischerboot aufgebracht und die Mannschaft ausgefragt. «Er strich das feuchte Papier auf dem Tisch glatt.»Das war vor einer Woche.»
        Odell wartete, bis Fitch sein Glas wieder gefullt hatte, ehe er trocken sagte:»In Wirklichkeit habe ich das Boot geschnappt, Sir. «Er zuckte bedauernd die Schultern.»Aber so, wie es aussieht, scheint der gute Kapitan Colquhoun es zu beanspruchen.»
        Bolitho blickte ihn ernst an.»Hier steht auch, da? die Mannschaft wertvolle Angaben uber den Franzmann machen konnte. «Er nickte Tyrell zu und schob den unfertigen Brief von der Seekarte herunter.»Das Schiff ist hier gesichtet worden, in der Nahe der Kuste. «Sein Finger verhielt an der westlichen Spitze der gro?en Bahamainsel.»Inmitten der vorgelagerten Inseln. Nach Aussagen der Fischer fuhrte es Reparaturen aus.»
        Tyrell nickte langsam.»Konnte sein. Wenn der Franzose wu?te, da? die Jagd beginnt, wird er die gefahrlichste Passage zwischen den Inseln gewahlt haben, um uns abzuhangen. Das hei?t naturlich nicht, da? er immer noch dort ist.»
        Bolitho stimmte zu.»Vor einer Woche… Nehmen wir noch ein paar Tage dazu, bis das Fischerboot den Ort erreicht hatte, an dem es von der Lucifer gesichtet wurde. «Er offnete seinen Stechzirkel und beugte sich uber die Seekarte.»Ungefahr drei?ig Seemeilen von unserer jetzigen Position entfernt. Wir konnten bis morgen mittag vor der Insel sein, wenn sich der Wind halt.»
        Odell sagte trage:»Soviel ich wei?, wunscht Kapitan Colquhoun, da? Sie den Franzosen aufscheuchen und sonst nichts, Sir. «Er lachelte.»Oder habe ich die Wunsche des guten Kapitans falsch verstanden?»
        Bolitho setzte sich und offnete die Depeschen noch einmal. »Bacchante nahert sich durch den Nordwest-Providence-Kanal, wahrend wir im Norden bleiben und den Franzosen verfolgen, wenn er zu fliehen versucht.»
        Odell nickte zufrieden.»Die Bacchante kann jetzt nur noch knapp zwanzig Meilen von ihrer Angriffsposition entfernt sein, Sir. Ich mu? sie wiederfinden und berichten, da? ich Sie getroffen habe und da? Sie Ihre Instruktionen verstehen.»
        Bolitho blickte ihn kurz an.»Danke. Ich habe sie verstanden.»
        Der Leutnant stand auf und griff nach seinem Hut.»Ich werde jetzt zu meinem Schiff zuruckkehren. In diesen Gewassern mochte ich nicht nach Einbruch der Dunkelheit erwischt werden.»
        Zusammen beobachteten sie, wie der Leutnant zum Schoner zuruckgerudert wurde.
        Dann sagte Tyrell bitter:»Ziemlich klar, da? Kapitan Colquhoun es sich in den Kopf gesetzt hat, den Franzosen als Prise zu nehmen, nur fur sich allein. Wir durfen gerade noch als Treiber mitspielen.»

«Etwas anderes macht mir viel mehr Sorgen. «Bolitho rieb sich das Kinn.»Das Fischerboot war klein, wie in den Depeschen steht. Viel zu zerbrechlich, um drau?en im tiefen Wasser zu operieren, wo es erwarten konnte, auf Bacchante oder eine andere Fregatte zu sto?en. Es war nur ein Zufall, da? es die Lucifer traf, denn wir beide wissen, Jethro, da? Schoner im Dienste des Konigs hier selten sind.

        Tyrells Augen blitzten im verblassenden Sonnenlicht.»Sie meinen, da? die Fischer nach einem anderen Schiff Ausschau hielten?»
        Bolitho sah ihm in die Augen.»Aye.»

«Aber es gibt nur uns und die Fawn zwischen hier und dem Kustengeschwader, und dessen nachste Patrouille mu? ungefahr vierhundert Meilen weit weg sein.»

«Genau. «Bolitho blickte achteraus zu der anderen Korvette, deren Marssegel schon von den langer werdenden Schatten gezeichnet waren.»Und wer wu?te dies besser als die Fischer von den Inseln?»
        Tyrell atmete langsam aus.»Teufel, soll das hei?en, da? wir diese Information bekommen sollten? Aber als sie Colquhoun in die Finger gerieten, wollten sie damit ihre eigene Haut retten.»

«Ich wei? nicht. «Bolitho schritt zu den Wanten und zuruck zum Kompa?, ohne eines von beiden zu sehen.»Der Kommandant der Fawn hat mir vor einiger Zeit etwas gesagt. Namlich da? unsere Fischzuge sehr bekannt werden, was mit anderen Worten hei?en soll, da? sie dem Feind weh tun.»
        Tyrell nickte.»Eine Falle. Ist das wahrscheinlich?«Er deutete uber die See.»Wir sind denen doch sicherlich nicht so wichtig.»

«Das hangt davon ab, was der Feind vorhat. «Bolitho wandte sich um, er fuhlte, wie ihm ein Schauer den Rucken hinunterlief. Dies war ein neues, ein unheimliches Gefuhl. Allein der Gedanke, da? jemand uber ihn diskutierte, sozusagen einen Verfolgungsplan wie fur einen gesuchten Verbrecher aufstellte!
        Aber es schien so zu sein, und er mu?te sich darauf einstellen. Flotten und wertvolle Geleitzuge blieben ostlich oder westlich der Bahamas, also war es viel wahrscheinlicher, da? es der Feind auf eine ganz bestimmte Prise abgesehen hatte.
        Er sagte:»Wir werden heute nacht fur die Fawn eine Hecklaterne setzen. Bei Tagesanbruch teile ich Commander Maulby mit, was ich davon halte. «Er grinste, plotzlich amusiert von seiner ungewohnlichen Vorsicht.»Oder vielleicht habe ich bis dahin auch die Geister vertrieben.»
        Tyrell beobachtete ihn zweifelnd.»Fur unsere Feinde, und besonders fur die Franzosen, sind Sie ein Dorn im Fleisch. «Er runzelte die Stirn.»Und es gibt nur eine Art, mit Dornen fertig zu werden, und das ist, sie herausziehen und darauf herumtrampeln!»
        Bolitho nickte.»Wir werden auf unserem neuen Kurs bleiben, aber darauf vorbereitet sein, jedes Ereignis als Trick oder Hinterhalt zu betrachten, bis sich das Gegenteil herausgestellt hat.»
        Er schaute zwar nach der Lucifer aus, aber sie war nicht mehr als ein kleiner Punkt in der Abenddammerung. Er verfluchte Colquhoun, weil der nicht mehr Informationen uber das Fischerboot geliefert hatte. Dennoch tat er ihm fast leid. Er war offensichtlich angstlich auf seine eigene Zukunft bedacht, und jetzt, da sich ihm die Chance bot, eine reiche Prise aufzubringen, wahrscheinlich auch noch militarische Informationen, konnte er an nichts anderes denken.
        Er ging hinunter in seine Kajute und betrachtete im Licht der sanft schwingenden Laterne die Seekarte. Unter seinen Handen lagen die Inseln, die unzahligen Riffe und Untiefen, wie die Offnung eines gigantischen Beutels, um den die Flotte Colquhouns, zufallig oder nicht, immer engere Kreise zog, um sich mit der Endgultigkeit einer Schlinge zu schlie?en.
        Bolitho seufzte und lehnte sich aus einem der Fenster. Im abgeschirmten Strahl der Hecklaterne leuchteten die kleinen Schaumkronen wie blaue Wolle, und dahinter war der Horizont bla? geworden und verschwamm im Licht der ersten fahlen Sterne.
        Dann beruhrte er die Narbe unter der Haarlocke und bemerkte, da? sie schmerzte, mit dem Herzschlag pulsierte. Er wu?te, da? er unruhig war, vielleicht um so mehr, als er keinen konkreten Grund dafur finden konnte.
        Oben horte er Graves murmeln, als er die Wache ubernahm, und Tyrells hinkenden Schritt, als er zum Mannschaftsniedergang ging. Normale, gewohnte Gerausche, die ihm sonst ein Gefuhl der Freude vermittelten. Jetzt hatte er plotzlich Angst. Vielleicht lag es daran, da? sie von Menschen kamen, die er kennengelernt hatte, und nicht nur die Ausdehnung der Moglichkeiten des Schiffes bedeuteten. Er furchtete sich nicht vor dem Feind oder vor dem allgegenwartigen Tod, sondern vor seiner Verantwortung, die ihr Vertrauen ihm gegeben hatte.



        Rankespiel und Bosheit

        Bolitho befestigte gerade hastig sein Halstuch, als Tyrell den Kopf durch das Kajutenskylight steckte und rief:»Die Bacchante hat signalisiert, Sir! Bitten Kapitane an Bord!«»Ich komme sofort hinauf.»
        Er warf sich den Rock uber und blickte sich in der Kajute um. Er sah Colquhoun nicht sehr oft, hatte aber gelernt, da? es am besten war, nichts zu vergessen.
        An Deck wurde die Gig bereits uber Bord gelassen, und als er zur Fawn hinuberblickte, sah er, da? deren Boot bereits im Wasser war und Maulby sich beeilte, hineinzukommen.
        Es war fruher Nachmittag, und Bolitho spurte das brennendhei?e Deck durch seine Schuhe hindurch. Die ganze Nacht waren sie, die Fawn so nahe wie es die Sicherheit eben noch zulie?, gen Suden gefahren und hatten die Sandbanke und Untiefen zehn Meilen backbords liegen lassen. Es hatte aber langer gedauert als gehofft, die Bacchante zu finden; sobald der Ausguck ihre Marssegel gesichtet hatte, flaute der Wind bis auf eine mude Brise ab, und die Sonne brannte mit sengender Glut.
        Wahrend Bolitho darauf wartete, da? die Mannschaft die Gig fertig machte, wandte er sich um und schaute zu dem formlosen, blauen und purpurroten Klumpen hinuber, von dem er wu?te, da? es das westliche Ende der gro?en Bahamainsel war. Colquhoun ging kein Risiko ein. Er war weit genug vom Land entfernt, um entweder selbst reichlich Aktionsraum zu haben oder den Feind daran zu hindern, seine Absichten zu erkennen.

«Gig ist klar, Sir.»
        Schnell ging er zur Schanzkleidpforte und sagte zu Tyrell:»Achten Sie besonders auf Kundschafter. Schicken Sie einen Kutter aus, wenn sie naher kommen. Warten Sie meine Befehle nicht ab.»
        Gleich darauf sa? er im Boot und setzte sich auf eine hei?e Ducht. Stockdale stand an der Pinne und dirigierte das Boot auf die Fregatte zu.
        Die Bacchante hatte beigedreht, ihre Segel flappten lose, und man sah ihren kupfernen Rumpf, als sie unruhig in der Dunung rollte. Ein feines Schiff, dachte Bolitho. Schon geschnitten und von einem Fachmann entworfen. Mit sechsunddrei?ig Geschutzen und der Moglichkeit, viele Monate mit ihren eigenen Vorraten auszukommen, war sie, oder sollte es jedenfalls sein, ein Traumziel fur den Ehrgeiz jedes jungen Kapitans. Sie schien uberhaupt nicht zu Colquhoun zu passen.
        Stockdale murmelte vor sich hin, und Bolitho wu?te, da? er seinen Gegenspieler von der Fawn verfluchte, der es immer irgendwie schaffte, sein Boot etwas schneller ans Ziel zu bringen.
        Die Gig drehte sich etwas, die Riemen schwangen gemeinsam hoch, als der Bootsmann an der Jakobsleiter der Fregatte festmachte. Der uber sie fallende Schatten der Bacchante gonnte ihnen eine kurze Pause vor der flirrenden Hitze.
        Bolitho kletterte an Bord, schwang gru?end seinen Hut und nahm wieder Haltung an, als die Bootsmannspfeifen zum Salut schrillten und einige Matrosen in roten Rocken ihre Musketen prasentierten. Der Erste Leutnant, ein hagerer, gequalt aussehender junger Mann, verneigte sich knapp.

«Der Kapitan ist achtern, Sir. Er arbeitet seine Taktik aus, andernfalls.»
        Maulby trat aus dem Schatten des Schanzkleides und ergriff Bolithos Arm. Andernfalls, mein lieber Freund, hatte er die gro?e Gute gehabt, uns an der Schanzkleidpforte zu empfangen, nicht wahr?«Er lachte uber die Besturzung des Leutnants.»Sie, Sir, verdienen hohe Anerkennung fur Ihr Ausharren an Bord dieses Schiffes.»
        Gemeinsam schritten sie zur Achterkajute und zogen automatisch die Kopfe ein, obwohl genugend Raum vorhanden war.
        Ein Seesoldat schlug die Hacken zusammen und offnete die Kajutenture. Seine Augen bewegten sich nicht, bis beide Offiziere uber die Schwelle getreten waren.
        Colquhoun stand an den Heckfenstern und sah mit offensichtlicher Ungeduld auf seine Uhr.

«Sie sind also gekommen, meine Herren. «Er setzte sich an seinen Tisch.»Endlich.»
        Bolitho entspannte sich etwas. Also wurde es in diese Richtung laufen. Er antwortete:»Wir hatten in der Nacht widrige Winde, Sir.»
        Maulby fugte ruhig hinzu:»Und ich dachte, Sie konnten naher an Land sein, Sir. Wir scheinen hier etwas - hm - abseits zu liegen. «Er blickte zu seinem eigenen Schiff hinuber, das ungefahr eine Fadenlange von der Bacchante entfernt unruhig rollte. Aber ich nehme an, da? Sie einen Grund dafur haben, Sir.»
        Colquhoun starrte ihn einen Moment an, als ob er die Aufrichtigkeit seiner Worte prufen wollte. Aber glucklicherweise schien er Maulbys Sarkasmus nicht zu bemerken. Er bellte:»Sehen Sie sich die Karte an. «Sie umstanden ihn, und er bezeichnete die Punkte mit seinem Messingstechzirkel.

«Hier ist der Franzose. Ich habe vor Beginn der Morgendammerung einen Kutter zur Erkundung ausgeschickt. «Er schaute triumphierend auf.»Jetzt ist also Schlu? mit den Spekulationen.»
        Bolitho beugte sich tiefer uber die Karte. Was fur ein ausgezeichneter Platz! Von der westlichen Spitze der Hauptinsel verlief die Kette der Riffe und Sandbanke ungefahr vierzig Meilen nach Norden und vereinigte sich dort mit der beruchtigten Mantilla-Untiefe. Letztere krummte sich nach Osten wie eine Riesenschlange und umschlo? das offene Wasser der sogenannten Little Bahama Bank. An einigen Stellen war das Wasser nur wenige Fu? tief, und die tieferen Stellen waren selten und weit verstreut.
        Nach Colquhouns Angaben war das franzosische Schiff entweder durch eine dieser Sandbanke gefahren oder hatte sie umrundet, um auf der anderen Seite der Insel abzuwarten. Ausgezeichnet fur jemanden, der ein Scharmutzel vermeiden wollte. Denn an dieser Seite und auch sonst in der Fahrrinne betrug die Tiefe uber zweihundert Faden. Jede Hoffnung auf einen Nahangriff wurde durch die steile Kuste der Insel zunichte gemacht. Auf der anderen Seite, innerhalb der Little Bahama Bank, war das Wasser sehr seicht, mit sandigem Strand, ideal fur einen Kapitan, der sein Schiff uberholen und kleinere Reparaturen ausfuhren wollte.

«Ist Ihr Kutter gesehen worden?«Maulby schaute nicht auf.

«Naturlich nicht!«Colquhoun schien schon bei der Vorstellung argerlich zu werden. Mein Erster Leutnant hatte das Kommando. Er wei?, was mit ihm passieren wurde, falls er eine solche Nachlassigkeit zulie?e. «Muhsam beruhigte er sich wieder.»Er sah viele Lichter auf dem Wasser. Der Kutter pullte durch die Brandung und dann zwischen zwei Sandbanke, um den Feind bei der Arbeit zu beobachten. Es ist ein gro?es Schiff, wahrscheinlich eine Vierzig-Kanonen-Fregatte, bei der einige Geschutze entfernt wurden. Sie mu? auf Grund gelaufen und beschadigt worden sein, nachdem sie zwischen die Inseln einfuhr.»
        Bolitho betrachtete sein Profil. Colquhoun war sehr erregt, daruber gab es keinen Zweifel, auch wenn er sich alle Muhe gab, seine wirklichen Gefuhle zu verbergen. Starker Brandygeruch hing in der Luft, und er vermutete, da? der andere bereits heimlich den Sieg gefeiert hatte, den er in der Tasche zu haben glaubte.
        Er fragte ruhig:»Was haben Sie vor, Sir?»
        Colquhoun schaute ihn fragend an.»Ich nehme fest an, da? der Feind seine Reparaturen beinahe beendet hat. Er wird nun entweder die Reise fortsetzen oder nach Martinique segeln, wenn er schwer beschadigt ist und mehr Hilfe benotigt. In jedem Falle mussen wir sofort handeln, um eine weitere Jagd zu vermeiden.»

«Ich wurde einen Bootsangriff vorschlagen, Sir. Wir konnten die Sandbank aus zwei Richtungen uberqueren und ihnen den Weg abschneiden, ehe sie merken, was passiert. Mit Mannern und Booten von allen drei Schiffen konnen wir in der Dunkelheit ihren Widerstand brechen.»
        Colquhoun sagte leise:»Und Sie hatten selbstverstandlich das Oberkommando uber die Boote?»
        Bolitho errotete argerlich.»Ihre Fregatte ist um die Halfte zu gro?, um in diesen seichten Gewassern von Nutzen zu sein, Sir! Wenn der Franzose fliehen will oder beschlie?t zu kampfen, werden Sie an Bord benotigt, um Ihr Schiff unverzuglich in Aktion zu setzen.»

«Ruhig, Bolitho. «Colquhoun lachelte freundlich.»Sie reagieren zu hitzig auf meine Worte. Solche Hast deutet eher auf Schuld als auf Uberzeugung hin.»
        Er drehte sich rasch um, ehe Bolitho antworten konnte.»Sie, Maulby, werden die Fawn heute nacht uber die Sandbank bringen, wenn notig mit Hilfe der Riemen; aber ich wunsche, da? Sie morgen bei Anbruch der Dammerung in Position sind. «Er beugte sich wieder uber die Seekarte.»Wenn der Feind sein Schiff so weit repariert hat, da? er wieder segeln kann, wird er ohne Zweifel hoffen, eine der drei Fahrrinnen zu erreichen. Gegen Norden konnte seine Durchfahrt von widrigen Winden und der Flut behindert werden. Suden ist wahrscheinlicher - in diesem Fall liegt die Bacchante gut, um ihn in Empfang zu nehmen, wenn er um die Landzunge biegt. Wenn er aber immer noch festhangt oder uberholt, dann konnen Sie ihn an Ort und Stelle beschie?en. Er wird einsehen, da? es nutzlos ist, zuruckzuschie?en. Ein paar Treffer sollten genugen, um ihn vollends unbeweglich zu machen, oder zumindest so lange, bis wir da sind und drastischere Ma?nahmen ergreifen konnen. «Er hob einen Finger und drohte in die Luft.»Aber ich kenne diese Franzosen. Sie werden nicht schie?en, wenn die Umstande so sehr gegen sie sind.»
        Uber seinen gebeugten Rucken hinweg blickte Maulby Bolitho an und zuckte mit den Schultern.
        Bolitho sagte nichts, weil er wu?te, da? Colquhoun auf seinen Protest wartete. Die Sparrow eignete sich viel besser fur die von Colquhoun gestellte Aufgabe. Ihre Bewaffnung war schwerer, und ihre Zweiunddrei?igpfunder feuerten viel genauer und todlicher als die schwachere Batterie von Neunpfundern der Fawn. Er wu?te jedoch, da? jede Bemerkung nur Colquhouns Andeutung von vorher bestatigen wurde, namlich da? er selbst nach mehr Ruhm und Erfolg strebe.
        Maulby fragte langsam:»Werden Sie auch Manner uber Land aussenden, Sir?»
        Colquhoun schaute sie immer noch nicht an.»Um Gottes willen! Das halte ich fur unnotig.»
        Bolitho sagte:»Das war ein vernunftiger Vorschlag, Sir. Ich wurde eine Bootsaktion bei Nacht vorziehen, aber bei Tageslicht wurde eine Gruppe Manner, einschlie?lich Ihrer Seesoldaten, ohne weiteres. «Er kam nicht weiter.
        Colquhoun schnellte hoch wie eine losgelassene Feder.»Genug jetzt! Mein Plan la?t keinen Spielraum fur nervoses Herumgehampele auf den Felsen! Der Franzose ist so gut wie besiegt, und ich habe vor, ihn mitsamt der Ladung intakt in den Hafen zu bringen!»
        Er entfernte sich vom Tisch und starrte auf eine halbgefullte Karaffe auf seinem Schreibtisch. Als er danach griff, sah Bolitho, da? seine Hand vor Arger oder Erregung zitterte. Auch seine Stimme war unruhig, als er fortfuhr:»Und Sie, Bolitho, werden von Norden aus herankommen. Bleiben Sie bis zum Zeitpunkt des Angriffs au?er Sicht, dann nehmen Sie mit mir wegen weiterer Order Kontakt auf.
«Seine Finger schlossen sich wie Klauen um die Karaffe.»Das ist alles. Mein Sekretar wird Ihnen vor Verlassen des Schiffes noch die schriftlichen Einzelheiten des Angriffs geben.»
        Sie verlie?en die Kajute und schritten schweigend zum Achterdeck.
        Maulby sprach zuerst.»Dies ware Ihre Angelegenheit, Dick. Ich bin damit einverstanden, da? Sie versuchen, den Feind abzuschneiden, aber auf jeden Fall stunde Ihnen das Kommando zu, wenn Colquhoun die Absicht hat, ablandig zu bleiben.

        Bolitho klopfte ihm auf die Schulter.»Ich wunsche Ihnen allen Erfolg, aber das wissen Sie. Sie sind langst fur eine Beforderung fallig, und ich hoffe, dies wird sie Ihnen bringen.»
        Maulby grinste.»Ich gebe zu, da? ich mich uber diese Chance freue. Aber ich wunschte, ich konnte es mit weniger Bitterkeit tun. «Er blickte nach achtern. Dieser Mann wird mit seinen verdammten Launen noch mein Tod sein.»
        Bolitho bi? sich auf die Lippen und versuchte, die richtigen Worte zu finden.

«John, bitte passen Sie gut auf. Ich wei?, da? Colquhoun diesen Sieg verzweifelt gerne mochte, aber ich teile seine Meinung uber die Franzosen nicht. Sie kampfen gut, sie kampfen mit Mut. Sie geben sich nicht mit leeren Gesten zufrieden, noch nicht einmal angesichts von Kanonendonner.»
        Maulby nickte mit ernsten Augen.»Keine Sorge. Wenn der Franzose beschlie?en sollte, mit mir Geschutz gegen Geschutz zu kampfen, werde ich abdrehen und auf Unterstutzung warten.»
        Bolitho zwang sich zu einem Lacheln. Maulby log, um ihm seine Sorgen zu erleichtern. Er log genauso, wie er es wahrscheinlich unter den gleichen Umstanden getan hatte. Vor und nach einer Seeschlacht hatte man immer Zeit fur Uberlegungen und Gegenvorschlage, war man aber einmal mitten drin, dann gab es nur noch einen Gedanken: zu kampfen, und so lange weiterzukampfen, bis der Feind geschlagen war oder sich das Schicksal gegen einen wandte.

«Boote langsseits!«Der Erste Leutnant gru?te sie mit einem muden Lacheln.»Ist es voruber, Sir?»
        Maulby hielt seine schriftlichen Befehle in die Hohe.»Aye, geschafft.»
        Der Leutnant seufzte.»Ich habe eine kleine Skizze gemacht, die Ihnen vielleicht nutzlich sein kann. Die Gezeiten sind dort sehr schlecht, und die Dunung ist nicht besser. Aber wenn es dem Franzosen gelungen ist, hineinzukommen, sollten Sie weniger Schwierigkeiten haben.»
        Die beiden Gigs hatten mit Haken an den Fallreeps festgemacht, und Bolitho sagte mit plotzlicher Dringlichkeit:»Ich will sofort in See gehen, wenn ich bei Anbruch der Morgendammerung auf Position sein mu?. «Er streckte seine Hand aus.»Ich wunschte, ich konnte mit Ihnen kommen.»
        Maulby erwiderte den Handedruck.»Ich auch. «Er grinste.»Aber wenigstens wird Ihnen der Anblick erspart bleiben, wie die Fawn Colquhoun mit einem Schlag reich und beruhmt macht.»
        Stockdale stand mit verwunderten Augen auf, als Bolitho am Fallreep der Fregatte hinunterkletterte. Als das Boot abstie? und die Riemen den Rhythmus fanden, zischte er:»Wir kampfen also nicht, Sir?»
        Bolitho seufzte. Geheime Befehle, Schlachtplane, dies bedeutete nichts auf dem Mannschaftsdeck. Stockdale hatte die Gig nicht verlassen, aber er und wahrscheinlich jeder Kuchenjunge in der Flotte wu?te, was gespielt wurde.

«Diesmal nicht, Stockdale.»
        Er hatte Colquhouns Zurechtweisung schon vergessen, den berechnenden Versuch, einen Keil zwischen ihn und Maulby zu treiben. Er uberlegte sich die Aufgabe der Fawn, die Erfolgschancen des Angriffs.

«Das ist nicht gerecht, Sir. «Stockdale brummte argerlich an der Pinne.
        Bolitho blickte ihn an.»Kummere dich um deine Arbeit! Ich habe heute von Rankespielen mehr als genug!»
        Stockdale beobachtete die eingezogenen Schultern des Kapitans, die Art, wie er seinen Sabel festhielt, so da? man durch seine sonnverbrannte Haut die Knochel wei? durchscheinen sah. Es hat keinen Wert, mir etwas vorzumachen, mein Junge - es ist trotzdem nicht gerecht, und was noch schlimmer ist, du wei?t es auch, dachte er. Dann legte er Ruder und steuerte direkt auf die Sparrow zu.
        Als der Bugmann am Fallreep anlegte, drehte sich Bolitho abrupt um und sagte:»Aber trotzdem vielen Dank fur deine Besorgnis.»
        Stockdale stand mit der Mutze in der Hand da, wahrend Bolitho nach der Strickleiter griff. Er grinste seinen Rucken an.»Danke, Sir!»
        Tyrell scheute sich ebenfalls nicht, seine Gedanken auszusprechen.»Das ist aber eine seltsame Wahl! Commander Maulby ist ein guter Offizier, aber.»
        Bolitho drehte sich um.»Bereiten Sie das Schiff zum Segelsetzen vor. Setzen Sie die Royals, sobald wir Fahrt machen, denn ich mochte mit dem vorhandenen Wind so viel Geschwindigkeit wie moglich machen!«Er lenkte wieder ein.»Tun Sie, was ich sage, Mr. Tyrell, und Schwamm druber.»
        Buckle schlenderte uber das Deck, als Bolitho hinuntereilte, um seinen schweren Uniformrock auszuziehen.»Was halten Sie davon, Mr. Tyrell?»
        Tyrell runzelte die Stirn.»Dieser verdammte Colquhoun! Ich konnte ihn nie leiden. Genauso wie der verfluchte Ransome, seine Augen sind Schlitze, durch die der Teufel schaut!»
        Buckle schuttelte den Kopf.»Der Kapitan ist besorgt, daran besteht kein Zweifel.»

«Nicht seinetwegen. «Tyrell beobachtete die Manner, wie sie an den Bootstaljen arbeiteten, als die Gig uber das Schanzkleid gefiert wurde.»Das ist ebenfalls sicher.»
        Bolithos scharfe Stimme kam durch das Skylight.»Falls Sie fertig sind, meine Herren, ware ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie sich an meine Befehle halten wurden!»
        Buckle schaute Tyrell an und lachelte dummlich.»Typisch! Unser Dick ist keiner, der zu lange grubelt.»
        Innerhalb einer Stunde war die Sparrow geisterhaft langsam auf ihrem Kurs nach Nordwest, alle Segel gesetzt, und lie? ihr Schwesterschiff immer weiter achteraus.
        Der Wind frischte langsam auf, und als die ersten Sterne uber den Masten erschienen, hatten sie schon fast funfzig Meilen zuruckgelegt. Zuruck auf demselben Kurs, auf dem sie in der vergangenen Nacht mit solcher Eile versucht hatten, Colquhoun zu treffen.
        Aber da war nichts zu machen, und einige freuten sich sogar innerlich, da? ihnen die beschwerliche Fahrt durch die Sandbanke erspart blieb.
        Auf dem Achterdeck lehnte sich Leutnant Graves gegen die Reling, halb beobachtete er die lose flappenden Segel, halb horte er dem Achzen des Steuers zu oder den Stimmen der Seeleute auf Wache. Er dachte an sein Zuhause in Chatham und an die Neuigkeiten, die er mit einem seltenen Brief aus England erhalten hatte. Seine Familie war keine Seefahrerfamilie. Sein Vater besa? einen kleinen, aber gutgehenden Gemuseladen, dort waren Graves und seine Schwester geboren und aufgewachsen. Seine Mutter, eine krankliche Frau, war ein Jahr, bevor die Sparrow auslief, gestorben, und in den letzten Jahren hatte sein Vater offensichtlich zu trinken begonnen. Das Geschaft war verschuldet, und seine Schwester hatte, wahrscheinlich aus Verzweiflung, einen verarmten Leutnant der Armeegarnison geheiratet.
        Sie hatte in ihrem Brief um Geld gebeten, nicht fur sich selbst, sondern um ihren Vater nicht in den Schuldturm zu bringen. Graves hatte alles geschickt, was er besa?, und das war wenig genug. Sein Anteil am Prisengeld der Sparrow wurde naturlich viel helfen, aber so lange er keine neuen Informationen von zu Hause erhalten hatte, war er nicht geneigt, es zu uberweisen; schlie?lich hatte er es sich hart erarbeitet. Wenn er doch nur besser fur die Gepflogenheiten der Marine geformt worden ware! Wie zum Beispiel der Kapitan, dessen Seefahrerfamilie und beruhmte Ahnen ihn von Mannern wie ihm trennten. Oder sogar Tyrell, der aller Autoritat gegenuber so gleichgultig war, obwohl er sich dies wei? Gott nicht leisten konnte. Er konnte sich genau erinnern, wie Tyrells Schwester an Bord gekommen war. Sie waren in Kingston, Jamaika, gewesen, wo sie bei Freunden gelebt hatte, um abzuwarten, bis die Schwierigkeiten, wie sie es nannte, in Amerika voruber seien. Ein lebhaftes, lebendiges Madchen, ohne die gleichgultige Einstellung Tyrells. Graves war sie wie eine Art Engel erschienen, die Erfullung all seiner
Traume. Sie kam aus einer alteingesessenen und wohlhabenden Familie, und als seine Frau hatte sie ihm die Chance gegeben, sich zu verbessern, seinen rechtma?igen Platz in der Welt zu finden, anstatt unsicher und vorsichtig zu bleiben. Tyrell hatte seine Absichten klar erkannt, sie jedoch weder unterstutzt noch sich offen dagegen ausgesprochen. Dann hatte diese kleine Narrin einen Streit mit Kapitan Ransome wegen eines Mannes angefangen, der bestraft werden sollte. Graves konnte sich nicht mehr erinnern, ob die Bestrafung gerechtfertigt war oder nicht, es machte ihm auch nichts aus. Ransome war sehr schlau vorgegangen und hatte seinen betrachtlichen Charme benutzt, um den Widerstand des Madchens zu brechen, seine eigenen Chancen zunichte zu machen und sie ihrem Bruder vollig zu entfremden. Aber Graves machte immer noch Tyrell verantwortlich, ha?te ihn, wenn er an sie dachte und wie sie ausgesehen hatte, als Ransome sie schlie?lich in Antigua an Land gesetzt hatte.
        Er umklammerte die Reling, bis der Schmerz ihn wieder beruhigte. Wo sie wohl war? Jemand hatte gesagt, sie sei wieder nach Amerika gesegelt, andere erwahnten einen voruberfahrenden Indienfahrer nach Trinidad. Ob sie wohl jemals an ihn dachte? Argerlich mit sich selbst, da? er nach so langer Zeit noch zu hoffen wagte, drehte er sich um. Warum konnte er nie zufrieden sein, wenn es am notigsten war? Vielleicht war er zu lange in diesem verdammten Gemuseladen gewesen, hatte seinen Vater uber Qualitat reden horen, hatte gesehen, wie er sich vor Kunden verbeugte und erniedrigte, deren unbezahlte Rechnungen gro?er waren als seine eigenen Schulden.
        Die Sorge um seine Schwester, seine eigene Unsicherheit, hatten auch auf andere Weise ihren Tribut gefordert. Er hatte es nach dem Gefecht mit der Bonaventure gefuhlt, obwohl er mit den geretteten Passagieren an Bord der Sparrow gewesen war. Angenommen, der Kapitan hatte es nicht geschafft, sie lange genug zu entern, um seinen verruckten Plan auszufuhren? Hatte er die Kraft gehabt, die Sparrow gegen seine Befehle zu wenden und Bolitho und seine Manner zu retten? Wenn nicht Buckle und einige andere gewesen waren, bezweifelte er sehr, ob er es getan hatte, selbst als die beiden miteinander verbundenen Schiffe in Flammen aufgingen. Sie hatten die gro?e Rauchwolke selbst am Horizont gesehen.
        Und spater, als sie bei den anderen Prisen langsseits gegangen waren und mit Freibeutern Schusse wechselten, hatte er gefuhlt, da? sich Furcht in seinem Innern breitmachte wie eine schleichende Krankheit. Niemand hatte es bemerkt. Bis jetzt. Er schuttelte sich und ging nach Luv hinuber, versuchte, in der kuhlen Brise einen klaren Kopf zu bekommen.
        Die beiden Fahnriche standen an den Leewanten, und Bethune sagte ruhig:»Mr. Graves scheint sich Sorgen zu machen.»
        Der neue Fahnrich, Fowler, ignorierte den Kommentar.»Hor mal…«Er lispelte, was noch starker hervortrat, wenn er versuchte, vor seinen Vorgesetzten unschuldig zu erscheinen. Jetzt merkte man es kaum.»Ich mu? morgen das Deckscheuern uberwachen.»
        Bethune beobachtete den Leutnant.»Ich wei?. Du bist an der Reihe.»
        Fowler zeigte lachelnd seine kleinen Zahne.»Tu du es fur mich. Wenn wir wieder zur Flotte zuruckkehren, werde ich mit dem Admiral sprechen.»
        Bethune starrte ihn an.»Meinetwegen?«»Vielleicht.»
        Bethunes Dankbarkeit war mitleiderregend.»Oh, wenn ich nur… «Er nickte.»Ja, ich werde mich um die Arbeiten kummern. Wenn ich sonst noch etwas tun kann.»
        Der junge Mann betrachtete ihn kalt.»Ich werde es dich wissen lassen.»
        Uberall auf dem Schiff gab die Mannschaft ihren Hoffnungen und Traumen auf ihre eigene Art Ausdruck.
        In seiner Kajute sa? Tyrell auf seiner Seekiste und massierte sein verwundetes Bein, wahrend jenseits des Schotts Bolitho den Brief an seinen Vater beendete. In der schwach erleuchteten Offiziersmesse doste Dalkeith uber einem Glas Rum und horte Buckle zu, der wieder einmal eine Geschichte von der einen oder anderen Frau aus Bristol erzahlte, wahrend der junge Heyward ihm mit geschlossenen Augen lauschte. Ganz vorn am Bug lehnte Yule, der Feuerwerker, mit von Wind und Gischt zerzaustem Haar, eine Flasche zwischen den Knien; seine verwirrten Gedanken galten Tilby und den guten Zeiten, die sie zusammen erlebt hatten. Ganz unten in den Laderaumen, im Licht einer Laterne an der niedrigen Decke, inspizierte Lock, der Zahlmeister, eine Kiste Zitronen. Er prufte jede einzelne wie ein Rauber sein Beute, wahrend er Notizen in ein Heft machte.
        Und mit ihrer fahlen Leinwand beschutzte die Sparrow sie alle, ungeachtet ihrer verschiedenen Sorgen und Freuden, gleichgultig sogar der See gegenuber. Denn sie brauchte keinen von ihnen und schien zufrieden.
        Sobald Bolitho das Achterdeck betrat, bemerkte er, da? der Wind sich gegen sie wandte, und zwar rasch. Er hatte tief geschlafen, als ein Steuermannsmaat in die Kajute gekommen war, um ihm zu melden, da? Leutnant Heyward um seinen Rat ersuche.
        Die mittlere Wache war erst halb vorbei, und die Sterne schienen sehr hell uber den Ausgucks, aber als er mit blo?en Fu?en unhorbar uber die feuchten Planken eilte, horte er die Topsegel heftig schlagen, fast schien es ihm eine Antwort auf das Achzen der Stagen und Wanten zu sein.
        Buckle stand neben dem Steuer, wie er selbst trug auch er nur seine Kniehosen; ein Beweis, wenn das noch notig war, da? Heyward erst dann Hilfe geholt hatte, als es schon fast zu spat war.

«Nun?«Er blickte kurz auf das schrage Kompa?gehause und sah die Augen der Ruderganger schwach im Licht des Kompa?hauses gluhen.»Ich warte, Mr. Heyward.»
        Er wollte den jungen Leutnant nicht verwirren, und zu jeder anderen Zeit hatte er seinen Wunsch verstanden, die eigene Wache zu gehen, ohne Unsicherheit zu zeigen. Aber dies war nicht die rechte Zeit, und in diesen gefahrlichen Gewassern wurden sie schnell handeln mussen.
        Heyward erklarte:»Der Wind raumte einen Strich oder so, und ich lie? meine Wache die Rahen fieren. «Er deutete vage uber seinen Kopf.»Aber er wird immer starker, ich furchte, wahrscheinlich von Nordost.»
        Buckle murmelte:»Wir werden niemals rechtzeitig den Kurs andern konnen, um die Spitze der Sandbanke zu erreichen, Sir. «Er betrachtete den Kompa?.»Nie!»
        Bolitho rieb sich das Kinn, er fuhlte, wie der Wind uber seine nackten Schultern strich. Heyward war sehr unklug gewesen, der Sparrow so ihren Willen zu lassen. Vielleicht hatte er erwartet, da? sich der Wind wieder drehen wurde, wie so oft in diesen Gewassern; was er auch gedacht oder gehofft hatte, jedenfalls zeigte der Bug jetzt fast nach Nordnordwest, und das Schiff hielt auch diesen Kurs nicht sehr gut. Jede Minute entfernte sie mehr von der Sandbankkette, und es wurde Stunden erfordern, bis sie sich mit Kreuzen wieder zuruckgekampft hatten auf die Position, die Colquhoun angegeben hatte. Heyward sagte klaglich:»Tut mir leid, Sir - ich dachte, ich konnte sie halten.»
        Bolitho dachte angestrengt nach.»Sie konnen nichts fur den Wind. Aber Sie mussen lernen, mich in Zukunft sofort zu holen, wenn Sie sich unsicher fuhlen. Ich werde deshalb nicht schlechter uber Sie denken. «Er blickte Buckle an.»Was halten Sie davon? Es sind noch vier Stunden bis zur Dammerung.»
        Buckle war unzuganglich.»Unmoglich. «Er seufzte.»Ich furchte, wir mussen hart am Wind bleiben und in ungefahr drei Stunden wenden.»
        Bolitho stellte sich die Seekarte vor und erinnerte sich an die nachsten Sandbanke, an die Gezeiten.

«Befehlen Sie alle Mann an Deck, Mr. Heyward. Wir wenden sofort.»

«Aber, Sir!«Buckle schien besorgt.»Wir werden niemals unseren vorgeschriebenen Kurs erreichen! Mit einem bestandig wehenden Nordost ist es nicht moglich!»
        Bolitho horte das Schrillen der Bootsmannspfeifen unter Deck, das plotzliche Getrampel von Fu?en auf Niedergangen und Leitern.»Ich stimme Ihnen zu, Mr. Buckle. Aber ich habe vor, durch die Sandbanke zu fahren. «Er blickte Tyrell an, der gerade auftauchte.»Wenn wir hier bleiben, werden wir niemals Hilfe anbieten konnen, falls diese bei Tagesanbruch benotigt wird. Wenn wir einmal hinter der Sandbank sind, werden wir zumindest den Wind ausnutzen konnen, sobald sich Gelegenheit dazu ergibt.»
        Graves rannte zum Achterdeck, seine Fu?e schienen im Vergleich zu den flusternden Stimmen sehr laut zu sein. Offensichtlich hatte er Zeit gefunden, seine Schuhe anzuziehen.
        Bolitho sagte:»Nun gut. Lotgasten in den Bug, dann lassen Sie die Royals und die Marssegel wegnehmen. «Er sprach und dachte schnell.»Sagen Sie dem Bootsmann, er soll die Riemen losmachen lassen, falls der Wind ganz aufhort.»
        Tyrell nickte.»Aye, aye, Sir. Ich glaube, wir haben eine faire Chance, durchzukommen. Die Flut ist auf unserer Seite. «Er zogerte.»Wenn sie zuruckgeht, konnte es beschwerlich fur uns werden.»
        Bolitho lachelte trotz seiner Gedanken.»Gut gesprochen!»
        Schreie ertonten vom Geschutzdeck, wo Unteroffiziere ihre Ausgucks und Manner fur die Brassen abzahlten. Die meisten von ihnen kannten das Schiff so gut, da? die Dunkelheit keinen oder fast keinen Unterschied machte.
        Bolitho nickte.»Segel reffen, Mr. Tyrell. «Er senkte seine Stimme.»So schnell wie moglich.»
        Innerhalb von Minuten war samtliche Leinwand von den oberen Rahen verschwunden, und die Sparrow hob und senkte sich mit laut im Wind knatternden Gro?segeln in einer ungemutlichen Dunung.
        Bolitho griff nach den Luvwanten, beobachtete die feinen Gischtstreifen, die uber das Schanzkleid flogen, und den extremen Winkel der Rahen, als Buckle mit Ruder und Segeln versuchte, das Schiff so hart am Wind zu halten, wie er es gerade noch wagen konnte. Und die ganze Zeit uberlegte er rasch. Sobald das Schiff auf Kurs war, wurde der nachste Streifen der Sandbanke und Untiefen ungefahr zehn Meilen vor dem Bug liegen.
        Eine falsche Einschatzung der Geschwindigkeit oder Entfernung oder eine falsche oder ungenaue Beschreibung auf der Karte genugte, um sie auflaufen zu lassen. Niemand konnte ihn dafur zur Verantwortung ziehen, wenn er seinen ursprunglichen Befehlen gehorchte und dabei vom Wind abgetrieben wurde. Colquhoun wurde sich wahrscheinlich sogar freuen, ihn moglichst weit weg zu haben, wenn auch nur aus dem Grund, die Sparrow nicht einmal als Zuschauer beim Schlu?akt dabeizuhaben. Dafur, da? er seine genauen Befehle mi?achtete, konnte er bestraft werden, aber mit etwas Gluck wurde er in besserer Position sein, um der Fawn helfen zu konnen, wenn der Franzose zu kampfen beschlo?. Bei dem Wind, der von Nordosten auffrischte, wurde Colquhoun selbst Schwierigkeiten haben, zu gegebener Zeit auf Position zu bleiben, und das allein konnte schon als Entschuldigung fur Bolithos Handeln gelten.

«Fertig, Sir.»
        Er bi? die Zahne zusammen.»Ruder legen!«Er fuhlte, wie die See in einer starken Gegenstromung gegen den bewachsenen Kiel prallte.»Ruder liegt, Sir!»
        Durch die Dunkelheit sah er, wie die Marssegel wild flappten, horte das Getrappel von Fu?en, als die Manner stetig an den Brassen pullten, um die Rahen herum-zuschwingen.

«Hol uber die Schoten!»
        Graves' heisere Stimme drohnte uber Leinwand und Blocken.»Gro?segel dicht!»
        Ein Mann stolperte in der Dunkelheit, und eine scharfe Stimme stellte die Ruhe auf dem Geschutzdeck wieder her.
        Bolitho hielt sich in den Wanten fest und schwang mit dem Rumpf herum, als die Sparrow ihren Kluverbaum hob, zogerte, und dann schwerfallig durch den Wind glitt.

«An die Brassen!«Tyrell lehnte sich uber die Reling, als ob er jeden einzelnen Seemann in der Dammerung ausmachen wollte.»Kraftig, Leute! Noch mehr!»
        Die Sparrow widerstand noch etwas, dann ging sie mit vollen Segeln auf den neuen Kurs; Gischt spritzte uber die Niedergange und durchna?te die Manner unten.
        Bolitho mu?te schreien, um sich in dem Larm verstandlich zu machen:»So hart es geht, Mr. Buckle!»

«Aye, Sir. «Es klang atemlos.»Kurs liegt an!»
        Einige unangenehme Minuten, wahrend die Manner an den Niedergangen herumhetzten. Hier und dort mu?te ein Tau belegt werden. Die Manner zogen geschaftig an den Fallen, wahrend die Leute am Bug mit Leine und Lot bereitstanden, um mit dem Aussingen zu beginnen.
        Schlie?lich war auch Buckle zufriedengestellt.»Sud zu Ost, Sir!»

«Sehr gut.»
        Bolitho spahte zu den hart gebra?ten Rahen hinauf. Nicht einmal eine Fregatte konnte so hart am Wind segeln. Kein Schiff konnte das.
        Tyrell stapfte auf ihn zu, das Hemd klebte ihm am Korper.»Sie wollten das, nicht wahr, Sir?«Er schrie, aber seine Stimme ging im Getose des Wassers unter.»Sie machten sich Sorgen um die Fawn?«Er fluchte, als sein Fu? ausrutschte, und rieb dann sein verwundetes Bein.
        Bolitho stutzte ihn und wartete, bis sich der Rumpf wieder aufgerichtet hatte.

«Langsam, Jethro! Schmerzt es sehr?»
        Tyrell zeigte seine Zahne.»Dalkeith sagt, es konnen noch ein paar kleine Splitter im Knochen sein. Diese Pistolenkugeln bersten manchmal, wenn sie einschlagen. «Er stand unbeholfen auf und grinste.»Es geht schon.»
        Bolitho beobachtete, wie die Toppsgasten herabglitten, und sagte dann:»Ja. Ich glaube, ich wollte es. Ich kann meine Furcht nicht erklaren. «Er zuckte die Schultern.»Also werde ich es erst gar nicht versuchen. «Er schob seine truben Gedanken beiseite.»Jethro, ich mochte, da? die Leute jetzt ihr Fruhstuck bekommen und einen Schluck Rum. Es hat keinen Sinn, bis Tagesanbruch zu warten, sie sind sowieso zu durchna?t, um zu schlafen. «Er schnippte mit den Fingern.»Dann sollen die Feuer geloscht und die Leute auf Gefechtsstationen gebracht werden. Wir werden nicht klar zum Gefecht machen, aber ich mochte, da? jeder verfugbare Mann an Deck ist, wenn wir die Sandbank uberqueren.»

«Was ist mit Heyward? Werden Sie ihn bestrafen?«Tyrell beobachtete ihn angestrengt.
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Er hat seine Lektion gelernt, es ist nichts passiert. Als ich ein junger Leutnant war, bin ich einmal auf Wache eingeschlafen. «Seine Zahne schimmerten wei? durch die Dunkelheit.»Ich bin bei Gott nicht stolz darauf, aber ich habe es nie wieder getan!»
        Er ging hinuber zum Niedergangsluk.»Ich werde etwas anziehen. Es geht nicht an, da? unsere Leute ihren Kapitan bei Tageslicht so sehen. «Er lachte, und das Lachen klang bis zu einem einsamen Matrosen in der Gro?rah hinauf.»Ich lebe vielleicht wie ein Wilder, aber ich mu? ja schlie?lich nicht so aussehen!»
        Tyrell drehte sich wieder zur Reling um und zog sein Bein hoch, als der Schmerz es durchzuckte. Soeben hatte er wieder einen anderen Bolitho kennengelernt. Nackt bis zur Taille, das schwarze Haar uber der Stirn festgeklebt, hatte er genauso jung, wenn nicht junger als Heyward ausgesehen. In so einem Moment war Tyrell geruhrt uber seine Sorge fur die Leute, genauso wie es ihn beeindruckt hatte, da? er sich von den herannahenden Sandbanken nicht ins Bockshorn jagen lie?.
        Heyward kam vom Geschutzdeck, um seine Pflicht wieder zu versehen.
        Tyrell sagte:»Entlassen Sie die Wache unter Deck. Dann sollen die Unteroffiziere nach achtern kommen.»
        Heyward fragte zogernd:»Wird das fur mich schlecht ausgehen?»
        Tyrell klopfte ihm auf die Schulter.»Bei Gott, nein!«Er lachte uber sein Erstaunen.»Sie haben dem Kapitan einen Gefallen getan! Wenn Sie ihn eher gerufen hatten, ware er gezwungen gewesen, den Kurs zu andern. Ihr Fehler hat es ihm gestattet, eine andere Richtung einzuschlagen. «Er ging pfeifend weg, seine blo?en Fu?e verursachten auf den gischtdurchna?ten Planken ein klatschendes Gerausch.
        Heyward ging uber das krangende Deck zu Buckle ans Steuer.»Ich glaube, das verstehe ich nicht.»
        Buckle sah ihn zweifelnd an.»Dann versuchen Sie es nicht erst, das ist mein Rat.
«Er schlurfte zum Niedergang und fugte hinzu:»Und das nachstemal, wenn Sie mit meinem Schiff lieber Gott spielen mochten, ware ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie es zuerst bekanntmachen wurden!»
        Heyward blickte auf den Kompa? und ging zur Luvseite hinuber. Leutnant der Wache zu sein, hie? mehr, als nur einen Auftrag zu haben. Er betrachtete die gespannten Gro?segel und grinste. Das ware beinahe ins Auge gegangen, und einmal war er vom plotzlichen Wechsel der Ereignisse so uberwaltigt worden, da? er dachte, das Schiff wurde durchgehen und ihn und alle an Bord mit unwiderstehlicher Gewalt entfuhren. In den letzten Augenblicken hatte er etwas gelernt. Sollte dies alles wieder passieren, so wu?te er, was er zu tun hatte. Dessen war er ganz sicher.
        Stockdale wartete in der Kajute mit Bolithos Hemd und fragte ihn, nachdem er ihm ein Handtuch gereicht hatte:»Sind Sie damals wirklich auf Wache eingeschlafen, Sir?»
        Bolitho rieb sich Arme und Brust ab und fuhlte, wie das Salz auf seinen Lippen wie eine zweite Haut trocknete.

«Beinahe. «Blieb denn vor Stockdale gar nichts verborgen?» Aber wir mussen die Dinge manchmal etwas ausschmucken.»
        Er stieg aus seiner tropfnassen Hose und warf sie quer durch die Kajute. Als er seinen nackten Korper weiter abrieb, lauschte er Heywards gemessenen Schritten an Deck.
        Dann sagte er ruhig:»Ich habe einmal von einem Leutnant gehort, der einen Mann auspeitschen lie?, weil er vom Ausguck etwas Falsches berichtet hatte. Danach war der Seemann so eingeschuchtert, da? er bei echter Gefahr den Mund hielt, aus Furcht, wieder geschlagen zu werden. Als Folge davon lief das Schiff auf Grund, und der Leutnant ertrank.»
        Stockdale beobachtete ihn aufmerksam.»Geschieht ihm recht. «Er schuttelte eine frische Hose aus und reichte sie hinuber. Ungefahr eine Minute lang sagte er nichts, aber seine Stirne blieb gerunzelt. Dann fragte er:»Und was geschah mit dem Seemann, Sir?»
        Bolitho blickte ihn an.»Ich furchte, er wurde wegen Vernachlassigung seiner Pflicht ausgepeitscht.»
        Stockdales zernarbtes Gesicht strahlte in einem breiten Grinsen.»Ich habe wieder mal recht, Sir - nicht wahr? Es gibt keine Gerechtigkeit auf dieser Welt!»
        Bolitho setzte sich und zog seine Hose vollends an. Wie schon so oft, hatte Stockdale das letzte Wort gehabt.



        Verhangnisvolles Schicksal

        Leutnant Tyrell hielt sich krampfhaft an der Achterdeckreling fest und starrte angestrengt uber das Steuerbordschanzkleid.»Verdammter Nebel!«Er lehnte sich uber die Reling und versuchte verzweifelt, weiter als bis zum Vorschiff zu sehen.»Und unser gottverfluchtes Gluck!»
        Bolitho sagte nichts, sondern ging zur entgegengesetzten Seite des Decks hinuber. Schon vor Beginn der Dammerung, als die Wassertiefe standig gelotet wurde und aller Augen und Ohren gespannt die ausgesungenen Werte horten, auf die Gerausche der entfernten Brandung horchten und gelegentliche Gischtspritzer in der Dunkelheit bemerkten, war er sich des immer dichter werdenden Nebels bewu?t geworden. Das war hier zu dieser Jahreszeit nicht ungewohnlich, doch hatte er erwartet, da? es beim ersten Schein der Morgensonne aufklaren wurde.
        Als er jetzt querab schaute, wu?te er, da? der Nebel dichter denn je war. Er bewegte sich mit dem Wind, hing zwischen den Wanten und schien sich in die Takelage zu klammern wie blasse Schlingpflanzen. Uber den Gro?mastrahen konnte er gar nichts sehen, und abgesehen von einem freien Fleck Wassers unterhalb des Achterdecks war auch die See im wallenden Nebel verborgen. Da er mit dem Schiff Schritt hielt, nahm der Nebel den Eindruck der Bewegung weg, und man hatte das Gefuhl, als ob die Sparrow wie ein Geisterschiff in einer Wolke schwebte.
        Eine Stimme unterhalb des Achterdecks rief:»Marke funf!»
        Die Stimme des Seemanns wurde zum Schweigen gebracht, als diese Meldung von den Lotgasten am Anker von Mund zu Mund weitergegeben wurde. Nachdem sie uber der Sandbank waren, hatte Bolitho» Klar Schiff zum Gefecht «befohlen, und da der Nebel sowohl Sicht als auch Gerausche verschluckte, mu?ten sie jede Vorsichtsma?nahme ergreifen.
        Er blickte wieder zum Gro?marssegel hinauf. Es zog das Schiff stetig uber die Untiefen, die flappende Leinwand glanzte in dem grauen Licht vor Feuchtigkeit und zeigte an, da? irgendwo uber dem Nebel die Sonne schien und vielleicht sogar Land in Sicht war.

«Tiefe vier!»
        Bolitho wanderte nach achtern zum Ruder, wo Buckle mit seinen Mannern stand; der Nebel glitt durch seine gespreizten Beine und lie? ihn wie ein Gespenst erscheinen.
        Er salutierte, als Bolitho naher kam, und berichtete:»Das Schiff halt sich gut, Sir. Kurs Sud zu Ost wie vorher.»
        Vom Geschutzdeck horte man das kratzende Gerausch von Holz auf Holz, und als Bolitho sich umdrehte, sah er einen der langen Riemen uber dem Wasser schweben und dann wieder in die Reihe der anderen zuruckkehren. Er hatte vor einer Stunde angeordnet, die Riemen auszulegen, denn wenn der Wind abfiel oder sie auf eine Untiefe stie?en, waren sie das einzige Mittel, wieder freizukommen.

«Wahrschau an Deck!«Die Stimme des Ausgucks schien vom Nebel selbst zu kommen. Schiff an Steuerbord!»
        Bolitho starrte nach oben, und es wurde ihm zum erstenmal bewu?t, da? der Nebel leicht gelblich war wie der Nordseenebel. Endlich Sonne. Hoch uber dem Deck, isoliert durch eine Nebelschicht, hatte der Ausguck ein anderes Schiff entdeckt.
        Er sah, da? Tyrell und die anderen ihn beobachteten; sie alle waren vom Ruf des Ausgucks in ihren verschiedenen Tatigkeiten aufgeschreckt worden.
        Bolitho sagte:»Ich werde aufentern, Mr. Tyrell. «Er machte seinen Sabel los und ubergab ihn Stockdale.»Passen Sie gut auf und vergewissern Sie sich, da? der Anker jeden Moment geworfen werden kann, wenn notig. «Er eilte zum Schanzkleid, hin und her gerissen zwischen dem unerwarteten Anblick eines fremden Schiffes und der wachsenden Ubelkeit beim Gedanken, in den Ausguck hinaufzusteigen.
        Dann schwang er sich hinaus in die Gro?wanten und ergriff die bebenden Taue mit solcher Kraft, da? man den Eindruck gewinnen konnte, das Schiff sei in einem Orkan. Durch die Wanten hindurch sah er Graves unten auf dem Geschutzdeck mit eingezogenen Schultern stehen, nicht rechts und nicht links blickend.
        Bethune stand in seiner Nahe, eine Hand ruhte auf einem Zwolfpfunder, die andere beschattete seine Augen, als er in den Nebel hinaufspahte. Uberall auf dem Schiff standen die Leute wie Statisten herum, die blo?en Rucken feucht vom Wasser, das unablassig von der Takelage heruntertropfte, so da? es aussah, als schwitzten sie, als kamen sie gerade aus einer Schlacht.
        Hie und da sah man ein kariertes Hemd oder die dunkelblau und wei?en der Feuerwerkersmaaten, die sich von den ubrigen abhoben, als hatte der Kunstler gerade noch Zeit gefunden, ihnen die richtige Haltung zu geben, ehe er zu einem anderen Teil des Bildes uberging.

«Marke funf!«Der Laut kam vom Vorschiff wie eine Klage.
        In Gedanken stellte Bolitho sich die Karte vor. Die Flut war jetzt auf ihrem Hohepunkt. Bald wurden auch die sogenannten sicheren Rinnen zwischen den Untiefen und Sandbanken naher zueinanderrucken wie gro?e Kiefer, die sich um die Beute schlie?en.
        Er bi? die Zahne zusammen und begann zu klettern. Als er innehielt, um Atem zu schopfen, schien das Schiff im Nebelseine Umrisse verloren zu haben. Nur die Geschutze und Niedergange waren einigerma?en klar zu sehen; an der Heckreling schienen Buckle und die anderen durch die Nebelschwaden halbiert zu sein.
        Hoher hinauf. Am Gro?mast schlupfte er lieber durch das Landrattenloch, als sich der zusatzlichen Qual auszusetzen, mit Handen und Fu?en an den Puttingswanten zu hangen. Ein Seemann starrte ihn an, als er voruberglitt, und starrte immer noch, als Bolitho immer schneller nach oben kletterte, bis auch er im Nebel verschwunden war.
        Einige Augenblicke spater spahte Bolitho mit etwas wie Bewunderung zur Gro?bramstenge hinauf. Denn dort oben war der wolkenlose Himmel strahlend blau, und er sah die Stagen und Spieren wie Kupfer in der Sonne glanzen.
        Der Ausguck, der die Beine sorglos von der Saling baumeln lie?, ruckte etwas zur Seite, um seinem Kapitan neben sich Platz zu machen.
        Bolitho griff nach einer Stage und versuchte, seinen Atem unter Kontrolle zu bekommen.

«Nun, Taylor, Sie haben ein schones Platzchen hier oben.»
        Der Ausguck begann zu grinsen.»Aye, Sir. «Er hatte den weichen Dialekt der nordlichen Landstriche, und diese vertraute Stimme half mehr, als Bolitho es sich hatte traumen lassen, um seine Ubelkeit zu beruhigen.
        Er hob einen braungebrannten Arm.»Dort druben ist das Schiff, Sir!»
        Bolitho drehte sich um und versuchte, nicht auf den vibrierenden Mast zu sehen, der unter ihm im Nebel verschwand. Einen Moment konnte er gar nichts erkennen.
        Dann, als der trage Wind den Nebel in Bewegung brachte, sah er die ragenden Gro?masten und den flappenden Stander einer Fregatte, ungefahr drei Meilen steuerbords voraus.
        Er verga? seine prekare Lage, die Ubelkeit des schwindelnden Aufstiegs, alles au?er dem anderen Schiff.
        Der Ausguck sagte:»Dort sind auch Grundseen, Sir. Ich schatze, die Fregatte steht auf der anderen Seite der Sandbank.»
        Bolitho blickte ihn ernst an.»Sie kennen das Schiff, nicht wahr?»
        Der Mann nickte.»Aye, Sir. Es ist die Bacchante. Mit Kapitan Colquhouns Kommandoflagge auf dem Vorschiff. «Er beobachtete Bolithos undurchdringliches Gesicht.»Ich habe vor zwei Jahren auf ihr gedient.»
        Bolitho nickte. Er hatte gewu?t, da? es die Bacchante war. Vielleicht hatte er gehofft, da? er sich geirrt hatte, da? Nebel und Licht mit ihm sein Spiel trieben.
        Aber er konnte nicht an Taylors Worten zweifeln. Sie waren typisch fur einen Seemann wie ihn. Wenn sie einmal mit oder auf einem Schiff gedient hatten, schienen sie es unter jeder Bedingung wiederzuerkennen. Taylor hatte nur die oberen Rahen der Fregatte gesehen, aber sie sofort identifiziert.
        Bolitho beruhrte seinen Arm.»Beobachten Sie sie gut, Taylor. «Er schwang ein Bein uber die Kante.»Sie haben Ihre Sache gut gemacht.»
        Er kletterte und schlitterte abwarts, in Gedanken bei dem erneuten Zusammentreffen. Einmal glaubte er, uber seiner Schulter die Sonne auf dem Wasser blitzen zu sehen, querab vom Rumpf. Der Nebel lie? also doch nach. Aber es war jetzt zu spat, wenn die Sache schiefging.
        Tyrell wartete bei der Achterdeckreling auf ihn, seine Augen blickten fragend, als Bolitho von den Wanten heruntersprang und auf ihn zueilte.»Es ist die Bacchante!»
        Bolitho starrte an ihm vorbei auf die nach oben gerichteten Gesichter auf dem Geschutzdeck, auf die Gischtspritzer, als die Lotgasten die Leine wieder auswarfen.

«Funf weniger ein Viertel!»
        Er wandte sich zu Tyrell um.»Colquhoun mu? wahrend der Nacht ziemlich weit weg vom Land gelegen haben. Als der Wind auffrischte, hat er ihn erwischt, genau wie uns. Er mu? meilenweit in der Fahrrinne abgetrieben sein. «Er drehte sich um, seine Stimme klang plotzlich bitter.»Der verdammte Narr ware besser naher unter Land geblieben! Jetzt ist er da drau?en jenseits der Sandbank vollig nutzlos! Er wurde fast einen halben Tag brauchen, um in Angriffsposition gehen zu konnen!»
        Tyrell fuhr sich mit der Hand uber das Kinn.»Was sollen wir tun? Die Flut wird gleich zuruckgehen, und wir mussen aufpassen, wenn wir den Franzosen erwischen wollen. Meiner Meinung nach sollten wir abwarten und es spater noch einmal versuchen.»
        Buckle nickte langsam.»Ich bin auch der Meinung. Wenn der Plan von Kapitan Colquhoun auf halbem Weg geplatzt ist, dann kann man von uns nichts Besseres erwarten.»
        Bolitho horte nicht auf sie.»Mr. Tyrell, lassen Sie die Riemen einholen und die Geschutze laden und ausrennen. Geschutz nach Geschutz bitte, mit so wenig Larm wie moglich. «Er betrachtete Buckles zweifelndes Gesicht und fugte hinzu:»Ich kenne das Risiko. Lassen Sie also die Gro?segel aufgeien, und sagen Sie dem Bootsmann, er soll einen Warpanker bereithalten, falls wir ihn brauchen. «Er verschrankte die Hande hinter seinem Rucken.»Sie konnen mich ruhig fur verruckt halten, Mr. Buckle.
«Er horte, wie die Riemen nach innen gezogen wurden und in ihre Bettungen plumpsten, das Rumpeln der Blocke, als die erste Kanone zu den geoffneten Geschutzpforten gezogen wurde.»Vielleicht bin ich es auch. Aber irgendwo da drau?en steht eine britische Korvette wie wir. Andere sind daran schuld, da? sie ziemlich allein ist, und wenn ich nicht verruckt bin, dann wird die Fawn jedes bi?chen Hilfe brauchen konnen, das sie bekommen kann!»
        Das gro?e Hauptsegel stieg flatternd und protestierend zu seiner Rahe empor, und die Manner arbeiteten geschaftig, um es unter Kontrolle zu bringen und die Decks vom Bug bis zum Heck freizulegen.
        Ein Maat rief heiser:»Geladen und ausgerannt, Sir!«Tyrell ging nach hinten, sein Sprachrohr unter den Arm geklemmt. Bolitho sah ihn an und lachelte kurz.»Sie waren diesmal schneller!»
        Dann lehnten sie sich zusammen an die Reling, die Rucken den Rudergangern und dem aufmerksamen Buckle zugedreht, und blickten nach vorn. Der Nebel hing noch immer um das Schiff, aber bereits dunner, und Bolitho bemerkte, da? er endlich langsamer als das Schiff wurde, sich stetig durch die Wanten uber Steuerbord verzog. Auch das Sonnenlicht drang starker durch. Nicht viel, aber er sah, wie die Schiffsglocke etwas reflektierte und wie es auf einer schwarzen Zwolfpfunderkugel spielte, die ein Geschutzfuhrer von einer Hand in die andere gleiten lie?, um ihre Perfektion zu testen oder aus einem anderen Grund.
        Bolitho fragte leise:»Wie weit noch, nach Ihrer Meinung?«Tyrell hob sein verletztes Bein und zuckte zusammen.»Der Wind blast regelma?ig von Nordost. Unser Kurs ist Sud zu Ost. «Er dachte laut.»Die Messungen haben bestatigt, da? die Karte stimmt. «Er entschlo? sich.»Meiner Meinung sind wir noch ungefahr sechs Meilen von der Stelle entfernt, an der die Fawn uber die Untiefen kreuzte. «Er wandte sich um und fugte fest hinzu:»Sie werden sich bald entschlie?en mussen, Sir. Wir werden auf Grund laufen, wenn Sie noch viel langer auf diesem Kurs bleiben.»
        Das Singen schien gerade in diesem Moment heruberzudringen, um sich uber ihn lustig zu machen:»Marke drei!»
        Leutnant Heyward, der ganz still an der Achterdecksleiter stand, murmelte:»Gro?er Gott!»
        Bolitho sagte:»Wenn der Franzmann immer noch da ist, dann mu? er auch Platz genug haben, um wieder klarzukommen.»
        Tyrell blickte ihn traurig an.»Aye. Aber wenn wir so weit gekommen sind, werden wir nicht mehr in der Lage sein zu wenden. Der Froschfresser kann seine Nase in uns bohren.»
        Bolitho stellte sich die leeren Masten und Rahen von Colquhouns Fregatte vor und verkrampfte die Hande ineinander, um seine Nerven zu beruhigen und seinen aufsteigenden Arger zu dampfen. Dieser Narr Colquhoun! Er war so versessen darauf, die Lorbeeren fur sich zu ernten, da? er eine Anderung des Windes nicht berechnet hatte. Und so bedacht darauf, die Sparrow nicht am Sieg teilhaben zu lassen, da? er nun dem Feind die Tur geoffnet hatte; er konnte ungehindert fliehen, wenn er wollte. Die Fawn wurde ihn nicht zum Kampf bringen, auch wenn sie ihn erreichen konnte.»Drei weniger ein Viertel!»
        Er griff in die Wanten und versuchte, sich nicht vorzustellen, wie der Meeresboden langsam und stetig gegen den Kiel des Schiffes anstieg.
        Es hatte keinen Zweck. Er schwang sich von den Wanten weg, seine plotzliche Bewegung versetzte Fahnrich Fowler in Alarm. Er setzte das Schiff und das Leben jedes einzelnen an Bord aufs Spiel. Die Fawn hatte wahrscheinlich geankert, oder der Feind war schon langst weg. Seine Bedenken und seine privaten Zweifel wurden kaum ins Gewicht fallen, verglichen mit den Ertrunkenen, wenn er eine Havarie riskierte.
        Er sagte barsch:»Wir wenden. Ich mochte die Sandbank uberqueren und wieder zur Bacchante sto?en, sobald der Nebel aufklart. «Er sah Buckle erleichtert nicken. Tyrell betrachtete ihn verstandnisvoll.»Lassen Sie Mr. Graves meine besten Gru?e ausrichten, und die Geschutze sollen. «Er fuhr herum, als mehrere Stimmen durcheinanderschrien.
        Tyrell sagte kurz und bundig:»Geschutzfeuer, bei Gott!»
        Bolitho erstarrte und lauschte angestrengt dem abwechselnden Knallen und Krachen der schwereren Geschutze.

«Belegen Sie den letzten Befehl, Mr. Tyrell!«Er beobachtete, wie ein Sonnenstrahl den Gro?mast vergoldete.»Wir werden nicht mehr lange blind sein!»
        Es vergingen einige Minuten, jeder Mann an Bord horchte gespannt auf das entfernte Geschutzfeuer.
        Bolitho merkte, da? er uber den Kluverbaum hinaussehen konnte, und als er querab blickte, sah er eine gekrummte Brandungslinie, die die nachsten Riffe bezeichnete. Vielleicht war es der Nebel oder Echos vom noch unsichtbaren Land, jedenfalls klang das Geschutzfeuer irgendwie falsch. Er konnte das scharfere Knallen der Neunpfunder der Fawn von den schweren Geschutzen des Feindes unterscheiden, aber da waren noch andere Explosionen aus verschiedenen Richtungen, die sich uberhaupt nicht mit den Umstanden vereinbaren lie?en.
        Die Sonne brach durch und schien auf die feuchten Planken; Dunstschleier stiegen von den tropfnassen Wanten und dem Tauwerk auf, dann wurde der Nebel wie ein phantastischer Vorhang weggezogen, und man konnte im Morgenlicht jedes Detail klar erkennen: die Spitze der Insel, dunkelblau gegen den freien Himmel, und dazwischen das Muster der Brandung und Stromung, die die Nahe der Sandbank anzeigten.
        Und genau vor der Sparrow lag Maulbys Fawn, ihr Rumpf schien mit Bolithos Kluverbaum verwachsen zu sein.
        Etwas weiter weg, Masten und Segel immer noch im Nebel verborgen, lag der Franzose, halb vom Schatten verschluckt, die Umrisse mit der Landschaft dahinter verwischt. Er feuerte schnell, die Batterie blitzte mit orangen Zungen auf, uber dem Geschutzrauch konnte man deutlich seine Flagge sehen.
        Erst jetzt bemerkte Bolitho, da? die Fawn immer noch verankert war. Voll Ubelkeit betrachtete er die Wasserfontanen, die um sie herum aufspritzten, den gelegentlich gro?eren Springbrunnen, wenn eine Kugel langsseits einschlug.
        Buckle rief heiser:»Sie haben den Anker gekappt, Sir!»
        Maulbys Manner legten bereits die Riemen aus, um von der morderischen Sandbank freizukommen, wahrend ihre Geschutze weiterhin lebhaft auf den Feind feuerten. Bolitho umkrampfte die Reling, als der Fockmast der Fawn zuerst schwankte und dann in einem Wirbel von Gischt und Rauch fiel. Er horte Tyrells Stimme wie im Traum, sah ihn erregt auf etwas zeigen, mehr Blitze zuckten, nicht von dem Franzmann, sondern von Land her. Die Batterie mu?te ziemlich weit unten stehen, wahrscheinlich auf einem kleinen Strand.
        Was fur eine perfekte Falle! Maulby mu?te vom Nebel uberrascht worden sein, und nachdem er sich vergewissert hatte, da? der Feind offensichtlich noch in der Nahe der Kuste war, war er vor Anker gegangen, um Colquhouns Unterstutzung zu erwarten. So war es nicht erstaunlich, da? der Leutnant der Bacchante so viel Aktivitat gemeldet hatte. Der franzosische Kapitan hatte sich die Zeit genommen, eine Batterie an Land zu bringen, so da? jeder Angreifer in einem verheerenden Kreuzfeuer gefangen werden mu?te, aus dem es kaum ein Entkommen gab.
        Die Riemen waren nun ausgelegt, hoben und senkten sich wie Flugel, drehten die kleine Korvette herum, bis sie vom Feind weg und zur offenen See strebte.
        Ein Durcheinander von Schreien und Stohnen ertonte vom Geschutzdeck, als die Backbordreihe der Riemen in wildem Gewirr wegflog; die zersplitterten Ruderblatter wurden in die Luft gewirbelt, ehe sie um das Schiff herum in Fetzen aufschlugen.
        Bolitho nahm ein Fernglas und richtete es auf das Achterdeck der Fawn. Er sah durcheinanderrennende Figuren, Gesichter, die durch die Vergro?erung und ohne da? man sie sprechen horen konnte, noch schrecklicher wirkten. Offene Munder, gestikulierende Arme, als die Manner liefen, um die beschadigte Takelage wegzuhacken, damit wenigstens einige Geschutze weiterfeuern konnten. Eine Spiere fiel in sein begrenztes Gesichtsfeld, so da? er sich unwillkurlich krummte, als ob er erwarte, den Schock des Aufschlags zu spuren. Ein Seemann rannte und stolperte zu einem Niedergang, sein Gesicht war offensichtlich weggeschossen, furchtbar anzusehen, wie er sturzte und endlich uber Bord fiel.
        Jemand hatte einen klaren Kopf behalten, denn hoch uber dem Deck sah Bolitho das Gro?marssegel frei im Wind flattern; langsam begann die Fawn Fahrt zu machen.
        Er merkte, da? Buckle ihn am Arm ruttelte, und drehte sich um, als dieser verzweifelt schrie:»Wir mussen wenden, Sir!«Er zeigte gestikulierend auf das glitzernde Wasser und die Masse brauner Pflanzen, die dicht unter der Oberflache vorbeiglitt.»Wir laufen jeden Moment auf!»
        Bolitho blickte an ihm voruber.»Klar zum Ankern, Mr. Tyrell.»
        Er erkannte seine eigene Stimme nicht wieder. Sie klang wie Metall auf Metall. Lassen Sie die Kutter fieren, und bereiten Sie sofort das Ausbringen eines Warpankers vor. «Er wartete, bis Tyrell zur Reling gerannt war und die ersten verwirrten Manner sich in den Rahen verteilt hatten.»Wir bleiben hier.»
        Die Sparrow bewegte sich langsam uber die Untiefen, und als sie uber eine Sandbank fuhr, konnte man ihren eigenen Schatten sehen, ehe das Wasser wieder tiefer wurde.
        Bolitho gab weiter seine Befehle, jeden einzeln und unabhangig vom nachsten, wahrend er sich zwang, sich zu konzentrieren, seine Ohren vor dem Geschutzfeuer zu verschlie?en und seine Augen von der langsamen und methodischen Zerstorung der Fawn abzuwenden. Die Kutter wurden zu Wasser gelassen, und Glass, der Bootsmann, nahm einen von ihnen, um einen kleinen Warpanker auszulegen. Mit aufgegeiten Segeln und an Bug und Heck lose verankert, kam die Sparrow endlich zur Ruhe.
        Erst dann hob Bolitho wieder sein Fernrohr und stellte es auf die Fawn ein. Schwer angeschlagen, alle Masten au?er dem Besan weggeschossen, versuchte sie immer noch, der Bombardierung zu entkommen. Es war hoffnungslos. Obwohl ihr Ruder noch intakt zu sein schien und die Kreuzbrahmstenge und das Besansegel eine gewisse Steuerung erlaubten, war sie doch durch die Masse der herabhangenden Spieren und Leinwand stark behindert, und es waren wohl nur noch wenige Manner ubrig, die das alles wegschneiden konnten. Sie wurde wieder und wieder getroffen, Holz und Planken schwammen um sie herum wie das Blut eines verwundeten Tieres.
        Es gab einen heftigen Ruck, und als auch der Besanmast herunterkam, wu?te Bolitho, da? sie aufgelaufen war. Sie schlug quer, ihr Deck krangte zu ihm heruber, als die ersten Felsspitzen sich in ihren Kiel bohrten. Es war voruber.
        Er setzte das Fernglas ab und gab es jemandem, der in der Nahe stand. Er sah keine einzelnen Gesichter, horte keine bekannten Stimmen. Seine eigene war so fremd und unnaturlich wie vorher.

«Der Franzose liegt backbords voraus. «Wie ruhig es nun war. Der Feind hatte das Feuer eingestellt, denn seit die Fawn gestrandet war, lag sie wenigstens au?erhalb der Reichweite dieser Geschutze. Rauch zog uber das Festland, und Bolitho stellte sich vor, wie die Artilleristen jetzt ihre Geschutze reinigten und die unerwartete Ankunft einer fremden Korvette beobachteten. Noch ein Opfer.»Die Reichweite ist weniger als eine Meile. Er liegt fur eine perfekte Tauschung gut verankert. «Er wu?te, da? Tyrell und die anderen ihn entgeistert beobachteten.»Er kann uns nicht treffen. Wir andererseits… «Er drehte sich um, obwohl er es eigentlich nicht gewollt hatte, und sah, wie Bugspriet und Back der-Fawn abbrachen und in die quirlende Stromung fielen. Er fuhr tonlos fort:»Wir konnen ihn treffen, hart treffen!»
        Graves stand auf der Leiter, sein Gesicht war bla? von dem Schock oder dem Anblick des so grausam zerstorten Schiffes.
        Bolitho blickte ihn an.»Lassen Sie das BackbordBuggeschutz fertigmachen. Wir werden das Feuer eroffnen, wenn Sie fertig sind. Sagen Sie dem Bootsmann, was Sie brauchen. Wenn Sie die Ankerkabel benutzen, konnen Sie nach Wunsch hin- und herschwojen. «Er wandte sich an Tyrell.»Lassen Sie sofort das Ankerspill besetzen.

        Graves war bereits das halbe Deck entlanggegangen, als ihn Bolithos Stimme auf der Stelle erstarren lie?.

«Holen Sie Mr. Yule! Ich mochte, da? er eine kleine Esse aufbaut, in der er Munition fur Ihr Geschutz erhitzen kann. Passen Sie gut auf, da? alles richtig klappt. «Seine Augen suchten das feindliche Schiff.»Wir haben jetzt Zeit. Viel Zeit.»
        Dann ging er zu den Wanten hinuber und wartete, bis Tyrell nachkam.
        Tyrell sagte ruhig:»Sie hatten recht, Sir. Die waren hinter uns her. Allmachtiger Gott, wir haben gerade unserer Zerstorung zugesehen!»
        Bolitho blickte ihn ernst an.»Aye, Jethro. «Er erinnerte sich mit plotzlicher Klarheit an Maulbys Worte bei ihrem letzten Zusammentreffen - uber Colquhoun: Dieser Mann wird noch mein Tod sein.»
        Er drehte sich wieder um, und seine Stimme war hart:»Was, zum Teufel, soll diese Verzogerung?«Als Antwort kam ein lauter Krach von vorn, und er sah den Schu? ungefahr eine halbe Kabellange vom Feind entfernt einschlagen.
        Unten wurde ein Befehl gegeben, und die Manner am Ankerspill strengten sich an, zogen das Kabel so, da? die Sparrow etwas herumschwang und Graves' Mannschaft eine bessere Zielrichtung hatte.
        Die Kugel fuhr aus dem Rohr, diesmal traf sie in einer Linie mit dem Heck des Feindes auf.
        Bolitho mu?te seine Hande ineinander verkrampfen, um ruhig zu bleiben. Die nachste Kugel wurde treffen. Und von da an… Er gab Stockdale ein Zeichen.

«Klar mit der Gig. Der zweite Kutter soll auf die Fawn zuhalten. Vielleicht konnen wir noch einige ihrer Leute aufnehmen. «Unten stand der Schiffsarzt Dalkeith an der Leiter, er hatte schon seine lange, fleckige Schurze angezogen.
        Wieder krachte das Buggeschutz, und Bolitho sah den braunen Rauch aufsteigen, der den wirklichen Einschlag der Kugel verbarg. Eine Stimme schrie:»Getroffen! Glatt auf dem Achterdeck!»
        Er sagte halb zu sich selbst:»Diesmal sind es keine Spielzeugkanonen, Herr Franzose. Diesmal nicht!»

«Gig ist klar!«Sogar Stockdales Stimme klang schockiert.

«Sie haben das Kommando, bis ich wiederkomme, Mr. Tyrell. «Er wartete, bis der sein verwundetes Bein zur Schanzkleidpforte hinuntergeschleppt hatte.»Wir werden mit der nachsten Flut auslaufen.»
        Er horte dumpfes Hammern, als Yule und seine Maaten eine einfache Esse konstruierten. Es war gefahrlich, sogar unter normalen Umstanden tollkuhn, Munition an Bord zu erhitzen: ein zundertrockener Rumpf, Tauwerk und Leinwand, Teer und Schie?pulver. Aber das war keine normale Situation, die Sparrow lag in geschutzten Gewassern vor Anker. Ein schwimmender Geschutzstand. Es war nur eine Frage der Genauigkeit und Geduld.
        Tyrell fragte verlegen:»Wie lange sollen wir weiterschie?en?»
        Bolitho schwang sich hinaus uber die sanft schlagenden Wellen und die grunen Reflexe.

«Bis der Feind vernichtet ist. «Er schaute weg.»Vollstandig.»

«Aye, Sir.»
        Tyrell beobachtete, wie Bolitho in die Gig kletterte, das rasche Aufblitzen der Riemen, als Stockdale sie auf das Wrack zulenkte, das einmal die Fawn gewesen war.
        Dann ging er langsam zur Achterdeckreling und beschattete seine Augen, um das feindliche Schiff zu beobachten. Es gab wenig Anzeichen fur Schaden, aber die Kugeln trafen jetzt regelma?ig. Bald wurden die gluhenden Geschosse aus Yules Esse kommen, und dann… Er schauderte trotz des starker werdenden Sonnenlichts. Wie jeder Seemann furchtete er Feuer mehr als alles andere.
        Heyward kam zu ihm heruber und fragte leise:»Hat er es ernst gemeint?»
        Tyrell dachte an Bolithos Augen, die Verzweiflung und Verwundung, als die Fawn in die Falle gegangen war.»Aye, das hat er.»
        Er zuckte zusammen, als ein Geschutz des Franzosen feuerte, sah, wie die Kugel ungefahr eine Kabellange zu kurz eine kleine Wasserfontane aufwarf. Die Seeleute, die nicht am Ankerspill oder in den Booten zu tun hatten, beobachteten von den Niedergangen und Wanten aus alles; einige schlossen sogar Wetten uber den nachsten Schu? ab. Als jede Kugel des Franzosen vorbeiging, schrien sie hurra; sie waren ja nur Zuschauer und wu?ten nicht, da? nur auf Grund einer Verwicklung des Schicksals die Leute der Fawn und nicht sie im Feuer dieser Kanonen gestorben waren.
        Tyrell fuhr fort:»Das hat uns Colquhoun eingebrockt. Wenn unser Kapitan seine ihm zustehende Position beim Angriff bekommen hatte, hatten wir es geschafft. «Er pre?te seine Handflachen aneinander.»Arroganter Bastard! Und jetzt sitzt er dort drau?en wie eine Art Gott, und wir durfen den ganzen Mist fur ihn machen!»
        Wieder krachte ein Schu? uber das Wasser, und er sah, da? eine Spiere vom Gro?mast des Feindes fiel: sehr langsam, oder so sah es wenigstens aus, wie ein Blatt vom Baum.
        Fahnrich Fowler rief:»Unsere Boote sind am Wrack, Sir!«Er war bla?, doch als er sein Fernrohr hochnahm, war seine Hand ruhig.
        Tyrell blickte ihn kalt an. Und da ist noch so einer: wie Ransome, wie Colquhoun. Ohne Menschlichkeit oder Gefuhle.
        Er hatte die Fawn als Wrack bezeichnet. Und doch war sie noch vor wenigen Momenten ein lebendes Wesen gewesen. Der Lebensinhalt fur ihre Leute und die, die nach ihnen gekommen waren.
        Er sagte heftig:»Entern Sie auf, Mr. Fowler, und nehmen Sie Ihr Fernglas mit! Lassen Sie die Bacchante dort hinter dem Riff nicht aus den Augen, und achten Sie auf ihre Signale.»
        Wenn sie welche gab.
        Als das Geschutz wieder krachte, zwang er sich, zur gegenuberliegenden Seite zu gehen, und uberlie? Heyward seinen Gedanken.
        Bolitho horte den regelma?igen Geschutzdonner, als die Gig an der Fawn festmachte. Er kletterte mit einigen seiner Manner an Bord.

«Zuerst den Kutter!«Er machte Bethune ein Zeichen, der wie in Trance auf die blutigen Uberreste starrte.»Voll bemannen, und dann die Gig.»
        Stockdale folgte ihm auf das schrage Deck, uber zerschmetterte Boote und wirre Takelage. Als sie an einem Niedergang vorbeikamen, sah Bolitho einen grunen Schimmer, schaute nach unten und sah, wie die See gurgelnd durch ein gro?es Leck im Rumpf scho? und das Sonnenlicht mit zwei treibenden Korpern spielte. Gro?e Blutlachen, umgeworfene Geschutze, um die Uberlebende benommen herumliefen und dann zu den wartenden Booten gingen. Es schienen sehr wenige zu sein.
        Bolitho wischte sich das Gesicht mit dem Hemdsarmel ab. »Uns«, hatte Tyrell gesagt. Es war nicht schwer zu verstehen.
        Er verhielt an der Achterdecksleiter und schaute auf Maulby hinunter. Er war von einer herunterfallenden Spiere zerschmettert worden, seine erstarrten Zuge zeigten noch den Schmerz dieses Augenblicks. Auf seiner Wange war ein kleiner blutiger Ri?, und Fliegen krochen uber sein Gesicht.
        Er sagte heiser:»Nimm ihn mit, Stockdale. «Stockdale buckte sich und murmelte dann:»Geht leider nicht, er ist festgeklemmt.»
        Bolitho kniete sich hin und bedeckte Maulbys Gesicht mit einem Fetzen Leinwand. Ruhe sanft, alter Freund. Bleibe bei deinem Schiff. Du bist heute in bester Gesellschaft.
        Ein kurzer Ruck ging durch das Schiff. Es begann auseinanderzubrechen. Die See, die Flut und die nicht festgezurrten Geschutze wurden sehr bald beenden, was der Feind begonnen hatte.
        Bethunes Stimme kam von langsseits, wo der Kutter in einer gefahrlichen Dunung auf und nieder stampfte.»Alle Mann sind von Bord, Sir.»

«Danke.»
        Bolitho horte, wie die See durch das untere Deck spulte, die Offiziersmesse uberschwemmte und in die Achterkajute vordrang. Eine Kajute wie seine. Es blieb keine Zeit mehr, etwas zu retten. Er buckte sich, machte Maulbys Degen los und gab ihn Stockdale.»Jemand in England freut sich vielleicht daruber.»
        Lange blickte er in die Runde. Jede Einzelheit einpragen. Nichts vergessen.
        Dann folgte er Stockdale in die Gig. Er schaute nicht zuruck und horte auch nicht die letzten Gerausche der untergehenden Fawn. Er dachte an Maulby, seine schleppende Stimme, fuhlte seinen letzten Handedruck.
        Tyrell erwartete ihn.»Mr. Yule hat die Esse fertig.»
        Bolitho blickte ihn mit leeren Augen an.»Lassen Sie sie loschen, bitte.»

«Sir?»

«Ich will Manner nicht dafur verbrennen, da? sie ihre Pflicht getan haben. Der Franzose ist jetzt zu schwer beschadigt, um wegzukommen. Wir senden ein Boot unter wei?er Flagge hinuber. Ich denke nicht, da? er das sinnlose Toten wird fortsetzen wollen.»
        Tyrell atmete langsam aus.»Aye, Sir. Ich werde es veranlassen.»
        Als er den Befehl zum Loschen des Feuers gegeben hatte und auf Deck kam, war Bolitho verschwunden.
        Er sah Stockdale den Degen mit einem Lumpen abwischen, sein zerschundenes Gesicht war ganzlich von dieser Aufgabe in Anspruch genommen. Er dachte an die beiden Schiffsmodelle, die er von Tilby geerbt hatte. Genau wie Maulbys Degen. War das alles, was von einem Mann ubrigblieb?
        Er grubelte immer noch daruber nach, als die Toppmasten der Bacchante in Sicht kamen und sie ihr erstes Signal hi?te.
        Es wurde Abend, ehe sich die Sparrow der Fregatte nahern konnte. Sobald sie von der Sandbank freigekommen war, hatte der Wind sich gedreht und betrachtlich an Starke zugenommen, so da? man alle Anstrengungen machen mu?te, um nicht in die Nahe der gefahrlichen Grundseen zu kommen. Wieder in offenen Gewassern, ungefahr funf Meilen querab von der immer dunkler werdenden Landspitze der Grand Bahamas, reffte die Sparrow Segel und drehte ungefahr eine Kabellange von Colquhouns Schiff entfernt bei.
        Als er in der wie verruckt stampfenden Gig sa?, beobachtete Bolitho die Fregatte und deren letztes Signal» Bitten Kapitan an Bord«, das soeben eingeholt wurde. Es war schon einige Zeit aufgezogen gewesen, aber wie alle vorherigen hatte er es ignoriert. Er hatte es noch nicht einmal bestatigt.
        Gischt spritzte von den Riemen und flog uber sein Gesicht. Das half, ihn zu beruhigen, aber nur etwas. Seine Sorge pa?te zu seinem Arger, seine Selbstbeherrschung hielt sich die Waage mit dem Bedurfnis, Colquhoun gegenuberzutreten.
        Die Gig drehte sich und hob sich auf einen Wellenkamm, der Bugmann wurde fast herausgeschleudert, als er am Fallreep der Bacchante einhakte und festmachte.
        Bolitho kletterte die Jakobsleiter hinauf, diesmal ignorierte er die See, die um den Rumpf wogte, als wolle sie ihn wegschwemmen.
        Colquhoun stand nicht an der Schanzkleidpforte, und der Erste Leutnant sagte schnell:»Bei Gott, Sir, es tut mir leid, was geschehen ist.»
        Bolitho blickte ihn ernst an.»Danke. Es war nicht Ihr Fehler. «Dann ging er ohne einen weiteren Blick fur die schwankende Ehrenformation auf die Kajute zu.
        Colquhoun stand an den Fenstern, als hatte er sich seit ihrer letzten Begegnung nicht bewegt. Im gelben Licht der Laterne sah sein Gesicht holzern aus, und als er sprach, war sein Ton der eines viel alteren Mannes.

«Sie haben lange gebraucht! Wie konnen Sie es wagen, meine Signale zu ignorieren!»
        Bolitho blickte ihn kalt an. Der Arger in Colquhouns Stimme war genauso falsch wie seine Haltung, und er sah, da? die Hand auf der wei?en Kniehose stark zitterte.

«Ihre fruheren Signale galten der Fawn, Sir. «Er sah ihn auffahren und sprach ruhig weiter:»Sie hatte sich aber schon in Einzelteile aufgelost, und ihre Mannschaft war zum gro?ten Teil in der Schlacht getotet worden oder ertrunken, als sie auf Grund lief.»
        Colquhoun nickte krampfhaft, er zog die Brauen zusammen, als ob er seine Gefuhle unter Kontrolle bekommen wollte.»Das gehort nicht zur Sache. Sie haben meine Befehle mi?achtet und die Sandbank ohne Erlaubnis uberquert. Sie.»
        Bolitho sagte:»Ich habe getan, was ich fur meine Pflicht hielt. «Es hatte keinen Zweck. Er fuhlte, wie er die Beherrschung verlor.»Wenn nicht Ihre Gier nach Ruhm gewesen ware, hatten wir den Franzosen gemeinsam besiegen konnen, und zwar ohne Verluste. Wir hatten alle Vorteile auf unserer Seite, denn der Feind kannte unsere volle Starke nicht. Er wollte nur eine Prise: die Sparrow.«Bolitho drehte sich um und versuchte, seinen Kummer zu verbergen.»Nur Ihretwegen wurden Maulby und seine Manner getotet, ging sein Schiff verloren. Wegen Ihrer sinnlosen Sturheit, Ihrer Unfahigkeit, uber Prisengeld hinauszudenken, konnten Sie ihnen nicht helfen, als es notig gewesen ware. «Er wandte sich wieder um, seine Stimme war hart.»Nun, der Franzose ist besiegt! Was wollen Sie noch? Vielleicht die verdammte Ritterwurde?»
        Uberraschenderweise war Colquhouns Stimme sehr leise, und als er sprach, richtete er die Augen auf einen Punkt hinter Bolitho.»Ich werde Ihren Ausbruch ignorieren.
«Er hielt inne.»Ach, ich erinnere mich, Sie haben ja den jungen Fowler an Bord. Es ware nicht gut gewesen, ihn in der Schlacht zu verlieren. «Jetzt sprach er schneller, die unzusammenhangenden Satze kamen gleichzeitig mit seinen Gedanken uber seine Lippen.»Der Admiral wird einen vollstandigen Bericht anfordern. Ich werde…»
        Bolitho betrachtete ihn angeekelt.»Ich habe die schriftlichen Befehle, die Sie mir ursprunglich gegeben haben. Die Befehle, in denen Sie mich so weit vom Angriffspunkt entfernten wie nur moglich. «Trotz Colquhouns Erklarungen und Entschuldigungen zwang er sich fortzufahren.»Ware ich diesen Befehlen gefolgt, auch wenn der Wind konstant geblieben ware, ware die Fawn trotzdem verloren gewesen. Was hatten Sie dann getan? Vielleicht die kleine Lucifer geschickt?»
        Colquhoun ging zu seinem Tisch und zog eine Karaffe heran. Etwas von dem Brandy lief uber seine Hand, aber er schien es nicht zu bemerken.

«Ich habe vor einiger Zeit Befehle erhalten. Sobald wir den Franzmann aufgespurt oder die Suche aufgegeben hatten, sollten wir nach New York zuruckfahren. Die Flotte soll reduziert werden. «Er trank ein halbes Glas Brandy und mu?te Anstrengungen machen, um wieder zu Atem zu kommen.»Die Bacchante wird wieder Pflichten in der Flotte ubernehmen.»
        Bolitho starrte ihn an. Jedes Mitgefuhl, das er vielleicht trotz seines Argers gehegt hatte, war durch dieses Gestandnis wie weggefegt. Leise fragte er:»Sie haben die ganze Zeit gewu?t, da? Sie nach New York segeln werden?«Er lauschte seiner eigenen Stimme und wunderte sich, da? sie so ruhig klingen konnte.»Sie dachten, das ist Ihre letzte Chance, sich zu beweisen. Eine gro?e Siegesschau, Sie laufen in den Hafen ein, eine fette Prise mit Ihren Farben im Schlepp! Vor lauter Gier konnten Sie aber die Gefahr nicht sehen, und die Fawn hat teuer fur Ihre Unwissenheit bezahlt!»
        Colquhoun hob den Blick und starrte ihn verzweifelt an.»In New York konnen die Dinge anders aussehen. Erinnern Sie sich, ich war derjenige, der Ihnen geholfen hat…«Er brach ab und trank noch einen Brandy.»Ich brauchte diese Prise! Ich hatte sie verdient!»
        Bolitho ging zur Tur, seine Augen ruhten auf den zuckenden Schultern Colquhouns. Ich habe den ubriggebliebenen Leutnant von der Fawn auf den Franzosen geschickt, um das Kommando zu ubernehmen. Die Kapitulation wurde von Leutnant Heyward entgegengenommen. «Er zwang sich, die Einzelheiten aufzuzahlen.»Das Schiff des Franzosen wird keinen gro?en Wert mehr haben. Ich schlage vor, Sie schicken Ihre Seesoldaten zur Aufsicht und warten auf die Militars, die wahrscheinlich die Gefangenen wegbringen werden.»
        Colquhoun stutzte sich gegen ein Fensterkreuz, seine Stimme wurde von den Gerauschen der See gedampft.»Das bedeutet Kriegsgericht. «Seine Schultern strafften sich.»Sie werden auch als Zeuge gebeten werden.»
        Bolitho nickte.»Konnte sein.»
        Colquhoun zeigte auf seine Kajute, ohne sich umzudrehen.»Alles vorbei. Nur weil die Umstande einen Moment ungunstig waren. Schicksal.»

«Maulby dachte das wahrscheinlich auch. «Bolitho hatte bereits die Hand auf die Klinke gelegt. Colquhoun stie? sich vom Fenster ab und kam durch die Kajute geschlurft.»Sie haben also schlie?lich doch gewonnen, wie?«Seine Stimme brach.»Sie und Ihre verdammte Sparrow!»
        Bolitho erkannte die Qual des Mannes und antwortete:»Als ich vor drei Jahren das Kommando uber die Sparrow erhielt, dachte ich, das sei alles, was ein Mann sich wunschen konnte. Damals hatte ich mich wohl Ihren Entscheidungen gebeugt, unabhangig davon, was sie nach sich gezogen hatten. Jetzt wei? ich es besser, vielleicht sogar dank Ihnen. Ein Kommando ist eine Sache. Aber die Verantwortung, die Pflicht gegenuber denjenigen, die von einem abhangig sind, ist die gro?ere Burde. Wir mussen uns die Schuld an Maulbys Tod teilen. «Er sah, wie Colquhoun ihn unglaubig anstarrte, dann fuhr er fort:»Ihre Gier machte Sie blind fur alles au?er spaterer Beforderung. Mein Verbrechen war Stolz. Der Stolz, der den Feind dazu brachte, mir einen Hinterhalt zu legen, und zwar einen, in den die Manner der Fawn gingen. «Er offnete die Tur.»Ich hoffe, ich werde es nie vergessen. Und Sie auch nicht.»
        Er ging rasch zum Achterdeck und horte, wie die Tur hinter ihm zugeschlagen wurde, das Klicken der Muskete, als der Posten eine entspanntere Haltung annahm.
        Am Schanzkleid erwartete ihn der Erste Leutnant.
        Uber der bewegten See, deren Wellentaler schon von Schatten durchzogen waren, sah er die Sparrow unruhig vor den ersten blassen Sternen schwojen. Eine Laterne leuchtete an ihrer Heckreling, und er glaubte, das Aufspritzen der Riemen an der Stelle zu sehen, wo Stockdale die Gig bereithielt. Er hatte auch vergeblich warten konnen. Colquhoun hatte sich die letzte Geste leisten konnen, ihn fur seinen Ausbruch in Arrest zu legen. Da? er das nicht getan hatte, war ein Beweis seiner Schuld. Mehr noch: ein Beweis, da? Colquhoun sehr wohl wu?te, was er getan hatte.
        Bolitho sagte:»Wir sollen zur Admiralitat in New York sto?en.»
        Der Leutnant beobachtete, wie die Gig an die Bordwand schlug, und antwortete traurig:»Es wird mir nicht leid tun, diesen Ort zu verlassen.»
        Bolitho seufzte.»Aye. Eine Niederlage ist eine bose Sache.
        Aber ein Sieg kann oft gro?eres Leid verursachen.»
        Der Leutnant beobachtete ihn, wie er in die Gig kletterte und ablegte.
        So jung und schon so viel Verantwortung. Aber nicht fur mich. Schon als der Gedanke ihm durch den Kopf fuhr, wu?te er, da? es ein Irrtum war; als er uber das dunkler werdende Deck blickte, fragte er sich, ob ihn Colquhouns Fehler wohl naher an seine Beforderung gebracht hatte.



        Ein bitteres Ende

        Fast unmittelbar, nachdem sie in Sandy Hook vor Anker gegangen waren, wurde der Sparrow und ihrer Mannschaft eine kurze und wohlverdiente Pause zum Uberholen des Schiffes gegonnt. Unter dem wachsamen Auge eines alteren Dockoffiziers lie? man sie trockenfallen, der dichte Bewuchs wurde abgekratzt und entfernt. Bolitho konnte Lock an Land senden, wo dieser durch sorgfaltig verteilte Trinkgelder neuen Proviant und Ersatz fur einige faulig gewordene Fasser mit Fleisch ergattern konnte.
        Trotz dieser regen Tatigkeit, die von der Morgendammerung bis zum Dunkelwerden dauerte, bekam er gelegentlich Besuch von einem wi?begierigen Leutnant aus dem Stab des Flottenchefs. Er schrieb Stellungnahmen von Bolitho und Tyrell auf und verglich sie sowohl mit den Eintragungen im Logbuch der Fawn als auch mit den Befehlen, die zu dem Angriff fuhrten.
        Buckle mu?te jeden Teil der benutzten Karten ausbreiten und erklaren und wurde bei dem fachmannischen Verhor des Leutnants recht verwirrt. Als aber ein Tag auf den anderen folgte und die Sparrow wieder ihr ursprungliches schmuckes Aussehen zuruckgewann, wurden die bitteren Erinnerungen an den Verlust der Fawn und an seinen Wutausbruch in der Kajute Colquhouns schwacher, wenn nicht sogar aus Bolithos Gedanken verdrangt.
        Er war standig mit den Angelegenheiten des Schiffes beschaftigt, da er nie wu?te, wann seine nachsten Befehle eintreffen wurden, und er verbrachte jede freie Minute damit, den Fortgang des Krieges auf dem Festland zu studieren. Als er die Vorladung vors Kriegsgericht erhielt, war es so etwas wie ein Schock fur ihn.
        Drei Wochen waren vergangen, seitdem er Colquhoun in der Kajute der Bacchante gegenubergestanden hatte, und fast jeder Tag war ausgefullt gewesen.
        Nur bestimmte Einzelheiten standen ihm noch mit aller Klarheit vor Augen: das Bild der Gewalt und Verzweiflung auf dem zerschossenen Deck der Fawn. Maulbys Gesicht, die Fliegen, die uber seine schmerzverzerrten Zuge krochen. Der sichtliche Stolz des jungen Heyward, als er die Aufgabe bekam, die Kapitulation des Feindes entgegenzunehmen. Der einzige uberlebende Fawn-Offizier, der das Kommando uber den Feind ubernommen hatte, bis die Marinesoldaten kamen. Maulbys Leutnant sah aus wie ein Mann, der aus dem Schatten des Todes entkommen war. Seine Bewegungen waren schwerfallig, sein Gesicht gezeichnet von den Anblicken und Gerauschen, die er hatte ertragen mussen.
        Am Morgen der Gerichtsverhandlung stand Bolitho mit Tyrell und Buckle auf dem Achterdeck der Sparrow. Er war sich der vielen Augen bewu?t, die ihn beobachteten, an Bord und auf den in der Nahe ankernden Schiffen. Tyrell trat unruhig von einem Bein aufs andere.»Ich mag nur als Zeuge vernommen werden, aber ich fuhle mich wei? Gott mitschuldig!«murmelte er.
        Bolitho beobachtete die Gig, die auf die Schanzkleidpforte zuhielt, und bemerkte, da? Stockdale und seine Ruderganger ihre besten Kleider angelegt hatten. Wahrscheinlich waren auch sie sich des Augenblicks bewu?t.
        Und sie hatten Grund dazu, dachte er grimmig. Zwar war Colquhoun angeklagt, aber es war auch bekannt, da? ein Ertrinkender oft noch andere mit sich in die Tiefe zog.
        Sein Blick schweifte hinuber zu dem Schiff, das ungefahr drei Kabellangen entfernt vor Anker lag: die Parthian, auf der er Befehl erhalten hatte, die Soldaten und die Goldbarren General Blundells am Delaware zu retten. Wie lange das schon her zu sein schien. Eine Ewigkeit.
        Die Gig wurde festgemacht, und Tyrell sagte abrupt:»Der Bastard verdient, gehangt zu werden!»
        Bolitho folgte den anderen zur Schanzkleidpforte und versuchte wieder einmal, sich uber seine wahren Gefuhle klar zu werden. Es war schwierig, Colquhoun weiterhin zu hassen. Seine Schwache war vielleicht allzu menschlich gewesen, was es nach dem ersten Arger nicht leichter machte, ihn zu verdammen.
        Als es acht Uhr war und die Glocken von jedem ankernden Kriegsschiff erklangen, krachte ein einzelner Kanonenschu? von der Parthian, gleichzeitig wurde die Kriegsgerichtsflagge an ihrer Gaffel gehi?t. Es war Zeit.
        Graves stand mit ausdruckslosem Gesicht bei den anderen, als sie in die Gig kletterten. Er war nicht betroffen, und Bolitho fragte sich, ob er vielleicht beim Anblick der Kriegsgerichtsflagge an Chancen fur seine Beforderung dachte.
        Sobald er die vergoldete Schanzkleidpforte der Parthian durchschritten hatte und an der Wache und der versammelten Menschenmenge vorbeigegangen war, spurte Bolitho ein Gefuhl des Ekels in sich aufsteigen. Das Achterdeck des Zweideckers war mit Besuchern vollgestopft. Hohere Offiziere, einige von ihnen Militars, verschiedene wohlhabend aussehende Zivilisten und ein einzelner Maler erweckten den Eindruck eines sorglosen Ausfluges und nicht den eines Gerichts. Der Maler, ein bartiger, geschaftiger kleiner Mann, hielt Skizzen aus jedem Blickwinkel fest, betonte jedes Detail der Uniform und des Ranges, gonnte sich kaum eine Pause.
        Er sah Bolitho und drangte sich durch die schwatzende Menge, den Skizzenblock schon gezuckt.

«Kapitan Bolitho?«Der Bleistift verhielt und senkte sich dann.»Freut mich, Sie endlich zu sehen. Ich habe so viel von Ihren Heldentaten gehort. «Er hielt ein und lachelte scheu.»Ich wunschte, ich hatte an Bord Ihres Schiffes sein konnen, um Zeichnungen zu machen. Die Leute zu Hause mussen daruber unterrichtet werden.»
        Tyrell murmelte:»Um Gottes willen!»
        Ein Polizeioffizier offnete die Tur, und die Besucher begannen, sich nach achtern in die gro?e Kajute zu begeben. Die Zeugen wurden auf dem Achterdeck zuruckgelassen, sie fuhlten sich isoliert und nicht ganz wohl in ihren besten Uniformen.
        Bolitho sagte leise:»Vielleicht ein andermal.»
        Er sah, wie ein Hauptmann der Seesoldaten mit gezogenem Sabel auf die Achterkabine zuging. Schon der Anblick verursachte ihm Ubelkeit. Wie die Menschenmengen in Tyburn oder die hohnlachenden Dummkopfe, die stundenlang herumstanden, um zu sehen, wie so ein armer Teufel am Dorfgalgen sein Leben lie?.
        Das Lacheln des Malers erstarb.»Verstehe. Ich dachte nur…»
        Bolitho erwiderte:»Ich wei?, was Sie dachten. Da? es mir Vergnugen machen wurde, zu sehen, wie ein Mann degradiert wird. «Er verbarg seine Verachtung nicht.

«Das auch. «Die Augen des Malers blitzten in der Sonne, als er rasch eine Anderung an seiner Skizze vornahm.»Ich dachte mir auch, da? Sie durch das Schicksal dieses Mannes bessere Chancen fur Ihre eigene Zukunft sehen. «Er zuckte die Schultern, als Bolitho ihm argerlich den Rucken kehrte.»Da? ich mich in beiden Punkten getauscht habe, macht mich zum Narren und Sie zu einem Menschen, der noch besser ist als sein Ruf.»
        Bolitho sah ihn traurig an.»Der Ruf wird heute nicht viel zahlen.»
        Ein Leutnant rief:»Hier entlang, meine Herren.»
        Sie folgten ihm in der Reihenfolge ihres Dienstalters in die Offiziersmesse.
        Der Maler verschwand rasch in Richtung der gro?en Kajute. Tyrell brummte:»Was, um alles in der Welt, geschieht mit der Welt? Werden sie auch noch vom Tag des Jungsten Gerichts Bilder machen?»
        Den ganzen Vormittag ging es ermudend langsam weiter. Zeugen wurden aufgerufen und Aussagen gemacht. Ob es sich um Fakten oder Geruchte handelte, um technische Vorstellungen oder Einbildung, es schien in jedem Fall eine Ewigkeit zu dauern, bis man es zu Papier gebracht hatte. Gelegentliche Pausen gestatteten es den Besuchern, sich zu erfrischen und sich die Beine auf dem Achterdeck zu vertreten.
        Wahrend des ganzen Vormittags sprach Bolitho kaum ein Wort. Um ihn herum warteten die anderen Zeugen, bis sie an die Reihe kamen: Odell vom Schoner Lucifer, dessen hastige Bewegungen die Spannung noch verstarkten. Der Erste Leutnant und der Steuermann der Bacchante. Der uberlebende Leutnant von der Fawn und ein geblendeter Seemann, der neben Maulby gestanden hatte, als dieser niedergeschlagen wurde. Vertrauen oder auch Unsicherheit spiegelte sich in ihren Gesichtern.
        Dem Range nach, oder wie es ihre Wichtigkeit erforderte, wurden die Zeugen aufgerufen, bis nur noch Bolitho und Tyrell ubrigblieben. Durch die offenen Pforten sah Bolitho Boote zwischen den Schiffen und der Kuste hin- und herfahren und den leichten Rauch von einer nahen Landzunge, wo ein Mann Treibholz verbrannte.
        Es war druckend hei?, der erste Maitag. Er stellte sich vor, wie es zu Hause in Falmouth sein mu?te. Manchmal dachte er, da? er es nie wiedersehen wurde: kleine blasse Tupfer von Schafen auf Hugeln und Wiesen. Larmende Kuhe in dem Stra?chen vor dem Haus, immer neugierig im Vorubergehen, als ob sie die Gatter noch nie gesehen hatten. Und auf dem Marktplatz, wo die Wagen nach Plymouth beladen wurden oder die Pferde fur die Route nach Westen gewechselt, wurde sicherlich Lachen und gute Laune herrschen. Obwohl der Krieg eine Gefahr war, so war der Winter auch eine, und diese lag nun bis zum nachstenmal hinter ihnen. Jetzt konnten die Fischerboote sicher auslaufen, und die Felder und Markte wurden bald den Lohn fur geleistete Arbeit bringen.

«Mr. Tyrell. «Der Leutnant offnete die Tur.»Hier entlang.»
        Tyrell hob seinen Hut auf und schaute ihn an.»Jetzt dauert es nicht mehr lange, Sir. «Dann war Bolitho allein.
        Es dauerte wirklich nicht lange. Tyrells Aussage war rein sachlich und bezog sich vor allem auf die Zeit, in der sie die Sandbank uberquerten, und auf den Beginn des Angriffs. In allen Dingen hatte er nur seinen Befehlen gehorcht. Er war rehabilitiert.
        Als er aufgerufen wurde, folgte Bolitho dem Leutnant in die Kajute, ohne da? er sich daran erinnern konnte, wie sein Name angekundigt worden war.
        Sie war mit sitzenden Personen vollgestopft, und ganz achtern, hinter einem Tisch, der fast von einer Wand zur anderen reichte, sah er die Offiziere des Gerichts. Im Zentrum sa? der Vorsitzende, Sir Evelyn Christie, flankiert von zehn Kapitanen verschiedenen Dienstalters und Ranges, von denen keiner Bolitho bekannt war.
        Konteradmiral Christie blickte ihn kuhl an.»Ihre Aussagen unter Eid wurden verlesen und zur Beweisfuhrung vorgelegt. «Seine Stimme klang so schroff und formell, da? Bolitho plotzlich an ihr letztes Zusammentreffen erinnert wurde. Der Unterschied zu jetzt kam fast Feindseligkeit gleich.

«Wir haben von dem Plan gehort, den Franzosen zu erobern, von den Ereignissen, die zu seiner Entdeckung fuhrten, einschlie?lich der Aussage des Kapitans der Lucifer und Ihrer eigenen Offiziere. «Er hielt inne und raschelte mit Papieren.»In Ihrer Aussage gaben Sie an, da? Sie sich vor Ihrem Vorgesetzten gegen eine Aktion, wie sie dann auch durchgefuhrt wurde, ausgesprochen haben.»
        Bolitho rausperte sich.»Ich dachte, da? unter den gegebenen Umstanden…»
        Der am nachsten sitzende Kapitan fragte scharf:»Ja oder nein?»

«Ja. «Bolitho blickte immer noch den Admiral an.»Ich au?erte meine Meinung.»
        Der Admiral lehnte sich langsam zuruck.»Der Angeklagte hat jedoch ausgesagt, da? dies nicht der Fall war. Er gab Ihnen die Befehle erst, als Sie darauf bestanden, da? Ihr Schiff nordlich der Sandbank eine bessere Position hatte.»
        In der plotzlichen Stille konnte Bolitho sein Herz hammern horen. Er wollte sich umdrehen und Colquhoun ansehen, aber er wu?te, da? jeder derartige Versuch sofort als Schuldbewu?tsein ausgelegt wurde.
        Der dienstalteste Kapitan am Tisch sagte schroff:»Gab es Zeugen, als diese Entscheidungen getroffen wurden?»
        Bolitho sah ihn an.»Nur Kapitan Maulby, Sir.»

«Ich verstehe.»
        Bolitho fuhlte, wie die Kajute um ihn immer enger wurde, sah, da? die Gesichter der Nachstsitzenden ihn beobachteten wie ein Schwarm gieriger Vogel.
        Der Admiral seufzte.»Ich fahre fort. Nachdem Sie die anderen Schiffe verlassen hatten, segelten Sie zu der angegebenen Position?»

«Ja, Sir.»
        Der Admiral sah mit schiefem Lacheln auf.»Warum haben Sie dann die Sandbank uberquert?«Er schlug mit einer Hand auf die Papiere, was Verwirrung unter den Zuschauern hervorrief.»War es Schuldgefuhl? War Ihnen endlich klar geworden, da? Kapitan Colquhoun recht gehabt hatte, und da? er Ihre Unterstutzung im Suden benotigte?»

«Nein, Sir. «Er fuhlte seine Hande zittern und den Schwei? wie eisigen Reif zwischen den Schultern.»Ich habe meine Grunde bereits genannt. Wir hatten keinen Wind mehr, mir blieb zu diesem Zeitpunkt keine andere Moglichkeit als zu wenden.
«Bilder schossen ihm durch den Kopf: Heyward, der sich schamte, die Kontrolle uber das Schiff verloren zu haben. Buckle, zweifelnd und besorgt um ihre Sicherheit… Er horte sich ruhig hinzufugen:»Kapitan Maulby war mein Freund.»
        Das alteste Mitglied des Gerichts betrachtete ihn kalt.

«Wirklich?»
        Bolitho drehte sich um und sah Colquhoun zum erstenmal an, entsetzt uber die Veranderung an ihm. Er war sehr bla?, und im reflektierenden Licht sah seine Haut wie Wachs aus. Er stand mit herabhangenden Armen da, schwankte nur geringfugig mit den Bewegungen des Decks. Aber seine Augen waren am allerschlimmsten. Sie starrten in Bolithos Gesicht, auf seinen Mund, wenn er sprach, und loderten in solch unaussprechlichem Ha?, da? Bolitho ausrief:»Sagen Sie endlich die Wahrheit!»
        Colquhoun wollte einen Schritt nach vorn machen, aber seine Wache, der Hauptmann der Seesoldaten, beruhrte seinen Arm, und er entspannte sich wieder.
        Der Admiral sagte scharf:»Das genugt, Kapitan Bolitho! Ich dulde keine Wortwechsel vor Gericht!»
        Der dienstalteste Kapitan hustelte diskret und fuhr fort:»Den Rest kennen wir. Die Falle der Franzosen, Ihre Zerstorung des Gegners, dies alles ist uber jeden Zweifel erhaben. Sie haben trotz gro?er Gefahren die Rettung einiger Leute der Fawn ermoglicht, und einige der Verwundeten sind am Leben und erholen sich, dank Ihrer Bemuhungen.»
        Bolitho sah ihn mit blicklosen Augen an. Er hatte seine Pflicht getan, aber die Lugen, die Colquhoun bereits uber seinen Charakter erzahlt hatte, und die Aussage, die nur Maulby hatte widerlegen konnen, machten dies wertlos. Er sah Colquhouns Degen auf dem Tisch. Vielleicht wurde sein eigener auch bald dort liegen. Er stellte fest, da? ihm das wenig ausmachte, nur auf seinem Namen konnte er keinen Schandfleck ertragen.
        Der Admiral blickte sich in der ubervollen Kajute um.»Ich bin der Ansicht, da? wir genug gehort haben. Ziehen wir uns zuruck, meine Herren?»
        Bolitho schwankte. Eine lange Mittagspause. Noch mehr Verzogerungen. Es war eine Tortur.
        Wie die meisten Anwesenden fuhr er herum, als im Hintergrund ein Stuhl mit lautem Gepolter umfiel. Eine heisere Stimme schrie:»Nein, verdammt, ich bin nicht ruhig! In Gottes Namen, ich habe meine Augen fur den Konig gegeben! Darf ich denn nicht einmal die Wahrheit sagen?»
        Der Admiral krachzte:»Ruhe da hinten! Oder mu? ich die Wache rufen?»
        Aber es nutzte nichts. Die meisten Besucher waren aufgestanden, redeten und riefen durcheinander. Bolitho sah, da? einige sogar auf ihre Stuhle gestiegen waren, um zu sehen, was vorging. Der Admiral sa? sprachlos da, wahrend die anderen Mitglieder des Gerichts wie versteinert darauf warteten, da? er seine Drohung wahrmache.
        Die Stimmen erstarben, und die Menschenmenge wich auseinander, um den kleinen Maler nach vorn an den Tisch zu lassen. Er fuhrte den Seemann, der an Bord der Fawn geblendet worden war und er schon kurz ausgesagt hatte, was er vom Kappen des Ankers und der Flucht vor franzosischem Beschu? wu?te. Jetzt kam er in seiner zerlumpten Hose und einem geborgten blauen Uniformrock, mit schiefgestelltem Kopf nach vorn zum Tisch.
        Der Admiral sagte ernst:»Nun gut, Richards. «Er wartete, bis die Leute sich wieder gesetzt hatten.»Was mochten Sie uns sagen?»
        Der Seemann streckte die Hand aus und klammerte sich an die Tischkante, seine verbundenen Augen hoben sich uber den Kopf des Admirals.

«Ich war dort, Sir. Auf dem Achterdeck mit Kapitan Maulby!»
        Niemand ruhrte sich oder sprach, mit Ausnahme des blinden Seemannes namens Richards.
        Bolitho beobachtete, wie seine Hand sich vage durch die Luft bewegte, wie schwer er atmete, als er diese letzten schrecklichen Augenblicke nochmals durchlebte.
        Richards sagte heiser:»Die Franzosen hatten sich auf uns eingeschossen. Wir hatten nur noch einen Mast, und mehr als die Halfte unserer tapferen Kameraden war gefallen.»
        Der alteste Kapitan machte Anstalten, ihn zu unterbrechen, aber eine Bewegung des Admirals brachte ihn zum Schweigen.

«Die Riemen waren weggeschossen, aber die ganze Zeit schrie und fluchte Kapitan Maulby in seiner bekannten Art. «Unter der Bandage verzog sich der Mund des Mannes zu einem Lacheln.»Er konnte manchmal ziemlich fluchen, Sir. «Das Lacheln erstarb. Ich war Steuermannsmaat und stand allein am Ruder. Mein Steuermann lag am Boden, auch der Maat, beide waren getotet. Der Erste Leutnant war unten, sein Arm war weggeschossen worden, in diesem Augenblick drehte sich der Kapitan zu mir um und schrie: >Gott verdamme diesen Colquhoun, Richards! Er hat uns zugrunde gerichtet!
»
        Sein Kopf fiel vornuber, und seine Finger rutschten von der Tischkante ab, als er gebrochen wiederholte:»Das hat er gesagt: >Er hat uns zugrunde gerichtet<»
        Der Admiral fragte ruhig:»Und was geschah dann?»
        Richards wartete einige Momente, um sich wieder zu beruhigen. Noch immer wagte niemand, sich zu bewegen oder zu flustern. Hinter den Heckfenstern schienen die Mowen zu laut, um wirklich zu sein.
        Dann sagte er:»Mr. Fox, der Zweite Leutnant, war gerade nach vorn gegangen, um Leute fur die Pumpen zu suchen. Kugeln von den Geschutzen der Franzosen an Land toteten den Fahnrich Mr. Vasey. Er war nur vierzehn Jahre alt, aber ein guter Junge. Als er fiel, schrie der Kapitan mir zu: >Wenn Richard Bolitho heute bei uns ware, wie er gewollt hat, dann wurden wir es ihnen zeigen, Artillerie oder nicht!
»
        Der Admiral fragte scharf:»Sind Sie ganz sicher? Sagte er genau diese Worte?»
        Richards nickte.»Aye, Sir. Ich werde sie nie vergessen. Denn gerade dann wurden wir wieder getroffen, und die Rah kam herunter und totete Kapitan Maulby. Er konnte nicht einmal mehr schreien. «Er nickte wieder, sehr langsam.»Er war ein guter Kapitan, auch wenn er mehr fluchte als die meisten.»

«Ich verstehe. «Der Admiral blickte seinen dienstaltesten Kapitan an. Dann fragte er:»Konnen Sie sich noch an mehr erinnern?»

«Wir liefen auf das Riff, Sir. Der Besanmast kam herunter, und eine verfluchte Drehbasse, verzeihen Sie, Sir, explodierte an der Reling und nahm mir das Augenlicht. Danach kann ich mich an nichts mehr erinnern, bis ich an Bord der Sparrow kam.»

«Danke. «Der Admiral winkte einer Marinewache.»Ich werde dafur sorgen, da? man nach Ihnen sieht. «Richards tastete mit der Hand nach oben, um zu gru?en, dann sagte er:»Danke, Sir. Ich hoffe, da? Sie mir vergeben, aber ich mu?te einfach sagen, was ich wu?te.»
        Er wurde zwischen den gespannt beobachtenden Gesichtern durchgefuhrt, und als sich die Kajutentur schlo?, erhob sich ein Gemurmel, das argerlich anwuchs.
        Der Admiral sagte scharf:»Ich werde Sie nicht nochmals zur Ruhe auffordern!»

«Sie werden doch diesem lugenden Hund nicht glauben?«Colquhouns Stimme war schrill.»Dieser - dieser - Halbidiot!»
        Der Hauptmann machte einen Schritt nach vorn, um ihn zuruckzuhalten, hielt aber ein, als der Admiral ruhig sagte:»Bitte fahren Sie fort, Kapitan Colquhoun.»

«Ich wu?te Bescheid uber Bolitho und Maulby! Sie hielten zusammen!«Colquhoun hatte sich umgedreht, die Arme ausgestreckt, als ob er das Gericht umarmen wollte.»Und ich war mir daruber klar, da? Bolitho den ganzen Ruhm fur sich wollte. Deshalb sandte ich ihn nach Norden und gab Maulby die Chance, sich zu beweisen. «Er sprach sehr schnell, sein Gesicht glanzte vor Schwei?.»Ich durchschaute Bolithos Spielchen von Anfang an. Deshalb versucht er jetzt auch, mich zu verdammen. Ich wu?te, da? er den Franzosen selbst erobern wollte, ohne mir Zeit zu lassen, meine eigene Angriffsstellung einzunehmen. Ein Angriff uber Land und mit Booten!«Er brach ab, sein Mund stand vor Staunen offen.
        Der Admiral sagte kalt:»Bolitho war also nicht mit Ihrem Angriffsplan einverstanden? Ihre Aussage war also ein Luge?»
        Colquhoun drehte sich um und starrte ihn an, den Mund noch immer offen, als ob ihn soeben eine Pistolenkugel getroffen hatte und er gerade anfinge, den ersten stechenden Schmerz zu fuhlen.

«Ich. «Er wich vom Tisch zuruck.»Ich wollte nur. «Aber er konnte nicht weiterreden.

«Bringen Sie den Angeklagten nach drau?en, Hauptmann Reece!»
        Bolitho beobachtete Colquhoun, als er an den versammelten Offizieren vorbeischlurfte, sein Schritt war noch unsicherer als der des blinden Seemanns. Es war unglaublich, aber er konnte weder Erleichterung noch Befriedigung empfinden. Scham, Mitleid, er wu?te nicht, was er wirklich fuhlte.

«Sie konnen wegtreten, Kapitan Bolitho. «Der Admiral sah ihn ruhig an.»Es wird im Bericht niedergelegt werden, da? Sie und Ihre Leute sich nach den besten Traditionen der Marine verhalten haben. «Er wandte sich an die ganze Kajute.»Das Gericht wird sich in zwei Stunden wieder versammeln. Das ist alles.»
        Au?erhalb der dumpfen Kajute fuhlte man sich wie in einer anderen Welt. Gesichter verschwammen um ihn, man druckte ihm die Hand, und viele Stimmen begluckwunschten ihn.
        Tyrell und Odell, mit Buckle als Nachhut, gelang es, ihn zu einem ruhigeren Teil des oberen Decks zu bringen. Bolitho sah den kleinen Maler und ging zu ihm hinuber.

«Ich danke Ihnen fur das, was Sie getan haben. «Er streckte seine Hand aus.»Ich war vorhin hart zu Ihnen. «Er blickte sich um.»Wo ist dieser Richards? Es erforderte wirklichen Mut, so zu handeln, wie er es getan hat.»

«Er ist schon in ein Boot gegangen, Kapitan. Ich bat ihn zu warten, aber…«Er zuckte traurig die Schultern.
        Bolitho nickte.»Ich verstehe. Wir alle hier begluckwunschen uns, wahrend er nichts hat, worauf er sich freuen kann und keine Augen, um zu sehen, was ihn erwartet.
«Der kleine Mann lachelte, wahrend er Bolitho anblickte, als ob er etwas zu entdecken suchte.

«Mein Name ist Majendie. Ich mochte gern noch einmal mit Ihnen sprechen.»
        Bolitho schlug ihm auf die Schulter und zwang sich zu einem Lacheln.»Dann kommen Sie mit auf mein Schiff. Wenn ich schon zwei Stunden warten mu?, dann tue ich es lieber dort, wo ich ein gewisses Gefuhl von Freiheit habe.»
        Das Gericht trat punktlich zusammen, und Bolitho stellte fest, da? es ihm kaum gelang, seine Augen von Colquhouns Degen zu lassen. Die Spitze zeigte auf ihn, der Griff lag auf der entgegengesetzten Seite des Tisches.
        Auch die Stimme des dienstaltesten Kapitans ging in seinen verwirrten Gedanken und Erinnerungen unter. Er horte Fragmente wie» das Leben der Manner unter Ihrem Kommando aufs Spiel gesetzt, die Schiffe zu Ihrem Zweck mi?braucht. «Spater dann:… falsches Zeugnis abgelegt, um den Namen eines Offiziers zu beflecken und dadurch dieses Gericht in Mi?kredit zu bringen. «Es wurde noch viel mehr gesagt, aber Bolitho horte andere Stimmen, die sich in diese kalte Aufzahlung mischten: Maulby, Tyrell, sogar Bethune, sie alle waren dabei. Und vor allem der blinde Seemann, Richards. Er war ein guter Kapitan. Gab es einen besseren Nachruf fur einen Mann?
        Er schreckte aus seinen Gedanken auf, als der Admiral sagte:»Das Urteil lautet, da? Sie das Kommando uber Ihr Schiff verlieren und unter strengem Arrest stehen bis zu dem Zeitpunkt, da Sie nach England gebracht werden konnen.»
        Colquhoun starrte auf den Offizier mit dem ernsten Gesicht, dann auf seinen Degen.
        Sein Schiff verloren! Bolitho schaute weg. Sie hatten ihn lieber hangen sollen. Das ware gnadiger gewesen.
        Eine Stimme durchbrach die Stille:»Gefangener und Wache: abtreten!»
        Es war voruber.
        Als die Ordonnanzen die durcheinanderredenden Zuschauer zum Achterdeck hinauswiesen, kam Konteradmiral Christie um den Tisch herum und streckte die Hand aus.

«Gut gemacht, Bolitho. «Er schuttelte ihm herzlich die Hand.»Ich setze gro?e Hoffnungen auf junge Offiziere Ihres Schlages. «Er sah Bolithos Unsicherheit und lachelte.»Es tat mir weh, Sie so zu behandeln, wie ich es tat. Aber ich mu?te diesen Schandfleck von Ihrem Namen tilgen. Recht oder Unrecht, er hatte Sie in jedem Fall fur den Rest Ihrer Karriere gezeichnet. «Er seufzte.»Nur Colquhoun selbst konnte dies tun, und der arme Richards mu?te kommen, damit der Funke zundete.»

«Ja, Sir. Ich verstehe das jetzt.»
        Der Admiral nahm seinen Hut und betrachtete ihn.»Kommen Sie heute abend mit mir an Land. Der Gouverneur gibt einen Empfang. Eine schreckliche Angelegenheit, aber es schadet nichts, zu sehen, wie sie sich amusieren. «Er schien Bolithos Stimmung zu erraten.»Nehmen Sie es als Befehl!»

«Danke, Sir Evelyn.»
        Bolitho sah ihm nach, als er in seine angrenzende Kajute ging. Eine Einladung an Land. Der Admiral hatte ihn auch zu Schimpf und Schande verurteilen konnen, wenn das Schicksal nicht eingegriffen hatte, um ihm zu helfen.
        Er atmete tief aus. Wann wurde man je aufhoren, bei derartig komplizierten Angelegenheiten dazuzulernen?
        Dann ging er hinuber, um unter den vielen Booten nach seiner Gig Ausschau zu halten.
        Es zeigte sich, da? der Empfang am Abend noch atemberaubender und entnervender war, als Bolitho angenommen hatte. Als er seinen Hut einem Negerdiener mit Perucke uberreicht hatte und auf Konteradmiral Christie wartete, der noch einige Worte mit einem anderen Flaggoffizier wechselte, blickte er sich in der gro?en, saulengetragenen Halle um, schaute auf die durcheinanderwogende Menge farbiger Figuren, die jeden Zentimeter des Bodens zu fullen schien und noch eine geraumige Galerie dazu. Die scharlachroten Rocke der Militars waren weit in der Uberzahl, unterbrochen vom Samt und Brokat ihrer Damen, dann das vertraute Blau der Seeoffiziere, obwohl Bolitho mit einiger Besturzung bemerkte, da? die meisten der letzteren Admirale waren. Es waren auch Offiziere der Seesoldaten da - die wei?en Aufschlage und silbernen Knopfe unterschieden sie von den Soldaten und so viele Zivilisten, da? er sich fragte, weshalb New York nicht stillstand. An der Seite waren Neger und andere Diener an langen Tafeln beschaftigt, deren Speisen Bolitho glauben machten, er traume. Die Nation befand sich im Krieg, aber diese Tische
bogen sich unter der Last von Speisen und Delikatessen aller Art. Verschiedene Fleischsorten, enorme Portionen Pastete, verlockende Fruchte und eine glitzernde Anordnung silberner Punschbecher, die in dem Moment gefullt wurden, als er hinblickte.
        Christie kam zu ihm und murmelte:»Schauen Sie sich das gut an, Bolitho. Ein Mann mu? wissen, wem er dient, genauso wie er seine Grunde kennen mu?!»
        Ein Diener in gruner Livree kam ihnen am oberen Ende der Marmortreppe entgegen und wandte sich nach einem vorsichtigen Blick an die versammelten Gaste, mit einer Stimme, die einem Vortoppsgast im Ausguck alle Ehre gemacht hatte.

«Sir Evelyn Christie, Ritter des Bathordens, Konteradmiral und Oberbefehlshaber.
«Er machte sich nicht die Muhe, Bolitho anzukundigen, er nahm wahrscheinlich an, da? er ein Untergebener oder Verwandter sei.
        Nicht da? es einen Unterschied machte. Es gab keine Pause in der Welle des Gelachters und der Unterhaltung, und kaum jemand drehte sich um, um die Neuangekommenen zu mustern.
        Christie ging flink am Rande der Menge entlang, nickte hier jemandem zu, hielt dort inne, um eine Hand zu drucken, dort verbeugte er sich vor einer Dame. Es war schwer, ihn noch in der Rolle dieses Morgens zu sehen: Vorsitzender des Gerichts. Niemandem verantwortlich, wenn er sein Urteil sprach.
        Bolitho folgte der schmalen Figur des Admirals, bis sie zu einem Tisch am anderen Ende der Halle kamen. Hinter ihm und den schwitzenden Dienern konnte er eine gro?e Rasenflache sehen, auf der ein Brunnen im Licht der Laternen glanzte.

«Nun?«Christie wartete, bis jeder von ihnen einen schweren Becher in der Hand hielt.»Was halten Sie davon?»
        Bolitho drehte sich um, betrachtete die gedrangten Gaste, horte die Weisen eines unsichtbaren Orchesters, das gerade eine muntere Quadrille spielte. Er vermochte sich nicht vorzustellen, wie jemand uberhaupt Platz zum Tanzen finden konnte.

«Es ist wie im Marchen, Sir.»
        Christie betrachtete ihn amusiert.»Paradies der Dummkopfe ist eine bessere Beschreibung!»
        Bolitho kostete den Wein. Genau wie der Becher war auch er perfekt. Er entspannte sich etwas. Die Frage hatte ihn vorsichtig gemacht, aber die Antwort des Admirals hatte ihm gezeigt, da? er nicht die Absicht hatte, ihn auf die Probe zu stellen.
        Christie fugte hinzu:»Eine Stadt unter Belagerung ist immer unwirklich. Sie ist vollgestopft mit Fluchtlingen und Betrugern, Handlern, die auf schnellen Gewinn aus sind und sich wenig darum kummern, mit welcher Seite sie Handel treiben. Und wie immer in solchen Fallen gibt es zwei Armeen.»
        Bolitho sah ihn an und verga? den Larm und die Geschaftigkeit um sich, die Verzweiflung und die Besorgnis von heute und morgen. Wie er von Anfang an angenommen hatte, verbarg Christies nuchterne Erscheinung einen messerscharfen Verstand. Einen Verstand, der jede Anklage und jedes Problem genau untersuchte und gegeneinander abwog, alles Uberflussige aufdeckte.

«Zwei Armeen, Sir?»
        Der Admiral verlangte zwei neue Becher.»Trinken Sie aus. Sie werden nirgends einen solchen Wein finden. Ja, wir haben die Militars, die jeden Tag dem Feind ins Auge blicken, seine schwachen Stellen aufspuren oder versuchen, seinen Angriffen standzuhalten. Soldaten, die immer auf den Beinen sind, keine sauberen Betten und kein gutes Essen kennen. «Er lachelte traurig.»So wie diejenigen, die Sie in der Delaware Bay gerettet haben. Wirkliche Soldaten.»

«Und die anderen?»
        Christie schnitt eine Grimasse.»Hinter jeder gro?en Armee gibt es eine Organisation. «Er zeigte auf die Menge.»Die Militarregierung, das Sekretariat, und Kaufleute, die von den Kampfen leben wie Blutsauger.»
        Bolitho betrachtete die durcheinanderwogenden Menschen vor dem Alkoven mit wachsender Unsicherheit. Er hatte schon immer Menschen der beschriebenen Art mi?traut, aber es schien unmoglich, da? alles so widerlich, so unehrlich sein sollte, wie der Admiral gesagt hatte. Und doch… Er dachte an die frohlich durcheinanderredenden Besucher beim Kriegsgericht. Zeugen der Schande eines Mannes, die dies jedoch nur als Mittel betrachteten, der Langeweile ihrer eigenen Welt zu entfliehen.
        Christie beobachtete ihn nachdenklich.»Gott allein wei?, wie dieser Krieg enden wird. Wir bekampfen zu viele Feinde auf einem zu gro?en Teil der Welt, um einen spektakularen Sieg erhoffen zu konnen. Sie aber, und solche wie Sie, mussen gewarnt werden, wenn wir noch die Chance der Ehre haben sollen.»
        Der Wein war stark, und die Hitze in der Halle trug dazu bei, da? Bolitho alle Vorsicht fahren lie?.

«Sir Evelyn, sicherlich mussen doch hier in New York, nach allem was seit der Rebellion geschehen ist, alle sich uber die wirklichen Tatsachen im klaren sein?»
        Christie zuckte mude die Schultern.»Der Generalstab ist zu sehr mit seinen eigenen Angelegenheiten beschaftigt, um sich darum zu kummern, was hier geschieht. Und der Gouverneur, wenn wir ihn so nennen durfen, verbringt zuviel Zeit damit, kichernde junge Madchen zu jagen und sich uber seinen wachsenden Reichtum zu freuen, so da? er nicht den Wunsch hat, die Dinge zu andern. Er war fruher Quartiermacher bei der Armee, also ein ausgebildeter Dieb, und er wird gekonnt unterstutzt von einem Gouverneursleutnant, der fruher Zollbeamter in einer Stadt war, die man nur fur ihren Schmuggel kannte!«Er kicherte.»Diese beiden haben New York zu ihrem eigenen Nutzen mit Beschlag belegt. Kein Handler oder Kapitan eines Handelsschiffes kann kommen oder gehen ohne Erlaubnis. New York ist vollgestopft mit Fluchtlingen, und der Gouverneur hat bestimmt, da? die Gelder der Stadt, der Kirche und der Schulen in einem Fonds gesammelt werden sollen, um ihnen ihr Los zu erleichtern.»
        Bolitho runzelte die Stirn.»Aber das war doch sicherlich in gutem Glauben gehandelt?»

«Vielleicht. Aber das meiste davon ist vertan worden. Balle und Tanzveranstaltungen, Empfange wie dieser, Geliebte und Huren, Schmarotzer und Favoriten. Dies alles kostet eine Menge Geld.«»Ich verstehe.»
        In Wirklichkeit verstand er nicht. Wenn er an sein Schiff dachte, das tagliche Risiko von Verletzung oder Tod und den geringen Komfort, die Art und Weise, mit der jeder kampfende Mann dem Feind ins Auge sah, dann war er entsetzt.
        Christie sagte:»Bei mir steht die Pflicht an allererster Stelle. Ich wurde jeden hangen, der anders handelt. Aber diese…«Er verbarg seine Verachtung nicht.»Diese Schmarotzer verdienen keine Loyalitat. Wenn wir schon einen Krieg durchkampfen mussen, dann sollten wir uns wenigstens vergewissern, da? sie keinen Gewinn aus unserem Opfer ziehen!»
        Dann lachelte er, die plotzliche Entspannung der Linien um seine Augen und den Mund veranderte ihn aufs Neue.

«Nun, Bolitho, haben Sie die nachste Lektion gelernt? Zuerst verschaffen Sie sich Respekt, dann ein Kommando. Dann erhalten Sie den Befehl uber mehr und gro?ere Schiffe. Das ist der Ehrgeiz, ohne den fur mich kein Offizier einen Pfifferling wert ist. «Er gahnte.»Ich mu? jetzt gehen. «Er hielt ihm die Hand hin.»Bleiben Sie noch ein bi?chen, und setzen Sie Ihre Erziehung fort.»

«Werden Sie nicht bleiben, um den Gouverneur zu treffen, Sir?«Etwas wie Panik bei dem Gedanken, alleingelassen zu werden, lie? ihn seine Gefuhle zeigen.
        Christie lachelte.»Niemand wird ihn heute abend treffen. Er befa?t sich mit diesen Angelegenheiten nur, um alte Schulden zu bezahlen und um sein Suppchen am Kochen zu halten. «Er winkte einem Dienstmann.»Amusieren Sie sich gut, Sie haben es verdient, obwohl ich glaube, Sie waren lieber in London, oder?»
        Bolitho grinste.»Nicht in London, Sir.»

«Naturlich. «Der Admiral sah den Dienstmann mit seinem Hut und Mantel herankommen. Ein Sohn der Erde. Das hatte ich vergessen. «Mit einem Nicken verschwand er durch die Tur und war schnell in den tiefen Schatten auf dem Rasen verschwunden.
        Bolitho fand einen freien Platz am Ende des Tisches und versuchte sich schlussig zu werden, was er essen sollte. Er mu?te etwas essen, denn der Wein wirkte zu stark. Er fuhlte sich ungewohnlich leicht und beschwingt, daran war aber nicht nur der Wein schuld. Indem er ihn sich selbst uberlie?, hatte der Admiral ihm die Moglichkeit gegeben, zu handeln und zu denken, wie er wollte. Er konnte sich nicht daran erinnern, da? dies jemals vorher geschehen war.
        Ein gedrungener Korvettenkapitan mit vor Hitze und Wein fleckigem Gesicht drangt sich an ihm vorbei und schnitt sich ein enormes Stuck Pastete ab, das er zu verschiedenen anderen Sorten kalten Fleisches auf seinen Teller haufte, ehe ein Diener ihm helfen konnte. Bolitho dachte an Bethune. Dieser Teller hatte selbst dessen Appetit fur einige Tage befriedigt.
        Der altere Kapitan drehte sich um und blickte ihn an.»Ah.
        Welches Schiff?»

«Sparrow, Sir. «Bolitho sah, da? er schielte, als ob er eine Vision ve rtreiben mu?te.»Nie von ihr gehort. «Er runzelte die Stirn.»Wie hei?en Sie, eh?»

«Richard Bolitho, Sir.»
        Der Kapitan schuttelte den Kopf.»Auch noch nie von Ihnen gehort. «Er watschelte in die Menge zuruck und schmierte dabei etwas Pastete an einen Pfosten, ohne auch nur stehenzubleiben.
        Bolitho lachelte. In dieser Umgebung wurde man sich bald der wirklichen Bedeutung seines Ranges bewu?t.

«Nanu, Kapitan!«Die Stimme lie? ihn herumfahren.»Er ist es! Ich wu?te einfach, da? Sie es sind!»
        Bolitho starrte das Madchen einige Sekunden an, ohne es wiederzuerkennen. Sie war hubsch, hubscher noch, als er sie seit dem lange zuruckliegenden Tag in Erinnerung hatte: als sie sich gegen ihren Onkel, General Blundell, gewandt hatte, schrie und mit den Fu?en strampelte, als seine Manner sie buchstablich von Bord des Indienfahrers trugen, vor seinem Kampf mit der Bonaventure.
        Und doch war sie dieselbe geblieben. Das Lacheln, halb amusiert, halb spottisch. Die violetten Augen, die ihn machtlos machten, in einen sprachlosen Bauern verwandelten.
        Sie wandte sich an einen hochgewachsenen Offizier an ihrer Seite, im grunen Rock der Dragoner, und sagte:»Er war so jung, so ernst, ich glaube, alle Damen an Bord verliebten sich in den Armsten.»
        Der Dragoner sah Bolitho kalt an.»Wir mussen uns beeilen, Susannah. Ich mochte, da? du den General kennenlernst. «Sie streckte den Arm aus und legte eine wei?behandschuhte Hand auf Bolithos Rockaufschlag.

«Ich freue mich, Sie wiederzusehen. Ich habe oft an Sie und Ihr kleines Schiff gedacht. «Ihr Lacheln erlosch, und sie wurde plotzlich ernst.»Sie sehen gut aus, Kapitan. Sehr gut. Vielleicht etwas alter. Ein bi?chen weniger wie… «Das Lacheln kam wieder.»Wie ein als Mann verkleideter Junge.»
        Er errotete, war sich aber dessen bewu?t, da? das Vergnugen seine Verwirrung ubertraf.

«Nun, ich nehme an…»
        Aber sie hatte sich schon wieder umgewandt, als zwei weitere Begleiter aus der Menge auf sie zukamen.
        Dann schien sie sich zu entscheiden.

«Werden Sie mit mir essen, Kapitan?«Sie betrachtete ihn nachdenklich.»Ich mochte Ihnen einen Diener mit der Einladung schicken.»

«Ja. «Die Worte platzten heraus.»Das wurde ich sehr gern tun Danke.»
        Sie machte einen Knicks und brachte damit die Erinnerung an ihr erstes Zusammentreffen schmerzhaft in sein Gedachtnis zuruck.»Also abgemacht.»
        Die Menge wogte hin und her und schien sie vollstandig zu verschlucken.
        Bolitho nahm sich noch einen Becher Wein und ging unsicher auf den Rasen zu. Susannah «hatte der Dragoner sie genannt. Dieser Name pa?te wunderbar zu ihr.
        Er blieb neben dem Springbrunnen stehen und starrte mehrere Minuten hinein. Der Empfang war also doch noch ein Erfolg geworden, und der Vormittag schien ihm nur noch eine fade Erinnerung zu sein.



        Herzdame

        Drei Tage nach dem Empfang beim Gouverneur war die Sparrow wieder seeklar. Bolitho hatte sie genau inspiziert und unter Locks argwohnischen Blicken eine endgultige Liste der Vorrate und Lagerbestande unterzeichnet. Die letzten drei Tage waren ohne besondere Ereignisse vorubergegangen, und Bolitho fand es leichter, die offensichtliche Lethargie New Yorks zu verstehen, wenn nicht sogar zu teilen. Es war eine unwirkliche Existenz, den Krieg nur am Ende einer Marschkolonne von Soldaten zu sehen oder in einer Verlustenliste in der Zeitung.
        Die andere ubriggebliebene Korvette der Flotte, Heran, hatte kurzlich auch in Sandy Hook Anker geworfen und erwartete nun eine ahnliche Uberholung.
        An diesem Vormittag sa? Bolitho in seiner Kajute und geno? ein Glas guten Bordeaux mit dem Kommandanten der Heran, Thomas Farr. Bei ihrem letzten Zusammentreffen war er noch Leutnant gewesen, aber Maulbys Tod hatte ihm die wohlverdiente Beforderung gebracht. Er war fur seinen Rang recht alt, ungefahr zehn Jahre alter als Bolitho. Ein gro?er, breitschultriger Mann, ungeschlacht und mit einer etwas drastischen Ausdrucksweise, die an Tilby erinnerte. Er war zu seiner jetzigen Ernennung auf vielen Umwegen gekommen. Als achtjahriger Junge zur See geschickt, war er die meiste Zeit seines Lebens auf Handelsschiffen gefahren - Kustensegler und Postschiffe, Indienfahrer und kleinere Schiffe -, schlie?lich hatte er das Kommando uber eine Kohlenbrigg aus Cardiff bekommen. Da England in den Krieg verwickelt war, hatte er seine Dienste der Marine angeboten und war gerne angenommen worden. Wenn ihn auch seine Manieren und seine Bildung von den anderen Offizieren unterschieden, so waren seine Erfahrung und seine Geschicklichkeit beim Segeln ihnen weit uberlegen. Eigenartigerweise war die Heran kleiner als die
Sparrow und hatte wie ihr Kommandant in der Handelsschiffahrt begonnen. Daher war auch ihre Bewaffnung von vierzehn Geschutzen schwacher. Sie hatte aber trotzdem schon einige gute Prisen genommen.
        Farr rakelte sich auf der Heckbank und hob sein Glas zum Sonnenlicht.

«Verdammt guter Tropfen! Wenn ich aber einen Krug voll englischem Bier hatte, konnten Sie das gegen die Wand spucken!«Er lachte und gestattete Bolitho, ihm noch ein Glas einzuschenken.
        Bolitho lachelte. Wie sich die Dinge fur sie alle geandert hatten!
        Wenn er sich zuruckerinnerte an den Augenblick in Antiguo, als er zum Treffen mit Colquhoun ging, war es schwierig, sich ins Gedachtnis zu rufen, wie die Jahre und Wochen sie alle beeinflu?t hatten. Damals, als er aus Colquhouns Fenster gesehen hatte, lag vor ihm die ganze Flotte, und er hatte sich gefragt, wie wohl sein neues Kommando sein wurde. Viele andere Zweifel und Befurchtungen hatten ihn an diesem Morgen geplagt.
        Jetzt gab es die Fawn nicht mehr, und die Bacchante war erst gestern ausgelaufen, um zu der Flotte unter Rodney zu sto?en. Ihr neuer Kapitan stammte vom Flaggschiff, und Bolitho fragte sich, ob Colquhoun wohl die Moglichkeit gehabt hatte, von seiner Arrestzelle aus zu sehen, wie sie die Anker lichtete.
        Jetzt waren nur noch Sparrow und Heran ubrig. Naturlich abgesehen von dem kleinen Schoner Lucifer, der eine Klasse fur sich war. Er wurde weiterhin kleine Kustenpatrouillen machen oder auch in Buchten und Flu?laufe vorsto?en, um Blockadebrecher aufzustobern.
        Farr betrachtete ihn behaglich und bemerkte:»Nun, Sie kommen machtig voran, wie ich hore. Empfang beim Gouverneur, Wein mit dem Admiral! Lieber Himmel, kein Mensch kann sagen, wo Sie einmal enden. Wahrscheinlich beim diplomatischen Corps, mit einem Dutzend kleiner Madchen, die nach Ihrer Pfeife tanzen. «Er lachte laut.
        Bolitho zuckte die Schultern.»Nichts fur mich. Ich habe genug gesehen.»
        Er dachte schnell an Susannah. Sie hatte ihm nicht geschrieben. Auch hatte er sie nicht gesehen, obwohl er es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, an ihrem Haus vorbeizugehen, wenn er an Land war.
        Es war ein schones Haus, nicht viel kleiner als das, in dem der Empfang stattgefunden hatte. Soldaten hielten an den Toren Wache, und er vermutete, da? der Besitzer ein Regierungsamt innehatte. Er hatte versucht, kein solcher Narr zu sein, so naiv, da? er erwartete, jemand von Susannahs Herkunft konnte sich seiner mehr als fluchtig erinnern. In Falmouth war die Familie Bolitho sehr angesehen, ihr Land und Besitz gaben vielen Brot und Existenz. Die kurzlich erzielten Prisengelder hatten Bolitho zum erstenmal in seinem Leben ein Gefuhl der Unabhangigkeit gegeben, so da? er den Sinn fur Realitat verloren hatte, wenn es um Leute wie Susannah Hardwicke ging. Ihre Familie gab wahrscheinlich in einer Woche mehr aus, als er verdient hatte, seit er Kommandant der Sparrow war. Sie war es gewohnt zu reisen, auch wenn die anderen durch den Krieg oder fehlende Mittel daran gehindert wurden. Sicherlich kannte sie die wichtigsten Leute, und ihr Name wurde in den gro?en Hausern von London bis Schottland akzeptiert. Er seufzte. Er konnte sie sich nicht als Hausherrin von Falmouth vorstellen, beim Empfang von
rotgesichtigen Farmern und ihren Frauen, bei der Teilnahme an den ortlichen Festen und dem rauhen Leben einer Gemeinschaft, die so naturverbunden lebte.
        Farr schien seine Stimmung zu erraten und fragte:»Wie steht es mit dem Krieg, Bolitho? Wohin fuhrt er uns?«Er schwenkte sein Glas.»Manchmal denke ich, wir werden immer weiter Patrouille fahren und hinter diesen verfluchten Schmugglern herjagen, bis wir vor Altersschwache sterben.»
        Bolitho stand auf und ging ruhelos zu den Fenstern. Es gab viele Beweise der Macht in der Nahe: Linienschiffe, Fregatten und alle anderen. Und doch schienen sie nur zu warten. Aber worauf?
        Er sagte:»Cornwallis scheint entschlossen, Virginia wieder zuruckzuerobern. Seine Soldaten machen ihre Sache gut, wie ich hore.»

«Das klingt nicht allzu zuversichtlich.»
        Bolitho sah ihn an.»Die Armee ist auf Versorgung angewiesen. Sie kann sich nicht langer auf Unterstutzung oder Verpflegung auf dem Landweg verlassen. Alles mu? uber das Wasser kommen. Das ist fur eine Armee keine Basis zum Kampf.»
        Farr grunzte.»Das geht uns nichts an. Sie machen sich zu viele Sorgen. Wir sollten nach Hause fahren und den Froschfressern tuchtig das Fell versohlen. Die verdammten Spanier wurden bald nach Frieden schreien, und die Hollander mogen ihre sogenannten Verbundeten sowieso nicht. Dann konnten wir nach Amerika zuruckkommen und es noch einmal versuchen.»
        Bolitho lachelte:»Ich furchte, wir wurden an Altersschwache sterben, wenn wir diesem Kurs folgten.»
        Er horte einen Anruf, das Kratzen eines Bootes langsseits. Er stellte fest, da? sein Verstand es registriert hatte, er aber entspannt, sogar gleichgultig geblieben war. Als er zuerst an Bord gekommen war, gab es keinen Laut und kein Vorkommnis, das nicht seine sofortige Aufmerksamkeit gefunden hatte. Vielleicht gelang es ihm endlich, seine Rolle als Kapitan zu akzeptieren?
        Graves erschien mit einem vertrauten, versiegelten Umschlag in der Kajutentur.

«Wachboot, Sir. «Er warf einen Blick auf den Kommandanten der Heran. »Ich nehme an, die Befehle zum Auslaufen.»
        Bolitho nickte.»Machen Sie weiter, Mr. Graves. Ich werde Sie sofort informieren.»
        Der Leutnant zogerte.»Auch dieser Brief wurde abgegeben, Sir. «Er war klein, und die Handschrift wurde fast von einem Siegel verborgen: Buro der Militarregierung.
        Als die Tur sich geschlossen hatte, fragte Farr heiser:»Graves! Ich hoffe, er ist kein verfluchter Verwandter unseres Admirals!»
        Bolitho grinste. Da Rodney in den West Indies und noch immer durch Krankheit behindert war, hatte Konteradmiral Thomas Graves das Kommando in den amerikanischen Gewassern erhalten. Da ihm die Weisheit Rodneys fehlte, auch der harterkampfte Respekt Hoods, wurde er von den meisten Offizieren der Flotte als ein fairer, aber vorsichtiger Kommandeur eingeschatzt. Er glaubte hundertprozentig ans strenge Reglement und es war nicht bekannt, da? er jemals auch nur ein Jota davon abgewichen ware. Verschiedene altere Kapitane hatten Vorschlage zur Verbesserung des Signalsystems im Gefecht eingereicht. Graves hatte laut vieler Geschichten, die in der Flotte die Runde machten, dazu nur kalt gesagt:»Meine Kapitane kennen ihre Aufgabe. Das sollte genugen.»
        Bolitho erwiderte:»Nein. Aber wenn es so ware, wu?ten wir vielleicht mehr vom Geschehen.»
        Farr stand auf und rulpste.»Guter Wein. Noch bessere Gesellschaft. Ich werde Sie jetzt Ihrer versiegelten Order uberlassen. Wenn die Depeschen von allen Admiralen der Welt zusammengebunden wurden, hatten wir genug, um den Aquator damit zu bedecken, das ist eine Tatsache! Zum Donnerwetter, manchmal meine ich, wir ersticken an Papier!»
        Er stolperte aus der Kajute und lehnte Bolithos Angebot ab, ihn nach oben zu begleiten.»Wenn ich nicht allein fertig werde, ist es Zeit, da? man mir eine Ladung Blei verpa?t und mich uber Bord wirft!»
        Bolitho setzte sich an den Tisch und offnete den Leinenumschlag, obwohl seine Augen hauptsachlich auf dem kleineren ruhten.
        Die Befehle waren kurzer als gewohnlich. Da sie seeklar war, sollte die Korvette seiner Majestat, Sparrow, Anker lichten und am nachsten Tag in aller Fruhe auslaufen. Sie wurde eine unabhangige Patrouille ausfuhren, ostlich zum Montauk Point an der Spitze von Long Island, und dann in Richtung Block Island bis zu den Auslaufern von Newport.
        Er unterdruckte die aufsteigende Erregung und zwang sich, sich auf die sparlichen Erfordernisse der Patrouillenfahrt zu konzentrieren. Er sollte sich nicht mit feindlichen Kraften einlassen, au?er auf eigene Verantwortung. Seine Augen ruhten auf den letzten Worten. Wie ihn dies an Colquhoun erinnerte! So kurz, und doch beinhaltete es die ganze Problematik seiner Position, falls er falsch handelte.
        Aber endlich konnte man etwas Direktes tun, nicht nur Blockadebrecher aufspuren oder einen schlauen Freibeuter suchen. Dies war franzosisches Gebiet, der Zipfel der zweitgro?ten Seemacht der Welt. Er sah, da? Konteradmiral Christie seine Unterschrift unter die krakelige des Flaggkapitans gesetzt hatte. Wie typisch fur diesen Mann. Ein Zeichen seines Vertrauens und der Reichweite seines Armes.
        Er stand auf und klopfte an das Skylight.»Fahnrich der Wache!»
        Er sah Bethunes Gesicht uber sich und rief:»Empfehlung an den Ersten Leutnant, ich mochte ihn sofort sehen. «Er machte eine Pause.»Ich dachte, Sie hatten eine fruhere Wache?»
        Bethune schlug die Augen nieder.»Aye, Sir. Das stimmt, aber…»
        Bolitho sagte ruhig:»In Zukunft gehen Sie Ihre Wachen wie festgelegt. Ich nehme an, Mr. Fowler hatte jetzt Wache gehabt?»

«Ich habe es mit ihm abgesprochen, Sir. «Bethune sah unsicher aus.»Ich schuldete ihm einen Gefallen.»

«Nun gut. Aber erinnern Sie sich an meine Befehle. Ich dulde keine pensionierten Offiziere auf diesem Schiff!»
        Er setzte sich wieder. Es hatte ihm auffallen mussen, was vorging. Der arme Bethune war den Fowlers dieser Welt nicht gewachsen. Dann lachelte er trotz seiner Besorgnis. Er hatte gut reden.
        Er schlitzte den zweiten Umschlag auf und stie? sich dabei am Tisch. Er las:
        Mein lieber Kapitan, ich wurde mich sehr freuen, wenn Sie heute abend mit uns speisen konnten. Ich bin unglucklich uber diese nicht entschuldbare Verspatung und hoffe, da? Sie mir sofort vergeben werden. Wahrend Sie diesen Brief lesen, beobachte ich Ihr Schiff durch das Fernglas meines Onkels. Damit ich nicht im Ungewissen bin, zeigen Sie sich bitte.
        Der Brief war unterschrieben mit >Susannah Hardwicke<.
        Bolitho erhob sich, schlo? rasch seine Befehle in die Kajutenkassette ein und eilte die Niedergangsleiter hinauf.
        Das Fernglas ihres Onkels? General Blundell war also auch da. Das mochte die Wachen an den Toren erklaren.
        Aber sogar diese Tatsache deprimierte ihn nicht. Er stie? fast mit Tyrell zusammen, als dieser nach vorn gehinkt kam, die Arme mit Schmierfett besudelt.

«Bitte entschuldigen Sie, da? ich nicht hier war, als Sie mich rufen lie?en, Sir. Ich war im Kabelgatt.»
        Bolitho lachelte:»Sie haben wohl die Gelegenheit benutzt, um nach Faulholz zu suchen?»
        Tyrell rieb sich das Bein.»Aye. Aber es ist alles in Ordnung. Das Schiff ist so gesund wie ein Fisch im Wasser.»
        Bolitho ging zu den Wanten und beschattete seine Augen vor dem starken Licht. Die fernen Hauser verloren sich fast im Dunst, ihre Umrisse zitterten und verschwammen ineinander, als ob sie in der Hitze schmolzen.
        Tyrell sah ihn fragend an.»Ist etwas nicht in Ordnung, Sir?»
        Bolitho beugte sich zu Bethune hinunter und nahm sein Fernrohr. Damit sah man auch nicht besser. Das Glas, das auf die Sparrow gerichtet wurde, war wahrscheinlich sehr stark. Langsam hob er den Arm und winkte.
        Hinter ihm standen Tyrell und Bethune stocksteif, einer genauso besturzt uber das befremdliche Benehmen des Kapitans wie der andere.
        Bolitho drehte sich um und bemerkte Tyrells Gesicht.»Hm. Ich habe gerade jemandem gewunken.»
        Tyrell sah an ihm vorbei auf die vor Anker liegenden Schiffe und geschaftigen Hafenarbeiter.»Verstehe, Sir.»

«Nein, Jethro, das tun Sie nicht, aber macht nichts. «Er schlug ihm auf die Schulter.»Kommen Sie mit hinunter, dann werde ich Ihnen sagen, was wir zu tun haben. Ich vertraue Ihnen heute abend das Schiff an, da ich an Land essen werde.
«Ein breites Grinsen ging uber das Gesicht des Leutnants.»Oh, ich verstehe, Sir!»
        Sie studierten soeben die Karte und diskutierten die Segelbefehle, als sie Bethune schreien horten:»Halt! Stillgestanden, der Mann!«Dann horte man ein Aufklatschen und noch mehr Schreie auf dem Geschutzdeck.
        Bolitho und Tyrell eilten wieder auf Deck und fanden Bethune und die meisten wachfreien Leute an der Backbordreling oder in die Wanten geklammert.
        Ein Mann schwamm im Wasser, seine Arme holten kraftig aus, und sein dunkles Haar glanzte in der Gischt und im Sonnenlicht. Bethune keuchte:»Es ist Lockhart, Sir! Er sprang uber Bord, ehe ich ihn aufhalten konnte.»
        Tyrell murmelte:»Ein guter Seemann. Machte niemals Schwierigkeiten. Ich kenne ihn gut.»
        Bolitho betrachtete den Schwimmer.»Ein Einheimischer?»

«Aye. Er kam vor einigen Jahren aus Newhaven. Jetzt hat er es getan, der arme Teufel. «Es lag kein Arger in Tyrells Stimme, hochstens Mitleid.
        Bolitho horte, wie die Manner in seiner Nahe ihre Vermutungen uber die Chancen des Schwimmers au?erten. Es war weit zum Land.
        Wahrend seiner Zeit auf See hatte Bolitho viele Deserteure gekannt. Oft hatte er Sympathie fur sie empfunden, auch wenn er ihre Taten fur falsch hielt. Nur wenige meldeten sich freiwillig zum harten Dienst auf einem Schiff des Konigs, vor allem da niemand mit Sicherheit wu?te, ob er seine Heimat wiedersehen wurde. Die Seehafen waren voll von den Zuruckgekehrten: Kruppel und Manner vor der Zeit gealtert. Aber bis jetzt hatte noch niemand einen besseren Weg gefunden, die Flotte zu bemannen. Sobald sie einmal gepre?t waren, akzeptierten die meisten Manner ihr Schicksal, man konnte sich sogar darauf verlassen, da? sie andere mit ahnlichen Methoden dazu bringen wurden. Die alte Seemannsregel:»Wenn ich hier bin, warum nicht auch er?«hatte auf Kriegsschiffen gro?e Bedeutung.
        Dies war aber ein anderer Fall. Der Seemann Lockhart schien nichts Au?ergewohnliches zu sein, ein guter Arbeiter und selten verspatet auf Wache oder Station. Aber die ganze Zeit mu?te er an sein Heimatland gedacht haben, und der Aufenthalt in New York gab ihm den Rest. Auch jetzt, als er sich stetig an einem vor Anker liegenden Zweidecker vorbeiarbeitete, dachte er ohne Zweifel nur an sein Ziel: ein vages Bild von Haus und Familie, oder von Eltern, die fast vergessen hatten, wie er aussah.
        Ein schwacher Knall wehte vom Bug des Zweideckers heruber, und Bolitho sah, wie ein rotberockter Seesoldat schon die zweite Kugel in seine Muskete rammte, fur einen weiteren Schu? auf den einsamen Schwimmer.
        Ein argerliches Gemurmel kam von den Seeleuten der Sparrow.
        Was sie auch von der Desertation des Mannes dachten oder uber den Mann selbst, es hatte nichts mit ihrer Reaktion zu tun. Er war einer der Crew und der Rotrock momentan ein Feind.
        Yule, der Feuerwerker, brummte:»Dieser verdammte Ochse sollte selbst niedergeschossen werden, verfluchter Bastard!«Der Seesoldat scho? nicht mehr, sondern rannte zum Ende seiner kleinen Plattform, um den Schwimmer zu beobachten wie ein Raubvogel, der seiner Beute furs erste genug gegeben hat. Oder so sah es wenigstens aus. Als dann ein Wachboot um das Heck eines anderen Zweideckers herumkam, wu?te Bolitho, warum er sich nicht die Muhe gemacht hatte zu schie?en.
        Das Langboot bewegte sich vorsichtig, die Riemen trieben es durch das glitzernde Wasser wie einen blauen Fisch. Im Heck sah er verschiedene Seesoldaten, auch einen Fahnrich mit Fernglas.
        Yule bemerkte ernst:»Jetzt kann er nicht mehr entkommen. «Tyrell sagte:»Wir haben es nicht mehr in der Hand.»

«Aye.»
        Bolitho fuhlte sich plotzlich elend, die Freude des Briefes war durch die Verzweiflung des Mannes verdorben worden. Niemand, der von einem Schiff des Konigs desertierte, konnte auf Gnade hoffen. Es war zu hoffen, da? er gehangt wurde, besser als durch die ganze Flotte ausgepeitscht zu werden. Es uberlief ihn kalt.
        Wenn er gehangt wurde… Er starrte verzweifelt zum Gro?mast der Sparrow hinauf. Es gab keinen Zweifel daruber, wo die Hinrichtung stattfinden wurde. Sogar Christie mu?te darauf bestehen. Eine Warnung, die alle an Bord und auf den nachstliegenden Schiffen verstehen wurden. Bolitho versuchte, nicht auf das Wachboot zu blicken, wie es auf den kleinen, vorwartsstrebenden Kopf zufuhr.
        Lockharts eigene Freunde, die treuen Seeleute der Sparrow, wurden gezwungen werden, dabei zu sein, wenn ihm die Schlinge um den Hals gelegt wurde, ehe sie, und sie allein, den Befehl erhielten, ihn zur Rah hinaufzuziehen. Nach allem, was sie zusammen ausgehalten hatten, konnte diese ubelkeiterregende Handlung einen Keil zwischen Offiziere und Mannschaft treiben und zerstoren, was sie erreicht hatten.
        Tyrell sagte atemlos:»Sehen Sie, Sir!»
        Bolitho ergriff ein Fernglas und richtete es auf das Wachboot.
        Er konnte gerade noch sehen, wie Lockhart Wasser trat und sich umdrehte, entweder um das Boot oder vielleicht die Sparrow anzusehen. Dann, als die Riemen das Boot zum Stillstand brachten und ein Soldat uber den Vordersteven schon nach dem Haar des Mannes griff, stie? er seine Hande weg und verschwand unter der Oberflache.
        Niemand sprach, und Bolitho bemerkte, da? er den Atem anhielt, vielleicht genauso wie der Mann, der plotzlich verschwunden war.
        Im allgemeinen waren Seeleute schlechte Schwimmer. Vielleicht hatte Lockhart einen Krampf bekommen. Jeden Augenblick wurde er in der Nahe auftauchen, und die Mannschaft des Wachboots wurde ihn an Bord hieven.
        Sekunden, Minuten verstrichen, und dann nahm das Wachboot auf ein Kommando hin wieder seine langsame Patrouille zwischen den verankerten Schiffen auf.
        Bolitho sagte ruhig:»Dafur danke ich Gott. Wenn er schon sterben mu?te, bin ich froh, da? es ohne Gewalt abging.»
        Tyrell sah ihn trube an.»Das stimmt. «Er drehte sich mit plotzlichem Arger zu dem Feuerwerker um.»Mr. Yule! Schaffen Sie diese Gaffer von der Reling weg, oder ich finde eine harte Arbeit fur sie!»
        Er war ungewohnlich verstort, und Bolitho fragte sich, ob er sein eigenes Schicksal mit dem des ertrunkenen Seemannes verglich. Er sagte:»Machen Sie einen Eintrag ins Logbuch, Mr. Tyrell.»

«Sir?«Tyrell sah ihn grimmig an.»Als Deserteur?»
        Bolitho sah an ihm vorbei auf die Seeleute, die wieder zum Geschutzdeck gingen.

«Wir wissen nicht sicher, da? er desertieren wollte. Tragen Sie ihn als tot ein.
«Er ging zum Niedergang.»Seine Verwandten mussen schon genug ertragen ohne die zusatzliche Schande.»
        Tyrell sah ihn weggehen, sein Atem wurde langsam wieder normal. Es wurde Lockhart nichts nutzen. Er war au?erhalb jeder Reichweite. Aber Bolithos Befehl wurde gewahrleisten, da? sein Name nicht befleckt war, sein Verlust wurde eingetragen werden bei denen, die in der Schlacht gefallen waren, in Kampfen, an denen er selbst auch ohne Klage teilgenommen hatte. Es war nur ein kleiner Unterschied. Aber trotzdem wu?te er, da? nur Bolitho daran gedacht hatte.
        Als Bolitho aus seiner Gig kletterte, war er erstaunt, eine hubsch bemalte Kutsche vorzufinden, die an der Pier auf ihn wartete. Ein livrierter Neger nahm seinen Dreispitz ab und verbeugte sich tief.

«Guten Abend, Sir. «Er offnete die Kutschenture mit einer einladenden Bewegung, wahrend Stockdale und die Mannschaft der Gig in schweigender Bewunderung zusahen.
        Bolitho hielt inne.»Warte nicht, Stockdale. Ich werde mit einem Mietboot zum Schiff zuruckkommen.»
        Er war in gehobener Stimmung und sich sehr wohl der beobachtenden Leute auf der Stra?e oberhalb der Pier bewu?t, eines neidischen Blickes von einem vorubergehenden Major der Seesoldaten. Stockdale fa?te an seinen Hut.»Wenn Sie es sagen, Sir. Ich konnte mit Ihnen kommen…»

«Nein. Ich werde euch morgen voll brauchen. «Er kam sich plotzlich rucksichtslos vor und zog eine Munze aus der Tasche.»Hier, kauf etwas Grog fur die Mannschaft der Gig. Aber nicht zuviel - aus Grunden der Sicherheit!»
        Er kletterte in die Kutsche und sank in die blauen Kissen zuruck, als die Pferde mit einem Ruck zu ziehen begannen.
        Mit dem Hut auf den Knien sah er die voruberhuschenden Hauser und Menschen an, Stockdale und das Schiff waren fur den Augenblick vergessen. Einmal, als der Kutscher in die Zugel griff, um einen schweren Wagen vorbeizulassen, horte er das weit entfernte Gerausch von Kanonendonner. Trotzdem war es schwierig, das ferne Geschutzfeuer mit den hellerleuchteten Hausern, den Liedfetzen aus den Tavernen in Verbindung zu bringen. Vielleicht probierte eine Abteilung der Armee ihre Geschutze aus. Aber viel wahrscheinlicher war ein nervoses Duell zwischen zwei Vorposten.
        Es dauerte nicht lange, bis sie das Haus erreichten, und als Bolitho aus der Kutsche stieg, bemerkte er, da? auch andere Gaste ankamen. Er schalt sich wieder einen Narren, weil er sich vorgestellt hatte, da? er heute abend allein empfangen wurde.
        Diener glitten aus dem Schatten, und wie durch Zauberei waren sein Hut und sein Bootsmantel verschwunden.
        Ein Dienstmann offnete einige Turen und kundigte an:»Kapitan Richard Bolitho vom Schiff Seiner Majestat Sparrow.»
        Was fur ein Unterschied zum Empfang, dachte er. Als er in den schonen hohen Raum eintrat, war er sich des mit einem Hauch von Luxus und Intimitat gemischten Komforts bewu?t, der vorher gefehlt hatte.
        Am Ende des Raumes lie? General Sir James Blundell ihn schweigend herankommen und sagte dann rauh:»Ein unerwarteter Gast, Bolitho. «Seine schweren Zuge entspannten sich etwas.»Meine Nichte sagte mir, da? Sie kommen wurden. «Er streckte die Hand aus.»Sie sind hier willkommen.»
        Der General hatte sich sehr wenig verandert. Vielleicht war er etwas schwerer geworden, aber sonst der Alte. In einer Hand hielt er ein Brandyglas, und Bolitho erinnerte sich an seinen Aufenthalt an Bord der Sparrow, an seine offensichtliche Verachtung fur die Manner, die ihn in Sicherheit gebracht hatten.
        Etwas von ihrem ersten Zusammentreffen mu?te unter seinen Freunden bekannt geworden sein, denn erst nach Blundells Begru?ung wurde der Raum wieder lebendig, fullte sich mit Gelachter und Unterhaltung. Es schien, als ob sie alle abgewartet hatten, wie Blundell reagieren wurde. Bolithos eigene Gefuhle waren naturlich unwichtig. Man konnte ihm jederzeit bedeuten, wieder zu gehen.
        Bolitho fuhlte Susannahs Hand auf seinem Arm, und als er sich umdrehte, sah er sie zu sich aufblicken und lacheln. Mit einem Nicken zu ihrem Onkel fuhrte sie ihn auf die andere Seite des Raumes, die Gaste wichen vor ihr zuruck wie vor einer koniglichen Hoheit.
        Sie sagte:»Ich habe Sie heute an Bord gesehen. Danke, da? Sie gekommen sind. «Sie klopfte ihm auf die Armelaufschlage.»Ich finde, Sie waren eben wunderbar. Mein Onkel kann sehr schwierig sein.»
        Er erwiderte ihr Lacheln.»Ich kann das verstehen. Er hat schlie?lich meinetwegen viel Beute verloren.»
        Sie runzelte die Nase.»Ich bin sicher, da? er sich durch eine Ruckversicherung wieder gesundgesto?en hat. «Sie winkte einem Diener.»Etwas Wein vor dem Essen?»

«Danke. «Er sah einige Offiziere, meist von der Armee, ihn angestrengt beobachten. Neid, Arger, Neugier, alles lag in ihren Blicken.
        Sie sagte:»Sir James ist jetzt Generaladjutant. Ich kam mit ihm hierher. «Sie blickte in sein Gesicht, als er an dem Wein nippte.»Ich bin froh, da? ich gekommen bin. Ganz England trauert wegen des Krieges.»
        Bolitho ri? seine Gedanken von dem los, was sie uber ihren Onkel gesagt hatte. Schon Christie hatte verletzend uber den Gouverneur und seinen Assistenten gesprochen. Wenn Blundell in die Stadtverwaltung eingriff, dann gab es wenig Hoffnung auf Besserung.
        Als das Madchen sich umdrehte, um einen wei?haarigen Herrn und seine Dame zu begru?en, verschlang er es mit den Augen, als ob er es zum letztenmal sahe: Die gekrummte Linie ihres Nackens, als sie sich vor den Gasten verbeugte, die Art, wie ihr Haar uber die entblo?ten Schultern zu flie?en schien. Es war sehr schones Haar, goldbraun wie der Flugel einer jungen Drossel.
        Er lachelte unsicher, als sie zu ihm aufblickte.

«Wirklich, Kapitan! Sie bringen ein Madchen in Verlegenheit, so wie sie schauen! Sie lachte.»Ich nehme an, ihr Seeleute seid so lange von der Zivilisation weg, da? ihr euch nicht beherrschen konnt. «Sie nahm seinen Arm.»Qualen Sie sich nicht. Man mu? das nicht so ernst nehmen. Ich mu? Sie wirklich lehren zu akzeptieren, was vorhanden ist, und sich an dem zu freuen, was Ihnen zusteht.»

«Verzeihung. Sie haben wahrscheinlich recht, was mich betrifft. «Er blickte auf den Marmorfu?boden und grinste.»Auf See stehe ich sicher. Hier habe ich das Gefuhl, als ob das Deck sich bewegt.»
        Sie trat zuruck und sah ihn forschend an.»Nun, ich werde sehen, was sich da tun la?t. «Sie fachelte ihr Gesicht mit einem schmalen Facher.»Jedermann spricht uber Sie, wie Sie diesem schrecklichen Kriegsgericht in die Augen sahen und Narren aus ihnen gemacht haben.»

«Ganz so war es nicht.»
        Sie ignorierte ihn.»Naturlich wird davon nichts erwahnt. Einige haben wahrscheinlich Angst, da? Sie sich in einen blutdurstigen Seewolf verwandeln!«Sie lachte frohlich.»Andere sehen in Ihrem Erfolg etwas von ihrem eigenen Mi?erfolg.»
        Ein Dienstmann flusterte mit dem General, und sie fugte schnell hinzu:»Ich mu? Sie nun zum Abendessen sich selbst uberlassen. Ich bin heute Gastgeberin.»
        Er sagte:»Oh, ich dachte…«Um seine Verwirrung zu verbergen, fragte er:»Ist Lady Blundell nicht auch hier?»

«Sie blieb in England. Die Gewohnheiten meines Onkels sind die eines Soldaten. Ich glaube, sie ist zufrieden, wenn sie nichts damit zu tun hat. «Wieder ergriff sie seinen Arm.»Schauen Sie nicht so traurig. Ich werde Sie spater wiedersehen. Wir mussen uber Ihre Zukunft sprechen. Ich kenne Leute, die Ihnen helfen konnen, Sie dahin bringen, wo Sie zu stehen verdienen, anstatt…«Sie sprach nicht zu Ende.
        Ein Gong ertonte, und ein Diener kundigte an:»Meine Lords, verehrte Damen und Herren, es ist angerichtet.»
        Sie folgten dem General und seiner Nichte in einen noch gro?eren Raum; Bolitho bekam als Tischdame eine dunkelhaarige kleine Frau, offensichtlich die Frau eines abwesenden Stabsoffiziers. Mit etwas wie Bedauern dachte Bolitho, da? er sie wohl fur den Rest des Abends auf dem Hals haben wurde.
        Das Dinner pa?te zu dem Raum. Jeder Gang war umfangreicher, noch ausgefallener zubereitet als der vorhergehende. Sein Magen hatte sich schon lange an die schmale Schiffskost gewohnt und die verschiedenen Anstrengungen vieler Schiffskoche. Sonst schien jedoch niemand Schwierigkeiten zu haben, und er konnte sich nur wundern, wie sich die Teller leerten, ohne da? eine Unterbrechung in der Unterhaltung eintrat. Viele Toasts wurden ausgebracht, mit Weinen, die so verschieden waren wie die Anlasse, sie zu trinken. Nach dem Toast auf Konig George kamen alle ublichen: Tod den Franzosen. Verwirrung unseren Feinden. Verflucht sei Washington. Je langer der Wein flo?, desto bedeutungsloser und unzusammenhangender wurden sie.
        Die Tischdame Bolithos lie? ihren Facher fallen, und als er sich buckte, um ihn zu holen, fa?te sie unter das Tischtuch, ergriff sein Handgelenk und hielt es einige Sekunden gegen ihren Schenkel gepre?t. Es kam ihm wie eine Stunde vor, und er dachte, da? jeder am Tisch ihn beobachte. Aber sie war die einzige, und in ihrem Gesicht stand solche Begierde, da? er fast fuhlen konnte, wie sie die Beherrschung verlor.
        Er gab den Facher zuruck und sagte:»Langsam, Madame, es gibt noch einige Gange.»
        Sie starrte ihn mit offenem Mund an, dann lachelte sie verschworerisch.»Was fur ein Geschenk, einen richtigen Mann zu finden!»
        Bolitho zwang sich, noch einmal eine Portion Huhn zu nehmen, wenn auch nur, um sein Gleichgewicht wiederzufinden. Er konnte spuren, wie sie das Knie an sein Bein pre?te, und es war ihm bewu?t, da? sie, wenn sie etwas vom Tisch benotigte, dies uber seinen Arm hinweg holen mu?te. Jedesmal verhielt sie in der Bewegung, so da? ihre Schulter oder ihre Brust ihn fur einige Momente beruhrte.
        Er blickte verzweifelt an der Tafel entlang und sah, da? Susannah ihn beobachtete. Es war schwierig, ihren Ausdruck zu deuten, wenn sie so weit entfernt war. Halb amusiert, halb wachsam. Seine Tischdame sagte beilaufig:»Mein Mann ist viel alter als ich. Er kummert sich mehr um sein verdammtes Buro als um mich. «Sie griff nach Butter und lie? ihre Brust seinen Armel beruhren, wahrend sie ihn anblickte.
        Endlich war die Mahlzeit voruber, und die Manner erhoben sich stuhlescharrend, um ihren Damen zu gestatten, sich zuruckzuziehen. Sogar im letzten Moment fuhrte die Tischdame Bolithos ihren Feldzug fort wie eine Fregatte, die ein anderes Schiff aussticht, das von Anfang an keine Chance hatte. Sie flusterte:»Ich habe hier ein Zimmer. Ich werde einen Diener senden, der Sie hinfuhrt.»
        Als sie vom Tisch wegging, sah er sie stolpern, aber sie fing sich gleich wieder. Er dachte nervos, da? mehr als Wein notig sein wurde, um sie unterzukriegen.
        Die Turen schlossen sich wieder, und die Manner brachten ihre Stuhle naher an das Kopfende des Tisches. Es gab mehr Brandy und schwarze Zigarren, von denen Blundell sagte, sie stammen von» einem verdammten Dreckskerl, der sich um seine Abgaben drucken wollte».

«Wie ich hore, sind Sie nun auf Lokalpatrouille, Bolitho?«Blundells heisere Stimme zwang die anderen Gaste zu gespanntem Schweigen.

«Ja, Sir James. «Bolitho blickte ihn gerade an. Blundell war sehr gut informiert, wenn man in Betracht zog, da? er seine Befehle erst an diesem Vormittag erhalten hatte.

«Gut. Wir brauchen ein paar Kapitane, die den Willen haben, unsere Nachschubwege zu bewachen. «Blundells Gesicht war scharlachrot von dem ausgiebigen Essen.»Ich sage, da? diese verdammten Yankees zu sehr ihren Willen bekommen haben!»
        Zustimmendes Gemurmel erhob sich, und jemand lallte beschwipst:»Das s-stimmt, Sir! Er fuhr unter Blundells schneidendem Blick zusammen.
        Bolitho fragte schnell:»Oberst Foley, Sir - ist er immer noch in Amerika?»

«Er hat ein Bataillon unter Cornwallis. «Blundell schien desinteressiert.»Ist auch der beste Platz fur ihn.»
        Bolitho lie? es zu, da? die Unterhaltung um ihn herumflo? wie ein beschutzender Mantel: Pferdezucht und die Kosten eines Haushalts in New York. Die Affare eines unglucklichen Artilleriehauptmanns, der mit der Frau eines Dragoners im Bett gefunden worden war. Die wachsende Schwierigkeit, guten Brandy zu bekommen, sogar zu Schmugglerpreisen.
        Bolitho dachte an Christies Zusammenfassung. Zwei Armeen, hatte er gesagt. Oberst Foley, ob nun sympathisch oder nicht, war einer von denen, die fur die Sache ihres Vaterlandes kampften und dafur ihr Leben wagten. Um diesen Tisch herum sa? ein gut Teil von der anderen Sorte: verdorben, verwohnt und vollstandig egoistisch.
        Blundell richtete sich muhsam auf.»Wir werden zu den Damen hinubergehen, Gott helfe uns!»
        Als Bolitho auf die verzierte franzosische Uhr blickte, sah er, da? es fast Mitternacht war. Es schien unglaublich, da? die Zeit so schnell vergehen konnte. Aber trotz der spaten Stunde gab es keine Pause. Ein kleines Streichorchester spielte schwungvolle Tanzweisen, und die Gaste drangten sich lachend auf die Musik zu.
        Bolitho ging langsam durch die angrenzenden Raume und hielt nach Susannah Hardwicke Ausschau; wachsam spahte er auch nach seiner Tischdame aus. Als er am Studierzimmer vorbeikam, sah er Blundell, der mit einer Gruppe von Mannern sprach, die meisten wohlhabende Zivilisten. Einer von ihnen, ein gro?er, breitschultriger Mann, stand teilweise im Schatten, aber die eine Halfte seines Gesichts, die im Kerzenlicht zu sehen war, verursachte Bolitho zuerst einen Schock, dann Mitleid. Sie war ganz ausgehohlt, die Haut vom Haaransatz bis zum Kinn weggebrannt, so da? sie aussah wie eine groteske Maske. Er schien Bolithos Blicke auf sich zu fuhlen und drehte ihm nach einem kurzen Aufschauen den Rucken, verbarg sich im Schatten.
        Es war kein Wunder, da? er nicht mit den anderen am Abendessen teilgenommen hatte. Man konnte sich vorstellen, was fur eine Pein ihm diese Entstellung bereitete.

«Hier sind Sie ja!«Susannah kam aus einem anderen Raum und legte ihm die Hand auf den Arm.»Bringen Sie mich in den Garten.»
        Sie gingen schweigend, und er fuhlte ihr Kleid an seinen Beinen entlangschwingen, die Warme ihres Korpers.

«Sie waren wunderbar, Kapitan. «Sie hielt inne und sah ihn an, ihre Augen leuchteten.»Diese arme Frau. Einen Augenblick lang dachte ich, Sie wurden auf sie hereinfallen.»

«Oh, Sie haben es gesehen?«Bolitho fuhlte sich unbehaglich.

«Ja. «Sie fuhrte ihn in den Garten.»Ich habe sie heimgeschickt. «Sie lachte, der Klang lief durch die Busche wie ein Echo.»Ich kann ja nicht gestatten, da? sie sich bei meinem Kapitan einmischt, nicht wahr?»

«Hoffentlich waren Sie nicht zu streng mit ihr.»

«Nun, sie ist tatsachlich in Tranen ausgebrochen. Es war ziemlich jammerlich. «Sie drehte sich in seinem Arm, ihr weites Kleid breitete sich hinter ihr wie blasses Gold aus.»Ich mu? Sie jetzt verlassen, Kapitan.»

«Aber. Ich dachte, wir wurden uns unterhalten?»

«Spater. «Sie blickte ihn ernst an.»Ich habe Plane fur Ihre Zukunft, wie ich Ihnen schon sagte.»

«Ich mu? morgen Anker lichten. «Er fuhlte sich unglucklich, hilflos.

«Das wei? ich doch, Sie Dummer!«Sie beruhrte seine Lippen.»Runzeln Sie nicht die Stirn, ich erlaube es nicht. Wenn Sie zuruckkommen, werde ich Sie mit einigen meiner Freunde bekanntmachen. Sie werden es nicht bedauern. «Ihre behandschuhten Finger strichen sanft uber seine Wange.»Und ich bestimmt auch nicht.»
        Ein Diener erschien im Halbschatten.»Der Wagen ist bereit, Missy.»
        Sie nickte. Zu Bolitho sagte sie:»Wenn Sie gegangen sind, werde ich versuchen, diese langweiligen Leute aus dem Haus zu vertreiben. «Sie hob den Kopf und blickte ihn ruhig an.»Sie durfen meine Schulter kussen, wenn Sie wunschen.»
        Ihre Haut war uberraschend kuhl und so weich wie ein Pfirsich. Sie ri? sich von ihm los und rief:»Seien Sie brav, Kapitan, und passen Sie gut auf sich auf. Wenn Sie zuruckkommen, werde ich hier sein. «Dann rannte sie leichtfu?ig und lachend uber die Terrasse ins Haus.
        Die Kutsche wartete auf ihn, als er benommen durch den schattigen Garten zur Auffahrt ging. Sein Hut und Mantel lagen auf dem Sitz, und am Kutschkasten war eine gro?e Holzkiste festgemacht.
        Die Zahne des Dieners leuchteten wei? im Dammerlicht.»Missy Susannah hat fur Sie in der Kuche etwas zu essen zusammenpacken lassen, Sir. «Er kicherte.»Nur das Allerbeste, hat sie gesagt.»
        Bolitho kletterte in die Kutsche und sank in die Kissen. Er konnte immer noch ihre Haut an seinem Mund fuhlen, ihr Haar riechen, ein Madchen, das einen Mann verruckt machen konnte, auch wenn er es nicht schon halbwegs war. Am Ende des Piers fand er einen Ruderer, der uber seinen Riemen eingenickt war; er mu?te einige Male rufen, bis er ihn bemerkte.

«Welches Schiff, Sir?»

«Sparrow.»
        Nur den Namen auszusprechen, half ihm schon, seine rasenden Gedanken zu beruhigen. Bevor er in den Kahn stieg, blickte er sich nochmals nach der Kutsche um, aber sie war schon verschwunden. Als ware sie Teil eines Traumes.
        Der Ruderer murmelte vor sich hin, als er die schwere Kiste die Treppen hinunterhievte. Nicht laut genug, um einen Kapitan zu erzurnen, aber doch laut genug, um sein Trinkgeld deutlich zu erhohen.
        Bolitho wickelte sich in seinen Mantel und fuhlte die kuhle Seebrise auf seinem Gesicht. Noch immer West. Es wurde gut sein, auszulaufen, wenn auch nur, um zu sich selbst zu finden und seine Hoffnungen fur die Zukunft zu prufen.



        Auffallende Ahnlichkeit

        Der Auftrag der Sparrow, die Starke der franzosischen Flotte in Newport zu erkunden, erwies sich als schwieriger, als Bolitho erwartet hatte.
        Die Fahrt von Sandy Hook zu den ostlichen Auslaufern von Long Island verlief reibungslos und versprach eine rasche Ruckkehr. Aber das Wetter entschied anders, und in einem wilden Weststurm wurde die kleine Korvette standig hin- und hergeschleudert, so da? Bolitho lieber den Sturm abritt, als Schaden an Rahen und Leinwand zu riskieren.
        Als der Wind nachlie?, dauerte es dann viele Tage, wieder zuruckzusegeln; es verging kaum eine Stunde ohne die Notwendigkeit, die Segel zu reffen oder das Schiff auf einen Kurs zu bringen, der es eher von seinem Ziel entfernte, anstatt es ihm naher zu bringen.
        Die Vergnugungen New Yorks schienen lange her zu sein, und Bolitho fand, da? die Wirklichkeit mehr als genugte, um seine Energie zu beschaftigen. Trotzdem fand er noch Zeit, an Susannah Hardwicke zu denken. Wenn er mit im Wind flatterndem Haar uber Deck schritt, das Hemd von Gischt durchweicht, erinnerte er sich an ihren Abschied, die Andeutung einer Umarmung, genauso klar, als ob es sich soeben ereignet hatte.
        Er nahm an, da? seine Offiziere errieten, was sich in New York ereignet hatte, weil sie sorgfaltig schwiegen.
        Die Plackerei gegen den Wind und die standigen Anforderungen an jeden Mann wurden teilweise durch die Gegenwart ihres Passagiers erleichtert. Getreu seinem Wort, war Rupert Majendie kurz vor dem Ankerlichten samt seinen Mal- und Zeichenutensilien an Bord erschienen, und mit einem Repertoire an Geschichten, das seinen Unterhalt an Bord mehr als wert war. Wenn See und Wind sich etwas beruhigten, sah man ihn mit seinem Zeichenblock die Seeleute bei ihrer taglichen Arbeit oder in ihrer Freiwache skizzieren, wenn sie tanzten, kleine Modelle oder andere Schnitzereien machten. War das Wetter weniger freundlich, so verschwand er unter Deck und fand beim Licht einer schwankenden Laterne Arbeit mit Pinsel und Bleistift. Er und Dalkeith waren gute Freunde geworden, was kaum verwunderlich war. Jeder von ihnen kam aus einer anderen Sphare von Kultur und Intelligenz, und sie konnten viel mehr bereden als der normale Seemann.
        Nach drei langen Wochen beschlo? Bolitho, nicht langer zu warten. Er rief Tyrell in die Kajute und rollte seine Seekarte auf.

«Wir werden morgen bei Tagesanbruch zur Kuste segeln, Jethro. Der Wind ist noch immer stark, aber ich sehe keine andere Moglichkeit.»
        Tyrell lie? die Augen uber die Karte wandern. Die Anfahrt nach Rhode Island war bei anhaltendem Westwind immer ein Problem. In einen Sturm zu geraten, konnte erneutes Abdriften nach Osten bedeuten, und wenn sie einmal in den Klammern des Festlandes und Newports selbst waren, dann blieb wenig Raum fur Segelmanover. Unter normalen Umstanden erforderte es schon Geduld und Verstand. Da aber die Franzosen die Kontrolle uber das Gebiet hatten, war es vollig tollkuhn.
        Als ob er seine Gedanken lesen konnte, sagte Bolitho ruhig:

«Ich mochte naturlich nicht an eine Leekuste geraten. Wenn wir aber hier auf offener See bleiben, konnen wir genausogut zugeben, da? unsere Mission ein Fehlschlag war.»

«Aye. «Tyrell streckte sich.»Ich bezweifle sowieso, da? die Franzosen viele Schiffe haben. Sie verlassen sich auf ihre Batterien, um sich zu verteidigen.»
        Bolitho lachelte, etwas Spannung wich aus seinem Gesicht.»Gut. Geben Sie die Befehle. Ich mochte morgen die allerbesten Leute im Ausguck haben.»
        Aber entsprechend Buckles dusterer Vorahnung war der nachste Morgen eine Enttauschung. Der Himmel war bewolkt, und der Wind, der die Topsegel wild krachen lie?, zeigte nahen Regen an. Und doch war die Luft so schwul und druckend, da? die Toppsgasten stohnten, als sie zum Kurswechsel auf ihre Stationen gingen. Der willkommene Aufenthalt im Hafen, gefolgt von der nervosen Unsicherheit, von der Laune des Windes hierhin und dorthin geworfen zu werden, dies alles forderte seinen Tribut. Viele Fluche wurden laut, und die Maaten mu?ten einige Schlage austeilen, ehe sich die Sparrow auf Backbordkurs legte; ihr Bugspriet zeigte wieder einmal auf die Kuste zu.
        Ein grauer Tag. Bolitho griff in die Luvwanten und wischte sich die Stirn mit dem Hemdsarmel ab. Seine Haut und seine Kleider waren tropfna?, sowohl von Schwei? als auch von fliegender Gischt.
        Nur Majendie schien es zufrieden zu sein, an Deck zu bleiben. Sein Bleistift fuhr geschaftig uber das Papier, sein dunner Korper und der vorstehende Bart tropften vor Feuchtigkeit.

«Land in Luv!»
        Bolitho versuchte, seine Befriedigung und Erleichterung nicht zu zeigen. Bei der schlechten Sicht und dem starken Wind konnte man sich nicht zu sehr auf Berechnungen verlassen. Er schaute zum Gro?mastwimpel hinauf. Der Wind war etwas starker geworden. Er starrte den Wimpel an, bis seine Augen tranten. Kein Zweifel. Gut fur eine stetige Annaherung, aber nicht so beruhigend, wenn man umdrehen und schnell weg mu?te.»Gehen Sie einen Strich hoher, Mr. Buckle.«»Aye, aye, Sir.»
        Buckle wischte sich das Gesicht mit einem Taschentuch ab, ehe er seine Befehle weitergab. Er war sich wohl uber die Schwierigkeiten im klaren, dachte Bolitho. Es wurde zu nichts fuhren, ihn noch weiter zu beunruhigen.
        Zu Majendie sagte er:»Hoffentlich bringen Sie alles zu Papier. Sie werden ein Vermogen machen, wenn Sie nach England zuruckkehren.»
        Buckle schrie:»Nord-Nordost, Sir! Kurs liegt an!»

«Sehr gut. Kurs halten.»
        Bolitho ging ein paar Schritte und dachte an das Madchen in New York. Was hatte sie jetzt von ihm gehalten? Zerknittert und durchna?t bis auf die Haut, sein Hemd mehr Flicken als Stoff. Er lachelte vor sich hin und bemerkte Majendies Bleistift nicht, der seine Stimmung festhielt.
        Tyrell hinkte auf Deck und kam zu ihm an die Wanten.»Ich schatze, da? Newport ungefahr funf Meilen steuerbord voraus liegt. «Er blickte erstaunt auf, als ein Strahl wa?rigen Sonnenlichts auf dem Rumpf spielte.»Teufel, in diesen Gewassern wei? man nie, woran man ist.»

«Wahrschau an Deck! Schiffe vor Anker in Nordost!»
        Tyrell rieb sich die Hande.»Vielleicht stellen die Franzosen einen Konvoi zusammen. Unsere Schwadron kann sie schnappen, wenn wir es schnell genug melden.»
        Der Ausguck schrie wieder:»Sechs, nein, acht Linienschiffe, Sir!»
        Graves stolperte von der Reling, als die Sparrow in ein tiefes Wellental schlingerte.»Der Mann ist verruckt!«Er spuckte, als Gischt wie Hagel uber die Wanten hereinbrach und sich uber ihn ergo?.»Hochstens ein paar Fregatten, wenn Sie mich fragen!»
        Bolitho versuchte, das Gemurmel von Spekulation und Zweifel um sich herum zu ignorieren. Es war wohlbekannt, da? de Grasse eine machtige Flotte in den West Indies hatte. Sein Untergebener de Barras war Kommandeur in Newport, hatte aber keine solche Flottenstarke. Seine Starke lag in Fregatten und kleineren Schiffen und in schnellen Ausfallen gegen den englischen Kustenhandel. De Barras hatte einen Versuch gemacht, die New Yorker Streitkrafte vor Cape Henry anzugreifen, aber die Aktion war erfolglos gewesen. Er war auf seine Verteidigungslinie zuruckgegangen und dort geblieben.
        Er sagte:»Hinauf mit Ihnen, Mr. Graves. Und melden Sie, was Sie sehen!»
        Graves eilte zu den Wanten und murmelte:»Dieser Verruckte! Es konnen keine Linienschiffe sein. Unmoglich.»
        Bolitho starrte ihm nach. Graves benahm sich sehr seltsam. Es war, als ob er sich vor dem furchtete, was er entdecken konnte. Furcht? Nein, das schien unwahrscheinlich. Er war lange genug an Bord, um die Risiken und Belohnungen des Spiels zu kennen.

«Wahrschau an Deck!«Es war ein anderer Seemann, der hoch uber der Besanrah hing. Segel backbords»!

«Verdammt!«Tyrell griff schnell nach einem Fernrohr und hastete damit zur Heckreling.
        Dunst und Gischt, die Sicht durch die trunkene Bewegung der Sparrow noch verschlechtert - es dauerte einige Zeit, den Neuankommling zu finden.
        Tyrell sagte hastig:»Fregatte, kein Zweifel, Sir.»
        Bolitho nickte. Das andere Schiff hielt sich nahe an der Kuste, kam gerade um die Landzunge, jedes verfugbare Segel in den Wind gesetzt.
        Buckle klatschte in die Hande.»Klar zum Wenden!»

«Nein!«Bolithos Stimme bannte den Steuermann.»Wir sind jetzt so weit gekommen, nun wollen wir auch sehen, was es zu sehen gibt, und dann wenden.»
        Graves sprang mit einem Ruck von den Wanten an Deck, das Hemd vom schnellen Abstieg zerrissen. Er sagte atemlos:»Er hatte recht, Sir. Acht Linienschiffe. Vielleicht zwei Fregatten, und ein ganzer Schwarm von Versorgungsschiffen ganz in der Nahe verankert.»
        Bolitho dachte an sein Gesprach mit Farr in Sandy Hook, seine eigene Reaktion, als er die englischen Zweidecker in der Nahe sah. Sie warten, hatte er gedacht, aber auf was? Machten es die Franzosen etwa ebenso?
        Tyrell sagte:»Es konnen keine von de Grasses Schiffen sein, Sir. Unsere Patrouillen, auch wenn sie blind gewesen waren, hatten sie gesehen.»
        Bolitho begegnete seinem Blick.»Das glaube ich auch. Es ist eine Versammlung, zu irgendeinem Zweck. Wir mussen sofort den Admiral benachrichtigen.»
        Buckle rief:»Die Fregatte holt schnell auf, Sir. Meiner Meinung nach nur noch drei Meilen.»
        Bolitho nickte.»Sehr gut. Hei?en Sie die franzosische Flagge, und bereiten Sie die Wende vor.»
        Die Flagge wurde langsam an der Gaffel hochgezogen und sofort von einem Kanonenschu? aus dem Vorschiff der Fregatte begru?t.
        Bolitho lachelte grimmig.»Sie la?t sich nicht tauschen. Zeigen Sie bitte unsere eigene Flagge.»
        Buckle kam zu Bolitho heruber, das Gesicht vor Kummer verzogen.»Ich glaube, wir sollten schleunigst halsen, Sir. Der Franzose wird hier sein, ehe wir uns versehen.»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Wir wurden zuviel Zeit verlieren. Die Fregatte konnte uns den ganzen Weg nach Nantucket jagen oder uns auf Grund laufen lassen. «Er drehte sich zu Graves um.»Lassen Sie die Buggeschutze klarmachen. Laden, aber nicht ausrennen. «Er fa?te ihn am Unterarm, da er sah, wie beunruhigt Graves blickte.»Los, Mann! Sonst ist der Franzose zum Grog an Bord!»
        Manner trampelten wild auf ihre Stationen, einige verhielten, um uber die Wanten nach dem anderen Schiff auszuschauen, das absichtsvoll auf Backbord zuhielt. Es war jetzt schon viel naher, aber in der aufspruhenden Gischt konnte man seinen Bug kaum erkennen. Nur die geblahten Gro?- und Topsegel lie?en erkennen, da? sein Kapitan auf eine Schlacht brannte.»Fertig!«Bolitho stemmte die Hande in die Huften, als er zu dem schlagenden Stander hinaufsah.»Klar am Achterdeck!»

«Ruder legen!«Er fuhlte, wie das Deck unter ihm bockte, und uberlegte sich, wie die Sparrow wohl dem Feind vorkommen mochte. Floh sie, oder machte sie sich zum Gefecht fertig? Er wurde fast zu Boden gerissen, als sich das Schiff durch die Gewalt der Segel und des Ruders noch weiter auf die Seite legte.

«Ruder ist gelegt, Sir!«Buckle warf sein ganzes Gewicht mit in das Steuerrad.
        Die Marssegel flatterten wie verruckt, die Rahen bogen sich im Widerstreit zwischen den Brassen und der geblahten Leinwand; es war ein Bild der Verwirrung, als die Sparrow sich trage auf die Seite legte. Die See brauste uber die Back. Manner fielen fluchend und strampelnd um, einige wurden sogar wie Leichen in die Speigatten gewaschen.
        Majendie klammerte sich an die Wanten, sein Zeichenblock war schon ganz durchtrankt, seine Augen starrten fasziniert auf das wilde Wendemanover der Korvette.
        Uber dem Hexenkessel erhob sich Tyrells Stimme wie eine Trompete.»An die Brassen! Holt dicht! Bootsmann, heute werden wir's ihnen zeigen!»
        Bolitho versuchte, der Qual seines Schiffes nicht zuzuschauen, sondern konzentrierte sich statt dessen auf die Fregatte. Als die Sparrow herumschwang und auf ihrem neuen Kurs das Wasser pflugte - die nassen Segel druckten sie so hinunter, da? die Laufplanken in Lee uberspult wurden -, sah er die Topmasten des Feindes jetzt plotzlich an Steuerbord auftauchen. Kaum eine Meile Zwischenraum, aber die Wende hatte den gewunschten Erfolg gehabt. Anstatt in aller Ruhe auf der Backbordseite der Sparrow naherzukommen, lag sie nun auf entgegengesetztem Bug und einem gefahrlich konvergierenden Kurs.

«Steuerbordgeschutz!«Bolitho mu?te seinen Befehl wiederholen, ehe der junge Fowler ihn horte und nach vorne hastete, um Graves zu finden.
        Er schrie Tyrell zu:»Wir mussen sie glauben machen, da? wir kampfen wollen!»
        Von vorne horte er schwach das Quietschen der Taljen, als die Geschutzmannschaft den Zweiunddrei?igpfunder zu seiner Pforte holte. Es wurde nicht leicht fur sie sein, da das Schiff sehr krangte.»Feuer!»
        Rauch stieg uber dem Vorschiff auf, als das Buggeschutz seine Drohung an den Feind hinausbrullte.
        Niemand horte einen Aufschlag, und bei einem solchen Winkel war es auch wahrscheinlich, da? die Kugel uber das Schiff hinausgeflogen war.
        Bolitho fuhlte, wie sich seine Lippen zu einem Grinsen verzogen. Die feindliche Fock wurde eingeholt, die Bramsegel verschwanden wie durch Geisterhand, als man druben die Segel reffte, um mit der vorwitzigen Sparrow zu kampfen.

«Feuer!»
        Das Geschutz spie die schwere Kugel in die Verwirrung von See und treibendem Schaum.
        Bolitho blickte Buckle an.»Feuer einstellen!«Er ging hinuber zur Reling und beruhrte Tyrells Arm.»Lassen Sie das Focksegel setzen! Toppsgasten aufentern und die Topsegel losmachen! Wir mussen jetzt klug handeln!»
        Als das gro?e Focksegel schlug und sich dann im Wind blahte, fuhlte Bolitho, wie der Rumpf sich darauf einstellte und dem Druck standhielt. Uber dem Deck waren die Toppsgasten damit beschaftigt, die Bramsegel loszumachen, so da? der Gro?mast bald aussah wie ein im Sturm gebeugter Baum.
        Als sich Bolitho wieder zu der franzosischen Fregatte umdrehte, sah er, da? sein Plan gelungen war. Sie versuchte, ihr Focksegel wieder zu setzen, aber die Verzogerung, um ihre Breitseite zu zeigen, war sie teuer zu stehen gekommen. Sie pflugte ungefahr drei Kabellangen entfernt achtern von der Sparrow durch die See.
        Wenn sie wieder Kontrolle uber ihre Segel und den Kurs haben wurde, mu?te sie weit abgefallen sein. Sparrows plotzliches Manover hatte ihr au?erdem einen Windnachteil gebracht.
        Die Breitseite der Fregatte spuckte noch eine Reihe Blitze aus, Kugeln schlugen in der Nahe ein, obwohl es wegen der starken Schaumkronen schwierig war, sie von Gischt zu unterscheiden. Oben zischte eine Kugel durch die Masten, und ein Seemann fiel vom Gro?mast, schlug langsseits ins Wasser, ohne wieder hochzukommen.
        Majendie sagte heiser:»Der arme Kerl! Gott sei seiner Seele gnadig!»
        Bolitho nickte.»Aye. Das war Pech.»
        Er starrte zum Geschutzdeck, wo seine Manner wie die Teufel arbeiteten, um die Rahen wieder zu trimmen und die Fallen zu sichern, die vom Dunst verzogen waren. Kaum einer von ihnen hatte aufgesehen, als der Mann fiel. Vielleicht wurden sie spater trauern. Aber vielleicht waren sie auch wie er dankbar, da? die Sparrow auf ihre Anstrengungen reagiert hatte, nicht widerstanden hatte, als sie sie in den Wind brachten und dadurch riskierten, da? sie entmastet wurde und verstummelt als leichte Beute vor den Geschutzen des Feindes lag.

«Steuern Sie genau Sud, Mr. Buckle. Wir wollen erst Raum gewinnen, bevor wir versuchen, zu halsen.»
        Buckle blickte zuruck. Die Fregatte holte auf, aber ihrem ursprunglichen Angriff war die Spitze genommen.

«Da fahrt er, Gott lasse ihn verfaulen!«Buckle grinste seinen Rudergangern zu.»Er hat wohl gedacht, wir ergeben uns kampflos?»
        Majendie beobachtete Bolithos angestrengtes Gesicht.»Viele hatten es getan, Kapitan. Sogar eine Landratte wie ich wei?, da? Sie in der viel schlechteren Position waren.»
        Bolitho zwang sich zu einem Lacheln.»Aber wir haben nicht gekampft, mein Freund.
«Er schaute kurz zuruck.»Diesmal nicht. «Er verscheuchte das Bild des sturzenden Toppsgasten aus seinen Gedanken. Hoffentlich war er sofort tot gewesen. Denn zu sehen, wie sein Schiff ohne ihn weitersegelte, hatte seine letzten Augenblicke zu einer noch gro?eren Qual gemacht als der Tod selbst.

«Holen Sie jetzt Mr. Graves und die Ausguckleute. Wir wollen alle unsere Informationen zusammentragen. «Er packte Majendies Arm, als ein Ruck beim Eintauchen in ein gro?es Wellental ihn fast die Achterdecksleiter hinuntergeschleudert hatte.»Ruhig bleiben! Ich mochte, da? Sie fur den Admiral noch ein paar Zeichnungen machen. Dies scheint zur Zeit modern zu sein.»
        Als Bolitho schlie?lich mit dem Kurs und der Segelstellung der Sparrow zufrieden war, ging er nach hinten und hielt nach Land Ausschau. Aber es war nichts zu sehen; er nahm an, da? Regen das Festland und die Fregatte verbarg, die sie fast in einer Falle gefangen hatte.
        Er streifte sein Hemd ab und rieb sich Nacken und Brust damit trocken. Majendie beobachtete ihn und augte traurig auf seinen durchweichten Block. Dies, dachte er, ware die beste Skizze von allen geworden.
        Bolitho las nochmals sorgfaltig seinen Bericht und steckte ihn dann in einen Umschlag. Stockdale stand neben dem Tisch mit Kerze und Wachs zum Siegeln, nun, da es nichts mehr hinzuzufugen gab.
        Bolitho lehnte sich zuruck und streckte die Arme. Zwei ganze Tage lang hatten sie sich nach Sudwesten gekampft, hatten das Land aus der Sicht verloren, nur darauf aus, den Wind auszunutzen. Sie kreuzten stundenlang, um in Wirklichkeit nur ein paar Meilen vorwartszukommen. Es war fur alle harte Arbeit gewesen, aber jetzt konnte die Sparrow Kurs auf das Festland nehmen. Wenn sie Gluck hatten, konnten sie morgen in Sandy Hook vor Anker gehen. Er schaute auf das offene Logbuch und lachelte. Es war ernuchternd, sich klarzumachen, da? er in der Zeit, die er gebraucht hatte, sein Schiff hatte uber den Atlantik segeln konnen.

«Soll ich jetzt versiegeln, Sir?«Stockdale betrachtete ihn geduldig.
        Er schlo? die Augen und rief sich die Aussagen ins Gedachtnis zuruck, die er von Graves und den Toppsgasten erhalten hatte. Sie unterschieden sich in kleinen Einzelheiten, aber eines stand fest: Es war mehr als wahrscheinlich, da? ein Angriff der Franzosen und Amerikaner auf New York zu erwarten war, und zwar bald. Die Tatsache, da? das schlechte Wetter seine rasche Ruckkehr verzogert hatte, befriedigte ihn, da es den Feind ebenso behindern wurde.

«Wahrschau an Deck! Segel in Luv!»
        Bolitho stie? Stockdales Kerze beiseite.»Spater. «Dann eilte er aus der Kajute.
        Da die Sparrow den Wind ausnutzen mu?te, waren sie zu weit nach Sudwesten abgetrieben worden. Jetzt, da der Wind endlich gunstig stand, zeigte der Kompa? Nordwest zu Nord; Sandy Hook lag ungefahr neunzig Meilen voraus. Der Nachmittag war hei?, aber klar, und sogar von Deck aus konnte man die kleine Leinwandpyramide sehen, die anzeigte, da? das andere Schiff auf konvergierendem Kurs war.

«Gehen Sie einen Strich hoher. Kurs Nordwest. «Bolitho nahm ein Fernrohr von Bethune und spahte durch die Wanten.
        Der Ausguck rief:»Eine Brigantine, Sir.»
        Bolitho blickte Tyrell an.»Wahrscheinlich eine der unseren.»
        Es war das erste Segel, das sie sichteten, seit sie mit knapper Not einem Gefecht mit der franzosischen Fregatte entkommen waren. Es war immer gut, ein befreundetes Schiff zu treffen; Bolitho konnte einige seiner Neuigkeiten weitergeben, fur den Fall, da? das Schiff nach Norden fuhr und sonst zu nahe an die feindliche Schwadron in Newport herankame.
        Bei dem starken Wind dauerte es nicht lange, bis sich die beiden Schiffe einander genahert hatten.

«Sie haben vor, in Lee vorbeizusegeln. «Bolitho hob sein Fernglas wieder.
        Brigantinen waren unordentlich aussehende Schiffe. Mit Rahsegeln am Vormast und Schonertakelung am Hauptmast, boten sie ein fehlkonstruiertes Bild, es war jedoch bekannt, da? sie unter guten Bedingungen sogar eine Fregatte ausstechen konnten.

«Signalisieren Sie, da? sie beidrehen soll. Ich mochte mit ihrem Kommandanten sprechen.»
        Tyrell sagte:»Aufjeden Fall ist es ein englisches Schiff.»
        Flaggen wurden an den Rahen des Neuankommlings gehi?t und flatterten im Wind.
        Bethune schrie:»Es ist die Five Sisters, Sir!«Er suchte in seinem Buch herum, wahrend Fowler etwas abseits stand, den Mund geringschatzig verzogen.»Sie wird hier als dem Gouverneur von New York unterstellt gefuhrt.»

«Dacht' ich's mir doch!«Tyrell runzelte die Stirn.»Nur ihren eigenen Gesetzen unterworfen und von einer Rotte Schurken bemannt, das kann ich euch sagen. «Er seufzte.»Doch mit einem solchen Gonner konnen sie nicht gepre?t werden und riskieren nicht ihr kostbares Leben.»
        Die Brigantine hatte den Weg der Sparrow gekreuzt und segelte stetig auf Steuerbord. Bolitho konnte die rotgoldene Flagge auf ihrem Vorschiff erkennen; alles hatte den Anschein der schmucken Ordnung, die man gewohnlich auf den von der Regierung geforderten Schiffen fand. Sie kam naher heran, bald wurde sie in weniger als einer Kabellange Entfernung vorbeifahren.
        Bolitho sah Majendie und Dalkeith auf den Wanten stehen. Der erstere zeichnete in gro?er Eile, wahrend ihm der Arzt mit sichtlichem Interesse uber die Schulter schaute.

«Sie dreht bei, Sir.»
        Die Brigantine scho? in den Wind, die Segel stellten sich back, und das Gro?segel, das die Seeleute einholten, wurde immer kleiner.
        Bolitho nickte anerkennend. Gut gemacht.

«Anluven, Mr. Tyrell. Ich werde sie anrufen, wenn sie in Lee vorbeikommt.»
        Das Knattern und Achzen der Leinwand machte jede Unterhaltung schwierig; als die Sparrow mehr in den Wind drehte und nur noch vorwartszukriechen schien, ging Bolithos Stimme fast im Larm unter. Er nahm das Sprachrohr in beide Hande und brullte:»Wohin des Weges?»
        Uber die kurzen Wellenkamme kam die Antwort:

«Montego Bay! Jamaica!»
        Tyrell bemerkte:»Da ist sie aber etwas vom Kurs abgekommen.»
        Die Stimme drang erneut heruber:»Wir wurden gestern von einer spanischen Fregatte gejagt und sind ihr wahrend der Nacht entwischt, aber Sie konnen fur mich Meldung erstatten.»
        Die Brigantine fiel etwas ab, und ihre unruhig sich bewegenden Rahen machten deutlich, da? ihr Kommandant darauf brannte, seinen Weg fortzusetzen.
        Bolitho lie? das Sprachrohr sinken. Es gab keinen Grund, sie noch langer aufzuhalten. Und die Behorden in New York wurden ihm eine solche Handlungsweise wahrhaftig nicht danken. Es war merkwurdig, sich klarzumachen, da? sie wahrscheinlich im Auftrag von Leuten wie Blundell fuhr, der nichts von der See verstand und sich wenig darum kummerte.
        Er horte Dalkeiths Gemurmel:»Bei Gott, das Gesicht des Kapitans! Ich habe noch nie so, grausame Verbrennungen gesehen. Da? ein Mensch so was uberhaupt uberleben kann!»
        Bolitho sagte scharf:»Geben Sie mir das Glas!«Er nahm es dem erstaunten Schiffsarzt weg und richtete es auf das Vorschiff des anderen.
        Durch die schwarze Takelage und die killenden Segel sah er ihn. Trotz der Hitze war sein Mantelkragen bis an die Ohren hochgeschlagen und sein Hut bis fast in die Augen gezogen. Es wurde Bolitho klar, da? der Kapitan der Brigantine nicht nur die eine Halfte seines Gesichts verloren hatte, sondern auch ein Auge, und da? er den Kopf in ganz unnaturlich steifem Winkel hielt, um mit dem verbleibenden Auge die Korvette zu betrachten.
        Die Brigantine hatte also wirklich mit Blundell zu tun. Bolitho konnte sich noch gut vorstellen, wie sie in der Bibliothek geflustert hatten, das entstellte Gesicht halb im Schatten verborgen.
        Buckle rief besorgt:»Erlauben Sie, da? wir das Schiff klar zur Weiterfahrt machen, Sir? Wir sind etwas zu nahe.»

«Na gut.»
        Bolitho winkte den Mannern an Bord der Brigantine zu und drehte sich wieder zu Majendie um. Der zeichnete und schattierte, verbesserte hier und fugte dort noch ein Detail hinzu, sogar als die Five Sisters schon wieder Segel gesetzt hatte und langsam wegzusegeln begann.
        Dalkeith grinste.»Nicht schlecht, Rupert! Ich glaube sicher, da? einige unserer Manner dir gern bei Einzelheiten der Takelage helfen werden.»
        Tyrell hinkte zu ihm hinuber und spahte ihm uber die schmale Schulter. Er ergriff den Block und rief:»Gro?er Gott, wenn ich nicht ganz genau wu?te…»
        Bolitho ging hinuber. Es war das Bild des Vorschiffs der Brigantine, die Offiziere und Seeleute waren in naturlichen Haltungen dargestellt, wenn auch, wie Dalkeith angedeutet hatte, die Details der Takelage nicht ganz perfekt waren.
        Es lief ihm kalt uber den Rucken, als er Majendies Zeichnung vom Kapitan des Schiffes sah. Entfernung und Ma?stab lie? die schrecklichen Wunden zurucktreten, so da? er jetzt wie eine Figur aus Bolithos Vergangenheit dastand. Bolitho blickte Tyrell an, der ihm immer noch ins Gesicht schaute.
        Tyrell fragte ruhig:»Erinnern Sie sich, Sir? Sie waren zu beschaftigt zu kampfen und mich vor Schaden zu bewahren. «Er drehte sich um und starrte auf das andere Schiff.»Aber nachdem ich die Kugel in den Schenkel bekam, hatte ich wirklich genug Zeit, mir diesen Dreckskerl anzusehen.»
        Bolitho schluckte trocken. Klar stand ihm wieder die Wildheit und der Ha? der Schlacht vor Augen, als ob es gestern gewesen ware. Die Manner der Sparrow, die niedergestochen und von den Decks der Bonaventure vertrieben wurden. Und der Kapitan des Freibeuters, der wie ein unbeteiligter Zuschauer dabeistand und ihn aufforderte, sich zu ergeben.
        Er sagte scharf:»Ruder steuerbords! Toppsgasten auf entern und Bramsegel setzen! Zu Majendie gewandt, setzte er hinzu:»Ich glaube, da? wir dank Ihnen heute ein Geheimnis luften werden.»
        In dem Augenblick, als die Sparrow ihre Absicht zeigte, und sogar schon, als die Royalsegel sich erst fullten, setzte auch die Brigantine mehr Segel und machte sich davon.

«Klar zum Gefecht, Sir?»

«Nein.»
        Bolitho beobachtete, wie sein Kluverbaum herumschwang, bis er genau auf die Back der Brigantine zeigte. Sie hatte zwei Kabellangen Vorsprung, und es sah nicht so aus, als ob sie diesen Vorsprung freiwillig aufgeben wollte.

«Es mu? schnell gehen. Wir gehen langsseits und entern. Sagen Sie Mr. Graves, er soll einen Schu? aus dem Backbordbuggeschutz abgeben. Vorwarts jetzt!»
        Buckle sagte grimmig:»Wir uberholen sie, Sir.»
        Bolitho nickte. Tyrell verstand, was vorging, aber bis jetzt hatte niemand sonst auch nur Uberraschung uber seine Handlungsweise gezeigt. Allem Anschein nach jagte er ein Regierungsschiff, mit dem er noch Minuten vorher geplaudert hatte.
        Bang. Die schwarze Mundung des Buggeschutzes zuckte in die Bordwand zuruck, und Bolitho sah die Wasserfontane eine Bootslange neben der Brigantine aufspritzen.

«Jetzt hat sie Segel gerefft!«Buckle schien zufrieden.

«Bitten Sie Mr. Graves, da? er eine Entermannschaft zusammenstellt!«Bolitho beobachtete, wie das andere Schiff in den Wellentalern zu gieren begann.»Mr. Heyward, ubernehmen Sie das Geschutzdeck! Mr. Bethune, begleiten Sie den Zweiten Leutnant!»
        Manner mit gezogenen Entermessern eilten zur Backbordreling, einige trugen Musketen hoch uber den Kopfen, um zu vermeiden, da? sie versehentlich auf ihre Kameraden schossen.

«Langsam, Mr. Buckle. «Bolitho streckte die Hand aus und schaute in die Rahen hinauf. Die Segel verschwanden blitzschnell, und als das Focksegel knatternd belegt wurde, sah er die Brigantine an Backbord vorbeigleiten, als ob beide Schiffe an Trossen aufeinander zugezogen wurden.»Langsam!»
        Entlang der Reling schwangen die ausgesuchten Manner ihre Enterhaken, wahrend andere nach vorn eilten, um den ersten Aufprall abzufangen.
        Uber den geringer werdenden Abstand hinweg horte Bolitho:»Gebt Raum! Ich befehle Ihnen, Ihre Leute zuruckzuholen! Ich werde Ihnen das Gesetz auf den Hals hetzen!»
        Bolitho fuhlte, wie seine Spannung sich loste. Wenn er noch geheime Zweifel gehegt hatte, waren sie nun ausgeraumt. Diese Stimme war nicht zu verwechseln. Zu viele Manner der Sparrow waren an jenem Tag an Bord der Bonaventure gestorben, als da? er diese Stimme jemals hatte vergessen konnen.
        Er hob sein Sprachrohr.»Streichen Sie die Segel, und drehen Sie in den Wind - sofort!»
        Er horte das Rumpeln und konnte sich gut vorstellen, da? auch die Mannschaft der Brigantine sah, wie der gro?e Zweiunddrei?iger wieder ausgerannt wurde.
        Langsam, aber sehr gekonnt, drehten die beiden Schiffe sich umeinander, machten in dem unruhigen Wasser fast keine Fahrt; ihre Mannschaften nahmen Segel weg und trimmten die Rahen in Ubereinstimmung mit dem Ruder. Alles wurde perfekt ausgefuhrt: mit wenig mehr als einem Zittern legte sich die Sparrow an den Rumpf der Brigantine und schob sich vor, bis ihr Bugspriet in Hohe ihres Fockmastes zur Ruhe kam. Enterhaken flogen von der Reling, und Bolitho sah, wie Graves seine Manner vorwartsschickte, wie Bethune sich aus den Wanten schwang; sein Dolch schien fur einen so schweren Fahnrich viel zu klein zu sein.
        Tyrell, die Hande auf der Reling, sagte:»Sie haben auch noch eine Deckladung. «Er zeigte auf einen Leinwandhaufen unterhalb des Backlogis:»Sicher Beute fur den Kapitan!»
        Doch als der Erste Leutnant absprang und auf dem Schanzkleid der Brigantine aufkam, zeigte sich die Natur dieser Decksladung. Hande zerrten die Persenning weg und deckten einen stammigen Zwolfpfunder auf, der in der Mitte des Decks geriggt war und mit Taljen und Ringbolzen bewegt werden konnte.
        Das Krachen der Explosion ertonte gleichzeitig mit dem Zischen der Kartatschen, als diese mit morderischer Gewalt entlang der Reling der Sparrow einschlugen. Menschen und Glieder flogen blutig durcheinander, und in der rollenden Wolke braunen Rauches sah Bolitho, da? einige von ihnen bis auf die gegenuberliegende Seite des Decks geschleudert wurden.
        Dann folgte das Geschrei, und er sah, wie vom Vorschiff und Hauptluk der Brigantine ungefahr funfzig Mann zum Angriff ubergingen.
        Er griff nach seinem Sabel, mu?te aber feststellen, da? er ihn in der Kajute vergessen hatte. Uberall schrien und kreischten Manner durcheinander, und uber allem ertonte das wachsende Gerausch von Stahl auf Stahl, das Krachen des Musketenfeuers.
        Ein Seemann fiel tot aus den Wanten und warf Tyrell gegen die Reling. Dessen Bein knickte unter ihm ein, und sein Gesicht verzog sich vor Schmerzen.
        Bolitho schrie:»Ubernehmen Sie, Mr. Buckle!»
        Er schnappte sich das Entermesser aus dem Gurtel des toten Seemannes und rannte zur Reling. Seine Augen tranten vor Rauch, und er fuhlte einige Kugeln dicht an sich voruberpfeifen, eine davon durchtrennte die Wanten wie ein unsichtbares Messer.
        Die Brigantine hatte gegen die Kanonen der Sparrow keine Chance. Wenn sie aber so wie jetzt mit Enterhaken aneinandergekettet waren, konnte sich der Kampf leicht gegen sie wenden. Er hatte das schon selbst gemacht und kannte die Risiken.
        Entschlossen sprang er in die Hauptwanten und sah dann mit Erstaunen, da? Graves noch immer unter ihm auf dem Geschutzdeck stand. Er schrie seine Manner an, schien aber au?erstande, ihnen zu folgen. Von Bethune war nichts zu sehen, und Bolitho stellte fest, da? Heyward nach vorne gerannt war, um eine Rotte Enterer abzufangen, die versuchten, uber den Bugspriet an Bord zu klettern.
        Er rutschte aus, fiel fast zwischen die Schiffsrumpfe, dann war er mit einem Sprung auf dem Deck der Brigantine. Eine Pistole explodierte neben seinem Gesicht, blendete ihn fast, aber er holte mit dem schweren Entermesser aus, fuhlte einen kurzen Aufprall und horte jemanden schreien.

«Zum Achterdeck!«Er bahnte sich seinen Weg durch einige seiner Manner und sah Bethune, der eine Muskete wie eine Keule schwang, sein Haar wehte im Wind, als er versuchte, seine Entermannschaft zu sammeln.»Nehmt das Achterdeck, Leute!»
        Jemand brach in einen heiseren Hochruf aus, und mit frischem Mut sturzten die Seeleute nach achtern.
        Durch die kampfenden, ineinander verstrickten Figuren sah Bolitho am Ruder einen Steuermannsmaat ganz alleine stehen, wahrend andere in verschiedenen Stellungen tot um ihn herumlagen, ein Zeichen, da? jemand an Bord der Sparrow einige Scharfschutzen in die Rahen gesandt hatte.
        Dann, ganz plotzlich, standen sie sich Angesicht zu Angesicht gegenuber. Bolitho, dessen Hemd fast bis zur Taille zerrissen war, dessen Haare ihm uber der Stirne festklebten, mit ausgestrecktem Entermesser.
        Der andere Kapitan stand fast bewegungslos, hielt seinen Degen schrag vor sich. Aus der Nahe wirkte sein Gesicht fast noch schrecklicher, aber es bestand kein Zweifel an seiner Beweglichkeit, als er plotzlich einen Ausfall nach vorn machte.
        Die Klingen trafen mit scharfem Klang aufeinander. Funken flogen, als sie sich ineinandergruben, bis die beiden Griffe sich verkeilten und jeder der beiden Kampfer das Gewicht des gegnerischen Armes prufte.
        Bolitho sah in das starre Auge, fuhlte den hei?en Atem, die zitternde Spannung in seiner Schulter, als er Bolitho mit einem Fluch gegen das Ruder zuruckwarf, mit zwei scheinbar leichten Bewegungen seinen Degen zuruckzog und wieder zuschlug. Schlag, Parade, Deckung. Das Entermesser kam ihm wie ein Bleigewicht vor, und jede Bewegung wurde zur Qual. Bolitho sah, wie sich der Mund des anderen Mannes zu einem grimmigen Grinsen verzog. Er wu?te, da? er gewinnen wurde.
        Jenseits der Reling ging der Kampf wie vorher weiter, aber uber den Larm horte er Tyrell vom Achterdeck schreien:»Helft dem Kapitan! Um Gottes willen, helft ihm!»
        Als sie sich wie Katzen im Urwald umkreisten, sah Bolitho Stockdale, der versuchte, sich zu ihm durchzuschlagen. Aber er mu?te mit mindestens drei Mannern kampfen, und sein Brullen war das eines in die Enge getriebenen Stieres.
        Bolitho hob sein Entermesser bis in Taillenhohe des anderen. Er konnte es nicht hoher heben, seine Muskeln schienen zu rei?en. Wenn er nur die Hand wechseln konnte! Aber er wurde sterben, wenn er es versuchte.
        Der Degen zuckte vor, die Spitze drang durch seinen Armel und ritzte seine Haut wie rotgluhendes Eisen. Er fuhlte das Blut seinen Arm herunterrinnen, sah das einzige Auge des Mannes durch einen Nebel von Schmerzen.
        Der Kapitan der Brigantine schrie:»Jetzt, Kapitan! Ihre Stunde hat geschlagen! Da!

        Er bewegte sich so schnell, da? Bolitho die Klinge kaum kommen sah. Sie traf das Entermesser nur wenige Zentimeter vor dem Griff, ri? es ihm aus der Hand wie ein Spielzeug, das man einem Kind wegnimmt, und warf es in hohem Bogen uber die Reling.
        Es gab einen lauten Knall, Bolitho fuhlte, wie eine Kugel uber seine Schulter flog, die Hitze war so gro?, da? sie sicherlich nur eine Daumenbreite entfernt gewesen war. Sie traf den anderen Mann in den Hals, wirbelte ihn herum, gerade als er seinen Degen zum letzten Sto? zuckte. Einige Augenblicke lang zuckte er noch, dann krummte er sich zusammen und lag still in seinem Blut.
        Bolitho sah, wie Dalkeith ein Bein uber das Schanzkleid schwang und zu ihm heraufkletterte, eine rauchende Pistole in der Hand.
        Auf beiden Schiffen herrschte vollige Stille, und die Mannschaft der Brigantine stand oder lag, der Gnade ihrer Angreifer ausgeliefert.
        Bolitho sagte:»Danke. Das war knapp.»
        Dalkeith schien nicht zu horen. Er sagte gebrochen:»Sie haben Majendie getotet. Wie einen Hund erschossen, als er versuchte, einen Verwundeten zu retten.»
        Bolitho spurte die Finger des Arztes auf seinem Arm, als er das Hemd zu einer groben Bandage zerri?.
        Er wandte sich um, die beiden Schiffe zu betrachten.
        Einige seiner Manner riefen heiser hurra, als er zum Schanzkleid hinuberging, aber die meisten waren zu ausgepumpt, um sich uberhaupt zu bewegen.
        Arger, Ekel, sowie ein Gefuhl des Verlustes uberfluteten ihn, als er durch seine keuchenden Leute ging. Wenn man daran dachte, da? Manner gestorben waren, nur weil jemand Reichtumer fur andere erlangen wollte, die fur jeden Vorwurf unerreichbar waren.

«Aber diesmal nicht!«Er sprach laut, ohne es zu merken.»Fur den heutigen Tag wird jemand bitter bezahlen mussen!»



        Eines Mannes Schaden…

        Konteradmiral Sir Evelyn Christie erhob sich hinter seinem Tisch, der mit Dokumenten beladen war, und beugte sich vor, um ihm die Hand zu reichen.

«Willkommen. «Er wies auf einen Stuhl.»Freut mich, Sie wiederzusehen.»
        Bolitho setzte sich und beobachtete den Admiral, als dieser zur Heckgalerie hinuberging. Es war druckend hei?, und obwohl eine stete Brise uber Sandy Hook strich, war die Luft in der Prunkkajute des Flaggschiffs stickig.
        Christie setzte abrupt hinzu:»Es tut mir leid, da? Sie so lange warten mu?ten. Aber die hohe Politik ist nichts fur einen jungen Kapitan. «Er lachelte.»Ihr Mut ist uber jeden Zweifel erhaben, doch hier in New York wurde man Sie am liebsten lebendig fressen!»
        Bolitho versuchte, sich zu entspannen. Drei Tage, nachdem er Anker geworfen hatte, war er praktisch auf seinem Schiff arretiert worden. Nachdem er seinen Bericht an das Flaggschiff gegeben und seine Verwundeten zur weiteren Pflege an Land hatte bringen lassen, lie? man kaum Zweifel an seiner eigenen Lage. Es war kein eigentlicher Befehl ausgegeben worden, aber der Wachoffizier hatte ihm mitgeteilt, da? seine Anwesenheit an Bord im Interesse aller wunschenswert sei, bis der Admiral sich geau?ert hatte.
        Er begann:»Wenn ich unrecht getan habe, dann.»
        Christie blickte ihn erstaunt an.»Unrecht? Genau das Gegenteil. Aber Sie haben diesmal den Fuchs unter die Ganse gelassen. «Er zuckte die Schultern.»Doch Sie sind nicht an Bord gekommen, um zu horen, was Sie schon wissen. Ihre Aktion gegen die Five Sisters, die Tatsache, da? Sie gewisse Dokumente an sich bringen konnten, ehe ihr Besitzer sie vernichten konnte, uberwiegen bei weitem das Unbehagen anderswo.»

«Danke, Sir. «Er war immer noch nicht sicher, worauf Christies Ausfuhrungen abzielten.

«Es scheint jetzt festzustehen, da? der Kommandant der Brigantine, ein gewisser Matthew Crozier, die Absicht hatte, entweder einem feindlichen Schiff oder einem Spion entlang der Kuste Informationen weiterzugeben. Das wurde erklaren, warum er sich so weit ab vom Kurs befand, eher als seine Entschuldigung, einer spanischen Fregatte aus dem Wege gegangen zu sein. Es kann aber uber seine hauptsachliche Mission keinen Zweifel geben. Bei seiner Fahrt nach Jamaika sollte er dem Compte de Grasse in Martinique eine Botschaft bringen. Meine Leute haben die Depesche sehr sorgfaltig untersucht. «Er blickte Bolitho voll an.»Sie fanden darin alle Details unserer Abwehr und alle verfugbaren Kriegsschiffe. Truppenaufmarsche, sowohl zur See als auch an Land, bis zur Angabe unserer Truppenstarke unter Cornwallis«. Er nahm ein Dokument auf und las einige Sekunden darin.»So oder so, an dieses Jahr werden wir uns erinnern!»
        Bolitho bewegte sich unruhig in seinem Stuhl.»Wie konnte ein Freibeuter wie Crozier fur die Englander arbeiten?»
        Christie lachelte schief.»Ihm gehorte die Brigantine. Sie wurde zweifelsohne von seiner Partei gekauft. Die Mannschaft war zusammengesucht, der Abschaum von einem Dutzend Hafen und fast genauso vielen Landern. Da kleine Schiffe so gefragt sind, war die Tauschung nicht so schwierig. Selbst auf seinen offiziellen Fahrten schmuggelte er ganz offensichtlich. «Er drehte sich um, seine Schultern wurden plotzlich steif.»Meist fur die, die in New York an der Macht sind!»

«Darf ich fragen, ob sie bestraft werden?»
        Christie drehte sich um und zuckte die Schultern.»Wenn Sie General Blundell meinen, so konnen Sie versichert sein, da? er Amerika sehr bald verlassen wird. Ich bin ebenso sicher, da? er durch Einflu? und machtige Freunde daheim gerettet werden wird. Entfernung und Zeit sind wichtige Hilfskrafte, was die Schuldigen betrifft. Andere aber werden sicherlich an die Wand gestellt werden, und es ist mir gesagt worden, da? die Militarregierung Ihre Entdeckung dazu benutzen will, um sich zumindest teilweise von den Parasiten zu befreien, die schon zu lange von ihr gelebt haben.»
        Er lachelte uber Bolithos ernstes Gesicht.»Schenken Sie Madeira nach. Er wird uns beiden guttun. «Er fuhr im selben ruhigen Ton fort:»Admiral Graves ist mit Ihnen sehr zufrieden. Er hat den Schoner Lucifer nach Antigua gesandt, um Admiral Rodney uber die Situation hier zu informieren. Es wurden Patrouillen nach Newport beordert, die die Schwadron von de Barras beobachten sollen, obwohl es, wie Sie sehr gut wissen, schwierig ist zu beurteilen, was dort geschieht. In der Tat wird mit den zur Verfugung stehenden Kraften alles getan, um die lokalen Gewasser zu bewachen, damit man wei?, woher der Tiger angreifen wird.»
        Er nahm ein Glas aus Bolithos Hand und frage:»Ist die Sparrow in gutem Zustand?»
        Bolitho nickte. Es fiel ihm immer noch schwer, mit dem kleinen Admiral Schritt zu halten.»Mein Zimmermann hat die Reparaturen an der Reling fast fertiggestellt und. .»
        Christie nickte kurz.»Das kann auch auf See erledigt werden. Ich mochte, da? Sie fur mindestens drei Monate Vorrate aufnehmen. Mein Flaggkapitan hat das in der Hand.
        Es konnte sogar sein, da? er fur Sie einige Seeleute findet, um die in der Schlacht gefallenen zu ersetzen. Ich habe die Heran wieder nach Suden gesandt, aber meine anderen Kustenpatrouillen sind zu sehr auseinandergezogen, um unsere Sicherheit zu gewahrleisten. Ich benotige jedes verfugbare Schiff, besonders Ihres. «Er lachelte.»Und Sie.»

«Danke, Sir. «Er setzte sein Glas ab.»Wieder nach Newport?»
        Der Admiral schuttelte den Kopf.»Sie werden zu Farr und seiner Heran sto?en.»
        Bolitho starrte ihn an.»Aber, Sir, ich dachte, Sie benotigen Schiffe, um de Barras zu bewachen?»
        Christie nahm die Karaffe auf und betrachtete sie gedankenverloren.»Vielleicht spater. Aber im Augenblick mochte ich Sie aus Sandy Hook heraus haben. Weg von denen, die versuchen werden, Sie unterzukriegen. Sie haben sich durch Ihre Handlungsweise Feinde gemacht. Wie ich eben schon sagte, Sie sind den gewundenen Pfaden der Politik nicht gewachsen.»

«Ich bin bereit, das Risiko auf mich zu nehmen, Sir.»

«Aber ich nicht!«Christies Stimme war hart, wie damals beim Kriegsgericht hier in derselben Kajute.»Fur Sie sind Ihr Schiff und dessen Angelegenheiten das Wichtigste. Ich mu? in gro?eren Dimensionen denken, und meine Vorgesetzten in noch gro?eren. Wenn es ratsam ist, da? Sie meine ganze Schwadron gegen de Barras fuhren, dann wird es so geschehen. Und wenn Ihr Schiff geopfert werden mu? wie ein Tier in der Falle, dann wird auch das befohlen werden. «Er hielt inne.»Vergeben Sie mir. Das war unverzeihlich. «Er zeigte auf seine Seekarten.»Der Feind ist machtig, aber doch nicht so, da? er uberall zugleich angreifen konnte. Er kann gegen New York ziehen, denn ohne die Stadt haben wir keine Regierung in Amerika. Oder er kann sich gegen die Armee von General Cornwallis wenden, denn ohne die Landstreitkrafte sind wir genauso verloren. Auf jeden Fall wird es zum Kampf kommen, und meiner Meinung nach wird eine Seeschlacht unser Schicksal entscheiden - und die Geschichte der nachsten Jahre.»
        Fu?e hasteten uber Deck, und Bolitho horte Kommandogeschrei, das Scheuern der Taljen und Blocke. Sogar die alte Parthian wurde zum Auslaufen fertiggemacht, um zu zeigen, da? sie zu allem bereit war.
        Bolitho erhob sich.»Wann kann ich meine Befehle erwarten, Sir?»

«Vor Sonnenuntergang. Ich wurde Ihnen empfehlen, Ihre - ah anderweitigen Interessen bis zu einem spateren Zeitpunkt zuruckzustellen. «Er druckte seine Hand.»Das Herz ist eine feine Sache, aber ich wurde es vorziehen, wenn Ihre Entscheidungen vom Verstand gefallt wurden.»
        Bolitho trat ins Sonnenlicht hinaus, sein Kopf brummte von allem, was Christie gesagt hatte, und dem gro?eren Teil, den er nicht ausgesprochen hatte. Es war alles so unfair. Ein Seemann stand in der Schlacht bei seinem Geschutz, bis ihm etwas anderes befohlen wurde. Oder er kampfte sich durch einen pfeifenden Sturm, zitterte vor eisiger Gischt und furchtete sich halb zu Tode. Aber er gehorchte. So lagen die Dinge, oder waren es wenigstens Bolithos Erfahrung nach gewesen. Bis jetzt.
        Denn die Leute von Blundells Art ignorierten derartige Maximen, konnten und wollten ihre Autoritat zu eigenem Vorteil ausnutzen, selbst wenn das Land um sein Leben kampfte. Es war kein Wunder, da? solche Typen wie Crozier gediehen und bessere Resultate erzielten als eine ganze Armee von bezahlten Spionen. Crozier hatte seine Pflicht auf die einzige Art getan, die er kannte. Da er die Gefahren ignorierte, hatte Blundell praktisch Verrat begangen.
        Bolitho hielt an der Schanzkleidpforte inne und starrte mit plotzlicher Besorgnis auf die wartende Gig. Warum hatte er Christie nichts von der Gegenwart Croziers in Blundells Haus erzahlt? Dieser hatte dem Vorwurf der Verschworung nicht mehr entgehen konnen, ware diese Neuigkeit bekanntgeworden. Er fluchte zwischen den Zahnen und gab Stockdale ein Zeichen.
        Narr! Vielleicht hatte er es ihr zuerst sagen sollen, damit sie Zeit bekam, sich von den Angelegenheiten ihres Onkels zuruckzuziehen.
        Der Flaggkapitan kam zu ihm an die Pforte.»Ich habe die Leichter mit Su?wasser zur Sparrow hinubergeschickt. Ein weiterer wird innerhalb einer Stunde langsseits gehen. Wenn Ihre Leute mit anpacken, konnen Sie alle Vorrate vor Anbruch der Dammerung an Bord haben.»
        Bolitho betrachtete ihn neugierig. Eine so ruhige Sicherheit, und doch hatte dieser Kapitan nicht nur sein eigenes Schiff und die verschiedenen Wunsche des Admirals zu berucksichtigen, er mu?te sich auch mit den Bedurfnissen jedes Offiziers und Seemannes im Geschwader befassen. Diese Entdeckung erschutterte ihn. Es war, als ob er Christies Karten auf dem Kajuttisch liegen sahe. Fur alle anderen au?er ihm selbst waren die Sparrow und ihre Mannschaft nur ein winziger Teil des Ganzen.
        Er luftete seinen Hut zum Schrillen der Pfeifen und Blitzen der Bajonette und kletterte in die Gig hinunter. Er sagte nichts, als das Boot zum Ankerplatz pullte, und diesmal schien Stockdale es zufrieden, ihn in Ruhe zu lassen.
        Er war in seiner Kajute und sprach mit Lock die letzten Erganzungen der Vorrate durch, als Graves eintrat und meldete, da? ein weiterer Leichter mit Frischwasser angekommen sei.
        Als der Zahlmeister davonschlurfte, um die Fasser zu begutachten, bevor sie in die Laderaume hinabgesenkt wurden, sagte Bolitho:»Ich wollte mit Ihnen sprechen, Mr. Graves. «Er sah, wie der Leutnant sich versteifte, wie seine Finger sich in seinen Mantel krallten. Armer Graves. Er sah aus wie ein alter Mann, und selbst seine Braune konnte nicht die Schatten unter seinen Augen verbergen, die scharf eingegrabenen Linien zu beiden Seiten des Mundes. Wie stellte man es an, einen Offizier zu fragen, ob er ein Feigling sei? Bolitho fugte hinzu:»Haben Sie irgendwelchen Kummer?»
        Graves schluckte.»Mein Vater ist tot. Er starb vor einigen Wochen - ich habe soeben einen Brief erhalten.»

«Das tut mir leid, Mr. Graves. «Bolitho sah ihm mit plotzlichem Mitleid ins Gesicht.»Es ist schwerer zu ertragen, wenn man so weit weg ist.»

«Ja. «Graves blinzelte nicht einmal.»Er war seit einiger Zeit krank.»
        Die Tur wurde aufgerissen, und Tyrell hinkte gerauschvoll in die Kajute. Er schien Graves nicht zu sehen, als er ausrief:»Bei Gott, Kapitan! Ich habe Neuigkeiten!«Er lehnte sich uber den Tisch, seine ganze Aufregung und Freude stromten aus ihm heraus.»Meine Schwester… Es geht ihr gut, sie ist in Sicherheit! Ich habe einen Mann getroffen, der Jager in der Grafschaft war. Er sagte, sie lebt bei unserem Onkel. Das ist ungefahr zwanzig Meilen nordlich unserer alten Farm. «Er grinste breit.»In Sicherheit! Ich kann kaum glauben, da? ich nicht traume!«Er drehte sich um und sah Graves erst jetzt.»Oh, zum Teufel! Tut mir leid. Ich habe mich vor lauter Aufregung vergessen.»
        Graves starrte ihn blicklos an, seine Finger hatten die Mantelscho?e in zwei feste Balle gedreht.
        Tyrell fragte:»Was ist los? Sind Sie krank oder so?»
        Graves murmelte:»Ich mu? gehen. Bitte entschuldigen Sie mich, Sir. «Er rannte fast aus der Kajute.
        Bolitho stand auf.»Das waren gute Neuigkeiten, Jethro. «Er blickte zur Tur.»Leider hat Graves gerade traurige gebracht. Sein Vater ist tot.»
        Tyrell seufzte.»Tut mir leid. Ich dachte, es sei vielleicht etwas von dem gewesen, was ich sagte.»

«Wieso?»
        Tyrell zuckte die Schultern.»Nicht wichtig. Er hat sich einmal Hoffnungen auf meine Schwester gemacht. «Er lachelte uber eine geheime Erinnerung.»Dies scheint nun alles sehr lange her zu sein.»
        Bolitho versuchte, nicht uber Graves' versteinerten Gesichtsausdruck nachzudenken.

«Eines Tages werden Sie wieder zu Ihrer Schwester zuruckkehren konnen. Das freut mich sehr fur Sie.»
        Tyrell nickte mit vertraumten Augen.»Aye. Eines Tages.»
        Er nickte entschiedener.»Jetzt fuhle ich mich nicht mehr ganz so verloren.»
        Fahnrich Fowler stieg vorsichtig uber die hohe Schwelle und zog seinen Hut.»Der Leichtermann brachte Ihnen diesen Brief, Sir. «Er lispelte auffallend.»Er bestand darauf, da? ich Ihnen das Schriftstuck personlich ubergebe.»

«Danke.»
        Bolitho hielt ihn in der Hand. Wie der andere, den er in seinem Safe verschlossen hatte, trug er ihre Handschrift. Er offnete ihn rasch und sagte dabei:»Ich werde ungefahr eine Stunde an Land gehen. Lassen Sie meine Gig rufen.»
        Fowler rannte aus der Kajute, seine scharfe Stimme rief nach der Bootsmannschaft.
        Tyrell fragte ruhig:»Ist das denn klug, Sir?»

«Was, zum Teufel, meinen Sie damit?«Bolitho drehte sich nach ihm um, die Frage hatte ihn unvorbereitet getroffen.
        Tyrell runzelte die Stirn.»Ich habe verschiedene Leute getroffen, als ich neues Tauwerk bestellte, Sir. Es ist in ganz New York bekannt, was Sie getan haben. Die meisten lachen sich halb krank, da? Ihre Tat diese verdammten Schufte und Verrater entlarvt hat. Aber einige glauben, da? Sie hier in wirklicher Gefahr sind. Es werden noch viele in ihren Betten zittern. Und sich fragen, was Sie noch entdeckt haben, und wann die Soldaten kommen werden, um an ihre Ture zu klopfen.»
        Bolitho senkte die Augen.»Tut mir leid, da? ich so argerlich war. Aber furchten Sie nichts. Ich habe nicht vor, meine Haut spazierenzutragen.»
        Tyrell beobachtete ihn, als er seinen Hut ergriff und Fitch ungeduldig bedeutete, sein Degengehenk zu befestigen. Dann sagte er:»Mir wird wohler sein, wenn wir wieder auf See sind.»
        Bolitho eilte an ihm vorbei.»Und das wird heute abend sein, mein vorsichtiger Freund. Also ruhren Sie sich und achten Sie auf die Vorrate!«Er lachelte uber Tyrells Besorgnis.»Aber passen Sie auf, es konnte sich ein Attentater im Pokelfleisch versteckt haben!»
        Tyrell brachte ihn an die Schanzkleidpforte, blieb aber noch eine ganze Weile an der Reling stehen, trotz der Sonne und der Schmerzen in seinem Bein.
        Eine leichte Kutsche erwartete Bolitho am Ende des Piers. Sie war schabig und nicht mit der zu vergleichen, die ihn zum Wohnsitz des Generals gebracht hatte. Aber der Kutscher war derselbe Neger, und sobald Bolitho eingestiegen war, schnalzte er mit der Peitsche und trieb die Pferde zu flottem Trab an.
        Sie ratterten durch enge Gassen und dann in eine ruhige Stra?e, die von gedrungenen Hausern gesaumt war; die meisten schienen von Fluchtlingen bewohnt zu sein. Die Gebaude hatten den Hauch der Wohlhabenheit verloren, und wo einst Garten gewesen waren, lagen jetzt Berge von leeren Kisten und standen traurig aussehende Fahrzeuge herum. Aus vielen Fenstern sah Bolitho Frauen und Kinder auf die Stra?e herunterstarren. Sie hatten den Blick entwurzelter Menschen, die nicht viel zu tun hatten, au?er zu warten und zu hoffen.
        Die Kutsche rollte durch zwei schiefhangende Torflugel auf ein weiteres dieser Hauser zu. Der einzige Unterschied war, da? dieses leerstand, die kahlen Fenster sahen in der Sonne aus wie tote Augen.
        Einen Moment lang kam ihm Tyrells Warnung in den Sinn, aber als die Kutsche anhielt, sah er Susannah neben dem Haus stehen, ihr Kleid spiegelte sich in dem teilweise zugewachsenen Teich. Er eilte auf sie zu, das Herz schlug ihm bis zum Halse.»Ich bin so schnell ich konnte gekommen!«Er nahm ihre Hande in seine und betrachtete sie herzlich.»Aber warum mussen wir uns hier treffen?»
        Sie warf den Kopf zuruck, ihr Haar flog nach hinten, genauso wie er es in den Wochen ihrer Trennung in Erinnerung behalten hatte.

«Es ist besser so. Ich kann keine Zuschauer ertragen, diese Spotter hinter meinem Rucken. «Ihre Stimme lie? kaum eine Bewegung erkennen.»Wir wollen jetzt hineingehen. Ich mu? mit Ihnen reden.»
        Ihre Schritte klangen hohl auf den blo?en Boden. Es war ein schones Haus gewesen, aber jetzt blatterte der Gips ab, und die Wande waren mit Spinnenweben bedeckt.
        Susannah ging zu einem Fenster und sagte:»Mein Onkel ist in ernsthaften Schwierigkeiten, aber ich nehme an, da? Sie das wissen. Er war vielleicht dumm, aber nicht schlechter als viele hier.»
        Bolitho schob die Hand unter ihren Arm.»Ich mochte nicht, da? Sie mit hineinverwickelt werden, Susannah.»
        Sein Drangen oder die Verwendung ihres Namens veranla?te sie, sich umzudrehen und ihn abzublicken.

«Aber ich bin hineinverwickelt, wie Sie es nennen.«»Nein. Das Schmuggeln und die anderen Vorwurfe konnen nichts mit Ihnen zu tun gehabt haben. Niemand wurde es je glauben.»
        Sie blickte ihn ruhig an.»Sie spielen auch keine Rolle. Aber ein Hinweis auf Ve rrat wurde meinen Onkel ruinieren und alle, die mit ihm zu tun haben. «Sie grub die Finger in seinen Arm.»Dieser Crozier - haben Sie seine Anwesenheit in unserem Hause erwahnt? Bitte, ich mu? es wissen. Denn wenn Sie weiterhin schweigen, kann noch alles gut werden.»
        Bolitho wandte sich ab.»Glauben Sie mir, davor kann ich Sie retten. Ihr Onkel wird nach England geschickt werden, aber es gibt keinen Grund, warum Sie nicht hierbleiben konnten.»

«Hier?«Sie trat einen Schritt zuruck.»Was sollte das fur einen Zweck haben?»

«Ich - ich dachte, wenn Sie Zeit zu uberlegen hatten, konnten Sie sich entscheiden, meine Frau zu werden. «In dem leeren Raum hallten seine Worte nach, als ob sie sich uber ihn lustig machen wollten.

«Sie heiraten?«Sie strich sich das Haar aus der Stirn.»Meinen Sie das?»

«Ja. Ich hatte Grund zur Hoffnung. «Er betrachtete sie verzweifelt.»Sie deuteten an, da?…»
        Sie antwortete scharf:»Ich habe niemals so etwas angedeutet, Kapitan! Wenn die Dinge sich so entwickelt hatten, wie ich es geplant hatte, dann vielleicht…»
        Er versuchte es noch einmal.»Aber fur uns mu? sich doch nichts andern.»
        Sie fuhr fort, als ob er gar nicht gesprochen hatte:»Ich glaubte, da? Sie es mit Hilfe einiger meiner Freunde eines Tages zu etwas bringen konnten. Eine Stellung in London, vielleicht sogar ein Sitz im Parlament. Alles ist moglich, wenn man es wirklich will. «Sie hob die Augen wieder zu seinem Gesicht.»Haben Sie wirklich geglaubt, ich wurde einen Seeoffizier heiraten? Jeden Tag darauf zu warten, da? sein Schiff Anker wirft? Es gibt andere Lebensarten au?er Ihrem miserablen Dienst, Kapitan!»

«Er ist mein Leben. «Er fuhlte, wie die Wande ihn einengten. Die Luft wurde aus seinen Lungen gepre?t, als musse er ertrinken.

«Der Ruf der Pflicht. «Sie ging zum Fenster und blickte auf die Kutsche hinab.»Sie waren ein Narr, wenn Sie dachten, ich wurde ein solches Leben mit Ihnen teilen. Und ein noch gro?erer, wenn Sie das weiterhin denken!«Sie drehte sich um, ihre Augen blitzten.»Das Leben besteht aus mehr, als e in paar arme Schmuggler in des Konigs Namen zu fangen!»
        Bolitho sagte:»Ich werde nichts davon erwahnen, da? Crozier bei Ihrem Onkel war. Aber es wird sicherlich herauskommen, ehe die Behorden ihre Untersuchungen beenden. «Er fugte bitter hinzu:»Die Ratten bei?en einander, wenn das Futter knapp wird.»
        Sie atmete langsam aus, eine Hand leicht auf ihr Herz gelegt.»Bleiben Sie noch einige Minuten, wahrend ich zu meiner Kutsche gehe. Ich wunsche nicht, hier gesehen zu werden.»
        Bolitho streckte die Arme aus und lie? sie dann wieder sinken. Er war besiegt. Er war es schon langer gewesen, als er gewu?t hatte.
        Doch als sie im dunstigen Sonnenlicht vor ihm stand und ihn mit ihren violetten Augen auf Distanz hielt, wu?te er, da? er alles tun oder sagen konnte, um sie zu halten.
        Sie ging auf die Tur zu.»Sie sind ein sonderbarer Mann. Aber ich sehe keine Zukunft fur Sie. «Und dann war sie gegangen, ihre Schritte verhallten im Treppenhaus, und er war allein.
        Er konnte sich nicht erinnern, wie lange er in dem leeren Raum gestanden hatte. Minuten? Eine Stunde? Als er schlie?lich die Treppe in den verwilderten Garten hinunterging, bemerkte er, da? die schabige Kutsche verschwunden war. Er ging hinuber zum Teich und blickte auf sein eigenes Spiegelbild.
        Wenn sie argerlich gewesen ware oder angstlich, dann hatte er vielleicht noch gewu?t, was tun. Aber sie hatte nicht einmal Verachtung gezeigt. Sie hatte ihn einfach entlassen, genauso gedankenlos, wie sie einen nutzlosen Diener zuruckgewiesen hatte.
        Ein Fu? stie? an einen Stein, er fuhr herum und sah in dieser Sekunde vier dunkle Figuren aus den verwilderten Buschen springen.

«Langsam, Kapt'n!«Einer von ihnen hatte einen Degen gezogen, und er sah, da? auch die anderen gut bewaffnet waren.»Es ist sinnlos zu kampfen!»
        Bolitho wich an den Teich zuruck, die Hand am Sabel.
        Ein anderer Mann kicherte.»Aye, so ist's recht, Kapt'n. Wir wissen dann schon, wo wir Ihre Leiche verstecken, wenn wir mit Ihnen fertig sind. Praktisch - was, Kameraden?»
        Bolitho blieb ganz ruhig. Er wu?te, da? es sinnlos war, mit einem von ihnen reden zu wollen. Sie sahen aus wie berufsma?ige Kriminelle, Manner, die fur Geld toteten, unabhangig davon, was es sie letztlich kosten wurde. Er war plotzlich so gelassen, als ob ihre Ankunft seine Verzweiflung vertrieben hatte wie ein kalter Wind.

«Dann will ich wenigstens noch ein paar mitnehmen!»
        Er zog seinen Sabel aus der Scheide und wartete auf ihren Angriff. Zwei hatten Pistolen, aber es waren wahrscheinlich Militarpatrouillen in der Nahe, und ein Schu? hatte sie aufmerksam gemacht.
        Stahl stie? auf Stahl, und Bolitho sah, wie das Grinsen des Anfuhrers zu einem angestrengten Stirnrunzeln wurde, als sich ihre Klingen kreuzten. Er duckte sich, als ein Mann nach seinem Nacken schlug, drehte seinen Sabel und fuhr ihm uber das Gesicht, horte ihn schreien, als er in die Busche zurucktaumelte.

«Verdammt sollst du sein, elender Bastard!«Ein anderer warf sich nach vorne, sein Degen durchstie? Bolithos Deckung. Aber er sprang von seiner Gurtelschnalle ab, und er konnte ihn mit dem Griff wegschleudern; dann traf er den Gegner mit solcher Gewalt am Kiefer, da? es ihm fast den Sabel aus der Hand ri?.
        Der Garten schwamm in einem Nebel von Schmerzen, als ihn etwas heftig an der Stirn traf; er begriff, da? einer von ihnen einen Stein geworfen hatte. Er holte mit dem Sabel aus, fuhlte aber, da? er nur in die Luft schlug. Jemand lachte, und ein anderer rief heiser:»Jetzt, Harry! Mach ihn fertig!«Doch da - Fu?e polterten durch die Busche, Bolitho wurde von jemandem in blauem Rock beiseite geschoben, der schrie:»Auf sie, Kameraden! Haut sie nieder!»
        Degen blitzten und klangen aufeinander, und ein Korper rollte um sich schlagend in den Teich, das Blut farbte die Oberflache rot.
        Bolitho kam unsicher auf die Beine; er sah, da? Heyward und Tyrell die beiden Angreifer zum Haus zurucktrieben, wahrend Dalkeith wachsam danebenstand, seine beiden wundervollen Pistolen glanzten im Sonnenlicht.
        Heyward zwang seinen Mann in die Knie und sprang zuruck, um ihn auf sein Gesicht rollen zu lassen. So blieb er liegen.
        Der einzige Uberlebende warf seinen schweren Degen weg und schrie:»Gnade! Gnade!»
        Tyrell trat ungeschickt auf seinem verkruppelten Bein vor und sagte hart:»Keine verdammte Gnade!«Sein Degen traf den anderen in die Brust, einen endlosen Augenblick lang hielt er ihn an der Wand aufrecht, ehe er neben seinem Begleiter zusammensank.
        Tyrell wischte seine Klinge ab und hinkte zu Bolitho hinuber.»Alles in Ordnung, Kapitan?«Er streckte die Hand aus, um ihm aufzuhelfen.»Gerade zur rechten Zeit, wie es scheint.»
        Heyward stieg uber eine der Leichen.»Jemand wollte Sie tot sehen, Sir.»
        Bolitho blickte von einem zum anderen, die aufsteigende Ruhrung mischte sich mit Verstehen.
        Tyrell grinste.»Sehen Sie, ich hatte recht.»
        Bolitho nickte schwerfallig. Jemand wollte Sie tot sehen. Aber das Schlimmste war, da? Susannah die Gefahr, in der er schwebte, gekannt und nichts dagegen unternommen hatte. Er blickte auf die im Teich treibende Leiche.

«Was kann ich sagen? Wie soll ich Worte finden?»
        Dalkeith murmelte:»Sagen wir einfach, es war auch fur Rupert Majendie.»
        Tyrell legte haltsuchend den Arm um Heywards schmale Schultern.

«Aye, das trifft's. «Er schaute Bolitho an.»Sie haben viel fur uns getan. Und auf der Sparrow kummern wir uns selber um unsere Leute!»
        Zusammen gingen sie auf die Stra?e und die See zu.



        Ein Mi?verstandnis

        Bolitho lehnte sich in seinem Stuhl zuruck und blickte lustlos auf das offene Logbuch. Er war nackt bis zur Taille, fand aber in der uberhitzten Kajute keine Abkuhlung. Er beruhrte seinen Mund mit der Feder und uberlegte, was er schreiben sollte, wenn es nichts zu berichten gab. Uber ihm dumpelte das Schiff in einer leichten sudostlichen Brise, und er bedauerte die Wache an Deck, die einen weiteren Tag im unerbittlichen, grellen Sonnenlicht schwitzen mu?te. Sogar die Sparrow selbst schien Protest zu au?ern. Die Holzer achzten und zitterten in der Bewegung, von Salz und Hitze ausgedorrt, und durch die offenen Fenster sah er, da? die geschnitzten Verzierungen am Sull aufbrachen, die Farbe blatterte ab und enthullte das blo?e Holz.
        Seit er nordlich der Little Bahama Bank Stellung bezogen hatte, wartete er ungeduldig darauf, wieder zu einem aktiveren Dienst gerufen zu werden. Aber wie die meisten seiner Manner hatte er langst die Hoffnung aufgegeben. Woche auf Woche verging, und die Sparrow und ihr Schwesterschiff Heran fuhren ihre ermudenden Patrouillen wahrend des ganzen Juli, jede Dammerung brachte einen leeren Horizont, und mit jeder Stunde wurde die Spannung in ihrer kleinen, isolierten Existenz gro?er.
        Und jetzt war es August. Vielleicht hatte Christie auf Vorraten fur drei Monate bestanden, weil er gar nicht die Absicht gehabt hatte, die Sparrow vor Ablauf dieser Zeit zuruckzurufen. Vielleicht waren sie alle vergessen worden, oder der Krieg war vorbei. Es war, als ob sich im Gesamtgebiet der Patrouille gar nichts bewege. Im Gegensatz zu ihrer letzten Fahrt zu den Bahama Banks, als sie Prisen genommen und legalen Handelsfahrern begegnet waren, lie? sich jetzt absolut nichts sehen. Ihre Routine anderte sich kaum. Im allgemeinen behielten sie die Royalsegel der Heran gerade noch am Horizont in Sicht und fuhren auf einem Parallelkurs vor und zuruck, immer die Untiefen und Riffe vermeidend.
        So war es moglich, ungefahr sechzig Meilen zu uberwachen, ohne da? sich die Ausgucks in den Gro?masten der beiden Korvetten aus den Augen verloren, jedenfalls solange sich das Wetter nicht gegen sie wandte. Aber sogar ein richtiger Sturm ware ihnen willkommen gewesen. Das peinigende Unbehagen machte allen zu schaffen, nicht zuletzt ihm selbst.
        Es klopfte, und Dalkeith trat ein, das runde Gesicht schwei?na?. Die Vormittagswache war halb abgelaufen, und Bolitho erachtete es fur notwendig, den Arzt jeden Tag um diese Zeit zu sprechen, wenn er seine Besuche bei den Kranken beendet hatte.
        Er zeigte auf einen Stuhl.»Nun?»
        Dalkeith stohnte und setzte sich vorsichtig so, da? ihn die grelle Sonne aus dem offenen Skylight nicht erreichen konnte.»Heute sind zwei mehr krank, Sir. Ich habe sie unten. Ein paar Tage Ruhe konnten sie wieder kurieren.»
        Bolitho nickte. Es wurde ernst. Zuviel Hitze und nicht genug frische Kost oder Obst. Lock hatte schon die letzte Kiste Zitronen geoffnet. Danach…
        Dalkeith hatte ein Glas Wasser mitgebracht, das er jetzt auf den Tisch stellte. Es war braun wie Tabaksaft. Ohne Kommentar nahm er eine flache Flasche aus der Tasche und bat Bolitho mit einem Blick um die Erlaubnis, sich ein steifes Glas Rum einschenken zu durfen.
        Dies war auch Teil ihrer Routine, obwohl Bolitho nicht begriff, wie der Arzt bei dieser Hitze Rum vertragen konnte.
        Dalkeith leckte sich die Lippen.»Besser als dieses Wasser. «Er runzelte die Stirn. Wenn wir nicht bald frisches Trinkwasser bekommen, kann ich fur nichts garantieren, Sir.»

«Ich tue, was ich kann. Vielleicht konnen wir eine kleine Insel anlaufen und nach einem Bach suchen. Ich habe aber in dieser Gegend wenig Hoffnung. War das alles?»
        Dalkeith zogerte.»Ich sollte ja eigentlich still sein, aber Freundschaft und Pflicht gehen selten Hand in Hand. Es ist der Erste Leutnant.»

«Mr. Tyrell?«Bolitho setzte sich auf.»Was ist mit ihm?»

«Sein Bein. Er versucht vorzutauschen, da? es in Ordnung ist, aber es gefallt mir nicht. «Er schlug die Augen nieder.»Noch schlimmer, ich mache mir Sorgen.»

«Verstehe. «Bolitho hatte wohl bemerkt, da? Tyrells Hinken starker wurde, doch wenn er darauf zu sprechen kam, hatte dieser geantwortet:»Das geht voruber. Kein Grund zur Sorge.»

«Was schlagen Sie vor?»
        Dalkeith seufzte.»Ich konnte nach mehr Splittern suchen, wenn das aber fehlschlagt…«Er nahm noch einen Schluck Rum.»Dann mu?te ich das Bein amputieren.»

«O Gott.»
        Bolitho ging zu den Fenstern hinuber und lehnte sich hinaus. Unter ihm sah die See sehr klar aus, und er konnte im schaumenden Kielwasser des Schiffes kleine Fische hochspringen sehen.
        Hinter sich horte er Dalkeith bestimmt hinzufugen:»Ich konnte es naturlich tun. Es mu?te aber geschehen, solange er noch kraftig ist. Bevor der Schmerz und diese verdammte Hitze ihn ebenso unterkriegen wie einige andere.»
        Bolitho drehte sich um und fuhlte die Sonne auf seinen nackten Rucken brennen.

«Ich zweifle nicht an Ihren Fahigkeiten, Sie haben sie oft genug bewiesen.»
        Dalkeith sagte grimmig:»Ich war an einem guten Londoner Krankenhaus, ehe ich England verlie?. «Er schnitt eine Grimasse.»Wir ubten an den Armen und arbeiteten fur die Reichen. Es war ein hartes Training, aber sehr nutzlich.»

«Werden Sie dorthin zuruckkehren, wenn der Krieg voruber ist?«Er versuchte, sich nicht Tyrell vorzustellen, wie er auf einem Tisch festgehalten wurde, die Sage uber seinem Bein gezuckt.
        Dalkeith schuttelte den Kopf.»Nein. Ich werde mich irgendwo hier in der Gegend ansiedeln. Vielleicht in Amerika, wer wei??«Er lachelte schief.»Leider mu?te ich England etwas eilig verlassen. Ehrenhandel wegen einer Dame.»

«Ich habe mich die ganzen drei Jahre gefragt, woher Sie diese Geschicklichkeit mit Pistolen haben.»
        Dalkeith nickte.»Leider habe ich den falschen Mann erschossen. Sein Tod wurde als ein schlimmerer Verlust betrachtet als meiner, also musterte ich in Dover an und erreichte schlie?lich zwei Jahre spater die Westindischen Inseln.»

«Vielen Dank, da? Sie es mir erzahlt haben. «Bolitho massierte seinen Magen mit der Hand.»Ich werde versuchen, ob ich auf einem anderen Schiff eine Offiziersstelle fur Sie finden kann, wenn wir nach Hause kommandiert werden.»
        Der Arzt erhob sich.»Das wurde mich sehr freuen. «Er sah Bolitho zweifelnd an.»Und Tyrell?»

«Ich werde mit ihm reden. «Bolitho wandte sich ab.»Aber in Gottes Namen, was soll ich ihm sagen? Wie wurde ich mich fuhlen, wenn ich an seiner Stelle ware!»
        Dalkeith lie? die Hand auf dem Schott ruhen, bis die Sparrow aus einem Wellental langsam wieder auftauchte.

«Darauf wei? auch ich keine Antwort. Ich bin nur der Arzt.»

«Aye. «Bolitho sah ihn ernst an.»Und ich bin der Kapitan.»
        Fahnrich Bethune trampelte durch die Offiziersmesse und blieb vor der Kajute stehen.

«Empfehlung von Mr. Graves, Sir. Die Heran hat signalisiert, da? sie im Osten ein unidentifizierbares Segel gesichtet hat.»

«Sehr gut. Ich komme hinauf.»
        Dalkeith wartete, bis Bolitho ging.»Abruf nach New York, Sir? Wenn es so ware, konnte ich Tyrell in ein Krankenhaus bringen. Dort gabe es die notigen Einrichtungen, die notwendige Pflege.»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Ich furchte nicht. Ein Segel mit einer solchen Nachricht mu?te von Suden kommen. Ob Freund oder Feind, das werden wir erst herausfinden mussen.»
        Er horte Dalkeith seufzen, als er ihn verlie? und die Leiter zum Achterdeck hinaufeilte.
        Er blickte schnell zum Ruderganger hin, der heiser:»Kurs Nord-Nordwest, Sir!«rief. Seine Lippen waren von der Hitze gesprungen.
        Graves berichtete:»Unser Ausguck hat das Segel noch nicht gesichtet, Sir. «Sein Mundwinkel zuckte, und er fugte schnell hinzu:»Es kann alles mogliche sein.»
        Es war eine leere Bemerkung, aber Bolitho wu?te, da? sie lediglich seine Besorgnis verbergen sollte. Er hatte beobachtet, wie die wachsende Spannung Graves vielleicht am allerschlimmsten traf. Jetzt zeigte das Zucken im Mundwinkel seine inneren Qualen.

«Also gut. Rufen Sie die Leute, und bereiten Sie die Fahrt zur Heran vor. Lassen Sie Royalsegel setzen und legen Sie sie auf Steuerbordbug. «Er sah, wie Buckle mude durch den Niedergang kletterte, und rief:»Ein Segel, Mr. Buckle! Vielleicht bringt es uns Gluck!»
        Der Steuermann schnaufte.»Es ware auch Zeit, Sir.»
        Bolitho horte das vertraute Hinken und drehte sich um, ob Tyrell von der Backbordreling herankam.
        Tyrell grinste.»Ein Segel, wie ich hore, Sir?«Er beschattete seine Augen, als er die Manner musterte, die auf ihren Stationen antraten.»Das ist wirklich mal 'ne Abwechslung.»
        Bolitho bi? sich in die Lippen. Es war noch schmerzhafter, Tyrell so zufrieden zu sehen und zu wissen, was getan werden mu?te.
        Das hie?, wenn Dalkeith sein Handwerk verstand - aber das tat er.
        Am Horizont sah er die hellglanzenden Segel der Heran und wu?te, da? Farr ihn schon erwartete. Und wenn es auch nur zur Unterbrechung der Monotonie und sonst nichts diente.
        Innerhalb der nachsten Stunde hatte sich das fremde Schiff zu erkennen gegeben. Es war die Lucifer. Die gro?en Schonersegel wie Flugel ausgebreitet, lief sie vor dem Wind, Gischt spruhte wie flussiges Silber uber ihren Kluverbaum.
        Fowler hing mit einem Fernrohr in den Leewanten, sein kleines, schweinchenhaftes Gesicht glanzte vor Hitze.

«Von Lucifer: Habe Depeschen an Bord.«Er schaute auf das Achterdeck hinunter, als sei er stolz auf seine Enthullung.

«Beidrehen, Mr. Tyrell.»
        Bolitho beobachtete die Geschaftigkeit an Bord der Lucifer, als sie die Segel reffte, ehe sie in Lee der Sparrow beidrehte. Ein feines kleines Schiff. Er uberlegte, ob sich sein Leben im selben Ausma? geandert hatte, wenn er sie statt der Sparrow befehligte.
        Er sah die Hast, mit der das Beiboot des Schoners uber Bord gefiert wurde. Etwas in seinem Unterbewu?tsein warnte ihn, und er sagte:»Signalisieren Sie an Heran: Bitten Kapitan an Bord.»

«Aye, Aye, Sir!«Fowler schnippte mit den Fingern und horte nicht damit auf, bis die Flaggen an der Rahe der Sparrow gehei?t waren.
        Farrs Gig machte bereits Minuten nach dem Beiboot der Lucifer am Fallreep fest.
        Odell war personlich an Bord gekommen, und als er seinen Hut gegen das Achterdeck luftete und einen scharfen Blick auf Bolithos blo?en Oberkorper warf, kletterte Farr neben ihm herauf und fragte heiter:»Bei Gott, was fuhrt Sie hierher? Haben Sie sich in Antigua nach uns gesehnt?»
        Odell trat einige Schritte vor und blickte sie dann an.»Die Franzosen sind ausgelaufen, Sir.»
        Einen Augenblick lang sprach niemand. Bolitho nahm die Worte in sich auf, war sich aber auch der Umstehenden bewu?t: Stockdale am Niedergang, der sich leicht vorbeugte, als ob er dann besser horen konnte. Buckle und Tyrell, deren Gesichter Erstaunen und mehr zeigten. Vielleicht Erleichterung, da? das Ratselraten zu Ende war.

«Kommen Sie mit nach unten.»
        Bolitho fuhrte sie in seine Kajute, die Hitze und die Eintonigkeit der Patrouille waren vergessen.
        Odell sa? auf der Stuhlkante, sein Gesicht zeigte wenig von der Anstrengung, die es ihn gekostet hatte, all diese Meilen von Antigua hierher zu segeln.
        Bolitho sagte ruhig:»Erzahlen Sie.»

«Ich habe die Depeschen wie befohlen zur Flotte gebracht. «Odell hatte eine rasche, unregelma?ige Art zu sprechen und nickte zu seinen Worten. Es war unschwer zu erkennen, warum er im Ruf stand, etwas verruckt zu sein. Ein Mann auf des Messers Schneide, vermutete Bolitho. Aber an der Richtigkeit seines Berichtes war nicht zu zweifeln.

«Admiral Rodney hat eine Flotte von vierzehn Linienschiffen abkommandiert, um unseren Streitkraften in New York zu helfen.»
        Farr murmelte:»Das gefallt mir schon eher. Ich habe nichts fur unseren Admiral Graves ubrig.»
        Odells Augen blitzten gefahrlich ob dieser Unterbrechung. Er sagte scharf:»Rodney ist nach England gesegelt. Er ist ein kranker Mann. Hood kommandiert die Verstarkung.»
        Farr war nicht aus der Fassung gebracht.»Auch gut, sogar noch besser. Ich habe unter Admiral Hood gedient und respektiere ihn.»
        Bolitho sagte:»Erzahlen Sie uns alles. Ich vermute, es gibt noch mehr Neuigkeiten.

        Odell nickte.»Compte de Grasse ist mit ungefahr zwanzig Linienschiffen ausgelaufen. Die Patrouillen berichteten, da? er den jetzt falligen Konvoi bis auf die offene See begleitet hat.»
        Bolitho sagte:»Soviel ich wei?, ist das doch ublich?»

«Ja. Aber seitdem ist de Grasse nicht mehr gesehen worden. «Die Worte platzten wie Geschosse in der Kajute.
        Farr rief aus:»Eine ganze Flotte verschwunden? Das ist doch unmoglich!»

«Aber Tatsache. «Odell funkelte ihn an.»Admiral Hoods Schiffe mussen dieses Gebiet im Osten durchquert haben. Und verschiedene Fregatten suchen an anderen Stellen.
«Er spreizte die Finger.»Aber kein Zeichen von de Grasse.»

«Guter Gott!«Farr schaute Bolitho an.»Was halten Sie davon?»
        Odell sagte gereizt:»Ich konnte ein Glas vertragen, ich bin trocken wie Zunder.»
        Bolitho offnete seinen Schrank und reichte ihm eine Karaffe. Er sagte:»Hood wird in Sandy Hook zu Graves sto?en. Sie werden dann zwar immer noch in der Minderheit sein, konnen sich aber ihrer Haut wehren, wenn de Grasse sich entschlie?t, dort anzugreifen.»
        Farr meinte weniger uberzeugt:»Und Hood wird es den verdammten Franzosen schon zeigen, eh?»
        Bolitho antwortete:»Seine Flotte ist gro?er als die von Admiral Graves. Aber Graves ist der Ranghohere, nachdem Rodney jetzt heimgefahren ist. «Er sah Farrs angstliches Gesicht.»Ich furchte, Graves wird unsere Streitkrafte fuhren, wenn die Zeit kommt.»
        Er wandte sich Odell zu, der sein zweites Glas Wein trank.»Wissen Sie sonst noch etwas?»
        Odell zuckte die Schultern.»Ich habe erfahren, da? Admiral Hood die Chesapeake Bay absuchen will auf seiner Fahrt nach New York. Einige glauben, da? die Franzosen die Armee von Cornwallis von See her angreifen konnten. Wenn nicht, dann ist New York ihr Angriffsziel.»
        Bolitho zwang sich, sich zu setzen. Es war merkwurdig, da? ihn Odells Informationen so sehr erregten. Seit Monaten, schon seit Jahren, hatten sie die gro?e Konfrontation zur See erwartet. Es hatte zwar viele Scharmutzel und heftige Gefechte von Schiff zu Schiff gegeben. Aber sie alle hatten gewu?t, da? fruher oder spater die Entscheidungsschlacht kommen mu?te. Wer die Gewasser um Amerika beherrschte, der bestimmte auch das Schicksal derer, die innerhalb seiner Grenzen kampften.
        Er sagte:»Eines ist sicher: Hier sind wir zu nichts nutze.»
        Farr fragte:»Meinen Sie, da? auch wir zur Flotte sto?en sollten?»

«So ahnlich.»
        Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen, Odells knappe Fakten in Relation zu bringen. De Grasse konnte uberall sein, aber es war lacherlich anzunehmen, da? er nach Frankreich zuruckgesegelt sei, ohne seinen Auftrag zu erfullen. Ohne ihn konnten die Briten jedes Schiff und jeden Mann in den Kampf um Amerika werfen, und de Grasse war schlau genug, seinen eigenen Wert zu kennen.
        Bolitho ging zum Tisch hinuber und nahm eine Seekarte aus dem Fach. Es waren fast siebenhundert Meilen bis nach Cape Henry am Eingang zur Chesapeake Bay. Wenn der Wind gunstig blieb, konnten sie in funf Tagen Land sichten. Falls die Schiffe Admiral Hoods dort lagen, konnte er weitere Befehle anfordern. Korvetten wurden ihm au?erst nutzlich sein, um naher an Land zu suchen oder in der Schlacht Signale zu ubermitteln.
        Deshalb sagte er langsam.»Ich habe vor, nach Norden zu fahren, zum Chesapeake.»
        Farr rief aufspringend:»Gut! Ich komme mit.»
        Odell fragte:»Nehmen Sie die volle Verantwortung auf sich. Sir?«Seine Augen waren undurchsichtig.

«Ja. Ich wurde es begru?en, wenn Sie hierbleiben, fur den Fall, da? andere Schiffe vorbeikommen. Wenn ja, konnen Sie uns in aller Eile folgen.»

«Sehr wohl, Sir. «Odell fugte ruhig hinzu:»Das hatte ich aber gerne schriftlich.»

«Sie unverschamter Schweinehund!«Farr schlug mit der Faust auf den Tisch.»Nennt man das Vertrauen?»
        Odell zuckte die Schultern.»Ich vertraue Kapitan Bolitho, ganz ohne Zweifel, Sir.
«Er lachelte kurz.»Wenn aber Sie beide getotet werden, wer soll dann aussagen, da? ich nur meinen Befehlen gehorcht habe?»
        Bolitho nickte.»Das ist richtig, Ich werde es sofort erledigen. «Er sah, wie sich die beiden Manner mit offener Feindseligkeit musterten.»Ruhig Blut. Recht oder unrecht, es wird uns guttun, wieder in Bewegung zu kommen. Wir wollen nicht mit Unfrieden beginnen, eh?»
        Odell zeigte grinsend die Zahne.»Ich wollte nicht beleidigend sein, Sir.»
        Farr schluckte hart.»In diesem Fall.»
        Auch er grinste uber beide Ohren.»Aber bei Gott, Odell, Sie haben mich bis aufs Blut gereizt!»

«Trinken wir ein Glas zusammen.»
        Bolitho ware gern an Deck gegangen, um die Neuigkeiten mit Tyrell und den anderen zu besprechen. Aber er wu?te, da? dieser Augenblick ebenfalls au?erst wichtig war: Ein paar Sekunden, an die jeder sich erinnern konnte, wenn das Schiff des anderen nur noch eine Silhouette war.
        Er erhob sein Glas.»Worauf wollen wir trinken, Freunde?»
        Farr begegnete seinem Blick und lachelte. Er wenigstens verstand ihn.»Auf uns, Dick. Mir ware das am liebsten.»
        Bolitho stellte sein leeres Glas auf den Tisch. Ein einfacher Toast. Aber Konig, Sache, sogar Vaterland waren zu entfernt, die Zukunft zu unsicher. Sie hatten nur einander und ihre drei kleinen Schiffe zum Uberleben.


        Die Beine gegen das unangenehme Schlingern der Sparrow fest aufgestemmt, hielt Bolitho ein Fernrohr uber die Wanten und wartete, bis sich die Kustenlinie in der Linse zeigte. Es war kurz vor Sonnenuntergang, und als sich der dumpfe, gelbrote Schimmer langsam hinter der nachsten Landzunge verzog, konzentrierte er sich auf das, was er sah, und nicht auf das, was er von der Karte her erwartet hatte. Um ihn herum waren noch andere Fernrohre ausgerichtet, er horte Tyrells schweres Atmen an seiner Seite, horte den Griffel auf Buckles Schiefertafel quietschen.
        Ein paar Meilen vor Cape Henry, dem sudlichsten Landvorsprung an der Einfahrt zur Chesapeake Bay, hatte der Wind scharf umgeschlagen und spater noch weiter gedreht. Dies hatte ihre vorher so rasche Fahrt um einen vollen Tag verlangert. Als sie sich endlich von der Leekuste freigesegelt, sich freien Raum erkampft hatten, sah Bolitho die Bucht mit einem gewissen Arger querab verschwinden. Und nun, nach ihrer langen Kreuzfahrt zuruck zur Einfahrt der Bucht, wurde er vor eine neue Entscheidung gestellt: entweder bis zur Dammerung vor der Kuste liegenzubleiben oder das Risiko auf sich zu nehmen und in sicherlich totaler Finsternis zwischen Cape Henry und der nordlichen Landzunge durchzusto?en.
        Tyrell lie? sein Glas sinken.»Ich kenne die Einfahrt gut. Eine ausgedehnte Untiefe reicht weit in die Bucht hinein. Mit Vorsicht kommt man an beiden Seiten vorbei, da uns der Wind jedoch auf den Fersen ist, wurde ich das sudliche Fahrwasser vorschlagen. Wenn Sie leewarts der Untiefe bleiben, konnen Sie mit ungefahr drei Meilen Abstand an Cape Henry vorbeilaufen. «Er rieb sich das Kinn.»Wenn Sie sich aber verrechnen und zu weit sudlich kreuzen, werden Sie sich sehr beeilen mussen. Es gibt gefahrliche Sandbanke beim Kap.»
        Bolitho richtete das Fernglas, um einige zuckende rote Blitze weit im Landesinneren zu beobachten.
        Tyrell bemerkte:»Geschutzfeuer. Ziemlich weit weg.»
        Bolitho nickte. Wenn Tyrell es als Belastung empfand, so nahe an seinem Heimatland zu sein, dann zeigte er es jedenfalls nicht.
        Tyrell fuhr fort:»Wahrscheinlich jenseits des York River. Sieht nach schwerer Artillerie aus.»
        Heyward, der in der Nahe stand, sagte:»Keine Spur von Schiffen, Sir.»

«Sie werden auch keine finden. «Tyrell beobachtete Bolitho.»Gleich hinter Cape Henry liegt die Lynnhaven Bay. In ihrem Schutz ankern manchmal bei schlechtem Wetter sogar gro?e Schiffe. Von hier aus wurden Sie nicht einmal eine Flotte dort sehen. «Er hielt inne.»Dazu mu?ten Sie schon in den alten Chesapeake einfahren.»
        Bolitho gab Fowler das Glas.»Einverstanden. Wenn wir noch langer warten, konnte sich der Wind drehen. Dann waren wir wieder auf Legerwall und wurden noch mehr Zeit verlieren, um uns klarzukampfen.»
        Er drehte sich um und schaute nach der Heran aus. Ihre gerefften Royalsegel gluhten im rasch abnehmenden Sonnenlicht, aber hinter ihr lag die See in tiefem Schatten.

«Zeigen Sie der Heran die Signallaterne. Kapitan Farr wei?, was zu tun ist.»
        Er wandte sich an Tyrell.»Die Bucht ist auf der Karte nur sehr ungenau wiedergegeben.»
        Tyrell grinste, seine Augen gluhten in dem truben Licht.»Wenn sich nicht alles geandert hat, glaube ich, da? ich uns lotsen kann.»
        Fowler rief:»Signal bestatigt, Sir!»
        Bolitho entschlo? sich.»Kurs zwei Strich Steuerbord. «Zu Tyrell gewandt, fugte er langsam hinzu:»Ich hasse es, in Buchten wie diese einzufahren. Ich fuhle mich auf offener See sicherer.»
        Der Leutnant seufzte.»Aye. Der Chesapeake ist in vieler Hinsicht gefahrlich. Von Norden nach Suden mi?t er an die einhundertvierzig Meilen. Sie konnen ein ziemlich gro?es Schiff ohne allzuviel Muhe bis hinauf nach Baltimore segeln. Aber in der Breite sind es weniger als drei?ig Meilen, und das nur an der Stelle, wo der Potomac zuflie?t.»
        Buckle rief:»Kurs Sudwest liegt an, Sir.»

«Sehr gut.»
        Bolitho beobachtete, wie das am nachsten liegende Vorgebirge von Cape Charles seinen bronzenen Kamm verlor, als die Sonne endgultig hinter den Hugeln verschwand.

«Lassen Sie klar zum Gefecht machen, Mr. Tyrell. Sicherheit geht vor.»
        Er uberlegte kurz, was Farr wohl empfand, der jetzt dem Schatten der Sparrow auf die dunkle Landmasse zu folgen mu?te: Zweifel, Bedauern, vielleicht sogar Mi?trauen. Man konnte es ihm kaum verdenken. Es war, als ob man in einem dunklen Keller nach Kohlen tastete.
        Unter seinen Schuhen fuhlte Bolitho die Planken beben, das Donnern der Zwischenwande, die niedergerissen wurden, und das Quietschen der Messetische, die von den Geschutzen weggezogen wurden. Dies war noch ein Unterschied, den er auf der Sparrow festgestellt hatte: Selbst das Klarmachen zum Gefecht hatte eine bestimmte Intimitat, die es auf einem Linienschiff nicht gab. Auf der Trojan waren die Mannschaften an ihre Platze geeilt, getrieben vom Stakkato der Trommeln und dem Klang des Signalhorns. Manchmal kannte man die Manner nicht einmal dann, wenn sie in der eigenen Wache oder Abteilung dienten. Hier aber war es ganz anders. Die Manner nickten einander zu, als sie zu ihren Stationen rannten, tauschten hier ein Grinsen, dort einen kurzen Handedruck. In vieler Hinsicht war dadurch der Tod schwieriger zu akzeptieren, wurden die Schreie eines Mannes zu personlich, um sie zu ignorieren.

«Klar zum Gefecht, Sir.»

«Gut. «Bolitho griff in die Wanten und musterte die winzigen, federleichten Brandungswellen querab.»Andern Sie den Kurs um einen weiteren Strich.»

«Aye, Sir. «Buckle brummte mit seinen Rudergangern, dann:»Sudwest zu Sud liegt an, Sir.»

«Kurs halten.»
        Er ging ruhelos unter dem gro?en Besansegel hin und her, sah dabei ein schwaches Gluhen am Baum, den Widerschein vom Kompa?.
        Es waren schon viele Sterne am samtenen Himmel, und in einigen Stunden wurde auch der Mond aufs Wasser scheinen. Aber dann mu?te er schon in der Bucht sein.
        Tyrell kam zu ihm ans Ruder.»Ein komisches Gefuhl: Meine Schwester wird kaum mehr als funfzig Meilen von der Stelle entfernt sein, auf der ich stehe. Ich kann mich noch ganz genau erinnern: der York River, das Platzchen im Wald, wo wir als Kinder zusammen hinzugehen pflegten… «Er drehte sich um und sagte scharf:»Fallen Sie einen Strich ab, Mr. Buckle! Mr. Bethune, nehmen Sie einige Leute mit nach vorn, und trimmen Sie das Focksegel nochmals!«Er wartete, bis er mit der Stellung des Schiffs zur nachsten Landzunge zufrieden war, und fuhr fort:»Es ist wirklich rundherum komisch.»
        Bolitho stimmte zu. Nach den ersten Wochen hatte er nicht viel an Susannah Hardwicke gedacht. Jetzt, als er sich das unbekannte Madchen vorstellte, drau?en in der Dunkelheit hinter dem gelegentlich aufzuckenden Geschutzfeuer, wurde ihm klar, wie sehr sie alle einander verbunden waren. Tyrells Schwester und Graves' geheime Sehnsucht nach ihr. Dalkeiths Ehrenhandel, die ihn seine Karriere und fast sein Leben gekostet hatten. Und er selbst? Er war uberrascht festzustellen, da? er sich noch immer nicht ohne Bedauern und ein Gefuhl des Verlustes an Susannah erinnern konnte.
        Als er wieder aufschaute, bemerkte er, da? Cape Charles schon im Schatten untergetaucht war. Ein schneller Blick zu Tyrell hin beruhigte ihn. Er schien entspannt zu sein, sogar frohlich, wie er so auf seinem Platz stand, von dem aus er den Kompa? und die Stellung des Besansegels uber sich sehen konnte. Wenn diese tuckische Untiefe nicht gewesen ware, hatten sie mit vier Meilen Raum auf jeder Seite frech zwischen den beiden Kaps hindurchsegeln konnen.
        Tyrell sagte:»Wir werden mit Ihrer Erlaubnis den Kurs wieder andern, Sir.»

«Das Schiff ist in Ihren Handen.»
        Tyrell grinste.»Aye, aye, Sir. «Er rief zu Buckle hinuber:»Steuern Sie genau West zu Nord!»
        Dann formte er mit den Handen einen Trichter und schrie:»Alle Mann an die Brassen!

        Mit gelegtem Ruder und allen Mann an den Brassen drehte die Sparrow ihren Bug auf das Land zu. Stimmen riefen im Dunkel, und uber den Decks bewegten sich die blasseren Schatten von Armen und Beinen geschaftig in den Rahen.

«West zu Nord, Sir!«Buckle spahte zu den killenden Segeln hinauf, als das Schiff noch mehr krangte und hart auf Steuerbordbug segelte.
        Tyrell hinkte von einer Seite zur anderen, sein Arm fuhr vor, um die Aufmerksamkeit eines Mannes auf sich zu ziehen, oder seine Stimme erscholl, die einen anderen wegschickte, um sofort Befehle nach vorn zu bringen, wo Graves ebenfalls beschaftigt war.

«Gut, Leute! So belegen. «Er hob den Kopf, als ob er dem Chor der Wanten und Fallen lauschte.»So gefallt's ihr!»
        Bolitho ging zur Luvseite hinuber und fuhlte die kalte Gischt auf seinem Gesicht. Tyrell war mit dem Schoner seines Vaters schon oft durch diese Kaps gefahren. Vielleicht war es diese Erinnerung, das Bewu?tsein, da? seine Schwester in Sicherheit und doch greifbar war, was ihn den Zweck seiner Mission, die mit jeder verrinnenden Minute wachsende Gefahr vergessen lie?.

«Grundseen in Luv voraus!«Die Stimme des Ausgucks klang nervos.
        Aber Tyrell rief:»Zur Holle damit! Das ist die Untiefe in der Mitte. «Seine Zahne schimmerten in der Dunkelheit.»Schnurstracks ins Ziel, wenn ich so sagen darf!»
        Der massive, undeutlich drohende Rucken von Cape Henry tauchte an Backbord aus der Dunkelheit auf, und einen Augenblick lang glaubte Bolitho, sie waren zu nahe an Land, da? der Wind sie weiter abgetrieben hatte, als Tyrell vorausberechnet hatte.
        Er zwang seinen Blick auf die andere Seite und sah durch die Gischt und die hohen Wellen einen wei?en Widerschein. Die Untiefe war deutlich durch Schaum und Wirbel markiert, aber wenn Tyrell die Annaherung falsch geschatzt hatte, ware es jetzt zu spat gewesen, sie zu meiden. Tyrell schrie:»Einmal sah ich einen machtig feinen Hollander hier auflaufen! Hat sich das Kreuz gebrochen!»
        Buckle murmelte:»Wie ermutigend!»
        Bolitho spahte nach achtern.»Hoffentlich hat die Heran unseren Kurs gesehen.»

«Sie wird's schaffen. «Tyrell eilte an die Reling und betrachtete die dunkle, keilformige Landzunge.»Die Heran hat weniger Tiefgang und la?t sich hart am Wind besser manovrieren. «Er streichelte die Reling.»Aber die Sparrow ist mir lieber.»

«Holen Sie den Kluver ein, bitte. «Bolitho horte genau auf die veranderten Gerausche der See. Der hohle Ton von Brandung auf Felsen, das etwas tiefere Klatschen von Wasser gegen eine Hohle oder eine enge Vertiefung unter der Landzunge.»Dann das Besansegel.»
        Unter Topsegel und Fock kroch die Sparrow tiefer in die Bucht, ihr Bug hob und senkte sich mit den Wellen, die Rudergasten standen angespannt am Rad, die Finger spurten ihren Willen fast genauso schnell wie sie selbst.
        Minuten vergingen, dann eine halbe Stunde. Augen starrten angestrengt in die Dunkelheit, Manner standen reglos an den Geschutzpforten und den Brassen; so kreuzte die Korvette vorsichtig um das Kap herum.
        Dann sagte Tyrell:»Keine Schiffe hier, Sir. Lynnhaven liegt jetzt querab. Jedes Geschwader vor Anker, ob unser oder von den Franzosen, wurde irgendein Licht zeigen. Und wenn es nur ware, um Feinde abzuschrecken.»

«Das klingt logisch.»
        Bolitho ging beiseite, um seine Enttauschung zu verbergen. Odell hatte recht gehabt, schriftliche Befehle zu verlangen, denn wenn Bolitho Hoods Aufenthaltsort so falsch eingeschatzt hatte, konnte er auch unrecht getan haben, als er seine eigene Position im Suden verlie?.
        Eine Reihe von dumpfen Explosionen hallte uber das Wasser, danach kam eine helle Stichflamme, als ob versehentlich Pulver abgebrannt worden ware.
        Er fuhr sich mit den Fingern durch das Haar und fragte sich, was er als nachstes tun sollte. Nach New York weitersegeln? Es schien die einzige Losung zu sein.
        Tyrell sagte ruhig:»Wenn wir vom Kap klarkommen wollen, dann schlage ich vor, da? wir jetzt halsen. «Er hielt inne.»Oder Anker werfen.»
        Bolitho trat zu ihm an den Kompa?.»Dann ankern wir. Wir mussen Kontakt mit der Armee aufnehmen. Wenigstens die soll wissen, was vorgeht.»
        Tyrell seufzte.»Man kann sich schwer vorstellen, da? dort vor unserem Bug eine verdammt gro?e Armee liegt. Arme Teufel. Wenn sie in Yorktown sind, wie Odell gehort hat, dann sind sie am richtigen Ort. Aber das wird ihnen kein Trost sein, wenn es zur Belagerung kommt.»

«Wir wollen keine Zeit verlieren. «Bolitho nickte Fowler zu.»Zeigen Sie wieder die Laterne. Kapitan Farr wird ebenfalls ankern, wenn er das Signal sieht.»
        Die Royalsegel schlugen laut, als sich die Sparrow gehorsam in den Wind drehte; ihr Anker warf eine Gischtfontane auf.
        Buckle rief:»Vorsicht mit dem Licht, Mr. Fowler! Das ist genug!»
        Tyrell senkte die Stimme.»Das ist unwichtig. Wir sind in dem Moment gesichtet worden, als wir das Kap umrundeten.»
        Bolitho sah ihn an. Es war nicht schwierig, sich einen rennenden Kurier oder einen Mann zu Pferde vorzustellen, der durch die Dunkelheit eilte, um vor ihrer Ankunft zu warnen. Er fuhlte sich wie damals in der Delaware Bay: abgeschnitten und eingeengt, fast ohne Kenntnis dessen, was vorging.
        Tyrell sagte:»Ich konnte ein Boot nehmen, Sir. Wenn die Armee in der Stadt liegt, dann werden sie am York River entlang Posten aufgestellt haben. «Plotzlich horte sich seine Stimme angstlich an.»Zum Donnerwetter, diese Ruhe stort mich mehr als Geschutzfeuer! Mein Gro?vater war Soldat. Er brachte mir mit seinen Erzahlungen von Nachtkampfen das Gruseln bei.»
        Bolitho beobachtete, wie sich die Toppsgasten auf Deck gleiten lie?en, anscheinend teilnahmslos gegenuber der Nahe des Landes oder eines moglichen Feindes.

«Riggen Sie die Enternetze und laden Sie die Halfte der Zwolfpfunder mit Kartatschen.»
        Tyrell nickte.»Aye. Und ich werde auch ein paar gute Leute an die Drehbassen beordern. Es ware ein Jammer, sich von einem Bootsangriff uberraschen zu lassen. Soll ich losfahren?»

«Nun gut. Nehmen Sie beide Kutter. Mr. Graves kann den zweiten befehligen. Mr. Fowler fahrt mit Ihnen, falls es etwas zu signalisieren gibt.»
        Eine Stimme rief: «Heran hat Anker geworfen!»
        Als Bolitho aber durch die Wanten blickte, konnte er gar nichts sehen. Der Ausguck mu?te einen kurzen Blick auf ihre gerefften Topsegel geworfen haben, als sie das Kap umrundete, oder er hatte das Aufklatschen des Ankers gesehen.
        Taljen achzten und quietschten, als die beiden Kutter uber die Reling gehievt wurden; danach wurden die Enternetze ausgebracht. Das konnte man getrost dem Bootsmann uberlassen. Die Netze durften nicht zu stark gespannt sein, damit ein wagemutiger Enterer sich nicht daran festhalten konnte, sondern mu?ten gerade so durchhangen, da? ihn ein Bajonett oder eine Pike erwischen konnte, ehe er freikam.
        Manner schlurften uber Deck, hier und dort horte Bolitho das Klirren von Stahl, den dumpfen Schlag der Riemen, die aus ihren Laschings gelost wurden.
        Graves kam nach achtern, seine Kniehosen leuchteten wei? in der Finsternis.

«Sie wissen, was Sie zu tun haben?«Bolitho sah sie nacheinander an.»Mr. Tyrell hat das Kommando. Umwickeln Sie die Riemen, und achten Sie auf feindliche Wachtposten.

        Graves' Stimme klang atemlos:»Woran erkennen wir unsere eigenen Soldaten?»
        Bolitho konnte sich vorstellen, wie sein Mund unbeherrscht zuckte, und war versucht, ihn an Bord zu behalten. Aber Tyrell war zu wichtig, er kannte das Land wie seine Westentasche. Er wurde einen erfahrenen Offizier zur Unterstutzung brauchen, wenn etwas schiefging.
        Er horte Tyrell ruhig antworten:»Keine Aufregung. Die Froschfresser sprechen franzosisch.»
        Graves fuhr herum und bekam sich dann muhsam wieder in Gewalt.

«Ich - ich habe Sie nicht um Ihren Sarkasmus gebeten!»

«Das genugt!«Bolitho kam naher.»Denken Sie daran, unsere Leute verlassen sich auf Sie. Deshalb keine derartigen Streitereien.»
        Tyrell lockerte seinen Degen in der Scheide.»Tut mir leid, Sir. Es war mein Fehler. «Er legte seine Hand auf Graves' Schulter.»Vergessen Sie, da? ich das gesagt habe, ja?»
        Fowlers Stimme rief von den Booten herauf:»Alles klar, Sir!»
        Bolitho ging zur Reling.»Seien Sie bis Morgengrauen zuruck. «Er beruhrte Tyrells Arm.»Was machen die Schmerzen?»

«Ich spure kaum etwas, Sir. «Tyrell trat zuruck, damit seine Leute in die Kutter steigen konnten.»Ein bi?chen Bewegung wird mir guttun.»
        Die Boote stie?en ab und ruderten stetig in die Dunkelheit hinein. Innerhalb von Minuten waren sie verschwunden, und eine aufmerksam gespannte Stille herrschte bei denen, die an den geladenen Geschutzen zu beiden Seiten standen.
        Bolitho suchte Stockdale und sagte:»Lassen Sie die Gig zu Wasser. Vielleicht mochte ich der Heran eine Botschaft senden. «Er sah Bethunes plumpe Silhouette an der Reling und fugte hinzu:»Sie nehmen die Gig und umrunden das Schiff. Ich signalisiere, wenn ich eine Botschaft uberbringen lassen mochte.»
        Bethune zogerte.»Ich ware gern mit dem Ersten Leutnant gegangen, Sir.»

«Das wei? ich. «Man konnte kaum glauben, da? Bethune es inmitten all dieser Verwirrung fertigbrachte, die Wahl von Fowler als personliche Beleidigung aufzufassen.»Er ist noch jung. Ich brauche alle Manner, um das Schiff zu fuhren.
«Es war eine lahme Erklarung, aber sie schien Bethune zu genugen.
        Unter dem Sternenhimmel war es kuhl, eine kleine Erleichterung nach der Hitze des Tages. Bolitho teilte die Manner in kurze Wachen ein, so da? diejenigen, die nicht im Ausguck oder an den Geschutzen waren, einige Zeit ausruhen konnten.
        Die Offiziere wechselten sich ebenfalls mit der Wache ab, und als er von Heyward abgelost wurde, hockte sich Bolitho an den Gro?mast und stutzte den Kopf in beide Hande.
        Er merkte, wie jemand sein Handgelenk fa?te, und wu?te, da? er eingeschlafen war.
        Heyward kauerte neben ihm, seine Stimme war ein aufgeregtes Flustern.»Ein Boot nahert sich, Sir, vielleicht auch zwei.»
        Bolitho richtete sich auf, Heywards Worte schwirrten ihm durch den Kopf. Die Kutter waren bestimmt noch nicht zuruck. Sie konnten noch nicht einmal den ersten Teil ihrer Fahrt hinter sich gebracht haben.
        Heyward sagte:»Es ist nicht die Gig, die ist druben an Steuerbord.»
        Bolitho hielt beide Hande an die Ohren. Au?er dem Schwappen des Wassers langsseits horte er Riemen und das Quietschen einer Pinne.
        Ein Bootsmannsmaat fragte:»Soll ich sie anrufen, Sir?»

«Nein. «Warum hatte er das gesagt?» Noch nicht.»
        Er strengte seine Augen an und versuchte, die eintauchenden Riemen zwischen den kleinen Wellenkammen auszumachen. Es mu?te doch Tyrell sein, der zuruckkam, denn das Boot hielt genau auf das Schiff zu, ohne Vorsicht oder Zogern.
        Ein Strahl Mondlicht zog ein Wellenmuster uber das Wasser, und als er hinblickte, glitt ein Langboot hinein; die Riemen bewegten sich ohne Hast.
        Ehe es wieder im Schatten verschwinden konnte, sah Bolitho das Aufblitzen gekreuzter Lederriemen und einige Soldaten mit Tschakos, die sich im Heck drangten.
        Heyward stie? heiser hervor:»Gro?er Gott, das sind Franzosen!»
        Der Bootsmannsmaat flusterte:»Es ist noch einer hinter ihnen!»
        Uberlegungen und Ideen flogen Bolitho durch den Kopf, als er die langsame Annaherung der Boote beobachtete. Tyrell und seine Manner gefangen und zu Unterhandlungen zuruckgebracht? Franzosen mit der Nachricht, da? sie Yorktown genommen hatten, und mit der Forderung, da? sich die Sparrow ergebe?
        Er ging schnell zur Gangway hinuber, formte seine Hande zu einem Trichter und rief auf franzosisch:»Boote ahoi! Wer da?»
        Auf den Booten redeten Stimmen durcheinander, und er horte jemanden lachen.
        Zu Heyward sagte er hastig:»Schnell, rufen Sie die Gig zuruck! Wenn wir ein bi?chen Gluck haben, werden wir uns diese Kerle schnappen!»
        Das erste Boot ging bereits langsseits, und Bolitho hielt den Atem an; halb erwartete er, da? einer seiner eigenen Leute feuern wurde.
        Aus dem Augenwinkel sah er einen Gischtspritzer und dankte Gott, da? die Mannschaft der Gig die Nerven behalten hatte. Sie ruderte um das Heck herum, und er konnte sich gut vorstellen, wie Stockdale seine Manner anfeuerte, mit aller Kraft zu pullen.
        Heyward kam zuruck, die Signallaterne immer noch in der Hand.
        Bolitho schrie:»Jetzt!»
        Als die ersten Manner auf dem Fallreep erschienen und sich unsicher an den Netzen festhielten, sprang eine Reihe Seemanner mit erhobenen Musketen an die Reling, wahrend Glass, der Bootsmann, eine Drehbasse herumschwang und sie drohend ausrichtete. Viele Stimmen schrien im Chor, und eine Muskete spuckte Feuer in die Nacht. Die Kugel schlug in der Reling ein und zog eine wilde Salve von Heywards Scharfschutzen nach sich.
        Glass richtete die Drehbasse nach unten und zog an der Abzugsschnur, verwandelte das uberfullte Boot in eine schreiende, blutige Masse.
        Das war mehr als genug fur das zweite Boot. Das Krachen der Musketen, der verheerende Kartatschenhagel aus Glass' Drehbasse genugten, um die Riemen bewegungslos zu machen. Kaum ein Mann bewegte sich, als die Gig langsseits kam und festmachte. Uber das aufgewuhlte Wasser hinweg brullte Stockdale:»Geschafft, Sir! Nach einer Pause rief er nochmals:»In diesem hier sind ein Dutzend englische Gefangene!»
        Bolitho wand sich ab, ihm wurde ubel. Er sah, wie Dalkeith und seine Maaten zu dem ersten Boot hinunterkletterten, und stellte sich vor, was sie dort fur wimmernde Wesen finden wurden. Es hatte genausogut das zweite Boot gewesen sein konnen, und dann hatten die Kartatschen sich ihren blutigen Weg durch die eigenen Leute gegraben.
        Er sagte heiser:»Holen Sie diese Leute an Bord, Mr. Heyward. Dann senden Sie die Gig zur Heran. Farr wird sich fragen, was, zum Teufel, wir hier machen.»
        Er wartete an der Schanzkleidpforte, als die ersten verwirrten Manner an Bord gesto?en oder gehievt wurden, vorbei an den aufgefierten Enternetzen. Die zweite Bootsladung, sowohl die Franzosen als auch die Englander, kamen mit offensichtlicher Erleichterung. Die Franzosen, weil ihnen das Blutbad ihrer Kameraden erspart geblieben war; die englischen Rotrocke hatten andere Grunde, aber ihr unglaubiges Staunen war mitleiderregend anzusehen.
        Zerlumpt und schmutzig, sahen sie eher wie Vogelscheuchen als wie ausgebildete Soldaten aus.
        Bolitho sagte:»Bringen Sie die Gefangenen hinunter, Mr. Graves. «An die Rotrocke gewandt, fugte er hinzu:»Keine Angst. Dies ist ein Schiff des Konigs.»
        Ein junger Fahnrich trat vor und rief:»Ich danke Ihnen, Kapitan! Wir alle danken Ihnen.»
        Bolitho ergriff seine Hand.»Sie werden hier so viel Ruhe und Hilfe wie moglich finden. Zuerst aber mu? ich wissen, was hier geschieht.»
        Der Offizier rieb sich die Augen.»Wir wurden vor einigen Tagen gefangengenommen. Es war ein Scharmutzel mit einer ihrer Patrouillen. Die meisten meiner Manner wurden getotet. «Er wiegte sich hin und her.»Ich kann es immer noch nicht glauben, da? wir gerettet sind.»
        Bolitho fragte weiter:»Halt General Cornwallis Yorktown?»

«Ja. Aber ich nehme an, Sie wissen, Sir, da? Washington und der franzosische General Rochambeau den Hudson vor einigen Wochen uberquert haben, um die Chesapeake Bay zu erreichen. Sie haben Yorktown mit einer gro?en Armee eingekreist. Eine Muskete hinter jedem Baum. Aber als wir horten, da? ein englisches Geschwader in die Bucht eingefahren war, dachten wir, wir waren gerettet. Ich verstehe etwas franzosisch und horte die Wachen uber die Ankunft der Schiffe sprechen.»
        Heyward sagte:»Hoods Flotte.»
        Bolitho nickte.»Wann war das?»
        Der Fahnrich zuckte die Schultern.»Vor etwa drei Tagen. Ich habe alles Zeitgefuhl verloren.»
        Bolitho versuchte, nicht auf die mitleiderregenden Schreie au?enbords zu horen. Vor drei Tagen? Das pa?te zu dem, was Odell berichtet hatte. Hood war wahrscheinlich nur kurz in die Bucht eingelaufen, hatte kein Zeichen von de Grasse gefunden und war nach New York weitergesegelt.
        Der Fahnrich fugte lahm hinzu:»Die Franzosen erwarteten ihre eigene Flotte. Deshalb, als jemand sie in ihrer eigenen Sprache anrief.»

«Was?«Bolitho packte ihn am Arm, seine Stimme war rauh, trotz der elenden Verfassung des Mannes.»Erwarten ihre eigene Flotte?»
        Der Fahnrich starrte ihn an.»Aber ich dachte… Ich stellte mir vor, da? unsere Schiffe weitergefahren waren, um gegen diese Flotte zu kampfen, Sir!»

«Nein. «Er lie? seinen Arm los.»Ich furchte, da? es zu spat sein wird, wenn sie in New York ihren Irrtum entdecken.»

«Dann ist die Armee verloren, Sir. «Der Fahnrich ging unsicher zur Reeling.»All dies. «Er schrie uber das dunkle Wasser:»Alles umsonst!»
        Dalkeith erschien an Deck und nahm den Arm des Offiziers.
        Bolitho sagte:»Pflegen Sie sie gut.»
        Er wandte sich ab. Sie wurden sehr bald wieder Gefangene sein, wenn er nicht den richtigen Entschlu? fa?te.
        Buckle beobachtete ihn besorgt.»Was ist mit Mr. Tyrell, Sir?»

«Glauben Sie denn, ich hatte nicht an ihn gedacht?«Er sah, wie Buckle zuruckzuckte.»Wir werden sofort die Heran benachrichtigen. Wenn Farr heute nacht hier wegkommen kann, mu? er Admiral Graves die Neuigkeiten bringen. Vielleicht ist noch Zeit. «Er sah den Zahlmeister an einer Luke lehnen.»Holen Sie Papier, ich will eine Nachricht fur Farr schreiben.»
        Zu Buckle gewandt fugte er hinzu:»Tut mir leid, da? ich Sie angefahren habe. Es war eine berechtigte Frage.»
        Er blickte zum Land hin.»Wir werden beim ersten Tageslicht Anker lichten und naher an die Kuste heranfahren. Machen Sie die Riemen fertig, falls uns der Wind verla?t. Ich werde Tyrell und seine Manner nicht kampflos aufgeben.»



        Nur die Tapferen

        Stockdale watschelte uber das Achterdeck und hielt ihm einen Zinnkrug hin.»Hier, Sir, Kaffee.»
        Bolitho hob den Krug an die Lippen. Der Kaffee war kaum warm, nahm ihm aber die Trockenheit im Hals.
        Stockdale fugte heiser hinzu:»Das Feuer in der Kombuse war geloscht, also mu?te ich ihn auf einer Laterne in der Waffenkammer aufwarmen.»
        Bolitho nickte ihm zu. War es Einbildung, oder wurden Stockdales Zuge im Dammerlicht deutlicher? Er schauderte vor Kalte. Es war wahrscheinlicher, da? er zu lange an Deck geblieben war, wartend und uberlegend. Es konnte nichts Gutes dabei herauskommen, wenn er auf Deck hin und her ging und seine Ideen wieder und wieder uberdachte.

«Das war ein guter Gedanke. «Er gab ihm den Krug zuruck.»Ich fuhle mich jetzt wach.»
        Er spahte hinauf zur Takelage und den zusammengerollten Segeln. Die Sterne waren noch da, aber blasser. Das war keine Einbildung.

«Wo steht der Wind?»
        Stockdale uberlegte sich die Frage.»Wie vorher, Sir. NordNordwest, wenn ich nicht irre.»
        Bolitho bi? sich auf die Lippen. Er war schon zu demselben Schlu? gelangt. Stockdale hatte gewohnlich recht, aber seine Bestatigung half ihm auch nicht weiter.
        Er sagte:»Geh und hol den Steuermann. Er ist beim Niedergang.»
        Buckle sprang bei Stockdales erster Beruhrung hellwach auf die Beine.»Was gibt es? Ein Angriff?»

«Langsam, Mr. Buckle. «Bolitho winkte ihn an die Reling.»Der Wind hat nachgelassen, kommt aber noch immer zu weit aus Norden, um uns zu helfen.»
        Der Steuermann sagte nichts und wartete ab, was der Kapitan vorhatte.

«Wenn wir hier zu etwas nutze sein sollen, dann mussen wir tief in die Bucht einfahren. Es wurde aber Stunden dauern, immer hin und her kreuzen, und unsere Muhe wurde kaum belohnt. Wenn wir andererseits hier vor Anker liegenblieben, konnen wir weder dem Ersten Leutnant noch uns selbst helfen, sobald der Feind kommt.»
        Buckle gahnte.»Das stimmt.»

«Rufen Sie also alle Mann an Deck und lassen Sie die Riemen auslegen. Wir werden sofort aufbrechen und nicht auf den Morgen warten.»
        Buckle zog seine Uhr heraus und hielt sie an das Licht des Kompasses.

«Hm. Es wird hart werden, Sir. Aber die Stromung steht nicht zu stark gegen uns.
«Er ging zu den Wanten hinuber und stie? eine dunkle Gestalt an, die friedlich auf den blo?en Planken schlief.

«Hoch, Junge! Sage Mr. Glass, er soll die Leute rufen. Vorwarts!»
        Bolitho ging rasch in seine Kajute und konzentrierte sich einige Minuten lang auf seine Seekarte. Er erinnerte sich an das, was Tyrell ihm gesagt hatte, fugte die neuen Informationen dazu und entschied sich fur einen Plan. Uber der Kabine horte er das Trampeln der Fu?e am Ankerspill, das regelma?ige Klicken, als der Anker aufgeholt wurde.
        Er zog seinen Rock an und befestigte das Degengehenk. Wie seltsam die Kajute im Licht der einsamen Laterne aussah. Klar zum Gefecht wie das ubrige Schiff, achzten die Geschutze leise hinter ihren geschlossenen Pforten; Pulver und Munition, Ladestucke und Rohrwischer, alles lag in Reichweite. Aber niemand stand daneben, denn wie die restlichen Manner vom Geschutzdeck wurden alle benotigt, um den Anker zu lichten und die Riemen zu bemannen. Die letzteren hatten sie schon einmal aus Gefahr gerettet. Diesmal konnten sie das vielleicht fur Tyrell und seine Manner tun.
        Er verlie? die Kajute und rannte leichtfu?ig die Leiter hinauf.
        Es war heller, daruber bestand kein Zweifel. Eine Art grauer Schleier lag uber Cape Henry, und er konnte die Stromung querab vom Rumpf gut erkennen.
        Er sah die langen Riemen auf jeder Seite uber das Wasser ausschwingen, die Manner unterhielten sich leise, wahrend sie auf einen Befehl von Achtern warteten.
        Heyward beruhrte seinen Hut.»Anker ist kurzstag, Sir. «Seine Stimme klang gespannt und sehr vorsichtig.
        Bolitho ging von einer Seite zur anderen und beobachtete die Bewegung seines Schiffes, das Krauseln des Wassers unter den Fallreeps.

«Nun, wie fuhlt man sich? Vom Fahnrich zum Ersten Leutnant fast ohne Wartezeit?»
        Er horte Heywards Antwort nicht und wu?te, da? er die Frage nur gestellt hatte, um seine eigene Unruhe zu verbergen. Wenn die Manner die Herrschaft uber die Riemen verloren, mu?te er sofort ankern. Und selbst dann konnte er noch zu weit zur Kuste abgetrieben werden.
        Von vorn horte er Bethunes Schrei:»Anker los, Sir!«Die Manner vom Ankerspill eilten den Ruderern zu Hilfe. Dann kam Glass' Stimme:»Stutzt Riemen!»
        Bolitho krampfte seine Hande ineinander, bis die Finger fast brachen. Warum, in drei Teufels Namen, wartete er so lange? Das Schiff wurde jeden Moment auf Grund laufen.

«Riemen an!»
        Die Riemen schwangen vorwarts, tauchten ein und kamen langsam nach achtern.
        Hinter sich horte Bolitho, wie das Steuer sanft nachgab, und Buckles leises Fluchen - seine eigene Art, die Spannung zu verarbeiten. Glass hatte recht gehabt, bei diesem ersten Riemenschlag ganz sicherzugehen. Aber es war eine Sache, dies zu wissen, und eine andere, angesichts der Gefahr furs Schiff ruhig zu bleiben.
        Hoch und nieder, von vorn nach achtern, knarrten die Riemen geschaftig, aber ohne unnotige Hast, bis Buckle endlich rief:»Steuerung spricht an, Sir!»

«Gut. Steuern Sie Kurs Nord, bitte.»
        Heyward zog seinen Rock aus.»Ich gehe und helfe mit, Sir.»

«Gut. Passen Sie auf, da? jeder verfugbare Mann arbeitet. Auch diese Rotrocke, wenn sie die Kraft haben. «Er hielt ihn zuruck, als er zur Leiter laufen wollte. Ubrigens besteht keine Notwendigkeit, den Soldaten zu erzahlen, da? wir dem Feind entgegen fahren, Mr. Heyward!«Er sah ihn grinsen.»Das werden sie fruh genug erfahren.»
        Buckle und ein Matrose standen am Ruder; Bolitho ging schweigend zur Heckreling. Er sah die nachste Landzunge jetzt klarer, das Muster der Wellenkamme am Ufer, wo sie eine kleine Bucht markierten. Ein einsamer Ort. Wenn sich bei Tag herausstellte, da? die Heran verschwunden war, wurden seine Manner seine Handlungsweise in Frage stellen, und dies zu Recht. Wenn aber ihre Gegenwart dem Admiral etwas nutzen sollte, dann mu?ten sie alles erfahren.
        Die befreiten Soldaten hatten ihnen viel erzahlt. Aber es konnte sich seit ihrer Festnahme manches geandert haben. Bolitho lachelte grimmig. Er machte sich selbst etwas vor. Wenn nicht die Sorge um Tyrell und die anderen gewesen ware, ware er dann wirklich in der Bucht geblieben?
        Er horte Schreie an Deck und jemanden franzosisch sprechen. Heyward war mehr als ein guter Kamerad, er erwies sich als ausgezeichneter Offizier. Ohne weiter zu fragen, und auf das Risiko hin, seinem Kapitan zu mi?fallen, hatte er die franzosischen Gefangenen freigelassen und an die Riemen gesetzt. Da es lauter starke Soldaten waren, die ein verhaltnisma?ig ruhiges Leben als Gefangenenwarter gefuhrt hatten, wurden sie an den schweren Riemen einen kleinen, aber entscheidenden Unterschied machen.
        Einige Mowe n erhoben sich argerlich kreischend vom Wasser, wo sie geschlafen hatten, als die Sparrow stetig durch sie hindurchkroch. Die Zeit dehnte sich, und Bolitho sah, da? die Rocke der Soldaten wieder rot waren anstatt schwarz, wie sie in der Dunkelheit ausgesehen hatten. Die Gesichter gewannen Profil, und er konnte unterscheiden, wer der Anstrengung standhielt und wer haufiger ausgewechselt werden mu?te.
        Ein dunklerer Schatten ragte vor dem Bug auf und blieb auf Steuerbord sichtbar. Er entschied, da? das die innere Seite von Cape Charles sein mu?te, mit Tyrells Untiefe in einiger Entfernung dahinter.

«Gehen Sie einen Strich hoher, Mr. Buckle. «Er horte das Ruder quietschen.»Wir mussen Kap und Festland auf Backbord lassen. Das Fahrwasser durfte nicht allzutief sein, also immer langsam voran.»

«Aye, Sir. Kurs Nord zu Ost!»
        Das Schiff lag jetzt fast direkt im Wind, und Bolitho konnte ihn auf seinem Gesicht fuhlen, das Land und die Frische der Morgenluft riechen. So war es aber sicherer, und er war erleichtert, die Riemen im Einklang eintauchen zu sehen, obwohl die tatsachliche Fahrt wahrscheinlich weniger als einen Knoten betrug.
        Er suchte nach dem jungen Fahnrich und rief ihn nach achtern. Er kam keuchend auf dem Achterdeck an, und Bolitho sagte:»Schauen Sie hinuber. Wie nahe sind Ihre Posten?»
        Der Soldat spahte durch die Backbordwanten und hob einen Arm.

«Dieses Landstuck wird der Wendepunkt sein. Es gibt eine Menge Sand dort. Wir haben vor einigen Wochen mehrere Barken verloren, als sie auf Grund liefen. Nach etwa einer Meile oder so konnen Sie die Mundung des York River hinter zwei kleinen Inseln sehen.»
        Bolitho lachelte.»Ich nehme an, da? Sie uberrascht sind uber die Richtung, in der wir fahren.»
        Der Fahnrich zuckte die Schultern.»Ich bin uber Uberraschungen hinaus, Sir. «Er zuckte zusammen.»Ein Signalhorn! Das werden unsere Kameraden sein. «Er umspannte die Reling mit den Handen, sein Gesicht war gespannt. Dann kam ein langgezogener Trompetensto?, der eine Wolke Mowen flugelschlagend und kreischend vom Land aufjagte. Er sagte:»Das sind die Franzosen. Immer eine Minute nach unserem Wecken.

        Bolitho versuchte, ihn aus seiner Stimmung zu rei?en.»Und was machen die Amerikaner?»
        Der Offizier seufzte.»Sie haben Kanonen uber dem Flu? stationiert. Die werden beim ersten Morgenlicht anfangen zu feuern. Viel wirkungsvoller als alle verdammten Horner!»
        Bolitho wandte sich an Buckle.»Wir werden auf diesem Kurs bleiben, so lange unsere Leute die Kraft dazu haben. Der Wind wird gunstig sein, wenn wir spater halsen, aber ich mochte so weit wie moglich uber den York River hinauskommen.»
        Er blickte nach oben und sah zum erstenmal den Masttopstander. Der flappte leise achteraus, zeigte aber kein Auffrischen des Windes an. Wenn er jetzt starker wurde, konnten die Manner den Schlag nicht halten. Sogar mit Tyrells Bootsmannschaften ware es hart gewesen, ohne sie war es unmoglich.
        Querab sah er die uberhangende Landspitze von Cape Charles, und weit dahinter, wie einen dunnen goldenen Faden, den Horizont. Er zeigte sich der Sonne, die allmahlich in Sicht kam und See von Himmel, Nacht von Tag trennte.
        Es gab einen gedampften Knall, und Sekunden spater sah er die vielsagende wei?e Gischtfontane die Stelle bezeichnen, wo die Kugel in die Bucht geschlagen war.
        Der Fahnrich bemerkte ungeruhrt:»Auf diese Distanz werden sie Sie nie erreichen. Sie haben gut eine halbe Meile Spielraum.»

«Wo steht die Batterie?»
        Der Soldat betrachtete ihn neugierig.»Uberall, Sir. Uberall in diesem Gebiet stehen Geschutze. Yorktown und die Zugange sind in einen Eisenring gelegt. Und die Armee steht mit dem Rucken zur See. «Plotzlich sah er sehr jung und verletzbar aus.»Nur die Flotte kann uns retten.»
        Bolitho stellte sich vor, wie Farrs Heran in aller Eile nach New York fuhr. Selbst dort traf er Hood vielleicht schon nicht mehr an, vielleicht war der bereits nach Newport gefahren, um de Barras aufzuhalten.
        Er dachte auch an Odell und dessen einsame Wache mit Lucifer. Wenn die Franzosen durch den wenig benutzten Bahamakanal kamen, wurde er keine Aufforderung brauchen, um Segel zu setzen und schleunigst zu verschwinden.
        Er blinzelte, als einen Sonnenstrahl uber das ferne Kap spielte und die Rahen und Spieren honigfarben aufleuchten lie?. Er zog seine Uhr heraus. Mittlerweile sollte Tyrell in Kontakt mit den Wachtposten von Cornwallis gekommen und auf dem Weg zuruck nach Lynnhaven sein. Durch das Ankerlichten und Rudern wurden sie mindestens eine Stunde eher zusammentreffen.
        Glass rannte die Leiter herauf, keuchend vor Anstrengung.»Ich kann sie nicht viel langer halten, Sir. «Er blickte auf die Riemen hinunter, auf ihr trages Auf und Ab.»Soll ich sie das Tauende spuren lassen?»

«Das werden Sie nicht tun. «Bolitho schaute weg. Glass war nicht bosartig, noch war er fur unnotige Harte. Er wu?te einfach nicht, was er sonst tun sollte.»Sagen Sie ihnen: Noch eine halbe Stunde, dann werden wir Segel setzen oder ankern.»
        Glass wand sich verlegen.»Es ware besser, wenn Sie es selbst sagen, Sir.»
        Bolitho ging zur Reling und rief:»Noch eine Drehung des Stundenglases, Leute!«Er horte Stohnen, die mit Seufzern gemischten Fluche derer, die im Schatten verborgen waren.»Entweder das, oder unsere Leute da drau?en sind sich selbst uberlassen. Denkt daran, es hattet ihr sein konnen!»
        Er drehte sich um und wu?te nicht, ob seine Worte mehr als Wut hervorgerufen hatten.
        Glass beobachtete kritisch und spuckte dann in die Hande.»Das war genau das Richtige! Schon besser!»
        Bolitho seufzte. Der Riemenschlag sah genauso trage aus wie vorher, aber wenn der Bootsmann zufrieden war, dann…
        Er fuhr herum, als eine Stimme rief:»Boot backbords voraus, Sir.»
        Bolitho umklammerte die Reling.»Nur eines?»

«Aye, Sir.»

«Gehen Sie zwei Strich nach Backbord.»
        Bolitho versuchte, nicht an das fehlende Boot zu denken. Er spurte, wie der Rumpf achzte, der Schlag aussetzte, als das Ruder uberkam.
        Der Soldat sagte ruhig:»Nicht naher, bitte. Sie kommen gleich in Reichweite der Kanonen.»
        Bolitho ignorierte ihn.»Pullt, Leute! Vorwarts, gebt euer Letztes!»
        Ein Mann fiel erschopft von der Ruderbank und wurde von Dalkeith weggezogen.
        Der Ausguck schrie:»Es ist der zweite Kutter, Sir. Der von Mr. Graves!»
        Dalkeith zog sich die Leiter hinauf an die Reling.»Ich wei?, was Sie jetzt denken, Sir. «Er hielt Bolithos kaltem Blick stand.»Tyrell wurde Sie nie verlassen. Nicht um alles in der Welt.»
        Bolitho schaute uber Dalkeiths Schulter zum Land. Im starker werdenden Licht sah er gro?e Baume und dahinter einen runden Hugel. Die Sparrow lag bewegungslos. Die Riemen hielten sie nur gegen Wind und Stromung. In einer Minute wurden die Leute lockerlassen und zur Kuste hinabtreiben. Sie hatten ihr Bestes getan, aber es war nicht genug.
        Er sagte scharf:»Zum Teufel, Mr. Dalkeith! Ich lasse mich von Ihnen nicht belehren!«Dann lehnte er sich uber die Reling.»Mr. Heyward! Klar zum Ankerwerfen!»
        Bolitho wartete, wahrend die Manner dem Befehl Folge leisteten und Glass andere nach unten sandte, um die wild schlagenden Riemen jener zu halten, die ausgepumpt auf Deck gefallen waren. Er horte einen Knall und sah die Kugel sehr nahe bei dem herankommenden Kutter eine Wasserfontane aufwerfen. Das Boot fuhr schnell auf sie zu, und er konnte Graves an der Pinne sehen, sein Hut hing schief, als er seinen Rudergangern den Takt angab.

«Fertig, Sir.»
        Er gab mit dem Arm das Zeichen.»Fallen Anker!»
        Als der Anker griff und der Rumpf am Tau herumschwang, schrie er:»Riemen ein! Mr. Glass, bringen Sie die Leute auf Trab!»
        Dalkeith blieb fest.»Sie konnen nichts dafur, Sir. «Er hielt Bolithos Blick stand. Sie konnen mich verfluchen, wenn Sie wollen, aber ich werde nicht danebenstehen und zuschauen, wie Sie sich qualen!»
        Der Kutter hatte am Fallreep angelegt, und er horte Graves den Mannern an Deck zurufen.
        Er sagte leise:»Danke fur Ihre Besorgnis. Es gibt aber niemand anderen, den ich verantwortlich machen konnte.»
        Er zwang sich zu warten, bis Graves an Bord geklettert war, dann rief er scharf: Kommen Sie nach achtern! Der Bootsmann kann sich um den Kutter kummern!»
        Graves eilte auf ihn zu, sein Gesicht zuckte heftig.
        Bolitho fragte:»Wo sind die anderen?«Er zwang sich zur Ruhe, doch war er sich bewu?t, da? sein ganzes Wesen in Graves' betroffenes Gesicht schrie.

«Wir liefen bei einigen Untiefen auf Grund, Sir. Beide Boote trennten sich. Es war die Idee des Ersten Leutnants. Eine Soldatenpatrouille hatte signalisiert, wo wir die Boote festmachen sollten, es gab aber eine Schie?erei. Ich vermute feindliche Scharfschutzen.»

«Und dann?«Er konnte die anderen in der Nahe Stehenden fuhlen, sah Heywards erstarrtes Gesicht, als er Graves' sprunghaftem Bericht lauschte.

«In der Dunkelheit versuchten wir Schutz zu finden. Ich verlor einen Mann, und Tyrell sandte uns Anweisung, im Bachbett versteckt zu bleiben. «Er schuttelte vage den Kopf.»Die Kugeln flogen aus allen Richtungen. Tyrell wollte einen der Offiziere an Land sprechen. Sie wu?ten offensichtlich, da? wir kommen wurden. Ihre Posten hatten uns gesehen. «Sein Mund zuckte unkontrolliert.»Wir blieben da und warteten, dann wurde das Feuer starker, und ich horte Manner durch die Busche hasten. Es mu?te ein ganzer Zug oder noch mehr gewesen sein!»

«Haben Sie nicht daran gedacht, Mr. Tyrell zu Hilfe zu eilen?»
        Graves starrte ihn mit leeren Augen an.»Wir waren in Lebensgefahr! Ich sandte Fowler nach den anderen aus, aber…»

«Sie taten was?«Bolitho streckte die Hand aus und fa?te ihn am Rock.»Sie haben diesen Jungen ganz allein losgeschickt?»

«Er meldete sich freiwillig, Sir. «Graves blickte Bolithos Hand auf seinem Rock an.»Als er nicht zuruckkam, beschlo? ich«- er hob die Augen, hatte seine Fassung wiedererlangt -,»Ihren Befehlen zu gehorchen und mich zum Schiff zuruckzuziehen.»
        Bolitho lie? ihn los und wandte sich ab. Ihm war ubel vor Entsetzen uber das, was Graves getan hatte. Die jammerliche Verteidigung des Leutnants machte es fast noch schlimmer, wenn das moglich war. Er hatte nur seinen Befehlen gehorcht. Daher war sein Verbrechen annehmbar.
        Eine Rauchwolke stieg von der nachsten Landzunge auf, und er sah die Kugel nur eine halbe Kabellange vom Schiff entfernt einschlagen. Schon jetzt mochte irgendein Offizier druben ein starkeres Geschutz anfordern. Eines, das mit einem so vielversprechenden Ziel kurzen Proze? machte.
        Er horte sich selbst sagen:»Sagen Sie Mr. Yule, er soll das Backbordbuggeschutz ausrennen und auf den Pulverrauch dort richten. Er soll mit Kartatschen schie?en, bis er einen anderen Befehl erhalt. Vielleicht wird das ihren Eifer dampfen.»
        Er ging an Graves vorbei, ohne ihn eines Blickes zu wurdigen.

«Bemannen Sie sofort den Kutter. «Er musterte die schweigenden Seeleute auf dem Geschutzdeck.»Ich mochte Freiwillige fur. «Er schluckte, als alle Manner geschlossen auf ihn zukamen, wie an Drahten gezogen.»Danke. Nur eine Bootsmannschaft. Mr. Glass, erledigen Sie das sofort.»
        Zu Heyward sagte er:»Sie bleiben hier. «Er schaute Graves immer noch nicht an. Wenn ich fallen sollte, werden Sie dem Steuermann helfen, das Schiff in Fahrt zu bringen, verstanden?»
        Heyward nickte mit gro?en Augen.
        Dalkeith beruhrte seinen Arm.»Sehen Sie, Sir!»
        Es war der andere Kutter, oder was noch davon ubrig war. Selbst in diesem schwachen Licht konnte man das zersplitterte Dollbord erkennen, die paar ubriggebliebenen Riemen, die ihn so langsam in dem unruhigen Wasser vorwartsbrachten.
        Noch ein Krachen, und eine weitere Wasserfontane spritzte genau achteraus vom Kutter himmelwarts. Das versteckte Geschutz hatte ein kleineres, aber naheres Ziel gefunden.
        Bolitho zuckte zusammen, als Yules Mannschaft vorn den ersten Schu? abgab, sah die Baume wie im Sturm erzittern, als die geballten Kartatschen auf die verwehende Rauchwolke zuschossen.

«Ein Fernrohr!»
        Er wagte kaum, es an die Augen zu heben. Dann sah er den Kutter, die von Musketenkugeln herruhrenden Schrammen in der Bordwand, die schlaffen Korper zwischen den noch verbleibenden Rudergangern. Schlie?lich erblickte er Tyrell. Er sa? ganz achtern auf dem Dollbord, einen Korper uber seinen Knien, und steuerte das Boot an dem wei?en Schaumfleck vorbei, den die feindliche Kugel hinterlassen hatte.
        Leise sagte er:»Gott sei Dank.»
        Das Buggeschutz fuhr wieder nach innen, ri? ihn aus seinen Gedanken, seiner uberwaltigenden Erleichterung.
        Er schrie:»Mr. Bethune, nehmen Sie den Kutter und helfen Sie Mr. Tyrell. «Er sah zu Buckle hin.»Lassen Sie aufentern und bereiten Sie das Setzen der Topsegel vor!»
        Die Erschopfung und die ganze Emporung uber Graves' Bericht schien zu verfliegen, als die Manner an ihre Stationen eilten. Der Kutter stie? ab, Bethune stand aufrecht darin und feuerte seine Mannschaft zu gro?eren Anstrengungen an.
        Dalkeith sagte:»Nun, Sir…«Er kam nicht weiter.
        Einer der Toppgasten, der die hochste Rahe noch vor seinen Kameraden erreicht hatte, rief:»Wahrschau an Deck! Segel umrundet die Landspitze!»
        Bolitho ergriff ein Glas und richtete es aus. Das Schiff war noch weit drau?en vor der Bucht, kreuzte aber mit verzweifelter Hast auf Cape Henry zu. Es war die Lucifer.
        Odell wurde entsetzt sein, hier keine Flotte vorzufinden, nicht einmal die Heran vor Anker. Bolitho erstarrte. Der Besanmast des Schoners war beschadigt, er reagierte nur widerwillig, als er versuchte, naher an die Einfahrt heranzukreuzen. Er mu?te, vielleicht im Schutz der Dunkelheit, unvorbereitet angegriffen worden sein. Es gab keinen Zweifel uber die klaffenden Risse in ihrem Focksegel, die ungleiche Verteilung der Takelage.
        Er sah Flaggen sich im Wind entfalten, hielt das Glas reglos, wahrend seine Lippen das kurze Signal buchstabierten.
        Er wandte sich zu Buckle um: «Feind in Sicht.»

«Allmachtiger Gott!»

«Mr. Heyward!«Dieser drehte sich am Ankerspill um.

«Klar zum Kappen des Ankers! Wir werden die Boote nicht erst einholen, sondern gleich Segel setzen, sobald unsere Leute an Bord sind!»
        Er horte einen wilden Aufschrei, und als er wieder nach achtern blickte, sah er, wie die Lucifer ihre gro?en Segel zusammenfaltete wie die Schwingen eines sterbenden Vogels. Sie mu?te alles riskiert haben, um ihn mit ihren Neuigkeiten zu erreichen, mit diesem einen lebenswichtigen Signal. Sie war zu nahe heran und auf die Untiefe gelaufen, die Tyrell so lebendig beschrieben hatte.
        Er zwang sich, zur Reling zu gehen und nach den Booten auszuschauen. Tyrells Kutter war fast uberspult, aber Bethune war bei ihm, die Verwundeten wurden herubergezogen, und ein roter Fleck zeigte, da? mindestens ein Soldat bei der Gruppe war.
        Jetzt feuerten noch mehr Geschutze, die Kugeln warfen gro?e Fontanen im blassen Sonnenlicht auf, wie eine Reihe von springenden Delphinen.
        Einige der Toppgasten riefen heiser Hurra, als Bethune den vollgeschlagenen Kutter abstie? und den seinen zuruck zur Sparrow steuerte.
        Bolitho wandte sich an Graves, der noch wie vorher dastand.»Kummern Sie sich um Ihre Geschutze. «Sein Ton war formell, obwohl er sich selbst nicht mehr verstand. Er konnte sich vorstellen, wie der zerbrechliche Rumpf der Lucifer auf den Felsen zerschellte, wahrend Tyrells angeschlagenes Boot versuchte, die Sparrow noch zu erreichen. Er konnte sich sogar den jungen Fowler vorstellen, ein richtiges Kind, wie er durch einen unbekannten Wald rannte, wahrend uberall um ihn Schusse krachten» Tun Sie Ihre Pflicht. Das ist alles, was ich von Ihnen verlange. «Er blickte weg.»Und was ich jemals von Ihnen verlangen werde.»
        Er horte das Boot langsseits kommen und sah, wie Tyrell und die anderen durch die Schanzkleidpforte gezogen wurden, man ihnen auf die Schultern schlug und sie mit Fragen und Hochrufen bombardierte.
        Bolitho ging auf ihn zu und bemerkte mit plotzlicher Verzweiflung, da? Tyrell Fahnrich Fowler trug. Es mu?te also sein Korper gewesen sein, der auf seinen Knien lag.
        Tyrell sah ihn unbewegt an, grinste nur mude.»Er ist in Ordnung. Erst weinte er sich das Herz aus dem Leibe, dann ist er im Boot eingeschlafen. «Er ubergab den Fahnrich einigen Seemannern.»Vollig erschopft, der arme kleine Kerl. «Er sah Graves an und fugte hinzu:»Aber er hat Mut. Sogar ziemlich viel. «Dann trat er vor und ergriff Bolithos Hande.»Er ist nicht der einzige, wie es scheint.»
        Eine neue Stimme sagte schleppend:»Ich hab's doch gleich gesagt, da? wir uns wiedersehen wurden!»
        Es war Oberst Foley. Eine Bandage um den Hals, die Uniform in Fetzen, wirkte er dennoch genauso untadelig, wie ihn Bolitho in Erinnerung hatte.
        Bolitho sagte:»Ich auch. «Er blickte Tyrell an.»Wir haben noch einen hei?en Tag vor uns, furchte ich. Die Lucifer ist erledigt, und wir mussen schnell auslaufen, wenn wir ihrem Schicksal entgehen wollen.»

«Aye. «Tyrell hinkte zum Steuerrad.»Das dachte ich mir schon.»
        Ein Schrei von oben lie? jedes Auge zur Landspitze hinuberschauen. Sehr langsam, mit gebra?ten Rahen, segelten eine Fregatte und ein tiefgehender Transporter etwa auf der Hohe des schiffbruchigen Schoners in die Bucht.
        Bolitho sagte nur:»Schneller als ich dachte. «Er blickte Heyward an.»Wir kappen den Anker. «Zu Tyrell gewandt, fugte er hinzu:»Danach geben Sie Befehl, die Geschutze zu laden und auszurennen.»
        Der Kutter mit seinen toten Rudergangern loste sich von der Bordwand, ein Mahnmal fur ihr aufgegebenes Opfer.
        Bethune kam nach achtern gerannt, sein Gesicht gluhte vor Erregung.
        Bolitho sagte:»Gut gemacht. Ich sehe Sie schon als Leutnant, trotz aller Risiken, die Sie eingehen. «Er fuhlte sich plotzlich ausgeglichen, sogar entspannt.»Hei?t die Flagge! Wir wollen der Armee zeigen, da? wir sie nicht ohne Grund im Stich lassen!»
        Das Tau war gekappt, und mit vollen Royalsegeln drehte sich die Sparrow in engem Bogen herum; das Donnern ihrer Leinwand ubertonte das Geschutzfeuer von Land her, ihre Seeleute waren zu beschaftigt, um an etwas anderes als ihre Arbeit zu denken und an die Notwendigkeit, die offene See zu erreichen.
        Bis die Sparrow gewendet und Kurs auf die Kaps genommen hatte, konnte niemand mehr die Absichten des Feindes bezweifeln. Als Tyrell meldete, da? alle Geschutze feuerbereit seien, hob Bolitho sein Glas, um ein weiteres Schiff zu studieren, das soeben die sudliche Landspitze umrundete: noch ein schwerer Transporter, und gleich dahinter die geblahten Segel einer Geleitschutzfregatte.
        Tyrell sagte:»Beim Allmachtigen, nichts Geringeres als eine ganze Flotte!»
        Buckle rief:»Kurs liegt an, Sir! Sud zu West!»
        Der erste Transporter hatte schon Anker geworfen; Bolitho sah durch sein Fernrohr, da? seine Boote mit geubter Prazision zu Wasser gelassen wurden, das Sonnenlicht glanzte auf Waffen und Uniformen, als Soldaten uber Leitern und Netze in einer Weise hinunterkletterten, die auf viel Praxis schlie?en lie?. Er richtete sein Glas auf das zweite gro?e Schiff. Es war ebenfalls voller Soldaten, auf dem Deck standen Protzen, au?erdem waren an ihren Rahen so schwere Taljen befestigt, wie man sie dazu verwendete, um Pferde in Boote oder Leichter zu verladen.
        Oberst Foley sagte gedehnt:»Wir haben gehort, da? Rochambeau Verstarkung erwartet. Man konnte sagen, da? sie jetzt eingetroffen ist.»
        Bolitho blickte ihn an.»Was ist jetzt Ihre Aufgabe?»

«Falls Sie mich nach New York bringen konnen, habe ich Depeschen fur General Clinton. Sie werden wahrscheinlich Cornwallis nicht mehr helfen, aber der General wird trotzdem horen wollen, was hier vorgeht. «Er lachelte kurz.»Wie ich erfuhr, sind Sie mit unserem alten Freund Blundell streng umgesprungen. Es war an der Zeit. «Er zog eine Augenbraue hoch.»Und Sie haben seine Nichte wiedergesehen?»
        Bolitho beobachtete, wie der Kluverbaum langsam herumschwang und schlie?lich auf die au?erste Landspitze zeigte. Wie konnten sie sich nur so ruhig und distanziert unterhalten, wenn der Tod so nahe war?
        Er erwiderte:»Ja. Sie wird jetzt in England sein.»
        Foley seufzte.»Das erleichtert mich. Sie wollte doch, da? Sie den Dienst quittieren und sich ihren Bewunderern anschlie?en, nicht wahr?«Er hielt eine Hand hoch. Machen Sie sich nicht die Muhe zu antworten! Es steht Ihnen klar im Gesicht geschrieben, genauso wie es in meinem gestanden haben mu?.»
        Bolitho lachelte ernst.»Etwa in der Art.»

«Als sie meiner mude war, wurde ich zu Cornwallis abkommandiert. Das hat sich sogar als Vorteil erwiesen. Und Sie?»
        Tyrell trat von der Reling zuruck.»Sie lie? ihn fast toten!»
        Foley schuttelte den Kopf.»Eine au?erordentliche Frau.»

«Wahrschau an Deck! Linienschiff umrundet das Kap!»
        Bolitho fuhlte, wie es ihm beim Gedanken an Odells Blitzfahrt kalt den Rucken hinunterlief. Tag fur Tag hatten sie achteraus nach den verfolgenden Schiffen ausgeschaut. Es mu?te fur jeden Mann an Bord ein Alptraum gewesen sein.
        Die Boote von beiden Transportern hielten nun auf das Land zu, ihr Tiefgang lie? erkennen, wie vollbesetzt sie waren.

«Lassen Sie Bramsegel setzen, Mr. Tyrell. Wir mussen heute jeden Fetzen ausnutzen.

        Foley zog seinen Sabel und drehte ihn in den Handen.»Ich nehme an, da? Sie nicht einfach nur fliehen?»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Diese beiden Fregatten kurzen Segel, Colonel. Sie wollen uns zusammenschie?en, wenn wir versuchen, von der Untiefe freizukommen. «Er deutete auf die vor Anker liegenden Transportschiffe.»Dort verlauft unser Kurs. Dicht unter Land, wo man uns am wenigsten erwartet.»
        Foley grinste.»Oder willkommen hei?t.»
        Bolitho blickte Buckle an.»Wenn wir uber Stag gehen, mussen Sie so weit wie moglich auf Cape Henry zuhalten.»

«Aye, Sir. «Buckle spahte durch Wanten und Stagen nach den Schiffen aus.
        Bolitho hob wieder sein Glas. Die beiden Fregatten standen unter einem Minimum an Leinwand mit einiger Schwierigkeit vor dem Wind und warteten auf die kleine Korvette, die an ihnen vorbeifahren sollte. Kaum eine Meile Abstand. Er beobachtete sie genau, bemerkte ihre Abdrift, die Sonne, die auf ihren Breitseiten und auf den erhobenen Fernglasern ihrer Offiziere glanzte.
        Er fragte:»Wie viele Boote sind jetzt zu Wasser?»
        Bethune rief:»Mindestens drei?ig!»

«Gut.»
        Bolitho stellte sich vor, wie die zusammengedrangten Soldaten die Fahrt der Sparrow in eine trugerische Sicherheit beobachteten. Ein Schauspiel, das ihre eigenen Zweifel und Angste uber das, was sie auf dem amerikanischen Festland erwartete, vertreiben mochte.
        Bolitho zog seinen Sabel und hob ihn uber den Kopf. Am Geschutzdeck sah er die Mannschaften an den Taljen kauern, jeder Geschutzfuhrer spahte mit einsatzbereiter Lunte nach achtern. Am Gro?mast oben wurden zwei Drehbassen hin und her geschwenkt, ein Seemann sa? auf der Verkleidung, frische Kartatschen gegen seine Brust gedruckt. Als Bolitho seine Augen uber das ihm anvertraute Schiff gleiten lie?, wurde er merkwurdigerweise an die Worte erinnert, die Colquhoun vor so langer Zeit gesagt hatte: «Wenn alle anderen achtern auf Sie schauen…»
        Er horte einen scharfen Knall und Sekunden spater das hohe Pfeifen einer Kugel uber sich. Eine der Fregatten hatte einen Probeschu? abgefeuert. Er aber sah nur das nachstliegende Transportschiff, das am Ankertau schwolle, das hohe Achterdeck der Kuste zugewandt. An Bord der Fregatten wurden die Geschutzmannschaften untereinander Wetten abschlie?en. Wie viele Kugeln konnten sie abfeuern, ehe die Sparrow im Kreuzfeuer unterging oder sich ergab?
        Er ri? den Sabel nach unten.»Jetzt!»
        Das Ruder achzte laut, und als die Manner an den Brassen hievten, um die Rahen wieder zu trimmen, begann sich der Bug der Sparrow zu drehen. Bolitho hielt den Atem an und schaute zu den Fregatten hinuber, die mehr und mehr backbords verschwanden, wahrend das nachstliegende Transportschiff und dann eine Unzahl von Ruderbooten vor den Kluverbaum gerieten; hinter ihnen offnete sich das Land, als ob es sie mit beiden Armen erdrucken wollte.

«Kurs halten!»
        Bolitho rannte an die Reling, dachte an Tyrells Beschreibung der Lynnhaven Bay, an die Tiefen und Stromungen, die Gefahren und knappen Uberlebenschancen.
        Buckles Ruderganger fluchten und drehten das Rad gegen den doppelten Angriff von Wind und See; als Gischt uber den Bugspriet scho?, sah Bolitho die nachsten Ruderboote in wilder Hast ausweichen. Endlich waren die Gefahren seiner Absichten allen nur zu klar.
        Geschutzfeuer donnerte uber die Bucht, Kugeln pfiffen und schlugen sehr nahe am Rumpf ein. Aber die beiden Fregatten waren von dem Manover uberrascht worden, und als die Sparrow auf die Kuste zuhielt, wu?te Bolitho, da? sie in wenigen Minuten durch das erste Transportschiff vor dem Feuer geschutzt sein wurden.
        Er konnte fuhlen, da? die Ekstase ihn durchzuckte wie ein Fiebersto?, und als er zum Geschutzdeck hinunterschrie, wu?te er, da? diese Erregung ansteckend war, sah die Manner wie halbnackte Damonen an ihren offenen Geschutzpforten lauern.

«Achtung!«Der Sabel schwebte wieder uber seinem Kopf.»Tief halten!»
        Die Laufe neigten sich zum schaumenden Wasser, die Geschutzfuhrer tanzten von einer Seite auf die andere, wahrend ihre Manner mit neuer Munition fur die nachste und die darauffolgende Salve bereitstanden.

«Gut so!«Der Sabel hing in der Luft, die Morgensonne glanzte wie Gold darauf.
»Feuer!»
        Die Luft wurde von der Gewalt der beiden Breitseiten formlich auseinandergerissen. Als der dichte Rauch noch auf die Decks wirbelte, die Geschutzmannschaften mit ihrem Hurrageschrei das Quietschen der Lafetten, das Klappern de Handspaken und Ladestocke ubertonten, sah Bolitho schon die nachsten feuerspeienden Zungen am Bug, die doppelten Ladungen schlugen in Boote und Soldaten, Splitter und Gischt wirbelten umher. Uber dem Deck erzitterten die angebra?ten Segel bei jeder Explosion, der Rauch stieg zu beiden Seiten auf wie wurgender Nebel, wahrend die Geschutze der Sparrow wieder und wieder feuerten.
        Der scharfere Knall von Musketen, die metallischen Einschlage der Drehbassen machten eine Verstandigung unmoglich. Es war ein Alptraum, eine Welt der Verzweiflung. Boote taumelten gegen den Rumpf, und Bolitho fuhlte, wie das Deck erbebte, als die Sparrow mit dem Bug eine Barkasse rammte, die mitten entzweibrach und die viel zu zahlreichen Soldaten in schreiender und um sich schlagender Verwirrung ausspie.
        Ein Transportschiff feuerte jetzt, seine oberen Geschutze spien Kugeln uber die zerfetzten Boote und schlugen durch die Segel der Sparrow wie mit Riesenfausten.
        Eine Kugel zischte durch die Wanten, Bolitho horte schrille Schreie, als zwei Seeleute an der gegenuberliegenden Seite zerrissen wurden. Er sah Fowler benommen an den zerstuckelten Leichen vorbeigehen, das Gesicht wie in Gedanken verschlossen. Er bemerkte, da? er wieder mit den Fingern schnippte.
        Der Rumpf rollte nochmals stark, und unter seinen Fu?en spurte er den Einschlag einer feindlichen Kugel im Geschutzdeck, das nachfolgende Rumpeln eines umsturzenden Zwolfpfunders. Ein weiteres Langboot glitt an Steuerbord entlang, einige Manner feuerten ihre Musketen ab, andere stolperten uber die Ruderer an den Riemen. Kugeln schlugen in Reling und Schanzkleid, ein Seemann fiel blutspuckend, als eine Kugel ihn in den Hals traf.
        Bolitho rannte zur Reling und wischte sich die tranenden Augen, damit er nach achtern sehen konnte. Die Wasseroberflache war ubersat mit zerschmetterten Booten und treibendem Holz. Einige Manner schwammen, andere wurden durch das Gewicht ihrer Ausrustung unter Wasser gezogen.
        Foley lud gerade seine Muskete wieder; er schrie:»Noch ein paar weniger, gegen die unsere Leute kampfen mussen!«Er lehnte sich uber die Reling und erscho? einen Soldaten, der gerade auf die Korvette feuern wollte.
        Bolitho spahte zur Kuste. Sie war ziemlich nah, fast zu nah.

«Wenden!«Er mu?te den Befehl wiederholen, ehe Buckle ihn verstand.
        Mit kreischenden Blocken und wieder rundgebra?ten Rahen krangte die Sparrow gefahrlich auf Backbordbug, ihr Kluver schien genau auf das Festland zu zeigen.
        Und dort lag das zweite Transportschiff, schwoite wie trunken quer vor ihrem Bug, die Geschutzpforten schon geoffnet und feuerspeiend.
        Eine Kugel durchschlug die Achterdeckreling, zersplitterte sie wie ein Streichholz und totete einen Bootsmannsmaat, der gerade den Leuten an den Besanbrassen etwas zuschrie. Blut spritzte auf Bolithos Kniehosen, er sah andere Manner im Geschutzdeck fallen; die Schutznetze daruber bewegten sich ruckartig, als Taue und zerfetzte Segel hineinfielen.
        Ein kurzer Blick nach oben zeigte ihm, da? der Masttopstander fast genau achterlich stand. Sie waren so hart am Wind wie eben moglich. Ein Strich mehr oder weniger machte jetzt keinen Unterschied. Es war kein Platz zum Manovrieren vorhanden, keine Zeit, den Kurs zu wechseln.
        Tyrell schrie:»Zerschmettert dem Bastard das Achterdeck!«Er gestikulierte zum nachststehenden Geschutzfuhrer.»Kartatschen! Macht ihn fertig!»
        Er starrte Bolitho mit vor Mudigkeit glasigen Augen an, in denen sich die Kampfeswut spiegelte.

«Sie kommt uber!«Er fing einen Seemann auf, der aus den Wanten fiel, das Gesicht eine blutige Masse.»Noch einer fur den Doktor!«Er wandte sich erneut zu Bolitho um, stie? dann einen unterdruckten Schrei aus und hielt beim Fallen seinen Schenkel umfa?t.
        Bolitho kniete neben ihm, hielt ihn an den Schultern fest, als weitere Kugeln Splitter vom Deck fetzten. Tyrell schaute zu ihm auf, die Augen dunkel vor Schmerzen.

«Schon gut. «Er knirschte mit den Zahnen.»Es ist nur das verdammte Bein!«Bolitho sah Dalkeith stolpernd uber Deck rennen, einige seiner Manner hinter ihm.
        Tyrell sagte schwach:»Ich wu?te, da? man es abnehmen mu?. Jetzt gibt's wohl keine Ausreden mehr, eh?«Dann wurde er ohnmachtig.
        Vom splitterubersaten Geschutzdeck aus sah Graves ihn fallen, obwohl er sich vor dem Larm und dem Gestank des Todes duckte.
        Er schrie:»Ausrennen!«und schlug nach einem Seemann mit wildem Blick.»Richten! Fertig!«Er blickte starr auf die aufragenden Segel des Transportschiffs, das dwars auftauchte.»Feuer!»
        Das Deck baumte sich unter ihm auf, und er sah, wie zwei Manner in blutige Stucke gerissen wurden; ihre Schreie verstummten, ehe sie das blutverschmierte Deck erreichten. Aber irgendwo dachte er in seiner Verwirrung an Tyrell. Er mu?te tot sein, verdammt. Seine Schwester stand dann allein. Eines Tages, vielleicht fruher, als die anderen erwarteten, wurde er sie finden. Und sie sich nehmen.
        Ein Feuerwerkersmaat blickte zu ihm auf, sein Mund war wie ein schwarzes Loch, als er brullte:»Vorsicht, Sir! Um Himmels willen. «Seine Worte gingen unter im Krachen von Holz, als die Gro?brahmstenge wie ein fallender Baum durch die Netze schlug. Sie grub sich in die Planken und noch tiefer bis ins nachste Deck. Als die mitgerissene Takelage zwischen die feuernden Geschutze donnerte, starb Graves, unter der gebrochenen Rah begraben.
        Vom Achterdeck aus sah Bolitho ihn sterben, und er wu?te, da? die vielen Monate Patrouillendienst, Sturme und Kampfe die Rah schlie?lich doch gebrochen hatten, die sie, scheinbar vor tausend Jahren, nach einer Schlacht so sorgsam verlascht hatten.
        Aber Heyward war da, seine Stimme trieb die Geschutzmannschaften an, als das verankerte Transportschiff im Rauch verschwand, den Rumpf mit Einschlagen ubersat.
        Der Wind wehte den Rauch zur Seite, und fast unglaubig sah Bolitho die Klippen von Cape Henry zur Seite weichen wie eine riesige Tur; der Horizont dahinter glitzerte vielversprechend.
        Fowler rutschte auf Blut aus und schluchzte:»Es hat keinen Zweck! Ich kann nicht…»
        Bethune ging zu ihm hin.»Sie konnen und werden, verdammt noch mal!»
        Der junge Fahnrich drehte sich blinzelnd um.

«Was?»
        Bethune grinste, sein Gesicht vom Pulverdampf geschwarzt.»Sie haben mich gehort! Also los, mein Junge!»

«Mr. Buckle!«Bolitho zuckte zusammen, als ein paar verirrte Kugeln durch die Wanten pfiffen und noch mehr Segel herunterrissen.»Ich mochte.»
        Aber der Steuermann reagierte nicht. Er sa? mit dem Rucken zum Niedergang, die Hande auf der Brust wie zum Gebet gefaltet. Seine Augen waren offen, aber die immer gro?er werdende Blutlache um ihn herum erzahlte ihre eigene Geschichte.
        Glass und ein einzelner Seemann standen am ungeschutzten Ruder, die Augen wild, die Beine zwischen Toten und Sterbenden eingekeilt.
        Bolitho sagte scharf:»So hoch wie moglich. Das Wrack der Lucifer zeigt Ihnen, wo die Sandbank liegt.»
        Als das Sonnenlicht die Korvette vom Bug bis zum Heck einhullte und als die Rahen herumschwangen, um sie aus der Bucht zu tragen, sah Bolitho eine gro?e Zahl Schiffe uber den sudlichen Horizont segeln und die See fullen. Es war ein phantastischer Anblick. Geschwader auf Geschwader schienen sich die Linienschiffe zu uberlappen, als sie auf die Chesapeake Bay zustrebten.
        Foley murmelte:»De Grasse. Eine solche Flotte habe ich noch nie gesehen.»
        Bolitho ri? seine Augen los und eilte zur Heckreling. Kein Anzeichen von Verfolgung aus der Bucht, er hatte es auch nicht erwartet. Die beiden Fregatten wurden ihren neuen Ankerplatz halten und versuchen, einige Soldaten zu retten, die dem Blutbad der Sparrow entkommen waren. Er drehte sich zum Ruder um, an dem Heyward und Bethune standen und ihn beobachteten.

«Wir halsen sofort!«Er sah Dalkeith und rief:»Wie geht es?»
        Dalkeith sah ihn traurig an.»Es ist uberstanden. Er schlaft jetzt. Aber ich bin zuversichtlich.»
        Bolitho wischte sich das Gesicht ab und fuhlte, wie Stockdale ihn am Arm stutzte, als das Schiff im auffrischenden Wind stark krangte.
        Es gab so viel zu tun. Reparaturen mu?ten ausgefuhrt werden, noch wahrend sie der ankommenden Streitmacht Frankreichs zu entfliehen trachteten. Sie mu?ten Admiral Graves finden und ihm von der Ankunft des Feindes berichten. Die Toten bestatten. Er fuhlte sich wie benommen.
        Yule, der Feuerwerker, kletterte herauf und fragte heiser:»Sind hier ein paar Mann ubrig? Ich brauche sie fur die Pumpen.»
        Bolitho sah ihn an.»Holen Sie sie woanders. «Er blickte sich unter den in den verschiedenen Haltungen des Todes erstarrten Korpern um.»Hier liegen nur die Tapferen.»
        Erschreckt blickte er nach oben, als er hoch uber dem Deck jemanden singen horte. Uber der zerfetzten Leinwand und der herunterhangenden Takelage, an der Stelle, wo die Gro?brahmstenge abgesplittert war, die Graves totete, sah er einen einsamen Seemann im Sonnenlicht arbeiten; sein Marlspieker blitzte, als er ein gebrochenes Stag splei?te. Die Gerausche der See und der schlagenden Segel waren zu laut, um die Worte verstehen zu konnen, aber die Weise schien vertraut und seltsam traurig.
        Foley trat zu ihm und sagte ruhig:»Wenn sie nach dem, was sie eben erlebt haben, so singen konnen…«Er drehte sich um, da es ihm unmoglich war, Bolitho ins Gesicht zu sehen.»Dann, bei Gott, beneide ich Sie!»



        Epilog

        Zwei Tage, nachdem sie sich aus der Bucht gekampft hatten, sichteten die Ausgucks der Sparrow die Vorhut von Admiral Graves' Flotte, welche an der Kuste von Maryland sudwarts segelte. Das Zusammentreffen war so aufregend wie bitter, denn da viele aus der Mannschaft verwundet oder getotet waren, lie?en sich Gefuhle nur schwer unterdrucken. An der Spitze der Flotte, mit im Sonnenlicht flatternden Signalflaggen, stand die Heran vor dem Wind, ein kleines Symbol fur das, was sie zusammen durchgemacht und erreicht hatten.
        Bolitho konnte sich noch genau an den Moment erinnern, als er mit seinen Leuten auf dem zerschossenen Achterdeck gestanden hatte, wahrend seine Signale an die Heran gegeben und von dort aus zum Flaggschiff weitergeleitet wurden.
        Als die Antwort kam, drehte sich Bethune um, das Gesicht plotzlich gereift.

«Flaggschiff an Sparrow, Sir: Sie fuhren die Flotte. Die Ehre gebuhrt Ihnen.»
        Fur einen Admiral, der uberflussige Signale verabscheute, hatte Admiral Graves ihnen eine gro?e Ehre erwiesen.
        Wieder einmal hatte die Sparrow gewendet, ihre zerfetzten Segel und ihr zerschossener Rumpf waren der Wegweiser fur die gro?en Linienschiffe, die gehorsam in ihrem Kielwasser folgten.
        Als dann die Bucht in Sicht kam und man wu?te, da? die Franzosen immer noch da waren, wurde die Rolle der Sparrow die eines blo?en Zuschauers bei einer Schlacht, die allen, die daran teilnahmen, ihren Stempel aufdrucken sollte. Eine Warnung fur junge Offiziere wie Bolitho, eine grausame Lehre fur die Engstirnigen, die so lange exakt nach Vorschrift gekampft hatten, nach einem Reglement, das die harte Erfahrung au?er Kraft gesetzt hatte.
        Vielleicht hatte Admiral Graves bis zum letzten Moment erwartet, sogar gehofft, da? die Franzosen die Chesapeake Bay verlassen hatten oder da? hochstens de Barras' kleines Geschwader da sein wurde, nachdem es an seinen Patrouillen vorbeigeschlupft war und Newport vor einigen Tagen verlassen hatte. Sparrows Signal hatte jedoch jeder Illusion den Boden entzogen, und der Anblick einer so gro?en Seemacht mu?te ihn mit dunklen Ahnungen erfullt haben. Aber wenn auch seine Flotte der von de Grasse sowohl zahlen- als auch bewaffnungsma?ig unterlegen war, so hatte er doch viele Vorteile. Der Wind stand zu seinen Gunsten, und wie Tyrell so oft vorhergesagt hatte, zeigte die trugerische Untiefe zwischen den beiden Kaps des Chesapeake bald ihre Unparteilichkeit fur diejenigen, die sie uberwanden.
        Da die Englander auf die Bucht zufuhren und de Barras als Verstarkung noch nicht heran war, beschlo? die Grasse, Anker zu lichten und sich im offenen Wasser zu stellen. Der ungunstige Wind und die Flut, die gefahrliche Untiefe in der Mitte, all dies belehrte ihn jedoch bald, da? er seinen geschutzten Ankerplatz nicht mit der gesamten Flotte verlassen konnte. Geschwader auf Geschwader kampfte sich um Cape Henry, wobei das Wrack der Lucifer eine Warnung fur die Leichtsinnigen oder Unvorsichtigen war.
        Dies ware eigentlich Graves' gro?e Chance gewesen. Er hatte zum Angriff signalisieren konnen und seinen Kapitanen erlauben, sich auf den Feind zu sturzen, ehe dieser sich sammeln und seine Uberlegenheit ausnutzen konnte. Hatten ein Hawke oder Keppel das Oberkommando gehabt, so ware das Resultat zweifellos verheerend gewesen.
        Graves aber zogerte wieder einmal, klammerte sich an das Reglement und sah keine Alternative.
        Sein Flaggschiff hi?te das Signal, sich in Schlachtlinie zu formieren, und es blieb die ganze Schlacht uber stehen. Diese Verzogerung erlaubte es de Grasse, seine Flotte zu sammeln; als die beiden Gegner schlie?lich zusammentrafen, war es fur die entfernteren britischen Schiffe nicht einmal moglich, auch nur bis zum Nahkampf zu kommen. Gegen Abend zwang das nachlassende Licht die Flotten auseinander; von einem kraftigen Nordostwind getrieben, verloren sie bald Kontakt zueinander.
        Als Graves schlie?lich in der Lage war, seine Geschwader wieder zu formieren, hatten die Franzosen sich bereits in die Chesapeake Bay zuruckgezogen. Sie kamen nicht wieder heraus, und nach weiterem Zogern befahl Graves seinen enttauschten Kapitanen, nach New York zuruckzusegeln.
        Hilflos und au?erhalb der Reichweite des Kampfes, hatte Bolitho die meisten Manover beobachtet und noch viel haufiger erraten, was geschah. Er verlie? das Deck in regelma?igen Abstanden, um zu Tyrell ins Krankenrevier hinunterzugehen, seine Hand zu halten und ihm zu beschreiben, was sich ereignete.
        Er konnte sich genau an jeden Besuch erinnern; Tyrells blasses Gesicht im Laternenlicht, der Mund schmerzverzerrt. Und um ihn herum, stohnend oder wimmernd, die anderen, die gelitten hatten, und einige, die schon nicht mehr zu leiden brauchten.
        Tyrell hatte heiser gesagt:»Das ist das Ende der Armee. «Und, Bolithos Hand fast mit seiner alten Kraft packend:»Aber wir haben getan, was wir konnten.»
        Spater, als die Sparrow in Sandy Hook Reparaturen ausgefuhrt hatte und Bolitho Befehl erhielt, mit Depeschen des Admirals und der Nachricht von der Schlacht nach England zu segeln, waren die Wurfel schon gefallen.
        Von der See abgeschnitten, ohne Munition und Vorrate, hatte Cornwallis mit seiner ganzen Armee kapituliert.
        Getreu seinem Ruf hatte General Washington den Englandern gestattet, sich ehren- und wurdevoll zu ergeben, trotzdem war es eine vernichtende Niederlage.
        Kuriere hatten die Neuigkeit von der Kapitulation gebracht und von der englischen Militarkapelle berichtet, welche die Soldaten in Washingtons Lager begleitete. Sie hatten» The World Turned Upside Down«(Die Welt steht Kopf) gespielt, was in etwa wiedergab, was sie uber die Situation dachten.
        Unter bewolktem Himmel und Nieselregen lichtete die Sparrow Anker und zeigte Sandy Hook zum letztenmal ihr Heck. Die Mannschaft reagierte mit gemischten Gefuhlen auf den Marschbefehl. Einige betrauerten alte Freunde, die sie auf See bestattet oder verkruppelt zuruckgelassen hatten. Andere furchteten fast, was sie nach so langer Zeit in England vorfinden wurden. Und da waren andere, die Amerika gern den Rucken kehrten und nur von dem Augenblick traumten, an dem sie in ihrer Heimat an Land gehen wurden, dankbar, da? ihnen Schmerz und Verzweiflung erspart geblieben waren, sogar dankbar, den grauen Himmel uber den Mastspitzen zu sehen.
        Wenn er nicht benotigt wurde, verbrachte Bolitho viel Zeit allein in seiner Kajute. Es machte den Kontakt weniger schmerzlich, den Verlust vertrauter Gesichter ertraglicher.
        Er erinnerte sich an ihr letztes Handeschutteln, als er Tyrell in einem New Yorker Krankenhaus auf Wiedersehen gesagt hatte. Dalkeith war auch dagewesen - ein trauriger Abschied. Immer noch konnte er sich Tyrell nur schwer mit einem Bein vorstellen, und er wollte es auch nicht. Eines schien sicher zu sein: Tyrell war nicht verzweifelt.

«Wenn ich hier herauskomme, gehe ich heim. «Das hatte er mehrmals gesagt.»Ich wei? noch nicht, wie und wann, aber bei Gott, ich werde es schaffen!»
        Dalkeith war auf ein in Sandy Hook stationiertes Lazarettschiff versetzt worden und sagte ruhig:»Ich denke, sie werden einen guten Doktor brauchen, was, Jethro? Er lachte sein tiefes glucksendes Lachen.»Hier, meine Hand!»
        Bolitho frostelte und zog seinen Mantel enger um sich. Es war kalt und sehr feucht, und von der Decke tropfelte Kondenswasser. Er blickte auf das offene Logbuch. Es war der erste Januar des Jahres 1782, ein neues Jahr hatte begonnen. Er stand auf und ging langsam aus der Kajute, seine Beine glichen das Auf und Ab der Schiffsbewegung ohne bewu?te Anstrengung aus. Uber dreieinhalb Jahre war es her, da? er an Bord dieses Schiffes gekommen war, das so sehr ein Teil seiner selbst geworden war.
        Er kletterte die Leiter hinauf und sah Heyward an den Luvwanten stehen. Fur ihn wurde es noch schlimmer sein. Er war schon an Bord, seitdem er vor funf Jahren in die Marine eingetreten war. Bolitho ging zu ihm hinuber, sah den grauen Nebel durch die tropfnassen Wanten ziehen, die Gischt sich bis zur Reling brechen.

«Nun, Mr. Heyward, da waren wir im Kanal. Dort druben liegt die Isle of Wight, wenn wir Gluck haben. Wir we rden noch vor Dunkelheit in Spithead ankern.»
        Heyward blickte ihn voll an.»Ein merkwurdiges Gefuhl, Sir. «Er zuckte die Schultern.»Ich wei? gar nicht, ob ich das Schiff gern verlassen werde.»
        Bolitho nickte.»So ist es oft. Aber der Sparrow geht es ahnlich wie uns allen. Sie mu? auf der Werft grundlich uberholt und mit diesen neuen Karronaden ausgestattet werden, von denen man so viel hort. Danach wird sie nicht mehr dieselbe sein. «Er sah Bethune vom Geschutzdeck heraufklettern, ein altes Biscuit zwischen den Zahnen.»Keiner von uns wird das sein.»

«Land an Steuerbord voraus!»
        Bolitho nahm ein Fernglas.»Die Insel Wight. Fallen Sie besser einen Strich ab. «Er beobachtete, wie Heyward mit seinem Sprachrohr zur Reling eilte. Es hatte auch Tyrell sein konnen.
        Dann schaute er sich auf dem regennassen Deck um, musterte die Seeleute an den Besanbrassen, deren Gesichter und Arme in dem unfreundlichen grauen Licht noch dunkler aussahen.
        Ein Fischkutter dumpelte vorbei, bartige Manner winkten ihnen von Bord aus zu. Druben sah er durch Nebel und Nieselregen den Schatten von Land auftauchen: England. Er packte die Reling mit festerem Griff. Nach so langer, so schwerer Zeit!

«Kurs liegt an, Sir!«Heyward kam wieder zu ihm.
        Bethune an seiner anderen Seite murmelte:»Mir kommt es vor, als ob ich auf der Sparrow geboren sei.»
        Bolitho legte den beiden die Arme um die Schultern.»Das sind wir alle.»
        Dann wandte er sich ab und sagte formlich:»Stellen Sie die Ankermannschaft zusammen und sagen Sie dem Feuerwerker, er soll Salut vorbereiten.»
        Langsam in Luv auf und ab wandernd, sah er die geschaftigen Seeleute um sich herum und viele andere mehr: Buckle und Tilby, Graves und den Maler Majendie. Er hielt inne und beruhrte die Reling, die Kerben, wo Kugeln so viele seiner Manner niedergemaht hatten.
        Eine Fregatte tauchte mit Gegenkurs aus dem Nebel auf, ihre Signalflaggen standen sehr hell vor dem dusteren Himmel.
        Fowler rief:»Sie fragt: >Welches Schiff<, Sir. «Bolitho nickte.»Hei?en Sie unsere Nummer. «Die Korvette Sparrow war zu Hause.
        Ende


 
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