Áèáëèîòåêà / Ïðèêëþ÷åíèÿ / Êåíò Àëåêñàíäåð : " Eine Letzte Breitseite Kommodore Bolitho Im Ostlichen Mittelmeer " - ÷èòàòü îíëàéí

Ñîõðàíèòü .
Eine letzte Breitseite: Kommodore Bolitho im ostlichen Mittelmeer Àëåêñàíäåð Êåíò

        Ñàãà î Ðè÷àðäå Áîëèòî #14
1798 - vor Korfu und Alexandria: Unter der Fuhrung seines Flaggschiffs «Lysander» kreuzt Kommodore Richard Bolitho durch das Mittelmeer, wahrend sich die franzosische Flotte vor Korfu sammelt. Bald ist er sich uber die Absichten des Feindes im klaren: Die Franzosen wollen die Eroberung Agyptens und damit den Zugang zum reichen Indien.

        Alexander Kent
        Eine letzte Breitseite
        Kommodore Bolitho im ostlichen Mittelmeer

        Wie Seeungeheuer teilten die Rumpfe die Wogen, wahrend turmhoch uber Deck die britische Kriegsflagge wehte.

    Campbell



        I Das Geschwader

        Im Schutze des hochragenden, zerklufteten Felsens von Gibraltar zerrten Kriegsschiffe verschiedener Art und Gro?e an ihren Trossen und warteten darauf, da? die plotzliche Bo abflaute. Trotz gelegentlicher bla?blauer Streifen zwischen den jagenden Wolken war es so kuhl, da? man meinen konnte, man sei in der Biskaya und nicht im Mittelmeer.
        In Anbetracht ihrer strategischen Wichtigkeit wirkte die Reede von Gibraltar erstaunlich leer. Hauptsachlich Versorgungsschiffe, Briggs und Schoner, hatten hier entweder Zuflucht gesucht oder warteten auf Orders. Nur drei gro?ere Kriegsschiffe lagen vor Anker, und zwar in betrachtlicher Entfernung von den in Gibraltar beheimateten Fahrzeugen. Es waren drei Linienschiffe mit je vierundsiebzig Geschutzen, zu dieser Zeit, im Januar 1798, die beliebtesten und am besten verwendbaren Kriegsschiffe.
        Das dem Lande am nachsten liegende Schiff trug den Namen Ly-sander quer uber dem breiten, gedrungenen Heck; ein Name, wie er der Galionsfigur entsprach, die bose vom Bugspriet uber die See starrte: der schwarzbartige Feldherr der Spartaner, in Brustpanzer und mit Helmbusch, geschnitzt von Henry Callaway in Deptford, gab eine prachtvolle Galionsfigur ab. Wie der ganze Zweidecker war auch sie frisch gestrichen; es schien kaum glaubhaft, da? dieses Schiff elf lange Jahre in des Konigs Diensten hinter sich hatte.
        Der Kommandant, Kapitan Thomas Herrick, wanderte auf dem breiten Achterdeck auf und ab und warf dabei kaum einmal einen Blick zur Kuste. Dachte er an Zustand und Aussehen seines Schiffes, so empfand er eher Besorgnis als Stolz. Monatelang hatte er in England pausenlos daran gearbeitet, die Lysander segelfertig zu machen, sie neu auszurusten und die Besatzung - fast alle Landratten - anzumustern, Ersatzteile, Wasser, Proviant, Geschutze und Geschutzbedienungen heranzuschaffen. Mehr als einmal hatte Herrick mit dem Schicksal gehadert, das ihm dieses neue Kommando beschert hatte. Und doch, trotz aller Verzogerungen und der emporenden Schludrigkeit von Werftarbeitern und Handlern, war aus diesem hoffnungslosen Chaos eine lebensfahige, starke Einheit geworden.
        Verangstigte, von den unermudlichen Pre?kommandos[Pressen = gewaltsame Rekrutierung fur die Kriegsmarine] an Bord geschleppte Manner, und auch Freiwillige, deren Motive vom Patriotismus bis zur Flucht vor dem Henker reichten, waren schlie?lich langsam und muhevoll zu einer Art Besatzung zusammengeschwei?t worden, die zwar alles andere als perfekt war, jedoch fur die Zukunft einiges erhoffen lie?. Sobald sich die Lysander mit Kurs auf Portugal muhsam durch die Biskaya qualte, brachte der erste Sturm allerlei Schwachen ans Licht: zu viele erfahrene Matrosen in der einen Wache, zu viele Neulinge in der anderen. Aber unter Herricks sorgfaltiger Fuhrung und mit Hilfe einer Stammannschaft von Deckoffizieren, die alle Berufsseeleute waren, wurden sie einigerma?en fertig mit dem verwirrenden Labyrinth der Takelage, mit der widerspenstigen, tuckischen Leinwand, die nun einmal zum Alltag auf See gehoren.
        Jetzt lag Herrick unter dem Gibraltarfelsen vor Anker und hatte mit wachsender Nervositat auf diesen Tag gewartet. Weitere Schiffe waren eingelaufen und hatten in der Nahe geankert: die beiden anderen Vierundsiebziger, Osiris und Nicator, die Fregatte Buzzard und die kleine Schaluppe Harebell; sie waren jetzt nicht mehr selbstandige Einheiten, sondern laut Order der Admiralitat Teile des Geschwaders, in dem Herricks Schiff den breiten Kommodorestander fahren wurde; und Geschwaderkommodore sollte, von der Admiralitat dazu ernannt, nun Richard Bolitho werden, in guten und in schlechten Tagen. Jeden Moment mu?te er eintreffen.
        Merkwurdig, da? Herrick sich scheute, daruber nachzudenken. Erst vor vier Monaten waren er und Bolitho aus dem Mittelmeer zuruckgekehrt. Nach einer blutigen Seeschlacht, in der Herricks Schiff versenkt und ein franzosisches Geschwader zum Teil kampfunfahig gemacht, zum Teil gekapert worden war, waren sie beide in London auf die Admiralitat befohlen worden. Es kam ihm immer noch wie ein Traum, wie ein Ereignis aus Marchen- und Sagenzeiten vor.
        Diese Vorsprache hatte weitreichende Folgen gehabt: fur Bolitho die sofortige Beforderung zum Kommodore, fur Herrick den Rang eines Flaggkapitans. Ihr Admiral hatte weniger Gluck gehabt. Man hatte ihn auf einen Gouverneursposten in New South Wales abgeschoben; sein schneller Sturz bewies, wie kurz der Weg vom privilegierten Gunstling zum vergessenen Mann sein konnte.
        Zunachst hatte sich Herrick uber seine Ernennung zum Flaggkapitan in Bolithos Geschwader machtig gefreut. Aber diese Freude wurde durch eine andere Entscheidung der Admiralitat leicht getrubt: Bolitho hatte sein Schiff, die Euryalus, den gro?en Dreidek-ker mit hundert Kanonen, den er seinerzeit selbst von den Franzosen erobert hatte, nicht behalten, sondern die Lysander bekommen. Sie mochte sich leichter segeln als der gro?e Dreidecker; aber Herrick hegte den Verdacht, da? ein Dienstalterer den Ex-Franzosen fur sich beansprucht hatte.
        Er hielt in seinem Schreiten inne und uberschaute die geschaftigen Decks. Auf den Laufbrucken, an den Bootsgestellen, uberall arbeiteten Matrosen. Andere balancierten hoch oben im schwarzen Gewirr der Wanten, Stage, Schoten, Fallen und Brassen und sorgten dafur, da? kein schamfieltes Tau, kein gebrochenes Stag cas Auge des neuen Kommodore beleidigen wurde, wenn er durch die Fallreepspforte trat. Die Marine-Infanteristen waren bereits angetreten. Wegen Leroux, ihrem Major, brauchte Herrick sich keine Sorgen zu machen. Eben sprach er mit seinem Leutnant, einem etwas zerstreuten jungen Mann namens Nepean; ein Sergeant inspizierte Musketen und Uniformen.
        Dem Midshipman[Seekadett oder Fahnrich zur See] der Wache mu?te schon der Arm weh tun. Er hatte, seit Herrick an Deck war, ausdrucklichen Befehl, standig das schwere Teleskop am Auge zu halten, um es sofort melden zu konnen, wenn das Boot des Kommodore von der Mole ablegte.
        Herrick sah zu den anderen Schiffen hinuber. Bis jetzt hatte er wenig mit ihren Kommandanten zu tun gehabt, doch wu?te er bereits eine ganze Menge uber sie. Von der kleinen Schaluppe, die im heftigen Wind so ungemutlich dumpelte, da? sich der Kupferbeschlag ihres Unterwasserschiffs in regelma?igen Abstanden aus dem Wasser hob, bis zum au?ersten Zweidecker, Osiris, bestanden zwischen den Kommandanten die verschiedensten Verbindungen. Der Kommandant der Nicator zum Beispiel: Herrick hatte herausbekommen, da? er wahrend der amerikanischen Revolution zusammen mit Bolitho als Leutnant auf demselben Schiff gedient hatte. Da? sie jetzt wieder zusammentrafen, mochte sich gunstig auswirken oder auch nicht. Der Kommandant der Harebell, Kapitan Inch, hatte seinerzeit beim alten Geschwader ein Granatwerferschiff befehligt. Den Kommandaten der Buzzard, Raymond Javal, kannte Herrick nur vom Horensagen: er galt als unbeherrscht und gierig nach Prisengeld. Ein typischer, wenn auch etwas problematischer Fregattenkapitan.
        Wieder blieb Herricks Blick auf der Osiris haften; er versuchte, seine Verargerung zu unterdrucken. Sie war fast ein Schwesterschiff der Lysander und wurde befehligt von Kapitan Charles Far-quhar, einem alten Bekannten. Das Schicksal hatte sie wieder zusammengefuhrt, und zwar abermals unter dem Kommando von Richard Bolitho. Damals war es auf der Fregatte Phalarope gewesen, wahrend des amerikanischen Unabhangigkeitskrieges. Bolitho war Kommandant gewesen, Herrick Erster Offizier und Farquhar Midshipman. Standig hatte sich Herrick uber den aus vornehmer Familie stammenden, arroganten Farquhar geargert. Wenn er jetzt die Osiris ansah, ging es ihm nicht viel anders. Das reiche Schnitzwerk an Kampanje[Der hintere Aufbau eines Schiffes, auch Hutte oder Pupp (poop)] und Bug war mit echter Goldfarbe bemalt, ein au?eres Zeichen fur den hohen gesellschaftlichen und finanziellen Status ihres Kommandanten. Bis jetzt hatte Herrick ein Zusammentreffen vermeiden konnen, abgesehen von Farquhars Meldung, als er in Gibraltar zum Geschwader stie?. Doch schon bei dieser Gelegenheit welkten Herricks beste Vorsatze,
als Farquhar naselte:»Horen Sie mal, viel Geld haben Sie wohl nicht in Ihren alten Kasten gesteckt, eh?«Wieder dieses irritierende Lacheln.»Das wird aber unserem Herrn und Meister nicht gefallen, wissen Sie.»
        Plotzlich offnete sich die unterste Reihe der Stuckpforten in der abgeschragten Bordwand der Osiris, und die schwarzen Rohre der Zweiunddrei?igpfunder glitten gleichzeitig in das schwachliche Sonnenlicht. Prazise wie stets.
        Herrick bekam einen Schreck. Farquhar lie? sich den ehrgeizigen Kopf nie von dummen Erinnerungen oder Abneigungen vernebeln. Er scherte sich nur um das, was ihm gerade am wichtigsten war, und jetzt hie? das: einen guten Eindruck beim Kommodore zu machen. Nur war dieser Kommodore ausgerechnet Richard Bolitho, ein Mann, der Herrick teurer war als jeder andere lebende Mensch. Farquhar jedoch hatte sich auch vom Teufel personlich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Zu allem Ungluck erklang erst jetzt die Stimme des Midshipman der Wache:»Boot legt von der Mole ab, Sir!»
        Herrick leckte sich die Lippen. Sie waren trocken wie Asche.»Schon, Mr. Saxby. Mein Kompliment an den Ersten Offizier, und er kann jetzt zur Begru?ung antreten lassen.»
        Richard Bolitho schritt zum Heckfenster seiner geraumigen Tageskajute und sah zu den anderen Schiffen hinuber. So folgenreich das Ereignis auch war, da? er zum erstenmal an Bord seines eigenen Flaggschiffs feierlich empfangen worden war - er konnte seinen Ubermut kaum zugeln. Wie Wein und Gelachter sprudelte es in ihm, und nur mit letzter Kraft wahrte er die Form.
        Er wandte sich um: da stand Herrick neben der Tur und sah ihn an. Ein paar Matrosen stellten sorgfaltig allerlei Kasten und Kisten auf, die aus dem Boot an Bord gehievt worden waren; irgendwo schimpfte Allday, sein Bootsfuhrer, mit jemandem, der nicht aufgepa?t hatte.

«Danke, Thomas, das war ein schoner Empfang.»
        Bolitho schritt uber die schwarz-wei?en Karos des Fu?bodenbelags auf Herrick zu und ergriff dessen Hand. Oben horte er das Getrampel der abruckenden Marine-Infanterie und die sonstigen wohlbekannten Gerausche des Borddienstes.
        Herrick lachelte verlegen und deutete auf das Gepack.»Danke, Sir. Ich hoffe, Sie haben alles mitgebracht, was Sie brauchen. Es wird wohl eine ziemlich lange Fahrt werden.»
        Bolitho musterte ihn nachdenklich. Herricks untersetzte Gestalt, sein schlichtes, volles Gesicht und die leuchtendblauen Augen waren ihm fast so vertraut wie die Alldays. Aber irgendwie kam ihm Herrick verandert vor. Es war nur vier Monate her, und doch..
        Was hatte sich alles ereignet, seit sie zusammen auf der Admiralitat gewesen waren! Die zahlreichen Unterredungen mit Mannern, die so viel ranghoher und machtiger waren als er, da? es ihn immer noch verbluffte, was eine Beforderung wie die seinige bewirken konnte. Jedesmal, wenn er die Befurchtung au?erte, die Ausrustung seines neuen Flaggschiffs ginge nicht schnell genug voran, hatte er ihnen angesehen, da? sie sich leise uber ihn amusierten.
        Sir George Beauchamp, der Admiral, der seine Beforderung ausgesprochen hatte, druckte es schlie?lich so aus:»Diese Details mussen Sie jetzt vergessen, Bolitho. Um das Schiff kummert sich sein Kommandant, Sie haben Wichtigeres zu tun.»
        Schlie?lich war Bolitho mit einer schnellen Fregatte nach Gibraltar gesegelt. In der Tejomundung hatten sie Station gemacht, weil er Depeschen fur das Flaggschiff der Blockadeflotte brachte. Dort war er vom Admiral, dem Earl of St. Vincent, empfangen worden, der diesen Titel nach seinem gro?en Sieg vor elf Monaten erhalten hatte. Der Admiral, den manche seiner Untergebenen immer noch liebevoll» Old Jarvy «nannten (aber nur, wenn er es nicht horte), hatte ihn munter begru?t.

«Also, Sie haben jetzt Ihre Befehle«, hatte er gesagt.»Sehen Sie zu, da? Sie sie ausfuhren! Seit Monaten wissen wir nicht mehr, was die Franzosen vorhaben. Unsere Agenten in den Kanalhafen berichten lediglich, da? Bonaparte mehrmals an der Kuste gewesen ist, um Plane fur eine Invasion Englands auszuarbeiten. «Ein kurzes, trockenes Auflachen, typisch fur ihn.»Aber was ich ihm bei Kap St. Vincent zu schlucken gegeben habe, wird ihn wohl gelehrt haben, zur See ein bi?chen vorsichtiger zu manovrieren. Bonaparte ist ein Landmensch. Ein Planer. Unglucklicherweise haben wir niemanden, der ihm gewachsen ist. Zu Lande, meine ich.»
        Im Ruckblick fand Bolitho es erstaunlich, was der Admiral in dieser kurzen Unterredung alles klargestellt hatte. Fast pausenlos war er auf See gewesen, und doch besa? er uber die Lage sowohl in den heimischen Gewassern wie auch im Mittelmeer einen besseren Uberblick als mancher von der Admiralitat.
        Beim Auf- und Abgehen auf dem Achterdeck hatte der Admiral gelassen gesagt: Beauchamp ist der Richtige, um so ein Unternehmen zu planen. Aber zur Ausfuhrung sind erfahrene Seeoffiziere notig. Dank Ihrer vorjahrigen Aktionen im Mittelmeer wissen wir einiges mehr uber die Absichten der Franzosen. Broughton, Ihr damaliger Admiral, hat vielleicht die wahre Bedeutung erst begriffen, als es zu spat war. Zu spat fur ihn, meine ich. «Dabei hatte er Bolitho grimmig angestarrt.»Wir mussen wissen, ob es sich lohnt, wieder eine Flotte in diese Gewasser zu schicken. Wenn wir aber unsere Geschwader sinnlos aufsplittern, werden die Franzosen unsere Schwachen bald ausnutzen. Ihre Order sagt Ihnen nur, was Sie zu tun haben. Wie Sie es machen, konnen nur Sie entscheiden. «Wieder dieses trockene Auflachen.»Ich wollte eigentlich Nelson dafur, aber der ist nach dem Verlust seines Armes noch zu geschwacht. Beauchamp hat Sie ausgesucht, damit Sie Bonaparte am Bauch kitzeln. Um unser aller willen hoffe ich, da? er eine gute Wahl getroffen hat.»
        Und nun, nach all diesen Besprechungen, dem Wuhlen in Agentenberichten, dem Sondieren, was von den zahllosen Vermutungen uber Absichten und Motive des Feindes wirklich wichtig war, befand sich Bolitho endlich an Bord seines Flaggschiffes. Jenseits der dicken Fensterscheiben lagen andere Schiffe, die ihm samtlich durch den breiten, gespaltenen Wimpel verbunden waren, der im Masttopp flatterte, seit er unter dem Knallen der prasentierten Musketen, dem Spiel der Pfeifen und Trommeln an Bord geklettert war.
        Immer noch konnte er es nicht glauben. Er war doch derselbe wie vorher: voller Ungeduld, mit seinem neuen Schiff in See zu gehen.
        Aber der Unterschied wurde bald uberall deutlich werden. Als sein Erster Offizier hatte Herrick bisher zwischen Kommandant und Mannschaft gestanden, Bindeglied und Schranke zugleich. Jetzt, als Flaggkapitan, stand Herrick zwischen ihm und den anderen Offizieren, zwischen dem kleinen Geschwader und jedem einzelnen Mann auf jedem einzelnen Schiff: funf Schiffe mit insgesamt uber zweitausend Mann. Daran zeigte sich die Bedeutung seiner Stellung als Geschwaderkommodore und die gestiegene Aufgabe Herricks.

«Was macht der junge Adam Pascoe?«fragte Bolitho.»Ich habe ihn beim Anbordkommen nicht gesehen. «Schon als er fragte, sah er, da? Herrick plotzlich ein Dienstgesicht bekam.

«Ich wollte es Ihnen gerade erzahlen, Sir. Er liegt im Krankenrevier. Ein kleiner Zwischenfall, aber Gott sei Dank nichts Ernstes.»

«Die Wahrheit, Thomas!«verlangte Bolitho.»Ist mein Neffe krank?»
        Herrick sah auf, seine blauen Augen blitzten auf einmal argerlich.»Ein dummer Streit mit dem Sechsten Offizier der Osiris, Sir, der ihn irgendwie beleidigte. Sie hatten beide dienstlich an Land zu tun, und bei der Gelegenheit trugen sie die Sache aus.»
        Bolitho zwang sich, langsam ans Heckfenster zu treten und die Wasserwirbel am Ruder zu betrachten.

«Ein Duell?»
        Schon beim blo?en Klang des Wortes wurde ihm ubel. Zum Verzweifeln war das! Sollte Adam nach seinem Vater Hugh Bolitho schlagen? Nur das nicht!

«Reiner Ubermut wahrscheinlich«, antwortete Herrick, aber es klang nicht sehr uberzeugt.»Jedenfalls ist keiner ernstlich verletzt. Immerhin hat der andere wohl mehr abbekommen als Adam.»
        Bolitho wandte sich um.»Ich will ihn sofort sprechen«, sagte er leise.
        Herrick schluckte.»Mit Ihrer Erlaubnis, Sir, mochte ich die Sache selbst regeln.»
        Bolitho spurte, da? sich eine gro?e Kluft zwischen ihn und seinem Freund auftat. Langsam nickte er.

«Gewi?, Thomas. Adam Pascoe ist zwar mein Neffe, aber jetzt vor allem einer Ihrer Offiziere.»
        Herrick sprach nun wieder etwas weniger formlich.»Tut mir leid, da? ich Ihnen schon in der ersten Stunde an Bord Arger bereiten mu?, Sir. Um alles in der Welt hatte ich das lieber vermieden.»
        Bolitho lachelte ernst.»Ich wei?. Dumm von mir, mich da einmischen zu wollen. Ich war schlie?lich selbst Flaggkapitan und habe mich oft geargert, wenn mein Vorgesetzter mir dazwischenredete.»
        Herrick wollte das Thema wechseln; er sah sich in der geraumigen Kajute um.

«Hoffentlich entspricht alles Ihren Wunschen, Sir. Ihr Steward macht gerade das Dinner zurecht, und ich habe ein paar Matrosen abgestellt, Ihre Kisten wegzustauen.»

«Danke. Ich bin durchaus zufrieden. «Er hielt inne: da war er wieder, der dienstliche Ton zwischen Vorgesetztem und Untergebenem. Sonst hatten sie immer alles miteinander geteilt, hatten sich verstanden.

«Gehen wir bald in See, Sir?«fragte Herrick unvermittelt.»Aye, Thomas. Morgen vormittag, wenn der Wind gunstig ist. «Er zog die Uhr und lie? den Deckel aufschnappen.»Ich wurde gerne meine Offiziere…«Er zuckte zusammen: Selbst das war jetzt anders.»Ich mochte die Kommandanten des Geschwaders sprechen, so bald es geht. Vom hiesigen Gouverneur habe ich noch Depeschen bekommen, und wenn ich sie gelesen habe, werde ich dem Geschwader mitteilen, um was es geht. «Er lachelte. Machen Sie kein so bekummertes Gesicht, Thomas, fur mich ist es ebenso schwer wie fur Sie.»
        Eine Sekunde lang blitzte die alte Warme in Herricks Augen auf; die Kameradschaft, das Vertrauen, die jetzt so leicht zu zerstoren waren.»Ich komme mir vor«, entgegnete er,»wie ein alter Fu? in einem neuen Schuh. «Jetzt lachelte er ebenfalls.»Aber ich lasse Sie bestimmt nicht im Stich.»
        Er wandte sich um und ging hinaus; nach einer diskreten Pause schleppten Allday und zwei Matrosen eine gro?e Kiste herein. Allday blickte sich rasch in der Kajute um - anscheinend gefiel sie ihm.
        Langsam wich Bolithos Spannung. Allday blieb immer der gleiche, Gott sei Dank. Selbst das blaue Jackett mit den gro?en vergoldeten Knopfen, die neue Nankinghose und die Schnallenschuhe, die Bolitho ihm gekauft hatte, um seinen neuen Status als Bootsfuhrer des Kommodore zu unterstreichen, vermochten nicht, seine kraftvolle, rauhe Personlichkeit zu verbergen.
        Bolitho schnallte den Degen ab und reichte ihn Allday.

«Na, Allday, was halten Sie von der Lysander?»
        Allday sah ihn gelassen an.»Ein gutgebautes Schiff. «Das Wort» Sir «wollte ihm nicht uber die Lippen. Sonst hatte er Bolitho immer» Captain «genannt, das hatte sich zwischen ihnen so ergeben. Seit dem neuen Rang stimmte nun auch das nicht mehr.
        Allday erriet Bolithos Gedanken und grinste betreten.»Entschuldigung, Sir. «Bose starrte er die beiden Matrosen an, die noch mit einer Kiste in Handen dastanden. Aber ich kann warten. Es wird nicht mehr lange dauern, dann hei?t es sowieso >Sir Richard         Er wartete, bis die beiden Matrosen drau?en waren, und sagte dann leise:»Sie mochten jetzt wohl gern allein sein, Sir. Ich werde Ihrem Steward Bescheid sagen, wie Sie alles haben wollen.»
        Bolitho nickte.»Sie kennen mich gut.»
        Allday schlo? die Tur hinter sich.»Besser, als du dich jemals selber kennen wirst«, murmelte er und warf dem Posten vor der Tur einen kalten Blick zu.
        Drau?en auf dem Achterdeck trat Herrick langsam an die Netze und starrte zu den anderen Schiffen hinuber. Das war ein schlechter Anfang gewesen, fur sie beide. Aber vielleicht war alles auch nur Einbildung, sogar seine Abneigung gegen Farquhar. Farquhar seinerseits teilte diese Abneigung bestimmt nicht, dem war er vollig gleichgultig. Warum regte er sich also bei jeder Gelegenheit auf?
        Bolitho war doch der alte geblieben. Dieselbe Ernsthaftigkeit, die jederzeit in jugendlichen Ubermut umschlagen konnte. Sein Haar war so schwarz wie eh und je. Er war auch immer noch so schlank und beweglich, nur seine rechte Schulter wirkte etwas steif. Wie lange war es her, da? ihn die Musketenkugel verwundet hatte? Fast sieben Monate mu?ten es schon sein. Die Linien um seine Mundwinkel waren ein bi?chen tiefer geworden. Wegen der Schmerzen oder der neuen Verantwortung? Wohl beides zu gleichen Teilen.
        Herrick sah, da? der Wachoffizier ihn neugierig musterte, und rief:»Mr. Kipling, Signal an Geschwader: Alle Kommandanten auf Abruf an Bord des Flaggschiffs!»
        Auf dieses Signal hin wurden sie jetzt ihre besten Uniformen anlegen, Inch in seiner winzigen Kajute, Farquhar in seinem luxuriosen Quartier. Aber alle wurden ebenso neugierig sein wie er: wo es hinging, was sie zu erwarten hatten - und was es sie kosten wurde.
        Uber sich an Deck horte Bolitho das Trappeln von Fu?en; nach kurzem Zogern legte er seinen Galarock mit dem einzelnen Goldstreifen ab und setzte sich an seinen Arbeitstisch. Er schnitt das gro?e Leinwandkuvert auf, konnte sich jedoch nicht gleich dazu entschlie?en, die sauber geschriebene Depesche zu lesen.
        Immer noch hatte er Herricks besorgtes Gesicht vor Augen. Sie waren fast gleich an Jahren, und doch kam ihm Herrick sehr gealtert vor; sein braunes Haar war hier und da grau bereift. Bolitho fiel es schwer, etwas anderes in ihm zu sehen als seinen besten Freund. Aber er mu?te in ihm den Kommandanten sehen, den Flaggkapitan eines neuen Geschwaders, das noch nie als selbstandiger Verband zusammengewirkt hatte. Eine schwere Aufgabe fur jeden, auch fur einen Thomas Herrick… Bolitho versuchte, die plotzlich aufsteigenden Zweifel zuruckzudrangen. Herrick war von bescheidener
        Herkunft, Sohn eines Schreibers; doch gerade seine unbedingte Ehrenhaftigkeit, die ihn zu einem Mann machte, auf den unter allen Umstanden Verla? war, konnte ihm hinderlich sein, wenn es galt, Entscheidungen von gro?erer Tragweite zu treffen. Herrick war ein Mann, der jeden rechtma?igen Befehl ohne Fragen und ohne Rucksicht auf personliches Risiko ausfuhren wurde. Aber war er der Mann, in einer Seeschlacht den Oberbefehl zu ubernehmen, wenn der Kommodore ausfiel?
        Merkwurdig: die vorigen beiden Ranghochsten auf der Lysander waren bei St. Vincent ausgefallen. Der Kommodore, George Twy-ford, war bei der ersten Breitseite ums Leben gekommen; und der Flaggkapitan, John Dyke, durchlitt zur Zeit Hollenqualen im Marinehospital Haslar, war so schwer verstummelt, da? er nicht einmal selbstandig essen konnte. Das Schiff hatte beide uberlebt - und noch viele andere. Bolitho blickte sich in der sauberen Kajute mit den schon geschnitzten Mobeln um. Beinahe hatte er das Gefuhl, sie beobachteten ihn lauernd.
        Mit einem argerlichen Seufzer begann er, die Depesche zu lesen.
        Gru?end nickte Bolitho den funf Offizieren zu, die den Tisch in der Kajute umstanden.»Bitte nehmen Sie Platz, Gentlemen.»
        Wahrend sie ihre Stuhle heranruckten, beobachtete er ihre Gesichter - freudige, angeregte, neugierige. Es war schlie?lich ein besonderer Moment; vermutlich empfanden sie ebenso, wenn auch aus unterschiedlichen Grunden.
        Farquhar hatte sich nicht verandert, war geschmeidig, elegant und so selbstbewu?t geblieben, wie er schon als Midshipman gewesen war. Jetzt war er zweiunddrei?ig und planma?iger Fregattenkapitan; vor Ehrgeiz leuchteten seine Augen fast so wie die blanken goldenen Epauletten.
        Francis Inch konnte kaum das Strahlen auf seinem diensteifrigen Pferdegesicht verbergen. Die Schaluppe war unentbehrlich fur die Rekognoszierung und als Vorhut des Geschwaders, und als ihr Kommandant war Inch ein hochwichtiger Mann.
        Raymond Javal, der Kommandant der Fregatte, sah eher einem Franzosen ahnlich als einem britischen Marineoffizier. Er war tiefbrunett und hatte starkes, fettiges Haar; sein Gesicht war so schmal, da? es von den tiefliegenden Augen ganz und gar beherrscht wurde.
        Mit einem kurzen Lacheln begru?te Bolitho auch Kapitan George Probyn von der Nicator. Mit ihm war er auf der alten Trojan gefahren, als die amerikanische Revolution ausgebrochen war und die ganze Welt verandert hatte. Aber Probyn sah ganz anders aus als damals: wie ein riesiger, schabiger Kneipenwirt hockte er gebeugt am Tisch. Nur ein Jahr alter als Bolitho, hatte er die Trojan auf die gleiche Weise verlassen, namlich als Prisenkommandant auf einem gekaperten Blockadebrecher, den er zum nachsten alliierten Hafen segeln sollte. Im Gegensatz zu Bolitho, der auf diese Art zu seinem ersten selbstandigen Kommando gekommen war, hatte Probyn das Pech gehabt, von einem amerikanischen Freibeuter geschnappt zu werden; er hatte den gro?ten Teil des Krieges in Gefangenschaft verbracht, bis er schlie?lich gegen einen franzosischen Offizier ausgetauscht worden war. Diese in der wichtigsten Phase seiner Laufbahn verlorenen Jahre waren Probyn offenbar teuer zu stehen gekommen. Er wirkte unsicher und hatte eine merkwurdige Art, schnelle, verstohlene Blicke auf seine Kameraden zu werfen und dann wieder auf seine
verschlungenen Hande hinunterzusehen.

«Alle vollzahlig, Sir«, meldete Herrick
        Bolitho blickte auf den Tisch nieder. Im Geiste las er wieder seine Segelorder: Sie werden hiermit bevollmachtigt und beauftragt, mit Ihrem Geschwader und allen Ihnen zur Ve rfugung stehenden Kraften Anwesenheit und Absichten gro?erer feindlicher Einheiten zu erkunden…
        Ruhig und eindringlich begann er zu sprechen:»Wie Ihnen bekannt sein wird, hat der Feind eine Menge Zeit daran gewandt, Schwachstellen in unserer Verteidigung aufzuspuren. Abgesehen von unseren Siegen zur See, haben wir wenig erreicht, um das Vordringen und den wachsenden Einflu? Frankreichs zu stoppen. Meiner Ansicht nach ist Bonaparte niemals von seinem ursprunglichen Plan abgewichen, der immer noch und notwendigerweise darin besteht, Indien zu erreichen und unsere Handelswege zu blockieren. Dem franzosischen Admiral Suffren ware das im letzten Kriege beinahe gegluckt. «Bolitho fing Herricks Blick auf; zweifellos dachte er daran, wie sie zusammen in Ostindien gekampft und selbst erlebt hatten, wie erpicht der Feind darauf war, die Gebiete wieder - zu erobern, die er in jenem unstabilen Frieden verloren hatte.»Bonaparte mu? wissen, da? jede Verzogerung seiner Vorbereitungen uns nur Zeit gibt, unsere Krafte zu verstarken«, fuhr Bolitho fort.
        Alle Kopfe wandten sich Inch zu, der unbekummert dazwischenrief:»Wir werden's ihnen schon zeigen, Sir! Genau wie damals!«Und er grinste die anderen vergnugt an.
        Bolitho mu?te lacheln. Schon, da? Inch, wenn er auch keine Ahnung von den Fakten hatte, immer noch wie fruher war. Und sein munterer Kommentar hatte wenigstens die Distanz zwischen ihm und den Geschwaderoffizieren etwas gemindert.

«Danke, Commander Inch. Ihr Optimismus macht Ihnen Ehre.»
        Errotend vor Freude verbeugte sich Inch.

«Dennoch - wir haben keine verla?lichen Nachrichten daruber, in welche Richtung die Franzosen vorsto?en werden. Das Gros unserer Flotte operiert vom Tejo aus, um einen Keil zwischen die Franzosen und ihre spanischen Verbundeten zu treiben. Einerseits konnte der Feind Portugal angreifen, wegen unserer dortigen Prasenz, oder er konnte auch nochmals eine Invasion Irlands versuchen. «Bolitho konnte seine Erbitterung nicht verbergen.»So wie im vorigen Jahr, als in unserer Flotte Zustande herrschten, die zu den gro?en Meutereien bei Spithead und in der Themseflotte fuhrten.«[siehe Kent: Der Stolz der Flotte]
        Farquhar sah auf seine Manschetten nieder:»Sie hatten tausend von diesen Teufeln hangen sollen, nicht blo? 'ne Handvoll!»
        Bolitho warf ihm einen kalten Blick zu.»Wenn man vorher etwas mehr an die berechtigten Bedurfnisse der Matrosen gedacht hatte, dann waren vielleicht uberhaupt keine Strafen notig gewesen!»
        Farquhar lachelte unbekummert.»Verstehe, was Sie meinen,
        Sir.»
        Bolitho blickte auf seine durcheinandergeratenen Papiere nieder, um sich nichts anmerken zu lassen. Er hatte gar nicht auf Farquhars Scharfmacherei eingehen sollen.

«Unsere Aufgabe ist zunachst«, fuhr er fort,»zu erkunden, wie die Vorbereitungen der Franzosen im Golfe du Lyon vorangehen. Und zwar in Toulon, Marseille und anderen Hafen, in denen wir
        Feindtatigkeit beobachten konnen. «Er blickte jedem einzelnen ins Gesicht.»Unsere Flotte ist weit auseinandergezogen. Auf keinen Fall darf der Feind eine Moglichkeit erhalten, sie so zu zerstreuen, da? er sie Schiff um Schiff vernichten kann. Andererseits ware es sinnlos, eine gro?e Flotte am einen Ende des Ozeans zu stationieren, wahrend der Feind sich am anderen aufhalt. Aufspuren, stellen, in ein Gefecht verwickeln - anders geht es nicht.»

«Mein Schiff ist unsere einzige Fregatte, Sir«, warf Javal duster dazwischen.

«Ist das eine Feststellung oder eine Beschwerde?»
        Javal zuckte die Achseln.»Ein chronisches Ubel, Sir.»
        Probyn sah erst ihn und dann Farquhar auf seine schnelle, verstohlene Art an.»Ein gro?es Risiko. Und wenn wir auf uberlegene Verbande sto?en, haben wir keine Unterstutzung.»

«Aber zumindest wissen wir dann, wo sie sind, mein lieber George«, erwiderte Farquhar kuhl.

«Die Lage ist ernst«, mahnte Herrick.

«Offenbar«, erwiderte Farquhar mit blitzenden Augen.»Also wollen wir sie auch ernsthaft angehen.»

«Eins ist jedenfalls sicher«, sagte Bolitho, und aller Augen wandten sich ihm wieder zu,»wir mussen gut abgestimmt operieren. Wie Sie uber den Sinn dieser Befehle denken, ist mir gleich, wir mussen sie jedenfalls in Taten umsetzen. Und sie so ausfuhren, da? die Flotte und das Land den gro?tmoglichen Nutzen davon haben.»

«Der Ansicht bin ich auch, Sir«, nickte Farquhar.
        Die anderen blieben stumm.

«Nun gehen Sie bitte wieder an Bord Ihrer Schiffe und unterrichten Sie Ihre Leute uber unsere Aufgabe. Und heute abend bitte ich Sie, bei mir zu speisen.»
        Im Aufstehen uberlegten bereits alle, wie sie seine Worte ihren Untergebenen beibringen konnten. Wie Bolitho wurde jeder von ihnen, mit Ausnahme von Inch, erst einmal an Bord allein sein wollen, um sich auf das einzustellen, was auf ihn zukam. Aber viel Zeit blieb ihnen nicht. Er mu?te jeden einzelnen besser kennenlernen; wenn die Lysander ein Signal setzte, mu?te jeder Kommandant die Gedanken des Mannes lesen konnen, von dem es kam.
        Einer nach dem anderen verabschiedete sich. Probyn ging als letzter; das hatte Bolitho vorher gewu?t.

«Schon, Sie wiederzusehen, Sir«, sagte er verlegen.»Damals, das waren tolle Zeiten. Ich habe immer gewu?t, da? Sie Erfolg haben, beruhmt werden. «Seine Blicke schossen in der Kajute umher.»Ich hatte weniger Gluck, aber meine Schuld war es nicht. Wenn man keine Verbindungen hat. «Er vollendete den Satz nicht.

«Es macht mir meine Aufgabe leichter, da? ich alte Freunde um mich habe«, antwortete Bolitho lachelnd.
        Als die Tur sich geschlossen hatte, schritt Bolitho langsam zu dem Weinschrank aus massivem Mahagoni, den er aus London mitgebracht hatte. Es war ein sehr schones Stuck, ein Meisterwerk des Tischlers, wovon jede Flache und jede Fuge zeugte.
        Er starrte den Schrank immer noch an, als Herrick, der die anderen Kommandanten zur Fallreepspforte begleitet hatte, zuruckkam.

«Das ging ja ganz gut«, sagte der Flaggkapitan mit einem kleinen Seufzer. Dann sah er den Schrank und stie? einen leisen Pfiff aus.»Das ist aber ein wunderschones Stuck!»

«Ein Geschenk«, lachelte Bolitho,»und oft nutzlicher als viele andere Geschenke, Thomas.»
        Herrick sah sich den Schrank genau an.»Ihr Neffe ist drau?en, Sir«, sagte er dann. Ich habe die Geschichte bereinigt. Er macht Extradienst, damit er nicht wieder auf dumme Gedanken kommt. Aber ich dachte, Sie wurden ihn sprechen wollen. «Bewundernd strich Herrick uber das polierte Holz.»Von wem haben Sie dieses schone Stuck, wenn ich fragen darf?»

«Von Mrs. Pareja«, antwortete Bolitho.»Sie werden sich noch an sie erinnern.»
        Erstaunt sah er, wie ein Schleier uber Herricks Augen fiel.»Jawohl, Sir«, erwiderte er knapp.»Sehr gut sogar.«»Was ist denn, Mann?»
        Herrick sah ihm offen ins Gesicht.»Jedesmal, wenn ein Schiff aus England kam, gab es Gerede - Klatsch, wenn Sie wollen. Zum Beispiel daruber, da? Sie mit dieser Dame in London eine Affare hatten.»
        Verblufft starrte Bolitho ihn an.»Mein Gott, Thomas, das sieht Ihnen aber gar nicht ahnlich.»
        Doch Herrick gab nicht auf.»Das war namlich der Grund, weshalb Ihr Neffe mit dem anderen Leutnant die Waffen kreuzte. Einen Ehrenhandel nennt man das wohl.»
        Bolitho sah zur Seite. Und er hatte gedacht, es hatte etwas mit Adam Pascoes Herkunft zu tun gehabt, mit seinem toten Vater, dem Verrater und Renegaten.

«Danke, da? Sie es mir gesagt haben.»

«Einer mu?te es ja tun, Sir. «Herricks blaue Augen blickten beschworend.»Sie haben so viel fur uns alle getan; ich will nicht, da? wegen einer.»

«Ich habe Ihnen dafur gedankt, da? Sie es mir gesagt haben, Thomas. Nicht fur Ihre Meinung uber die Dame.»
        Herrick offnete die Tur.»Ich rufe ihn herein, Sir. «Er sah sich nicht um.
        Bolitho setzte sich auf die Bank vor den Heckfenstern und beobachtete ein Fischerboot, das unter dem uberhangenden Heck des Zweideckers durchfuhr. Mit ausdruckslosem Gesicht blickte der Fischer zu ihm empor. Wahrscheinlich stand er im Sold des spanischen Kommandeurs druben in Algeciras, notierte die Namen der Schiffe und sammelte Bruchstucke von Informationen, aus denen sich etwas machen lie?.
        Die Tur ging auf; Adam Pascoe, den Hut vorschriftsma?ig unterm Arm, stand in der Kajute.
        Bolitho erhob sich und schritt auf ihn zu; fast verspurte er selbst Schmerz, als er sah, da? der junge Mann den Arm etwas von den Rippen abhielt. Noch in der Leutnantsuniform sah Adam wie der schmachtige Junge aus, als der er zum erstenmal zu Bolitho an Bord gekommen war.

«Willkommen an Bord, Sir«, sagte er.
        Bolitho verga? die Last seiner neuen Verantwortung, seinen unseligen Zusammensto? mit Herrick - alles au?er diesem Jungen, der ihm so lieb geworden war wie ein Sohn.
        Er umarmte ihn und sagte:»Du hast Arger gehabt, Adam. Tut mir leid, da? es meinetwegen war.»
        Pascoe sah ihn ernsthaft an.»Ich hatte ihn schon nicht getotet, Onkel.»
        Bolitho trat zuruck und lachelte melancholisch.»Nein, Adam, aber vielleicht er dich. Achtzehn Jahre - das ist der Anfang, noch nicht das Ende.»
        Achselzuckend strich sich Pascoe das schwarze Haar aus der Stirn.»Der Kommandant hat mir genugend Extradienst dafur aufgebrummt. Was macht deine Verwundung, Onkel?


«Vergessen. «Bolitho fuhrte ihn zu einem Stuhl.»Deine auch -
        eh?»
        Sie lachelten sich wie Verschworer an, und Bolitho schenkte zwei Glaser Rotwein ein. Er bemerkte, da? Pascoes Haar nach der neuen Mode geschnitten war, ohne den Zopf im Nacken, wie ihn die meisten Seeoffiziere trugen. Wie mochte die Marine wohl erst aussehen, wenn sein Neffe eines Tages den Kommodorestander hi?te?
        Pascoe nippte am Wein.»Es hei?t, Nelson hatte den Befehl uber dieses Geschwader gekriegt, wenn er nicht den Arm verloren hatte.»

«Moglich«, lachelte Bolitho. In der Flotte gab es wenig Geheimnisse.
        Nachdenklich entgegnete Pascoe:»Eine gro?e Ehre fur dich, Onkel, aber.«»Aber was?»

«Auch eine gro?e Verantwortung.»
        Herrick erschien wieder in der Tur.»Darf ich fragen, Sir, wann die Kommandanten zum Essen an Bord kommen sollen?«Er blickte von einem zum anderen und war seltsam geruhrt. Ungefahr zwanzig Jahre Altersunterschied, und doch sahen sie wie Bruder aus.

«Das uberlasse ich Ihnen«, antwortete Bolitho.
        Als Herrick gegangen war, fragte Adam unverblumt:»Stimmt etwas nicht zwischen dir und Kapitan Herrick, Onkel?»
        Bolitho legte ihm die Hand auf den Arm.»Nichts kann unsere Freundschaft truben, Adam.»

«Das freut mich«, sagte Pascoe erleichtert.
        Bolitho griff nach der Karaffe.»Und jetzt erzahl mir, was du inzwischen gemacht hast.»



        II Ein bescheidener Anfang

        Ruhelos die ihm noch ungewohnten Mobelstucke betastend, wanderte Bolitho in der Kajute umher. Um ihn und uber ihm knarrten und stohnten die siebzehnhundert Tonnen Planken und Spieren, Kanonen und Menschen unter dem Druck des auffrischenden Nordwestwindes.
        Widerstrebend versagte er es sich, mit einem Blick aus dem Fenster zu kontrollieren, wie weit die anderen Schiffe des Geschwaders mit den Vorbereitungen zum Ankerlichten waren. Er horte ab und zu einen Ruf, dem das Trappeln nackter Fu?e folgte - Matrosen rannten hierhin und dorthin, um im letzten Augenblick noch etwas in Ordnung zu bringen. Er konnte sich vorstellen, da? sich Herrick ebenso uber jede Verzogerung argerte. Dennoch blieb ihm nichts weiter ubrig, als ihn auf seinem Achterdeck in Ruhe zu lassen.
        Als Kommandant war Bolitho mit Schiffen aller Art und unter den verschiedensten Bedingungen ankeraufgegangen. Von der flinken Schaluppe bis zum turmhohen Dreidecker Euryalus, auf dem er Flaggkapitan gewesen war, hatte er auf jedem Schiffstyp die spannungsgeladenen Minuten vor dem Loskommen des Ankers durchlebt.
        Fur Herrick mu?te es ebenso schlimm sein, wenn nicht noch schlimmer. Wenn der Kommandant auf dem Achterdeck stand, hoch uber dem ganzen Getriebe, vor jeder Kritik durch seine Autoritat und seine glanzenden Epauletten geschutzt, mochte ein unbeteiligter Zuschauer irrtumlicherweise glauben, er stunde uber allen menschlichen Angsten und Gefuhlen.
        So war es Bolitho als Midshipman vorgekommen, auch noch als jungem Leutnant: Ein Kommandant mu?te ein gottahnliches Wesen sein. Er lebte unerreichbar in seiner Heck-Kajute, und vor seinem Stirnrunzeln zitterte jeder gewohnliche Offizier oder Matrose.
        Aber jetzt wu?te Bolitho es besser, genau wie Herrick. Je gro?er die Verantwortung, um so gro?er zwar die Ehre. Aber wenn etwas schiefging, dann fiel man um so tiefer, je hoher man stand.
        Allday kam herein, sich die gro?en Hande reibend. Auf seinem blauen Jackett glanzten Tropfen von Spruhwasser, und die Erregung leuchtete ihm aus den Augen. Bolitho spurte es auch selbst:
        Endlich lie?en sie das Land hinter sich - wie ein Jager, der aufbricht, sich mit dem Unbekannten zu messen, weil er mu?, der aber nie wei?, ob es nicht das letzte Mal ist.

«Die Mannschaft arbeitet ganz gut, Sir«, grinste der Bootsfuhrer.»Ich war eben oben und habe Ihre Gig kontrolliert. Ganz nette Brise aus Nordwest. Gro?artig werden wir aussehen, wenn das Geschwader erst vom Felsen klarkommt.»
        Nervos fuhr Bolitho zusammen und horchte mit schiefem Kopf: ein Rasseln oben an Deck, etwas schleifte uber die Planken, und eine grobe Stimme brullte:»Beleg die Leine da, du Saukerl!»
        Er bi? sich auf die Lippen. Da ging doch alles mogliche schief!
        Allday musterte ihn nachdenklich.»Captain Herrick kommt schon klar, Sir.»

«Wei? ich. «Bolitho nickte, als wolle er seine Uberzeugung besiegeln.»Das wei? ich doch.«»Auf ihn konnen Sie sich verlassen.»
        Allday nahm den Degen von der Schottwand und wartete darauf, da? Bolitho die Arme hob, damit er ihm das Koppel umschnallen konnte.»Immer noch der alte«, sagte er leise und beruhrte den abgewetzten Griff.»Wir sind schon einige Meilen zusammen gesegelt.»

«Aye«, stimmte Bolitho ernst zu und lie? die Finger uber die Parierstange gleiten. Ich glaube, der macht's noch langer als wir beide.»
        Allday grinste ubers ganze Gesicht.»So ist's schon besser, Sir! Jetzt reden Sie wieder, wie es sich fur einen Flaggoffizier gehort.»
        Lautlos ging die Tur auf, und Herrick, Hut unterm Arm, trat ein.»Geschwader klar zum Ankerlichten, Sir. «Er sprach ganz gelassen.»Alle Anker sind kurzstag gehievt.


«Danke, Captain Herrick«, antwortete Bolitho in dienstlichem Ton.»Ich komme gleich an Deck.»
        Herrick eilte wieder hinaus; man horte ihn die Leiter zur Kam-panje uber der Achterkajute hinaufsteigen. Er mu?te den Schiffsverkehr in der Stra?e von Gibraltar in Betracht ziehen, der jedoch Gott sei Dank sparlich war; auch die Windstarke und die nahen Untiefen. Herrick mu?te sich auch daruber klar sein, da? er an diesem Vormittag noch von anderen Augen als von Bolithos beobachtet wurde. Die Kommandanten, die am Vorabend beim Dinner so gelost und kameradschaftlich getan hatten, wurden seine Seemannschaft, den Ausbildungsstand der Lysander, die Schnelligkeit ihres Auslaufens sehr kritisch beurteilen. Auch auf den zur Garnison gehorigen Schiffen, sogar von der Festung im feindlichen Alge-ciras aus wurden Teleskope auf die Lysander gerichtet sein.

«Wir wollen gehen, Allday«, sagte Bolitho gelassen.
        Unter dem Skylight blieb Allday stehen und deutete nach oben.»Sehen Sie mal, Sir.»
        Bolitho starrte hinauf in das schwarze Gewirr der Wanten, auf den himmelhohen Gro?mast dahinter, in dessen Topp der Kommodorestander peitschend auswehte.

«Ja, ich sehe ihn.»
        Allday musterte Bolitho ernst und eingehend.»Der gehort Ihnen von rechtswegen, Sir. Mancher, der ihn dieser Tage sieht, mochte ihn runterholen, wenn er konnte. Aber solange er weht, werden sie Ihnen gehorchen. Also machen Sie sich keine Sorgen, uberlassen Sie die anderen. Sie haben Besseres zu tun.»
        Bolitho sah Allday uberrascht an.»Admiral Beauchamp hat mir etwa dasselbe gesagt, wenn auch nicht mit den gleichen Worten. «Er schlug Allday auf den Arm.»Danke.»
        Als er unter der Kampanje heraustrat und am gro?en Doppelrad vorbeikam, war er sich durchaus daruber klar, da? ihn alle in Sichtweite genau beobachteten. Drau?en, vom Achterdeck aus, wo der Wind Gischtfetzen uber Netze und Laufbrucken wehte, sah er, da? sich die Matrosen bereits an den Brassen und Fallen drangten; dahinter standen die Marine-Infanteristen in ihren scharlachroten Rocken, um die Matrosen zu unterstutzen, wenn es so weit war.

«Achterdeck - Achtung!»
        Das war Gilchrist, der Erste Offizier, Herricks rechte Hand. Lang und durr, die Stirn standig in Falten, sah er aus wie ein mi?gelaunter Schulmeister. Hinter ihm standen einige Leutnants, der Mids-hipman der Wache und allerlei namenloses Schiffsvolk.
        Bolitho tippte gru?end an seinen Hut, was dem Achterdeck im allgemeinen galt, und verglich, eigentlich gegen seine Absicht, das, was er sah, mit dem, was ihm als Kommandant selbst vertraut und lieb geworden war. Er hatte sich so schnell wie moglich Gesicht und Namen jedes einzelnen Offiziers eingepragt und sich diesen Ersten Offizier besonders genau angesehen. Er warf einen raschen Blick auf Herricks untersetzte Gestalt an der Reling - ob auch er wohl jetzt Vergleiche anstellte?
        Dicht neben sich horte er eine rauhe Stimme:»Wunderschoner Tag, Sir, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.»
        Bolitho fuhr herum und sah einen machtigen, rotgesichtigen Mann von, wie ihm schien, dreifacher Raumbeanspruchung, nicht so sehr in der Hohe wie in der Breite. Die dicken Beine gespreizt, um eine plotzliche Bo abzufangen, stand er da und starrte Bolitho aus schwerlidrigen, melancholischen Augen mit unverhohlener Neugier an.»Mein Name ist Grubb, Sir. Ich bin der Master.«[auch Segelmeister genannt; etwa einem Navigationsoffizier vergleichbar. Einer der wichtigsten Manner an Bord, obwohl nur im Deckoffiziersrang.]

«Danke, Mr. Grubb«, lachelte Bolitho. Das hatte er sich denken konnen. Uber Ben Grubb, den Master der Lysander bei St. Vincent, existierten bereits viele Legenden. Er hatte, so wurde erzahlt, personlich die Querflote geblasen, als der Vierundsiebziger die Feindformation durchbrach und alle Trommeljungen der MarineInfanterie von Schrapnellgeschossen niedergemaht worden waren.
        Diesem machtigen, unordentlich gekleideten Mann war das schon zuzutrauen, fand Bolitho. Eine merkwurdige Mischung. So wie das Gesicht war der ganze Mann: offenbar von schweren Sturmen gezeichnet; und ein schwerer Trinker war er auch, das sah man ihm an. Von jetzt an wurde Grubb einer der wichtigsten Manner im Geschwader sein.
        Grubb zog eine apfelgro?e Taschenuhr, sah nach der Zeit und sagte:»Ungefahr jetzt, wurde ich meinen, Sir.»
        Bolitho nickte und drehte sich nach Herrick um. Pascoe stand mit einem Midshipman und den Signalgasten in der Nahe, ein Deckoffizier kritzelte etwas auf seine Tafel.

«Also bitte, Captain. Wir wollen auslaufen.»
        Absichtlich langsam schritt Bolitho uber das unaufgeklarte Deck und versuchte, nicht auf die vielen Blocke und Taljen hinunterzu-blicken, an denen die Achterdeckwache seit Morgengrauen gearbeitet hatte. Das ware ein schoner Anblick fur die Crew der Lysander, wenn er mit dem Fu? hangenbliebe und der Lange nach auf die
        Planken fiele! Seltsamerweise wurde er gerade bei dieser gra?lichen Vorstellung ruhiger und konnte sich auf die anderen Schiffe konzentrieren, auf denen nacheinander die Bestatigungen fur Herricks Signal Anker auf hochgingen.

«Von allen bestatigt, Sir!«horte er den Midshipman rufen.
        Und dann ertonte Pascoes vor verhaltener Erregung zitternde Stimme:»Achterdeck - klar zum Manover!»
        Gilchrist rannte polternd uber die Planken, und selbst noch durch die Sprechtrompete klang seine Stimme mi?billigend:»Mr. Yeo! Mehr Leute ans Gangspill! Verdammte Bummelei!»
        Bolitho wandte sich nicht um. Yeo war der Bootsmann, er wurde ihn schon noch kennenlernen. Druben rollte die kleine Harebell wie betrunken, die Rahen voll geschaftiger Matrosen. Ihr Ankertau stand auf und nieder; er glaubte, Inchs vogelscheuchenahnliche Gestalt an der Achterdeckreling zu erkennen, wie er uber die Reede deutete, die mit ihren zahllosen wei?mutzigen Wellen aussah wie ein Miniaturozean.
        Bolitho nahm dem Midshipman der Wache das Teleskop aus der Hand, stellte es auf den anderen Zweidecker ein und fragte dabei:»Und wie hei?en Sie?»
        Der Midshipman starrte ihn perplex an.»Saxby, Sir.»
        Auf den Decksgangen der Nicator rannten jetzt die Matrosen eilig nach achtern. Saxby war etwa dreizehn und hatte ein rundes, unschuldiges Gesicht. Sein sonst recht nettes Aussehen wurde beeintrachtigt, wenn er den Mund aufmachte, denn ihm fehlten zwei Vorderzahne.
        Bolitho fixierte das Glas und versuchte, nicht auf Gilchrists blecherne Stimme zu achten. Es dauerte alles viel zu lange. Vorsicht - schon und gut, aber das hier war ein angstliches Kriechen.

«Das geht zu langsam, Captain Herrick!«sagte er scharf.

«Sir?«Herrick hatte anscheinend nicht aufgepa?t.

«Setzen Sie Dringlichkeitssignal, bitte!«Es war ihm unangenehm, aber hier stand mehr auf dem Spiel als privates Gefuhl.
        Er horte laute Befehle, die verwischten Rufe der Toppsgasten, die sich auf den Fu?pferden der vibrierenden Rahen hinausarbeiteten.
        Und dann wurde das alte Signal mit einem Ruck niedergeholt, und vom Vorschiff kam der Ruf:»Anker ist los!»
        Schwer legte sich die Lysander auf die Seite, der Anker kam aus dem Wasser, der Wind fullte bereits die Marssegel; langsam drehte sie durch die kabbelige See.

«An die Brassen!»
        Nackte Fu?e schlidderten uber die nassen Planken; vom Ankerspill rannten Manner herbei.
        Eins nach dem anderen, wie machtige Tiere, gingen die drei Linienschiffe vor den Wind; weiter drau?en setzten die Fregatte Buz-zard und Inchs Schaluppe bereits mehr Segel, um sich von den gro?en Schiffen freizuhalten.
        Ein» Starter«, der kurze Tampen eines Maaten, klatschte auf einen nackten Rucken, und der Mann schrie auf. Hoch uber Deck wetteiferten die Toppsgasten miteinander, um die anderen Schiffe des Geschwaders zu ubertreffen.»Setzen Sie die Breitfock, Mr. Gilchrist!«befahl Herrick.»Und sagen Sie diesem Bootsmannsmaaten, er soll sparsamer mit seinem Tampen umgehen!»
        Bolitho ging auf die andere Seite, wo soeben die Osiris das Kielwasser der Mcator kreuzte. Sie bot einen schonen Anblick mit ihren steif und voll stehenden Marssegeln, unter denen sie so stark uberholte, da? die Bugsee beinahe uber die unteren Stuckpforten wusch. Fock und Gro?segel schlugen einmal und fullten sich dann; hart glanzten sie im Sonnenlicht wie Silber.

«Die Nicator fallt zuruck«, sagte Bolitho.»Signalisieren Sie ihr, mehr Segel zu setzen!»
        Vielleicht hatte Kapitan Probyn so viel zu tun, da? er nicht merkte, wie sein Schiff bereits aus der Formation der Vierundsiebziger ausbrach. Es konnte aber auch sein, da? er testen wollte, ob sein Kommodore ein gutes Auge hatte und schnell in die Schiffsfuhrung eingriff.

«Nicator bestatigt, Sir!«rief der Signalgast.
        Probyns Leute setzten bereits das Vorbramsegel. Das ging fast zu schnell, fand Bolitho. Probyn hatte ihn also testen wollen.
        Grubb sah nach oben in die Takelage, dann auf den Kompa? und nach seinen Rudergasten, ohne da? sich ein Muskel seines Gesichts bewegte. Nur die Augen huschten auf und nieder, nach vorn und nach achtern, wie zwei Leuchtfeuer auf einer verwitterten roten Steilkuste.
        Nach einer knappen Stunde war das Geschwader klar von den Ansteuerungstonnen, und die drei Linienschiffe boten unter etwas reduzierter Leinwand einen stolzen Anblick, als sie von Land we g-strebten. In Lee kreuzten Buzzard und Harebell hastig unter vollen Segeln, deren bleiche Pyramiden bereits im Dunst verschwammen, um ihre Stationen weit vor dem Geschwader einzunehmen.

«Also gut, Mr. Grubb«, rief Herrick,»Kurs Ostsudost. «Dann kam er zu den Netzen hinuber, wo Bolitho stand, einen Fu? auf die Lafette eines Achterdeck-Neunpfunders gestutzt.
        Leise lachelnd blickte Bolitho ihm entgegen.»Na, Thomas, wie fuhlen Sie sich?»
        Die Falten in Herricks Gesicht glatteten sich etwas. Als ob eine Wolke abzieht, dachte Bolitho.

«Besser, Sir«, antwortete Herrick und atmete tief aus.»Ein ganzes Ende besser!»
        Bolitho beschattete die Augen mit der Hand und sah zum Land hinuber. Wahrscheinlich ritten schon in dieser Minute Kuriere in gestrecktem Galopp uber die Kustenstra?en. Aber es hatte keinen Sinn gehabt, wie Strauchdiebe im Schutz der Dunkelheit durch die Stra?e von Gibraltar zu schleichen. Zwar hatte er seine Befehle, doch der Earl of St. Vincent hatte ihm auch klargemacht, da? es seine Sache war, wie er sie interpretierte und ausfuhrte. Es konnte gar nichts schaden, wenn der Feind wu?te, da? wieder ein starker britischer Verband ins Mittelmeer segelte. Bolitho blickte zum Gro?masttopp hinauf, zu dem langen, gespaltenen Wimpel, der jetzt steif wie ein Brett im steten Wind stand. Seine Flagge. Dann lie? er den Blick uber das von Menschen wimmelnde Deck schwe ifen, uber die emsigen Matrosen, die in gro?en Duchten aufgeschossenen Taue, die dem Binnenlander wie ein hoffnungsloses Gewirr vorkommen mu?ten. Und dann weiter vor zum Kluverbaum, unter dem er gerade noch eine der breiten Schultern des spartanischen Heerfuhrers sehen konnte. Inchs Schaluppe, ihre ganze Vorhut, war nur noch ein we i?es
Federchen an der dunstigen Kimm. Bolitho lachelte in sich hinein. Genauso hatte auch er damals mit seinem ersten Schiff operiert, in der Chesapeake Bay. Doch nun: ein anderes Schiff - ein anderer Krieg.[siehe Kent: Zerfetzte Flaggen]

«Irgendwelche Instruktionen, Sir?«fragte Herrick. Druben an der Leereling stand Pascoe, eine Hand in die Hufte gestutzt, und sah zu ihnen heruber.

«Es ist Ihr Schiff, Thomas. Was haben Sie vor?»
        Herrick versuchte, sich etwas zu lockern.»Ich wurde gern Geschutzexerzieren ansetzen. Mit der Segelausbildung bin ich soweit zufrieden.»

«Also bitte«, lachelte Bolitho. Da sich Gilchrist in der Nahe herumdruckte, sagte er abschlie?end:»Ich bin in meiner Kajute.»
        Unterwegs, beim Kompa?, horte er Gilchrists kalte Meldung an den Kommandanten: Zwei Mann zur Bestrafung, Sir. Nachlassigkeit im Dienst und Frechheit gegenuber einem Bootsmannsmaaten.»
        Bolitho hielt inne. Eine Auspeitschung schon zu Beginn der Reise - das ware auch unter normalen Umstanden ein schlechter Anfang gewesen. Hier bei dem kleinen Geschwader, in feindlichen Gewassern, wo beinahe jedes auftauchende Segel ein Franzose oder Spanier sein mu?te, vertrug es sich um so schlechter mit seiner heiklen Mission. Herrick sagte etwas zu Gilchrist, das Bolitho nicht verstand, aber der Leutnant erwiderte rasch: «Mir genugt seine Aussage, Sir.»
        Bolitho schritt nach achtern unter die dicken Decksbalken. Er durfte sich nicht einmischen.
        Am Abend des zweiten Tages auf See gab es nach dem zunachst schnellen Start zur Reise in den Golfe du Lyon einen Ruckschlag. Unberechenbar wie immer, flaute der Wind zu einer schwachen Brise ab, so da? die Lysander auch unter Vollzeug nur knapp drei Knoten schaffte.
        Das Geschwader segelte nicht mehr in seiner ursprunglichen Formation, sondern war zerstreut; und alle drei Zweidecker schlichen uber ihrem eigenen Spiegelbild langsam und lustlos dahin.
        Bolitho hatte die Fregatte losgeschickt, um weit voraus zu rekognoszieren; nun, bei seinem ruhelosen Auf- und Abgehen auf der Kampanje, war er froh, da? er wenigstens diese kleine Vorsichtsma?nahme ergriffen hatte. Der Kommandant, Kapitan Javal, wurde so den Landwind hoffentlich mit einigem Erfolg ausnutzen konnen.
        Trotz seiner Ungeduld mu?te Bolitho lacheln. Er selbst und auch Farquhar waren im Herzen immer noch Fregattenkapitane; der Gedanke an Javals Unabhangigkeit, das Operieren au?er Reichwe i-te jedes Signals, mu?te den Neid eines Kommandanten erregen, der an einen gewichtigen Vierundsiebziger gebunden war.
        Er horte, da? Herrick mit seinem Ersten sprach, und dabei fiel ihm die Auspeitschung des Vortags wieder ein. Das wohlbekannte, gra?liche Ritual der korperlichen Zuchtigung hatte bei der versammelten Mannschaft keine sonderliche Aufregung verursacht. Doch als Bolitho auf der Kampanje dem Verlesen der Kriegsartikel durch Herrick beiwohnte, hatte er so etwas wie Triumph auf Gilchrists schmalem Gesicht beobachtet. Er hatte eigentlich erwartet, da? Herrick Gilchrist beiseite nahm und ihn auf die Gefahren uberflussiger Bestrafungen hinwies. Gedankenlose Harte konnte Folgen haben, die schlimmer waren als eine unabsichtliche Disziplinlosigkeit. Die Meutereien vor Spithead und bei der Themseflotte hatten eigentlich genugend Warnung sogar fur einen Blinden sein sollen. Doch als Bolitho auf das Achterdeck hinuntersah, konnte er an der Unterhaltung der beiden nichts ablesen. Sie sprachen ganz normal miteinander; dann tippte Gilchrist an den Hut und ging weiter nach Luv. Er hatte einen merkwurdig hupfenden Gang, bei dem seine Sohlen laut auf die Planken schlugen.
        Nach kurzer Uberlegung stieg Bolitho leichtfu?ig die Stufen hinunter und trat neben Herrick an die Luvnetze.»Ein Schnek-kentempo«, sagte er.»Der Himmel moge uns den Wind wiederfinden lassen.»
        Herrick sah ihn mi?trauisch an.»Unser Unterwasserschiff ist sauber, Sir. Und ich habe jedes Segel personlich kontrolliert - wir konnten auch beim besten Willen nicht einen halben Knoten mehr machen.»
        Uberrascht von seinem vorwurfsvollen Ton, wandte Bolitho sich um.»Das sollte keine Kritik sein, Thomas. Ich wei?, ein Kommandant kann allerhand, aber den Elementen befehlen kann er nicht.»
        Herrick lachelte gezwungen.»Entschuldigung, Sir. Aber mich bedruckt das ziemlich. Von uns wird so viel erwartet. Wenn es schiefgeht, ehe wir richtig angefangen haben…«Er zuckte hilflos die Achseln.»Die ganze Flotte mu?te vielleicht darunter leiden.»
        Bolitho stieg auf einen Poller und hielt sich an den Netzen, wahrend er nach achtern zur Nicator spahte, die lethargisch auf dem gleichen Bug lag. Ihre Marssegel waren kaum gefullt, und ihr Masttoppwimpel hob sich nur gelegentlich in den leeren Himmel.
        Von Land war nichts zu sehen, obwohl der Ausguck, der winzig wie ein Affchen turmhoch uber Deck hockte, es als purpurnen Dunststreifen erkennen mu?te: die Sudkuste von Spanien. Bolitho schauerte trotz der feuchten Hitze, als er daran dachte, da? er diese Strecke schon einmal gesegelt war. Ubrigens - warum stellte sich Herrick so an? Es sah ihm gar nicht ahnlich, uber das» Vielleicht
«nachzugrubeln. Wieder kamen Bolitho bohrende Zweifel. War diese Verantwortung eine zu schwere Burde fur Herrick? Ohne ihn anzusehen, fragte er:»Ihr Erster, Thomas - was wissen Sie von ihm?»

«Mr. Gilchrist?«erwiderte Herrick zuruckhaltend.»Sehr tuchtig im Dienst. Bei St. Vincent war er Zweiter auf der Lysander.»
        Bolitho bi? sich auf die Lippe. Es argerte ihn, da? er bereits am zweiten Tag auf See den Mund nicht mehr halten konnte. Mehr noch: er war verletzt und wu?te selbst nicht, warum. Thomas Herrick war sein Freund, und in all den Jahren, in denen sie Schulter an Schulter gegen den Tod gekampft, Fieber und Durst gelitten, Angst und Verzweiflung durchgemacht hatten, ware eine solche Kluft zwischen ihnen unvorstellbar gewesen.

«Ich habe nicht nach seiner Fuhrung gefragt«, entgegnete er schroffer als beabsichtigt.»Ich will etwas uber den Menschen Gil-christ wissen.»

«Kann nicht klagen, Sir. Er ist ein guter Seemann.»

«Und das genugt?»

«Es mu? mir genugen, Sir. Sonst wei? ich nichts uber ihn«, antwortete Herrick gepre?t.
        Bolitho trat vom Poller herunter und zog seine Uhr.»Aha.»

«Sehen Sie, Sir«, sagte Herrick mit einer unsicheren Handbewegung,»die Dinge andern sich eben. Ich fuhle eine solche Distanz zu meinem Schiff und meinen Leuten, als lebte ich auf einer Insel. Immer wenn ich versuche, alles so zu machen wie fruher, kommen mir Geschwaderangelegenheiten dazwischen. Meine Offiziere sind fast alle junge Leute; manche haben noch nie einen ernstgemeinten
        Kanonenschu? gehort. Pascoe, der jungste Leutnant an Bord, hat mehr Gefechtserfahrung als alle anderen zusammen. «Herrick sprach jetzt rasch, die Worte flossen unaufhaltsam.»Ich habe ausgezeichnete Deckoffiziere, zum Teil die besten, mit denen ich je gesegelt bin. Aber Sie wissen selbst, wie das ist, Sir: die Befehle mussen vom Achterdeck kommen.»
        Bolitho durfte sich nichts anmerken lassen. Wie gern hatte er Herrick beiseite genommen, mit in seine Kajute, aus dem Bannkreis der neugierigen Augen, ihm gesagt, wie gut er ihn verstand. Aber dann ware alles genauso geworden wie fruher: Bolitho hatte sich wieder mit dem Schiffsalltag und den gedrangt vollen unteren Decks befa?t, und Herrick hatte nur darauf gewartet, seine Gedanken in Handlungen umzusetzen: ganz der ausgezeichnete Untergebene, der er immer gewesen war.

«Ja«, sagte Bolitho endlich,»so soll es auch sein. Das Schiff verla?t sich auf seinen Kommandanten. Und ich auch.»
        Herrick seufzte.»Ich mu?te das einmal ansprechen.»

«Ich habe Ihre Ernennung zu meinem Flaggkapitan nicht aus alter Freundschaft befurwortet, sondern weil ich glaubte, da? Sie der richtige Mann sind. «Bolitho sah, da? seine Worte Herrick wie ein Schlag ins Gesicht trafen, und fuhr fort:»Und dieser Meinung bin ich immer noch.»
        Aus dem Augenwinkel sah er die massige Gestalt des Masters die beflissenen Midshipmen mit ihren Sextanten fur das tagliche Ritual der Standortbestimmung um sich versammeln. An der Reling stand Leutnant Fitz-Clarence, Offizier der Wache, und tat ziemlich uberzeugend so, als beobachte er aufmerksam die im Gro?mast arbe i-tenden Matrosen; doch verrieten seine angespannten Schultern, da? er versuchte, der Unterhaltung seiner Vorgesetzten zu lauschen.

«Also wollen wir nicht mehr so duster in die Zukunft sehen, ja? Wenn wir erst Feindberuhrung bekommen, haben wir Sorgen genug. Daran hat sich bestimmt nichts geandert.»
        Herrick trat einen Schritt zuruck.»Aye, Sir. «Sein Gesicht war grimmig.»Tut mir leid, wenn ich Sie enttauschte. «Er sah Bolitho nach, der sich zur Kampanjeleiter gewandt hatte, und schlo?:»Es wird nicht wieder vorkommen.»
        Bolitho schritt zur Heckreling und packte verzweifelt das vergoldete Schnitzwerk. Er konnte versuchen, was er wollte, sie fanden nicht mehr zueinander; die Kluft zwischen ihnen war nicht zu uberbrucken.

«An Deck!«hallte der heisere Ruf des Ausgucks, und Bolitho fuhr herum.»Die Harebell signalisiert!»
        Bolitho wartete ungeduldig, bis Mr. Fitz-Clarence, Zweiter Offizier der Lysander, aus tiefem Sinnen erwachte und rief:»Mr. Faulkner! In die Wanten mit Ihrem Teleskop! Ich will wissen, was sie meldet, und zwar gleich!»
        Der Midshipman der Wache, der eben noch bei den Netzen gedost hatte, froh daruber, da? er sich Mr. Grubbs tiefschurfende Ausfuhrungen uber Navigation nicht mitanhoren mu?te, rannte zu den Leewanten und enterte rasch zum Gro?mast auf.
        Fitz-Clarence sah ihm nach, Hande in die Huften gestemmt, als erwarte er jeden Moment, da? der Junge abrutschte und fiel. Anscheinend hatte er eine Vorliebe fur eindrucksvolle Posen. Er war ein eifriger, schneidiger Offizier, und was ihm an Korpergro?e fehlte, pflegte er durch standige Betonung seiner Autoritat zu ersetzen.
        Herrick stand dicht neben ihm, die Hande auf dem Rucken. Bo-litho bemerkte, da? er sie nicht stillhalten konnte, was seine au?erliche Ruhe Lugen strafte.
        Endlich kam die schrille Knabenstimme von oben: «Harebell an Flagschiff, Sir: Buzzard im Nordosten gesichtet!»
        Bolitho stie? die Hande in die Taschen und griff nach seiner Uhr, um seine plotzliche Erregung zu beherrschen. Kapitan Javal war also auf Gegenkurs gegangen und kam zum Geschwader zuruck. Folglich hatte er entweder feindliche Krafte gesichtet, die fur ihn zu stark waren; oder er wollte seinem Kommodore melden, da? der Gegner bereits hinter ihm hersegelte.
        Bolitho sah Herrick zur Leiter eilen, und im nachsten Moment stand er neben ihm an der Reling.

«Signal an Geschwader«, sagte Bolitho.»>Zum Flaggschiff auf-schlie?en!< Und wir kurzen Segel, damit sie es leichter haben.»
        Herrick starrte mit seinen klaren blauen Augen nach achtern uber die glitzernde See.»Die Osiris kommt bereits auf. Kapitan Farquhar mu? Augen haben wie ein Luchs.
«Das klang so bitter, da?
        Bolitho ihn uberrascht und wortlos von der Seite ansah. Er wu?te, was Herrick dachte, so genau, als hatte er es herausgeschrien: Ware Farquhar Bolithos Flaggkapitan gewesen, so hatte es keine Verzogerung gegeben. Ihm hatte der Kommodore nicht erst sagen mussen, was sich von selbst verstand.
        Herrick fa?te an den Hut und ging wieder zur Leiter. Doch Gil-christ war bereits auf dem Achterdeck, Sprechtrompete in der Hand, und blaffte:»Bootsmannsmaat! Pfeifen Sie >Alle Mann zum Segelkurzen!< Den letzten, der oben ist, schreiben Sie auf!»
        Dann wandte er sich zu Herrick um.»Lagebesprechung, Sir?«Es klang irgendwie herausfordernd.
        Herrick nickte.»Aye, Mr. Gilchrist. «Und nach kurzem Zogern:»Geben Sie Signal:
>Kommandanten an Bord         Bolitho wandte den Blick ab. Herrick hatte Gilchrist zurechtstauchen sollen, um ihm seine Arroganz ein fur allemal auszutreiben.
        Eilig rannten die Matrosen von ihren Arbeiten an und unter Deck herbei und sahen sich kaum an, wahrend sie auf ihre Stationen rannten. Bolitho sah Pascoe, der sich im Laufen den Rock zuknopfte, aufs Achterdeck eilen und vor Gilchrist den Hut luften. Dieser wies ihn an:»Seien Sie scharfer zu Ihren Leuten, Mr. Pascoe!»
        Pascoe sah ihn fragend an, seine Augen glitzerten im Sonnenlicht. Schlie?lich nickte er.»Jawohl, Mr. Gilchrist, das will ich sein.»

«Das bitte ich mir auch aus, zum Donnerwetter!«sagte Gilchrist so laut, da? mehrere Matrosen stehenblieben und hinaufschauten.»Auf meinem Schiff gibt es keine Gunstlinge!»
        Pascoe blickte kurz zur Kampanje hinauf, wo Bolitho noch stand, und drehte sich dann auf dem Absatz um; seine Leute scharten sich um Pascoe wie ein Schutzwall. Bolitho sah sich nach Herrick um, doch der stand an der Luvseite, weit entfernt von allem.
        Es dauerte eine Weile, bis die Spannung aus Bolitho wich. Gil-christ zeigte seine Absichten offen, aber zu fruh. Er hatte seine Erwartung klar zum Ausdruck gebracht, da? der Kommodore die Autoritat eines vorgesetzten Offiziers auch gegen den eigenen Neffen unterstutzte. Gilchrist war ein bemerkenswerter Mann. In ihm steckte viel mehr, als der arglose Herrick sich traumen lie?. Normalerweise hatte kein Leutnant es gewagt, mit seinem Kommandanten, den er erst kurze Zeit kannte, so zu sprechen, wie Gil-christ vorhin. Und keine noch so wichtige private Beziehung konnte einen Leutnant vor einem Flaggoffizier retten, selbst vor einem Kommodore nicht, wenn der sich entschlo?, in eigener Sache aufzutrumpfen. Bolitho war noch nie mit Gilchrist gefahren. Der Erste Offizier der Lysander wu?te andererseits eine ganze Menge uber seinen Kommodore. Offenbar auch genug, um davon uberzeugt zu sein, da? Bolitho nie einen Verwandten oder personlichen Freund begunstigen wurde. Doch warum lie? er sich das alles anmerken?
        Bolitho schritt zur anderen Seite des Decks und spurte eine Hitzewelle im Gesicht, als das Gro?segel aufgegeit wurde und die Sonne sich wie eine erstickende Faust auf die Decksplanken senkte.
        Was gab Gilchrist so viel Selbstvertrauen? Er schaute nach den beiden anderen Zweideckern aus, die in ungerader Formation, aber unaufhaltsam aufschlossen. Farquhar vielleicht? War der so wild auf die Beforderung zum Flaggkapitan, da? er sich einen Verbundeten gewonnen hatte? Farquhar besa? bestimmt Verbindungen und auch Geld genug, um einen Mann in Versuchung zu fuhren. Oder war es Probyn? Unwahrscheinlich. Danach sah Probyn nicht aus. Der konnte von Gluck sagen, da? er uberhaupt ein Schiff in diesem Geschwader bekommen hatte, und wurde sich schwer huten, mit einer Intrige seinen guten Namen zu riskieren. Herrick? Ausgeschlossen.
        Allday erschien auf der Kampanje und tippte gru?end mit den Handknocheln an die Stirn.»Es dauert mindestens noch eine Stunde, bis Buzzard beim Geschwader ist, Sir. «Bedeutsam blickte er zum offenen Skylight.»Ihr Steward hat Wein in der Bilge kalt gestellt.»
        Bolitho horte ihn kaum.»Hoffentlich bringt Javal gute Nachrichten.»
        Allday musterte ihn betroffen. Es sah dem Kommodore gar nicht ahnlich, seine Gedanken so offen auszusprechen; also mu?te er Sorgen haben. Der Grund dafur konnte Alldays Uberzeugung nach keinesfalls beim Geschwader liegen, denn in seinen Augen war Bolitho beinahe allmachtig. Auch an dieser schwarzhautigen Catherine Pareja in London konnte es nicht liegen. Es hatte zwar allerhand Gerede gegeben, aber das war vermutlich nur blasser Neid.
        Sie war ja wei? Gott eine gutaussehende Frau und kummerte sich einen Schmarren um das Gerede der Leute. Und eins stand fest: da? Bolitho seine letzte Verwundung uberstanden hatte, war ihr Verdienst. Doch diese Affare war aus und vorbei. Die beiden wurden sich kaum wiedersehen.
        Also woran lag es sonst? An Leutnant Pascoe? Allday grinste. Ein munterer junger Teufel. Seinem Onkel sehr ahnlich und auch manchem der Portrats, die Allday in dem alten Hause in Falmouth gesehen hatte.
        Er fuhr zusammen, denn Bolitho sagte scharf:»Der Wein wird kochend hei? sein, bis Sie sich entschlossen haben, den Niedergang freizugeben!»
        Etwas erleichtert trat Allday beiseite. Er wartete, bis er durch das offene Skylight horte, wie Bolitho mit Ozzard, dem Kajutsteward, sprach, und schlenderte zum Achterdeck, wo die Wache nach dem Segeltrimmen dabei war, die Fallen und Brassen zu belegen.
        Pascoe sah auf, als Allday vorbeiging.»Sie machen ja ein Gesicht wie ein Hund mit zwei Schwanzen.»

«Aber, Mr. Pascoe«, grinste Allday,»das ist unfair von Ihnen, da? Sie sich uber einen armen Seeman amusieren.»
        Pascoe schuttelte den Kopf.»Uber Sie amusieren? An dem Tag, wenn das einer schafft, wird Bonaparte Konig von England!»
        Gilchrists Schatten fiel zwischen sie.»Ich glaube, Mr. Pascoe«, sagte er von oben herab,»Sie haben Extradienst vom Kommandanten?»

«Jawohl, Sir. «Pascoes Gesicht blieb vollkommen ausdruckslos.

«Dann sein Sie so gut und machen Sie Ihren Dienst, Mr. Pascoe«, sagte Gilchrist mit einem Blick auf Allday,»und vergeuden Sie nicht Ihre Zeit mit dem Bootsfuhrer des Kommodore. «Er tippte mit dem Fu? aufs Deck.»Ein guter Seemann, zweifelsohne, aber kaum der richtige Umgang fur einen Offizier des Konigs, eh?»
        Allday bemerkte den plotzlich in den Augen Pascoes aufblitzenden Zorn und sagte hastig:»Meine Schuld, Sir.»
        Gilchrist verzog ein wenig den Mund.»In der Tat. Ich kann mich nicht erinnern, einen gewohnlichen Matrosen um seine Meinung gebeten zu haben. Ich bin nicht gewohnt, meine Zeit zu verschwenden an - »
        Sie fuhren herum, denn Bolitho stand neben dem Steuerrad.

«In diesem Falle, Mr. Gilchrist«, sagte er schroff,»ware ich Ihnen verbunden, wenn Sie einen Blick auf die Luvbrassen werfen wurden, statt Ihre Zeit mit eitlem Geschwatz zu - wie sagten Sie doch? - zu verschwenden!»
        Gilchrist schnappte nach Luft wie ein Fisch an Land.»Sofort, Sir«, sagte er schlie?lich.
        Herrick erschien an der Reling.»Ist etwas nicht in Ordnung,
        Sir?»
        Bose sah Bolitho an ihnen vorbei.»Sehr richtig, Captain. Etwas ist sogar ganz erheblich in Unordnung. Und wenn ich erst herausbekommen habe, was, dann wird es mir eine Freude sein, es Sie wissen zu lassen. Sie alle!«schlo? er mit einem wutenden Blick auf Gilchrist.

«Zeigen Sie es mir noch mal auf der Karte!»
        Javal beugte sich uber das Blatt, Bolitho stand neben ihm, stumm warteten die anderen Kommandanten und glichen mit den Knien die Bewegungen der Lysander aus, die beigedreht in den Wellen dumpelte.

«Habe sie im ersten Fruhlicht gesichtet, Sir«, erlauterte Javal, und seine gebraunten Finger umschlossen die spanische Kustenlinie, als wollte er einfangen, was er gesehen hatte.»Kleines Fahrzeug, ein Schoner hochstwahrscheinlich.
«Gelassen blickte er Bo-litho an; in seinen fettigen Haaren hingen noch Spruhwassertropfen, denn er hatte sich in hochster Eile zum Flaggschiff rudern lassen.»Ich nehme an, ihr Kapitan hat die Buzzard gesichtet und entschieden, da? Vorsicht besser sei als Tapferkeit.»
        Farquhar versuchte nicht erst, seine Enttauschung zu verbergen.»Ein Schoner, sagten Sie? Verdammt, Javal, und wegen so eines Spielzeugs kommen Sie zum Geschwader zuruck? Das ist aber ubertrieben, finde ich!»
        Javal ignorierte ihn und sah Bolitho unverwandt aus dunklen Augen an.»Ich habe gute Manner im Ausguck. Ich belohne sie aus eigener Tasche, wenn sie aufpassen. Das scheint mir nutzlicher, als sie wegen Unachtsamkeit auspeitschen zu lassen.
«Flogen seine Augen dabei zum Kommandanten der Osiris!

«Wie manche andere Leute das tun.»
        Herrick trat dazwischen, unreinen etwa aufflammenden Streit im Keim zu ersticken. Dann berichten Sie, aber schnell, Javal. Mein Master meint, es wird gleich Wind aufkommen, und ich habe wenig Platz fur Passagiere. Und schon gar nicht fur Kommandanten unseres Geschwaders.»
        Javal zeigte grinsend die Zahne; wie der ganze Mann waren sie dunkel und scharf. Sie lief vorm Wind und hatte alle Segel gesetzt. Und trotzdem machte sie verdammt wenig Fahrt. «Er sah Bolitho an.»Ist doch seltsam bei einem Mittelmeer-Schoner, wurde ich meinen, Sir?»
        Bolitho beugte sich uber die Karte und dachte uber Javals Bericht nach. Da die Buzzard und die Harebell bisher standig in Luv des Geschwaders rekognosziert hatten, hatten sie den Schoner kaum ubersehen, wenn er sie langs der Kuste uberholt hatte.
        Eben tippte Javals starker Finger auf einen Punkt der Karte. Wie im Selbstgesprach sagte Bolitho:»Sie meinen, da? der Schoner aus Malaga kommt?»
        Javal nickte.»Ich bin fast sicher, Sir. Mit Ostkurs. Meiner Meinung nach wird er hier vor Anker bleiben - «, er tippte wieder auf die Karte - ,»bis es dunkel wird oder er glaubt, freie Bahn zu haben.»
        Rasch trat Bolitho an die Heckfenster und sah zu, wie die Bo langsam uber das blaue Wasser heranstrich. Grubb hatte recht - der Wind frischte wieder auf.

«Verdammter Schoner!«sagte Probyn mit seiner dumpfen Stimme.»Er kann alles mogliche sein - oder uberhaupt nichts. Far-quhar hat recht, es war sinnlos, da?…»
        Er fuhr herum, denn auf einmal stand Farquhar neben Bolitho, das gutgeschnittene Gesicht voller Eifer.

«Ich glaube, es hat doch einen Sinn. «Forschend sah er Bolitho von der Seite an. Die Dons[Spitzname fur die Spanier] haben doch ein Arsenal in Malaga? Und eine gro?e Kanonengie?erei?»
        Bolitho lachelte fluchtig.»Ja. Ich kann mich irren, ebenso wie Captain Javals Ausguck: Aber ein Kustenschoner macht rasche Fahrt - es sei denn, er hat sehr schwer geladen.»
        Er trat wieder an den Tisch, und die anderen drangten sich um ihn.»Die Dons werden ihren Verbundeten beweisen wollen, da? sie ihnen bei jeder Aktion gegen uns wertvolle Hilfe leisten konnen. Bonaparte braucht Waffen aller Art; und in den Gewassern um Malaga konnen nur kleine Schiffe zum Transport dieser Waffen eingesetzt werden. «Er richtete sich auf; die verletzte Schulter schmerzte unter der Uniform wie eine Brandwunde.»Es ist ein bescheidener Anfang, aber er kommt schneller, als ich dachte. Wir werden uns in der Dammerung der Kuste nahern und den Schoner nehmen. Wenn wir Gluck haben, bringt uns das wertvolle Informationen ein. Mindestens aber ein weiteres Schiff fur das Geschwader. «Er konnte ein Lacheln der Erregung nicht unterdrucken. Die Neuigkeit war wie Medizin.»Hat jemand einen Einwand?»
        Probyn schuttelte den Kopf, immer noch verwirrt und nachdenklich uber Farquhars Meinungsumschwung.

«Ich wei?, in welcher Bucht er ankert«, sagte Javal nachdenklich.»Wenn es dunkel ist, konnen wir ihn ohne allzugro?e Schwierigkeiten kapern.»
        Bolitho spurte, da? sie gespannt auf sein nachstes Wort warteten.»Sie ubernehmen das, Captain Javal. Ich lasse der Harebell signalisieren, da? sie die Vorhut ubernimmt, bis die Sache erledigt ist. «Er sah Herrick an.»Ich werde mit einer Anzahl unserer Leute auf die Buzzard umsteigen, sagen wir, mit zwanzig zuverlassigen Matrosen. Keine Seesoldaten - Stiefel und Musketen konnen wir dabei nicht gebrauchen. Mr. Javal, Sie sind doch damit einverstanden?»
        Javal grinste wolfisch.»Aber gern!»

«Und das Geschwader, Sir?«fragte Herrick.

«Ich gebe Ihnen noch detaillierte Anweisungen. «Absichtlich wandte er sich damit nur an Herrick und zeigte damit Probyn und Farquhar, wem sein Vertrauen in erster Linie galt.»Sie konnen morgen naher unter Land gehen, wenn Sie es fur richtig halten. Wenn nicht, werden wir einen Treffpunkt festlegen, der in Captain Javals Angriffsplan pa?t.»
        Mit einem raschen Blick musterte er ihre Gesichter. Farquhar: kalt und ausdruckslos; aber die nervos auf die Tischplatte klopfenden Finger verrieten seine wahren Gefuhle. Vermutlich dachte er, da? er den Auftrag besser hatte ausfuhren konnen als Javal. Und besser auch als Herrick. Probyn, auf dessen schwammigem Gesicht der Zweifel stand, beobachtete Javal, als wolle er etwas entdecken. Vielleicht dachte er auch an das Prisengeld fur Javal, wenn dieser den Schoner kaperte; passierte ihm dagegen etwas, dann wurde sein Anteil dem Geschwader zufallen.
        Und Herrick? Dem gelang es nie, seine Bedenken zu verbergen. Sorgenvoll studierte er die Karte, die Brauen so stark zusammengezogen, da? seine Augen beinahe verschwanden; er sah vielleicht das ganze Unternehmen schon in Blut und Unheil enden.
        Aber Javal hatte solche Bedenken nicht.»Dann schlage ich vor, wir fangen gleich an, Sir, sonst ist der Vogel ausgeflogen«, sagte er handereibend. Falls es ihm nicht pa?t, da? sein Kommodore mitkommt, dachte Bolitho, dann verbirgt er das ausgezeichnet.

«Ja«, antwortete er,»gehen Sie wieder auf Ihre Schiffe, Gentle-men. Mein Flaggkapitan signalisiert Ihnen die endgultigen Befehle. «Er senkte die Stimme. Eins mochte ich klarstellen: das Geschwader wirkt zusammen. Ich wunsche nicht, da? sich jemand auf tollkuhne Einzelaktionen einla?t; aber ich wunsche auch kein Zogern, wenn die Gelegenheit gunstig ist.»
        Wahrend sie hinauseilten, wies er Herrick eindringlich an:»Geben Sie es durch, Thomas: zwanzig Freiwillige und ein Boot fur mein Ubersetzen auf die Buzzard, so schnell wie moglich. Lassen Sie Allday das machen, wenn Sie wollen. «Er sah auf: Herrick zog immer noch ein verzweifeltes Gesicht.»Nun?»

«Mussen Sie unbedingt mit, Sir? Lassen Sie doch mich die Sache ubernehmen.»
        Bolitho sah ihn forschend an. Herrick hatte wohl mehr Angst davor, das Geschwader befehligen zu mussen, als vor der Aktion, ja sogar vor der Todesgefahr.

«Nein. Javal ist ein harter Mann. Und zwei Kommandanten auf einem Schiff - das tut nie gut. Unbesorgt, alter Freund, ich habe nicht die Absicht, mich umbringen zu lassen oder in einem spanischen Gefangnis zu verfaulen. Aber wir mussen einen Anfang machen. Mussen unseren Leuten zeigen, da? wir nicht nur den taglichen Dienstbetrieb, sondern auch einen Sondereinsatz kommandieren konnen.»
        Impulsiv fa?te er Herricks Arm; der war starr wie ein Teakholzbrett.»Dies gilt fur uns beide, das wissen Sie doch auch.»
        Herrick seufzte tief auf.»Ich sage mir immer wieder, da? ich mich uber Ihre Einfalle nicht wundern darf. Seit ich mich erinnern kann. «Er schuttelte den Kopf. Ich gebe Allday sofort Bescheid. «Er wandte sich rasch um, und seine plotzliche Entschlossenheit wirkte beinahe ruhrend.»Aber ich werde sehr froh sein, wenn Sie wieder an Bord sind.»
        Lachelnd ging Bolitho in seine Schlafkajute und suchte dort in der gro?en Seekiste nach seinen Pistolen. Als er vor dem offenen Deckel kniete, holte das Schiff stark uber; das scharfe Klappern von Blocken und Taljen verriet, da? der Wind auffrischte. Er schaute auf und sah sich in dem kleinen Wandspiegel - rebellisch hing die schwarze Haarstrahne ubers rechte Auge, wo die alte Narbe war. Und der dumpfe Schmerz in der rechten Schulter wurde auf einmal stechend. Es war tatsachlich, als solle er daran erinnert werden, was im Bruchteil einer Sekunde passieren konnte; an den kleinen Schritt zwischen dem Leben und dem Nichts.
        Klirrend trat Allday in die Kajute nebenan; der Griff des Entersabels glitzerte unter seinem blauen Jackett. Er nahm bereits Boli-thos Degen vom Gestell.»Division angetreten, Sir«, grinste er.»Lauter alte Kampfer. Hab sie selbst ausgesucht.»
        Bolitho lie? sich den Degen umschnallen.»Keine Freiwilligen?«fragte er milde erstaunt.
        Allday grinste nur um so breiter.»Aber naturlich, Sir. Hab ihnen nur vorher kurz meinen Standpunkt klargemacht, sozusagen.»
        Bolitho schuttelte den Kopf und ging hinaus, ohne sich umzusehen.
        Ein Kutter dumpelte bereits unter den Gro?rusten, auf seinen Banken drangten sich die ausgesuchten Matrosen mit ihren Waffen zwischen die Rudergasten.
        Bolitho sah sich auf dem Achterdeck um, wo die Manner an den Brassen und oben auf den Rahen Vorbereitungen trafen, um sofort mehr Segel zu setzen, sobald der Kutter zuruckkehrte.
        Herrick stand bei der Ehrenwache an der Fallreepspforte. Er sah wieder ganz gelassen aus.
        Bolitho wollte ihm noch etwas Trostliches sagen, etwa da? er gut auf die Lysander aufpassen solle, bis er wieder zuruck sei. Aber die Lysander war Herricks Schiff, nicht seins.
        Also sagte er nur leichthin:»Bis bald, Captain Herrick. «Dann kletterte er durch die Pforte in das wartende Boot hinunter. Als er in der Flicht sa? und wieder bei Atem war, hatte der Kutter schon abgelegt, die Riemen hatten ihren Takt gefunden und zogen gleichma?ig durch die kabbelige See.
        Da erst bemerkte Bolitho, da? Pascoe ebenfalls im Boot sa?. Seine dunklen Augen blitzten vor Erregung, und er winkte jemandem an Bord zu.
        Wutend flusterte Allday ihm ins Ohr:»Ich wu?te, da? Sie ihn zurucklassen wollten, Sir. Hat ja keinen Sinn, alle Eier in einen Korb zu tun, sozusagen. «Er wandte sich um, so da? die Rudergasten sein Gesicht nicht sehen konnten.»Aber Mr. Gilchrist hat ihn eingeteilt.»
        Bolitho nickte. Wenn er noch irgendwelche Zweifel uber He r-ricks Ersten Offizier gehabt hatte - jetzt nicht mehr. Dadurch, da? er Pascoe zu dieser Aktion einteilte, hatte er zweierlei erreicht. Erstens konnte er behaupten, da? Bolitho seinen Neffen mitgenommen hatte, ware eine Bevorzugung. Er wurde seinen vollen Anteil am Ruhm ernten, wenn alles klappte. Und wenn nicht? Er sah den Jungen an. So aufgeregt war er selbst oft gewesen mit achtzehn Jahren. Wenn es aber nicht klappte, dann wurde sich Alldays Kommentar als nur allzu treffend erweisen.
        Er starrte uber Pascoes Schulter auf die Fregatte, deren Maststengen im Winde kreisten.

«Bei Gott«, sagte Pascoe munter,»so ein Schiff wie die Buzzard mochte ich auch kommandieren!«Er sah Bolithos Miene und fugte hinzu:»Eines Tages, meine ich.»

«Wir wollen erst mal diese Sache hier erledigen, Mr. Pascoe«, erwiderte Bolitho; aber ich kann Ihre Gefuhle verstehen.»
        Allday betastete seinen Entersabel und blickte von einem zum anderen. Jetzt mu?te er also auf zwei aufpassen. Und wenn einem der beiden etwas zustie?, dann wurde er mit diesem verdammten Leutnant Gilchrist abrechnen, ganz egal, was daraus wurde.
        Der letzte Matrose war kaum an Bord der Buzzard, da schrie Javal auch schon: Aufentern und Segel setzen! Los, Mr. Mears, wir haben noch eine lange Fahrt vor uns, ehe es Nacht wird!»
        Er sah Bolitho an und luftete den Hut.»Herzlich willkommen an Bord, Sir. Ich furchte nur, Sie werden mein Quartier ein bi?chen eng finden.»
        Bolitho erwiderte sein Lacheln und sagte gleichmutig:»Ich habe seinerzeit dreimal solche Schiffe kommandiert, Captain Javal; aber trotzdem vielen Dank fur die Erinnerung.»
        Pascoe stie? Allday in die Rippen.»Dem hat's mein Onkel aber gegeben, was? murmelte er.
        Allday grinste, auf einmal wieder erleichtert.»Da haben Sie bestimmt recht, Mr. Pascoe!»



        III Allein

        Unter Marssegeln und Kluver lag die Fregatte Buzzard hoch am Wind auf Steuerbordbug; ihre Rahen waren so dichtgeholt, da? es von Deck aussah, als stunden sie mittschiffs.
        Bolitho fa?te die Finknetze und starrte angestrengt ins Dunkel. Das Tageslicht war so plotzlich erloschen, wie immer in diesen Gewassern; jetzt horte er, wie der Master und der Erste Offizier die Stellung jedes einzelnen Segels besprachen.
        Javal konnte die Navigation anscheinend vollig ihnen uberlassen. Sie waren wie er selbst gut ausgebildete, erfahrene und selbstandig denkende Seeleute und ausgezeichnet aufeinander eingespielt.
        An Javal war kein Falsch und in seiner Kajute nichts Uberflussiges; fur einen erfolgreichen Fregattenkapitan war sie eher spartanisch eingerichtet. Das Mobiliar bestand in der Hauptsache aus schweren Seekisten, die notigenfalls leicht weggestaut werden konnten.
        Javal trat zu Bolitho und kniff die Augen zusammen, weil das Spruhwasser bei jedem Stampfen des Schiffes bis uber die Netze hochflog, und sagte:»Die Kuste liegt eine Meile Backbord voraus, Sir. Wenn ich die Landzunge schaffen soll, mu? ich mich jetzt bald von Land klarhalten oder noch einen Kreuzschlag machen! Ich wollte ja Wind, aber der hier ist zu frisch fur meinen Geschmack.»
        Er zog eine Steingutkruke aus der Rocktasche.»Mochten Sie einen Schluck, Sir? Genever, der warmt.»
        Glas oder Becher gab es nicht, also setzte Bolitho die Flasche an den Mund. Wie Feuer rann der starke Schnaps uber die Zunge.

«Hab neulich einem Blockadebrecher im Kanal ein paar Kisten davon abgenommen«, bemerkte Javal beilaufig.»Besser als nichts. «Er fuhr herum und brullte:»Pa?t aufs Ruder auf, verdammt noch mal! Sonst segeln wir uns noch fest!«Aber dann sprach er ganz ruhig weiter:»Ich schlage vor, wir machen jetzt bald Ernst,
        Sir.»
        Bolitho lachelte. Dieser plotzliche Temperamentausbruch zeigte, da? Javal nervoser war, als er glauben machen wollte. Sich einer wenig bekannten Kuste im Dunkeln zu nahern, war niemals leicht und nur noch schwerer, wenn man einen Vorgesetzten im Nacken hatte.

«Einverstanden«, entgegnete er.

«Mein Erster Offizier leitet die Aktion. Kutter und Barkasse mu?ten ge nugen; aber fur den Fall, da? spanische Truppen landeinwarts liegen und alarmiert werden, schlage ich vor, wir setzen ein kleines Kommando unterhalb des Kaps an Land. «Er zogerte.»Unter Ihrem Leutnant vielleicht?»

«Gewi?. «Bolitho blickte uber die Reihen der duster anrollenden Seen.»Mr. Pascoe ist noch jung, aber er hat schon allerhand Erfahrung.»
        Javal musterte ihn neugierig.»Ich kummere mich darum. «Er eilte hinweg und gab den bereits versammelten Mannern ein paar kurze Befehle. Blocke quietschen, Boote wurden ausgeschwenkt, alles klappte scheinbar so muhelos wie bei Tageslicht. Bolitho versuchte, nicht auf das Waffenklirren und den Namensaufruf zu horen.
        Allday tauchte aus dem Dunkel neben ihm auf.»Das wird ein schwerer Pull bei dem Wind, Sir«, sagte er. Anscheinend spurte er Bolithos Besorgnis.»Kann ich helfen, Sir?»
        Javal eilte vorbei.»Beidrehen!«befahl er und gleich darauf:»Mr. Mears! Klar zum Pieren der Boote!»

«Begleiten Sie Mr. Pascoe, Allday«, sagte Bolitho rasch.»Er befehligt die Jolle.»
        Allday hatte verstanden, doch er entgegnete zogernd:»Aber, Sir, mein Platz ist doch bei. «Dann grinste er.»Nein, Sie haben ganz recht, Sir.»
        Wei?er Gischt brach sich am Bug. Bolitho horte Pascoes Stimme:»Melde mich ab, Sir.

        Bolitho trat neben ihn.»Pa? auf dich auf, Adam. «Er versuchte, leichthin zu sprechen.»Deine Tante wurde es mir nie verzeihen, wenn dir was passiert.»
        Pascoe sah sich nach den vorbeieilenden Matrosen um. Bleich schimmerten die karierten Hemden.»Ich mu? jetzt gehen, Sir.»
        Bolitho trat beiseite.»Viel Gluck!»
        Die Fregatte drehte langsam bei, ihre Segel schlugen unschlussig; sofort wurden die Boote gefiert, legten ab und pullten zur Kuste.
        Javal rieb sich die Hande.»Gehen Sie wieder an den Wind und steuern Sie Kurs Sudost zu Ost, Mr. Ellis. Und schicken Sie zwei gute Lotgasten in die Rusten, damit wir uns nicht den Kiel herausrei?en!»
        Er trat zu Bolitho auf die andere Seite und beobachtete wortlos, bis das Schiff wieder auf Segel und Ruder reagierte. Dann sagte er munter:»Das ist jedesmal das Schlimmste: die Warterei.»
        Bolitho nickte und horchte angestrengt auf das Knarren der Riemen. Aber er horte nichts mehr; es war schon von anderen Gerauschen verschluckt.»Aye«, sagte er.»Ich ware lieber mitgefahren.»

«Da sei Gott vor«, lachte Javal.»Ich mochte noch manches Jahr in der Flotte dienen und sogar Karriere machen. Aber was hatte ich wohl fur Chancen, wenn ich zulie?e, da? mein Kommodore drauf-geht?«Der Gedanke schien ihn machtig zu amusieren.

«Da konnten Sie recht haben«, entgegnete Bolitho kurz.
        Javal rausperte sich und wurde sachlicher.»Es wird gut vier Stunden dauern, bis wir mehr wissen, Sir. Mein Erster ist ein erfahrener Mann, seit achtzehn Monaten bei mir, und hat schon mehrere Fahrzeuge ohne gro?e Verluste gekapert. «Bolitho nickte.»Ich werde Ihre Kajute noch einmal in Anspruch nehmen, wenn ich darf. Ein kurzer Schlaf sollte mich fur morgen frischer machen.»
        Jetzt dachte Javal wahrscheinlich: So ein Schwindler! Bolitho konnte es beinahe horen. Schlafen? Auf dem Wasser zu wandeln, ware ihm leichter gefallen.
        Javal sah ihm nach, wie er sich zum Niedergang tastete, und zuckte die Schultern. Der Kommodore machte sich wohl Sorgen uber die erste Aktion unter seinem Oberbefehl, dachte er. Es kann ihm doch nichts ausmachen, wenn zwei, drei Mann dabei fallen? Er griff nach seiner Steingutkruke und schuttelte sie am Ohr. Mit dem Genever wurde die Zeit ein bi?chen schneller vergehen.
        Bolitho tastete sich zu dem schwach erhellten Kompa? hin und blickte auf die stark schragliegende Windrose. Der Bug der Buz-zard zeigte genau nach Nordost. Hilfsbereit sagte der Master:»Entschuldigung, Sir, aber der Wind hat ein oder zwei Strich gedreht. Und geregnet hat's auch.»
        Bolitho nickte und schritt weiter, stemmte sich gegen den Druck des feuchten Windes, der schrag von achtern kam. Die Morgendammerung war nahe, schon konnte er die Neunpfunder auf dem Achterdeck sehen - wie schwarze Balken ragten ihre Rohre unter der Luv-Laufbrucke hervor.
        Javal stand an der Achterdecksreling, ohne Hut, sein Haar peitschte im Wind.»Bis jetzt nichts Neues«, sagte er und sah Bo-litho kurz und prufend an.»Gut geschlafen, Sir?»
        Bolitho stutzte sich auf die Reling und spurte, wie das Schiff unter ihm zitterte gleich einem Tier, das alle seine Krafte anspannte. Er hatte keine Sekunde langer in der Kajute bleiben konnen. Die Zeit war ihm zu einer Ewigkeit geworden und Javals Quartier zu einem feuchten, schwankenden Gefangnis.»Danke, ein bi?chen wenigstens«, sagte er.

«An Deck! Land in Luv voraus!»

«Die Lotgasten wieder in die Rusten, Mr. Ellis!«befahl Javal erregt.»Aber schnell! Etwas ruhiger erlauterte er dann:»Das wird der eine Landarm der Bucht sein. Wir haben wahrend der Nacht in einem Bogen vor ihm gekreuzt. Weil dieser verdammte Wind immer mehr drehte, dachte ich schon, wir wurden auflaufen.»

«Aha«, sagte Bolitho. Er wandte den Kopf ab, damit Javal nicht sah, wie ihm zumute war. Wie war die Aktion gelaufen? Warum war immer noch kein Signal, kein Zeichen des Erfolgs zu sehen?

«Mears hatte wenigstens einen Schu? oder eine Rakete abfeuern konnen«, bemerkte Javal. Selbst er wurde anscheinend unruhig.

«Verdammt, in einer Stunde sind wir von Land aus zu sehen.»
        Bolitho horte nicht hin. Er versuchte sich vorzustellen, was jenseits dieses undeutlichen Schattens lag, den der Ausguck als Land angesprochen hatte. Wenn Leutnant Mears und seine Manner den Schoner nicht gekapert hatten oder aus irgendeinem Grunde gar nicht an ihn herangekommen waren, dann mu?ten sie wohl oder ubel zur Buzzard zuruckrudern. Bei dem steifen Wind und nach einer ganzen Nacht an den Riemen wurden sie Hilfe brauchen, und zwar schnell.
        Vom Vorschiff kam der Ruf:»Sieben Faden!«[Ma? fur die Wassertiefe: l Faden = 1,829 m]

«Jesus«, sagte Javal leise.
        Besorgt rief der Master heruber:»Es wird hier sehr schnell flach,
        Sir!»

«Danke, das wei? ich auch«, antwortete Javal bose.»Achten Sie lieber aufs Ruder!»

«Funf Faden!«sang der Lotgast aus. Es klang wie ein Grabgesang.

«Ich mu? nach Steuerbord ausweichen, Sir«, murmelte Javal so widerwillig, als zoge er sich die Worte aus der Kehle.
        Bolitho blickte ihn an und wurde dabei gewahr, da? Menschen und Gegenstande an Deck im ersten bleichen Morgenlicht Form und Wirklichkeit gewannen.»Tun Sie, was Sie mussen, Captain Javal«, sagte er knapp und wandte sich um. Er war genau so deprimiert wie der Kommandant.

«Vier Faden!»
        Bolitho verkrampfte die Hande auf dem Rucken und schritt nach achtern. Die Fregatte segelte in nur funfundzwanzig Fu? tiefem Wasser. Jede Minute mu?te sie Grundberuhrung haben. Uber seine Schulter sah er das Land frech und bose nach dem Bugspriet greifen.

«An die Leebrassen!«Fu?e trappelten uber das Deck.

«Steuerbordruder!«Unter dem Quietschen der Taljen kamen die Rahen langsam und knarrend herum; die Buzzard wandte sich wieder der offenen See zu.

«Steuern Sie genau Ost«, sagte Javal rauh.»Und bleiben Sie dabei so dicht unter Land, wie Sie es riskieren konnen.»

«Zehn Faden!»
        Bolitho beobachtete das Land, das jetzt an Backbord vorbeiglitt, und die undeutliche wei?e Brandung, wo der Wind die See in Hohlen und kleine Buchten druckte.

«An Deck! Fremdes Segel in Luv voraus! Rundet die Landzunge!»
        Javal atmete heftig ein.»Mr. Ellis, Backbordbatterie ausrennen!«Doch gleich darauf rief er scharf:»Befehl belegt!«Sein Gesicht leuchtete hell auf in einem roten Schein, der druben an Land aufstieg.

«Klar zum Segelbergen!«Und zu Bolitho:»Der Schoner, bei Gott! Mears hat ihn!»
        Auch ohne Glas konnte Bolitho das niedrige Fahrzeug ausmachen, das unter seinen breit ausladenden Segeln von Land freikam. Hinterm Heck unterschied er zwei dunkle Schemen: die Boote der Buzzard, im Schlepp. Am Vormast dippte eine Laterne zum Zeichen, da? die Eroberung gegluckt war. Vielleicht furchtete Mears, da? er wegen der Verspatung und weil er vorher keine Gelegenheit zum Signalisieren gehabt hatte, mit einer Breitseite statt mit Hurrarufen begru?t werden konnte.

«Wir gehen auf den anderen Bug«, rief Javal,»mit Kurs Sud zu West, bis wir mehr Raum gewonnen haben. «Er sah zu Bolitho heruber, der bei den Netzen stand.»Sie werden moglichst rasch zum Geschwader zuruckwollen, Sir?»

«Ja.»
        Bolitho ging den Matrosen aus dem Weg, die zum Schrillen der Bootsmannspfeifen auf Stationen rannten. Es war voruber, und, soweit er sagen konnte, ohne da? ein Schu? gefallen war. Er merkte, da? er innerlich zitterte, als ware er dabeigewesen.
        Als die Buzzard auf ihrem neuen Kurs stark uberholte, sah Bo-litho den Schoner in ihrem Kielwasser folgen; seine Leereling beruhrte beinahe die Wasserlinie. Er mu?te tatsachlich schwer beladen sein.

«Drehen Sie bei, sobald Sie konnen, Captain«, befahl er kurz.»Signalisieren Sie Ihrem Leutnant, er soll auf Rufweite herankommen.»
        Javal sah ihn zweifelnd an.»Aye, Sir. Wenn Sie meinen…»
        Doch nach einem raschen Blick in Bolithos Gesicht sagte er nichts weiter.
        Langsam trat Bolitho wieder an die Wanten und achtete nicht auf die Vorbereitungen zum Beidrehen. Er horte nicht einmal das Quietschen der Blocke, als die Signalflaggen zur Rah stiegen und im Wind auswehten. Er sah nur die Boote im schaumenden Kielwasser des Schoners: Die Jolle war nicht dabei.
        Leutnant Mears hatte keine Lust, seine Meldung vom Deck des gekaperten Schoners heruberzubrullen. Er lie? sich die kurze Strek-ke bis zu der schwer im starken Seegang rollenden Buzzard im Kutter rudern, der jetzt, an den Rusten der Fregatte festgemacht, wie ein Delphin auf und ab sprang.
        In der Achterkajute klangen die Gerausche der See gedampft, wie das Drohnen der Brandung in einer tiefen Grotte.
        Die Hande auf dem Rucken zusammengepre?t, den Kopf unter den niedrigen Decksbalken gesenkt, horte Bolitho zu, wie Mears, noch etwas au?er Atem, seine Geschichte erzahlte.

«Wir ruderten wie geplant zum Landarm der Bucht, Sir. Dann trennten wir uns. Ich dirigierte mein Boot zur Seeseite des Schoners, und Mr. Booth fuhr mit seinem unter dessen Bugspriet durch zur anderen Seite. Zweifellos hat der Kapitan schlechteres Wetter erwartet und ist deshalb zur Nacht vor Anker gegangen. Unsere Befurchtung, da? er die Buzzard gesichtet hatte, war unbegrundet.

«Und die Jolle?«fragte Bolitho.
        Mears rieb sich die Augen.»Ihr Leutnant hatte Befehl, zur Westseite des Landvorsprungs pullen zu lassen und dort an Land zu gehen. Falls die Dons von Land Hilfe herbeigerufen hatten, sollte Mr. Pascoe sie aufhalten.»

«Sie haben verdammt lange gebraucht, Toby«, fuhr Javal dazwischen.
        Lassig hob der Leutnant die Schultern.»Die erste Phase klappte gut. Der Schoner hatte blo? eine Ankerwache, und ehe die auch nur rufen konnte, waren wir schon an Bord. Keine Enternetze, kein Drehgeschutz - die sind vor Schreck fast krepiert.
«Er hielt inne; jetzt erst wurde er die Spannung im Raum gewahr.»Wir warteten, da? die Jolle um die Landspitze biegen und wieder zu uns sto?en wurde. Aber sie kam nicht, und ich schickte Mr. Booth mit dem
        Kutter auf Suche. «Hilf los breitete er die Arme aus.»Da es bald hell werden mu?te und jede Minute das Risiko erhohte, wollte ich Ihnen nicht eher signalisieren, als bis ich wu?te, was mit dem Landungskommando geschehen war.»
        Javal nickte grimmig.»Ganz richtig, Mr. Mears. Mancher hatte die paar Leute gleich im Stich gelassen, um die Hauptabteilung in Sicherheit zu bringen.»

«Und was hat Ihr Kutterbesatzung vorgefunden, Mr. Mears?«fragte Bolitho.

«Es hatte geregnet, Sir. «Mears blickte aus den mit Salzstreifen und Spruhwasser bedeckten Heckfenstern.»Wie jetzt. Booth fand die auf Strand gezogene Jolle; ihr Rumpf war eingeschlagen, und einige tote Matrosen lagen daneben. Einer lag etwas weiter entfernt in den Dunen. Alle waren mit Sabeln niedergehauen worden, Sir. «Er suchte unter seinem Uniformrock.»Das hier hat Mr. Booth gefunden. Ich verstehe es nicht. Das ist doch bestimmt ein Admi-ralsdegen.»
        Er brach ab, denn Bolitho ri? ihm den glitzernden Griff aus den Fingern und hielt ihn beim Fenster ins Licht. Die Klinge war auf halber Lange zerbrochen wie ein durrer Ast. Wieder sah er die Szene vor sich, als ware es gestern geschehen: Vizeadmiral Sir Lucius Broughton, der auf dem zerschossenen Achterdeck seines Flaggschiffes stand, uberreichte dem erstaunten Adam Pascoe seinen kunstvoll gearbeiteten Degen und knurrte dazu:»So ein verdammter Midshipman, der mit dem Dolch gegen ein Bajonett angeht, hat ein Recht darauf. Und au?erdem - ein Leutnant mu? schlie?lich anstandig aussehen - eh?«[siehe Kent: Der Stolz der Flotte]

«Er hat auch mal einem Admiral gehort«, sagte Bolitho, und seine Stimme klang ihm selbst fremd.»Es ist Mr. Pascoes Degen. «Er betastete die dunkle Stelle am Griff: Blut und Sand.»Freiwillig hat er sich nicht davon getrennt.»
        Alle starrten ihn an. Schlie?lich sagte Mears:»Mr. Booth hat gesucht, solange er konnte, Sir. Es gab Hufspuren am Strand, die landeinwarts fuhrten. Mr. Booths kleine Abteilung konnte jeden Moment angegriffen werden, und ich hatte ihm ausdrucklich befohlen, sofort zuruckzukommen, wenn.»

«Er hat den Leutnant nirgends gefunden?»
        Mears schuttelte den Kopf.»Nirgends, Sir. Und Ihren Boots-steurer auch nicht.»

«Naturlich. «Bolitho starrte aus dem salzverkrusteten Fenster.»Allday hatte ihn auch nicht allein gelassen«, murmelte er.

«Sir?»
        Er wandte sich zu ihnen um.»Und der Schoner?»
        Mears nahm sich zusammen.»Sie hatten recht, Sir. Bis zum Schandeck voll Pulver und Munition. Und - «, er blickte bedeutsam in Javals grimmiges Gesicht - ,»dazu zwei der besten Kanonen, die mir je vor Augen gekommen sind. Belagerungsgeschutze, wenn ich nur ein bi?chen was davon verstehe, und frisch eingeschossen.»

«Aha. «Bolitho versuchte, sich darauf zu konzentrieren, was dieser Schoner zu bedeuten hatte. Aber es gelang ihm nicht. Adam war weg. Und Allday auch. Sie lagen vermutlich irgendwo im Sterben. Oder hofften auf Rettung, die nie kommen wurde.
        Mears fuhr fort:»Leider wurde der Kapitan des Schoners getotet, als er uber Bord springen wollte. Aber ich fand Karten und Papiere in seiner Kajute. Er hatte Marschorder nach Toulon.»

«Bei Gott, Sir«, rief Javal aus,»also auch darin hatten Sie recht. Die Dons arbeiten wie die Wilden, um ihren machtigen Alliierten in Toulon zu helfen!«Er holte eine Kruke aus einer seiner Seekisten.»Gut gemacht, Toby. Trinken Sie einen Schluck; wir uberlegen inzwischen, wie wir weiter vorgehen. «Er sah Bolitho fragend an.»Der Wind frischt auf, Sir. Wir segeln am besten wieder los.»

«Ja. «Unregelma?ig hob und senkte sich das Deck unter ihren Fu?en.»Teilen Sie eine Prisenmannschaft ein, die den Schoner direkt nach Gibraltar segelt. Rufen Sie Ihren Schreiber und diktieren Sie ihm eine Depesche fur den Admiral dort. Er wird schon wissen, was er mit seiner Ladung anfangen soll.»
        Mears grinste, zufrieden trotz seiner Erschopfung.»Nette kleine Prise, Sir. Ist 'n Penny wert oder zwei.»
        Javal funkelte ihn mi?billigend an und sagte dann rasch zu Bo-litho:»Das mit Ihrem Leutnant tut mir leid, Sir. War er lange bei Ihnen?»

«Er ist mein Neffe.»
        Javal und Mears wechselten besturzte Blicke.»Bei Gott, Sir«, sagte Javal schlie?lich,»das hatte ich wissen sollen! Dann hatte ich einen meiner Offiziere geschickt!»
        Bolitho sah ihn ernst an.»Sie haben nur getan, was richtig war. Die Buzzard ist knapp an Offizieren. Und Ehre und Gefahr mussen stets moglichst gleichma?ig verteilt werden.»

«Und wenn ich eins von den Booten mit einem Behelfssegel nahme, Sir?«schlug Mears vor.

«Nein. «Bolitho sah an ihm vorbei.»Am Tage haben Sie uberhaupt keine Chance. «Er wandte sich ab.»Gehen Sie wieder an Ihren Dienst, Captain. Wir konnen nichts weiter tun.»
        Die Kajutentur fiel ins Schlo?, und Bolitho lie? sich mude auf die Sitzbank unter den Fenstern fallen. Er drehte den zerbrochenen Degen in den Handen. Wie der Junge sich gefreut hatte, als er ihn bekam; und wie ruhrend stolz er gewesen war, als sie damals wieder zusammentrafen!
        Er sah auf, als erwarte er, Allday neben sich zu entdecken, der immer spurte, wenn er gebraucht wurde. Jetzt hatte er nicht einmal mehr Allday. Niemand war bei ihm.
        Irgendwo jenseits der Schottwand horte er einen Matrosen ein Lied singen, das er nicht kannte. Der traumte vielleicht von seinem winzigen Anteil am Prisengeld oder von einem Madchen zu Hause in England.
        Getrampel oben an Deck, und jemand brullte:»Bringt die Boote langsseit, und dann ran an die Taljen!«Er glaubte auch, jemanden hurra rufen zu horen, als der Schoner segelklar gemacht wurde.
        Javal erschien an der Tur, das Gesicht regenna?.

«Schoner ist segelklar, Sir. Wollen Sie bestimmt keine eigene Depesche an den Admiral schicken?»

«Nein, danke. Sie haben die Aktion befehligt, Ihr Name gehort unter den Bericht.»
        Javal leckte sich die Lippen.»Also vielen Dank, Sir. Ich dachte nur, man konnte was tun wegen. «Er brach ab. Rufe ertonten an Deck, und das Schiff legte sich schwer in den Wind.»Ich will lieber gehen, Sir - sie in Fahrt bringen, ehe uns ein paar Spieren we g-brechen.»
        Er eilte hinaus, und Sekunden spater horte Bolitho seine Stimme durch den Spalt des Skylight:»Setzen Sie den Kluver, Mr. Mears!
        Aber spater werden wir wohl ein oder zwei Reffs einbinden mussen. Wir sto?en wieder zum Geschwader.»

«Jawohl, Sir. Bei Gott, seine Vorwurfe mochte ich mir jetzt nicht machen.»
        Javals Antwort kam schnell und traurig.»Um Vorwurfe geht es nicht, Toby. Die werden von der Verantwortung aus dem Fenster geweht.»
        Allday sa? an einen Fels gelehnt und musterte die Pferde, die am Fu? des Abhangs angepflockt waren. Reglos lag Pascoe quer uber seinem Scho?, die Augen fest geschlossen, wie tot. Sechs Matrosen hockten trubselig herum; gleich Allday warteten sie darauf, wie es weitergehen wurde.
        Er spahte zum Himmel empor - hoffentlich wurde es bald wieder regnen; er hatte wilden Durst. Nach dem Sonnenstand mu?te es ungefahr Mittag sein. Und der rauhe, gewundene Pfad fuhrte immer weiter landeinwarts. Er seufzte. Fuhrte sie weg von der See.
        Alldays Beine waren unter Pascoes Gewicht eingeschlafen, doch jetzt bewegte er sich. Allday legte ihm die Hand auf den Mund.

«Still, Mr. Pascoe.»
        Die dunklen Augen sahen zu ihm auf. Die Schmerzen riefen dem Jungen das Geschehen wieder ins Gedachtnis zuruck.

«Wir machen nur Rast. «Allday nickte vorsichtig zu den Soldaten bei den Pferden hinuber.»Oder die zumindest.»
        Da Pascoe Miene machte aufzustehen, legte Allday ihm die Hand auf die Brust. Trotz der brennenden Sonne uberlief es ihn kalt. Er scheuchte eine Fliege von der wei?lichen Narbe, die quer uber Pascoes Rippen lief und von dem Duell in Gibraltar stammte.

«Was - was ist geschehen?«Pascoe befuhlte seinen Korper, als wolle er Stuck fur Stuck prufen, ob seine Gliedma?en noch vorhanden waren. Wie sie alle trug er weder Koppel noch Schuhe; nur die Hose und die Reste seines Hemdes hatte man ihm gelassen.

«Die Hunde haben uns alles weggenommen«, murmelte Allday.»Ich glaube, sie haben zwei von unseren Jungs unterwegs umgebracht, weil sie verwundet waren und das Tempo nicht durchhalten konnten. «Er dachte an die klaglichen Schreie und die Stille danach - Gott sei Dank war Pascoe bewu?tlos gewesen.

«Aber wie bin dann ich. «Pascoes Augen trubten sich.»Sie haben mich den ganzen Weg getragen?»
        Allday versuchte zu grinsen.»Das sind keine spanischen Soldaten, sondern Eingeborene. Mauren hochstwahrscheinlich. Aber sogar diese Schweine sehen, wer ein Offizier ist.»
        Mi?trauisch beobachtete er die Soldaten. Wohin wurde man sie wohl schaffen? Alles war so plotzlich gekommen: Auf einmal das Stampfen von Pferdehufen im nassen Sand, nur ein paar Meter von dem auf Strand gezogenen Boot: eine Patrouille oder ein Trupp, der zufallig zum Lager zuruckritt - er wu?te es immer noch nicht, und es spielte auch keine Rolle.
        Die Reiter waren schnell an ihnen vorbeigewesen; sie hatten sich laut und sorglos unterhalten und bemerkten nichts Verdachtiges.
        Doch ohne auch nur einen Moment zu zogern, hatte Pascoe gesagt:»Die werden Leutnant Mears und die beiden Boote entdecken, Allday. Wenn sie den Schoner warnen, sind unsere Leute hoffnungslos verloren.»
        Und so hatte Pascoe die Patrouille angegriffen, damit Mears unbemerkt an den Schoner herankam. Mit gezogenem Degen war er den Strand hinaufgerannt.»Drauf, Jungs!«hatte er geschrien.
        Und ebenso schnell war es vorbeigewesen. Das Klirren von Stahl auf Stahl, Fluche, sausende Sabel, von allen Seiten die riesigen Schatten der tanzelnden Pferde.
        Dann lag Pascoe nach einem Sabelhieb bewu?tlos da, und die Matrosen warfen die Waffen weg. Die Reiter hatten sie ausgeplundert und dann geschlagen, systematisch, ohne Erregung oder Freude am Prugeln. Danach hatten sie die benommenen Manner mit Tritten und Sto?en vor den Pferden hergetrieben, landeinwarts, weg von der See.
        Pascoe leckte sich die trockenen Lippen und tippte auf die Beule an seinem Kopf. Ich komme mir vor wie ein Ambo? unterm Hammer.»

«Aye.»
        Allday fuhr zusammen, denn der Anfuhrer rief seinen Mannern etwas zu: ein gutes Dutzend, alle wohlbewaffnet. Die uberlebenden Matrosen dagegen waren ein geschlagener, verangstigter Haufen.
        Der Reiter kam zu der kleinen Schar und sah auf Pascoe hinunter.
        Er war gro?, schlank, dunkelbraun und trug einen rohwei?en Fez, von dem ein Nackentuch herabhing. Er deutete mit der Peitsche auf Pascoe und nickte.

«Teniente, teniente!«Langsam entblo?te er gelbe Zahne und spuckte Pascoe gezielt aufs Bein.
        Allday arbeitete sich unter Pascoes Korper hervor und stand muhsam auf.»Benimm dich, verdammter Hund, wenn du mit einem Offizier des Konigs sprichst!»
        Der Mann wich einen Schritt zuruck, das Lacheln schwand, er rief seinen Leuten etwas zu.
        Drei Mann rissen Allday die Arme nach hinten, warfen ihn aufs Gesicht in den feuchten Sand und traten auf seine Handgelenke, so da? er die ausgebreiteten Arme nicht bewegen konnte. Von unten her starrte er Pascoe beschworend in das bleiche Gesicht und machte ihm Zeichen, ruhig zu bleiben.
        Die Peitsche bi? in seinen Rucken wie gluhendes Eisen. Er bi? die Zahne zusammen und hielt den Atem an, als der Schatten des Arms sich wieder hob und niedersauste. Und noch einmal. Starr blickte er auf zwei Mucken, die vor seinen Augen tanzten, und versuchte, die Stimmen uber sich, das Pfeifen der Peitsche nicht zu horen, den brennenden Schmerz auf dem nackten Rucken nicht zu fuhlen.
        Dann horte es auf, er wurde auf die Seite gerollt, der Maure trat ihm wutend in die Rippen. Halb blind vor Schwei?, Schmerz und Sand stemmte er sich hoch; er sah Pascoes Gesicht und wu?te dabei: die Reiter warteten nur auf den geringsten Anla?, sie allesamt niederzumachen.
        Doch endlich sa?en sie wieder auf und sprachen miteinander, als sei nichts Besonderes geschehen. Pascoe ergriff Alldays Arm.»Lassen Sie mich helfen. «Er ri? sein Hemd herunter und tupfte damit Alldays Rucken ab.»Es ist alles meine Schuld.»

«Glauben Sie doch so was nicht, Mr. Pascoe! Was Sie gemacht haben, war richtig, und das wissen Sie genau. Sie hatten versteckt bleiben konnen, dann waren wir wieder unbeschadigt an Bord zuruckgekommen. «Er bi? die Zahne zusammen, als das blutige Hemd sich von seinem Rucken loste.»Aber viele unserer Kameraden hatten dafur teuer bezahlen mussen.»
        Dann warfen die Reiter ihre Pferde herum, ein Matrose schrie unter einem Peitschenhieb schmerzlich auf. Es ging weiter auf dem steinigen Weg, mit blutenden Fu?en und verdorrten Lippen.
        Allday starrte den Reiter an, der sich an die Spitze gesetzt hatte; jetzt war ihm etwas wohler: er hatte jemanden, den er hassen konnte. Und wenn er die geringste Chance bekam, wurde dieser Hundesohn es zu fuhlen kriegen. Er drehte sich nach Pascoe um - pfui Teufel, wie das weh tat! Der Leutnant schritt an der Spitze einer kleinen Gruppe, die Zahne vor Schmerz zusammengebissen, die dunklen Augen in die Ferne gerichtet. Bei Gott, dachte er, Old Dick[Dick: Kurzform fur Richard] ware stolz auf ihn. Wenn er nur hier sein und ihn sehen konnte.
        Die Luft in der Kajute der Lysander war schwer und druckend. Bolitho glattete die Karte mit den Handen und starrte minutenlang darauf nieder. Er war erst seit einer knappen Stunde wieder an Bord und hatte sich noch nicht umgezogen; sein Kinn war rauh vor Bartstoppeln.
        Durch die dickglasigen Fenster sah er undeutlich den stampfenden Rumpf und die etwas gerefften Segel der Osiris, die gehorsam im Kielwasser der Lysander folgte; der andere Zweidecker segelte dahinter.
        Farquhar und Probyn sa?en Bolitho am Tisch gegenuber, wahrend Herrick dicht neben ihm stand und besorgt auf Messingzirkel und Lineal starrte, mit denen Bolitho auf der Karte hantierte.

«Auf dem Schoner, den Captain Javal vorgestern genommen hat, gab es auch sonst allerhand Interessantes«, sagte Bolitho.»Er war nach Toulon unterwegs; doch an Bord fand sich der Brief an den Kapitan eines anderen, vermutlich gro?eren Schiffes, das etwa hier liegen mu? - «, er tippte mit dem Zirkel auf die Kustenlinie - ,»etwa vierzig Meilen sudwestlich von Cartagena. Das ist eine kleine, als Fischereihafen benutzte Bucht, die jetzt aber wahrscheinlich spanischen Transportschiffen als Ankerplatz dient. «Die Zirkelspitze wanderte die Kuste entlang zum Golfe du Lyon.»Uberall an dieser Kuste mussen solche Schiffe liegen und auf Kriegsmaterial fur Bonapartes Armee warten. Mit Sicherheit bereitet er eine Invasion vor.»

«Was beabsichtigen Sie, Sir?«fragte Herrick.

«Hatte ich fruher gewu?t, was in jenem Brief steht, hatte ich den Schoner hierbehalten und gegen die Spanier eingesetzt. «Bedachtig tippte er mit dem Zirkel auf die Karte.»Aber das macht nichts. Die Dons konnen noch nicht wissen, da? wir ihn genommen haben. Es bleibt also noch Zeit.»

«Falls nicht jemand vom Landungskommando in Gefangenschaft geraten ist, Sir«, warf Probyn unverblumt ein,»und gezwungen worden ist, unsere Plane und unseren Auftrag zu verraten.»

«Reden Sie doch nicht solchen Unsinn!«fuhr Herrick wutend dazwischen.

«Nein, Thomas. «Bolitho blickte ihn unbewegt an.»Das ist eine Moglichkeit. Wir mussen sie in Betracht ziehen.»
        Herrick konnte seinen Blick nicht von dem zerbrochenen Degen losrei?en, der auf Bolithos Schreibtisch lag.»Es fallt mir schwer, Sir«, sagte er.

«Ich wei?. Auch Ihnen steht er ja nahe«, erwiderte Bolitho und sah ihn an. Dann wandte er sich ab und zwang sich, seiner Gefuhle Herr zu werden. Steht. Nicht stand. Prasens, nicht Imperfekt.
        Er sah die anderen Kommandanten an.»Wir mussen ein neues Uberraschungsmoment schaffen. Angreifen, rekognoszieren, moglichst viel uber die Starke des Feindes erfahren, ihn dort treffen, wo er es am wenigsten erwartet.»
        Farquhar nickte langsam.»Wenn wir diesen Transport angreifen, Sir, und uns dann in Gegenrichtung entfernen, wird der Feind nicht aus uns klug und kann sich kein Bild uber unsere Absichten machen.»

«Genau«, erwiderte Bolitho.»Eben das habe ich von den Franzosen gelernt, und zwar teuer gelernt: Ein entschlossenes Geschwader kann eine ganze Flotte lahmlegen.»
        Stille senkte sich uber den Tisch. Schlie?lich sagte Probyn:»Vielleicht schicken uns die Dons ein paar Schiffe von Cartagena entgegen. Der Seeraum hier ist ein bi?chen knapp fur Ihr Vorhaben.»

«Captain Javal gibt uns Ruckendeckung. «Gelassen wartete Bolitho auf andere Einwande. Als keine kamen, fuhr er fort:»Die Dons sind vielleicht auf weitere Husarenstuckchen oder einzelne Kaperungen gefa?t. Drei Linienschiffe aber wird kein Mensch erwarten.»

«Ein normaler Mensch bestimmt nicht«, knurrte Probyn.
        Bolitho nickte grimmig.»Den Angriff fuhrt die Lysander aus. Farquhar, Sie bleiben seewarts und handeln den Erfordernissen entsprechend.»
        Farquhar hob die Augenbrauen ein wenig.»Ich entscheide also selbst, Sir?»
        Wutend fuhr Herrick dazwischen:»Sie fahren trotzdem noch keinen Kommo dorewimpel, verdammt!»
        Farquhar lachelte kuhl.»Daran habe ich auch nicht gedacht.»
        Bolitho zerrte an seiner Halsbinde, als wurge sie ihn.»Ich gebe Ihnen gleich schriftliche Order. Also dann, Gentlemen…»
        Herrick brachte sie hinaus und schlo? die Tur. Bolitho setzte sich und stutzte den Kopf in die Hande. Drau?en horte man die schrillen Pfiffe der Ehrenwache. Eine leichte Brise trieb die Schiffe unmerklich ostwarts uber die See, die wie tiefblaue, leicht zerknitterte Seide vor ihnen lag. Ware sie doch nur so ruhig gewesen, als die Boote der Buzzard den schlafenden Schoner kaperten! Es hatte halb so lange gedauert. Und Menschenleben gerettet.
        Herrick kam wieder.»Ich habe das Geschwader die alte Formation einnehmen lassen, Sir. Und Ihr Steward wartet.»

«Danke, Thomas.»
        Herrick starrte auf den zerbrochenen Degen nieder.»Wenn er noch lebt, kann man vielleicht einen Austausch arrangieren.»
        Bolitho sprang auf.»Glauben Sie nicht, da? auch ich hin und her uberlegt habe, was man tun konnte?«Er wandte sich ab, Tranen in den Augen.»Schicken Sie mir Allday, er soll. «Er brach ab; eine Sekunde lang sahen sie einander an wie Fremde.
        Dann sagte Herrick tonlos:»Ich kummere mich um die Einzelheiten, Sir.»
        Bolitho offnete den Mund, um ihn zuruckzuhalten, fand aber keine Worte. Als er aufblickte, war Herrick gegangen.
        Ozzard, der Kajutsteward, schlupfte herein und glitt quer durch die Kajute zur Schlafkammer. Er sah Bolitho nicht an.
        Der sa? auf der Bank und blickte ihm nach. Er wu?te nicht viel uber Ozzard, nur da? er tuchtig war und dem vorigen Kommodore gut gedient hatte. Es hie?, er ware Anwaltsschreiber gewesen und hatte sich wegen irgendwelcher Unregelma?igkeiten in der Kanzlei freiwillig zur Flotte gemeldet. Er war ein sehr ruhiger Mann und bewegte sich meist lautlos wie ein Wilddieb, auch jetzt, als er seinem Kommodore ein frisches Hemd herauslegte.
        Bolitho sah auf seine Hande, die beim Aufknopfen des Hemdkragens zitterten.
        Er hat Angst vor mir, Angst, da? ich ihn schikanieren werde, blo? um meinen Kummer abzureagieren.
        Diese Erkenntnis machte ihn etwas ruhiger, aber gleichzeitig schamte er sich. Danke, Ozzard«, sagte er freundlich,»ich komme jetzt schon allein zurecht.»

«Bestimmt, Sir?«fragte der Mann unsicher und ging ruckwarts zur Tur, als furchte er immer noch, Bolitho wurde auf ihn losgehen. An der Tur zogerte er.»Ich bin nicht ganz ohne Bildung, Sir«, sagte er.»Wenn Sie wunschen, konnte ich Ihnen vorlesen, dann verginge die Zeit vielleicht schneller. Und Sie brauchten nicht zu reden.»
        Bolitho wandte sich ab, um sein Gesicht zu verbergen.»Nein, jetzt nicht, Ozzard. Aber ich wei? Ihr Angebot zu schatzen. Mehr, als ich sagen kann.»
        Im Spiegel der schragstehenden Fensterflugel sah er, da? der Mann hinausging, lautlos wie immer.



        IV In Gefangenschaft

        Richard Bolitho stand an der Achterdecksreling und sah in den Sonnenuntergang. Gro?e, rostrote Flecken am Himmel lie?en die westliche Kimm scharf hervortreten. Gemachlich glitt die Lysander unter Kluver und Marssegeln dahin; ihr breiter Rumpf neigte sich kaum vor dem Westwind, der ihr den ganzen Tag treu geblieben war.
        Er starrte uber das Deck zum Vorschiff, durch Wanten und Stage und den fettigen, dunnen Rauch aus der Kombuse. Mit Muhe konnte er den winzigen Umri? der Harrebell ausmachen, die weit vor dem Flaggschiff lag. Ihre Maststengen und Rahen standen wie Kreuze im ersterbenden Tageslicht.
        Die anderen Schiffe seines Geschwaders waren am Nachmittag nach Suden verschwunden und wurden jetzt mehr Segel setzen, um uber den Punkt hinauszugelangen, an dem die Lysander angreifen sollte. Er vergegenwartigte sich die Karte und stellte im Geiste noch einmal die bruchstuckhaften Informationen zusammen, auf die er seine Taktik gebaut hatte. Er konnte die Kustenlinie fast vor sich sehen, die Berge hinter der Bucht, die Wassertiefen und die Sandbanke. Im Gegensatz dazu gab es eine ganze Menge Fakten, die er nicht kannte: Zum Beispiel, was der Feind an einem bestimmten Ort tat, beziehungsweise ob es wirklich so wichtig war, da? es sich lohnte, die ihm anvertrauten Schiffe deswegen zu riskieren.
        Das Gro?marssegel fiel ein, killte laut, als der Wind abflaute, und fand dann seine Kraft wieder. Der Steuermannsmaat der Wache machte es sich etwas bequemer und scherzte mit dem Rudergast; und auch an der Leeseite lockerte Leutnant Fitz-Clarence seine gespannte, wachsame Haltung.
        Bolitho versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was er zu tun hatte. Doch es war ruhig im Schiff und eine unmittelbar wichtige Entscheidung nicht zu treffen; so konnte er seiner Angst nicht ausweichen.
        Seit zwei Tagen war er wieder an Bord; vor vier Tagen hatten Ja-vals Leute den Schoner genommen. Der mu?te inzwischen schon in Gibraltar sein, auch bei ungunstigem Wind, es sei denn, er war einem uberlegenen Feind begegnet. Das Schiff wurde von einem Prisenausschu? verkauft, vielleicht auch in den Dienst des Konigs ubernommen werden. Die wenigen uberlebenden Spanier wurden auf eine Gefangenen-Hulk[Hulk = abgetakelter, au?er Dienst gestellter Schiffsrumpf] kommen, wenn sie nicht von der Moglichkeit Gebrauch machten, sich zum Dienst auf einem britischen Kriegsschiff zu verpflichten. Nach funf Jahren Krieg konnte man auf jedem Schiff des Konigs ein Dutzend Sprachen und Dialekte horen.
        Und Adam? Langsam trat Bolitho an die Wanten und starrte auf die See hinaus. Land konnte selbst der Ausguck nicht mehr erken-
        nen, und der Himmel war bereits so dunkel, da? es schwerfiel, die Kimm zu unterscheiden, die vor Sekunden noch wie geschmolzenes Kupfer gegluht hatte.
        Ein weiterer Leutnant war an Deck gekommen und sprach leise mit Fitz-Clarence. Vorn und tiefer unten im geraumigen Schiffsrumpf erklang der schrille Ton einer Bootsmannsmaatenpfeife, und Bolitho horte das Tappen nackter Fu?e - die nachste Wache schickte sich an, das Schiff bis Mitternacht zu ubernehmen.
        Eine Bo wehte Kombusendunst nach achtern, und Bolitho merkte, da? er nichts im Magen hatte. Aber bei dem Gedanken an Haferbrei und die fettigen Klumpen gekochten Fleisches, das ubliche Mittagessen, verging ihm der Appetit.
        Herrick tauchte im Niedergang auf und kam heruber zu ihm.

«Ich habe Mr. Gilchrist angewiesen, alle Offiziere und hoheren Deckoffiziere gleich nach acht Glasen in der Messe zu versammeln, Sir. «Er zogerte und versuchte, im Halbdunkel Bolithos Stimmung zu erkennen.»Sie sind alle sehr gespannt.»

«Danke, Thomas. «Er wandte sich um, denn ein Bootsmannsmaat kam, gefolgt von einigen Mannern seiner Wache, auf der Steuerbordlaufbrucke heran.
        Ein Schiffsjunge prufte die Kompa?lampe, ein anderer das Stundenglas daneben. Zwei Marine-Infanteristen nahmen langsam Haltung an, als ein Korporal nahte, um sie zu inspizieren. Fast schwarz sahen ihre roten Rocke in der tiefen Dammerung aus. Die leuchtendwei?en Brustriemen und Kniehosen verstarkten den Kontrast noch. Es waren die Wachtposten, einer fur Herricks Kajutentur, einer fur seine.
        Brummend gab der Master einem Midshipman Anweisungen, die der Junge, tief uber seine Tafel gebeugt, niederschrieb.
        Der eben an Deck gekommene Leutnant nahm Haltung an und tippte formell an den Dreispitz.»Wachablosung vollzahlig angetreten, Mr. Fitz-Clarence.»
        Fitz-Clarence nickte gravitatisch.»Lassen Sie bitte den Ruderganger ablosen, Mr. Kipling.»
        Undeutliche Befehle, Fu?escharren. Dann sang der Rudergast aus:»Kurs Ost zu Nord liegt an, Sir!»
        Grubb schnaufte gerauschvoll.»Gehort sich auch! Ich komme wieder an Deck, ehe das Glas gedreht wird!«Es klang wie eine Drohung.
        Bolitho erschauerte.»Ich bin soweit, Thomas.»
        Vorn ertonte die Schiffsglocke, ein Toppsgast glitt an einem Backstag hinunter und lachte laut auf, weil er einen Kameraden beinahe umgeworfen hatte.
        Sie gingen zum Niedergang hinuber, und Herrick sagte:»Ich glaube, Mr. Grubb hat recht. Der Wind hat nach Westen gedreht, und wir werden schneller an die Kuste herankommen als gedacht.»
        Sie stiegen die Leiter hinunter und kamen an einem Matrosen vorbei, der einen Sack Schiffszwieback aus der Messe geholt hatte. Er druckte sich an eine Kajutentur, als furchte er, den Kommodore oder den Kommandanten auch nur zu streifen.
        Das Licht einer Laterne fiel auf die Bodenstucke der Geschutze. Es waren einige der achtundvierzig Achtzehnpfunder, die jetzt so friedlich aussahen, da? man sich nur schwer vorstellen konnte, wie sie, in Rauch und Pulvergestank gehullt, im Rucksto? binnenbords fuhren, worauf die brullenden, von der Detonation fast tauben Kanoniere die Rohre fur die nachste Breitseite ausputzten.
        Weiter achtern blinkte das helle Rechteck der Messetur; dahinter drangten sich die Offiziere der Lysander und jeder Mann im Deckoffiziersrang, der nicht gerade Wache ging.
        Herrick blieb stehen und sagte unsicher:»Es scheint mir lange her, seit die Offiziersmesse mein Zuhause war.»
        Bolitho sah ihn prufend an.»Und meins. Mit zwanzig Jahren dachte ich, wenn man erst Kapitan ist, hat man ein leichtes Leben. Heute aber wei? ich: jede Beforderung hat ihre Tucken, ebenso wie ihre Vorteile.»
        Herrick nickte.»Mehr Tucken als Vorteile, finde ich.»
        Bolitho zupfte unauffallig seine Uniform zurecht. Herrick hatte bisher weder Adam noch uberhaupt jemanden von den Vermi?ten erwahnt. Und doch mu?te er sehr oft an ihn gedacht haben. Bolitho erinnerte sich an die Zeit, als Adam auf der Impulsive, Herricks kleinem Zweidecker, Midshipman gewesen war. Das hatte ihn damals merkwurdig beruhrt. Ob er vielleicht eifersuchtig gewesen war? Hatte er gefurchtet, Adams dienstliches Vertrauensverhaltnis zu Herrick konnte zu einer engeren menschlichen Bindung fuhren, als er selbst sie ihm zu bieten hatte? Alles Trennende kam wieder hoch wie ein Damon, der auf der Lauer gelegen hatte.
        Zum Beispiel damals, als er in Gibraltar sein Geschwader ubernommen hatte - das hatte eigentlich der stolzeste Augenblick seiner bisherigen Laufbahn sein mussen. Doch er hatte nur von Adams verbotswidrigem Duell erfahren, von seinem noblen Eintreten fur ihn, womit der Junge dienstlichen Nachteil und obendrein Verwundung riskiert hatte.
        Das mu? in der Familie liegen, dachte er bitter. Viele Bolithos hatten sich als Naturtalente im Degenfechten erwiesen, ohne richtigen Lehrer, ohne viel Ubung. Er konnte sich genau daran erinnern, wie er damals in Westindien an Bord eines Kaperschiffes dem franzosischen Leutnant gegenubergestanden hatte - Auge in Auge, beide noch von der Wildheit erfullt, die man nur in der Schlacht verspurt. Beinahe hatte ihm der Mann leidgetan. Wenn er sich doch nur ergeben hatte! Noch bei der Parade vor dem letzten todlichen Stich wu?te Bolitho: er konnte nicht anders.

«Also dann wollen wir, Thomas«, sagte er schroff.
        Die Offiziersmesse der Lysander war voll. Wahrend Bolitho hinter Herrick herschritt, dachte er an seine Zeit als junger Leutnant auf einem Linienschiff wie diesem. Damals hatte er daruber nachgegrubelt, was so ein Mann, der in der gro?en Achterkajute uber der Messe wohnte, wohl fur ein Leben fuhren, wovon er traumen mochte. Kapitan oder Admiral, das galt ihm damals gleich hoch.
        Die Manner traten beiseite, um ihn vorbeizulassen, und sein Blick schweifte uber ihre erwartungsvollen Gesichter. Manche kannte er fluchtig vom Dienst, andere noch uberhaupt nicht: die jugendlichen Gesichter der Leutnants und die zerfurchten der Deckoffiziere. Der machtige Grubb neben Yeo, dem Bootsmann; und am Heck-Neunpfunder lehnte ein streng aussehender alterer Mann - Stuckmeister Corbyn, wie er sich zu erinnern glaubte.
        Hinter den scharlachroten Rocken der Marine-Infanteristen verschwand der unordentliche Haufe der Midshipmen beinahe; acht oder neun waren anwesend. Edgar Mewse, der Zahlmeister, und der Schiffsarzt Shacklock hielten sich ein wenig abseits.

«Alle anwesend, Sir«, meldete Gilchrist,»au?er Mr. Kipling, dem Vierten Offizier, und Mr. Midshipman Blenkarne - beide auf Wache.«»Danke.»
        Herrick rausperte sich und legte seinen Hut auf den Tisch.

«Nehmen Sie Platz, Gentlemen«, nickte Bolitho.»Ich werde mich so kurz wie moglich fassen.»
        Gelassen sah er zu, wie sie sich auf Stuhlen und Seekisten drangten; die Dienstaltesten bekamen die bequemsten Platze, und fur die Midshipmen blieben als Sitz nur die nackten Planken.

«Der Flaggkapitan wird Ihnen bereits angedeutet haben, was wir beabsichtigen«, begann Bolitho.»Kurz gesagt: wir werden ubermorgen beim ersten Tageslicht die Kuste ansegeln, moglichst viele feindliche Schiffe kapern und die ubrigen vernichten.»
        Er sah, wie zwei Midshipmen einander vergnugt in die Seite stie?en. Den einen kannte er: es war Saxby, und sein zahnluckiges Grinsen war so breit, als hatte man ihm soeben einen Monat Urlaub bei vollem Sold versprochen.

«Wenn der Wind ungunstig ist, halten wir uns von der Kuste frei und variieren den Plan entsprechend. «Er warf einen Blick auf Grubbs wettergegerbtes Gesicht.»Aber der Master hat mir volle Unterstutzung der hoheren Autoritat, als meine es ist, versprochen.»
        Sie lachten, und es gab allerlei Scherze auf Kosten Grubbs. Der verzog keine Miene, doch offensichtlich hatte ihn diese Bemerkung gefreut. Bolitho wu?te auch, da? Herrick ihn standig beobachtete. Nur er begriff, wie schwer es Bolitho fiel, den versammelten Offizieren zu zeigen, da? ihr Kommodore sich von seinem tiefen privaten Kummer nicht ablenken lie?.
        Bolitho hatte schon manch guten Freund auf See verloren. Keine Freundschaft war fester als die, welche in dem harten, das Au?erste fordernden Leben an Bord eines Kriegsschiffes entstand. Das Meer, Krankheiten, Entersabel oder Kanonen hatten manches vertraute Gesicht ausgeloscht. Kein Wunder, da? die Manner uber Pascoes Abwesenheit zur Tagesordnung ubergingen. Nur wenige von ihnen dienten lange genug gemeinsam, um den Schmerz eines solchen Verlustes zu ermessen.
        Er merkte, da? sie still geworden waren; er mu?te eine ganze
        Weile stumm dagestanden haben. Fast heftig fuhr er fort:»Um so viel Verwirrung wie moglich zu stiften, geht die Marine-Infanterie im Schutz der Dunkelheit an Land.»
        Sein Blick suchte Major Leroux, der steif aufgerichtet neben seinem Leutnant sa?. Er hatte mit Leroux bisher nur dienstlich zu tun gehabt, aber der Mann hatte ihm Eindruck gemacht. Die seemannische Besatzung, Matrosen wie Offiziere, hegte eine Geringschatzung gegenuber der Marine - Infanterie, den» Bullen«, die schwer zu uberwinden war. Ihr sturer Drill und die formale Disziplin pa?ten nicht zu der munteren und lassigen Art der Seeleute. Bolitho selbst hatte schon mit vielen Offizieren der Marine - Infanterie zu tun gehabt; und obwohl er bald ihre Loyalitat und Kampftuchtigkeit schatzengelernt hatte, war ihm doch selten einer mit viel Eigeninitiative begegnet. Leutnant Nepean von der Marine-Infanterie war zum Beispiel so ein typischer Fall: untadelig im Au?eren und jederzeit dienstbereit, doch sah man schon an seinen stumpfen Augen, da? er lieber nach Befehl handelte, als selbst Entscheidungen traf.
        Nur Major Jermyn Leroux war anders. Gro?, schlank, breitschultrig, wirkte er trotz seiner militarischen Haltung eher wie ein Intellektueller. Bolitho hatte sich einmal auf dem Achterdeck mit ihm uber Rekrutierung und Ausbildung seiner Soldaten unterhalten; niemals war Leroux dabei angeberisch geworden oder hatte Aussagen gemacht, die er nicht beweisen konnte.

«Ich werde die Einzelheiten morgen mit Ihnen besprechen, Major«, sagte er.
        Leroux nickte. Er hatte stille, beinahe melancholische Augen und sah aus wie jemand, der sich fehl am Platze fuhlt.»Abgesehen von Kranken und anderweitig Dienstunfahigen«, erwiderte er,»kann ich neunzig Mann stellen.»

«Das reicht. «Bolitho wandte sich an Herrick.»Drehbassen in die Boote, dazu Wurfanker fur den Fall, da? wir Befestigungen sturmen mussen. «Er wartete keine Kommentare ab, sondern fuhr gleich fort:»Als Captain Javal den Schoner nahm, mu?te das moglichst leise geschehen. Diesmal will ich, da? unser Kampfverband viel gro?er wirkt, als er tatsachlich ist.»
        Einer der Achtzehnpfunder, mit denen man in der Offiziersmesse leben mu?te, quietschte ein bi?chen auf seiner Lafette, denn die Lysander bohrte soeben ihren plumpen Bug in ein Wellental. Gedampfte Rufe an Deck, das Knarren des Ruderblattes unterm Heck verrieten, da? der Kurs korrigiert wurde.

«Wir haben diesmal«, fuhr Bolitho fort,»au?ergewohnlich viel Handlungsfreiheit. Wir durfen keine Gelegenheit versaumen, Informationen uber die Absichten des Feindes zu sammeln und seine Abschirmung nach Moglichkeit zunichte zu machen. «Er sah Herrick an.»Noch Fragen?»
        Gilchrist stand auf. Sein Gesicht lag zum Teil im Schatten eines Decksbalkens. Sind denn keine Seeleute bei der Landeabteilung,
        Sir?»

«Nur die unbedingt notigen«, erwiderte Bolitho so ruhig er konnte.»Die Bucht, die wir ansegeln mussen, ist vielleicht gut verteidigt. Sicherlich wird so etwas wie eine Kustenbatterie vorhanden sein, wenn auch nur eine leichte. Captain Herrick braucht jeden verfugbaren Mann an Brassen und Geschutzen, das kann ich Ihnen versichern.»
        Die Erinnerung an den bevorstehenden Kampf verursachte eine Unruhe in der Messe wie der Wind im Kornfeld. Aber Gilchrist blieb hartnackig; seine knochige Gestalt schwankte leicht mit dem sich neigenden Deck.»Major Leroux wird also den Oberbefehl haben?«fragte er.

«Nein, Mr. Gilchrist. «Bolitho spurte, wie Herrick neben ihm erstarrte.»Den ubernehme ich.»
        Gilchrist deutete ein Achselzucken an.»Ziemliches Risiko, Sir. «Er blickte die anderen Offiziere an wie jemand, der wei?, da? er das Publikum hinter sich hat. Wir alle bedauern Mr. Pascoes, ah, Abwesenheit. Da? Sie weiteres Unheil in Ihrer Familie riskieren wollen…»
        Bolitho blickte auf seine Hande nieder. Seltsam, da? er sie so ruhig halten konnte, obwohl er gro?e Lust hatte, den Mann zu packen und halbtot zu schlagen.
        Eisig erwiderte er:»Wenn Captain Herrick nichts dagegen hat, nehme ich Sie mit an Land, Mr. Gilchrist. Dann konnen Sie selbst beurteilen, wie hoch das Risiko ist.»
        Gilchrist starrte erst ihn und dann Herrick an.»Danke sehr, Sir«, stammelte er,»es wird mir eine Ehre sein. «Ohne ein weiteres Wort setzte er sich wieder hin.

«Hat sonst jemand etwas zu sagen?«fragte Herrick.
        Leutnant Fitz-Clarence sprang auf und starrte Bolitho entschlossen an. Er gluhte beinahe vor Erregung.»Denen werden wir's zeigen, Sir! Bei Gott, die zerquetschen wir wie Ungeziefer!«Im Geiste sah er Gilchrist wahrscheinlich schon als Leiche und sich selbst als Ersten Offizier.
        Bolitho nickte ihm zu.»Schon gesagt, Mr. Fitz-Clarence. Aber merken Sie sich folgendes. «Er blickte die Versammelten bedeutsam an.»Und das gilt fur Sie alle: Was Sie auch von den Dons denken mogen - glauben Sie nicht, da? die Franzosen ihnen gleichen. Zu Beginn dieses Krieges war Frankreich fast gelahmt aus Mangel an guten Stabsoffizieren. Zu viele waren vom Terror der Revolution sinnlos hingeschlachtet worden, um dem Mob zu schmeicheln. Aber das ist vorbei. Neue Manner mit neuen Ideen beleben jetzt ihre Flotte. Die Handvoll Alterer, die der Guillotine entgangen sind, werden respektiert und sind um so eifriger, als sie den Preis des Mi?erfolgs kennen. Soldaten konnen unter fast allen Bedingungen tapfer kampfen. Aber ohne Kontrolle uber die Seewege, ohne das Lebensblut des Nachschubs sind sie wie Ausgesetzte auf einer einsamen Insel - schon halb tot.»
        Fitz-Clarence stand noch immer, doch seine Miene war nicht mehr ganz so zuversichtlich.»Dennoch, Sir«, sagte er etwas lahm,»ich bin nach wie vor von unserem Sieg uberzeugt.»
        Herrick wartete, bis er sich gesetzt hatte. Seine blauen Augen waren fragend auf Bolitho gerichtet.»Vielleicht mochten Sie noch einen Moment mit in meine Kajute kommen, Sir?»

«Ja, danke. «Bolitho nahm seinen Hut auf.»Meine Kehle ist ganz ausgetrocknet.»
        Er ging zwischen den schweigenden Offizieren hindurch - sobald sich die Tur hinter ihm geschlossen hatte, wurde sich die allgeme ine Erregung in den wildesten Vermutungen Luft machen.
        Drau?en sagte Herrick leise:»Lassen Sie mich mit dem Kommando gehen. Ich habe es bereits vorgeschlagen, jetzt bitte ich Sie instandig darum.»
        Wortlos gingen sie zur Treppe und zum Huttendeck hinauf. Herrick offnete die Tur zu seinem Logis und schickte den Steward hinaus. Wahrend Bolitho sich an den Tisch setzte, offnete er seinen Schrank und nahm eine Flasche Rotwein heraus.
        Bolitho konnte beinahe verstehen, wie sich im Kopf seines Freundes die Argumente aufbauten, wahrend er die Glaser zurechtstellte. Wenn ein anderer Vierundsiebziger den langen Kommodorewimpel gefuhrt hatte, ware fur Herrick die gro?e Achterkajute frei gewesen. Seltsamerweise konnte Bolitho sich ihn darin nur schwer vorstellen.
        Er nahm ein Glas und hielt es gegen die Lampe.»Also, Thomas ich wei?, was Sie sagen wollen. Lassen Sie zuerst mich reden. «Bedachtig nippte er an seinem Rotwein und lauschte den Wellen, die an der Au?enplankung entlangliefen, und auf den an die geschlossenen Fenster klatschenden Gischt.»Sie denken, der Verlust meines Neffen hatte mich so getroffen, da? ich mein Leben wegwerfen, mir sozusagen einen heldenhaften Abgang verschaffen will. Ich leugne nicht, da? ich zutiefst bekummert bin. Ich kann auch nicht behaupten, da? meine Herkunft, meine ganze Lebenshaltung mich von solch eitlem Schritt zuruckhalten wurden. Ebenso wie Sie, Thomas, habe ich oft genug gesehen, da? gute Manner, schone Schiffe und hohe Ideale verheizt wurden, blo? wegen des Geltungsbedurfnisses eines Befehlshabers. Ich habe mir geschworen, da? ich niemals andere unter meinen Privatgefuhlen leiden lassen wurde, und meist habe ich wohl auch danach gehandelt.»
        Er war aufgestanden und schritt langsam die wenigen Meter der Kajutenlange ab. Herrick sa? auf dem Bodenstuck eines Neun-pfunders, und seine Augen folgten im gelblichen Lampenschein Bolithos ruhelosen Schritten.

«Als Cheney, meine Frau, starb. «Er brach ab und merkte erst jetzt, da? er in der Kajute herumlief.»Aber genug davon. Sie haben das ja alles mitgemacht, haben mir die Todesnachricht uberbracht - eine schwere Last fur jeden Mann und erst recht fur einen Freund.»

«Ich wei?«, sagte Herrick mitfuhlend.

«Ich glaube, gerade wegen dieses Verlustes bedeutet mir Adam so viel. Ich habe mir gesagt: sollte ich im Kampf fallen oder aus anderer Ursache sterben, wird Adam in den Genu? des Familienbesitzes kommen, der ihm unter etwas glucklicheren Umstanden sowieso zugestanden hatte. «Hilflos hob er die Schultern.»Man denkt niemals daran, da? das Schicksal den Jungeren nimmt und den Alteren zuruckla?t, Thomas.»
        Herrick drehte das Glas in Handen und suchte nach den richtigen Worten.»Gerade deswegen will ich ja mit der Marine-Infanterie an Land gehen. «Er verstummte, denn er sah bereits die Ablehnung in Bolithos Augen.

«Nein. Ubermorgen landen wir an einer feindlichen Kuste. Nicht auf irgendeinem Felsennest, nicht auf einer Insel oder einem Au?enposten in Indien, sondern in Europa. Halten Sie es fur richtig, da? ich unsere Leute einer solchen Gefahr aussetze, ohne selbst die Fuhrung zu ubernehmen?«Er legte Herrick die Hand auf die Schulter.»Seien Sie ehrlich, Thomas. Haben Sie nicht fruher manchmal Ihren Vorgesetzten heimlich verflucht, weil Sie den Kopf hinhalten mu?ten, wahrend er in Sicherheit blieb?«Er schuttelte ihn sanft. »Ehrlich, hab ich gesagt.»
        Herrick lachelte schwach.»Ja, manchmal schon.«»Manchmal?«Bolitho blickte ihn mit plotzlich durchbrechender Zuneigung an.»Nein, oft.»
        Herrick stellte sein Glas hin.»Und Gilchrist?«»Ich brauche einen erfahrenen Seeoffizier. «Seine Stimme war jetzt hart.»Gilchrist hat Adam in dieses Boot geschickt. Vielleicht weil er trotz seiner Jugend Kampferfahrung hatte. Vielleicht aber auch aus einem anderen, weniger integren Grund.»
        Herrick blickte zu Boden.»Das kann ich nur schwer glauben, Sir. «Dann sah er ihn an, entschlossener als je, seit das Schiff Gibraltar verlassen hatte.»Aber wenn ich herausbekomme, da? das stimmt, dann wird Gilchrist es zu fuhlen kriegen.
«Herricks Augen waren wie die eines Fremden.»Und er wird mir dafur bezahlen.»
        Bolitho lachelte ernst.»Langsam, Thomas. Vielleicht war ich voreilig. «Er ging zur Tur und horte, wie drau?en der Posten stehende Soldat die Hacken zusammennahm.»Wir wollen uns jetzt lieber auf die allernachste Zeit konzentrieren. Sonst werden wir alle dafur bezahlen mussen.»
        Allday strich sich das Haar aus den Augen und krachzte:»Sieht aus, als waren wir da. «Seine Lippen waren so trocken vor Durst, da? er die Worte kaum herausbrachte; die Sonne brannte ihm so gnadenlos auf Kopf und Schultern wie schon zwei Tage vorher.
        Pascoe nickte und taumelte gegen ihn. Hinter ihnen schwankten funf keuchende Matrosen wie Betrunkene, starrten verstandnislos auf den Kamm der niedrigen Hugel, den harten, glitzernden Horizont dahinter: Da war wieder die See.
        Der Gewaltmarsch war ein Alptraum gewesen, und wahrend die Reiter ostentativ nach Lust und Laune tranken, hatten sie dafur gesorgt, da? die Gefangenen so gut wie nichts bekamen. Als zwei alte Bauersfrauen am Stra?enrand ihnen Wasser geben wollten, waren die Reiter drohend auf sie zugaloppiert, hatten sie verjagt und gelacht, als die eine wie ein Bundel Lumpen in den Staub fiel.
        Einen hatten sie unterwegs verloren, einen Matrosen namens Stokes. Als die Reiter zur Nacht das Lager aufschlugen, hatte er den Blick nicht von dem dicken Fellsack voll herbem Rotwein rei?en konnen, der unter den Soldaten herumging. Der fast verdurstete Mann mit den blutigen, schmerzenden Fu?en war ein Bild des Jammers.
        Nach einer gemurmelten Unterhaltung hatte ihn einer der Soldaten herangewinkt und ihn zum Erstaunen und Neid der anderen Gefangenen den Weinsack angeboten und ihn grinsend durch Gesten aufgefordert, so viel zu trinken wie er wolle.
        Als sie endlich gemerkt hatten, was geschah, war es schon zu spat. Stokes trank und trank, Gesicht und Brust trieften von verschuttetem Wein, aber die Soldaten forderten ihn auf, noch mehr zu trinken; schlie?lich hielten sie ihn aufrecht und gossen ihm Wein in den offenen Mund.
        Halbverhungert, ausgedorrt und in Angst vor dem Ungewissen Schicksal, verlor Stokes vollig den Verstand. Er taumelte, brullte, tanzte, erbrach sich und fiel standig hin - ein jammervoller Anblick. Doch sobald er keuchend am Boden lag, rissen sie ihn hoch und zwangen ihm noch mehr Wein auf.
        Morgens, als die Gefangenen losgebunden und auf dem rauhen Weg zusammengetrieben wurden, hatte Stokes immer noch dagelegen, wie er zuletzt hingefallen war, in einem gro?en Flecken ausgetrockneten Weines wie in einer Blutlache. Und sein Gesicht war eine Maske von Fliegen.
        Als Pascoe zu ihm treten wollte, stie?en sie ihn weg. Keiner der Soldaten kummerte sich darum, ob Stokes noch atmete. Als waren sie ihres Spielzeugs mude geworden und wollten nur noch weiter.
        Allday beschattete die Augen und musterte die blaue See jenseits der Hugel. Was fur eine ode Gegend: Berge im Landesinneren, und hier an der Kuste zerkluftetes Gelande mit Felsbrocken und Schotterrinnen. Kein Wunder, da? seine Fu?e so zerfetzt waren.
        Ein Peitschenknall, und wieder schlurften sie weiter. Als sie den letzten Hang hinangekeucht waren, stie? Allday atemlos hervor:»Schiffe, bei Gott!»
        Pascoe nickte.»Ja - drei Stuck!«Er packte Allday beim Arm.»Sehen Sie doch - all diese Menschen!»
        Der Pfad, der zum Strand hinabfuhrte und sich dort mit einem anderen, besser gebauten Weg vereinte, wimmelte von Menschen. Von fern sah es aus, als liefen sie so ziellos herum wie Ameisen, doch beim Naherkommen wurde deutlich, da? es sich um ein Arbeitskommando handelte. Hier und da waren bewaffnete Soldaten und Aufseher in Zivil zu unterscheiden, die wie Felsen in der wimmelnden Menschenflut standen.

«Gefangene«, sagte Pascoe.

«Ich glaube, eher Sklaven.»
        Die Wachen hatten Peitschen, und die zerlumpten Arbeiter wichen ihnen angstvoll aus.
        Allday sah sich die Schiffe genauer an. Zwei Briggs und ein gro?eres Fahrzeug, wohl ein Transporter. Alle drei ankerten dicht unter Land; zwischen ihnen und an dem neuerbauten Pier fuhren standig Leichter und Ruderboote hin und her. Zelte standen in sauberen Reihen am Fu? der Hugel. Auf der anderen Seite der Bucht, einem niedrigen, mit Gras und Heidekraut bewachsenen Vorland, war anscheinend eine Batterie, uber der die spanische Flagge lebhaft flatterte.

«Die Schiffe mussen schwer geladen haben«, murmelte Pascoe.
        Sie verstummten, als der Anfuhrer der Reiter herangetrabt kam. Die Peitsche hing an seinem Bein herab, und die Schnur schleifte am Boden. Er deutete auf die Matrosen und brullte einen Befehl.
        Zwei Reiter sa?en ab und wiesen mit gezogenen Sabeln auf die erste Zeltreihe. Mit einem Peitschenschnippen wurden Pascoe und Allday von den Matrosen getrennt und zu einer anderen, kurzeren Reihe von Zelten gewiesen.
        Vor einem dieser Zelte sah Allday einen Offizier stehen, der ihnen entgegensah, die Augen mit dem Unterarm beschattend. Der Reiter brachte sie zu ihm. Gott sei Dank, dachte Allday. Der Offizier mochte zwar Spanier sein, war aber immer noch besser als diese Halbwilden.
        Der Reiter sa? ab und machte dem Offizier Meldung, der nach kurzem Zogern auf sie zukam. Er war sehr schlank und trug einen wei?en Uniformrock zu roter Kniehose. Als er naher kam, sah Allday, da? die elegante Uniform und die blanken Reitstiefel schon ziemlich abgewetzt waren; auch der Mann selbst sah aus, als habe er an diesem elenden Ort geraume Zeit verbracht.
        Ganz langsam ging er um die beiden herum. Sein gebrauntes Gesicht war sehr nachdenklich, doch ohne jede Gemutsbewegung.
        Als er wieder vor ihnen stand, sagte er in sorgfaltigem Englisch:»Ich bin Capitan Don Camilo San Martin, vom Gardedragonerregiment Seiner Allerkatholischsten Majestat, des Konigs von Spanien. «Er hatte ein sensibles Gesicht, zu dem der schmale, fast grausame Mund wenig pa?te.»Ich ware Ihnen verbunden, wenn Sie mir die Ehre erweisen wurden, mir Ihren Namen und Ihren, ah, Rang zu nennen. «Er hob die Hand.»Doch ehe Sie beginnen - ich warne Sie vor Lugen. Dieser Dummkopf da hat mir berichtet, wie sein Spahtrupp auf Sie gesto?en ist. Da? er Sie nach hartem Kampf uberwaltigen und herschaffen konnte. «Er richtete sich selbstbewu?t auf.»Ich bin zur Zeit Befehlshaber dieses, ah, Unternehmens hier.»
        Langsam atmete Allday aus, als Pascoe antwortete:»Ich bin Leutnant Adam Pascoe von der Marine seiner Britannischen Majestat.»
        Die melancholischen Augen des Spaniers ruhten jetzt auf Allday.»Und dieser? Ich nehme an, er ist ebenfalls Offizier?«Er verzog leicht den Mund.»Von etwas niedrigerem Rang vielleicht?»

«Ja. «Pascoe schwankte, doch seine Stimme blieb fest.»Deckoffizier.»
        Allday staunte uber Pascoes Geistesge genwart, nach allem, was er durchgemacht hatte. Der Spanier schien die Luge zu glauben. Wenn sie jetzt getrennt worden waren, hatte das jede Aussicht auf Flucht zunichte gemacht, wenn es uberhaupt eine gab.

«Gut«, lachelte Capitan San Martin.»Sie sind sehr jung, Tenien-te. Ich gehe daher wohl nicht fehl in der Annahme, da? Sie nicht auf eigene Faust handelten. Da? Sie von einem englischen Schiff kommen?«Mit der gleichen muden Bewegung wie eben hob er die Hand.»Ich wei?, Sie sind Offizier und an Ihren Eid gebunden. Das respektiere ich. Aber es mu? ja einen Grund dafur geben, da? Sie hier sind.»
        Heiser sagte Pascoe:»Meine Leute, Capitan - konnen Sie anordnen, da? sie verpflegt werden?»
        Der Spanier schien zu uberlegen.»Alles zu seiner Zeit. Im Augenblick haben Sie und ich einiges zu besprechen. «Er deutete auf das Zelt.»Dort drin. Die Sonne brennt heute verflucht hei?.»
        Im Zelt war es kuhl, und als sich Alldays Augen an das Dammerlicht gewohnt hatten, sah er, da? er auf einem dicken Teppich stand. Nach dem rauhen Weg war das Balsam fur seine wunden, blasenbedeckten Fu?e.

«Ich sehe an Ihrem Rucken«, bemerkte San Martin,»da? Sie unterwegs etwas rauh behandelt wurden. «Er zuckte die Achseln.»Es sind unwissende Wilde, aber gute Kampfer. Mein Gro?vater pflegte noch Jagd auf sie zu machen, rein aus Sport. «Der Gedanke schien ihn zu amusieren.»Aber die Zeiten andern sich.»
        Eine Ordonnanz brachte Becher und schenkte Wein ein. San Martin nickte ihnen zu. Setzen Sie sich doch, wenn Sie wollen. Sie sind jetzt Kriegsgefangene. Ich schlage vor, Sie genie?en meine Gastfreundschaft, so gut Sie konnen. «Wieder lachelte er. Ich war selbst Gefangener der Englander und wurde vor einem Jahr ausgetauscht. Dabei lernte ich Ihr Volk verstehen, und auch die Sprache wurde mir gelaufig.»

«Ich mu? darauf bestehen, Sir…«fing Pascoe an.
        Weiter kam er nicht. San Martin, mit einem Blick zum Zeltdach, schrie ihn an:»Bei mir haben Sie auf gar nichts zu bestehen, Te-niente!«Bei diesem Ausbruch rann ihm der Schwei? ubers Gesicht.»Es kostet mich nur ein Wort, und Sie sind tot! Wie wurde Ihnen das passen, eh? Diese Tiere da, die Sie drau?en an der Stra?e und den Anlagen arbeiten sehen, sind Verbrecher; ware die Arbeit hier nicht so wichtig, wurden wir sie an die Ruderbanke der Galeeren ketten, wo sie hingehoren, oder am Galgen verfaulen lassen. Zu denen konnte ich Sie stecken, Teniente. Wie wurde es Ihnen gefallen, an einen gro?en Besen gekettet zu arbeiten, Stunde um Stunde nach Trommelwirbel und Peitschenhieb zu leben - eh?«Er war immer noch au?er sich.»Da hatten Sie wenig Zeit, auf etwas zu bestehen, das kann ich Ihnen sagen!»
        Allday sah, da? der Soldat mit der Weinflasche heftig zitterte. Er kannte und furchtete anscheinend die Wutanfalle seines Vorgesetzten.
        Etwas ruhiger fuhr dieser fort:»Ihr Schiff - oder vielleicht sogar Ihre Schiffe - sind in diesen Gewassern, um uns Schaden zuzufugen. «Wieder lachelte er gelassen. Ihren Kommandanten - ob ich den wohl kenne?»
        Ohne die Antwort abzuwarten, schritt er aus dem Zelt.
        Eilig flusterte Pascoe:»Er wei? nichts von dem Schoner.»

«Zum Teufel mit dem Schoner, Mr. Pascoe. Was wollen Sie ihm sagen?»
        Ehe er antworten konnte, war der spanische Hauptmann wieder da. Vorsichtig legte er eine Hanfschlinge auf den Tisch, trat einen Schritt zuruck und betrachtete sie prufend.

«Sie ist, wie Sie sehen, am Ende zusammengesplei?t«, erklarte er sachlich.»Hier und hier - «, er tippte mit dem Finger darauf - ,»sind zwei Knoten darin: der Schmerzensring. Unsere Inquisitoren fanden ihn recht nutzlich, um Schuldbekenntnisse zu erhalten - in Amerika, glaube ich. «Er sah Pascoe fest ins Gesicht.»Wenn ich Ihnen den um den Kopf legen lasse, passen die Knoten genau auf Ihre Augen. Dreht man die Schlinge von hinten enger, wird der Schmerz unertraglich, das kann ich Ihnen versichern. «Er nahm die Schlinge auf und warf sie der Ordonnanz zu.»Am schlimmsten ist es naturlich, wenn die Augen in den Hohlen zerdruckt werden. «Er gab dem Soldaten einen kurzen Befehl, und dieser rannte hinaus.»Zerplatzen wie Weinbeeren.»
        Heiser rief Allday aus:»Sie werden doch nicht unsere Jungs damit martern lassen!»
        San Martins Gesicht war vor Erregung verzerrt.»Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sind Kriegsgefangene. Als solche werden Sie behandelt, solange Sie mir unterstehen. «Schwer atmend setzte er sich hin.»Jetzt trinken Sie Ihren Wein.»
        Plotzlich ertonte drau?en vor dem Zelt ein furchtbarer Schrei. Allday lie? seinen Becher fallen. Pascoe sturzte zum Eingang, doch da hatte San Martin wie durch Zauber zwei Pistolen in den Handen.»Stehenbleiben! Das ist keiner von Ihren elenden Matrosen, nur ein Strafgefangener. Aber wenn Ihre Leute gesehen haben, wie er leiden mu?, wird der Effekt derselbe sein.»
        Mit Augen, die so unbeweglich waren wie seine beiden Pistolen, musterte San Martin Pascoes schreckverzerrtes Gesicht. Die Schreie dauerten an - stundenlang, wie es ihnen vorkam; doch als sie verstummten, hing der hollische Laut noch lange im Zelt.
        San Martin steckte die Pistolen in den Gurtel zuruck und sagte:»Seeleute sind redselig. Ich gehe jetzt. Versuchen Sie nicht, das Zelt zu verlassen, es wurde Sie das Leben kosten. «Er nahm seinen Hut auf und schlug den Staub aus dem gelben Federbusch.»Wenn ich mit Ihren Matrosen gesprochen habe, werde ich uber Ihre Schiffe Bescheid wissen - und wahrscheinlich uber vieles mehr. «Er ging hinaus, und es wurde totenstill im Zelt.
        Dann sank Pascoe auf den Teppich und wurgte schmerzhaft.»Er hat recht«, stammelte er.
        Allday sah seine Verzweiflung, das Zittern seiner wunden Schultern, das Pascoe vergeblich zu beherrschen suchte.»Nur ein Narr wurde schweigen, wenn er diese Folter mitangesehen hat«, sagte er.
        Nach einer knappen Stunde kam der spanische Hauptmann zuruck. Er setzte sich auf eine messingbeschlagene Kiste und sagte gelassen:»Einer Ihrer Leute war durchaus gewillt, mit mir zu sprechen. «Er lachelte melancholisch.»Machen Sie kein so besturztes Gesicht, Teniente. Auch meine Leute wurden zu Verratern, wenn sie in der gleichen Lage waren. «Dann wurde er dienstlich.»Ihre Schiffe sind seit uber einer Woche in diesen Gewassern, ja? Sie wollen die Franzosen, unsere Verbundeten, ausspionieren. Diese Dinge gehen mich nichts an. Ich habe lediglich dafur zu sorgen, da? diese Hunde hier in der Bucht ordentliche Verteidigungsanlagen bauen.
«Er tippte sich mit dem Rand des Weinbechers ans Kinn.»Eine Information habe ich jedoch bekommen, die an geeigneter Stelle von Wichtigkeit sein kann: Ihre Schiffe haben ein spanisches Fahrzeug gekapert. «Wutend verzog er den Mund.»Diese Idioten, die Sie hergebracht haben, waren so trunken von ihrem lappischen Sieg, da? sie sich ein Schiff unter ihren Nasen wegstehlen lie?en!»
        Allday dachte an den Knotenstrick, und der Reiter mit der Peitsche tat ihm beinahe leid. Wie zur Bestatigung zischte San Martin:»Aber das wird nicht wieder vorkommen.»
        Muhsam beherrschte er sich.»Egal. Fur Sie ist der Krieg vorbei. Sie werden an einen, ah, sicheren Ort transportiert, wo Sie Ihrem Rang gema? untergebracht werden konnen. Zunachst lasse ich Ihnen etwas zu essen bringen«, schlo? er gleichgultig. Jetzt, da er uber die Gefangenen entschieden hatte, interessierten ihn Schiffe, eigene oder feindliche, offenbar uberhaupt nicht mehr.
        Sie wurden von zwei Bewaffneten zu einem nahe gelegenen Zelt eskortiert, und kurze Zeit spater brachte die Ordonnanz des Hauptmanns einen Korb mit Brot und Fruchten, sowie einen Krug sauren Weines.
        Bitter sagte Pascoe:»Dann ist es aus mit uns, Allday. Es wird lange dauern, bis wir England wiedersehen. «Er wandte den Kopf ab.»Wenn uberhaupt.»
        Vorsichtig, damit die Wachen ihn nicht sahen, trat Allday an die Zeltklappe.»Bis jetzt ist noch gar nichts aus«, sagte er grimmig.»Fur eins konnen wir dankbar sein: dieses Schwabbermaul, mit dem der Don gesprochen hat, war einer von Javals Leuten. Nur die hatten wir ja im Kommando.»
        Pascoe sah auf.»Was macht das fur einen Unterschied?»
        Allday trat von der Klappe zuruck und go? Wein ein.»Von der Lysander hatte jeder gewu?t, da? Sie der Neffe des Kommodore sind. «Jetzt war Pascoe betroffen, und Allday nickte.»Uberlegen Sie mal, was der Don daraus gemacht hatte. Die hatten mit Ihnen als Geisel allerhand aushandeln konnen.»
        Pascoe starrte ihn an.»Daran habe ich gar nicht gedacht.»

«Nicht da? Old Dick…«Er brach ab und grinste.»Entschuldigung, das rutschte mir so raus.»

«Sprechen Sie weiter.»
        Allday zuckte die Achseln.»Ich bin lange genug mit Ihrem Onkel gefahren«, sagte er, und seine Stimme schien von weit her zu kommen.»Wir haben eine Menge zusammen erlebt und erreicht. Ich habe gesehen, wie es ihn schmerzte, wenn brave Jungs auf seinen Befehl hin sterben mu?ten. Wie im Tran ist er ubers Deck gegangen, wahrend Splitter rechts und links von ihm hochsprangen, weil die Scharfschutzen ihn aufs Korn genommen hatten. «Fast sah es aus, als schame sich Allday, sein tiefwurzelndes Vertrauen laut werden zu lassen.»Nein, er wurde seine Leute nicht einmal Ihretwegen in den Tod schicken.»
        Muhsam stand Pascoe auf und trat zu ihm.» Unsertwegen, wollen Sie sagen.»
        Allday lachelte.»Nett von Ihnen, es so auszudrucken. Aber Bootsfuhrer sind leichter zu kriegen als Blutsverwandte.»
        Pascoe seufzte.»Ich wunschte, ich konnte etwas fur ihn tun.»
        Drau?en ertonte ein Ruf, und Allday spahte wieder durch die Zeltklappe.»Da kommt ein Reiter angeprescht, als ob alle Kobolde von Exmoor hinter ihm her waren!»

«Lassen Sie mich sehen«, sagte Pascoe.
        Sie beobachteten San Martin, der vor seinem Zelt stand und mit geneigtem Kopf dem Kurier lauschte, der schon von der Zeltgasse her seine Botschaft heraufrief.

«Da ist was im Gange«, murmelte Allday.
        Pascoe fa?te ihn beim Arm.»Ich verstehe ein bi?chen Spanisch. «Er horchte.»Ein Fischer hat ein Schiff gesehen, ein gro?es Schiff«, berichtete er dann leise.
        Sekundenlang starrten sie einander an. Dann sagte Allday gepre?t:»Wenn es nur ein Schiff ist, dann wissen wir auch, welches - nicht wahr, Mr. Pascoe?»
        San Martin schrie einen Befehl. Dann gellte eine Trompete. Sie traten zuruck.
        Allday dachte an die Kustenbatterie auf der Landzunge. Was fur ein Pech, da? dieser Fischer etwas gesehen hatte und San Martin nun gewarnt war.

«Eben wunschten Sie doch, Sie konnten etwas fur Ihren Onkel tun?«Pascoe schien etwas zu dammern; er nickte.»Also: Wenn die Lysander oder ein anderes Schiff des Konigs jetzt die Nase in diese Bucht steckt, dann geht es ihm schlecht - ganz bestimmt.»
        San Martins Stimme war auf einmal ganz nahe, und Pascoe sagte rasch:»Einen Schluck Wein?«Er schob Allday seinen vollen Becher in die Hand. »Sagen Sie etwas! flusterte er.
        Allday verschluckte sich beinahe.»Ich wei? das noch wie gestern, als wir damals auf der alten Hyperion waren und…»
        San Martin schlug die Eingangsklappe auf, trat in das dammerige Zelt und musterte Brot und Wein.»Gut«, sagte er,»sehr gut.»

«Dieses Trompetensignal eben«, fragte Pascoe,»bedeutete das Gefahr?»
        San Martin sah ihn forschend an.»Unwichtig. Fur Sie jedenfalls. «Er ging im Zelt herum wie ein Tier im Kafig.»Ich wollte Sie noch heute an Bord bringen lassen. Aber damit mu? ich nun bis morgen warten. Ich schicke Sie nach Toulon. Der franzosische Admiral hat mehr Zeit als ich fur solche Dinge.»

«Es ist eben Krieg, Sir«, sagte Allday ernst.
        San Martin sah ihn lange an.»Auf einem guten Pferd in die Schlacht zu reiten, das ist Krieg«, sagte er schlie?lich.»Aber nicht, dieses dreckige Gesindel hier zu befehligen. «Er blieb am Zelteingang stehen.»Ich werde Sie wahrscheinlich nicht wiedersehen.»
        Sie warteten, bis seine Schritte verhallt waren; dann sagte Allday:»Gott sei Dank!

        Pascoe fuhr sich durchs Haar, um Staub und Sand zu entfernen.»Er behalt seine Schiffe bis morgen hier«, uberlegte er laut.»Also mu? unser Schiff ganz in der Nahe sein.»
        Allday blickte zur Zeltwand, die von dem hei?en Wind nach innen gedruckt wurde.

«Wenn der Wind so bleibt wie jetzt, Mr. Pascoe, dann kommt die Lysander bestimmt in die Bucht.»

«Sind Sie denn sicher, da? es die Lysander ist?«fragte Pascoe eindringlich.

«Sie etwa nicht?»

«Doch«, nickte Pascoe.

«Dann kommt sie in der Nacht oder bei Morgengrauen, schatze ich«, sagte Allday und trank einen Schluck Wein.»Also mussen wir die Kopfe zusammenstecken und uns was ausdenken, um sie zu warnen.»
        Er dachte daran, was Pascoe vorhin gesagt hatte: Es wird lange dauern, bis wir wieder in England sind - wenn uberhaupt. Was sie unternehmen konnten, um das Schiff zu warnen, und was das Ergebnis auch sein wurde - eins war sicher: Sie wurden beide teuer dafur bezahlen mussen.



        V Der einzige Ausweg

        Bolitho zog sich den Dreispitz fester in die Stirn. Die schwere, vierunddrei?ig Fu? lange Barkasse der Lysander stampfte in den kabbeligen Wellen; Gischt durchweichte die Insassen. Er spahte nach achtern, doch das Schiff war bereits im Dunkel verschwunden; er konnte gerade noch die wei?en Schaumstreifen an den Riemen der beiden Kutter sehen, die mit ihm auf gleicher Hohe lagen. Trotz der sorgfaltigen Vorbereitungen, obwohl die Eichenriemen mit oligen Lappen umwickelt und alle Waffen gut verstaut waren, kamen ihm die Gerausche schrecklich laut vor.
        Er wandte seine Aufmerksamkeit jetzt nach vorn. Dort konnte er eben noch den Umri? der Gig ausmachen und gelegentlich ein phosphoreszierendes Aufspritzen, wenn ein Matrose im Bug mit dem Lot die Wassertiefe kontrollierte.
        Das Kommando in der Gig fuhrte Plowman, Erster Steuermannsmaat der Lysander, vom Master selbst empfohlen. Wenn Grubb nicht selbst mitmachte, dann war Plowman der Nachstbeste, dachte Bolitho. Grubb hatte ihm mit seinem tiefen Brummen anvertraut, Plowman hatte in Friedenszeiten auf einem walisischen Handelsschiff diese Kuste befahren.»Das behauptet er wenigstens, Sir. Aber ich schatze, er hat mit den Arabern 'n bi?chen schwarzes Elfenbein gehandelt.»
        Sklavenhandler oder nicht - jedenfalls fuhrte Plowman die Flottille der uberladenen Boote ohne die geringste Unsicherheit geradewegs auf die Kuste zu.
        Seltsam: je wichtiger die Arbeit, um so fragwurdiger ist der Mann, den man dazu am notigsten braucht, uberlegte Bolitho.
        Gilchrist, der neben ihm sa?, konnte offenbar seinen knochigen Korper nicht ruhig halten, er klemmte den Degen zwischen die Knie und keuchte nervos.
        Bolitho versuchte, nicht an die Moglichkeit einer Katastrophe zu denken; nicht an die Musketen und Sabel, die vielleicht da druben in der Finsternis schon darauf warteten, ihn und seine Manner noch in der Brandung niederzumachen. Wahrscheinlich dachte Gilchrist mehr oder weniger dasselbe.
        In einem Kutter war ein Rudergast aus dem Takt gekommen; nervos rief Steere, der Funfte Offizier:»Aufpassen da! Zu - gleich!»
        Die Boote waren uberladen mit Matrosen und Seesoldaten, und das Pullen kostete eine Menge Kraft. Da war es nicht zu vermeiden, da? die Riemen quietschten, die Manner keuchten und fluchten.

«Die Gig hat beigedreht, Sir«, rief der Bugmann.
        Bolitho beugte sich vor: jetzt sah er, da? die langen wei?lichen Streifen nicht mehr von Plowmans Riemen kamen, sondern von der Brandung stammten.

«Auf Riemen, alle Mann!«Der Bootssteuerer der Barkasse packte seine Ruderpinne fester.»Achtung im Boot!»

«Verdammt, ich sehe uberhaupt nichts«, fluchte Gilchrist.
        Beide Kutter stampften heftig. Die hellen Bootskorper, leuchtend in der Finsternis, wurden von der Stromung abgetrieben.
        Stahl klirrte, Stiefel scharrten: die Marine-Infanteristen machten sich zum Aussteigen fertig. Jetzt brauchte nur einer seine Muskete irrtumlich abzufeuern oder gegen den Matrosen zu fallen, der die Rei?leine der auf einem Dreifu? montierten Drehbasse hielt, und mit aller Heimlichkeit war es vorbei.
        Bolitho hielt den Atem an, als Plowmans Gig aus der Finsternis auftauchte, an die Barkasse stie? und kaum dabei erzitterte. Hande streckten sich aus und hielten die Boote fest, dumpf polternd tauchte Plowman in der Achterplicht auf und murmelte: Das ist 'n ganz ordentlicher Strand, Sir. «Wei? glanzten seine Zahne, und er atmete so ruhig, als mache ihm die Sache Spa?. Vielleicht dachte er an die Zeiten, als er mit seiner Crew hier lebende Fracht ubernommen hatte.»Nicht sehr breit, aber so, wie das Wasser aussieht, sind wir hier sicherer, als wenn wir noch weiter suchen.»

«Recht so.»
        Bolitho versuchte, nicht an die Zeit zu denken. Es war wie ein inneres Stundenglas, in dem der Sand gnadenlos abrann.»Dann fahre ich also vor«, sagte Plowman und wandte sich um;
        doch Bolitho hielt ihn an.»Sobald wir an Land sind, ubernehmen Sie die Wache bei den Booten, Mr. Plowman. Sie haben Ihre Sache sehr gut gemacht. Ich werde dafur sorgen, da? es Ihnen nicht vergessen wird.»
        Plowman protestierte:»Einer von meinen Leuten kann doch die Boote bewachen, Sir!»

«Nein. Wir brauchen Sie spater noch. Ich will nicht, da? mir der Mann, der Mr. Grubbs rechte Hand ist, in Spanien verlorengeht. Der Master wurde mir das nie verzeihen!»
        Ein paar Manner lachten leise, und Plowman seufzte:»Da haben Sie vielleicht recht, Sir.»
        Funfzehn Minuten spater liefen die Gig und die gro?e Barkasse auf harten Sand, Matrosen sprangen uber Bord und bis zum Gurtel ins Wasser, Waffen wurden herausgereicht, das Ruder belegt, Bo-litho und Gilchrist rannten, Degen in der Hand, den Strand hinauf.
        Dies war der kritische Augenblick. Bolitho verhielt bei einem Felsbrocken, starrte in die Finsternis, versuchte, uber Wind und See etwas zu erlauschen.
        Aber es kam kein Anruf, keine Salve knatterte mit blitzendem Mundungsfeuer aus dem Dunkel. Und mit jeder kostbaren Minute kamen mehr Manner aus dem flachen Wasser und ordneten sich eilig zu einer Marschkolonne. Immer mehr wei?es Lederzeug schimmerte fahl in der Nacht, und als erst die Kutter eintrafen, die drau?en noch auf Anzeichen von Gegenwehr gewartet hatten, war die kleine Bucht gedrangt voll stummer Gestalten.
        Major Leroux eilte den Strand herauf.»Alles angetreten, Sir.»

«Recht so. Lassen Sie die Boote in Strandnahe warten. Plowman soll eine Stunde verstreichen lassen und dann zum Schiff zuruckrudern, wie besprochen.»
        Leroux winkte seiner Ordonnanz. Eine Stunde mu?te ausreichen, um festzustellen, ob sie eine Erfolgschance hatten.
        Wahrend die Boote von ihren erschopften Besatzungen ein Stuck aus der Brandung gerudert wurden, konnte Bolitho die allgemeine Unsicherheit der Zuruckbleibenden direkt spuren. Trotz ihres militarischen Status' waren die Marine-Infanteristen keine Landratten. Der Gedanke, sich allein auf fremdem Terrain zu befinden, ohne
        Verbindung zum Schiff und der einzigen Lebensweise, welche die meisten von ihnen kannten, beunruhigte sie.

«Schicken Sie Ihre Vorhut los, Major Leroux«, sagte er.
        Der Major nickte.»Wir brauchen auch ein paar gute Manner als Flankenschutz. «Er eilte weg, und in kurzester Zeit war die ganze Landeabteilung auf dem Vormarsch.
        Das Gelande war ungefahr so, wie Grubb und Plowman es geschildert hatten, doch erwies sich der Pfad, der durch die Hochflache uber dem Strand fuhrte, rauher als erwartet. Wild fluchten die Manner in der Finsternis; ein paarmal horte Bolitho, wie Nepean oder ein Sergeant drohend Ruhe befahlen. Nach einer Stunde etwa lie? Bolitho rasten, und wahrend die Manner zu beiden Seiten des Pfades hockten, rief er seine Offiziere zusammen.

«In funf Stunden wird es heller. «Midshipman Luce schuttelte Steinchen aus seinem Schuh; und wieder dachte Bolitho an Pascoe. In der Dunkelheit sah der Midshipman ihm sehr ahnlich. Sie waren gute Freunde gewesen - nein, sie waren es noch.

«Nach unseren Berechnungen mussen wir eine Felsrinne uberqueren und sind dann ganz nahe an der Bucht. Auf der Karte hat der uns am nachsten liegende Arm der Bucht lockeren, krumeligen, von Hochwasser zermahlenen Boden. Wenn es eine Kustenbatterie gibt, steht sie also wahrscheinlich auf dem anderen Landarm.»

«Das ist viel zu weit! Das schaffen wir nie, ehe die Lysander mit dem Angriff beginnt«, unterbrach Gilchrist erregt.

«Sprechen Sie mit mir, Mr. Gilchrist?«Es klang so gefahrlich sanft, da? Luce rasch wieder in seinen Schuh fuhr und reglos lauschte.

«Entschuldigung, Sir. Es war nur ein Gedanke. «Gilchrist geriet etwas aus der Fassung.

«Freut mich zu horen. «Bolitho sah die anderen an.»Aber wir mussen nach Moglichkeit alle Geschutze ausschalten, die der Ly-sander gefahrlich werden konnen, ehe sie den Angriff beginnt. Die Spanier mogen ja auf unseren Besuch nicht vorbereitet sein; aber sobald der erste Schu? fallt, wird aus dieser Bucht das reinste Hornissennest.»
        Leroux schnallte sein Koppel fester.»Ganz meine Meinung, Sir. Und je eher wir durch diese Rinne sind, um so lieber ist es mir.»
        Bolitho sah sich um, er spurte Staub und scharfen Sand im Gesicht. Der Wind hielt sich also. Hoffentlich war Fortuna, wie Herrick es immer nannte, ebenso zuverlassig.

«Also dann weiter!«befahl er.
        Leroux ging nach vorn, gab ein paar geflusterte Kommandos, und die Seesoldaten formierten sich wieder auf dem Pfad. In der Dunkelheit wirkten ihre wei?en Brustriemen wie eine lange, sich windende Schlange von wei?en Kreuzen.
        Immer noch ruhrte sich nichts vor ihnen in der Nacht: kein streunender Hund, kein schlaftrunkener Fischer, der sich zu seinem Boot hinuntertastete, weil er bei Morgengrauen auf Fang wollte. Verlassen und leer lag die ganze Kuste da.
        Merkwurdig - Bolitho konnte ganz zusammenhangend denken; innerlich und au?erlich beinahe entspannt schritt er neben der Marschkolonne dahin. Wie oft schon war er an dieser Kuste in beiden Richtungen entlanggesegelt, jetzt marschierte er hier. Im Geist sah er die Namen auf der Karte vor sich, wie Gedenksteine am Weg: Cartagena, knapp vierzig Meilen entfernt. Alicante, Valencia - an jede Stadt hatte er Erinnerungen. Vor funf Jahren allerdings war Spanien noch mit England verbundet gewesen.
        Er merkte, da? ein Befehl flusternd nach hinten durchgegeben wurde, eilte nach vorn und sah, da? Leroux, Nepean und ein Unteroffizier in leiser Beratung beieinanderstanden.
        Leroux machte keine uberflussigen Worte.»Das ist Corporal Manners, Sir, ein in jeder Hinsicht erfahrener Soldat. Er hat den Vortrupp gefuhrt. «Ernst blickte er Bolitho an. Moglichst ruhig, obwohl hier bestimmt etwas sehr schiefgegangen war, fragte dieser:»Ihr Vortrupp hat die Rinne erreicht?»
        Leroux nickte.»Berichten Sie dem Kommodore, Manners.»
        Der Marine-Infanterist sprach Cornwalldialekt, Heimatklange fur Bolitho.»Die Rinne ist schon da, Sir. Aber da mu? 'n gro?er Einsturz gewesen sein. Es geht fast senkrecht hinunter, hoch wie die Wand einer Kathedrale. Ich war namlich Hauer im Zinnbergwerk in Cornwall, ehe ich anmusterte, Sir.»

«Dann wissen Sie, wovon Sie reden. «Bolitho sah an ihnen vorbei und suchte das Unerwartete zu verarbeiten.

«Ich konnte ja probieren, an 'ner Wurfankerleine hinunterzu-klettern, Sir.»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Im Dunkeln ist das zu gefahrlich. «Er blickte Leroux an.»Was meinen Sie?»

«Es wurde Stunden dauern«, antwortete der Major.»Und selbst wenn wir es schafften, waren die Manner hinterher zu erschopft fur ein Gefecht.»

«Und die Lysander ware schon in der Bucht.»
        Verzweiflung uberkam Bolitho. Blind war er gewesen und zu dumm, ein naturliches Hindernis einzuplanen, das alle Vorbereitungen zu blo?er Zeitvergeudung machte und nur unnutz Menschenleben kostete. Er hatte sich auf die sparlichen Angaben der Karte und auf seinen Ubereifer verlassen. Und auf - er stie? sich an dem Wort - auf seinen Rachedurst.

«Wir mussen die Rinne umgehen, Sir. «Leroux blickte ihn gespannt an; er war ebenso betroffen.»Jedoch…»

«Eben, Major Leroux. Dieses >jedoch< ist das Problem.»
        Leutnant Nepean warf ein:»Dann umgehen wir eben die Verteidigungsanlagen der Bucht und sturmen die Batterie von der Landseite her, Sir.»
        Leroux seufzte.»Geben Sie durch an Sergeant Gritton: Weitermarsch hinter dem Vortrupp her. Etwas anderes bleibt uns jetzt auch gar nicht mehr ubrig, Sir«, sagte er leise zu Bolitho. Es hatte wie ein Vorwurf klingen konnen, aber es war keiner.
        Gilchrists lange Gestalt tauchte aus dem Dunkel auf.»Ich hore, wir konnen nicht durch die Rinne, Sir.»

«Stimmt. «Bolitho versuchte zu erkennen, wie Gilchrist darauf reagierte.»Also mussen wir doch unseren Gewaltmarsch machen.»
        Wieder stapften die Marine-Infanteristen an ihm vorbei, die Musketen umgehangt; jeder starrte mit gebeugtem Kopf auf die Beine seines Vordermannes. Die meisten wu?ten gar nicht, warum sie uberhaupt hier waren. Aber sie hatten Vertrauen. Es war, als riefe ihm jemand dieses Wort zu. Das war alles, was sie hatten, und er hatte es enttauscht.

«Ich mache mir nur Sorgen um das, was danach kommt, Sir«, sagte Gilchrist dumpf, wandte sich um und nahm seinen Platz an der Spitze der nachsten Gruppe wieder ein.

«Dieser Mann fallt mir auf die Nerven, Sir«, knurrte Leroux.
        Bolitho blickte ihn von der Seite an.»Dienstlich ist Captain Herrick durchaus mit ihm zufrieden.»
        Leroux hieb mit seinem Sabel nach einem Busch.»Ich rede nicht gern uber andere Leute hinter ihrem Rucken.»

«Erinnern Sie sich noch an Ihr Wort von vorhin, Major?«Wieder ein wutender Hieb Leroux' nach einem Strunk Heidekraut. »Jedoch…»

«Ich wei?, da? Captain Herrick schon fruher mit Ihnen gefahren ist, Sir. Das ganze Geschwader wei? es. Er ist ein feiner Mann und gerecht. Auf einem Linienschiff beides zusammen zu sein, ist gar nicht so leicht.»

«Da haben Sie vollkommen recht, Major. Thomas Herrick ist seit der amerikanischen Revolution mein Freund. Er hat mir mehr als einmal das Leben gerettet.»

«Und Sie ihm auch, mochte ich annehmen, Sir. «Leroux warf einen raschen Blick auf die Reihe seiner keuchenden Seesoldaten.»Herrick hat eine Schwester, wissen Sie das, Sir?»

«Ja. Das arme Madchen hat viel auszuhalten. Auch das wei? ich.»

«Ja, sie ist gelahmt. Ich habe sie kennengelernt, als ich fur Cap-tain Herrick in Kent war, bei der Neuausrustung der Lysander. So ein hubsches Madchen, aber mit gelahmten Gliedern - ein herzzerrei?ender Anblick. Mr. Gilchrist ist mit ihr verlobt«, schlo? er langsam.
        Bolitho packte den Degengriff fester und starrte in die Dunkelheit, bis ihm die Augen schmerzten. Er war so mit seinen eigenen Angelegenheiten beschaftigt gewesen, da? er sich um die ubrige Welt, um die Welt Herricks, uberhaupt nicht gekummert hatte. Herrick hatte seine dienstliche Laufbahn als armer, unprivilegierter Mann begonnen. Im Vergleich zu Offizieren wie Farquhar - oder schlie?lich auch zu ihm, Bolitho, selbst - war er immer noch arm. Im Lauf der Jahre hatte er sich zwar etwas erspart, seine mageren Prisengelder mit dem Bonus bei seiner Beforderung zum Fregattenkapitan etwas aufgebessert, aber von einem Vermogen konnte nicht die Rede sein.

«Captain Herricks Mutter starb kurz bevor wir aus Spithead ausliefen«, sagte Leroux.»Deshalb ist seine Schwester jetzt ganz allein.»
        Wie war es eigentlich, als ich damals an Bord der Lysander kam? uberlegte Bolitho. Davon hat er mir nichts gesagt«, antwortete er dann.»Aber vielleicht habe ich ihm auch keine Gelegenheit dazu gegeben.»
        Er schwieg; Leroux eilte wieder dem Vortrupp nach und uberlie? Bolitho seinen Gedanken.
        Herrick liebte seine Schwester sehr, das wu?te Bolitho. Einen Mann fur sie zu finden, war ihm sicher wichtiger als alles andere, selbst wichtiger als seine Freundestreue. Doch warum verhielt sich Gilchrist so feindselig? Und warum wollte er ausgerechnet ein gelahmtes Madchen heiraten? Bolitho war beides unerklarlich.
        Er hob den Kopf und starrte zu den Sternen empor: so kalt, so erhaben uber das kleinliche Gewimmel auf Erden.
        In fruheren Zeiten hatte er manchmal, wenn er frustriert und ungeduldig die Befehle hoherer Stellen ausfuhrte, gemeint, er selbst wurde es besser machen. Aber jene Vorgesetzten hatten Flotten zu kommandieren gehabt, gro?e Ereignisse in Rechnung zu ziehen und zu manipulieren. Nun hatte auch er eine wenn auch kleine Chance bekommen, zu zeigen, was er konnte, zu beweisen, da? er jetzt fahig war, in diese Range aufgenommen zu werden, deren Flaggen uber den Geschwadern Freude, Stolz und Gehorsam auslosten.
        Bolitho horchte auf das mude Scharren der Soldatenstiefel und wu?te, da? er versagt hatte.

«Konnen Sie was sehen?«fragte Pascoe flusternd, denn drau?en vor der Zeltklappe wu?te er einen Wachtposten.
        Allday stand tiefgebuckt an der Ruckwand des Zeltes. Er hatte sich aus einem Trinkbecher eine Klinge gebastelt und damit ein kleines Loch geschnitten, durch das er spahte.
        Stille heischend hob er die Hand. Von der Hinterwand des Zeltes aus konnte er ein Stuck Strand unterhalb des Lagers sehen; auf dem unruhigen Wasser reflektierten die Sterne, und irgendwo wippte die Ankerlaterne eines Schiffes. Der Mond schien nicht, so da? jedes
        Feuer, jede Laterne uberhell zu leuchten schien, selbst auf dem weit entfernten anderen Landarm der Bucht.
        Mitternacht war vorbei, soweit er schatzen konnte; doch seit jenem Trompetenruf herrschte pausenlos Betriebsamkeit in Lager und Umgebung.
        Jetzt war es etwas ruhiger, doch uber dem Vorland lie?en sich ein paar helle Laternenpunktchen erkennen; wahrscheinlich war die Batterie voll bemannt und traf alle Vorbereitungen fur das Bombardement bei Morgengrauen. Ein glutroter Schein waberte ein paar Sekunden lang am Himmel und erstarb dann ebenso schnell. Allday fuhlte, wie ihm Schwei? uber Hals und Brust rann: dort wurde die Tur einer Feueresse auf- und wieder zugemacht. Sie erhitzten also Kanonenkugeln, um das Schiff in Brand zu schie?en.
        Er glitt zu Boden. Sie lagen beide nebeneinander, beinahe beruhrten sie ihre Gesichter.

«Die Batterie macht Kugeln hei?«, flusterte Allday.»Deswegen haben wir auch einen Eingeborenen als Wachtposten. Die Spanier hier sind bestimmt alle Artilleristen und werden bei diesen verdammten Kanonen gebraucht.»
        Pascoes Gesicht leuchtete bleich in der Dunkelheit.»Was machen wir blo??»
        Allday deutete zur Zeltklappe.»Steht da nur ein Mann?»

«Aye. Die denken, wir sind ihnen sicher.»
        Trotz seiner steigenden Spannung grinste Allday.»Mit gutem Grund, Mr. Pascoe. Viel Schaden konnen wir ja nicht anrichten, selbst wenn wir abhauen, nicht wahr?»

«Ich wei?. «Es klang wie ein Schluchzen.

«Sachte!«Er fa?te Pascoe an die Schulter und fuhlte die vom Sonnenbrand wunde Haut.»Wenn wir was explodieren lassen, wie wir das besprochen haben, dann konnen wir damit das Schiff warnen.»
        Entschlossen nickte Pascoe.»Aber wie kommen wir durch das Lager? Es mu? mindestens eine Meile bis zur anderen Seite sein.»
        Allday blickte zum Hintergrund des Zeltes.»Wenn mehr als ein Mann Wache steht, sind wir verloren. «Er lie? die Worte einwirken.»Aber wenn wir uns den da schnappen, ehe er um Hilfe rufen kann, dann kann sich einer von uns seine Uniform anziehen.»
        Pascoe kroch auf dem Bauch zum Eingang.»Er hat sich hingesetzt. «Lautlos wie ein Wilddieb schlich er sich wieder zu Allday und tippte ihm auf den Arm.»Ich glaube fast, er schlaft, aber sehen Sie sich vor. Es konnten noch andere Wachen in der Nahe sein.»
        Allday prufte sein primitives Messer und sagte:»Wenn ich geschnappt werde, ehe ich was unternehmen kann, verhalten Sie sich still und tun, als ob Sie schliefen. Lassen Sie sich nicht anmerken, da? wir das zusammen geplant haben.»
        Pascoe zeigte grinsend die Zahne.»Ach, hol Sie der Teufel, Mutter Allday!»
        Allday lachelte.»Das hort sich schon besser an, Mr. Pascoe.»
        Adam blieb an der Zeltklappe stehen und versuchte, sein Gehor dem gleichma?igen Kratzen von Alldays Messer zu verschlie?en, der die Zeltleinwand durchschnitt. Der Posten ruhrte sich nicht. Pascoe glaubte, die da drau?en mu?ten sein Herz gegen die Rippen hammern horen. Das Gerausch verstummte, und er warf einen raschen Blick uber die Schulter.»Fertig, Allday?»
        Aber er war schon allein. Er hob sich auf ein Knie und hielt den Atem an, als Allday wie ein Schatten um die Zeltecke glitt; seine blo?en Fu?e waren im Sand nicht zu horen. Es war, als hatte er sich in einen alles verbergenden Mantel gewickelt. Einen Moment stand er hoch uber dem dosenden Soldaten. Dann sturzte er sich auf ihn und uber ihn; ihre Schatten vermengten sich, aber au?er einem kurzen Keuchen war nichts zu horen.
        Pascoe hielt Allday die Zeltklappe auf, der den reglosen Posten durch den engen Eingang zerrte.

«Zunden Sie blo? nicht die Laterne an«, zischte Allday.»Sie mussen sich im Dunkeln umkleiden, so gut es geht. Los, ziehen Sie ihm die Jacke aus; Sie nehmen auch seine Hose. Stinkt sauisch, der Kerl. «Er tastete rasch nach dem Koppel.»Ah, 'ne Pistole hat er auch.»
        Pascoe fuhlte die Haut des Mannes unter seinen Fingern. Sie war feucht und hei?, aber unbewegt.

«Ich glaube«, murmelte Allday,»ich habe dem Bastard das Genick gebrochen.»
        Pascoe starrte ihn durch das Dunkel kurz an und ri? sich dann die Hose herunter. Eine Sekunde lang stand er nackt da und zog dann muhsam die Hose des toten Soldaten an. Seine eigene war zwar zerfetzt, aber immerhin eine letzte Verbindung zu dem Schiff. Er pre?te die Lippen zusammen. Weg damit.
        Dann die Jacke und das Koppel. Allday hatte recht; dessen kraftiger Korper hatte nie in die Uniform dieses Mannes gepa?t.
        Jetzt tappte Allday im Zelt herum, dann horte Pascoe Wein gluk-kern und wunderte sich, da? Allday ausgerechnet jetzt trinken konnte. Aber schon holte er erschrocken Luft, denn er fuhlte All-days tropf nasse Hande auf Gesicht und Hals und unter dem offenen Uniformkragen.»Sie mussen so dunkel wie moglich aussehen«, sagte Allday grimmig.»Gott behute, wenn man Sie bei Tageslicht sieht, 'ne Rothaut als Soldaten hatten die wahrscheinlich noch nie.»
        Er stulpte Pascoe den Fez auf und drapierte das Nackentuch so, da? es moglichst viel vom Gesicht verbarg.
        Pascoe nahm die Muskete auf und prufte sie. Glucklicherweise war sie neu, eine franzosische vermutlich.

«Fertig.»
        Allday zerrte den Toten beiseite und deckte ihn mit einem Stuck Zeltleinwand zu.

«Gut. Und jetzt fesseln Sie mir die Hande auf den Rucken. Es mu? schon fest aussehen. Nicht zu fest, naturlich; passen Sie auf!»
        Stumm sahen sie einander an. Dann sagte Pascoe:»Wenn sie mich lebend kriegen, dann.»
        Allday schuttelte den Kopf.»Das werden sie nicht. Mich auch nicht.»
        Drau?en kam es ihnen fast kuhl vor. Die tiefen Schatten der Zelte und Erdwalle wirkten unwirklich und drohend.
        Allday uberlegte sich, was die Wachen wohl wahrend der Nacht mit den Sklaven und Gefangenen machten. Wenn alles klappte, wurde es ein rauhes Erwachen fur sie geben, wo sie auch sein mochten.
        Es war alles so einfach. Eilig schritten sie den Abhang hinunter, wo die Offizierszelte standen, und auf einen rauhen, teilweise fertiggestellten Pfad zu, der, wie Allday vermutete, zu dem neuen Pier fuhrte. Ein niedergebranntes Lagerfeuer glomm rotlich bei einem unbespannten Wagen, zwischen dessen gro?en Radern mehrere schlafende Manner lagen. Er horte Pascoes Schritte dicht hinter sich und den regelma?igen Anschlag der umgehangten Muskete an seiner Hufte.
        Bei einem Holzstapel bewegte sich etwas; Allday zischte:»Los, Mr. Pascoe!»
        Pascoe ri? die Muskete von der Schulter, stie? ihm die Mundung in den Rucken und eilte mit ihm voran, so schnell er glaubte, es riskieren zu konnen.

«Gut gemacht«, murmelte Allday.»Aber hoffentlich haben Sie Ihren Abzugsfinger unter Kontrolle!»
        Sie gingen geradeaus weiter; Sternenlicht wies ihnen den Weg zur Landzunge, Laternen brannten keine mehr. Also wurden die Geschutzbedienungen jetzt neben ihren Kanonen schlafen. Sie hatten wenig zu befurchten.
        Da blieb Allday stehen, Pascoe ebenfalls.

«Was ist?»

«Da steht jemand vor uns. Direkt auf dem Weg.»

«Jetzt konnen wir nicht mehr zuruck«, flusterte Pascoe,»wir sind auf freiem Gelande.»

«Aye. «Etwas an der vor ihnen stehenden Gestalt beunruhigte Allday.»Wenn er was sagt, lachen Sie einfach und gehen weiter. Ich versuche dann, ihn von hinten zu erledigen.»
        Doch der einsame Mann rief sie nicht an und wandte sich auch nicht um, als sie vorbeigingen. Denn er war an einen Pfahl gebunden, und seine leeren Augenhohlen gahnten gro? und schwarz uber dem gebleckten Gebi?. Allday ging schweigend vorbei - es war der Anfuhrer der Reiter, der ihn mit der Peitsche geschlagen hatte.
        Pascoe sprach es statt seiner aus:»Wenn sie das schon mit ihren eigenen Leuten machen.»
        Ein paar Minuten spater sagte Allday:»Ich glaube, hier halten wir erst mal und stellen fest, wo wir sind.»
        Sie hatten schon fast den Strand erreicht; der Sand war vom Kommen und Gehen vieler Fu?e zerfurcht, wo Sklaven die ankernden Schiffe beladen hatten.
        Das nachstliegende, eine Brigg, war ziemlich deutlich zu erkennen. Die Morgendammerung mu?te also schon naher sein, als sie dachten. Wie einladend diese Brigg aussah. Allday dachte an das, was sie sich vorgenommen hatten, und erschauerte. Unter diesen Umstanden hatte jedes Schiff einladend ausgesehen. Er musterte den vor ihnen liegenden Landarm der Bucht. Zwei Erhebungen, etwa eine Kabellange[l Kabellange = 0,1 Seemeile oder 185.3 m] voneinander entfernt, unterbrachen das sonst ebene Terrain. Also waren zwei Batterien vorhanden, hochstwahrscheinlich aber nur ein Magazin. Der spanische Hauptmann hatte angedeutet, da? er in diesem Stadium auch ohne neue Arbeit genug zu tun hatte.

«Wir nehmen die landeinwarts, wenn Sie einverstanden sind?»
        Pascoe nickte.»Die mit der Esse. Wahrscheinlich befindet sich dort auch das Magazin. Denn wenn sie die hei?en Kugeln zu den gerichteten Kanonen tragen, mu? das schnell gehen.»
        Allday warf einen verstohlenen Blick auf die dunkle Gestalt. Es hatte der Kommodore sein konnen, der so sprach.

«Ich glaube, ich sehe einen Pfad. Den nehmen wir. Wenn es der falsche ist, kehren wir um und versuchen es auf dem anderen«, sagte Pascoe und schlo? mit fester Stimme:»Jedenfalls wird es ein rascher Tod.»
        Aber sie hatten die richtige Wahl getroffen. Am Fu? des Landarms verbreiterte sich der Pfad und fuhlte sich selbst fur Alldays wunde Fu?e etwas glatter an.
        Hier im Windschatten war es viel ruhiger, und sie vernahmen andere Laute: das Rascheln des trockenen salzigen Grases, das ferne Wiehern angekoppelter Pferde, das monotone Pfeifen eines Beute suchenden Nachtvogels.
        Sie rundeten eine neue Wegbiegung und verhielten verblufft vor einem hohen holzernen Tor. Es stand weit offen; im schwachen Licht einer Laterne sahen sie roh behauene Stufen, die den Hugel hinauf zu einer Stelle fuhrten, die direkt unter der ersten Batterie liegen mu?te.
        Hastig fragte Allday:»Haben Sie die Peitsche?»
        Pascoe tastete an dem ungewohnten Gurtel herum.»Ja, aber warum. «Er brach ab, denn zwei Gestalten losten sich von der Innenseite des Tores.

«Los«, stie? Allday hervor,»schlagen Sie zu! Oder wir kommen nie durch dieses verdammte Tor!»
        Die beiden Wachen waren bewaffnet; Allday konnte ihre Bajonette im gelben Lampenschein funkeln sehen. Beide waren Spanier und Artilleristen, nach der Form ihrer Stiefel und der weiten Hosen zu urteilen.
        Allday sog scharf den Atem ein, als die Peitsche auf seine Schultern niedersauste. Fester, um Gottes willen!»
        Keuchend holte Pascoe noch einmal aus; mit plotzlicher Klarheit erinnerte er sich, wie die Reiter zugeschlagen hatten: ohne Erregung, ohne Gnade. Die beiden Posten sahen mit gelinder Neugier zu. An diesem elenden Ort war es fur sie wahrscheinlich eine willkommene Abwechslung.
        Dann klapperte eine Muskete, die der eine Posten vom Boden aufhob, und Allday sturzte vor, ri? sie dem erstaunten Mann aus den Handen und stie? ihm mit wutender Kraft den Kolben ins Gesicht.
        Pascoe eilte zu ihm, doch der zweite Wachtposten rannte bereits die Stufen hinauf, wie ein Irrer schreiend.
        Allday legte die Muskete an und feuerte; der Mann wurde vom Aufprall der Kugel herumgerissen, sturzte und war nicht mehr zu sehen. Sie horten ihn in einer kleinen Lawine von Steinen und Erdbrocken den Abhang hinunterrollen.

«Los!«Pascoe rannte die Stufen hinauf und direkt in einen weiteren Wachtposten hinein, der aus einer anderen Tur kam, einer starken, eisenbeschlagenen. Allday fa?te zu, packte ihn beim Hals, drehte ihn mit einem Schwung um und schmetterte seinen Kopf gegen die Tur.
        Sie flog auf. Dahinter lag ein leerer Gang; von oben waren Rufe und eilende Schritte zu horen; sie schlupften hinein, und Pascoe sagte atemlos:»Riegel zu!«Er hielt eine Laterne hoch.»Hier mu? es zur Pulverkammer gehen.»

«Trocken genug ist es. «Allday legte zwei schwere Riegelbalken um.»Vorsicht mit der Laterne!«Er zog prufend die Luft ein.»Ich wette, die fragen sich jetzt, was, zum Teufel, hier unten los ist. «Er spannte die zweite Muskete.
        Stiefel und Kolben hammerten gegen die schwere Tur, doch war es ebenso rasch wieder still.
        Pascoe blickte seinen Gefahrten an.»Also, dann los!»
        Major Leroux reichte Bolitho ein kleines Taschenteleskop.»Viel werden Sie ja noch nicht sehen konnen, Sir.»
        Bolitho hob sich auf die Knie. Beine und Rucken schmerzten ihm von dem langen Marsch. Zwischen Felsbrocken und trockenem Heidekraut sah er das wei?e Lederzeug und die Kniehosen der Marine-Infanteristen, die in lockeren Gruppen keuchend dalagen.
        Himmel und Sterne wurden zweifellos schon bleicher. Doch Land und Horizont waren noch nicht zu unterscheiden; und nur am gelegentlich helleren Sand des Strandes konnte er ungefahr erkennen, wo sie waren: namlich an einem Abhang etwa auf gleicher Hohe mit dem Arm der Bucht. Durch das kleine Glas konnte er auch sehen, wo der Erdboden aufgerissen worden war, um Walle und Palisaden zu bauen; eine einzelne Laterne flackerte auf. Ihr Licht spielte uber zwei schwere Bodenstucke; wahrscheinlich Vier-undzwanzigpfunder, dachte er.
        Leroux hatte sich auf die Ellbogen gestutzt und sagte, einen Kieselstein lutschend:»Noch diesen steilen Hang hinunter und dann hoch zu der vordersten Palisade, Sir. Aber selbst wenn weiter hinten keine Verteidigungslinie mehr ist, konnten wir die Halfte unserer Leute bei der ersten Salve verlieren. «Er musterte seine erschopften Manner.»Das Bordleben nimmt ihnen die Ausdauer. Das ist eben keine Infanterie und auch kein Linienregiment.»
        Wutendes Hundegebell erscholl irgendwo in der Ferne. Ein neuer Tag begann.

«Heute mussen sie aber richtige Soldaten sein«, sagte Bolitho kurz.»Wir werden sofort angreifen, Major. Ehe die Trompete die Garnison weckt.»
        Die anderen Offiziere ruckten naher an sie heran. Er starrte unverwandt auf die See und die dunklen Umrisse der drei vor Anker liegenden Schiffe. Vielleicht konnten sie die Batterie doch noch ausschalten und sich dann zu irgendwelchen Booten durchkampfen. Alles wegen dieser Felsenrinne. Und wegen seiner blinden Ungeduld.

«Mr. Steere, Sie nehmen, was noch an Matrosen da ist, und versuchen den Strand zu erreichen. Mr. Luce geht mit Ihnen. «Er nickte Leroux zu.»Also weiter. Wir schlagen am besten gleich los.»
        Leroux fa?te seinen Sergeanten am Arm. Der zuckte zusammen wie von einer Kugel getroffen.»Sergeant Gritton, geben Sie durch: Bajonette aufpflanzen. Inspizieren Sie jeden Mann. Auf mein Signal: ganze Linie Attacke. Laufschritt marsch.»
        Der Sergeant setzte seinen Hut fester auf.»Jawohl, Sir. «Er war so unbewegt, als hatte er den Befehl bekommen, seine Stiefel zu putzen.
        Am Abhang ruhrte es sich, Stahl klang auf Stahl, die Bajonette schimmerten schwach. Bolitho zog seinen Degen und sagte gelassen:»Wir mussen moglichst viel Larm machen. Das ist jetzt unsere beste Chance.»
        Er fuhr herum: ein einzelner Schu? krachte, sein Echo wurde von den Hugeln zuruckgeworfen.
        Einen Moment dachte er, ein Wachtposten hatte seine Truppe gesichtet, und sie waren vor dem Angriff ausmanovriert.

«Da unten, Sir«, rief Nepean,»da habe ich Mundungsfeuer gesehen. Ein Mann ist gefallen, glaube ich.»
        Gedampfte Rufe; die einzelne Laterne bewegte sich hinter den Wallen der Batterie, wie von einem Gespenst getragen.

«Das ist kein Signal, bei Gott«, murmelte Leroux.»Da mu? ein Verruckter am Werk sein. Verdammt, sehen Sie blo?, wie die durcheinanderrennen! Mit dem Uberraschungsmoment ist es vorbei«, schlo? er bitter. Sogar ohne Teleskop konnte Bolitho das Gerenne bei der Batterie sehen: helle Gestalten, anscheinend blo? halb bekleidet, von diesem mysteriosen Schu? aus dem Schlaf gerissen.»Die beste Gelegenheit, Major«, erwiderte er heiser. Er sprang auf und schwenkte seinen Hut zu den erstaunten MarineInfanteristen.»Folgt mir, Jungs!«Gallebitter stieg der Irrsinn in seiner Kehle hoch; so wild, als wolle es ausbrechen, schlug sein Herz gegen die Rippen.
        Ein Laut wie ein Grollen kam von den Mannern, sie rappelten sich auf, die Bajonette richteten sich auf die Batterie, und Leroux brullte:»Zur Attacke - marsch!»
        Den Abhang hinunter rennend, dabei schreiend wie die Irren, verga?en die Seesoldaten bald den Befehl, nicht zu schnell vorzugehen. Sie sturmten uber Gras und Steine, und die schwankenden Bajonette glitzerten jetzt heller, denn ein schwacher Morgenschimmer lag bereits uber der Bucht.
        Hier und da sturzte ein Mann, doch nur, um wieder aufzuspringen, seine Muskete zu packen und abermals zu seinen brullenden, schreienden Kameraden aufzuschlie?en.
        Bolitho horte ein paar Schusse; doch wer sie abfeuerte und wem sie galten, wu?te er nicht. Er wu?te nur, da? sich das Tempo kaum noch halten lie?, denn jetzt ging es nicht mehr abwarts, sondern bergauf.»Schneller!«keuchte er.»Die Palisaden!»
        Von oben krachte es ein paarmal; ein Mann fiel und rollte gurgelnd den Abhang hinunter.
        Einige Seesoldaten waren zuruckgeblieben, knieten jetzt und zielten uber die Kopfe ihrer Kameraden hinweg. Eine Kugel sauste Bolitho am Kopf vorbei, ein Todesschrei ertonte vom Wall uber ihm.

«Da ist ein Weg!«schrie Leroux.»Sergeant Gritton! Dort hinauf!»
        Kugeln schlugen jetzt von beiden Seiten in die Palisade, und wie aus weiter Ferne horte Bolitho den fordernden Ton eines Trompetensignals.
        Sie mu?ten diesen Wall erreichen und einnehmen, ehe der Feind Unterstutzung aus dem Lager bekam. Inzwischen hatten sie alle gehort, da? Pferde da waren. Griff erst Kavallerie an, wurde sie die erschopften Marine-Infanteristen auseinandertreiben und in Stucke hauen.
        Bolitho fiel beinahe uber einen Soldaten, der quer in einem Tor lag; ein brullender Seesoldat an der Spitze der vordersten Gruppe stie? ihn beiseite. Der Kopf schwirrte ihm, aber trotzdem registrierte er die seltsame Tatsache, da? das Tor offen und der Soldat tot war.
        Ein paar Stufen hinauf, um eine Ecke, und dann sah er ein halbes Dutzend Spanier, die mit Waffen und Fausten gegen eine breite Tur hammerten - anscheinend bemerkten sie die ansturmende MarineInfanterie gar nicht. Doch dann drehte sich einer um, und der ganze Haufe wandte sich von der Tur ab, rannte auf den halbfertigen Wall zu und versuchte hinuberzuklettern.
        Johlend wie die Teufel fuhren die Marine - Infanteristen zwischen sie; Bajonette stie?en zu, die schrecklichen Todesschreie gingen in dem wusten Kampfgebrull unter.

«Hurra, die Marine!«schrie Bolitho.»Halten Sie sie um Gottes willen auf, Major Leroux! Wir mussen durch diese Tur!»
        Schusse krachten von der Batterie her, einige Seesoldaten fielen um sich schlagend zu Boden, andere eilten die Stufen empor; doch da sie bald von Nachdrangenden eingekeilt werden mu?ten, bestand die Gefahr, da? sie wehrlos von versteckten Scharfschutzen abgeknallt wurden.
        Jetzt stand Sergeant Gritton mit einer gro?en Axt vor dem Turrahmen und fuhrte krachende Schlage gegen das eisenbeschlagene
        Holz.
        Leroux feuerte seine Pistole ab und gab sie seiner Ordonnanz zum Neuladen; ein Korper fiel uber die Brustwehr zwischen die brullenden Seesoldaten.

«Er kriegt sie nicht rechtzeitig auf!»
        Er scho? seine zweite Pistole ab und fluchte, als die Kugel als Querschlager fehlging.

«Los, Jungs!«brullte Gritton.»Sie gibt nach!»
        Bolitho drangte sich durch die aneinandergepre?ten Manner. Er hatte gemerkt, da? die Tur nach innen aufging, und zwar nicht wegen der Axthiebe, und da? seine Manner im nachsten Moment von einer Kartatschenladung zerfetzt werden konnten.

«Schie?t, Jungs!«brullte Gritton.»Drauf auf die Hunde!»
        Da erscholl eine andere Stimme, lauter selbst als die Grittons:»Achtung, Sergeant! Feuer einstellen, verdammt!»
        Bolitho wurde von den Vorsturmenden mit durch die Tur gerissen, und als sie hurra schreiend in einen roh behauenen Gang rannten, starrte er zwei Gestalten an, die sich scharf im Licht einer einzelnen Laterne abhoben.

«Der eine ist von uns«, keuchte Leroux.»Schie?en Sie auf den anderen, den Soldaten, Gritton!»
        Aber der» Soldat «warf seine Muskete weg; zwei Seesoldaten packten seine Arme, da rief er heiser:»Ich bin's!»
        Bolitho stie? die Manner beiseite und packte den Jungen an beiden Schultern.»Ich mu? traumen!»

«Dann traumen auch wir, Sir!«rief Allday.
        Leroux stand wieder neben ihm.»Hier ist das Magazin, Sir!«Er starrte Pascoe in das fleckige Gesicht.»Haben Sie… Ich meine, wollten Sie…»

«Wir hatten vor, das Magazin in die Luft zu sprengen«, entgegnete Pascoe heiser. Der spanische Kommandeur wu?te, da? ein Schiff kommt. «Hilfesuchend sah er Allday an; plotzlich hatte ihn alle Kraft verlassen.»Und das konnte doch nur die Lysander sein.»
        Allday nickte und grinste dabei uber das ganze schmutzige Gesicht.»Aber da? wir an diesem schonen Morgen unsere >Bullen< zu sehen kriegen wurden - das konnten wir nicht wissen.»
        Bolitho versuchte, seine durcheinanderwirbelnden Gedanken zu ordnen. Vielleicht war es doch schon zu spat, etwas zu unternehmen. Aber nun sah es nicht mehr so schwarz, so vollig unmoglich aus wie vor ein paar Augenblicken.

«Major, greifen Sie mit Ihrer Abteilung die Batterie an. Die Scharfschutzen sollen besonders sorgfaltig zielen, doch ich glaube, Sie werden auf keinen gro?en Widerstand sto?en. Die werden nicht so wild darauf sein, auf uns hierzu schie?en und sich selbst die Holle zu bereiten. «Er sah Pascoe und Allday an.»Wozu ihr beiden aber durchaus bereit wart.»

«Eins noch, Sir«, sagte Allday.»Auf der anderen Seite, nach See zu, steht noch eine zweite Batterie. Ich glaube zwar, das hier ist das einzige Magazin, aber.»
        Er brach ab, denn eine Detonation erschutterte den Gang. Auch Hurrageschrei war zu horen und zerstreutes Musketenfeuer.
        Bolitho nickte.»Das war ein Schu? von der anderen Batterie, denke ich. «Er rannte hinter den Marine-Infanteristen her; Pascoe wollte ihm folgen, doch er sagte: Nein, Adam. Du hast bisher den Lowenanteil getragen. Bleib hier bei den Verwundeten, bis ich wei?, wie es weitergeht.»
        Wahrend er durch den schwach erleuchteten Gang lief, vorbei an gro?en Fassern mit Pulver und Munition, an Tragegestellen, mit denen die Kanonenkugeln zur Feueresse transportiert worden waren, uberdachte er das Geschehene. Pascoe und Allday lebten noch. Nicht nur das; sie waren hier, bei ihm. Doch wie sie es geschafft hatten, konnte er sich nicht erklaren. Hatte er an dem Steilhang den Ruckzug angetreten, oder ware er nur ein paar Minuten spater eingetroffen, dann hatten sie Magazin und Batterie in die Luft gesprengt und sich mit. Und zwar ohne Rucksicht auf das eigene Leben, ohne auch nur abzuwarten, ob tatsachlich ein Schiff in die Bucht segelte! Sie hatten damit gerechnet, da? es die Lysander sein wurde, und das war ihnen genug.
        Wieder ein lautes Krachen, Staub rieselte von der abgestutzten Decke; aber Bolitho nahm sich Zeit, den Degen in die Scheide zu stecken und sich zusammenzurei?en, denn Leroux, ohne Hut, mit Blut uberm Auge, kam ein paar Stufen herabgelaufen und rief:»Die Lysander ist in Sicht, Sir. Die andere Batterie hat das Feuer eroffnet, aber diese hier hat sich ergeben. «Er seufzte schwer.»Horen Sie nur meine Jungs! Dieses Hurra ist Belohnung genug.»
        Wieder ein krachender Abschu?; Bolitho zuckte zusammen.»Drehen Sie eins der Geschutze um und zielen Sie auf die andere Batterie. Hei?e Kugeln werden wohl auch noch da sein.»
        Frisch schlug Bolitho drau?en die Salzluft ins Gesicht. Hurra rufend sturmten die Seesoldaten uber die Walle und feuerten im Laufen auf die andere Batterie. Bolitho kummerte sich nicht um die vorbeipfeifenden Kugeln, er starrte nur auf die hohe Segelpyramide, die aus dem Meere selbst aufzusteigen schien.
        Der Vierundsiebziger glitt ganz langsam in die Bucht hinein; der Rumpf lag noch im Schatten. Herrick kam, er hatte es ja gewu?t. Keine Batterie der Welt konnte ihn daran hindern, den Angriff planma?ig auszufuhren, oder ihn von dem Versuch abhalten, wenigstens die Landeabteilung zu retten.
        Ein Kanonenschu? krachte von der Batterie; Bolitho knirschte mit den Zahnen, denn eine hohe Wassersaule stieg nahe am Rumpf seines Schiffes auf. Zu nahe!

«Treiben Sie Ihre Manner an, Major! Die See ist unser einziger Ausweg, sagen Sie ihnen das!»



        VI Angriff im Morgengrauen


«Kurs Nordost liegt an, Sir!«meldete der Ruderganger halblaut.

«Recht so. «Ruhelos ging Herrick zur Luvseite des Achterdecks hinuber und spahte zum Land.
        Als er sich wieder umwandte und das Hauptbatteriedeck musterte, stellte er fest, da? er einige Geschutzbedienungen schon ganz deutlich erkennen konnte, obwohl es auf den ersten Blick noch so dunkel schien wie zuvor.
        Er ging nach achtern, wo Grubb beim Ruder stand, mit Plow-man, seinem besten Steuermannsmaaten, neben sich.

«Jetzt mu?te bald ein Signal kommen, Mr. Grubb.»
        Er hatte lieber schweigen und seine Nervositat verbergen sollen. Aber die vorsichtige Annaherung der Lysander an das im Dunkel liegende Land dauerte so endlos lange. Ebenso gespannt wie er waren die Manner bei den Kanonen, auch die an den Brassen und Schoten - vielleicht kam im letzten Moment noch der Befehl zum Halsen.
        Ab und zu horte er auch aus den Rusten des Vorschiffs den Ruf des Lotgasten und das Klatschen, wenn er das Lot wieder auswarf. Da? sie ihr Angriffsziel verfehlten, war ausgeschlossen. Bei dem stetigen Wind, der von backbord achtern kam, bei der Wassertiefe, die mit den Angaben auf der Karte ubereinstimmte, und au?erdem dank Grubbs Ortskenntnis war kein Zweifel moglich.
        Der Master sah noch formloser aus als sonst; er hatte die Arme tief in den Falten seines schweren Mantels versteckt.

«Mr. Plowman hat mir nochmals versichert, Sir, da? er die Landeabteilung auf den richtigen Weg gebracht hat. Es gab keinen Alarm - nicht ein Schnurrbarthaar von einem Don war zu sehen. «Er schuttelte den Kopf und schlo? finster:»Sie haben ganz recht, Sir. Das Signal mu?te langst gegeben worden sein.»
        Widerstrebend ging Herrick wieder nach vorn zum Fu?e des machtigen Gro?mastes, wo Fitz-Clarence stand und das Hauptbatteriedeck im Auge behielt.

«Zu verdammt ruhig alles, «sagte Herrick. Er versuchte, sich vorzustellen, was mit Bolitho und den Marine - Infanteristen geschehen konnte. Vielleicht hatten sie sich versteckt, vielleicht waren sie gefangen oder sogar schon tot.
        Fitz-Clarence wandte sich um und sah ihn an.»Es wird schon heller, Sir. Viel heller. «Er hob den Arm und deutete zum Land.
        Auch ohne den Hinweis hatte Herrick bemerkt, da? die sie umgebende Dunkelheit sich etwas lichtete; sogar ein bogenformiges Stuck sandigen Strand konnte er erkennen und die Brandung am Fu? der Klippen. Die Lysander stand sehr dicht unter der Kuste, aber die Wassertiefe reichte aus. Zu jeder anderen Zeit ware es der perfekte Anmarsch zum Angriff gewesen, unter idealen Bedingungen, wie sie sonst selten vorhanden waren.

«Zehn Faden!»

«Der Landarm mu? ganz dicht an Steuerbord voraus liegen, Sir«, murmelte Grubb bestatigend und hustete tief in der Kehle.»In 'ner halben Stunde konnen wir hinspucken.»
        Unter der Achterdecksreling lachte ein Matrose kurz auf, und der Stuckfuhrer wies ihn mit einem Schimpfwort zur Ruhe.
        Die Matrosen waren seit dem vorigen Abend in den Quartieren gewesen; sie hatten gesehen, wie die Boote abgefiert wurden und sich auf die Fahrt zur Kuste machten. Dort unten, und noch mehr in den Tiefen des unteren Batteriedecks tauschten sie sicherlich flusternd ihre Zweifel aus und machten Witze uber die Vorsicht ihres Kommandanten. Doch was wurden sie sagen, wenn er das Schiff verlor, und sie mit?

«Schade, da? die Verbindung zur Harebell abgerissen ist, Sir«, bemerkte Fitz-Clarence.
        Herrick fuhr ihn an:»Kummern Sie sich um Ihren Dienst, Mr. Fitz-Clarence!»
        Es war vielleicht nur eine beilaufige Bemerkung gewesen. Oder wollte der Leutnant damit andeuten, da? es - wenn Herrick schon zu angstlich war, sich so oder so zu entscheiden, besser gewesen ware, die kleine Schaluppe den ersten Zug machen zu lassen?
        Er tat ein paar Schritte das schragliegende Deck hinan und spurte, da? die Geschutzbedienungen ihm nachsahen, als er vorbeiging. Jedes Geschutz stand geladen und schu?bereit hinter seiner geschlossenen Stuckpforte. Entersabel und Beile waren am Schleifstein auf dem Hauptdeck gescharft worden. Herrick kam es vor, als sei das schon tagelang her.
        Er sah Leutnant Veiten, der die obere Batterie von Achtzehn-pfundern befehligte, am Niedergang lehnen und mit seinen beiden Midshipmen reden. Vielleicht machte ihnen die ganze Sache nicht viel aus. Jedenfalls wirkten sie wie immer. Dachten wohl, die Sorgen konnten sich andere machen. Wenn sich die Ereignisse ubersturzten und man nicht mehr nachdenken konnte, war es sowieso zu spat. Unruhig beobachtete Herrick, wie die erste Morgendammerung hinter dem Land aufstieg. Er hatte manches Seegefecht mitgemacht, hatte so vieles erlebt und kannte die Erlosung, zu den Uberlebenden zu gehoren. Aber einer solchen Spannung wie dieser war er nicht gewachsen.
        Uber dem noch tief verschatteten Deck horte er Marssegel und Kluver killen und sich dann hungrig wieder mit Wind fullen. Die Bramsegel weiter oben zogen gut; der Ausguck im Masttopp mochte wohl in der kuhlen feuchten Morgenluft frieren; jedenfalls sah es so aus, als ob er die Beine zusammenschlug.
        Herrick schritt zur anderen Seite des Decks, das ohne die MarineInfanteristen seltsam geraumig wirkte. Er versuchte, sich jeden einzelnen seiner Offiziere vorzustellen, von Fitz-Clarence mit seiner redseligen, falschen Selbstsicherheit bis zu Leutnant Kipling vom unteren Batteriedeck und zu Veitch, der au?erlich gelassen bei seinen Mannern unter den bauchigen Segeln stand. Gilchrist und Leutnant Steere waren mit an Land; da war er sowieso knapp an Offizieren. Und die zuruckgebliebenen bildeten noch keine Einheit; wie ihre Kanoniere sich unter feindlichem Feuer bewahren wurden, mu?te sich erst noch herausstellen.

«Siebzehn Faden!»

«Einen Strich anluven, Mr. Grubb!«sagte Herrick.»Aye, aye, Sir.»
        Die Manner rannten zu den Brassen, doch Herrick horte nicht auf das eilige Trappeln ihrer nackten Fu?e. Er hatte eine Vorentsche i-dung getroffen, aber es war immer noch Zeit, sie zu andern. Er dachte an das Geschwader und besonders an Captain Farquhar. Farquhar hatte seine Instruktionen: Mit dem anderen Zweidecker und der Buzzard als Flankenschutz wurde er ihnen auf ein Signal hin sofort zu Hilfe kommen. Dazu mu?te es allerdings so hell sein, da? sie Verbindung mit der Harebell herstellen konnten. Herrick schuttelte sich, plotzlich deprimiert: Das alles brauchte so viel Zeit. Zu viel Zeit. Bolitho und sein Landekommando hatten nicht wie vorgesehen signalisiert. Die Lysander ohne Nachricht von der Kuste und ohne Unterstutzung vor die Batterie in der Bucht zu segeln, war purer Wahnsinn. Bolitho selbst hatte das ganz klar gesagt.

«Kurs Nordost zu Nord liegt an, Sir.»

«Recht so.»
        Wieder dachte Herrick an Farquhar. Nur zu gern hatte er ihn um Hilfe ersucht. Doch dieser mu?te ihn verachten, wenn er jetzt nicht zu einer selbstandigen Entscheidung kam. Schlie?lich war er der Flaggkapitan. Wie sauer ihm dieser Rang doch wurde!

«Wir laufen in die Bucht ein, Mr. Grubb«, sagte Herrick langsam mit einem Blick auf Fitz-Clarences gestraffte Schultern.»Sie konnen die Backbordbatterien ausfahren lassen!»
        Die Pfeifen schrillten durch die Decks, die Backbordpforten wurden aufgezogen, Herrick vernahm gedampftes Hurra, und mit Kreischen und Quietschen rumpelten die Kanonenrohre der Lysander ins Freie. Herrick versuchte, sich zu sammeln, und sah im Geiste Bolithos gelassenes Gesicht vor sich.

«Backbordbatterie ausgerannt, Sir«, meldete Fitz-Clarence. Es klang wenig begeistert.

«Danke. Geben Sie zu den Karronaden im Vorschiff durch: Feuer erst auf mein Kommando. Es ist immer schwierig, ein Ziel an Land zu treffen…«Er brach ab, weil der Leutnant ihn so merkwurdig anstarrte.»Wie Sie selbst noch merken werden«, schlo? er.
        Die Lysander holte unter dem Druck der starken Besegelung ziemlich stark uber, doch Herrick wu?te aus Erfahrung, da? es besser war, unter diesen Umstanden so beweglich wie moglich zu bleiben. Kein Schiff konnte jemals einer gut plazierten Kustenbatterie uberlegen sein: Es war, als wolle man einen Floh mit einer Feder totschlagen.
        Er ging zur Luvseite hinuber, hielt sich an den Finknetzen fest und beobachtete die Brandung unterhalb einiger Felsbrocken. Querab glitt der westliche Landarm der Bucht vorbei; und als der Bugspriet der Lysander den ersten dunnen Strahl des Morgenlichts aufspie?te wie eine Lanze, sah Herrick auch die Bucht und das Festland dahinter.

«Nord zu Ost, Mr. Grubb«, befahl er kurz. Er spurte Grubbs schweigenden Protest in seinem Rucken, doch er konzentrierte sich auf die Breite und Tiefe der kleinen Bucht. Vielleicht war sie leer, und sie alle hatten sich von Anfang an geirrt.
        Als die Rahen herumgeholt waren und die Segel den Wind wieder hielten, schritt Herrick nach achtern zum Kompa?. Gespannt sahen ihm beide Ruderganger zu, wie er den Kurs prufte und sich dann umwandte, um die Stellung jedes einzelnen Segels zu inspizieren.

«Nord zu Ost liegt an, Sir.«»Recht so.»
        Herrick spahte zu den gro?en Segeln empor - sie begannen bereits zu killen. Die Rahen waren so dichtgeholt wie nur moglich. Das Schiff mu?te trotz des Segeldrucks Fahrt verlieren. Aber so hatte er wenigstens ein Maximum an Zeit und Seeraum zur Verfugung.

«An Deck! Musketenfeuer Backbord voraus!«Eine Pause, dann meldete der Ausguck im Fockmast:»Schiffe vor Anker in der
        Bucht! Drei Schiffe, Sir!»
        Plotzlich donnerte an Land ein schweres Geschutz, und mehrere Manner schrien erschrocken auf. Mit angehaltenem Atem zahlte Herrick die Sekunden, bis die Kugel vorbeijaulte und laut klatschend ziemlich weit von der jenseitigen Bordwand entfernt ins Wasser schlug.

«Einen Strich abfallen, Mr. Grubb!»
        Das Rudergeschirr knarrte, die Bramsegel reagierten laut schlagend, der Bugspriet schwang langsam herum und zeigte jetzt auf die weit vorgeschobene Spitze des anderen Landarmes der Bucht.
        Es krachte wieder. Herrick wunderte sich, da? er jetzt ein Stuck des hellen Strandes hinter den ankernden Schiffen sehen konnte. Und ein paar rennende Gestalten, klein wie Insekten.
        Es gab ein gro?es Geschrei, denn die Kugel schlug dicht vorm Bug ins Meer und hullte das Vorderkastell in einen Vorhang aus Spruhwasser.»Gut gezielt«, bemerkte Plowman kuhl.

«Die warten also schon auf uns«, sagte Grubb.»Sie mussen die ganze Zeit Bescheid gewu?t haben.»

«Da! Das Schiff!«schrie Fitz-Clarence.»Es versucht auszulaufen!»
        Deprimiert wischte sich Herrick die Stirn. Alles lief verkehrt. Nicht einmal der Uberraschungsvorteil war ihm geblieben. Ihm wurde beinahe ubel.

«Eine Brigg, Sir!«brullte der junge Saxby.»Sie hat das Ankertau gekappt!»
        Herrick sah die helle Leinwand von Fock und Kluver sich entfalten, sah den Umri? sich verkurzen, als die Brigg vom Anker freikam und die offene See ansteuerte. Derselbe Wind, der die Lysan-der an die fatalen Wassersaulen der Gescho?einschlage heranfuhrte, brachte die Brigg in Sicherheit.
        Herrick zog den Degen und schritt rasch zur Achterdecksreling. Seine Verbitterung und Sorge, seine Angst um Bolitho und das Mi?trauen in seine eigenen Fahigkeiten waren schlimmer denn je.»Mr. Veitch, Feuer frei! Stoppen Sie die Brigg!»
        Der Leutnant erwachte aus seiner Erstarrung und schrie:»Geschutzfuhrer! Im Hochkommen schie?en!«Er duckte sich hinter einen seiner Achtzehnpfunder und spahte durch die Stuckpforte.

«Feuer!»
        Die ganze Batterie spuckte in einer langen, unregelma?igen Salve Feuer und Rauch. Als der Qualm durch die Pforten zuruckrollte und die Geschutzbedienungen Schwabber und Putzstangen in Aktion setzten, sah er, da? die See um die Brigg mit gro?en wei?en Schaumkreisen gesprenkelt war.
        Die Lafetten quietschten, die Achtzehnpfunder wurden das krangende Deck hinangeschoben und stie?en die Rohre wieder durch die Pforten. Ein Stuckfuhrer nach dem anderen hob die Hand, und Veitch kommandierte von neuem:»Feuer!»
        Wieder ein langgezogener Kanonendonner: die hellen, gelbroten Feuerzungen leckten aus dem Rumpf, die schweren Kugeln hupften uber die Wellenkamme und warfen Wasserschleier hoch. Als der Rauch sich verzogen hatte, sah Herrick, da? der Gro?mast der Brigg nicht mehr stand und da? sie manovrierunfahig dahintrieb, das Deck ein einziges Chaos.

«Feuer einstellen!«schrie er.»Mr. Fitz-Clarence, beide Kutter klar zum Aussetzen! Er rieb sich die Augen, denn wieder trieb eine Wolke stechenden Pulverqualms ubers Deck.»Sie ubernehmen das Kommando!«Er packte den Leutnant beim Arm und zog ihn an die Netze.»Das mittlere Schiff ist ein Transporter. Hat machtigen Tiefgang. Holen Sie's raus, bevor sie es versenken konnen. Wenn Sie aber auf zu starken Widerstand sto?en, ziehen Sie sich zuruck; ich schie?e es dann zusammen, wenn wir passieren.
«Er schob ihn zur Leiter und rief:»Mr. Veitch, Segel wegnehmen! Geien Sie die Bramsegel auf!»
        Grubb sah hoch: eine Kugel klatschte durch das Gro?marssegel und ri? ein Loch, so gro?, da? ein Mann hatte durchschlupfen konnen.

«Allmachtiger!«sagte er.
        Herrick schritt uber das Deck; sein Hirn verarbeitete die jeweils veranderte Lage: Als der Segeldruck sich verminderte und damit die Neigung des Schiffs, wurden die beiden Kutter uber Bord ge-fiert. Manner sprangen hinein, Entersabel und Musketen hoch in den Handen, andere legten die Riemen aus und stie?en von der Bordwand ab.
        Wieder krachte es von Land her, und eine Kugel flog jaulend durch die Luvwanten; ein Matrose kam von oben und lag keuchend in den Schutznetzen, die uber Deck gespannt waren, um die Kanoniere vor fallenden Spieren und dergleichen zu schutzen.
        Wie schnell das Licht zunahm und es in der Bucht hell wurde! Herrick hatte den davonstrebenden Booten nachgesehen und eilte jetzt an die Heckreling. Schon konnte er die Batterie auf dem Vorland erkennen; eine fedrige Rauchwolke stand daruber. Bald mu?te er halsen und in die Bucht zuruck, um die Enterabteilung in ihren Booten zu decken.
        Unter Marssegeln, Fock und Kluver machte die Lysander nur wenig Fahrt - ein ideales Ziel fur die Kustenbatterie.»Wir mussen bald vom Land weghalten«, sagte er. Von irgendwoher ertonte ein Schrei, doch er verschlo? das Gehor davor.»Wir haben getan, was wir konnten.»
        Wieder hupften zwei Kugeln uber das blaue Wasser wie ein Paar springender Delphine. Eine peitschte mitten zwischen den wild pullenden Kuttern durch, die andere schmetterte dicht neben dem Vordersteven in den Rumpf der Lysander.
        Herrick beobachtete die beiden Kutter. Der eine hatte bereits den schweren Transporter erreicht; der andere we chselte noch Schusse mit einer Gruppe Matrosen auf dem feindlichen Achterdeck.
        Er mu?te auch die Boote zuruckrufen. Das ganze Unternehmen war ein einziger Fehlschlag. Schon wandte er sich an Midshipman Saxby, der bei den Signalgasten stand; da horte er einen Mann unglaubig ausrufen:»Sir! Auf der anderen Batterie, sehen Sie!»
        Von den Rahen und den beiden Batteriedecks kamen Hurrarufe, und als Herrick zum dunnen Fahnenmast uber der Batterie starrte, sah er eine Flagge hochsteigen: dieselbe, welche die Lysander fuhrte!

«Ich sehe was Rotes«, murmelte Grubb.»Die verdammten Bullen sind also doch durchgekommen!»
        Dann gingen alle Kommentare im Donner einer gewaltigen Explosion unter. Der Schall rollte vom Vorland zu ihnen herab, die Druckwelle lie? Felsbrocken und andere Trummer auf den Strand regnen und ri? einige Soldaten um, welche die Kustenbatterie von unten ersturmen wollten.
        Herrick versuchte, sein breites Grinsen zu unterdrucken.»Beidrehen, Mr. Veitch!«Er nickte heftig.»Ja, Sie! Auf einem Kriegsschiff kann man schnell befordert werden!»
        Er deutete auf den Transporter. Die Explosion der zweiten Batterie hatte auch dort jeden Widerstand zunichte gemacht, und er konnte sehen, wie Fitz-Clarences Manner uber das Deck schwarmten; die spanische Flagge wurde niedergeholt. Lediglich die zweite Brigg war rechtzeitig freigekommen, ihre Segel fullten sich, mit hochster Fahrt versuchte sie, der Zerstorung zu entgehen. Herrick beobachtete sie gelassen. Die Harebell wird sich ihrer annehmen, dachte er.
        Mit losen, donnernden Segeln ging die Lysander in den Wind. An Land schwiegen die Musketen und Kanonen, nur Leichen und Trummer zeugten noch von der Wildheit des Kampfes.

«Mehr Boote aussetzen!«Herrick schatzte die Stromung in der Bucht ab.»Wir mussen vielleicht ankern, aber ich will die Landeabteilung bis auf den letzten Mann an Bord geholt haben!»
        Da schrie Saxby:»Der Kommodore kommt den Strand entlang, Sir!«Er hupfte vor Aufregung.»Und da sind auch die Seesoldaten!»
        Herrick packte die Reling und beobachtete den ungeordneten Marsch beinahe ehrfurchtig. Da stand Leutnant Steere bis zum Gurtel im Wasser bei einem Boot, das seine Manner irgendwo aufgetrieben haben mu?ten. Verwundete wurden hineingetragen; die beiden Kutter eilten von dem eroberten Schiff herbei, um zu helfen.
        Grubb schob sich neben ihn.»Daran haben die Dons 'ne Weile zu kauen, Sir!»
        Herrick nickte. Ein Schiff versenkt, ein gro?eres gekapert, die Kustenbatterien zerstort. Er fuhr auf.»Mr. Saxby! Geben Sie mir Ihr Glas!«Grubb starrte ihn an. Sir?»
        Herrick reichte ihm das Glas und sagte ruhig:»Der Kommodore hat seinen Neffen bei sich.»
        Der Master stie? einen leisen Pfiff aus.»Und seinen Bootssteurer auch, bei Gott! Er schob das Teleskop mit einem Klicken zusammen.»Noch mehr Wunder an einem Tag waren zuviel fur mich!»
        Langsam schritt Herrick uber die Laufbrucke. Er konnte die Augen nicht von dem naherkommenden Boot abwenden. Das war eine knappe Sache gewesen, denn beinahe hatte er sich nicht entsche i-den konnen. Vielleicht hatte Grubb mit seinem Wunder doch recht.
        Er sah sich auf dem Achterdeck nach Veitch um.»Klar bei Fallreep zum Empfang des Kommodore!»
        Dann kletterte Bolitho durch die Pforte. Sein Gesicht war geschwarzt von fettigem Pulverqualm, aber er lachelte auf die alte Weise, die Herrick schon beinahe vergessen hatte.»Das war Ma?arbeit, Thomas«, sagte er.

«Beinahe hatte ich mich an Ihren Befehl gehalten, Sir«, erwiderte Herrick und grinste unsicher.»Aber dann uberlegte ich, was Sie an meiner Stelle getan hatten.»
        Bolitho warf den Kopf zuruck und atmete tief. Es war tatsachlich knapp gewesen. Leroux hatte drei gluhende Kugeln in die andere Batterie gefeuert, und er hatte schon gedacht, der Feind wurde sich ergeben. Doch ein schlanker, fanatischer Offizier hatte sie zum Widerstand angefeuert, der Kommandeur des Lagers, wie Allday sagte. Der Spanier hatte auch erreicht, da? auf See gezielt weitergefeuert wurde, und mindestens zwei Kugeln, vielleicht auch mehr, hatten die Lysander getroffen.
        Und dann, als das Schiff schon hatte halsen wollen, um dem gnadenlosen Artilleriebeschu? zu entgehen, hatte eine von Leroux' gluhenden Kugeln den Pulvervorrat der Batterie getroffen, und damit war es vorbei. Bolitho hatte selbst gesehen, wie der spanische Hauptmann, den Sabel noch hoch uberm Kopf erhoben, von der Explosion in Stucke gerissen wurde.
        Er wandte sich um: Pascoe hinkte unter Hurrarufen und Gelachter durch die Fallreepspforte, ein paar Kanoniere drangten sich um ihn, schlugen ihm auf die Schultern und deuteten grinsend auf sein weinverschmiertes Gesicht.
        Herrick schuttelte den Kopf.»Und ich war schon im Zweifel, ob wir es schaffen wurden, Sir.»
        Bolitho sah ihn ernst an.»Mit solchen Mannern kann man ziemlich alles schaffen, Thomas.»
        Allday kam heran; vorsichtig mieden seine nackten, schmerzenden Fu?e Ringbolzen und Geschutzzuge. Bolitho schnallte seinen blutverschmierten Degen ab und reichte ihn ihm.»Hier, Allday; ich komme gleich nach unten.»

«Aye, Sir.»

«Und ich wurde es ubelnehmen, falls meine Weinkaraffe noch voll ist, wenn ich nachsehen komme. «Voller Zuneigung blickte er Allday in die Augen.»Gott sei Dank, da? Sie in Sicherheit sind.»
        Herrick wartete, bis Allday im Kajutenniedergang verschwunden war, und sagte dann: Es ist das erste Mal, seit ich mich erinnern kann, da? es ihm die Antwort verschlagen hat, Sir.»
        Bolitho sah zu, wie die Marine-Infanteristen durch die Pforte kletterten, soweit sie nicht hinaufgetragen werden mu?ten - manche benommen, manche unter Schmerzen, manche nur einfach froh, da? sie noch am Leben und heil waren. Auch seine eigene Euphorie schwand bei der Vorstellung, was Pascoe und Allday durchgemacht haben mu?ten.
        Er ri? sich aus seinen Gedanken.»Also, Captain Herrick, dann nehmen Sie die Boote wieder an Bord und signalisieren Sie unserer Prise, da? sie Anker lichten und in Lee von uns segeln soll. «Er schlug ihm leicht auf die Schulter, und sein Lacheln kam wieder.»Wir sto?en so schnell wie moglich zum Geschwader.»
        Wortlos wartete Bolitho, bis Herrick mit dem Studium der Karte fertig war. Durch das Heckfenster sah er den gekaperten Transporter schwer im Kielwasser der Lysander rollen und uberdachte zum hundertsten Male seine Entscheidung, ihn nicht als weitere Prise nach Gibraltar zu schicken.
        Herrick richtete sich auf und sah ihn an.»Ich bin Ihrer Ansicht, Sir. Nach unseren Berechnungen halten wir Kurs auf die Stra?e zwischen dem spanischen Festland und der Insel Ibiza. Wie mir Mr. Grubb versichert, liegt Kap San Antonio etwa funfundzwanzig Meilen an Backbord.»
        Bolitho beugte sich uber die Karte und studierte die Wassertiefen und Landmarken langs der spanischen Kuste. Zwei Tage war es her, da? Herrick in die Bucht gesegelt war, um die Landeabteilung herauszuholen; dann hatte er Inchs Harebell losgejagt, um die entkommene Brigg zu verfolgen. Doch entweder war die Brigg schneller, als sie ausgesehen hatte, oder Inch hatte die falsche Richtung eingeschlagen. Letzteres hielt er fur wahrscheinlicher.
        Unvermittelt sagte Herrick:»Ich begreife nicht, warum wir noch nicht auf das Geschwader gesto?en sind, Sir. «Unbewegt fuhr er nach einer Pause fort:»Captain Farquhar wei? doch ganz genau, da? wir unter Umstanden Unterstutzung brauchen.»
        Bolitho trat an das Heckfenster. Die Fock des spanischen Schiffes bauschte sich in dem unsteten Wind. Es war eine seltsame Beute: bis an die Decksplanken voll Munition, Pferden, Maultierfutter und genug Zelte, um eine ganze Armee unterzubringen. Ein Ratsel. Sie hie? Segura; und sobald sie klar von Land waren, hatte er ihren Kapitan holen lassen, einen untersetzten, hinterhaltig dreinblicken-den Mann, der offensichtlich verblufft war, als Bolitho ihm den Brief vorhielt, den Javals Leute auf dem gekaperten Schoner gefunden hatten.
        Der Spanier hatte in holprigem Englisch immer wieder versichert, da? er seinen endgultigen Bestimmungsort nicht kenne. Und in der Tat hatte sich in seiner Kajute kein Gegenbeweis gefunden; falls er nicht beim ersten Anzeichen von Gefahr seine Segelorder uber Bord geworfen hatte, dann tappte er ebenso im dunkeln wie Bolitho. Er machte auch nicht den Eindruck eines geschickten Lugners, sondern gab zu, da? er Auftrag gehabt hatte, seine Ladung zu einem Treffpunkt im Golf von Valencia zu bringen, wo er ein Geleit und vielleicht noch andere Transporter hatte treffen sollen, die unter Chartervertrag fur die Kriegsflotte fuhren. Er sei ein armer Seemann, der keine Lust habe, in den Krieg verwickelt zu werden. Nach dem spanischen Kommandeur, von dem er seine Ladung ubernommen hatte, unterstand sein Schiff den Franzosen. Es gab, so sagte der Kapitan, viele Schiffe uberall im Mittelmeer, welche die Franzosen zur Versorgung ihrer neuerrichteten Au?enposten gechartert hatten.
        Sollte Bolitho diese uberraschende Neuigkeit unbeachtet lassen? Wenn die Franzosen wirklich irgendwo einen solchen Treffpunkt festgelegt hatten, dann war es besser, das Geschwader neu zu formieren, bevor er zu neuen Aktionen in feindliche Gewasser aufbrach.
        Aber Farquhar war nicht da. Der Wind anderte sich nur wenig, so da? eigentlich nichts den Rest des Geschwaders hatte daran hindern sollen, mit dem Flaggschiff Kontakt aufzunehmen.

«Vielleicht hat Captain Farquhar Feindberuhrung gehabt«, sagte er.

«Vielleicht«, entgegnete Herrick zweifelnd.»Aber die Tatsache bleibt bestehen, Sir, da? die Harebell nicht zuruckgekommen ist, weder mit noch ohne Prise, und da? wir allein sind. Isoliert sogar.»
        Bolitho nickte.»Stimmt. Am besten bleiben wir auf dem gegenwartigen Kurs. Farquhar hat sich vielleicht aus triftigen Grunden entschlossen, erst kurz vor unserem endgultigen Bestimmungsort mit uns zusammenzutreffen. «Er fuhr mit dem Finger auf der Karte uber das Golfe du Lyon bezeichnete Gebiet.»Die Franzosen stochern da in einem Ameisennest herum, Thomas. Sie haben offenbar mehr vor als eine Invasion Englands. «Er fuhr mit dem Finger weiter zur afrikanischen Kuste.»Wahrscheinlich wird es eher hier sein.»
        Ihm fiel der Detonationsblitz auf den Wallen ein, als Leroux' Leute mit der gluhenden Kugel den feindlichen Pulvervorrat getroffen hatten. Wie hatte dieser Augenblick seine Manner verwandelt!
        Da hatte keiner mehr gezogert. Eben noch hatte der Angriff vollig hoffnungslos ausgesehen, und in der nachsten Sekunde sturmten sie vor und rissen alle mit.
        Die Nachricht von der Attacke mu?te inzwischen an hoherer Stelle angelangt sein. Sogar in Frankreich, trotz der Entfernung. Und dort mu?te man sich jetzt ernsthaft fragen, wozu dieses britische Geschwader eigentlich im Mittelmeer herumkroch.
        Bolitho schritt wieder nach achtern und starrte auf das spanische Schiff. Leutnant Fitz-Clarence war Prisenkommandant und geno? ohne Zweifel die unerwartete Beforderung sehr.

«Wenn die Harebell nicht heute oder morgen zuruckkommt, mussen wir sie aufgeben, furchte ich«, sagte Herrick und rieb sich das Kinn.»Das bedeutet, wir haben keine
>Augen< mehr. Dieser verdammte Javal«, rief er wutend,»ich wette, er ist hinter irgendeiner fetten Prise her, um sich die Taschen zu fullen!»
        Nachdenklich sah Bolitho ihn an.»Dem sei, wie ihm wolle. Oder vielleicht ist auch das ganze Geschwader vernichtet?«Lachelnd legte er Herrick die Hand auf den Arm. Das war nur ein Scherz, Thomas. Aber glauben Sie nicht, da? mir wohl bei der Geschichte ist!»
        Er wandte sich um, denn es klopfte. Es war Pascoe; in der sauberen Uniform sah er beinahe fremd aus.»Sie haben befohlen, Sir?»

«Ja. «Bolitho deutete auf einen Stuhl.»Hast du inzwischen ein bi?chen Zeit gehabt, um uber dein Abenteuer nachzudenken?«Die Augen des Jungen wurden dunkel und blickten in die Ferne.»Es konnte wichtig sein«, fugte Bolitho hinzu.
        Pascoe streckte die Beine aus.»Ich hatte den Eindruck, da? die Spanier bereit sind, ihre Alliierten in jeder Beziehung zu unterstutzen, au?er durch direkte Beteiligung am Kampf. Sie haben Galeerensklaven und Straflinge eingesetzt, jeden, der etwas heben und tragen kann, um Verteidigungsanlagen und Piers fur Schiffe aller Art zu bauen.»
        Lachelnd sah Bolitho die beiden an.»Da die Schiffe des Earl of St. Vincent Cadiz und die Biskayahafen bewachen, halte ich es fur unwahrscheinlich, da? all das Englands wegen geschieht. «Er nickte bestimmt.»Ich beabsichtige folgendes: weiter Kurs auf Toulon nehmen, wobei wir mit einigem Gluck auf unsere Schiffe sto?en werden. Dann sudostlich nach Sizilien; dort konnen wir Su?wasser ubernehmen und dabei diskret Informationen einholen. «Sein Lacheln verstarkte sich beim Anblick von Herricks zweifelndem Gesicht.»Ich wei?, Thomas, das Konigreich Beider Sizilien hat Frieden mit Frankreich. Doch daraus folgt noch nicht, da? es mit uns im Krieg ist, eh?»
        Er blickte zum offenen Skylight hin, denn der Ausguck rief:»An Deck! Segel an Backbord voraus!»
        Herrick stand auf.»Wenn Sie mich entschuldigen wollen, Sir?«Er grinste schuchtern. Ich glaube, es fallt Ihnen immer noch schwer, bei diesem Ruf nicht mit an Deck zu rennen!»
        Bolitho wartete, bis er gegangen war, und sagte dann:»Und du, Adam - tut dir immer noch alles weh?»
        Pascoe grinste.»Ich hatte nicht gedacht, da? auf einem einzigen Menschen so viele Beulen und Schrammen Platz haben.»
        Oben tappten Fu?e; Bolitho sah im Geiste, wie der Midshipman der Wache mit dem gro?ten Teleskop, das aufzutreiben war, in die Wanten gescheucht wurde. Anscheinend war es die Harebell, und allein. Auch gut. Wenn er noch eine Prise angebracht hatte, mochte der Admiral das zwar zu schatzen wissen; aber dafur die einzige Schaluppe des Geschwaders zu riskieren, das lohnte sich nicht.

«Ich wurde gern etwas fragen, Sir«, sagte Pascoe leise.
        Bolitho sah ihn forschend an. Der Junge wirkte entschlossen, aber auch nervos.»Du hast dir das Recht erworben, zu fragen, was du willst.»
        Pascoe erwiderte sein Lacheln nicht.»Diese Dame, Onkel, Catherine Pareja. Mit der du in London - «, er zogerte - ,»zusammen warst.»

«Ja? Was ist mit ihr?»

«Ich meine nur. War sie bei dir zu Hause? In Falmouth?»
        Langsam schuttelte Bolitho den Kopf. Er sah Kathys Gesicht wieder vor sich, fuhlte ihre Warme, ihr Begehren.»Nein, Adam. Nicht in Falmouth.»
        Pascoe leckte sich die trockenen Lippen.»Es ist nicht meine Absicht, in deinen Privatangelegenheiten herumzuschnuffeln, aber.»

«Schon gut. «Bolitho kam uber den karierten Bodenbelag zu ihm und fa?te ihn bei der Schulter.»Es ist dir ernst damit, das sehe ich. Aber auch meine Gefuhle bedeuten mir eine ganze Menge.»
        Mit einer Kopfbewegung schleuderte sich Pascoe das Haar aus den Augen und lachelte.»Selbstverstandlich. Ich verstehe schon. «Wieder zogerte er.»Ich mochte sie. Deswegen.»
        Bolitho sah ihn ernst an.»Deswegen hast du dich geschlagen. Fur mich.»

«Ja.»
        Bolitho ging zum Schreibtisch und nahm den abgebrochenen Degen heraus.»Hier. Mir war er ein Trost, als alle dachten, du seist tot. «Adam hielt ihn in der Hand, als sei er rotgluhend.»Aber spare dir deine Kraft auf fur den Feind, nicht fur irgend jemanden, der versucht, dich mit Worten zu verwunden.»
        Er wandte sich um, denn er horte eilende Schritte auf dem Niedergang, und gleich darauf kam Luce, anscheinend Midshipman der Wache, und meldete:»Captain Herrick la?t respektvoll melden, Sir: die Harrebell ist in Sicht und wird in einer halben Stunde auf Signaldistanz sein. «Neugierig flogen seine Augen zu Pascoe hinuber. Kein weiteres Segel in Sicht, Sir.»

«Danke, Mr. Luce. «Bolitho verglich die beiden. Pascoe war hochstens ein Jahr alter als Luce. Er war froh, da? die beiden jungen Manner in der uberfullten, oftmals herzlosen Welt eines Linienschiffes Freunde geworden waren.»Meinen Dank an Kapitan Herrick.»
        Es drangte ihn, an Deck zu gehen, notigenfalls sogar aufzuentern - trotz seines Abscheus vor der Hohe - , um selbst zu sehen, was mit Inch und seiner uberfalligen Schaluppe los war. Er seufzte. Da war nichts zu machen. Solange sein Kommodorestander uber diesem oder einem anderen Schiff wehte, war er zur Unbeweglichkeit verdammt und mu?te seine Krafte fur Aufgaben sparen, die uber die Schiffsfuhrung hinausgingen.
        Die jungen Leute sahen ihn an, und Pascoe fragte:»Darf ich mit Mr. Luce an Deck?»

«Naturlich. «Er blickte den beiden nach. Nichts hatte sich geandert.
        Er hatte soeben den Bericht uber die Landeaktion beendet, als Herrick wieder in die Kajute kam, lachelnd und offensichtlich erleichtert.

«Die Harebell hat signalisiert, Sir: zwei Segel in Nordwest. Wenn ich Captain Farquhar unrecht getan habe, dann ist jetzt bald der Moment gekommen, es zuzugeben.»
        Rasch trat Bolitho zur Karte; unwillkurlich dachte er wieder an den Wechsel des Windes, das Gefuhl von Sand und Staub auf der Wange, als er dem Marine-Infanteristen aus Cornwall zugehort hatte, der bedruckt von der unpassierbaren Schlucht berichtete.

«Geben Sie noch nichts zu, Thomas. Nicht einmal Farquhar hatte so schnell segeln konnen, da? er jetzt aus Nordwest kommt!«Er griff nach seinem Hut.»Inch mu? die Brigg zwar aus den Augen verloren haben, aber, bei Gott, jetzt hat er uns gro?ere Fische zugefuhrt!»
        Zweifel und Spannung im Gesicht, eilte Herrick hinter Bolitho her. Es war sehr hell auf dem Achterdeck; die Sonne stand fast senkrecht uber dem Gro?mast. Bolitho nickte Veitch zu, der die Wache hatte, ging dann an die Luvseite und starrte uber das Vorderkastell hinaus zur glitzernden, dunstigen Kimm.

«Signal an Harebell!«rief Herrick.»>Rekognoszieren. In Lee bleiben.<»
        In buntem Durcheinander schleiften die Signalflaggen uber das Deck, bis sie endlich zu Luces Zufriedenheit richtig angesteckt waren und sich an der Rah entfalteten.

«Harebell hat bestatigt, Sir!»
        Sauerlich bemerkte Herrick:»Gehort sich auch so. Francis Inch war noch immer zu schnell mit den jungen Pferden. «Trotz seiner Nervositat grinste er.»Dieser Tollkopf!»
        Langsam vergingen die Minuten, und die Matrosen, die kurz vorher nur an ihr Mittagessen gedacht hatten, so armselig es auch sein mochte, standen gruppenweise an den Wanten und auf den Laufbrucken und starrten der winzigen, weit entfernten Schaluppe entgegen.
        Luce war in die Luvwanten aufgeentert und balancierte mit seinem Glas die Schiffsbewegungen aus. Unten stand Pascoe und sah zu ihm hoch, die Augen im grellen
        Sonnenlicht zusammengekniffen, Hande in den Huften. Vielleicht erinnert er sich an seine Zeit als Signal-Midshipman, dachte Bo-litho.
        Grubb bemerkte sarkastisch:»Wenn wir noch zwei Prisen machen, werden uns die Offiziere aber verdammt knapp!»
        Luces Ruf lie? das Gemurmel an Deck schlagartig verstummen.»Von Harebell, Sir:
>Feind in Sicht         Langsam ging Bolitho zum Kajutniedergang und stutzte sich auf das Gelander. Im Geiste sah er sie bereits entlang der Kuste auf sich zukommen. So hatte er sie schon langst gesehen, bevor die Schaluppe sie gemeldet hatte; vielleicht schon, als Luce in die Kajute gekommen war.

«Signalisieren Sie Inch, er soll zur Segura aufschlie?en«, sagte er und hielt inne, als er ihre Gesichter sah, in denen sich Skepsis und Erregung mischten.»Wenn er naherkommt, konnen Sie ihm signalisieren, er soll die Prise in Lee lassen. Wenn's irgend geht, wollen wir sie nicht verlieren.»

«Und wir, Sir?«fragte Herrick.
        Wieder rief Luce eine Meldung:»Von Harebell, Sir: >Zwei Lini-enschiffe!<«»Wir, Thomas?»
        Herrick kam naher, damit ihn die umstehenden Offiziere nicht horen konnten.»Nehmen wir es mit beiden auf?»
        Bolitho deutete zur Kimm.»Sehen Sie sonstwo noch ein Schiff, Thomas?»
        Gilchrist kam mit seinem merkwurdighupfenden Gang eilig nach achtern und sah Herrick direkt ins Gesicht.»Ihre Befehle, Sir?»
        Gelassen sagte Bolitho:»Klar Schiff zum Gefecht! Zehn Minuten haben Sie Zeit!»
        Gilchrist stelzte hinweg und winkte mit seinen langen Armen heftig dem Trommeljungen der Marine-Infanterie.
        Bolitho wandte sich wieder Herrick zu.»Und lassen Sie die Bramsegel setzen, Thomas. Der Feind soll sehen, da? wir scharf auf den Kampf sind. «Er hielt ihn beim Arm zuruck.»Unbeschadet unserer insgeheimen Gefuhle, ja?»
        Er ging zur Kampanjeleiter und stieg hinauf. In seinem Rucken erklang das Stakkato der Trommeln und unmittelbar darauf das
        Getrappel eilender Fu?e: die Mannschaft der Lysander folgte dem Alarmruf.
        Bolitho lehnte sich an die Reling und beschattete die Augen, um den sich verandernden Umri? der Schaluppe besser sehen zu konnen: sie wendete gerade und kampfte sich hoch am Wind zum Flaggschiff zuruck. Jetzt mu?te sich der Feind bald zeigen.
        Bolitho uberlegte. Dies wurde sein erstes Seegefecht seit einem Jahr. Er beobachtete den Dunst um die Masten der Harebell und dachte an fruhere Schlachten. Warum hatte er eigentlich mehr Segel setzen lassen? Um die Entscheidung zu beschleunigen, ob sich seine eigene Starke oder Schwache erweisen wurde?
        Unter Deck wurden die Trennwande herausgenommen, gerauschvoll wurden Geschutze und Luken klariert. Seit seinem zwolften Jahr gehorte das zu Bolithos Leben, war er stets mittenda-rin gewesen, hatte er alles mitgemacht, was ein Seegefecht an Erregung und Gefahr brachte.
        Er musterte die Manner, die auf dem Hauptbatteriedeck an ihren Kanonen hantierten, die Marine-Infanteristen, die im Gleichschritt wie bei der Parade zu beiden Seiten der Kampanje aufmarschierten.
        Jetzt mu?te er sich als der Kommodore erweisen. Er lachelte grimmig.
        Ein Kommodore ohne Geschwader.



        VII Alle in einer Mannschaft


«Schiff klar zum Gefecht, Sir. «Gilchrists Miene war undurchdringlich.»In neun Minuten genau.»
        Bolitho horte nicht, was Herrick darauf antwortete. Gelassen schritt er zur Luvseite. Das machtige Gro?segel war aufgegeit, jedes sichtbare Geschutz bemannt und ladefertig. Eine drohende, gespannte Atmosphare lag uber dem Schiff.
        Herrick trat zu ihm und fa?te an den Hut.»Abgesehen von sieben Kranken beziehungsweise Verletzten ist die Mannschaft vollzahlig auf Stationen, Sir. Soll ich Befehl zum Laden und Ausrennen geben?»

«Spater. «Bolitho nahm ein Teleskop vom Gestell und richtete es nach Backbord voraus. In der prallen Sonne glitzerte die See so stark, da? es in die Augen bi?: wie Millionen kleiner Spiegel, mehr silbern als blau. Er richtete sich starr auf: zuerst glitt ein Schiff, dann das zweite durch die Linse.
        Herrick sah ihn immer noch so forschend an, als suche er etwas in Bolithos Miene. Vielleicht ihrer aller Schicksal.

«Vierundsiebziger, schatzungsweise«, sagte Bolitho.»Bei diesem Wind mussen sie sich schwertun. «Er richtete das Glas auf das vorderste Schiff. Es drehte jetzt etwas ab und zeigte seine ganze Lange, die doppelte Linie der Stuckpforten. Die Segel standen noch nicht richtig und warfen wandernde Schatten. Der Steuermann gab sich anscheinend die gro?te Muhe, die Segel voll Wind zu halten, bis er den Kurswechsel beendet hatte.

«Sie segelt sich schlecht, Thomas«, sagte er. Er bi? sich auf die Lippe und versuchte sich vorzustellen, wie der Feind seine Lysan-der sehen mochte. Es wurde noch eine Stunde dauern, bis sie aneinandergerieten. Um gegen zwei starke Vierundsiebziger eine Chance zu haben, mu?te er den Windvorteil behalten, mindestens bis er den einen voll unter Feuer nehmen oder zwischen beiden durchsto?en konnte.»Zu lange im Hafen gewesen, vielleicht. Genau wie wir brauchen sie allen Drill, den sie kriegen konnen«, schlo? er nachdenklich. Dann beobachtete er, wie die schlanke Harebell auf konvergierendem Kurs vor ihrem Bug vorbeizog; ihre Offiziere standen schrag auf dem kleinen, stark geneigten Achterdeck. Bolitho glaubte, Inch zu sehen, der den Hut schwenkte, doch verga? er ihn, als Luces Leute der Harebell signalisierten, ihre Station einzunehmen - als blo?er Zuschauer oder - schlimmstenfalls - als Uberlebender, der dem Admiral oder Farquhar die Nachricht uberbringen konnte. Bolitho trat zur Querreling und uberschaute das Hauptdeck. Jetzt kam das schlimmste: das Warten. Schade, da? nur die Halfte der Mannschaft Zeit
zum Essen gehabt hatte, ehe sie gefechtsklar gemacht hatten.»Haben wir noch Bier, Thomas?«fragte er. Herrick nickte.»Ich glaube, ja. Blo? wird der Zahlmeister es jetzt nicht gern ausgeben wollen.»

«Nun - er kampft ja nicht. «Bolitho sah, wie sich die Geschutzbedienungen in der Nahe uber diese Bemerkung amusierten. Er wandte sich ab. Es war ein wohlfeiler Trick zur Hebung der Kampfmoral, aber mehr hatte er nicht zu bieten.
        Wieder uberquerte er das Achterdeck und stutzte den Fu? auf einen Neunpfunder. Der Geschutzfuhrer blickte zu ihm auf und tippte gru?end mit dem Handknochel an die Stirn. Bolitho lachelte ihm zu. Der Mann war schon alter oder sah wenigstens so aus. Seine harten Hande waren teerfleckig, die Arme mit blauen, komplizierten Tatowierungen bedeckt.

«Und wie hei?t Ihr?«fragte er.
        Der Mann zeigte seine unregelma?igen Zahne.»Mariot, Sir. «Er zogerte, zweifelnd, ob es angebracht sei, sich mit dem Kommodore zu unterhalten, sagte dann aber doch: Hab noch unter Ihrem Vater gedient, Sir, auf der alten Scylla.»
        Bolitho starrte ihn an. Ob Mariot ihm das jemals erzahlt hatte, ware er an einem anderen Geschutz gewesen, irgendwo im Schiff?
        Er fragte:»Wart Ihr auch dabei, als er den Arm verlor?»
        Mariot nickte; seine ausgebla?ten Augen sahen in die Ferne.»Aye, Sir. War ein feiner Mann, hab nie unter einem besseren gedient. «Er grinste verlegen.»Au?er Ihnen, Sir.»
        Mit fragendem Blick trat Herrick heran.

«Der Mann hat schon unter meinem Vater gedient, Thomas«, sagte Bolitho und schaute mit beschatteten Augen nach dem Feind aus.»Was die Kriegsmarine doch fur eine kleine Welt ist!»
        Herrick nickte.»Wie alt seid Ihr?«fragte er Mariot.
        Der Mann schuttelte den Kopf.»Wei? nich' genau, Sir. «Er strich uber das Bodenstuck der Kanone.»Aber noch jung genug fur die kleine Lady hier!»
        Langsam schritt Bolitho auf und ab, ohne auf die frohen Rufe zu horen, mit denen das erste Bier begru?t wurde. Alles in einer Mannschaft: Hier ein Mann, der mit seinem Vater in Indien gewesen war. Dort Allday, sein vertrauter Bootsfuhrer und Freund, den ihm ein Pre?kommando vor langer Zeit an Bord gebracht hatte. Herrick, einst junger Leutnant unter ihm; und Adam Pascoe, der einzige Sohn seines Bruders, vielleicht als Bindeglied zwischen ihnen allen.
        Herrick unterbrach seine Grubeleien.»Der Feind mag ja schlecht segeln, Sir, aber mir war's doch lieber, wir hatten ein bi?chen Unterstutzung. Und wenn's nur eine Fregatte ware, die sie in ihre verdammten Arsche bei?t.»
        Bolitho blieb an den Netzen stehen und merkte erst jetzt, da? er schwei?gebadet war.»Lysander hat vierhundert Jahre vor der Geburt unseres Herrn die Flotte der Athener bekampft und geschlagen, wenn ich meinem alten Lehrer glauben will. «Er lachelte Herrick an.»Er wird uns bestimmt heute nicht im Stich lassen. «Etwas leiser fuhr er fort:»Nehmen Sie sich zusammen, Thomas, die Leute beobachten Sie. Ein Zeichen von Skepsis, und wir konnten verloren sein.»
        Herrick nahm die Hande auf den Rucken und druckte das Kinn an die Halsbinde.»Aye. Entschuldigen Sie. Seltsam, da? man sich niemals an das gewohnt, wofur man sein Leben lang ausgebildet wurde: an den Anblick eines feindlichen Segels, das Krachen einer Breitseite, an das Weiterkampfen, bis der Feind die Flagge streicht oder man selbst untergeht. «Dann wurde sein Ton so bitter, wie Bolitho es noch nicht an ihm kannte:»Diese feinen Leute in England, die schon vor Ruhrung heulen, wenn sie nur zusehen, wie ein Schiff des Konigs in See geht, haben keinen Gedanken ubrig fur die armen Teufel vor dem Mast, die krepieren, damit sie daheim ruhig schlafen und sich den Bauch vollschlagen konnen!»
        Bolitho horte ihm unbewegt zu. Jetzt kam der alte Herrick wieder zum Vorschein: stets bereit, sich fur den kleinen Mann einzusetzen, ganz egal, wie sehr das seine Vorgesetzten argern mochte. Das war wohl auch der Grund, weswegen er im Dienstrang noch nicht viel uber dem Fregattenkapitan stand.

«Und Ihre Schwester, Thomas«, fragte er,»wie geht es ihr?»
        Herrick ri? sich zusammen.»Emily?«Er sah zur Seite.»Unsere Mutter fehlt ihr zweifellos sehr, wenn sie auch zum Schlu? allerhand Pflege gebraucht hat.»
        Bolitho nickte.»Halten Sie Emily ein Madchen, das sich um sie kummert, wahrend Sie auf See sind?»
        Herrick wandte sich zu ihm um; er hatte jetzt die Sonne direkt in den Augen. Wollen Sie auf Mr. Gilchrist zu sprechen kommen, wenn ich fragen darf, Sir?»

«Ich habe davon gehort, Thomas. «Herricks Ton uberraschte ihn. Da? er sofort in die Defensive ging…
        Herricks Augen sahen in der stechenden Sonne beinahe farblos aus.»Emily ist recht angetan von ihm. Er ist ein verla?licher Offizier. Manchmal allerdings geht sein Temperament mit ihm durch. «Er senkte den Kopf.»Und was er erreichte, hat er verdient, Sir.«»Wie Sie, Thomas.»

«Gewi?. «Er seufzte.»Emilys Wunsche bedeuten mir viel. Sie hat wei? Gott wenig genug auf dieser Welt.»

«An Deck!«meldete sich der Ausguck.»Vorderstes Schiff setzt mehr Segel!»
        Herrick griff sich ein Teleskop und eilte an die Reling.»Hol' sie der Teufel! Die wollen unsere Feuerkraft zweiteilen!»
        Bolitho beobachtete ihn und spurte, da? er einerseits fieberhaft daruber nachdachte, wie er sein Schiff in die gunstigste Position bringen konnte, andererseits aber noch dem eben gefuhrten Gesprach nachhing.
        Scharf fuhr Gilchrist dazwischen:»Die kommen nicht so nahe heran, Sir. Ich glaube eher, sie wollen uns mit Kettenkugeln oder Kartatschen manovrierunfahig schie?en und uns dann in aller Ruhe das Heck demolieren.»

«Signal an Harebell: >Wir andern Kurs nach Sudost
«Ob das klug ist?«fragte Herrick heiser.»Wir haben nur knapp drei Meilen Distanz. Wenn wir auf Kurs bleiben, konnen wir sie vielleicht ausmanovrieren. Der Wind steht fur uns so gunstig, da? die Frogs[Spitzname fur Franzosen (von frag eater = Froschesser)] Stunden brauchen, ehe sie wenden und hinter uns herkommen konnen.»
        Bolitho nahm ihm das Glas aus der Hand und stellte es auf die beiden Schiffe ein. Weit auseinander segelnd, hielten sie auf den Steuerbordbug der Lysander zu. Dabei hatten sie gro?e Muhe, die notwendige Hohe herauszusegeln; wenn sie nur noch ein bi?chen hoher an den Wind gingen, mu?ten sie sich festsegeln. Drei Me i-len? Aber Herrick war schon immer gut im Entfernung schatzen gewesen. Der Bug der Lysander wurde fast rechtwinklig auf den Bug des vordersten Zweideckers sto?en, und danach konnte der zweite Franzose so handeln, wie er es fur zweckma?ig hielt: entweder nach Backbord abdrehen und eine Breitseite feuern, wahrend die Lysander sich aus der ersten Feindberuhrung zu losen versuchte; oder wenden und ihr ungeschutztes Heck kreuzen und beharken, wahrend sie noch im Gefecht waren.
        Herricks Vorschlag hatte der Lysander und der Prise eine ausgezeichnete Chance geboten, den Kampf zu vermeiden. Er bedeutete aber auch Flucht, die sich durchaus zu einer langen Verfolgungsjagd entwickeln konnte, in deren Verlauf sie vielleicht einem weiteren Feind in die Arme getrieben wurden. Dieser verdammte Farqu-har! Wenn der Gegner es mit drei Schiffen zu tun bekommen hatte, hatte er sehr rasch seine Taktik andern mussen.
        Bolitho schritt weiter nach achtern und prufte unter Grubbs forschendem Blick den Kompa?: Kurs Nordost zu Nord lag an, und der freundliche Westwind kam stetig von achtern. Bolitho sah in Grubbs zerkluftetes Gesicht.»Na - halt er sich?»
        Grubb rieb sich die wasserigen Augen.»Der Wind, Sir? Aye. Aber ihrer da - «, er deutete mit dem Kopf zur nachsten Geschutzmannschaft und zum Oberdeck - ,»bin ich mir nicht so sicher.»
        Gilchrist, der eben vorbeischritt, blieb auf der anderen Seite des Ruders stehen und sagte emport:»Aber horen Sie mal, Mr. Grubb! Wenn wir schon vor dem Gefecht zu jammern anfangen, sind wir gleich verloren!»
        Grubb sah ihn stur an.»Sie kampften mit diesem Schiff bei St. Vincent, Sir. Wie ich und andere.»

«Jawohl. «Gilchrist hatte so eine gewisse Art, zu Grubb zu sprechen, doch seine Worte in Wirklichkeit an Bolitho zu richten.»Und ich bin stolz darauf.»
        Grubb zuckte die Achseln.»Das war eine ausgebildete Mannschaft. Kapt'n Dykes hatte sein Schiff erstklassig in Schu?. «Er wandte sich an Bolitho. »Sie wissen es ja, Sir. «Er sah Gilchrist nicht direkt an.»Besser als jeder andere, soweit ich unterrichtet bin.»
        Sehr nachdenklich schritt Bolitho wieder nach vorn zur Reling.»Haben Harebell und Segura bestatigt?«Mit hupfenden Schritten stelzte Gilchrist hinter ihm her.»Aye,
        Sir.»

«Dann melden Sie mir das gefalligst! Ich bin kein Hellseher, verdammt!«Er zwang sich zur Ruhe.»Fuhren Sie das Manover aus! Mr. Grubb, klar zur Halse!»
        Manner eilten an die Brassen, die Stiefel der Seesoldaten knallten im perfekten Gleichschritt auf die Planken, wahrend sie die Besan-rahen verholten; die Segel schlugen sekundenlang leer, fullten sich dann wieder, und das Schiff legte sich auf den anderen Bug.
        Bolitho hob das Glas und glich mit gespreizten Beinen die Schraglage aus. Er horte das Befehlsgebrull nicht mehr, nicht das Donnern der Segel hoch oben, sondern konzentrierte sich auf die kleine stille Welt der Teleskoplinse. Ein Schatten glitt uber die Vorsegel des vordersten Schiffes, es schopfte neue Kraft, indem es leicht abfiel und den Wind jetzt besser ausnutzen konnte.

«Kurs Sudost liegt an, Sir!»

«Mr. Luce«, rief Gilchrist scharf,»was ist mit den anderen?»
        Luces Antwort kam ebenso scharf; er spurte die Spannung zwischen seinen Vorgesetzten. »Harebell und Prise auf Stationen, Sir!»
        Bolitho schob nachdenklich die Lippen vor und beobachtete die beiden feindlichen Schiffe. Sie wurden mit jeder Minute gro?er, er konnte die bunten Trikoloren in den Toppen erkennen, die blitzenden Sonnenreflexe auf Teleskopen und Geschutzen. Sie ihrerseits mu?ten seinen langen Kommodorewimpel bereits gesehen haben. Fette Beute, wurden sie denken, die gerechte Strafe fur sein unverschamtes Auftreten.
        Herrick war neben ihn getreten.»Sie fallen beide einen Strich ab. Unser Kurswechsel kommt ihnen zustatten. Wenn wir zu weit abdrehen, konnten sie uns den Windvorteil nehmen.»

«Deswegen mussen wir aufpassen, da? sie es nicht tun. Ich habe ihnen eine Chance gegeben, Thomas. Wenn wir auf diesem Kurs bleiben, sind wir in einer halben Stunde auf gleicher Hohe mit dem vordersten Franzosen. Dann konnte der andere versuchen, unsere offene Seite zu beschie?en.»
        Major Leroux wandte sich ihm zu und sagte lachelnd:»Aber auf keinen Fall konnen sie gegen den Wind ankreuzen, wenn wir so dicht beieinander sind. Dann sitzen sie fest.»
        Herrick war immer noch nicht uberzeugt.»Ich wei?. Aber vorlaufig brauchen sie sich deshalb noch keine Sorgen zu machen.»

«Sprechen Sie mit dem Master und dem Ersten«, sagte Bolitho.»In zehn Minuten will ich halsen. «Er sah den stummen Protest in
        Herricks Augen, fuhr jedoch fort:»Dann gehen wir auf denselben Bug wie vorher und steuern Nordost.»
        Als brache die Sonne durch die Wolken, leuchtete Herricks Gesicht bei diesen Worten begreifend auf. Langsam sagte er:»Bei Gott, entweder kollidieren wir dann mit einem von ihnen, oder…»

«Oder wir segeln genau zwischen ihnen durch. Anluven konnen sie nicht weiter, dabei wurden sie nur entmastet. Wenn sie wenden und vor dem Wind segeln, zerschie?en wir ihnen die Hecks. Wenn sie bleiben, wie sie sind, beharken wir sie beim Durchbruch mit den Backbord- und Steuerbordbatterien. «Er hielt Herricks Blick stand.»Und was danach kommt - das wei? ich auch nicht besser als Sie! Jetzt leiten Sie das Manover ein! Mit den Leuten werde ich sprechen.»
        Er schritt zur Achterdecksreling und wartete, bis die meisten Matrosen zu ihm aufsahen. Leutnant Veitch stand mit hangenden Armen da, den Rucken zum Feind; sein Entersabel blinkte in der Sonne, denn er hatte bereits blankgezogen. Neben ihm standen zwei Midshipmen und ein Stuckmeistersmaat. Das gehorte alles zur Routine, ebenso wie die rotrockigen Marine-Infanteristen an den Niedergangen, die jeden Mann, der Angst bekam, daran hindern wurden, unter Deck zu fliehen. Und hinter jeder Bordwand, halb verborgen unter den Laufbrucken, die Vorderschiff und Achterdeck miteinander verbanden, warteten die Manner, die den Feind nur durch ihre Stuckpforten sehen konnten. Die aber unter allen Umstanden klaren Kopf behalten mu?ten, sonst waren sie verloren.

«Da vorn, Jungs«, sagte Bolitho,»sind zwei feine franzosische Gentlemen. «Er sah das starre Grinsen der Alteren, das nervose Kopfwenden der Jungeren, als ob der Feind schon im nachsten Moment an Bord kommen wurde.»Fur die meisten von euch ist es das erste Mal. Solange ihr eurem Vaterland dient, wird es nicht das letzte Mal sein. Vor ein paar Tagen habt ihr eure Sache sehr gut gemacht: eine Prise genommen, ein weiteres Schiff mit diesen Achtzehnpfundern hier versenkt.»
        Im unteren Deck, in fast volliger Dunkelheit, warteten noch zwei Reihen von Mannern darauf, da? die Stuckpforten geoffnet und die schweren Zweiunddrei?igpfunder ausgerannt wurden. Die wurden versuchen, ebenfalls zu horen, was er sagte, doch konnten sie es erst von den Schiffsjungen und Midshipmen erfahren, vielleicht in verzerrter Form.

«Aber das hier sind keine kleinen Briggs, Jungs. Auch keine neuerbaute Kustenbatterie. «Er sah, da? seine Worte Eindruck machten.»Es sind zwei Linienschiffe - und gute Schiffe!»

«Von mir aus kann's losgehen, Sir«, horte er Grubb flustern.
        Bolitho blickte wieder uber das menschenwimmelnde Deck, das dick mit Sand bestreut war, damit die Leute nachher nicht ausrutschten.»Aber trotzdem haben sie einen Fehler: sie sind mit Franzosen bemannt, nicht mit Englandern! Und das wird ihr Untergang!»
        Er wandte sich wieder nach achtern, sah die Manner noch winken und jubeln, die Midshipmen grinsen, als sei Konigs Geburtstag. Doch er war wutend uber sich selbst und sein primitives Gerede.

«Geben Sie bitte Befehl zum Laden«, sagte er scharf zu Herrick.»Dann lassen Sie die Backbordgeschutze ausrennen. Ja, Sie haben richtig gehort: Backbord. Wir mussen sie in Sicherheit wiegen. «Ungeduldig wandte er sich ab.»Und die Leute sollen mit dem Gebrull aufhoren. Sie werden ihren Atem noch brauchen!«Damit schritt er rasch zur anderen Seite.

«Hier, Sir!»
        Er hob die Arme, weil Allday ihm den Degen umschnallen wollte. Das sah Allday wieder einmal ahnlich: Er tat es mit voller Absicht, damit Matrosen und Seesoldaten sahen, wie ruhig sie beide waren.
        Bolitho warf ihm einen Blick zu und sagte leise:»Wir sind schon ein feines Paar!»
        Allday lachelte verstohlen.»Wenigstens sind wir wieder ein Paar, Sir. «Er starrte unbewegt zum Feind hinuber, beobachtete die Schiffe mit professionellem Interesse. Das wird nicht leicht. Immerhin, ich glaube, die freuen sich nicht gerade auf uns!


«Backbordbatterie ausrennen!»
        Das Signal wurde zum unteren Deck weitergegeben; zogernd, als wollten sie erst einmal die Luft prufen, rumpelten die Rohre der Backbordgeschutze in das Sonnenlicht und glanzten matt wie schwarze Zahne.

«Auch die Franzmanner rennen aus, Sir.»

«Gut.»
        Bolitho zog seine Uhr und lie? den Deckel aufschnappen. Sie war noch warm von der Warme seines Oberschenkels. Er klappte sie wieder zu. In kurzer Zeit war sie vielleicht so kalt wie ihr Besitzer.
        Ein dumpfer Krach hallte uber die See, und Sekunden spater sprang neben der Lysander eine dunne Saule Spruhwasser hoch. Wutend brullten die Geschutzbedienungen auf, doch Bolitho horte Veitch rufen:»Achtung! Steuerbordgeschutze klar zum Ausrennen!«Er blickte zum Achterdeck auf und sah Herrick nicken.»Beide Seiten feuern unabhangig!»
        Ein junger Matrose bei einem Neunpfunder flusterte etwas, und Mariot, der alte Stuckfuhrer, erklarte ihm:»Jede fur sich, meint er. «Er sah Bolithos fluchtiges Lacheln und rief hinauf:»Wir warten schon auf die Strolche, Sir!«Dann trat er einen Schritt von seiner Kanone zuruck und straffte die Rei?leine.»Grad' wie auf der alten Scylla!»

«Feind verringert Segel!«rief Pascoe.
        Bolitho nickte - die Bramsegel des vordersten Feindschiffes verschwanden wie durch Zauberei. Es bereitete sich darauf vor, die Herausforderung der Lysander anzunehmen. Wenn sie auf diesem Kurs weitersegelten, mu?ten beide franzosische Kommandanten gute Schu?positionen fur die ersten Breitseiten haben.
        Hinter Herrick stand Gilchrist an der Reling, die Sprechtrompete bereits erhoben.

«Also los«, sagte Bolitho.»Jetzt gilt es, Captain Herrick. Eine Halse, und dazwischen!»

«An die Brassen!«schrie Gilchrist. Er sprang von einer Deckseite zur anderen, mit seiner blechernen Stimme feuerte er die Matrosen an:»Hol dicht! Hol dicht!»
        Bolitho hielt sich an der Kampanjeleiter fest. Das Schiff erschauerte; jedes Stag, alle Wanten summten vor Anspannung, als die machtigen Rahen knarrend uberkamen. Keuchend vor Anstrengung warfen sich die Rudergasten mit ihrem ganzen Gewicht in die Speichen und holten das Ruder immer weiter herum.
        Veitch uberschrie das Donnern der Leinwand:»Steuerbordbatterie - ausrennen!»
        Bolitho blickte zu seinem Stander hoch, wie um ihn zu beschworen, da? er die Richtung hielt. Eilends gehorchten Matrosen und Marine-Infanteristen den Befehlen der Bootsmannsmaaten.
        Mit gesenktem Kopf beobachtete er das vorderste franzosische Schiff. War es Einbildung? Er hielt den Atem an; und dann, als sich das Deck unter seinen Schuhsohlen nach der anderen Seite legte, sah er, da? das franzosische Schiff mehr Fahrt aufzunehmen schien, am Bugspriet und dem schlagenden Kluver der Lysander vorbeischwang wie bei einer Segelregatta.

«Stutz!«schrie Grubb wutend.»Noch ein Mann ans Ruder!»
        Die Rahen knarrten nicht mehr und kamen auf dem Steuerbordbug zur Ruhe; die Marssegel bekamen wieder harte Bauche und legten das Schiff schrag, bis der Gischt an die Gulls der untersten Stuckpforten flog, wo die Geschutzfuhrer bereits Feuerbereitschaft meldeten.
        Herrick setzte seinen Dreispitz fester, denn der Wind blies Spruhwasser durch die Wanten. Es trocknete fast so schnell, wie es fiel; gleich einem Sommerregen, dachte Bolitho.

«Kurs Nordost liegt an, Sir!»

«Recht so!»
        Bolitho hob sein Glas und stellte es auf den Feind ein. Der Wind zerrte an seinen Rockscho?en. Auf diese plotzliche Kursanderung waren die franzosischen Kommandanten nicht gefa?t gewesen. Schon glitt das reichornamentierte Heck des vordersten Schiffes am Steuerbordbug der Lysander vorbei, die Lucke wurde breiter und breiter, und schlie?lich sah er den Kluverbaum des zweiten Vierundsiebzigers am linken Rand in seine Linse ragen.
        Blitzend scho? eine Reihe gelbroter Flammenzungen aus der Bordwand des vordersten Schiffes. Bolitho horte mehrere Kugeln hoch oben vorbeisausen; irgendwo brach mit peitschenartigem Knall ein getroffenes Stag. Er ging zur anderen Seite und ergriff Herrick beim Arm.»Der Dummkopf schie?t viel zu fruh. «Er deutete zu den wartenden Matrosen hinunter.»Die Steuerbordbatterie, Thomas. Gebt ihnen 'ne Breitseite! Wenn wir Gluck haben, ist noch Zeit zum Nachladen, bevor wir an seinem Heck vorbei sind!»
        Herrick senkte den Arm.»Feuer frei!»
        Das ohrenzerrei?ende Brullen der Breitseite, die machtig herausquellende Wolke aus bei?endem Qualm, die zum Feind hinubertrieb, veranla?te mehrere Marine-Infanteristen, ihre Musketen abzufeuern. Sie hatten keine Aussicht, irgendetwas zu treffen, und Sergeant Gritton blaffte:»Der nachste Idiot, der ohne Befehl schie?t, wird bestraft!»
        Bolitho stand auf einem Poller und spahte durch die Webleinen nach den Schaden beim Feind, bis ihm die Augen schmerzten. Die Segel des Franzosen waren pockennarbig von Schu?lochern, im Bootsgestell klaffte ein machtiges Loch, eine Barkasse war in zwei Stucke gespalten. Aber die Trikolore wehte noch, und das Schiff hielt unbeirrt Kurs.
        Er horte Hoch- und Hurrarufe seiner Manner und befahl unwillig:»Nachladen! Drei Schu? pro Minute will ich horen!«Und als Gil-christ ihn entsetzt anstarrte. Jawohl! Artillerie ist jetzt alles, was wir haben!»
        Ein unregelma?iges Krachen von Backbord her: der zweite Franzose versuchte, die Lysander mit seinen Buggeschutzen zu treffen, den einzigen, die jetzt Schu?feld hatten.

«Backbordbatterie - Achtung!«brullte Veiten mit erhobenem, blitzendem Sabel. Ein Midshipman eilte zum Niedergang, um den Befehl weiterzugeben.
        Der Sabel fuhr nieder.»Feuer!»
        Wieder erzitterte das Schiff und bockte heftig. Beide Batteriedecks feuerten eine langsame, regelma?ige Breitseite. Schon warfen sich die Manner wieder in die Zuge und Handspeichen, tappten blind nach Kartuschen und neuen Kugeln; viele husteten in dem binnenbords ziehenden Qualm, durch den das Deck kaum noch zu sehen war.
        Wutend brullte Veitch:»Schneller! Los da, Nummer drei! Ausputzen!»
        Bolitho wischte sich das dampfende Gesicht; sein Mund wurde staubtrocken, als er sah, da? die Fock des Franzosen wie ein zerrissenes Bettlaken nach allen Richtungen flatterte und da? mehrere ihrer Kugeln das Vorschiff getroffen und lange schwarze Narben hinterlassen hatten. Das vorderste Feindschiff war noch immer auf Kurs; der Kommandant wollte offenbar sein Heck erst im allerletzten Moment exponieren. Oder er hoffte, das andere Schiff wurde irgendein Wunder zustande bringen.
        Herrick meldete:»Alles geladen und ausgerannt. «Sein Gesicht war fleckig vor Pulverrauch.»Unter zwei Minuten, nach meiner
        Uhr!»

«Feuer!»
        Wieder fuhren die Steuerbordgeschutze im Rucksto? binnenbords, gelbrot gefarbter Rauch rollte mit dem Wind auf den Franzosen zu, der jetzt Steuerbord voraus lag.
        Bolitho bi? die Zahne zusammen: die Rauchwolke der Lysander blitzte auf unter der unmittelbaren Antwortsalve des Franzosen. Das Deck schulterte unter ihm; er sah, wie einige Manner sich duckten, als die Kugeln flach uber das Hauptbatteriedeck jaulten - manche schlugen erst eine Meile vom Schiff entfernt in die See.

«Jetzt, Thomas!«brullte er.»Die Karronaden im Vorschiff!»
        Herrick nickte mit starrem Gesicht, denn weitere Geschosse krachten in die Bordwand oder flogen zwischen den Segeln durch.
        Bolitho schritt zur Leeseite, wo sich die Heckaufbauten des vordersten Franzosen wie ein goldenes Hufeisen uber den wirbelnden Rauch erhoben. Das Vorschiff der Lysander war bereits in der Lucke zwischen den beiden Feindschiffen. Obwohl er darauf gefa?t gewesen war, fuhr er zusammen, als die Karronaden ihre gro?en, mit Eisenschrot gefullten Kugeln abfeuerten, unterstutzt von Veitchs vordersten Achtzehnpfundern, die jetzt die verwundbarste Stelle des Feindes vor den Rohren hatten: das Heck.
        Veitchs Stimme uberschlug sich fast:»Stopfen! Ausputzen, laden!»
        Der Kanonendonner, das Quietschen und Rumpeln der ausgefahrenen Geschutze, das endlose Rufen und Hurrageschrei schienen aus einer anderen Welt zu kommen - oder direkt aus den Tiefen der
        Holle.
        Gebrochene Stage peitschten wie Schlangen auf den ubers Deck gespannten Schutznetzen, die nackten Oberkorper der Kanoniere hatten lange Streifen aus Schwei? und Pulver; sie sahen aus wie die Sklaven, nicht wie die Herren ihrer bellenden schwarzen Rohre.

«Feuer!»
        Bolitho horte einen Mann aufschreien, sah einen Korper aus dem Gro?topp hart von Deck abprallen und dann ins Meer sturzen. Wieder krachten Schusse durch den Rauch, trotzdem horte er
        Grubbs heiser triumphierenden Ausruf:»Der alte Nu?knacker hat's geschafft, Sir!«Er schwenkte seinen zerbeulten Hut.»Mu? das Ruder druben erwischt haben!»
        Obwohl die Lysander inzwischen durch die Lucke gesto?en war, befand sich das Heck des vordersten franzosischen Schiffes immer noch direkt in ihrem Schu?feld. Die morderische Schrotladung aus der Karronade, unterstutzt von den Kanonen im Vorschiff, bei denen man schon an dem tiefen Bellen des Abschusses horte, da? sie doppelt geladen waren, mu?te durch das Heck hindurch die Ruderanlage getroffen und havariert haben. Das Schiff drehte steuerlos in den Wind; Bolitho sah, da? die reichgeschnitzte Galerie in Trummern, die Kampanje zerlochert und gesplittert war.
        Und da geriet auch schon der Besanmast, zwar noch eine Zeitlang von Wanten und Stagen aufrecht gehalten, ins Wanken und fiel. Winzige Gestalten rutschten aus dem Topp hinunter; unten rannten sie wie die Verruckten, um nicht von der ungeheuren Masse der Takelage erschlagen zu werden, die jetzt mit einem Krachen, das sogar den Kanonendonner ubertonte, mitsamt der flatternden Trikolore in den Qualm sturzte.

«Der andere versucht, mit uns abzudrehen, Sir. «Grubbs Augen trieften vor bei?endem Rauch.»Er will uns den Wind wegnehmen!»
        Bolitho deutete auf das zweite Schiff.»Mr. Gilchrist! Backbordkarronade feuerklar!

        Der Kluverbaum des zweiten Schiffes stie? wie eine schwarze Lanze durch den Rauch; die stecknadelkopfgro?en Mundungsfeuer der Musketen blitzten uber Galionsfigur und Fock. Mit dichtgebra?ten Rahen, das Ruder bis zum Anschlag gedreht, kampfte sich das Schiff nach Steuerbord durch den Wind. Die Distanz verringerte sich rasch, und es prasentierte immer mehr von seiner narbigen Bordwand.
        Krachend fuhr die Backbordkarronade auf ihrer Gleitvorrichtung zuruck, das Gescho? explodierte dicht uber dem Vordersteven des Feindes und ri? einen Wirbel von Splittern hoch.

«Bei Gott«, brullte Herrick,»ihr Vormast kommt runter!»
        Wie trunken neigte sich der Mast dem Meer zu, aber der Feind scho? trotzdem noch eine unregelma?ige Breitseite. Zwar blieben einige Stuckpforten stumm, als Resultat von Veitchs fruheren Treffern. Doch Bolitho wu?te recht gut, da? man Zeit gehabt hatte, diese erste Salve besonders sorgfaltig zu zielen. Wiederholt erbebte das Deck unter ihm, und von unten horte er metallisches Klirren und schrille Schreie. Die franzosischen Musketenschutzen feuerten immer noch, und bei seinem ruhelosen Auf- und Abgehen sah Bo-litho an den Splittern, die von den Planken aufflogen, da? ein Scharfschutze die Offiziere der Lysander aufs Korn genommen hatte.
        Ein scharferer Knall kam aus den pockennarbigen Segeln, die jetzt wie wei?e Klippen uber die Webleinen der Lysander ragten, und eine Sekunde spater lag das hintere Achterdeck voller um sich sto?ender, schreiender Verwundeter. Der Franzose hatte also eine Drehbasse im Masttopp, die auf kurzeste Entfernung eine Kartatschenladung abgefeuert hatte - der franzosische Kommandant setzte anscheinend alle Mittel ein.

«Der Frog ist manovrierunfahig«, schrie Herrick.»Er treibt auf uns zu! Mr. Grubb, Ruder nach Luv!»
        Doch der Master, fluchend, hustend und spuckend im Rauch, zerrte Tote und Verwundete vom Ruder weg - oder von dem, was noch davon ubrig war. Die Kartatsche hatte zuerst das Rad zerschmettert wie eine Zielscheibe und war dann zwischen die Geschutze gefegt; das Deck war wie gemustert mit Trummern, zerfetzten Menschenleibern und Blut. Mehrere Matrosen, noch halb betaubt, rannten Grubb zu Hilfe, warfen sich in die restlichen Speichen und wagten kaum die Augen aufzumachen, weil sie Angst hatten, die zerfetzten Leiber ihrer Kameraden zu erblicken.

«Zu spat!«sagte Bolitho heiser.
        Der Bugspriet des Feindes, der machtige Treibanker der gebrochenen Takelage, lagen direkt vor ihrem eigenen Bug. Der Feind feuerte immer noch, ebenso wie die Manner der Lysander, uber die Distanz von nur drei?ig Fu?.
        Jaulend flogen die Kugeln durchs Rigg oder krachten wie machtige Hammerschlage in den Schiffsrumpf. Eine krachte in eine Stuckpforte und pflugte eine Geschutzbedienung um, die fur den nachsten Schu? ausputzte. Der Achtzehnpfunder, aus seinen Zur-rings gerissen, sauste uber das schrage Deck und zog, als er durch die zerfetzten Leiber der Bedienungsmannschaft rutschte, breite Blutbahnen nach sich.
        Harry Yeo, der Bootsmann, wies brullend seine Leute an, das Geschutz wieder unter Kontrolle zu bringen, und schwang dabei sein Enterbeil wie ein Wilder im Urwald.

«Wir rammen sie!«sagte Bolitho zu Herrick und rief dann Gil-christ zu:»Marssegel weg! Wir mussen klarkommen, ehe sich der andere Franzose erholt!«Eine Musketenkugel zischte an seinem Kopf vorbei.
        Herrick nickte krampfhaft.»Mr. Gilchrist! Befehl weitergeben: Enterkommando abwehren!»
        Wieder horte Bolitho Schreie, und dazwischen Leroux' Stimme:»Holt die Scharfschutzen endlich aus den Topps!»
        Eindringlich erwiderte Bolitho:»Nein, Thomas! Wir mussen entern! Sonst hauen sie uns in Stucke!»
        Er hielt sich an der Reling fest. Mit schmetterndem Krachen rammte de r Kluverbaum der Lysander den Bug des Feindes. Der Anprall verstrickte beide Schiffe immer tiefer ineinander; die Kanonen schwiegen, der scharfere Knall des Musketen dominierte jetzt.
        Bolitho zog den Degen.»Da? mir das Schiff wieder klarkommt, Thomas!«Er wollte Herricks Zuversicht starken, denn er sah die Unsicherheit auf dessen pulververschmierten Zugen, die sich in Angst verwandelte, als er rief:»Lassen Sie jemand anderen rubergehen, Sir!«rief er.
        Druben ertonte machtiges Gebrull und Geschrei, und schon versuchten franzosische Matrosen, durch das baumelnde Gewirr auf die Lysander zu springen.

«Keine Zeit«, sagte Bolitho kurz, rannte den Steuerbord-Laufgang hinunter und suchte sich aus den einzelnen Geschutzbedienungen eine Anzahl Manner zusammen.
        Auf dem Vorderkastell lagen bereits zehn oder funfzehn Tote, Franzosen wie Briten. Entermesser klirrten, aus den Wanten und Rusten beider Schiffe schossen die Scharfschutzen Storfeuer in das Chaos.

«Die Karronade!«brullte Bolitho.
        Er stie? einen Verwundeten beiseite und hieb einem franzosischen Unteroffizier in den Hals; er fuhlte den Aufprall vom Unterarm bis in seine alte Schulterwunde hinauf, die wie Feuer brannte.
        Ein wildaugiger Seesoldat schien begriffen zu haben, was der Kommodore wollte, und warf sich in die Zuge der Karronade; Mid-schipman Luce und ein paar Matrosen eilten ihm zu Hilfe.

«Feuer!»
        Der Abschu? der Karronade warf die meisten Enterer zuruck. Als sie auf ihrem eigenen Schiff die blutigen Uberreste derer sahen, die ihnen folgen sollten, entschlossen sie sich zum Ruckzug.

«Entert sie, Jungs!«schrie Bolitho, schwang seinen Degen, spurte, da? eine Pistolenkugel ihm den Dreispitz vom Kopf ri?, und sprang, halb fallend, auf das schwer angeschlagene Vorschiff des Feindes. Als er sich umwandte, um zu sehen, wie viele seiner Manner ihm folgten, starrte er in die grimmigen Augen der riesigen Galionsfigur der Lysander; er fuhlte wieder jenes irre Grinsen auf seinen Lippen, die unbeherrschbare Wildheit, die ihn zwang, durch zerbrochene Niedergangsleitern, zersplitterte Spieren, Toten mit klaffenden Wunden, das Gewirr des herabgefallenen Riggs immer weiter vorzusturmen.
        Klirrend wogte der Kampf Mann gegen Mann; unter Fluchen, Zahneblecken, Angst und Wut hieben sie sich den Weg uber das Vorderkastell frei.
        Aus dem Augenwinkel sah Bolitho sein Flaggschiff, das sich unbeirrt aus dem Gewirr der zerrissenen Wanten des Feindes loste, das rauchgeschwarzte Scharlachrot von Leroux' MarineInfanteristen, deren morderisches Feuer nicht abri?.
        An der Richtung des abziehenden Rauches erkannte er, da? beide Schiffe jetzt vor dem Wind lagen. In dem Streifen dunklen Wassers zwischen den Rumpfen schwammen Wrackteile und ein paar Tote.
        Sonne stach durch den Rauch; der Streifen Wasser verbreiterte sich. Herrick hatte es geschafft, den ungefugen Rumpf der Lysan-der so zu drehen, da? sie jetzt mit Hilfe der Segel und des Ruders freikommen konnte.
        Ein Mann, die erhobene Pistole auf seine Brust gerichtet, sturzte auf Bolitho zu. Deutlich erfa?te Bolitho in diesem Sekundenbruchteil das Bild des unbekannten Franzosen: Er hatte ein hageres, tiefbrunettes Gesicht und entblo?te die Zahne in wutender Konzentration. Er war au?er Reichweite von Bolithos Degen, dessen Arm auch schon so lahm war, da? er ihn kaum noch hochbrachte.
        Da blitzte ein schwerer Entersabel vor seinen Augen - so schnell, da? er wie ein Silberbogen in dem dunstigen Sonnenlicht wirkte. Der Franzose schrie schrill auf und taumelte zur Seite; schreckgelahmt starrte er auf die Hand, welche, die Pistole noch im Griff, ein Stuck weiter auf den Planken lag.
        Allday, die Sabelklinge noch blutig, stand an Bolithos Seite.»Moment, Sir!«Er duckte sich unter zwei gebrochenen Spieren und hieb dem Verwundeten den Halswirbel durch. Fast ohne Laut sank der Mann auf die Planken.»Besser«, keuchte Allday,»als mit einer Hand zu leben!»

«Zuruck, Jungs!«brullte Bolitho.
        Noch ein paar Minuten, und sie hatten das Schiff nehmen konnen. Er wu?te es. Aber ebenso wu?te er, da? der andere Vierundsiebziger wahrscheinlich schon drehte, um der Lysander eine Breitseite zu verpassen, ehe sie das Feuer erwidern konnte.

«Zuruck!»
        Der Ruf lief uber die blutigen Decks und mischte sich mit dem Hurra der Marine-Infanteristen, die auf dem Kluverbaum hockten und die Feinde wie Huhner abschossen. Hande streckten sich den Matrosen entgegen und zogen sie auf die Lysander zuruck, die Sekunden spater unter Krachen, Donnern und Splittern ganz aus dem Gewirr der zerfetzten Spieren und Wanten freikam und schwerfallig vor den Wind drehte. Aus dem unteren Batteriedeck feuerte noch eine letzte wutende Salve; die Zweiunddrei?igerKugeln schmetterten in den Rumpf des Feindes, dunne Blutstrome rannen aus den Speigatten uber die zerlocherte, splitternde Bordwand.

«Hurra! Hurra fur den Kommodore!«schrie Pascoe gellend.
        Bolitho ging nach achtern, und ein bezopfter Matrose prasentierte ihm grinsend den Dreispitz, den er irgendwie aus dem Kampfgetummel gefischt hatte. Herrick begru?te ihn heiser; angstlich suchten seine Augen nach Wunden.

«Wo ist der andere?«fragte Bolitho.
        Herrick deutete nach Backbord.»Halt sich klar, Sir.»

«Hab' ich mir fast gedacht.»
        Bolitho blickte vom Vormast zum Achterdeck. Die Fockstenge war weg, mehrere Geschutze waren umgesturzt. Das Oberdeck hatte erhebliche Locher, und emsige Hammerschlage, das trubselige Janken der Pumpen verrieten ihm, da? die Schaden unter der Wasserlinie ebenfalls betrachtlich waren.

«Bringen Sie das Schiff wieder in Fahrt«, sagte er.
        Neben einem sterbenden Seesoldaten kniete Pascoe, hielt seine Hand und blickte in das Gesicht, aus dem Verstehen und Bewu?tsein bereits schwanden.
        Grubb studierte seinen Kompa?; seine neuen Rudergasten, die mit nackten Fu?en unsicher auf den von Blut glitschigen Planken standen, blickten starr in die killenden Segel und warteten darauf, da? die Lysander wieder auf das Ruder reagierte.
        Die Marine-Infanteristen traten von den Finknetzen zuruck, entluden die Musketen und sahen jetzt, da der Kampf vorbei war, auf einmal todmude aus.
        Midshipman Luce verband mit einer Signalflagge die furchtbare Wunde im Oberschenkel eines Matrosen. Der Mann starrte zu ihm auf und wiederholte immer wieder, wie im Gebet:»Versprechen Sie mir, da? ich nicht ins Orlopdeck[Deck unter der Wasserlinie, wo der Schiffsarzt die Verwundeten behandelte.] mu?, Mr. Luce! Doch die Sanitatsgasten des Schiffsarztes kamen bereits in ihren blutigen Schurzen und schleppten ihn hinunter.
        All das und noch mehr sah Bolitho. Wie so viele, war der Matrose, der das furchtbare Gefecht durchgestanden hatte, unfahig zu begreifen, weshalb er jetzt dem Messer des Chirurgen ausgeliefert wurde.

«Sie reagiert, Sir«, murmelte Grubb.

«Steuern Sie Nordost. «Der Wind fuhr in die locherigen Segel, und Bolitho sah hoch.»Signal an Harebell: Sie soll dichtauf bleiben. «Wie mochte sich Inch wohl als unbeteiligter Zuschauer vorgekommen sein?
        Herrick kam nach achtern und fa?te an den Hut.»Wir haben sie geschlagen, Sir.»
        Bolitho sah ihn an.»Ein Sieg war es nicht, Thomas. «Unter Deck schluchzte ein Mann wie ein Kind.»Aber jetzt wissen wir, was wir konnen. Und nachstes Mal machen wir es schon ein bi?chen besser. «Leroux kam mit seinem Sergeanten vorbei, und Bolitho nickte ihm zu.
        Dann ging er zur Kampanjeleiter. Auf halbem Wege blieb er stehen, um nach den Feindschiffen auszuschauen. Mit ihren fehlenden Masten und Spieren, dem nachschleppenden Gewirr des zerschossenen Riggs boten sie einen traurigen Anblick.
        Die Mannschaft der Lysander hatte sich in ihrem ersten Gefecht bewahrt. Aber den Kampf noch weiterzufuhren, um vielleicht noch mehr herauszuholen, hatte eine Katastrophe gebracht. Die Lust dazu war ihn gleichwohl angekommen.
        Allday trat zu ihm.»Komisches Gefuhl, Sir.»
        Bolitho sah ihn an. Allday hatte ganz recht. Nach einem Seegefecht hatten sie sonst nie Zeit gehabt fur Zweifel und bose Reue - uberhaupt keine Zeit zum Nachdenken. Jetzt ging es Herrick so, dem Kommandanten. Dem Mann, auf den es nach der Schlacht am meisten ankam.
        Allday seufzte.»Aber sie haben gut gekampft, trotz allem. Jetzt ist eine andere Luft im Schiff.»
        Langsam ging Bolitho zur Heckreling und lie? sich den Wind durch die blutverschmierte Uniform, um die schmerzenden Glieder wehen. Es war wie erfrischende Medizin. An Backbord kreuzte die Harebell heran, sehr hell, sehr sauber im Sonnenschein.
        Er zog seine Uhr. Das ganze Gefecht hatte weniger als zwei Stunden gedauert. Ein paar Tote trieben noch in der See, die Gesichter sehr bleich im blauen Wasser; sie mochten wohl Franzosen sein, die beim Entern gefallen waren. Und seine eigene Verlustliste? Wie viele lagen im Sterben oder warteten bereits auf Bestattung?
        Zwei Matrosen rannten die Kampanje entlang; sie hatten Marlspieker in Handen und hielten Ausschau nach Tauwerk, das gesplei?t werden mu?te. Fur sie war es vorbei. Fur diesmal. Sie schwatzten miteinander, dankbar, weil sie heil und gesund waren, weil sie noch lebten.
        Still sah Bolitho ihnen nach. Vielleicht hatte Herrick recht gehabt mit dem, was er uber die Zivilisten in England gesagt hatte, die fur solche Manner keinen Gedanken ubrig hatten.
        Er nickte den beiden zu. Schlimm genug, wenn dem so ware, dachte er. Denn solche Manner waren sehr wohl ihrer aller Gedanken wert, und noch viel mehr als das.



        VIII Nachwirkungen

        Joshua Moffitt, personlicher Schreiber des Kommodore, tippte sich mit der Feder an die Zahne und wartete. Bolitho hatte sich im Schreibtischsessel zuruckgelehnt und trank einen Schluck Kaffee.
        Er lie? die starke Flussigkeit in den Magen rinnen und versuchte, sich auf den Bericht an den Admiral zu konzentrieren, den er eben diktierte. Nur fur den Fall, da? er jemals abgesandt und auch gelesen wurde.
        Er wu?te, da? Moffitt ihn beobachtete, doch im Lauf der Zeit hatte er sich einigerma?en an dieses merkwurdige, glaserne Starren gewohnt. In der Schlafkajute nebenan machte Ozzard, der Kajutsteward, das Bett zurecht; er bewegte sich so leise, da? seine Fu?e kaum auf den Planken zu horen waren. Was fur ein seltsames Schicksal diese beiden Manner in ihre gegenwartigen Lebensstellungen gebracht hatte! Ozzard, der sich um Bolithos tagliche Bedurfnisse kummerte, vom Rasierwasser bis zum frischen Hemd, sollte angeblich Anwaltsschreiber gewesen sein. Jedenfalls war er gebildeter als mancher Offizier. Moffitt dagegen, zu dessen Pflichten das sorgfaltige Niederschreiben jeder Order und Depesche, das Registrieren der personlichen Signale Bolithos und das Ausschreiben der Instruktionen fur die Kommandanten des Geschwaders umfa?ten, war ein Produkt der Slums. Er hatte strahniges, graues Haar und glasern starre Augen, die aus seinem pergamenthautigen Schadel spahten wie die eines Halbtoten. Oder, wie es Allday einmal recht unfreundlich ausgedruckt hatte:»Ich habe schon manchen Schurken am Galgen baumeln sehen,
der besser aussah!»
        Bolitho hatte nur wenig uber Moffitt erfahren konnen. Er sollte im Schuldgefangnis auf seinen Abtransport nach der neuen Strafkolonie in der Botany Bay[an der australischen Ostkuste, sudlich von Sydney] gewartet haben. Ein hoffnungsvoller Leutnant mit einem gerichtlichen Patent zur Anwerbung von Rekruten fur Seiner Majestat Kriegsflotte war in diesem Gefangnis erschienen; und mit mehreren anderen hatte Moffitt ein neues Leben begonnen. Sein erstes Schiff war ein Achtzig-Kanonen-Zweidecker gewesen; in einem kurzen Scharmutzel vor Ushant[Insel nordwestlich von Brest; franzosische Schreibweise Ouessant] war der Kapitansschreiber von einer verirrten Musketenkugel getotet worden. Moffitt hatte die Gelegenheit genutzt und durch Ubernahme von dessen Pflichten einen weiteren Wechsel in seinen Le-bensumstanden bewirkt. In Spithead wurde er auf die Lysander versetzt und hatte sich bereitwillig als Kommodore-Schreiber angeboten, bis sich ein Geeigneterer fand. Bei dem hektischen Betrieb angesichts der Neuausrustung und Reparatur konnte Moffitt unauffallig in seine neue Rolle schlupfen.
        Bolitho schaute in seinen Becher. Es ware nur zu leicht gewesen, Ozzard nach frischem Kaffee zu schicken. Kaffee war eine seiner Schwachen. Aber er wollte sich an seine Regeln halten und seinen Vorrat so lange wie moglich strecken.
        Er horte das beharrliche Klopfen der Hammer. Die Reparaturarbeiten gingen pausenlos weiter. Dies war der vierte Morgen nach dem Gefecht. Die Lysander, gefolgt von der Schaluppe und der Prise, war langsam weiter nordostwarts gekrochen; die Leute arbe i-teten, bis es dunkel wurde, damit das Schiff fur den Notfall wieder kampfbereit war.
        Noch einmal vergegenwartigte er sich die Karte, die er vor seinem frugalen Fruhstuck studiert hatte. Sie waren gezwungen, sehr langsam zu segeln. Zerfetzte Leinwand mu?te von den Rahen genommen und geflickt oder ersetzt werden. Der Kluverbaum mu?te nach der Kollision mit dem franzosischen Vierundsiebziger fast ganz neugetakelt werden; Bolitho war durchaus mit Herrick einverstanden, der in seinem Bericht den Schiffszimmermann Tuke wegen Flei?es und sauberer Arbeit gelobt hatte.
        Mit Recht hatte Herrick auch uber Leutnant Veitch sehr Gunstiges geschrieben. Der Dritte Offizier hatte wahrend des ganzen Gefechts die Batterien befehligt; und daruber hinaus hatte er selbstandig, ohne um Rat oder Erlaubnis zu fragen, seine Geschutze doppelt laden lassen, um den Karronadenbeschu? zu unterstutzen. Doppelte Ladung war schon unter besten Bedingungen und mit erfahrenen Mannschaften eine riskante Sache. Und doch hatte
        Veitch einen genugend klaren Kopf bewahrt, um die richtigen Manner aus den gerade nicht beschaftigten Geschutzbedienungen herauszusuchen. Auch Midshipman Luce, Bootsmann Yeo und Major Leroux waren, Bolithos Zustimmung vorausgesetzt, im Bericht des Kommandanten lobend erwahnt worden. Jedoch die Kehrseite der Medaille: Dreizehn Mann der Lysander waren in der Schlacht gefallen oder spater an ihren Verletzungen gestorben. Der Schiffsarzt hatte noch funf gemeldet, die jeden Moment sterben konnten, und zehn andere, die mit einigem Gluck wieder dienstfahig werden wurden.
        Die Verluste des Feindes waren vermutlich weit hoher; dazu kam noch die Blamage, von einem einzelnen Schiff in die Flucht geschlagen worden zu sein. Doch wo es sich um Menschen handelte, war das ein geringer Trost. Man mu?te noch Wochen, vielleicht noch Monate, ohne Ersatz auskommen. Muskeln und Knochen waren wesentlicher als Hanf und Eichenholz; die Menschen selber waren fur das Schiff schlechthin lebenswichtig.
        Bolitho versuchte, nicht an seinen eigenen Bericht zu denken, der noch unvollendet neben Moffitts knochigem Ellbogen lag.

«Fahren wir fort, Sir?«fragte der Schreiber. Seine Stimme war wie der ganze Mann dunn und kratzig. Laut Musterrolle war er achtunddrei?ig, doch sah er eher wie sechzig aus.
        Bolitho musterte ihn nachdenklich.»Wie weit sind wir?»
        Die Feder glitt ubers Papier: «Wahrend der ganzen Aktion war das Schiff standig unter Kontrolle, und nur als es im Rigg des zwe i-ten franzosischen Schiffes verstrickt war, ist es etwas abgetrieben.«Die glasernen Augen hoben sich.»Sir?»
        Bolitho stand auf und ging zur Heckgalerie, die Hande auf dem Rucken. Er konnte Herricks Gesicht nicht aus seinen Gedanken verdrangen, wie es wahrend des Gefechts, in dem Moment, als die Kollision sich als unvermeidlich erwies, ausgesehen hatte. Das war der entscheidende Augenblick gewesen. Es war starker als der Kanonendonner, die furchtbaren Schreie, das zuckende Scharlachrot beim Ruder: in diesen entscheidenden Minuten hatte Herrick gezogert. Noch schlimmer: als die Franzosen die Initiative an sich gerissen hatten und das Schiff von beiden Seiten angreifen konnten, hatte Herrick die falsche Entscheidung getroffen. Bolitho war, als hore er wieder seine Stimme hier in der Kajute: die Angst, mit der er Gilchrist befohlen hatte, die Enterer abzuwehren. Eben das war falsch gewesen. Eine Defensivma?nahme in diesem Stadium hatte den Kampfeswillen der Mannschaft erstickt; ebensogut hatte man die Flagge der Lysander vor ihren Augen streichen konnen.
        Er zwang sich dazu, Herrick als den Kommandanten der Lysan-der zu betrachten und nicht als Thomas Herrick, seinen Freund. Fruher hatte er jeden hoheren Offizier verachtet, der aus Freundschaft Versagen oder Unfahigkeit deckte. Doch jetzt wu?te er, Entscheidungen fielen nicht so leicht und auch nicht so frei von Vorurteil. Herrick hatte ihn beinahe beschworen, auf dem Achterdeck zu bleiben und sich nicht am Kampf zu beteiligen. War das reine Freundschaft, oder weil er Bolithos Rat und Entschlu?kraft nicht entbehren konnte? Bolitho hatte bemerkt, wenn auch erst viel spater, da? der franzosische Kommandant achtern geblieben war, wahrend sich seine Manner, die die Lysander geentert hatten, auf blutigem Pfad vorwartskampften. Wie ware der Kampf verlaufen, uberlegte Bolitho, wenn der franzosische Kommandant an der Spitze seiner Manner in vorderster Front gekampft hatte, unter Gefahr fur Leib und Leben, wahrend sein britischer Gegenpart sich herausgehalten hatte und in verhaltnisma?iger Sicherheit geblieben ware?
        Er stutzte sich auf das Sull unter dem salzfleckigen Fenster. Herrick war kein Feigling und konnte ebensowenig unloyal handeln wie seine Schwester verraten. Aber auf dem Achterdeck, als er am allernotigsten gebraucht wurde, hatte er versagt.

«Ich diktiere spater zu Ende, Moffitt«, sagte Bolitho kurz. Er wandte sich ab und glaubte, in den Augen des Schreibers einen Funken Neugier aufglanzen zu sehen.»Sie konnen schon ins reine schreiben, was wir bisher erledigt haben. «Damit war Moffitt zunachst einmal beschaftigt, und Bolitho konnte den Abschlu? des Berichts noch etwas aufschieben.
        Es klopfte, und Herrick trat ein.»Ich dachte, Sie wurden es sofort wissen wollen, Sir: Die Harebell hat signalisiert, da? sie im Osten zwei Segel gesichtet hat.
«Seine blauen Augen streiften Moffitt.»Hochstwahrscheinlich ist es das Geschwader.
«Bitter fugte er hinzu:»Diesmal!»
        Bolitho sah, da? sein Blick auf den Bericht fiel, und verspurte ein gewisses Schuldgefuhl; als hatte Herrick seine Gedanken gelesen, seine bitteren Zweifel. Danke. Wie ist unsere Position?»
        Herrick runzelte die Stirn.»Bei acht Glasen waren wir vierzig Meilen nordlich der Insel Mallorca. Bei der langsamen Fahrt, die wir machen, und den Schaden an Segeln und Ruder will sich selbst der Master nicht genauer festlegen.»

«Sie konnen gehen, Moffitt«, sagte Bolitho. Er horte, wie Ozzard aus der Schlafkajute direkt auf den Gang hinaustrat.

«Ihre Befehle, Sir?«fragte Herrick.

«Wenn wir wieder zum Geschwader sto?en, will ich eine Kommandantenbesprechung abhalten. «Bolitho trat ans Fenster und sah Herricks Spiegelbild in dem dicken Glas.»Sobald mir Captain Farquhar erklart hat, warum er mit dem Rendezvous bis jetzt gewartet hat, werde ich darlegen, wie ich mir unser weiteres Vorgehen denke. Als Flaggkapitan mussen Sie dafur sorgen, da? jedes Schiff, von der Lysander bis zur Harebell, meine Dienstanweisungen genau versteht. Fur mich ist Initiative ein durchaus brauchbarer Ersatz fur blinden Gehorsam. Aber ich wunsche keine Manover auf eigene Faust, und noch weniger dulde ich blanken Ungehorsam.»

«Ich verstehe, Sir«, erwiderte Herrick.
        Bolitho wandte sich um und sah ihm ins Gesicht.»Was denken Sie, Thomas? «Er wartete gespannt. Herrick sollte sich aussprechen.»Was denken Sie wirklich?»
        Herrick hob die Schulter.»Ich glaube, Farquhar ist eigennutzig, er giert nach Beforderung und wird, so oft er nur kann, nach eigenem Ermessen und zu eigenem Nutzen handeln.»

«Aha.»
        Bolitho trat an sein Weinkabinett und fuhr mit dem Finger uber das Holz. Er sah sie noch vor sich, wie sie ihn anlachelte, hatte noch ihr ansteckendes Lachen im Ohr, als sie sah, wie sehr er sich uber das Geschenk freute. Ihre Liebe war so warm, so gro?herzig gewesen. Und rucksichtslos war sie jedem uber den Mund gefahren, der es gewagt hatte, sich uber ihre Affare kritisch zu au?ern.

«Ist das alles, Sir?«Herrick sah mude und mi?mutig aus.

«Nein, Thomas. «Bolitho wandte sich ab; Herrick wirkte so abgespannt, da? er ihm leid tat. Vermutlich hatte er seit dem Gefecht hochstens eine Stunde oder zwei geschlafen.»Es ist leider nicht alles. «Er deutete auf einen Stuhl, doch Herrick blieb stehen, Bo-litho hatte es vorhergewu?t. Er fluchte innerlich. Das eben war das Schlimme. Sie kannten einander so gut, da? sie sich Konflikte eigentlich nicht leisten konnten. Er begann:»Ich habe meinen Bericht an den Admiral fertigzustellen. Fruher oder spater mu? ich ihm eine Depesche schicken, meine personliche Meinung zur Lage. Davon konnte ein ganz neues strategisches Konzept abhangen. Wenn ich die Lage falsch beurteile, steht viel mehr als nur mein Kopf auf dem Spiel. Wenn St. Vincent eine gro?e Flotte ins Mittelmeer schickt und wir spater entdecken, da? die Franzosen im Westen sind statt im Osten, vielleicht um zu ihren Geschwadern in den Biskayahafen zu sto?en, dann geht es nicht nur um eine verlorene Schlacht, sondern unter Umstanden um England.»

«Das ist mir klar, Sir. Eine schwere Verantwortung.»
        Bolitho starrte ihn an.»Wollen Sie mir ausweichen? Sie wissen verdammt genau, was ich meine! Wir sind auf einer hochwichtigen Mission, fur deren Erfolg kein Risiko zu gro? ist. Wenn ich dem Admiral meine erste Depesche schicke, mu? ich ihm auch uber den Zustand meines Geschwaders berichten.»
        Herrick starrte zuruck.»Wahrend sich die ubrigen Schiffe unseres Geschwaders irgendwo herumgetrieben haben, Sir, haben unsere Leute besser gekampft, als ich es fur moglich gehalten hatte. Das habe ich auch in meinem eigenen Bericht zum Ausdruck gebracht.»
        Traurig schuttelte Bolitho den Kopf.»Und was ist mit Ihnen selbst, Thomas? Was soll ich uber Sie schreiben?»
        Herrick sah auf einmal todmude aus.

«Ich rede nicht von Ihrer Seemannschaft«, fuhr Bolitho fort,»auch nicht von Ihrer Schiffsfuhrung unter Beschu? - die zu kritisieren, besteht kein Anla?.»
        Herrick sah an ihm vorbei.»Ich habe mein Bestes getan.»
        Bolitho zogerte, doch er wu?te, da? jetzt, und nur jetzt, der richtige Moment war. Es war aber nicht gut genug«, sagte er rundweg,»und das wissen Sie.»
        Ein Ruf des Ausgucks ertonte von oben:»An Deck! Segel in Lee voraus!«Also kamen Farquhars Schiffe in Sicht - wenn sie es waren.

«Falls das Ihre Meinung ist, Sir«, erwiderte Herrick,»dann schlage ich vor, Sie schreiben es auch in Ihren Bericht.»
        Bolitho wurde beinahe wutend.»Seien Sie doch nicht so ein verdammter Narr!«Das Blut stieg ihm zu Kopf, die Wildheit der Schlacht erwachte wieder.»Sie waren zu langsam, Thomas. Sie haben vor jeder Entscheidung zu lange gezogert. Sie wissen so gut wie ich, da? in einem Gefecht Breitseite gegen Breitseite keine Zeit zum Nachdenken ist.»
        Herrick blieb bei diesem Zornesausbruch au?erlich ruhig.»Glauben Sie, ich wei? das nicht?«Hilflos, verzweifelt hob er die Schultern.»Schon als ich voriges Jahr die Impulsive verlor, kamen mir Zweifel. Zweifel an meinen Kraften, an meinen Nerven, wenn Sie wollen. «Er blickte zur Seite.»Ich habe die Lysander in diese Bucht gesegelt, weil ich nicht anders konnte; irgend etwas zog mich hin, wie in alten Zeiten, wenn ich einfach wu?te, es mu? getan werden. Sie hatten nicht signalisiert, aber irgendwie wu?te ich, da? Sie da waren und auf mich warteten. Es war vielleicht dasselbe Gefuhl, das Sie bei Adam Pascoe hatten. Das sitzt tiefer als alle Logik.»

«Und vor vier Tagen?»
        Wieder blickte Herrick ihn an.»Ich habe diese beiden Schiffe stundenlang beobachtet, wie sie immer naher kamen. Habe mir ihre Besatzungen vorgestellt, wie sie mit ihren Kanonen auf mich zielten. Und als Sie sich entschlossen, allein, ohne Unterstutzung anzugreifen, da konnte ich mich kaum ruhren und kaum ein Wort herausbringen. Ich horte meine Stimme wie von fern, als ich die Befehle gab. Aber dahinter war alles wie aus Stein. Wie tot. «Er wischte sich mit dem Handrucken den Schwei? von der Stirn.»Ich kann nicht mehr. Seit der Schlacht im vorigen Jahr wei? ich das.»
        Bolitho stand auf und ging langsam zum Fenster. Er erinnerte sich, wie aufgeregt Herrick damals gewesen war, als er auf der Admiralitat die Ernennung zum Flaggkapitan bekam. Herricks Freude war ebenso gro? gewesen wie seine eigene. Uber die Gefahren und Tucken ihrer Mission hatten sie sich keine Gedanken gemacht, beide hatten sie sich nicht gefragt, ob sie all dem gewachsen waren.

«Sie sind so mude, da? Sie nicht richtig denken konnen, Thomas.»

«Bitte, Sir«, erwiderte Herrick heiser,»bemitleiden Sie mich nicht, demutigen Sie mich nicht noch durch Ihr Verstandnis! Sie wissen, was mich das kostet, also ersparen Sie mir in Gottes Namen noch weitere Beschamung!»
        Drau?en auf dem Gang waren Schritte zu horen, und Bolitho sagte:»Lassen Sie mich allein. Ich mochte nachdenken. «Er versuchte, die richtigen Worte zu finden, und war wutend uber sich selbst, weil Herrick ihm solchen Schmerz antun konnte.»Sie sind mir zu wertvoll, als da? ich etwas falsch machen mochte.»
        Die Tur offnete sich einen Spalt weit, und Midshipman Saxby steckte den Kopf in die Kajute.»Captain, Sir?«Zahnluckig und angstlich grinste er, als er Bolitho sah. Mr. Gilchrist la?t respektvoll fragen, ob Sie an Deck kommen konnen?»
        Da Herrick nicht gleich antwortete, fragte Bolitho:»Ist was nicht in Ordnung?»
        Saxby schluckte hinunter.»N-nein, Sir. Der Erste Offizier wunscht die Anwesenheit der Mannschaft beim Strafvollzug.»
        Herrick erwachte aus seinem Sinnen.»Ich komme, Mr. Saxby. «Und mit einem Blick auf Bolitho:»Entschuldigung, Sir.»
        Lange sah Bolitho auf die geschlossene Tur. Es war, als hatten Herricks Augen durch eine fremde Maske geblickt. Ein Gefangener. Wie hatte er gesagt? Wie tot.
        Er fuhr herum, als Ozzard lautlos durch die andere Tur in die Kajute kam. Oben und vor der Schottwand horte er Leroux' MarineInfanteristen in ihren Stiefeln trampeln, und dann die leichtfu?igen Matrosen, die sich an Deck versammelten, um dem Strafvollzug beizuwohnen.

«Kann ich irgend etwas tun, Sir?«fragte Ozzard leise.
        Bolitho sah zum Skylight auf und horte die dumpfen Hammerschlage, mit denen die Grating aufgeriggt wurde, an der dieser Mann festgebunden und ausgepeitscht werden sollte.

«Ja! Machen Sie das verdammte Skylight zu!«Er runzelte die Stirn.»Pardon, ich wollte Sie nicht anschreien.»
        Er schritt zur anderen Seite. Hole der Satan Gilchrist und seine Strafen! Was wollte er damit beweisen, und wem?
        Vorsichtig sagte Ozzard:»Ihr Schreiber ist drau?en, Sir.«»Soll 'reinkommen!»
        Moffitt trat in die Kajute und blinzelte in das gespiegelte Sonnenlicht.»Ich habe den ersten Teil fertig, Sir, und dachte…»

«Warten Sie. «Bolitho sprach lauter, um das Klatschen der Peitsche auf eines Mannes nacktem Rucken zu ubertonen.»Ich diktiere Ihnen einen Brief.»
        An Deck ein kurzer Trommelwirbel, dann wieder der flache, klatschende Schlag der neunschwanzigen Katze auf nackter Haut.

«Wollen Sie anfangen, Sir?»
        Ebenso wie Ozzard, der seelenruhig vor sich hin summend nebenan in der Schlafkajute wirtschaftete, war Moffitt von dem langwierigen Ritual des Strafvollzuges vollig unbeeindruckt. Wahrend er…

«An Captain Charles Farquhar von Seiner Britannischen Majestat Schiff Osiris.»
        Bolitho legte die Stirn an die sonnenwarme Fensterscheibe und blickte auf das schaumende Wasser unterm Heck. Wie einladend das war. Kuhl. Reinigend. Hinter sich horte er Moffitts Federkiel uber das Papier kratzen. Er stockte durchaus nicht beim Wirbel der Trommel, beim Schlag der Peitsche. Farquhar wurde gute Grunde dafur haben, da? er seine Position verlassen hatte, ganz bestimmt.

«Sir?»
        Bolitho pre?te die Fauste gegen die Oberschenkel, bis der Schmerz starker war als seine Nervositat.

«Bei Empfang dieser Order werden Sie auf das Flaggschiff Lysander versetzt…«Er zogerte wieder und kampfte mit sich selbst… »um dort die mit Ihrer Ernennung zum Flaggkapitan verbundenen Pflichten zu ubernehmen.»
        Diesmal stockte der Kiel. Bolitho fuhr fort: «Ihr gegenwartiges Kommando ubernimmt Captain Thomas Herrick.»
        Er schritt zum Tisch und sah Moffitt uber die schmale Schulter.»Zwei Kopien. Gleich. «Er nahm dem Schreiber die Feder aus der Hand, der sie anstarrte, als wolle er sie bannen. Mit fast wutendem Schwung setzt er unter den Text:
«Eigenhandig unterschrieben an Bord Seiner Majestat Schiff Lysander, gezeichnet Richard Bolitho, Commodore.»
        Es war getan.
        Thomas Herrick hatte die Mannschaft nach dem Strafvollzug wegtreten lassen. Die naherkommenden Schiffe waren als Osiris und Nicator identifiziert worden. Nun trat Herrick wieder in Bo-lithos Kajute, um Meldung zu machen.
        Bolitho sa? unter den gro?en Fenstern und blickte auf die lebhaft schwingenden Rahen der Osiris hinaus, deren Segel den Wind aufnahmen, so da? sie sich wieder auf ihre Position achteraus von der Lysander begeben konnte.

«Beide Kommandanten sollen sofort an Bord kommen«, sagte er.

«Jawohl, Sir«, antwortete Herrick mude.»Ich habe schon signalisiert. Wenn alle Schiffe auf ihren Positionen sind, drehe ich bei. Die Osiris will schnellstens berichten.»
        Bolitho nickte. Farquhar mu?te Neuigkeiten haben, wichtige Neuigkeiten, deretwegen er das vereinbarte Treffen nicht eingehalten hatte. Bolitho sah nicht nach dem versiegelten Umschlag hin. Die Neuigkeit, die er hatte, wurde selbst den blasierten Farquhar uberraschen.
        Er sagte:»Ich habe das, was Sie mir vorhin anvertraut haben, in meinem offiziellen Logbuch nicht erwahnt, auch nicht in meinem Bericht an den Admiral.»
        Er sah, wie Herrick die Schultern sinken lie?.»Aber ich nehme es selbstverstandlich zur Kenntnis. «Oben klapperten Blocke und knarrten Taljen, denn das Schiff rollte schwer unter verringerten Segeln; jede Minute konnten die anderen Kommandanten eintreffen. Dann ging es noch einmal von vorn los. Er sprach weiter:»Ich konnte meinen Stander auf einem anderen Schiff hissen, Thomas. Aber ich habe so etwas schon einmal erlebt und erinnere mich nur zu gut daran, welche Folgen das hatte. Die ganze Besatzung empfand das als einen personlichen Vorwurf, als ein Mi?trauensvotum des Admirals. Ich hielt das damals fur unfair und tue es heute noch.»
        Herricks Stimme war heiser.»Ich verstehe. Der Gedanke an mein Versagen und was es bedeutet, ist mir alles andere als angenehm. Aber ich will auch nicht gegen etwas protestieren, das meine Schuld ist. «Hilflos zuckte er die Achseln.»Meine Einstellung zur
        Marine und zu Ihnen ist derart, da? ich mich lieber umbringen wurde, als Menschenleben und die Interessen meines Landes zu gefahrden, um meine Fehler zuzudecken.»
        Bolitho sah ihn mitleidig an.»Ich habe nicht die Absicht, Sie Ihres Dienstes zu entheben.»
        Herrick fuhr auf.»Warum haben Sie mich dann…»
        Bolitho stand rasch auf.»Was hatte ich denn machen sollen? Gilchrist das Kommando ubergeben und Sie nach Hause schicken? Oder Sie vielleicht gegen Javal austauschen, obwohl wir blo? eine Fregatte fur die ganze Mission haben?«Er blickte zur Seite.»Ich gebe Ihnen die Osiris. Sie ist ein gutes Schiff mit hohem Ausbildungsstand. «Herrick atmete heftig ein, aber Bolitho achtete nicht darauf und fuhr fort:»Sie brauchen sich dann nicht mehr mit Geschwaderangelegenheiten herumzuargern, sondern konnen Sich auf Ihr Schiff konzentrieren. Was Sie daraus machen, ist Ihre Sache. Aber Ihnen traue ich zu, mehr als jedem anderen, da? Sie voll und ganz Ihre Pflicht tun.»
        Langsam drehte er sich wieder um und sah zu seiner Besturzung, da? Herrick, genau wie vorher, unnaturlich ruhig war.»Farquhar wird hier vorlaufig Ihren Dienst ubernehmen, bis.»
        Herrick nickte.»Wie Sie befehlen, Sir.»

«Befehlen?«Bolitho trat einen Schritt zu ihm hin.»Glauben Sie, ich mute Ihnen zu, da? Sie Tag fur Tag den Offizieren und Mannschaften ins Gesicht sehen mussen, die Sie ausgebildet und befehligt haben, seit Sie auf der Lysander sind? Und da? Sie dabei in jeder Sekunde Angst haben, Sie konnten ihnen auf irgendeine We i-se nicht gerecht werden?«Er schuttelte den Kopf.»Das mache ich nicht. Ebensowenig will ich die Kampfkraft des Geschwaders aufs Spiel setzen, weil Ihre Freundschaft mir kostbar ist.»
        Herrick blickte sich in der Kajute um.»Gut. Ich packe dann meine Sachen und gehe von Bord.»

«Kein Schatten wird auf Sie fallen, Thomas. Dafur sorge ich. Aber lieber sahe ich Sie als Kommandanten einer uralten Brigg, als da? Ihnen an Land das Herz bricht, weil Sie dem einzigen Leben entrissen sind, das Sie lieben und fur das Sie so viel geopfert haben.»
        Anscheinend war Herrick im Moment etwas verwirrt.»Farquhar!«sagte er.»Den habe ich nie leiden konnen. Schon als Mids-hipman nicht. «Er wandte sich zur Tur.»Da? es so enden wurde, hatte ich nie gedacht.»
        Bolitho kam quer durch die Kajute auf ihn zu und reichte ihm die Hand.»Nicht enden, Thomas!»
        Aber Herricks Hande blieben unten.»Wir werden ja sehen, Sir. «Er ging hinaus, ohne sich umzusehen.
        Dann kam Allday. Nach kurzem Zogern nahm er den Degen von seinem Gestell und prufte ihn.
        Bolitho setzte sich wieder auf die Fensterbank und sah ihm trubselig dabei zu.

«Kapt'n Herrick geht also von Bord, Sir?«Aber Alldays Augen ruhten auf dem Degen.

«Fangen Sie nicht auch noch mit mir an, Allday!«Aber es klang keineswegs gereizt. Ich habe die Nase voll fur diesen Tag. Fur tausend Tage.»
        Alldays Augen waren sehr klar in dem reflektierten Licht.»Sie haben das Richtige getan, Sir. «Er lachelte melancholisch.»Ich bin blo? ein einfacher Seemann, und wenn Sie nicht waren, arbeitete ich im Mast und konnte fur jede lausige Kleinigkeit ausgepeitscht werden. Aber ich habe meine festen Ansichten uber die, denen ich diene und - «, er schien das richtige Wort nicht zu finden - ,»fur die ich was ubrig habe. «Sorgfaltig zog er den alten Degen aus der Scheide und hielt die Klinge in die Sonne, als prufe er die Schneide.»Kapt'n Herrick ist ein guter Mann. Auf einem anderen Schiff wird er sich schon wieder fangen. «Mit scharfem Klicken stie? er die Klinge wieder hinein.»Und wenn nicht - dann ist das Flaggschiff erst recht nicht der Ort fur ihn.»
        Bolitho starrte Allday an. Es war schon oft so gewesen; aber noch nie hatte er Alldays moralische Unterstutzung so notig gebraucht wie jetzt. Auf seinem Schiff, ja in seinem ganzen kleinen Geschwader gab es keinen Menschen, mit dem er seine Angste, seine Zweifel wirklich teilen konnte. Als er aus der Offiziersmesse in die Kapitanskajute ubergewechselt war, und erst recht spater, als er seinen Kommodorewimpel bekommen hatte, mu?te er sich eines solchen Luxus' ein fur allemal entsagen.
        Gelassen sprach Allday weiter:»Als ich auf Ihr Schiff gepre?t wurde, hatte ich mir vorgenommen, bei der ersten Gelegenheit abzuhauen. Ich wu?te genau, was auf Desertion steht, aber ich war fest entschlossen. Und dann, bei den Saintes, Seeschlacht in der Karibik; siehe Kent: Zerfetzte Flaggen] als uns die Kanonenkugeln so dicht um die Ohren flogen, da? man sich nicht einmal mehr auf den lieben Gott verlassen konnte, da habe ich mal nach achtern geschaut und Sie gesehen. Und da wu?te ich, es gibt Kommandanten, die ein Herz fur unsereinen haben, fur uns arme Trottel, die fur Konig und Vaterland auch noch hurra rufen sollen, wenn sie in die feindliche Linie segeln.»

«Ich glaube, Sie haben jetzt genug gesagt«, unterbrach Bolitho leise. Wahrend Alldays Tirade hatte er den Kopf nicht erhoben.

«Nur Sie selber«, fuhr Allday fast verzweifelt fort,»Sie sehen das nie, Sir. Sie machen sich Sorgen um Kapt'n Herrick, oder was fur Chancen wir gegen diesen oder jenen Feind haben, aber nie nehmen Sie sich Zeit, an sich zu denken. «Er ri? sich zusammen, denn Ozzard, Bolithos Rock und Hut in Handen, kam durch die andere Tur hereingeschlichen.»Aber was vorbei ist, ist vorbei; es wird schon in Ordnung gehen.»
        Bolitho stand auf; mit starren Augen, die nichts sahen, lie? er sich in den Rock helfen. Das Degenkoppel gab ihm Halt. Allday hatte von Anfang an, vielleicht schon als Herrick zum Flaggkapitan ernannt worden war, begriffen, wie die Dinge lagen.

«Ich gehe an Deck und begru?e die Kommandanten«, sagte er. Und dann sage ich Herrick auf Wiedersehen, fugte er in Gedanken hinzu.»Danke, da? Sie - «, er blickte in Alldays vertrautes Gesicht - ,»da? Sie mich erinnert haben.»
        Damit ging er hinaus.
        Allday sah ihm nach und legte Ozzard den Arm um die Schulter.

«Bei Gott, nicht fur 'n Dutzend Madels und einen Ozean voll Rum mochte ich seinen Posten haben!»
        Ozzard grinste.»Den wird man dir auch kaum anbieten.»
        An Deck war es noch hell. Die abendliche See hatte eine lebhafte Krauselung bei langer flacher Dunung. Die drei Linienschiffe lagen mit killenden Segeln beigedreht und hatten ihre Boote ausgesetzt. Zu jeder anderen Zeit hatte Bolitho bei diesem Anblick das Herz im
        Leibe gelacht. Jetzt, als er auf der Kampanje stand und die beiden Boote in raschem Tempo auf die Lysander zukommen sah, war ihm zumute wie bei einem schweren Verlust.
        Den Hut tief ins Gesicht gezogen, stand Herrick an der Leereling. Dicht neben ihm wartete Gilchrist, die Arme verschrankt, die dunnen Beine gespreizt, um die unregelma?igen Bewegungen des Schiffes abzufangen. Spuren des Gefechtes waren kaum noch zu sehen: ein paar helle Stellen in den Planken, wo der Zimmermann und seine Maaten ihr Werk getan hatten; frische Farbe, wo etwas ersetzt worden war. Die Segel uber dem geschaftigen Deck waren sauber geflickt. Nur schwer konnte man sich noch Pulverqualm und Kampfgetose vorstellen.
        Kaum wagte sich Bolitho auszumalen, was Herrick in diesem Moment dachte. Er mu?te sehr stolz darauf sein, wie gut seine Mannschaft gekampft und alles Schlimme hinterher verkraftet hatte. Noch vor ein paar Monaten hatten die meisten dieser tuchtigen Seeleute an Land gearbeitet, auf einer Farm, in der Stadt, mit mehr oder weniger Konnen und Erfolg, und hatten nicht entfernt daran gedacht, da? sie einmal auf einem Kriegsschiff dienen wurden.
        Es wurde ihnen leid tun, da? ihr Kommandant von Bord ging. Besonders fur die neuen Matrosen war Herrick so etwas wie einer von ihnen, in gewisser Hinsicht ein Anfanger wie sie selbst. Empfanden sie Bedauern oder Arger, so mu?te es sich gegen den Kommodore richten. Nun, damit wurde er notfalls schon noch fertig werden, dachte er grimmig. Auf keinen Fall durfte das gute Andenken an Herrick durch diese Entscheidung beeintrachtigt werden, mochte sie nun richtig oder falsch gewesen sein.
        Das erste Boot machte jetzt an den Rusten fest. Es war Farquhar. Naturlich. Er stieg so elegant und schick durch die Fallreepspforte, als kame er von seinem Londoner Schneider. Als er gru?end den Hut zum Achterdeck hin luftete, glitten seine Blicke gelassen uber die angetretenen Marine-Infanteristen und ihre blinkenden Bajonette. Sein hellblondes Haar, im Nacken zusammengebunden, glanzte uber dem Kragen wie blasses Gold.
        Bolitho beobachtete ihn, wie er Herrick die Hand schuttelte. Wie schlecht die beiden zusammenpa?ten! Farquhars Onkel, Sir Henry
        Longford, war Bolithos erster Kommandant gewesen, als er, zwolf Jahre alt, mit ehrfurchtsvollem, erschrockenem Staunen an Bord des Achtzig-Kanonen-Schiffes Manxman[Manxman: Einwohner der Insel Man.] gekommen war. Vierzehn Jahre spater hatte ihm Longford, inzwischen Admiral, eine Fregatte gegeben, der sein Neffe als Midshipman zugeteilt wurde. Und jetzt war Farquhar, Anfang Drei?ig und Fregattenkapitan, wieder bei ihm. Wenn er den Krieg uberlebte, wurde er zu hohem Rang aufsteigen, in der Flotte wie in der Heimat. Bolitho hatte von Anfang an nicht daran gezweifelt, und Herrick hatte sich nie damit abgefunden.
        Wieder trillerten die Pfeifen, und George Probyn von der Nica-tor, unordentlich wie immer, schob sich durch die Pforte.
        Auf der anderen Seite des Achterdecks stand Pascoe bei Luce und seinen Signalgasten; und Bolitho fand, da? er selbst ebenso ausgesehen haben mu?te, wenn er als junger Leutnant zugesehen hatte, wie irgendwelche unerreichbaren, erhabenen Vorgesetzte kamen und gingen.
        Mit einem Seufzer schritt er zur Kampanjeleiter. Eben sagte Herrick:»Wenn Sie bitte in meine Kajute kommen wollen, Captain Probyn. Der Kommodore will erst Captain Farquhar sprechen.»
        Farquhar zog die Brauen leicht hoch.»Ach? So dienstlich, Cap-tain Herrick?»

«Jawohl«, antwortete Herrick kalt.
        Bolitho beobachtete Farquhar beim Eintreten. Wachsam, im Zweifel vielleicht, wie sein Kommodore reagieren wurde; er spurte wohl auch, da? etwas Besonderes in der Luft war. Doch im ganzen blieb er durchaus selbstsicher.

«Hier mein Bericht, Sir.»
        Bolitho deutete auf einen Stuhl.»Gleich. Unser Angriff war, wie Sie bemerkt haben werden, erfolgreich. Wir haben eine gute Prise, ein weiteres spanisches Schiff aus der Bucht ist auf dem Weg nach Gibraltar. Vor vier Tagen hatten wir Feindberuhrung: zwei franzosische Linienschiffe. Wir haben beide zerschossen und dann die Aktion abgebrochen. Unsere Verluste waren gering - verhaltnisma?ig.»
        Farquhar lachelte gelassen, sah aber nicht mehr ganz so selbstbewu?t aus.»Ich handelte nach Ihren Instruktionen, Sir. Die Buz-zard meldete mir einen Konvoi von funf Schiffen, und wir nahmen die Verfolgung auf. Unter diesen Umstanden.»

«Das war durchaus korrekt. Haben Sie sie erwischt?»

«Captain Javal konnte ein paar Schiffe beschadigen, Sir, aber nur eins zum Beidrehen zwingen. Unglucklicherweise konnte ich nicht rechtzeitig zur Stelle sein, da ich meine Gro?maststenge in einer Sturmbo verloren hatte. Die Nicator griff an und feuerte auf Grund eines, ah, mi?verstandenen Signals eine halbe Breitseite in das franzosische Schiff, so da? es zu sinken begann.»

«Und dann?»
        Farquhar zupfte ein Kuvert aus seinem eleganten Rock.»Dem Fuhrer meines Enterkommandos ist es gelungen, diesen Brief aus dem Panzerschrank des Kommandanten zu retten, ehe das Schiff kenterte und sank. Er ist an einen gewissen Yves Gorse adressiert, der anscheinend in Malta wohnt. Dieser Gorse soll Ankermoglichkeiten schaffen. «Er warf den Brief auf den Tisch.»Fur normale Handelsschiffe, oder so ahnlich wird es ausgedruckt. Ich nehme an, der Text ist verschlusselt; aber der Kommandant war ein solcher Dummkopf, da? ich nichts aus ihm herausbringen konnte. Das kleine Geleit kam aus Marseille. Eskorte war eine franzosische Korvette, nicht weil sie sich irgendwie von uns bedroht fuhlten, sondern wegen der Berberpiraten und dergleichen. «Das Wichtigste hob sich Farquhar bis zuletzt auf.»Mein Erster hat etwas herausbekommen, Sir. Ich habe mehrere franzosische Matrosen fur meine Mannschaft gepre?t; und einer von ihnen hat gehort, wie einer der Uberlebenden behauptete, dieser Brief sei auf personlichen Befehl von Admiral Brueys an Bord gebracht worden!»
        Uberrascht sah Bolitho auf. Brueys war vielleicht der beste und fahigste Admiral der franzosischen Flotte. Vielleicht sogar aller Flotten.

«Das haben Sie gut gemacht. «Bolitho rieb sich die Hande an den Schenkeln trocken. Dieser Gorse mu? ein Spion oder Agent sein. Vielleicht haben die Franzosen einen Angriff auf Malta vor.»

«Oder auf Sizilien?«uberlegte Farquhar stirnrunzelnd.»Bonaparte soll Absichten auf das Konigreich haben. Sie sind im Frieden miteinander; aber wahrscheinlich denkt er, da? man sich im Kriege einen Luxus wie Neutralitat nicht leisten kann - womit er meiner Ansicht nach recht hat.»

«Mag sein. «Bolitho versuchte, nicht an Herrick zu denken.»Wir segeln moglichst schnell nach Toulon und Marseille. Auf Grund Ihres Fundes konnen wir uns jetzt ein Bild davon verschaffen, wie weit sie mit ihren Vorbereitungen sind.»

«Und Ihre Prise, Sir«, fragte Farquhar,»was hat sie geladen?»

«Pulver und Munition. Und Futtermittel.»

«Futter?»

«Ja. Mich beunruhigt das auch. Alle Vorbereitungen der Franzosen und Spanier deuten auf einen Angriff gro?en Stils. Aber Futter? Das sieht nicht nach einem ortlich begrenzten Angriff aus. Mehr nach Kavallerie und schwerer Artillerie mit den notigen Mannern und Pferden.»
        Farquhar bekam glanzende Augen.»Dieses Schiff hatte ebenfalls Futter geladen. «Er sah sich in der Kajute um.»Entschuldigen Sie, Sir - aber sollten wir nicht auf die anderen warten? Es wurde Zeit sparen.»
        Bolitho wies mit den Augen auf den versiegelten Umschlag.»Das ist fur Sie, Captain Farquhar. «Er trat ans Fenster und sah auf die anderen Schiffe hinaus. In seinem Rucken horte er das Kratzen des Federmessers, mit dem Farquhar das Kuvert aufschnitt. Nach ein paar Sekunden sagte dieser:»Das uberrascht mich sehr. «Aber sein Ton war seelenruhig.
        Bolitho wandte sich um und musterte ihn nachdenklich.»Es war eine schwere Entscheidung.»

«Und Captain Herrick, Sir?«Farquhars Gesicht war wie eine Maske.»Ist er krank?»

«Nein«, erwiderte Bolitho kurz.»Treffen Sie sofort alle notwendigen Arrangements. Das Geschwader soll noch vor Sonnenuntergang wieder Segel setzen.»
        Farquhar, den Brief in der Hand, sah Bolitho immer noch an.»Ich wei? nicht, wie ich Ihnen danken soll, Sir.»
        Bolitho nickte nur.»Sie sind offensichtlich der Meinung, da? ich die richtige Entscheidung getroffen habe.»
        Farquhar hatte auch blaue Augen wie Herrick, aber in dem schwachen Licht von See her wirkten sie kalt wie Eis.»Nun, Sir, da Sie mich fragen - jawohl.»

«Dann sorgen Sie dafur, da? man es auch im Geschwader merkt«, erwiderte Bolitho unbewegt.»Captain Herrick ist ein ausgezeichneter Offizier.»
        Wieder dieses leichte Heben der Brauen.»Aber?»

«Kein Aber, Captain Farquhar. Ich will, da? er sich auf einem gut ausgebildeten Schiff, wo er bisher keine privaten Kontakte hat, seiner Kraft bewu?t wird. Er wird vollauf zu tun bekommen. Das sollte ihm guttun - und dem Geschwader auch.»
        Farquhar lachelte.»Mein Erster Offizier wird sehr uberrascht sein. Auch ihm wird das guttun.»

«Der Erste Offizier dieses Schiffes ist Mr. Gilchrist. Ich schlage vor, Sie machen unverzuglich seine Bekanntschaft.»
        Bolitho hatte irgendeine Reaktion erwartet, aber Farquhar sagte lediglich: Gilchrist? Kenne ich nicht. Aber schlie?lich mu? man ja solche Leute auch nicht kennen.»

«Ich wurde es begru?en«, sagte Bolitho,»wenn Sie Ihre personlichen Abneigungen beiseite lie?en.»
        Farquhar stand auf.»Selbstverstandlich, Sir. Ich kann Ihnen versichern, da? ich nie etwas gegen Captain Herrick hatte, obschon mir seine feindselige Haltung mir gegenuber durchaus bekannt ist. «Er lachelte sein dunnlippiges Lacheln.»Keine Ahnung, warum er mich nicht mag.»
        Bolitho sah Ozzard an der Tur stehen.»Bitten Sie die anderen Kommandanten herein, Ozzard«, sagte er.»Und dann konnen Sie Wein bringen. «Es sollte so beilaufig klingen, als stunde er uber allem.
        Ozzard, mit einem scheuen Blick auf Farquhar, deutete einen Buckling an.»Aye, aye, Sir.»
        Bolitho trat auf die Galerie und starrte auf die Wellen hinaus, die wie kleine, wei?bemahnte Pferde von der Kimm herangesprungen kamen. Jedes Bruchstuck einer Information, jedes noch so fadenscheinige Gerucht fuhrte das Geschwader immer tiefer in das Mittelmeer hinein. Und immer war es seine Entscheidung. Ein Brief, der ihm in die Hande gefallen war, hatte ihn in eine Bucht gefuhrt;
        dort mu?ten Manner sterben, und Schiffe wurden vernichtet. Jetzt ging es durch Farquhars Zufallsfund noch weiter nach Nordosten, zu den Hafen der franzosischen Flotte. Stucke eines Puzzlespiels lagen auf der einen Seite, die Seekarte und das gnadenlos rinnende Stundenglas auf der anderen.
        Die Tur ging auf, Bolitho wandte sich um und sah Herrick mit Probyn eintreten. Er wartete, bis sie Platz genommen hatten, und winkte dann Ozzard zum Weinschrank.
        In diesem Moment klopfte es; Gilchrist steckte den Kopf herein und blickte sich suchend um. Er sah Herrick und sagte:»Entschuldigen Sie die Storung, Sir, aber ich mochte den Flaggkapitan sprechen. «Doch er fuhr uberrascht herum, denn es war Farquhar, der ihm antwortete: «Ich bin der Flaggkapitan, Mr. Gilchrist. Ich darf Sie bitten, das nicht zu vergessen!«Eine peinliche Stille trat ein, und Farquhar fuhr fort:»Ich darf Sie au?erdem bitten, die Raume des Kommodore nicht ohne meine Erlaubnis zu betreten!»
        Die Tur fiel zu, Farquhar beugte sich vor und betrachtete den Weinschrank. Seine Stimme war wieder vollig normal.»Ein schones Stuck, Sir. Ich kenne die Arbeiten dieses Tischlers gut.»
        Bolitho sah zu Herrick hinuber; doch den konnte er bereits nicht mehr erreichen.



        IX Wein und Kase

        Captain Charles Farquhar schritt nach achtern, um Bolitho, der an Deck gekommen war, zu begru?en. Obwohl er ohne Rock und Hut war, schaffte er es doch, so elegant wie immer zu wirken; sein gefalteltes Hemd sah aus wie frisch gewaschen.»Kurs Ostnordost, Sir«, meldete er dienstlich.
        Bolitho nickte und schaute zu seinem breiten Stander und den Rahen empor. Der Wind war in der Nacht leicht ausgeschossen,[rechtsdrehend (auf den Kompa? bezogen) geworden] und es gab Anzeichen, da? er abflaute.
        Bolitho nahm ein Teleskop vom Gestell und richtete es uber die Backbordnetze. Es war, als stunde die Umgebung fest, und die Segel taten nur so, als bewegten sie das Schiff. Und doch war es schon drei muhselige Wochen her, seit er zugesehen hatte, wie
        Herrick sich zur Osiris hinuberrudern lie?; zwei dieser Wochen hatten sie hier vor diesem Kustenstrich verbracht. Er studierte das nun schon vertraute haifischblaue Stuck Land. Es war so irritierend, sich klarzumachen, da? eben da druben der geschaftige Hafen von Toulon und hinter seinen schutzenden Mauern die Antwort auf seine Spekulationen und Zweifel lag.

«Nicht einmal eine Spur von einem Segel«, brummte Farquhar,»hol sie der Teufel!»
        Bolitho legte das Glas wieder zuruck und uberschaute das Hauptdeck der Lysander. Die Vormittagswache hatte begonnen. Eine Wache wie die vorigen auch. Uberall auf dem Deck und hoch oben waren Manner am Werk, splei?ten, malten, teerten das stehende Gut, kontrollierten hunderterlei Geschirr auf Fehler und Abnutzung.
        Es war beinahe unheimlich, da? der Golfe du Lyon so leer war. Wie zum Hohn. Die Franzosen mu?ten wissen, da? ein feindliches Geschwader in ihren Gewassern operierte. Jedes Fischerboot konnte es gesichtet und die Nachricht an die nachste Kustengarnison weitergegeben haben. Vielleicht hatten die Franzosen zuviel zu tun, oder sie hatten gar nichts dagegen, da? die Briten lahm hin und her kreuzten, Proviant und Material verbrauchten und nichts damit erreichten.

«Wir mussen uns sehr bald neue Informationen verschaffen oder noch dichter unter Land gehen. «Gelassen erwiderte Farquhar:»Mehr Fregatten sollten wir haben,
        Sir.»
        Fast ware Bolitho ihm argerlich uber den Mund gefahren. Aber Farquhar konnte ja nichts dafur. Bei jeder Mission gab es anscheinend zu wenig Fregatten, doch ohne die war man praktisch blind.
        Er spahte nach achtern, wo die gro?e Breitfock der Osiris in dem unsteten Wind abwechselnd voll und wieder leer wurde, als atme das Schiff keuchend. Sie lag eine Meile zuruck, und hinter ihr in Lee war die Prise Segura gerade noch zu sehen. Wie mochte Pro-byn wohl mit seiner Patrouille zu den kleinen Inseln ostlich von Toulon, welche die Einfahrt schutzten, vorankommen? Er hatte Javals Buzzard mit; das restliche Geschwader mu?te sich mit der Schaluppe begnugen. Bolitho konnte knapp die gelblichen Marssegel der Harebell ausmachen, die wie Muschelschalen vor der franzosischen Kuste standen. Inch wu?te bestimmt, wie wichtig er war. Hoffentlich war er nicht so ubereifrig, da? er zu dicht unter Land ging. Dort konnte der Wind ausbleiben oder eine gut plazierte Kustenbatterie ihn erwischen.
        Bolitho wandte sich wieder der Osiris zu. Drei Wochen - und jeden Tag hatte er an Herrick denken mussen. Farquhar folgte seinem Blick und sagte:»Sie segelt gut.»
        Nur eine beilaufige Bemerkung, aber typisch fur diesen eleganten Kapitan. Ganz gleich, wie lange er auf einem Schiff gesegelt war oder welch dramatische Dinge er darauf erlebt hatte - war er erst einmal von Bord, hatte er auch innere Distanz zu dem Schiff. Er war ohne jede Sentimentalitat, ihn interessierte nur die Gegenwart und die Zukunft, die aus ihr erwachsen mochte.
        Nichtsdestoweniger mu?te Bolitho zugeben, da? Farquhars Tuchtigkeit sich im gesamten Schiff auswirkte. Geschutzexerzieren mit Wettbewerben zwischen den einzelnen Batterien und Decks hatte die Zeit fur Nachladen und Feuern um Minuten reduziert.
        Obwohl Farquhar immer genugend Mu?e fur seine Zerstreuung zu haben schien, war er niemals weit weg, wenn er gebraucht wurde. Und seine Offiziere, von Gilchrist bis zu Midshipman Saxby, hatten gelernt, das zur Kenntnis zu nehmen.
        Farquhar hatte immer in dem Ruf gestanden, ein harter Mann zu sein. Doch bis jetzt hatte er sich noch nie als Tyrann gezeigt. Gleich nachdem er das Schiff auf Kurs gebracht hatte, sah er innerhalb weniger Stunden samtliche Schiffsbucher durch, von der Musterrolle und dem Strafbuch bis zu den Listen uber die Vorrate an Leinwand und Ol.
        Das war eine neue Seite am Charakter Farquhars, und Bolitho kam, als der Mann, der er nun einmal war, gar nicht auf den Gedanken, da? Farquhar diese Dinge von ihm selbst gelernt hatte; jetzt trugen fruhere Zeiten ihre Fruchte.
        Druben auf der Leeseite des Achterdecks stolzierte Leutnant Fitz-Clarence geschaftig auf und ab. Das war auch so eine Geschichte. Farquhar hatte den Zweiten Offizier von dem langweiligen Dienst auf der eroberten Segura abgelost und statt seiner einen Steuermannsmaaten hinubergeschickt, was durchaus richtig war. Und sooft das Wetter es erlaubte, hatte er den Prisenkommandanten ausgewechselt. Midshipmen, Unteroffiziere, sogar Gilchrist (den das machtig argerte) hatten die Segura kommandiert. Das war vernunftig, dabei blieben sie in Form. Aber Farquhar hatte Bolitho nicht etwa um Erlaubnis gefragt. Dergleichen betrachtete er als sein gutes Recht; dafur war er Flaggkapitan.
        Er hatte sogar die Anzahl, wenn auch nicht die Strenge der Strafen gemindert, uberprufte jeden Fall personlich, und wenn der ungluckliche Matrose nur etwas verbrochen hatte, weil es uber sein Verstandnis ging, weil sein Vorgesetzter ungenaue Befehle gegeben oder sonst nicht aufgepa?t hatte, war die Sache fur ihn erledigt. Im letzteren Falle verpa?te er sogar dem Anklager kraftigen Extradienst, damit er sich das nachste Mal vorsah. Lag aber andererseits ein echtes Verschulden vor, dann verhangte Farquhar hartere Strafen, als Herrick jemals zugelassen hatte. Das war anscheinend sein einziger wirklicher Fehler.
        Farquhar sagte unvermittelt:»Wir werden in Kurze entweder ohne Harebell oder ohne Buzzard auskommen mussen, Sir.»

«Ja.»
        Langsam schritt Bolitho an der Luvseite auf und ab. Der Teer in den Ritzen der Planken klebte an seinen Sohlen; die Hitze, vom Schanzkleid zuruckgeworfen, fiel ihn an. Und es war noch nicht einmal neun Uhr morgens. Jeden Tag wurde es hei?er, es war kaum noch auszuhalten.
        Farquhar hatte den Finger auf die Wunde gelegt. Die Entscheidung lie? sich nicht langer hinausschieben. Bolitho mu?te dem Admiral einen Bericht schicken, uber seine Einschatzung der Starke und Absichten des Feindes. Doch sobald er eins der Schiffe dazu abgestellt hatte, die er andererseits zum Rekognoszieren notwendig brauchte, waren ihm die Hande gebunden. Aber das war unwichtig zum Vergleich zu den Folgen, wenn der Admiral aus Mangel an Information die Lage falsch beurteilte.
        Wenn es Inch nur geschafft hatte, die spanische Brigg zu kapern, ehe die beiden franzosischen Schiffe ihn verjagten! Dann hatte er die zum Admiral schicken konnen.
        Bolitho blieb stehen und beschattete die Augen mit der Hand, um nach der Prise Ausschau zu halten. Sie war zu langsam und zu verwundbar. Aber vielleicht konnte man sie zu irgendeinem Tauschungsmanover gebrauchen. Und auch mit ihrer Ladung war vielleicht etwas zu machen: eine Bestechung zum Beispiel.
        Stahl klirrte auf Stahl. Er ging zur Achterdecksreling und sah zu, wie die wachfreien Midshipmen unter Pascoes Anleitung mit Degen und Entersabel ubten.
        Farquhar sah ihn von der Seite an.»Ich dachte, das ware etwas fur Mr. Pascoe, Sir.
«Aus seinem Ton lie? sich nicht heraushoren, was er wirklich dabei dachte.»Er hat sein Konnen bereits an einem meiner fruheren Leutnants bewiesen. Er hat ein gutes Auge. «Dabei lachelte er fluchtig.
        Pascoe hatte hinter zwei Midshipmen, die alle paarweise gegeneinander fochten, Aufstellung genommen, machte ihre Schritte mit und brachte Korrekturen an. Ihre Gesichter waren rot vor Anstrengung; offensichtlich hatten sie gemerkt, da? Kommodore und Kommandant ihnen zusahen.
        Kling-klang-kling - schlugen die Waffen ihren Stakkatorhyth-mus. In einem wirklichen Gefecht ist das ganz anders, dachte Bo-litho grimmig. Da ist man wild und will nur seinen Mann niederhauen, ehe der einen auf die Planken streckt.
        Unter der Backbordlaufbrucke tauchte Gilchrist auf.»Das mu? aber viel besser werden, Mr. Pascoe!»
        Farquhar, neben Bolitho, versteifte sich.»Was juckt denn diesen verdammten Kerl?»
        Fitz-Clarence marschierte ostentativ an der Leeseite entlang, um Gilchrist anzudeuten, da? er nicht allein war.

«Mr. Fitz-Clarence!«rief Farquhar.»Hopsen Sie gefalligst nicht so herum!«Dann wandte er sich um und sah Gilchrist in das nach oben gewandte Gesicht.»Wie meinten Sie soeben, Mr. Gilchrist?»

«Das Fechten ist unsauber, Sir.»
        Schweigend sah Bolitho dem kleinen Drama zu. Die Midshipmen hatten ihre Waffen noch in Position, fochten jedoch nicht mehr. Matrosen, die in den Luvwanten arbeiteten, hielten inne und schauten herab; ihre gebraunten Oberkorper schimmerten golden in der Sonne. Mitten dazwischen stand Pascoe, die dunklen Augen auf Gilchrist gerichtet; nur an seinem heftigen Atmen war zu erkennen, da? er sich argerte.
        Und Farquhar - dessen blaue Augen hatten einen ganz merkwurdigen Ausdruck. Bis jetzt hatte er Gilchrist standig beschaftigt gehalten, so da? diesem keine Zeit zur Opposition blieb. Aber nun war es wieder soweit. Warum hatte sich Farquhar so uber ihn geargert? Was juckt diesen verdammten Kerl?
        Farquhar schnippte mit den Fingern.»Bootsmannsmaat! Meinen Degen!»
        Er ging nach Lee und beugte sich uber die Reling, behielt aber Gilchrist im Auge, der unten auf der gegenuberliegenden Seite stand.

«Mr. Pascoe, lassen Sie diese Anfanger Schlu? machen!«Ohne hinzusehen nahm Farquhar dem besorgt herzueilenden Bootsmannsmaaten den Degen aus der Hand.»Sie haben doch bei einem kuhnen Unternehmen gegen die Dons Ihren Degen eingebu?t, Mr. Pascoe. «Er zog seinen eigenen aus der Scheide und hielt ihn kritisch gegen den Himmel» Eine ganz anstandige Klinge. Geschenk meines verstorbenen Onkels. «Er blickte in Bolithos ernstes Gesicht und fuhr fort:»Doch ich glaube, Sir Henry selbst bevorzugte etwas Schwereres, nicht wahr, Sir? - Mit Ihrer Erlaubnis, Sir!»
        Bolitho mu?te sich zusammennehmen, als der junge Pascoe unten mit sicherem Griff die Waffe auffing.

«Und jetzt, Mr. Gilchrist«, sagte Farquhar gelassen,»wenn Sie so freundlich sein wollen, gegen unseren jungsten Leutnant anzutreten, konnten unsere Midshipmen vielleicht etwas lernen - eh?»
        Erschrocken starrte Gilchrist erst Pascoe, dann Farquhar an.

«Ich soll mich duellieren, Sir?«Er brachte kaum die Worte heraus.

«Aber nicht doch, kein Duell, Mr. Gilchrist. Eine Lektion, wenn Sie wollen.
«Farquhar trat wieder neben Bolitho und sagte leise:»Haben Sie keine Angst um Mr. Pascoe, Sir.»
        Der Messesteward hatte Gilchrist einen Degen gebracht. Er hielt ihn in der Hand, als hatte er noch nie im Leben einen gesehen, und murmelte etwas Undeutliches. Verwirrt starrte er die Midshipmen an. Luce machte eine grimmige Miene, weiter hinten stand Saxby mit weit offenem Munde und Augen so gro? wie Untertassen. Dann schien sich Gilchrist der unmoglichen Situation bewu?t zu werden.»Achtung, Mr. Pascoe!«sagte er kurz.
        Die Klingen trafen sich, blitzten, zuckten uber den sonnengebleichten Planken wie stahlerne Zungen.
        Beim Zusehen bekam Bolitho eine trockene Kehle. Geschmeidig tanzelte Pascoe um die Laffette eines Achtzehnpfunders. Seine Sohlen schienen den Weg zu fuhlen. Bolitho wollte wegsehen, zu Farquhar hin. Hatte dieser wirklich nur vor, Gilchrist seine Arroganz auszutreiben, oder benutzte er die Gelegenheit, um Bolitho mittels Pascoes Fechttalent an seinen toten Bruder Hugh zu erinnern?
        Vielleicht dachte auch Farquhar in diesem Moment daran, wie sie Hugh Bolithos Gefangene auf dessen amerikanischem Schiff gewesen waren. Das konnte er kaum vergessen haben, ebensowenig wie die Tatsache, da? Hugh zugrunde gegangen war, weil er als Offizier des Konigs einen Offizierskameraden getotet hatte - im Duell.
        Bolitho horte Gilchrists schweren Atem, sah seinen wut- und ha?verzerrten Blick, als er Pascoes Parade wegschlug und ihn ein paar Schritte zuruckdrangte.
        Gelassen sagte Farquhar:»Sehen Sie? Seine Wut ist gro?er als seine Fechtkunst. «Es war beinahe, als sprache er zu sich selbst.»Er drangt vor, verschwendet unnotig Kraft. «Und mit einem anerkennenden Nicken:»Er hat die gro?ere Reichweite und ist korperlich starker als Mr. Pascoe, aber…»
        Da wurde Gilchrists Klinge durch eine blitzschnelle, hochangesetzte Parade Pascoes fixiert; eine geschickte Drehung des Handgelenks, und sie flog durch die Luft und landete ein paar Schritte weiter klirrend auf den Planken.
        Gilchrist, wie gebannt auf Pascoes Degenspitze starrend, die bewegungslos ein paar Zoll vor seine Brust verharrte, trat zuruck.

«Gut! Sehr gut, alle beide!«rief Farquhar hinunter und wandte sich dann den Midshipmen zu, die wie erstarrt standen.»Das war eine nutzliche Lektion - eh?»
        Bolitho holte tief Atem. Tatsachlich: eine Lektion fur alle Beteiligten.
        Der Steuermannsmaat der Wache, der dem Schauspiel wie alle zugesehen hatte, blickte auf einmal hoch und legte die Hand ans
        Ohr.

«Geschutzfeuer, Sir!»
        Bolitho ri? seine Gedanken von dem Waffengang los.»Woher?»
        Dann vernahm er es auch, wie Brandung an einer Felskuste. Gedampft, doch unverkennbar.

«Im Osten, Sir«, sagte der Maat und deutete nach Steuerbord voraus.»Ganz bestimmt.

        Farquhar eilte an ihm vorbei.»Sie haben gut aufgepa?t, Mr. Ba-gley«, sagte er und beugte sich uber den Kompa?.»Bitte um Erlaubnis zu rekognoszieren, bevor der Wind noch mehr abflaut.»
        Bolitho nickte.»Signalisieren Sie dem Geschwader, es soll mehr SegeI setzen. Auch die Harebell - wenn Commander Inch das Signal noch sehen kann.»
        Farquhar schritt zur Reling, und Gilchrist erschien an der Backbordleiter.»Lassen Sie >Alle Mann< pfeifen«, sagte er knapp, ohne sich um Gilchrists Verwirrung zu kummern.»Gro?segel setzen, notigenfalls auch die Stagsegel. «Er hielt inne und horchte mit geneigtem Kopf auf das schrille Pfeifen in den unteren Decks.»Wir wollen ein paar Strich abfallen - hoffentlich ist Bagleys Peilung richtig.»
        Die Matrosen eilten auf ihre Stationen bei den Masten, und Pas-coe ging zur anderen Seite, um Luces Signalgasten zu beaufsichtigen.
        Bolitho hielt ihn an.»Freut mich, da? du heil geblieben bist, Adam.»
        Der junge Mann grinste uber das ganze sonnengebraunte Gesicht.»Das war leicht, Onkel.»

«Diesmal«, entgegnete Bolitho kurz.»Und au?erdem hattest du ja nicht angefangen. Das wei? ich auch.»
        Das Lacheln erlosch.»Entschuldigung, Sir.»

«Das nachste Mal, wenn du unbedingt einen scharfen Waffengang machen willst, frag mich gefalligst vorher, Adam.»
        Pascoe zogerte und lachelte dann unsicher.»Jawohl, Sir.»

«Und nun weg mit dir. Ich mochte, da? meine Schiffe noch heute die Signale zu sehen kriegen.»
        Farquhar trat zu ihm an die Reling.»Ein prachtiger junger Mann, Sir. «Ihre Augen trafen sich. Dann sagte Bolitho gelassen:»Und ich ware Ihnen verbunden, Captain Farquhar, wenn er das auch bliebe.»
        Lachelnd ging Farquhar nach vorn und sah zu, wie die Manner eilends zu den Rahen aufenterten.
        An der Kampanjeleiter tauchte Major Leroux auf und fa?te gru?end an den Hut.»Hort sich an wie zwei Schiffe, Sir. Wahrscheinlich haben Nicator oder Buzzard einen Franzosen vor.»
        Bolitho sah hoch. Das machtige Gro?segel entfaltete sich an der Rah und fullte sich: das Donnern der Leinwand ubertonte das ferne Geschutzfeuer.»Hoffentlich haben Sie recht, Major.»
        Leroux beobachtete seine Seesoldaten an den Besanbrassen. Fast im Plauderton sagte er:»Mein Korporal ist ein ausgezeichneter Scharfschutze, Sir. Wenn er sein Geld als Kunstschutze auf dem Jahrmarkt verdienen konnte, ware er heute zweifellos ein reicher Mann.»
        Eben kam Leutnant Nepean herbei, um eine Meldung zu machen, und Leroux ging ihm entgegen.
        Auch Allday war an Deck erschienen.»Das ist schon ein kluger Kerl, dieser Major Leroux, Sir«, sagte er.

«Wie meinen Sie das?«fragte Bolitho mi?trauisch.
        Allday lachelte verhalten.»Er hatte diesen Korporal Cutler unten im Niedergang zur Messe plaziert. Mit seiner langen Muskete, auf die er so stolz ist.»

«Wollen Sie sagen, da? er Cutler befohlen hat, sich schu?bereit zu halten?»
        Der Bootsfuhrer schuttelte den Kopf.»Nicht gerade das, Sir. Er hat ihn nur gefragt, ob er jemandem den Degen aus der Hand schie?en konne, wenn sozusagen Not am Mann ist.»
        Bolitho trat an die Netze.»Aus Ihnen werde ich nicht klug, All-day. «Doch er sah, da? Leroux ihn mit unbewegtem Gesicht beobachtete. In diesem Augenblick tat ihm Gilchrist beinahe leid.
        Bolitho lehnte sich zuruck und musterte die turmhoch aufragende Segelpyramide der Lysander. Sie mochte ja ein Linienschiff sein, aber Farquhar fuhrte sie mit dem fanatischen Vorwartsdrang des Kommandanten einer Fregatte.
        Da der Wind fast direkt von achtern kam, lief das Schiff ausgezeichnet; Rahen und Wanten vibrierten und sangen unter der vollen Leinwand. Immer wieder tauchte der Bug tief in die Wellen, und dann brauste jedesmal ein machtiger Schauer Spruhwasser uber das
        Vorschiff, silbrig glanzend wie Spiegelscherben im harten Sonnenlicht.
        Bolitho stand auf halber Hohe der Kampanjeleiter. Er spahte nach vorn uber den nickenden Bugspriet, von seinem Haar umflattert, das der Wind auseinanderblies. Das Geschutzfeuer hatte aufgehort, doch jetzt konnte er dunkelbraunen Rauch ausmachen, der die Kimm entlangdriftete, dazu die verschwommene Silhouette eines gro?en Schiffes unter wenigen Segeln.
        Vom Gro?mast rief der kleine Luce herunter:»Die Nicator, Sir!»
        Farquhar, der Luce mit dem gro?en Teleskop hinaufgeschickt hatte, hielt in seinem rastlosen Auf- und Abgehen inne.»Das will ich auch verdammt hoffen!«knurrte er und blitzte Fitz-Clarence an.»Worauf, zum Teufel, schie?t sie?»
        Wieder rief Luce herunter, diesmal ganz aufgeregt und der Spannung, die unter seinem luftigen Sitz herrschte, vollig unbewu?t:»Zweites Schiff in Lee von ihr, Sir! Ich glaube, sie sind im Gefecht!»
        Farquhar fuhr herum.»Mr. Pascoe, wenn Sie es als Leutnant nicht fur unter Ihrer Wurde halten, da 'raufzuklettern wie ein verdammter Affe, dann ware ich Ihnen fur eine vernunftigere Meldung verbunden!»
        Bolitho verfolgte Pascoes Aufstieg. Jetzt schwang er sich um die Puttingswanten auf die Bramsaling. Wie leicht das bei ihm aussah! Er wandte sich ab und sah nach den fernen Schiffen; gro?e Hohen waren ihm gra?lich, er konnte es nicht einmal mitansehen.

«Ein Teleskop, bitte!»
        Jemand reichte ihm eins, und er richtete es durch die Webleinen. Ja, der grobe Umri? der Nicator war leicht zu erkennen, auch die bla?gelbe Farbe ihrer Galionsfigur. Jenseits von ihr konnte er drei Masten ausmachen, und soweit er es unterscheiden konnte, war nur einer rahgetakelt.

«Eine Barkentine,[Dreimaster, zwei Masten mit Gaffelsegeln, der vorderste mit Rahsegeln] Sir«, horte er Pascoe rufen.»Ich kann ihre Flagge sehen!«Eine Pause - Farquhar starrte zu der schwankenden Maststenge hinauf, bis ihm das Wasser in die Augen trat.»Ein Yankee, Sir!»
        Farquhar wandte sich zu Bolitho um und sagte mi?mutig:»Als ob wir nicht schon Arger genug hatten!»
        Bolitho versuchte, seine Enttauschung vor den Umstehenden zu verbergen. Also ein amerikanischer Kauffahrer, in Geschaften unterwegs. Dagegen konnten sie nichts tun, selbst wenn er Geschafte mit dem Feind machte. Blockade - schon und gut; aber einen zweiten Krieg, diesmal mit den neugegrundeten Vereinigten Staaten, vom Zaun brechen - dafur wurde er von Konig und Parlament kein Lob ernten.

«Signalisieren Sie unseren anderen Schiffen, sie sollen in ihren Patrouillenabschnitten bleiben«, sagte er. Forschend betrachtete er einen schmalen, in Nebel und Dunst fast verschwindenden Landvorsprung.»Wir gehen schon genug Risiken ein, indem wir so dicht unter den Hyeres-Inseln stehen; da brauchen wir nicht noch das ganze Geschwader auf Grund zu setzen!»
        Farquhar nickte.»Bootsmannsmaat! Mr. Luce soll wieder herunterkommen.»
        Ein paar Minuten spater anderten die Osiris und das Prisenschiff Kurs auf die offene See hinaus.

«Signalisieren Sie der Nicator«, sagte Bolitho,»da? wir zu ihr sto?en!»
        Was machte Probyn da? Es war durchaus naturlich, da? er sich argerte, wenn er die amerikanische Flagge sah; schlie?lich war er wahrend der Revolution in amerikanischer Gefangenschaft gewesen. Doch das war vorbei und nun allmahlich Geschichte. Wenn hier aus Dummheit ein Krieg provoziert wurde, dann war Englands Lage schlimmer denn je: es mu?te au?er gegen Frankreich und Spanien auch noch gegen Amerika kampfen, und Amerika war jetzt weit machtiger als vor funfzehn Jahren.

«Nicator hat bestatigt, Sir«, meldete Luce, noch atemlos von seinem eiligen Abentern uber ein Backstag.

«Danke.»
        Es dauerte eine halbe Stunde, bis sie nahe genug heran waren und beidrehen konnten. In der Zwischenzeit hatte sich die Nicator von dem Amerikaner gelost, aber wahrend dieser vor dem Wind trieb, hatte Bolitho auf seiner Kampanje die roten Rocke der Marine-
        Infanterie Probyns gesehen.»Lassen Sie mein Boot klarmachen!«befahl er ungeduldig. Damit konnen wir zumindest Zeit sparen.»
        Das Boot wurde ausgesetzt und hatte kaum das Wasser beruhrt, da war die Mannschaft auch schon an Bord. Mit Trompetenstimme trieb Allday die Ruderer an, und als die Lysander beigedreht hatte und Bolitho durch die Pforte kletterte, war das Boot schnell klar zum Ablegen.

«Halten Sie nach Buzzard Ausschau«, sagte Bolitho und blickte Farquhar grimmig in das gutgeschnittene Gesicht.»Sie mu?te bald im Osten in Sicht kommen. Ich will sie mit Depeschen zum Admi-ral schicken.»
        Farquhar zuckte die Achseln.»Tut mir leid. Ich hatte gehofft, wir konnten ihr etwas Wertvolleres mitgeben.»
        Aber Bolitho kletterte bereits das Fallreep hinunter und versuchte, nicht nach unten zu sehen, wo die See an den Schiffsrumpf klatschte und ihm das Boot gegen die Beine warf. Er wartete ab, zahlte die Sekunden, und im richtigen Moment sprang er ins Boot; ehe er richtig zu Atem gekommen war, gab Allday schon das Kommando zum Ablegen.
        Bolitho nahm mit so viel Wurde, wie er aufbringen konnte, im Heck Platz und befahl:»Zur Nicator, Allday!»
        Am laufenden Gut des hoch uber ihm aufragenden Vierundsiebzigers fiel ihm eine gewisse Laxheit auf. Wie der Mann, so das Schiff, dachte er: unordentlich.
        Allday steuerte die Gig um das runde Heck der Nicator auf die Fallreepspforte zu. Bolitho war viel zu sehr an der Barkentine interessiert, um auf Probyns Gefuhle Rucksicht zu nehmen, dem der Besuch seines Kommodore vielleicht nicht sehr angenehm war.
        Sie war ein schlankes, grazioses Fahrzeug; und ihr Name, Santa Paula, glanzte in prachtigen Goldbuchstaben auf dem vollig schwarzen Rumpf.

«Auf Riemen! - Riemen hoch!«Allday holte die Ruderpinne herum, und der Bugmann schlug seinen Haken in die Ketten der Nicator.

«Das Boot fahrt zuruck zum Schiff!«sagte Bolitho. Und als er den Zweifel in Alldays Gesicht sah:»Schon gut, die Nicator ist ja wohl immer noch ein britisches Schiff, nehme ich an.»
        Allday klopfte gru?end an die Stirn und grinste.»Ich achte dann auf Ihr Signal, Sir.»
        Bolitho kletterte das Fallreep hinauf und bemerkte, wie abgenutzt die holzernen Tritte und wie rostfleckig die Beschlage waren.
        Probyn wartete neben der Ehrenwache; sein Rock triefte von Spruhwasser.

«Die Wache ist unterbesetzt, Sir; aber meine MarineInfanteristen sind auf dem Yankee«, sagte er.

«Das sehe ich. «Bolitho schritt nach achtern, weg von den neugierigen Gesichtern an der Pforte.»Jetzt berichten Sie. Was ist los?»
        Probyn starrte ihn leicht verwundert an.»Wir stie?en um die Mittagszeit auf die Barkentine, Sir. Ich hielt sie fur einen Blockadebrecher, der an unseren Patrouillen vorbei wollte; daher gab ich ihr Signal, beizudrehen. «Er spurte die Mi?billigung Bolithos und raumte ein:»Ich wei?, wir sollen die amerikanische Neutralitat respektieren, aber…»

«Da gibt's kein Aber.»
        Bolitho warf einen Blick auf die beiden Ruderganger des Schiffes. Sie sahen aus, als hatten sie noch dieselben Kleider an wie seinerzeit, als sie vom Pre?kommando geschnappt worden waren. Alle Kommandanten wu?ten, wie er daruber dachte. Er hatte schriftliche Order gegeben, da? jeder neue Mann, ob Gepre?ter oder Freiwilliger, sein Leben an Bord in einer Garnitur ordentlicher Dienstkleidung beginnen sollte. Das war etwas so Billiges und zugleich Wichtiges, da? er sich immer wieder uber die Dummheit mancher Kommandanten wunderte, die so geizig waren, da? sie keine Dienstkleidung ausgaben, bis die Manner nur noch Fetzen auf dem Leibe hatten. Probyn wu?te das sehr gut und hatte auch so getan, als fande er es ganz in der Ordnung. Aber anscheinend war das ein Fall von» Aus den Augen, aus dem Sinn«. Nun, damit wurde er sich spater befassen.

«Was also war Ihr wirklicher Grund?»
        Probyn ging voran in seine Kajute.»Ich bin sehr knapp an Leuten, Sir. Ich mu?te von England auslaufen, ehe ich richtig Gelegenheit zum Rekrutieren hatte, sonst.»
        Bolitho starrte ihn an.»Und nun haben Sie ein Pre?kommando auf ein amerikanisches Schiff geschickt?»
        Probyn schwieg einen Moment und blickte Bolitho vorwurfsvoll an.»Es ist allgemein bekannt, da? auf der anderen Seite Jahr fur Jahr viele Hunderte unserer Matrosen zur amerikanischen Flagge desertieren.»
        Bolitho wu?te das auch. Es war in der Tat ein wunder Punkt zu beiden Seiten des Atlantik. Die britische Regierung hatte erklart, da? sie jeden amerikanischen Matrosen als rechtma?ige Verstarkung fur ihre unterbesetzten Kriegsschiffe betrachte, es sei denn, der betreffende Kapitan konnte fur jeden in Frage kommenden Mann eine Staatsangehorigkeitsurkunde vorlegen.
        Der amerikanische Prasident trat seinerseits ebenso entschieden auf. Er hatte erklart, wenn ein Mann auf einem amerikanischen Schiff angeheuert habe, so sei das Beweis genug, da? er Amerikaner sei. Dokumente konnten vernichtet oder ignoriert werden, die amerikanische Flagge nicht.

«Wir haben Geschutzfeuer gehort«, erinnerte Bolitho.
        Probyn ging an dem Posten stehenden Marine-Infanteristen vorbei und erwiderte:»Der Yankee wollte trotz meines Warnschusses nicht beidrehen. Das lasse ich mir von niemandem bieten. «Zogernd ging er durch die Diele voran und trat in die Kajute. Jetzt endlich schien er unsicher zu werden.»Ich habe den Kapitan an Bord, Sir. Unter Bewachung. Da Sie hier sind, ubergebe ich ihn wohl am besten Ihnen.»
        Bolitho musterte ihn kalt.»Bringen Sie mich zu ihm.»
        Der Kapitan der Barkentine sa? in der Achterkajute. Ein dienstalterer Midshipman Probyns leistete ihm Gesellschaft. Nun stand der Amerikaner auf und beaugte Bolitho mit offensichtlicher Uberraschung.»Also gibt es doch noch einen Vorgesetzten, eh?«Er sprach mit einem weichen Akzent, aber trotzdem war ihm anzuhoren, da? er wutend war.

«Ich bin Richard Bolitho, Kommodore dieses Geschwaders. Wie ich hore, haben Sie sich geweigert, beizudrehen«, sagte er und ging zum Fenster.
        Hitzig erwiderte der Amerikaner:»Beidrehen, zum Teufel! Ich verdiene mein Geld schwer genug, ohne da? ich mich von einem verdammten Englander beschie?en lassen mu?!»
        Bolitho nahm Platz und sah ihn sich an: ein untersetzter Mann mit sauber gestutztem, braunem Bart, ungefahr so alt wie er.

«Und Ihr Name?»
        Gereizt erwiderte der Amerikaner Bolithos prufenden Blick.»Kapitan John Thurgood. Aus New Bedford.»

«Nun, Captain Thurgood aus New Bedford«, lachelte Bolitho,»in Kriegszeiten hat ein Schiff des Konigs nie genug Mannschaften, das ist des Kommandanten standige Sorge.

        Thurgood setzte sich wieder, ohne von Probyn Notiz zu nehmen.»Das ist und bleibt Ihr Problem, Kommodore. Ich fuhre nicht Krieg, und meine Manner sind nicht fur Konig George da. «Er lok-kerte sich etwas.»Meine Regierung wird aufs scharfste protestieren und die notwendigen Ma?nahmen ergreifen, wenn ich mich beschwere. »
        Bolitho nickte.»Das ist Ihr gutes Recht, Captain. Aber Sie wissen ebenso wie ich, da? eine ganze Menge Ihrer Leute so wenig amerikanisch sind wie die Westminster Abbey. «Er hob die Hand.»Ich wei?, was Sie sagen wollen. Spielt auch keine Rolle. Sie sind offenbar ein gescheiter Mann, und es hat keinen Sinn, da? wir uns streiten. «Er stand auf.»Ich werde Sie auf Ihre schone Barkentine zuruckbringen lassen und Ihnen ein kleines Geschenk schicken: exzellenten Kase aus England. Ich hoffe, es kann den Arger lindern, den wir Ihnen verursacht haben, wenn auch nicht ungeschehen machen.»
        Thurgood sprang auf.»Sie meinen, ich kann gehen?«Vollig uberrascht starrte er erst Bolitho und dann dem wutschnaubenden Probyn ins Gesicht.»Also, da soll mich doch.»

«Und Ihre Fracht, Captain? Darf ich mich erkundigen, was Sie geladen haben?«fragte Bolitho beilaufig.

«Billigen Rotwein«, antwortete Thurgood.»Die ganze Last voll. In meinem Heimathafen wurde man damit den Fu?boden waschen. «Er lachte in sich hinein, bis seine Augen unter einem Netz von Krahenfu?en verschwanden.»Bei Gott, Sie wissen, wie man einem Mann den Arger vertreibt!»

«Ich mu? protestieren!«rief Probyn aus.

«Bitte lassen Sie uns allein, Captain Probyn«, sagte Bolitho ruhig.»Und Ihr Midshipman soll dem Flaggschiff signalisieren, da? mein Bootsfuhrer nachher, wenn er mich abholen kommt, einen schonen Kase mitbringt, gut verpackt.»
        Thurgood grinste hinter dem abgehenden Probyn her.»Bei Gott, ich bin froh, da? Sie gekommen sind, Kommodore. Ich glaube, der da hatte mich am liebsten an den Gro?mast binden und auspeitschen lassen.»

«Er war im letzten Krieg Gefangener.»
        Thurgood zuckte die Schultern.»Ich auch.»
        Bolitho nahm seinen Hut.»Eine Sache noch, Captain. Sie kommen aus Marseille, ohne Zweifel. «Er schuttelte den Kopf.»Nein, ich will Ihnen keine Falle stellen. Aber es ist unwahrscheinlich, da? Sie eine Fracht wie die Ihre anderswo hatten laden konnen. Und wo segeln Sie hin?»
        Thurgood musterte ihn amusiert.»Nach Korfu. Dann mache ich, da? ich wegkomme, nach Hause. Ich habe eine Frau und drei Kinder in New Bedford.»

«Beneidenswert. «Bolitho merkte nicht, mit welcher Warme der Amerikaner ihn anblickte.»Ich habe eine spanische Prise bei me i-nem Geschwader. Sie wurde vor einiger Zeit gekapert. «Er blickte Thurgood bedeutsam an.»Wie ware es, wenn Sie ein paar Ihrer Matrosen gegen, sagen wir mal, die doppelte Anzahl Spanier tauschten?«Er sah, da? der Amerikaner rasche Berechnungen anstellte.»Ich denke mir, wenn Sie die Spanier wieder laufen lassen, nachdem Sie Ihre Fracht in Korfu geloscht haben und westwarts heimsegeln, wurde die spanische Regierung Sie mit Freuden dafur entschadigen.»

«Das wei? man nicht genau«, erwiderte Thurgood zweifelnd.
        Bolitho lachelte.»Sie brauchen ihnen keine Heuer zu zahlen. Und au?erdem mussen Sie Ihren Profit nur mit so vielen Leuten teilen, wie Sie unbedingt fur die Heimreise notig haben.»
        Thurgood hielt ihm die Hand hin.»Wenn Sie jemals einen Job brauchen, Kommodore, und ich meine das ernst, dann fragen Sie druben nach mir. «Er schuttelte ihm kraftig die Hand.»Ich habe so ein paar Rauhbeine an Bord, die konnen Sie kriegen. Ausgebildete Seeleute, aber ich bin froh, wenn ich sie los bin.»
        Bolitho lachelte wieder.»Bei uns werden sie schon ruhiger werden.»
        Oben an Deck war es druckend hei?; der Wind kam in unregelma?igen Boen, so da? die Schiffe ungemutlich dumpelten.
        Bolitho winkte Probyn heran.»Signalisieren Sie der Lysander: die Segura soll naher herankommen. Dann teilen Sie einen verla?lichen Offizier ein, der mit Captain Thurgood an Bord der Santa Paula geht. Thurgood wird Ihnen erklaren, um was es sich handelt.»
        Probyn sah aus, als wolle er platzen.»Jawohl, Sir.»
        Lachelnd sagte Bolitho zu dem Amerikaner:»Ich schicke Ihnen also durch meinen Bootsmann einen schonen reifen Kase hinuber. Er konnte sogar Ihren billigen Wein trinkbar machen.»
        Vom achteren Davit wurde ein Boot gefiert, und Thurgood sagte:»Dann gehe ich, Kommodore. Aber warten Sie. Bolitho? Wir hatten im Krieg einen Kaperkapitan dieses Namens.»

«Mein Bruder. Er ist tot«, antwortete Bolitho mit abgewandtem
        Blick.
        Thurgood hielt ihm die Hand hin.»Viel Gluck, was Sie auch vorhaben. Ich werde meiner Frau und den Jungen von dieser Begegnung erzahlen. Und von dem Kase«, grinste er.
        Ein Leutnant kam uber das Achterdeck und fa?te an den Hut.»Jolle ist langsseit, Sir«, meldete er.
        Thurgood wollte schon gehen, drehte sich aber noch einmal um. Er sah nachdenklich drein.»Ich will mit diesem oder sonst einem Krieg nichts zu tun haben. Ich habe die Nase voll davon. «Er kniff ein Auge zu.»Aber wenn ich ein so kleines Geschwader hatte wie Ihres, dann wurde ich sehr ernsthaft daran denken, von hier zu verschwinden.»
        Bolitho suchte seine Erregung zu verbergen, seine Betroffenheit.»Tatsachlich?»
        Thurgood grinste.»In Toulon wartet, hore ich, eine ganze Flotte, und obendrein liegen dort dreihundert Transporter.»

«Danke, Captain. «Bolitho begleitete ihn zur Reling.»Und auch Ihnen eine sichere Reise.»
        Erwartete, bis Thurgood im Boot war, und sagte dann:»Rufen Sie meine Gig!»
        Eine Flotte von dreihundert Transportern? Eine Armada war das.
        Probyns Stimme schnitt in seine rasenden Gedanken.»Ich mu? aufs entschiedenste protestieren, Sir! Sie haben mich vor diesem Yankee gedemutigt!»
        Mit blitzenden Augen fuhr Bolitho herum.»Gedemutigt? Und was denken Sie, wie mir zumute ist, wenn ein Linienschiff meines Geschwaders ein unbewaffnetes, neutrales Handelsschiff beschie?t? Wenn einer meiner Kommandanten, nur um seinen Kopf durchzusetzen, unnotig Menschenleben aufs Spiel setzt, vielleicht sogar einen Krieg vom Zaun bricht?«Er sprach gefahrlich leise.»Und das alles nur, weil Sie wu?ten, da? ich dafur geradestehen mu?, nicht wahr?»
        Probyn schwoll etwas ab.»Das ist ungerecht, Sir!»
        Bolitho sah ihn gelassen an.»Mag sein. Aber halten Sie mich gefalligst nicht fur dumm. Das empfinde ich namlich als Demutigung.»
        Er sah, da? seine Gig schon auf dem Weg war, und schritt zur Fallreepspforte.»Sie kriegen Ihre Manner. Sie hatten sie wahrscheinlich auch bekommen, wenn Sie gesunden Menschenverstand gebraucht hatten statt Kanonen. «Er deutete mit dem Kopf zu einigen Matrosen hin, die an den Taljen standen.»Sehen Sie sich die an, Captain. Hatten Sie Lust, fur jemanden zu kampfen, der Sie schlechter halt als einen Hund?«Er wartete die Antwort nicht ab.»Behandeln Sie die Leute anstandig, sonst kampfen sie nicht fur Sie. «Er lehnte sich uber die Reling und rief durch die hohlen Hande:»Bringen Sie das Paket zur Barkentine, Allday! Anschlie?end holen Sie mich ab!»
        Allday winkte Bestatigung und anderte seinen Kurs.
        Eine Stunde spater war Bolitho wieder an Bord des Flaggschiffes. Farquhar konnte kaum seine Neugier verbergen.

«Signalisieren Sie der Harebell, sie soll sofort herkommen. Ich kann nicht auf Javal warten. Inch soll meine Depeschen zum Admi-ral bringen.»
        Bolitho wartete, bis Farquhar nach Luce geschickt hatte und die triefende Gig wieder an Bord gehievt war. Als Farquhar zuruckkam, fragte dieser:»Darf ich mich erkundigen, was Sie vorhaben, Sir? Und was soll mit der Segura werden?»

«Ich gebe Captain Thurgood ein paar von den spanischen Matrosen im Austausch gegen die, ah, Nicht-Amerikaner seiner Barken-tine.»
        Farquhar schob die Lippen vor.»Dann sind wir unterbesetzt,
        Sir.»

«Aber dafur haben wir Informationen. «Er konnte seine Erleichterung nicht langer verbergen.»Die Franzosen haben hier eine gro?e Flotte versammelt. Die Harebell mu? schleunigst aufbrechen, wenn irgend moglich noch vor Sonnenuntergang.»
        Farquhar nickte.»Da hat Captain Probyn ja Gluck gehabt. Er wird sich freuen.»

«Vielleicht. «Bolitho mu?te an Probyns Gesicht denken. Da hatte er sich einen Feind geschaffen. Aber Probyn war vielleicht schon immer sein Feind gewesen, die ganzen Jahre lang.»Morgen«, sagte er,»setzen wir eine Dienstbesprechung an, wenn nichts dazwischenkommt.»
        Er legte seinen Degen ab und reichte ihn Allday. Auf einmal merkte er, da? er wilden Hunger hatte, zum erstenmal seit vielen Tagen.
        Im Gehen wandte er sich noch einmal zu Farquhar um.»Wenn Sie ein franzosischer General waren und nicht wollten, da? Ihre Transporter in ein Gefecht verwickelt werden, bevor sie ihr Ziel erreicht haben - wenn dieses Ziel Nordafrika ware und daruber hinaus vielleicht Indien - , wo wurden Sie Ihre Truppen sammeln und die letzten Vorbereitungen fur einen Gro?angriff treffen?«fragt er und beobachtete genau Farquhars Augen.
        Stirnrunzelnd stutzte dieser beide Hande auf die Betinge.»Um eine Schlacht zu vermeiden?«Er sah auf.»Sizilien konnte zu riskant sein. Vielleicht irgendein Punkt an der afrikanischen Kuste, der so weit von meinem Angriffsziel entfernt liegt, da? er keinen Verdacht erregt? Aber der lage dann auch fur meine Manner und Pferde zu weit weg; sie waren nicht mehr voll kampffahig. «Er nickte nachdenklich.»Ich glaube, ich wurde mir eine Insel aussuchen, die bereits unter Kontrolle meines Landes steht. «Er hielt inne.»Klingt das einleuchtend, Sir?»

«Und kennen Sie eine solche Insel?»

«Jawohl, Sir«, sagte Farquhar uberrascht.»Korfu.»

«Genau. «Bolitho ging an dem Rudergast vorbei zur Kampanje und nickte Grubb zu.
        Farquhar trat neben den Master und sagte:»Der Kommodore glaubt, da? sich die Franzosen auf Korfu sammeln.»
        Grubb sah ihn mi?trauisch an.»Aye, Sir. Aber wenn Sie entschuldigen, da? ich mir die Freiheit nehme - nach allem, was ich mitgekriegt habe, haben Sie >Korfu< gesagt.»
        Verwundert starrte Farquhar erst auf den Master, dann zur Kam-panje und lachelte dunn.»Sieh mal einer an! Zum Teufel, das hat er geschickt gedeichselt!»



        X Schwierige Entscheidung

        Zwei ermudende Wochen lang kreuzten Bolithos Schiffe im Sudwesten der Einfahrt nach Toulon. Falls der Feind den Hafen verlie?, war das fur sie die gunstigste Position. Da die Harebell mit hochster Fahrt nach Gibraltar unterwegs war, fiel die Kustenrekognoszierung Captain Javals Fregatte zu. Wahrend der Vierundsiebziger und die Prise mi?mutig unter gerefften Segeln dumpelten, sah man Javals Marssegel gewohnlich um irgendeine vorgelagerte Insel schleichen oder ihn beigedreht direkt unter der Nase des Feindes liegen. Aber selbst Javals provozierende Manover hatten keinen Erfolg. Die Franzosen blieben, wo sie waren, und taten nichts.
        Und dann, an einem hei?en, druckenden Abend, als die Blizzard zum vierzigsten Male Kurs auf die offene See nahm, beschlo? Javal, einen Kutter unter dem Kommando seines Ersten Offiziers, Mr. Mears, loszuschicken. Er tat es in erster Linie, weil er furchtbare Langeweile hatte; denn die Franzosen dachten anscheinend gar nicht daran, die herumstreunende Buzzard mit einer Fregatte oder Korvette zu verscheuchen.
        In derselben Nacht hatte ein franzosischer Fischer eine ganz ahnliche Idee. Gegen die Anordnungen des Hafenadmirals und des Garnisonskommandeurs lief er, mit seinem Sohn und seinem Cousin an Bord, in seinem kleinen Boot aus.
        Bolitho erfuhr von diesen Zusammenhangen erst, als der Kutter der Buzzard mit Captain Javal und drei franzosischen Fischern an den Rusten der Lysander festmachte.
        Der Fischer war ein alterer Mann, aber recht widerspenstig. Um sein Leben schien er keine sonderliche Angst zu haben; wahrscheinlich fand er, da die Englander sein kleines Boot gerammt und versenkt hatten, blieb ihm nicht mehr viel, wofur sich zu leben lohnte.
        Bolitho horte sich zunachst Javals Bericht an, ehe er die drei Franzosen in seine Kajute bringen lie?. Sie waren irgendwie herzbewegend: der alte, graubartige Fischersmann; sein Vetter, rot wie ein Hummer und mit einem Bauch wie ein Rumfa?; und der Sohn, stramm, wutend und doch voller Angst.
        Durch Farquhar, der ausgezeichnet franzosisch sprach, erklarte Bolitho den dreien, er hatte gern Informationen uber Toulon. Verstandlicherweise meinte der Franzose darauf, Bolitho moge doch in der Holle verfaulen. Der Sohn brullte sogar:»Tod den Englandern!«Da verpa?te ihm Sergeant Gritton eine Ohrfeige, worauf er in eine Flut von Tranen ausbrach. Der Cousin dagegen dachte wesentlich praktischer. Das Boot, so erklarte er, sei ihr ganzer Besitz gewesen und das einzige, womit sie ihre Familien ernahren und in einer Stadt, wo das Militar sowieso von allem das Beste in Beschlag nahm, ihren mageren Lebensunterhalt hatten etwas aufbessern konnen. Hochstwahrscheinlich stimmte das sogar.
        Der beleibte Cousin mit dem roten, schlauen Gesicht war offenbar der Kopf der Mannschaft. Er deutete an, vorsichtig zunachst, wenn Bolitho ihnen ein neues Boot besorge und vielleicht ein bi?chen Geld oder ein paar Lebensmittel, dann hatte er nichts dagegen, ihm zu sagen, was er wissen wollte.

«Von wegen Boot!«blaffte Javal dazwischen.»Ich lasse diesen elenden Wurm lieber auspeitschen, Sir!»

«Auf diese Art erfahren wir nichts Brauchbares. «Bolitho ging zum Fenster und betrachtete zwei niedrige, bleiche Wolkenbanke. Vielleicht anderte sich das Wetter.»Sagen Sie ihm, Captain Farqu-har, er bekommt ein Boot und etwas Proviant. Sie konnen der Se-gura signalisieren, da? sie ein Boot schickt. «Und zu Javal: Diese Fischer konnen nichts von dem, was sie hier gesehen haben, hoheren Stellen weitererzahlen. Da sie entgegen dem Verbot ausgelaufen sind und mit einem fremden Boot zuruckkommen, haben sie sich des Landesverrats hinreichend verdachtig gemacht.»
        Javal schluckte muhsam.»Dann wollen Sie sie also freilassen,
        Sir?»

«Wir kommen vielleicht wieder hier vorbei, Captain. Im Krieg kann man sich seine Freunde nicht aussuchen. «Gerade Javals ablehnende Haltung bestarkte ihn in seinem Entschlu?.
        Und somit, wahrend der Fischer und sein Sohn hinausgeschickt wurden, um sich das spanische Boot anzusehen, schilderte der dicke Cousin, was er jeden Tag in Toulon sah.
        Was Bolitho vom Kapitan der Santa Paula erfahren hatte, war demnach im Prinzip richtig, doch bestenfalls eine zuruckhaltende Schatzung gewesen. In Toulon lag eine starke Flotte mit zahlreichen Linienschiffen, darunter nach Angabe des Fischers eins mit mindestens hundertzwanzig Kanonen. Dieses trug anscheinend die Flagge des Vizeadmirals Brueys; ein anderes die von Konteradmiral Villeneuve. Bolitho hatte von beiden schon oft gehort und Respekt vor ihnen. Eifrig wurde in Toulon daran gearbeitet, diese gro?e Ansammlung von Schiffen zu verproviantieren und auszurusten, und die Militarverwaltung war besonders um Verpflegung jeder Art bemuht. Hauptsachlich deswegen waren die Fischer ausgelaufen. Selbst fur einen mageren Fang hatten sie gutes Geld bekommen.
        Eben stellte Farquhar dem Mann eine komplizierte, anscheinend besonders wichtige Frage. Gespannt beobachtete Bolitho seine Reaktion, sein Deuten nach oben und auf die See hinaus.

«Die Flotte ist noch nicht bereit zum Auslaufen«, erlauterte Far-quhar.»Es hei?t, sie wollen den richtigen Zeitpunkt abwarten. Auch auf den Oberbefehlshaber der ganzen Aktion warten sie noch. «Er hob kaum merklich die Brauen.»Das konnte stimmen.»
        Bolitho nickte. Er konnte nicht viel Franzosisch, aber doch genug, um den Namen Bonaparte herauszuhoren.
        Farquhar sprach weiter.»Er sagt, ein Teil der Flotte ist seeklar, Sir. Mehrere Versorgungsschiffe und deren Eskorte. «Bedeutsam blickte er in das rote Gesicht des Mannes.»Er ist zu feige zum Lugen, denke ich. Die Schiffe gehen angeblich nur deshalb nicht in See, weil wir hier sind. Die Ladung ist wahrscheinlich sehr wichtig.»

«Und ihr Bestimmungsort auch. «Bolitho traf eine Entscheidung.

«Schicken Sie die drei in ihrem Boot nach Hause. Dann geben Sie dem Geschwader Signal: Alle Schiffe zum Flaggschiff aufschlie?en! Wir werden weiter sudlich auf Warteposition gehen.»

«Glauben Sie, da? sie sich so eher auszulaufen trauen, Sir?»

«Ich an ihrer Stelle wurde es tun. «Dann wandte er sich an Javal:»Ich werde daruber berichten, welchen Anteil Ihr Erster Offizier an dieser Sache hatte. Er hat sich ausgezeichnet verhalten. Und Sie auch.»
        Das war die erste wirklich konkrete und hochwichtige Information. Wagemut, Gluck und Zufall hatten sie ihm verschafft. Da seine drei Vierundsiebziger dann drau?en waren und genugend Seeraum hatten, wahrend nur der Ausguck der Buzzard aufpa?te, ob der Feind auslief, war Bolitho in der bestmoglichen Ausgangsposition, von der aus er so handeln konnte, wie die Situation es erforderte.
        Und sobald die Harebell seine Depeschen beim Admiral abgeliefert hatte, war es nur eine Frage der Zeit, bis eine Flotte, nicht nur ein Geschwader, eintraf, um zu vollenden, was er begonnen hatte.
        Am selben Tage, nachdem die Fischer von Bord gegangen waren, um ihren langen Pull zur Kuste anzutreten, beorderte Bolitho seine Schiffe auf ihre neue Position, einige zwanzig Meilen sudwestlich von Toulon. Er schrieb seine Befehle aus und lie? sie an die Kommandanten verteilen. Dann besprach er die letzten Feinheiten mit Farquhar und Grubb, und als es endlich Abend wurde, ging er in seine Kajute und geno? ein sattigendes Mahl von gekochtem Schweinefleisch aus dem Fa?, mit dem letzten Kase, den er aus England mitgebracht hatte, als Nachtisch.
        Wahrend er an seiner Tafel sa?, eine Tasse Kaffee trank und auf das Knirschen und Rasseln des Schiffsgeschirrs horchte, dachte er an Falmouth und an sein leeres Haus. Und auch an den amerikanischen Kapitan und seine Frau, die in New Bedford auf ihn wartete. Wie lange wurde es wohl dauern, bis er Falmouth wiedersah? Und wie wurde das Nachhausekommen sein? Er war jetzt zwei Monate an Bord der Lysander, und es kam ihm vor wie zwei Jahre. Jetzt, da das Gluck wieder mit ihnen war, verging die Zeit vielleicht schneller.
        Mit diesen Gedanken im Kopf legte er sich in seine Koje und schlief schon nach ein paar Minuten tief und traumlos.
        Als er eine Hand an seiner Schulter fuhlte, dachte er, er hatte nur kurz geschlafen. Er fuhr hoch und starrte in Alldays Gesicht, das im Schein einer Laterne gelblich uber der Koje schimmerte.

«Was ist?»
        Sein Kopf wurde klar, und er setzte sich auf die Kojenkante. Er brauchte nichts weiter zu fragen und fluchte innerlich uber seinen tiefen Schlaf. Drau?en in der Nacht war es laut, und das Schiff rollte stark, so da? er beinahe hinfiel, als er sich zu seiner Kiste tastete.

«Es hat machtig auf gefrischt, Sir! Wird jede Minute schlimmer!«sagte Allday.
        Bolitho zog sich die Kniehose an. Dabei holte das Schiff so stark uber, da? er stolperte und gegen Allday geworfen wurde.

«Himmeldonnerwetter, warum hat man mir das nicht fruher gemeldet?»
        Allday sagte nichts, wandte sich jedoch um, denn Ozzard erschien blinzelnd in der Tur, eine zweite Laterne hochhaltend.

«Die Sachen des Kommodore, Mann!»
        Aber Bolitho befahl kurz:»Nur den Mantel! Ich mu? an Deck!»
        Schon auf dem Achterdeck merkte er, da? es nicht nur ein starkerer Wind war, sondern ein ausgewachsener Sturm; und als er sich unter die Decksbalken der Kampanje duckte, sah er, da? das Rad doppelt besetzt war. Das Schiff krangte stark nach Lee, und die Matrosen klammerten sich eisern an die Speichen.
        Er brauchte ein paar Sekunden, um seine Augen an die Finsternis zu gewohnen, sein Gehor uber das Jaulen des Windes, das Summen des Riggs und Donnern der Leinwand hinaus zu scharfen.
        Manner huschten geduckt an ihm vorbei, fa?ten nach jedem moglichen Halt, wahrend Wasser uber das Schanzkleid hereinbrach und sie herum warf, ehe es gurgelnd durch die Speigatten abflo?. Jedes Stag, jedes Want vibrierte brummend. Ihm taten die Matrosen leid, die sich jetzt auf den Fu?pferden der Rahen hinauskampften und Hand uber Hand die tuckische Leinwand refften.
        Da stand Farquhar. Seine schlanke Gestalt hob sich bleich von See und Himmel ab; er schrie durch die hohlen Hande einem Leutnant etwas zu, bemerkte dann Bolitho und kampfte sich zu ihm hin; das blonde Haar hing ihm in nassen Strahnen vom Kopf. Er war nur in Hemd und Kniehose, seine Fu?e waren nackt. Ein beredteres Zeugnis dafur, da? hochste Not am Mann war, konnte sich Bolitho nicht vorstellen.

«Wind dreht nach Nordwest, Sir«, brullte Farquhar.»Ich lasse Marssegel reffen und den Kluver wegnehmen.»
        Er fuhr herum, denn im Vorschiff knallte es wie ein Musketenschu?, und dann kam das Knirschen rei?ender Leinwand: der Kluver war nur noch ein Chaos flatternder Streifen.

«Na, wenigstens das bleibt ihnen erspart!»
        Hand uber Hand kampfte sich Bolitho zur Reling und spahte uber das schragliegende Deck. Auf der einen Seite war die See schwarz wie Pech, an der anderen stieg und fiel sie in riesigen Schaumbanken, die am Achterdeck so hoch entlangliefen, da? die LeeStuckpforten uberspult wurden. Von den anderen Schiffen war nichts zu sehen; vermutlich war jeder Kommandant zu sehr mit seinen eigenen Angelegenheiten beschaftigt, als da? er sich Gedanken um die Lysander machen konnte.
        Grubbs tiefe Stimme orgelte:»Fiert auf da, Jungs! Sonst rei?en uns die Masten aus!

        Auf der Luv-Laufbrucke rutschte ein Mann aus und fiel schlitternd und um sich schlagend in einen machtigen Wasserwirbel. Beim Auftauchen wurde er gegen einen Achtzehnpfunder geschleudert, und Bolitho glaubte beinahe, die gebrochenen Rippen krachen zu horen.

«Zum Donnerwetter, Captain, warum so spat? Das Geschwader mu? schon meilenweit auseinandergetrieben sein!»
        Ein gebrochenes Fall kam von oben und wand sich an Deck wie eine lebendige Schlange. Es wurden noch mehrere folgen, wenn Farquhar nicht sofort handelte.
        Farquhar spuckte Spruhwasser aus und antwortete:»Dieser Narr von Gilchrist hat zu lange gezogert. Bei Gott, wo ist der Kerl, ich werde ihn - »
        Bolitho packte ihn beim Arm.»Keine Zeit jetzt! Wir mussen beidrehen und den Sturm abreiten, so gut wir konnen.»
        Farquhar starrte ihn an und nickte.»Jawohl, Sir, sofort!«Es klang fast verzweifelt. Bolitho lie? seinen Arm noch nicht los.»Gehen Sie in den Wind, sobald Sie die Segel weggenommen haben! Wir drehen dann nur unter Gro?marssegel bei!«Er duckte sich und kniff die Augen zu, denn eine Wasserwand kam uber die Reling und fegte gnadenlos uber das Achterdeck und bis ins Hauptdeck hinunter.»Aber halten Sie die Gro?tagsegel bereit; falls das Marssegel wegfliegt!»
        Farquhars Stimme verklang in der Ferne; Bolitho zog sich Hand uber Hand die Reling entlang und sah durch einen Wasserschleier die Matrosen herbeieilen, um die Befehle auszufuhren. Oben in der Finsternis konnte er gerade noch die wild schlagenden Segel erkennen, mit denen die Toppmatrosen noch kampften. Aus dem ohrenbetaubenden Chor von Wind und See, brummendem Rigg und quietschenden Spieren horte er auch menschliche Stimmen heraus.

«Weitergeben!«brullte Grubb heiser.»Klar zum Beidrehen!«Er blinzelte Bolitho verschmitzt zu.»Ich wette, diese verdammten Frogs lachen sich jetzt eins, Sir!»
        Bolitho antwortete nicht. Aber daran hatte er schon anfangs gedacht. Ein starker Nordwest war ein Fluch fur sein Geschwader. Doch fur jeden franzosischen Kommandanten, der auf den rechten Moment wartete, um Toulon zu verlassen, war er ein Geschenk des Himmels, eine Chance, die er unmoglich auslassen konnte.
        Jetzt tauchte Gilchrists stangendurre Gestalt im langen, glanzenden Olmantel an der Achterdecksleiter auf. Er hatte wahrscheinlich vor seinem Kommandanten mehr Angst gehabt als vor den ersten Anzeichen eines Sturmes. Oder ihm hatte so viel daran gelegen, zu zeigen, da? er mit jeder Krise fertig wurde, da? er gewartet hatte, bis es viel zu spat war. Bolitho wischte sich das triefende Gesicht mit dem Armel ab. Augen und Mund brannten ihm vom Salzwasser. Als er wieder hochsah, war schon eine ganze Menge Leinwand verschwunden. Allerdings war das Vormarssegel nur noch halb an der Rah festgemacht. Am anderen Ende stand es wie ein gro?er Leinwandballon weg und fullte sich sto?end, als stake ein lebendiges Untier darin. Irgend etwas sauste vor den dahinjagenden Wolken vorbei und schlug mit dumpfem Krachen im Vorschiff auf.
        Eine heisere Stimme schrie:»Bringt den Mann ins Krankenrevier!«Dann Leutnant Veitch:»Befehl belegt! Dem kann kein Arzt mehr helfen!»
        Armer Teufel, dachte Bolitho. Kampfte da oben mit dem peitschenden Segel und mu?te sich so weit uber die gro?e, schwingende Rah vorbeugen, obwohl er sich nur mit den Fu?en festklammern konnte. Rechts und links von ihm seine Kameraden: fluchend, in die Nacht schreiend, zerrten sie an der nassen, harten Leinwand, bis die Fingernagel abbrachen und die Knochel bluteten. Ein Abrutschen, ein unvermuteter Windsto?, und er war gefallen.»An die Brassen! Klar bei Ruder!»

«Langsam aufkommen, wenn ich's sage!«fauchte Grubb.»Ganz vorsichtig, als wenn's ein Baby war!«»Ruder nach Luv!»
        Wieder huschten unbestimmte Gestalten durch das nasse Dunkel, ein Midshipman mit blutender Hand, ein Matrose, der den linken Arm an den Leib pre?te, die Zahne vor Schmerzen gebleckt.

«Leebrassen - hol dicht!»
        Schwerfallig tauchte die Lysander ihre siebzehnhundert Tonnen Eichenholz und Artillerie in einen Malstrom berstenden Schaumes.
        Hoch oben schwankte das gereffte Marssegel, ein verkurztes, eisenhartes Rechteck, stohnten die Masten unter dem Druck des Windes.
        Bolitho sah das alles, horte, wie sein Schiff und seine Matrosen kampften, um den Bug in den Wind zu bringen und das Schiff in Gewalt zu behalten. Fiel das Ruder aus oder wurde das Marssegel in Streifen zerrissen wie vorhin der Kluver, dann konnte es zu spat sein.
        Doch das Ruder lag in Hartlage, die Rudergasten traten mit ihren blo?en Fu?en auf die nassen Planken, als marschierten sie bergauf, und der Zweidecker reagierte. Schaumend rauschte die See vom Luvlaufgang quer uber Deck, wirbelte an das gegenuberliegende Schanzkleid, ri? Manner und Geschirr mit. Eine ganze Menge Wasser wurde seinen Weg hinunter in den Schiffsraum finden. Die Pumpen mu?ten schon arbeiten, aber in dem allgemeinen Krach konnte Bolitho sie nicht horen. Vorrate wurden verderben; Trinkwasser, so kostbar wie Schie?pulver, wurde verunreinigt werden und nicht mehr zu genie?en sein.
        Bolitho lie? die Netze los und lie? sich vom Wind das krangende Deck hinabsto?en, bis er beim Kompa? war.

«Schiff zeigt fast genau nach Nord, Sir!«brullte Grubb und sah einem wimmernden Mann nach, der vorbeigetragen wurde.»Sie mu?te sich halten konnen!»

«Sie mu?!«erwiderte Bolitho und sah, da? seine Worte ihre Wirkung nicht verfehlten.»Wenn wir vor diesem Wind ablaufen, mussen wir so lange zuruckkreuzen, da? wir niemals rechtzeitig kommen!»
        Grubb sah ihm nach und fragte dann den Steuermannsmaaten:»Was sagen Sie dazu, Mr. Plowman?»
        Plowman hielt sich am Kompa?gehause fest; im schwachen Licht der Lampe schimmerte sein Olzeug wie nasse Seide.»Ich habe Mr. Gilchrist rechtzeitig gesagt, er soll
>Alle Mann< pfeifen lassen. Hol ihn der Teufel, seinetwegen waren wir beinahe alle abgesoffen!»
        Grubb verzog das Gesicht.»Dazu kann es immer noch kommen!»
        Bolitho kampfte sich wieder zur Reling - da horte er einen Schrei:»Kopfe weg da unten! Die Vorbramrah geht stiften!»
        Und ehe sich jemand ruhren oder etwas unternehmen konnte, schlug die Bramrah des Vormastes heftig nach Lee, hing qualende Sekunden lang still und sauste dann hinab wie ein abgebrochener Ast. Stage und Fallen, Spieren und Blocke kamen in knatterndem Gewirr hinterher; das Ganze blieb mit schmetterndem Krachen an Steuerbord unterhalb des Bugs hangen. Wie der Sto?zahn eines gespenstischen Nachtungeheuers leuchtete das aufgetauchte Vorbramsegel in der Finsternis.
        Bolitho sah, wie Farquhar sich auf der Luvlaufbrucke nach vorn kampfte, bis auf die Haut durchna?t, eine Schulter blo? und blutig. Er sah alles so klar, als betrachte er eine Zeichnung und nicht ein Schiff, das um sein Uberleben kampfte.
        Hatte Herrick das Schiff kommandiert, so ware das alles nicht passiert. Kein Leutnant hatte Angst gehabt, ihn rechtzeitig an Deck holen zu lassen; wie seine Fahigkeiten als Stratege und Kommodore-Stellvertreter auch sein mochten - jedenfalls war er ein erstklassiger Seemann.

«Zwanzig Mann nach vorn!«brullte Bolitho und rannte selbst an Farquhar vorbei zum Vorschiff. Allday war dicht hinter ihm - das wu?te er, ohne hinzusehen.
        Pfeifen schrillten, Stimmen antworteten. Marine-Infanteristen und Matrosen, manche vollbekleidet, manche halbnackt, kampften sich durch Sturm und Gischt nach vorn, wo bereits der Bootsmann und einige altere Matrosen im Gewirr des Tauwerks arbeiteten.
        Bolitho merkte, wie das Schiff sich hob und dann schwer in einen tiefen Wellentrog fiel, und er horte Schreckensgeschrei, weil die gebrochene Rah krachend gegen den Rumpf schlug.
        Er sah, da? Pascoe schon da war, und rief:»Hast du da Aufsicht?»
        Pascoe schuttelte den Kopf.»Mr. Yeo kappt das Treibgut, Sir!«Er duckte sich mit gekreuzten Armen wie ein Preisboxer, denn eine machtige Wasserwand sturzte uber den keuchenden Mannern zusammen.»Und Mr. Gilchrist fuhrt die Hauptabteilung am Kranbalken!»
        Bolitho nickte zustimmend und sagte zu Allday:»Wir fassen mit zu. Achtern konnen wir doch nichts mehr tun.»
        Er kletterte durch riesige Schlingen Tauwerks nach unten; innerhalb von Sekunden waren seine Hande und Schienbeine blutig.
        Jemand sagte:»Zum Teufel, das is' ja der Kommodore, Jungs!«Und ein anderer murmelte:»Na, dann mu? es ja ziemlich schlimm stehen!»
        Bolitho blickte uber Bord und sah die schaumende Bugwelle, wo die gebrochene Rah wieder und wieder wie ein Rammbock in den Schiffsrumpf krachte. In der Dunkelheit schimmerten die gesplitterten Bruchstellen des Holzes wie die Zahne eines hohnlachenden Mauls. Es schien hoffnungslos.
        Er sah, wie Gilchrist mit fuchtelnden Armen auftauchte.

«Axte, Mr. Yeo! Lassen Sie die Rah ganz, aber kappen Sie die Taue, so schnell Sie konnen!»
        Ein Mann versuchte, von seinem gefahrlichen Sitz auf dem Kranbalken wegzuklettern, doch Gilchrist packte ihn und zwang ihn, in das tobende Wasser unter dem machtigen Ankerstock hinunterzusehen.

«Wir retten das Schiff, oder wir saufen zusammen ab! Jetzt klarier' die Leine da, oder ich will morgen dein Ruckgrat sehen!»
        Gilchrists Zorn, sein unbeabsichtigter Hinweis, da? es tatsachlich ein Morgen geben wurde, schien zu wirken. Keuchend und fluchend warfen sie sich in den Kampf gegen die gebrochenen Spieren; mit ihrer Wut hielten sie ihre Angst im Zaum und verschlossen die Ohren vor dem Heulen des Windes.
        Bolitho arbeitete Schulter an Schulter mit namenlosen Gestalten und nutzte die Anstrengung, um seine Gedanken zu ordnen. Die Vormaststenge konnte ersetzt werden. Herrick hatte vor dem Auslaufen fur einen guten Vorrat an Reservespieren gesorgt. Wenn die Rah gerettet werden konnte, dann mu?te das Schiff in ein paar Tagen wieder seine normale Segelkraft haben, ruhigeres Wetter vorausgesetzt. Aber das wurde Zeit kosten und die Ankunft auf ihrer Position verzogern, die er so sorgfaltig ausgesucht hatte, um die Transportschiffe des Feindes abzufangen.

«Mr. Pascoe!«schrie Gilchrist.»Gehen Sie mit ein paar Mannern ein Stuck nach achtern und sichern Sie die Spiere!»
        Pascoe nickte und packte ein paar Matrosen bei Schulter und Arm.»Aye, Sir.»
        Gilchrist sah zu ihm hoch.»Wenn Sie das Ding nicht an Bord hieven konnen, dann sorgen Sie wenigstens dafur, da? der Rumpf nicht noch mehr beschadigt wird!«Schaum und Spritzwasser einer aufschwappenden Welle schnitten ihm das Wort ab, und er konnte nur noch husten.
        Als das Wasser strudelnd abgeflossen war, sah Bolitho, da? der Mann, dem Gilchrist vorhin Prugel angedroht hatte, verschwunden war. Er trieb vermutlich irgendwo in der Finsternis, sah sein Schiff verschwinden, und seine Rufe verhallten zwischen den wutenden Seen. Doch hochstwahrscheinlich war er gleich untergegangen, denn nur wenige Seeleute konnten schwimmen. Bolitho ertappte sich dabei, da? er dem Mann einen schnellen Tod wunschte.

«Da geht sie!«Der Ruf ertonte, als die gekappte Raah mit machtigem Krachen und Rei?en an der Leeseite hinabfiel. Bolitho sah, wie Pascoes Manner auf der Lauf brucke versuchten, die immer noch gefahrliche Spiere unter Kontrolle zu bekommen, und hielt den Atem an, denn eine Leine brach, und eine andere spannte sich, schor an der Reling entlang und schlang sich Pascoe um die Schultern.

«Belegen!»
        Midshipman Luce, der berstenden Wasserwande nicht achtend, rannte die Laufbrucke hinunter.

«Kappen!»
        Aber Pascoe wurde in eine weitere Leine verstrickt. Bolitho fuhlte sein Blut gefrieren: es sah aus, als beuge sich Pascoe uber das Schanzkleid, aber in Wirklichkeit wurde er hilflos von dem wirbelnden Chaos der Leinen uber Bord gezerrt.
        Doch jetzt stand Luce neben ihm, geduckt unter dem schwarzen Tauwerk, und hackte mit seiner Axt nach oben.
        Yeo eilte vom Vorschiff herbei; sein schnelles, durch zwanzig Jahre Seefahrt gescharftes Auge erkannte sofort die gefahrliche Lage.

«Aufpassen, Mr. Luce!»
        Doch es war zu spat. Wahrend die scharfe Axt ein gebrochenes Stag durchschnitt, spannte sich ein anderes, das sich um Luces Arm gewickelt hatte. Pascoe fiel keuchend in die Arme zweier Matrosen; doch Luce, mit dem Arm in jener Leine, wurde gegen das Schanzkleid geschleudert, wahrend die Leine unter dem vollen Korpergewicht tief in das Fleisch des Armes schnitt. Das Schiff hob sich schwerfallig, und Luce schrie auf:»O Gott, helft mir doch!«Als Yeo endlich mit seinen Mannern bei ihm war und die Leine kappte, fiel er ihnen bewu?tlos vor die Fu?e.

«Schnell, Allday, schaffen Sie ihn hinunter!«befahl Bolitho. Dann rannte er nach achtern und half Pascoe auf die Fu?e.»Wie geht's?»
        Pascoe betastete seinen Rucken und verzog das Gesicht.»Das war knapp…«Er starrte uber das Deck.»Wo ist Bill Luce, Sir? Ist er…»

«Er ist verletzt. «Jetzt reagierte das Schiff bereits spurbar, wenn auch langsam, auf seine Freiheit - die Manner, die ihm unter Schmerzen und Muhen dabei geholfen hatten, mochten ihm ganz gleichgultig sein.»Ich habe ihn zum Arzt bringen lassen.»
        Pascoe starrte ihn an.»O Gott - er hat mir das Leben gerettet!»
        Bolitho verstand seine Verzweiflung, sah trotz der Dunkelheit den Kummer in seinem Gesicht.

«Ich gehe zu ihm hinunter, Adam. Du bleibst hier. Du wirst gebraucht. «Es tat weh, das zu sagen.
        Bolitho ging weiter nach achtern. Da stand Farquhar an der Achterdecksreling, als hatte er sich nie weggeruhrt.»Vielen Dank, Sir«, stie? er aus.»Da? Sie mit vorn waren, hat die Manner wieder in Schwung gebracht!»

«Das mochte ich bezweifeln«, erwiderte Bolitho kuhl.»Aber ein Kommandant achtern genugt.»
        Er blickte zum gerefften Marssegel hoch. Immer noch eisenhart, aber es hielt, trotz des enormen Drucks.

«Ich gehe ins Krankenrevier«, sagte er.

«Sind Sie verletzt, Sir?»

«Lassen Sie mich sofort rufen, wenn sich etwas andert. «Er schritt zur Kampanje. Nein, verletzt bin ich nicht. Nicht korperlich.»
        Wahrend er vo n einer Leiter zur nachsten tiefer stieg, wurden die Gerausche der See immer gedampfter; jetzt empfingen ihn das Knarren der beanspruchten Planken, die Geruche nach Bilgewasser und Teer. Schwankende Laternen warfen schiefe Schatten auf seinen Weg durch das untere Batteriedeck der Lysander, wo das ganze Jahr lang kein Tageslicht hinkam. Bei dem kleinen Krankenrevier fand er ein paar Matrosen vor, die sich von der Behandlung erholten; manche waren verbunden, manchen half noch die tiefe RumNarkose uber ihre Schmerzen hinweg. Die Luft war dick zum Schneiden und stank nach Leid und Blut.
        Er trat ein. Henry Shacklock, der Schiffsarzt, sprach mit seinen Gehilfen, die noch zwei Lampen uber dem Tisch anbrachten.
        Shacklock blickte hoch und erkannte Bolitho.»Sir?»
        Er war ein mude aussehender, dunnhaariger Mann. In dem schwankenden, gelben Licht wirkte er fast kahl, dabei war er noch nicht einmal drei?ig. Bolitho hatte festgestellt, da? er ein guter Arzt war - leider ein ziemlich seltener Fall auf den Schiffen des Konigs.

«Wie geht's Mr. Luce?»
        Die Gehilfen traten zur Seite, und Bolitho sah, da? der Midship-man bereits auf dem Tisch lag. Er war nackt, sein Gesicht verzerrt, die Haut sehr bleich. Shacklock entfernte einen provisorischen Verband von der Schulter.
        Die Leine mu?te Fleisch und Muskeln glatt durchschnitten haben. Der Unterarm lag in einem unnaturlichen Winkel, die Finger waren ausgestreckt und schlaff.
        Shacklock ma? mit seiner Handspanne wie mit einem Zollstock eine Entfernung von der Schulter ab - knapp sechs Zoll.

«Der Arm mu? ab, Sir. «Zweifelnd schob er die Lippen vor.»Und selbst dann…»
        Bolitho sah auf Luces totenbleiches Gesicht hinunter. Siebzehn Jahre alt. Uberhaupt noch nicht gelebt.

«Mu? das sein?»
        Wozu die Frage? Er hatte sie schon so oft gestellt.

«Ja. «Der Arzt nickte seinen Gehilfen zu.»Je schneller, desto besser. Vielleicht kommt er nicht zu sich, bis wir fertig sind.»
        In diesem Moment schlug Luce die Augen auf. Regungslos starrten sie Bolitho an und schienen in diesen wenigen Sekunden alles zu begreifen, was geschehen war und was noch kommen wurde.

«Sie haben Mr. Pascoe das Leben gerettet. Adam kommt herunter, sobald er kann«, sagte Bolitho und versuchte, moglichst ruhig zu sprechen.
        Uber den Kopf des Jungen hinweg sah er, da? Shacklock zwei Messer aus einem Kasten nahm. Eins war kurz, das andere lang und schmal. Einer der Gehilfen rieb unter der Laterne irgend etwas mit einem Tuch ab, und als der Mann seitwarts schwankte, sah Bolitho, da? es eine Sage war.

«Mein Arm, Sir?«flusterte Luce fast unhorbar. Die Tranen liefen ihm ubers Gesicht. Bitte nicht, Sir!»
        Der Gehilfe reichte Bolitho einen Becher Rum, und er hielt ihn dem Jungen an die Lippen.»Trinken Sie. So viel Sie konnen. «Der Rum tropfelte ihm aus den Mundwinkeln; der Korper zitterte wie im Fieber. Das war alles, was sie hatten: Rum und nach der Operation Opium zum Schlafen.
        Er horte Schritte, und dann Pascoes Stimme, gepre?t und kaum erkennbar:»Der Kommandant la?t respektvoll melden, Sir, da? wir soeben die Nicator gesichtet haben.»
        Bolitho richtete sich auf, behielt aber die Hand an Luces Schulter.»Danke. «Die Schatten kamen drohend naher, wie Engel des Todes, denn Shacklocks Manner wollten anfangen.»Bleib bei ihm, Adam.»
        Er blickte wieder auf den Midshipman nieder; der starrte immer noch zu ihm auf, Rum und Tranen mischten sich auf seinem Hals. Nur sein Mund bewegte sich. »Bitte! flusterte er wieder.
        Bolitho wartete, bis Pascoe neben Luces Kopf stand, und sagte dann zu Shacklock: Tun Sie Ihr Bestes!»
        Der Chirurg nickte.»Ich habe die Messer anwarmen lassen, Sir, damit der Schock nicht so gro? ist.»
        Als Bolitho sich zum Gehen wandte, gab der Arzt ein Zeichen, und er horte Luce aufschreien: Die Gehilfen hatten seine Arme und Beine gepackt und pre?ten ihm den Kopf auf die Tischplatte.
        Luces furchtbare Schreie verfolgten ihn bis aufs Hauptdeck. Dort endlich ri? der Sturm sie weg.
        Bolitho stutzte beide Hande auf die Karte und studierte sie minutenlang. In zwei langen Tagen und Nachten hatte sich der Sturm erschopft, und in dem warmen Sonnenlicht und der sanften Brise kam ihm das Schiffjetzt fast unbeweglich vor.
        Die Kommandanten des Geschwaders standen um den Tisch und sahen ihm zu. Jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschaftigt, und alle schienen erschopft von der Wut des Sturmes und vom Kampf ums Uberleben.
        In dem ganzen, weit auseinandergetriebenen Geschwader hatte es siebzehn Tote gegeben. Vom Mast gesturzt, uber Bord gewaschen. Manche waren auch nur unbemerkt verschwunden, als seien sie nie an Bord gewesen.
        Es war Nachmittag, die Schiffe segelten wieder in lockerer Formation, und Bolitho hatte alle Kommandanten zur Lagebesprechung beordert.
        Er blickte in Javals dunkles Gesicht. Was er berichtet hatte, war zu erwarten gewesen, und doch hatte Bolitho bis zum letzten Moment noch Hoffnung gehabt. Aber kurz nach Sonnenaufgang war die Buzzard in Sicht gekommen und hatte sogleich signalisiert: die Franzosen waren ausgelaufen. Ein Dutzend Schiffe, vielleicht mehr, waren mit dem steifen Nordwest unter ihren Rockscho?en losgesegelt; Javal und seine Manner hatten alle Hande voll zu tun gehabt, den Feind auch nur in Sicht zu behalten. Der franzosische Befehlshaber hatte sogar mit derartigen Komplikationen gerechnet: zwei Fregatten kamen mit dem Sturm auf Javal zu, schossen ihm ein paar Kugeln in die Takelage und verschwanden dann wieder zu ihrem Geleit.
        Fur einen Kampfer wie Javal mu?te das furchtbar gewesen sein. Mit seinem zerschossenen Rigg und bei dem jede Minute starker werdenden Sturm hatte er nur zusehen konnen, wie die Franzosen entwischten. Er hatte versucht, durch Signalschusse und Raketen mit dem Geschwader Verbindung zu bekommen, aber da Gilchrist zu lange gewartet hatte und die Linienschiffe immer noch auf ihrem vorbestimmten Kurs blieben, war sogar dieser Kontakt unmoglich.
        Nachdenklich sagte Bolitho:

«Der Admiral mu?te inzwischen die Depeschen der Harebell erhalten haben. Er mu? annehmen, da? wir imstande sind, Toulon zu uberwachen oder mindestens alle Fahrzeuge zu beschatten, die herauskommen.»
        Oben an Deck horte er das Stampfen der exerzierenden Marine-Infanteristen, vermischt mit Hammer- und Axtschlagen, denn die Leute des Zimmermanns waren flei?ig dabei, die Sturmschaden auszubessern.
        Er sah zu Herrick hinuber. Was mochte der wohl denken?
        Probyn war pessimistisch.»Jetzt, da die Franzosen sich Ihrer, ah, Uberwachung entzogen haben, sind wir alle einigerma?en im Zweifel uber die Lage. Vielleicht haben wir zu viel auf Horensagen, auf Geruchte, gegeben. Wer wei?, wo diese franzosischen Schiffe jetzt sein mogen?«Langsam sah er sich am Tisch um.»Ganz abgesehen davon - was konnen wir schon ohne Informationen erreichen?»
        Bolitho sah ihn unbewegt an. Probyn hatte vorsichtigerweise immer» wir «gesagt. Aber er meinte» Sie».
        Javal zuckte die Achseln und gahnte.»Ich konnte mich vom Geschwader losen, Sir. Vielleicht finde ich ein paar von den Franzosen, wenn nicht sogar alle. Schlie?lich mussen auch sie bei diesem Sturm Schwierigkeiten gehabt haben.»
        Gespannt blickten alle Kommandanten auf Bolitho. Manche wurden, so glaubte er jedenfalls, sein Dilemma verstehen, vielleicht auch teilen.
        Schickte er die Buzzard los, so hatte er keine» Augen«. Fur die Zweidecker und das Prisenschiff reduzierte sich die Sichtweite auf das, was der beste Ausguck erkennen konnte. Au?erdem waren die
        Linienschiffe zu langsam und zu wenig beweglich fur Rekognoszierungsaufgaben. Somit konnte er auf seine einzige Fregatte nicht verzichten.

«Naturlich«, sprach Probyn weiter,»konnten wir nach Gibraltar zurucksegeln, Sir. Ware vielleicht besser, wir verstarken mit unserer Kampfkraft eine Flotte, die dort moglicherweise zusammengestellt wird, als da? wir hier blindlings und zwecklos herumstreifen.»
        Jetzt sprach Herrick zum erstenmal.»Das ware ein Eingestandnis unseres Mi?erfolges! Und meiner Ansicht nach eine falsche Entscheidung!«Er sah Bolitho fest in die Augen.»Wir wissen, wie Ihnen zumute sein mu?, Sir.»

«Wirklich teuflisches Pech«, fuhr Farquhar dazwischen.

«Nicht nur das«, sagte Javal und sah Bolitho mit kuhler Neugier an.»Es ist auch eine teuflisch schwere Entscheidung - fur Sie, Sir.»

«Ja.»
        Bolitho suchte mit den Augen die Karte des Mittelmeeres ab. Alle diese Meilen. Selbst wenn er richtig geraten hatte - und mehr als Raten war es ja nicht, wie Probyn ganz richtig bemerkt hatte - , dann war es immer noch nicht sicher, da? er Kontakt mit dem Feind bekam. In der Nacht oder bei schlechtem Wetter konnten Schiffe aneinander vorbeisegeln, ohne da? eins vom anderen wu?te. Ein ganzes Reich konnte durch eine falsche oder zu hastige Entscheidung verlorengehen.

«Folgendes werden wir tun«, sagte er, und es kam heraus, als hatte er von Anfang an nichts anderes im Sinn gehabt.»Unsere jetzige Position ist, soweit wir sagen konnen, etwa sechzig Meilen westlich der Nordkuste von Korsika. «Er klopfte mit dem Zirkel auf die Karte.»Wir segeln nach Cap Corse. Der Sturm hat uns so weit nach Osten abgetrieben, da? sich eine andere Route nicht mehr lohnt. «Gespannt beugten sie sich uber den Tisch.»Wir machen also we i-ter, und sobald wir Cap Corse gerundet haben, nehmen wir Kurs nach Sudost. «Unbeirrt fuhr der Zirkel die italienische Kustenlinie entlang, immer tiefer.»In Syrakus legen wir an, nehmen Trinkwasser an Bord und bringen die Schwerverwundeten an Land. Die Sizilianer haben vielleicht Informationen fur uns. Sie halten Frieden mit den Franzosen, aber lieben sie nicht besonders.»
        Unvermittelt sah er auf.»Die Buzzard segelt dann fruher los als wir, und zwar durch die Stra?e von Messina ostlich um Sizilien herum, und trifft sich mit dem Geschwader vor Malta. Ich werde Ihnen noch genaueres sagen, Captain Javal, wenn wir etwas weiter sind.»
        Er sah jedem einzelnen ins Gesicht. Damit hatte er sich festgelegt. Sich und jeden seiner Kommandanten, jeden Mann im Geschwader.
        Herrick rausperte sich.»Und dann, Sir?»
        Bolitho erwiderte seinen Blick und sah die Sorge, die in seinen Zugen aufstieg. Dann, Captain Herrick, werden wir wissen, was wir zu erwarten haben.»
        Probyn legte die schweren Hande breit auf den Tisch. Sie waren wie rote Krebse. Wenn wir auch dort wieder keinen Erfolg haben, Sir, dann durfte die Begegnung mit dem Admiral nicht angenehm ausfallen.»
        Bolitho musterte ihn kalt.»Ich brauche Unterstutzung, Captain Probyn, kein Mitleid.»
        Spruhwasser spritzte gegen die Heckfenster, und er schlo?:»Ich denke, Sie gehen am besten wieder an Bord Ihrer Schiffe. Der Wind frischt auf, wie mir scheint.»
        Scharrend stie?en sie die Stuhle zuruck und sahen einander an wie Fremde.
        Probyn nahm Hut und Degen und fragte, ohne Bolitho dabei anzusehen:»Ich nehme an, wir bekommen die neuen Order noch schriftlich, Sir?»

«Das durfte doch wohl uberflussig sein!«fuhr Herrick dazwischen.

«Da bin ich anderer Meinung«, sagte Probyn.»Es sollte mir leid tun, wenn ich ausdrucklich darauf bestehen mu?te.«»Sie bekommen sie«, nickte Bolitho.
        Farquhar klopfte an die Zwischentur, und als auf dieses Zeichen hin der Turposten erschien, befahl er:»Lassen Sie die Boote rufen! Und der Erste Offizier soll die Ehrenwache antreten lassen!»

«Ubrigens, wie macht sich denn Ihr Erster?«fragte Probyn.

«Einigerma?en«, erwiderte Farquhar kuhl.

«Sie kennen ihn also?«hakte Bolitho ein.
        Probyn hustelte verlegen.»Nicht eigentlich, Sir. Eine fluchtige Bekanntschaft, konnte man sagen.»
        Die Kommandanten verabschiedeten sich und fuhren auf ihre Schiffe zuruck.
        Herrick war der letzte. Ohne Umschweife begann er:»Die Sache mit der Vorbramrah, Sir. Als ich horte, was die Lysander beim Sturm fur Schwierigkeiten hatte, habe ich nachgedacht. Vielleicht ist eine Kugel durch das Rick gegangen, aber die Umhullung hat den Schaden verdeckt. So etwas kommt vor.»
        Bolitho lachelte.»Vielleicht. Ihre Schuld war es nicht.»
        Herrick blickte sich an Deck um, und Bolitho versuchte, seine Gedanken zu erraten. Bedauern, Besorgnis oder blo?e Neugier?

«Und Sie, Thomas - alles in Ordnung?»
        Herrick wandte sich ab. Eben legte seine Gig an den Gro?rusten an.»Die Osiris ist ein ordentliches Schiff, Sir. Ich kann mich nicht beklagen. Aber das Herz fehlt, der Schwung.»
        Bolitho wollte ihm den Arm um die Schulter legen, damit er sah, da? es ein Verlust fur sie beide war. Aber es war nicht der Augenblick dafur, und auch Herrick wu?te das.

«Seien Sie vorsichtig, Thomas«, sagte er nur.
        Der Posten der Marine - Infanterie nahm stampfend Haltung an, die Bootsmannsmaaten setzten ihre silberblanken Pfeifen an, um Herrick die Ehrenbezeigung beim Vonbordgehen zu erweisen. Aber er zogerte noch. Seine Miene verriet Bewegung. Schlie?lich sagte er:»Wenn Sie mit dem Geschwader das turkische Fort angehen, dann werde ich nicht weit hinter Ihnen sein. «Mit bittendem Blick hielt er inne.»Ich wollte nur, da? Sie das wissen.»
        Bolitho streckte die Hand aus.»Ja, Thomas, das wei? ich. «Er fa?te Herricks Hand und druckte sie kraftig.
        Er sah noch, wie Farquhar und Herrick einen formellen Gru? wechselten, und schritt dann langsam uber das Achterdeck zur Luvseite.
        Laut schlugen die Segel, denn das Schiff lag beigedreht, bis alle Boote abgelegt hatten; deshalb horte Bolitho nicht, wie jemand zu ihm trat.
        Es war Pascoe, seine dunklen Augen lagen tief in den Hohlen vor Mudigkeit. Er war regelma?ig seine Wachen gegangen und hatte wahrend des Sturmes durchgehend Dienst gemacht; aber jede freie Minute hatte er im Orlopdeck bei seinem Freund verbracht.

«Ist was nicht in Ordnung?«fragte Bolitho.
        Pascoe hob die Arme und lie? sie hilflos fallen.»Sir, ich. «Er schuttelte den Kopf.»Er ist tot. Vor ein paar Minuten ist er gestorben.»
        Bolitho sah seinen Kummer und teilte ihn.»Luce war ein tapferer Junge. «Er nahm Pascoe beim Arm und drehte ihn etwas um, damit die vorbeigehenden Seesoldaten sein Gesicht nicht sahen.»Manchmal kann man sich nur schwer damit abfinden, da? Seeleute ebenso oft durch das Meer umkommen wie in der Schlacht.»
        Pascoe erschauerte.»Er hat nie geklagt, nicht nach diesem ersten furchtbaren Schnitt. Ich habe ihm die Hand gehalten. Und gerade heute dachte ich, es ginge ihm ein bi?chen besser. Aber da. «Er konnte nicht weitersprechen.
        Farquhar trat herzu und fa?te an den Hut.»Darf ich dem Geschwader Segelbefehl geben, Sir?«Er warf einen Blick auf Pascoe, aber in seinen Augen war kein Mitgefuhl.»Der Wind frischt auf.»

«Ja, bitte. Und signalisieren Sie der Buzzard, sie soll voraus in Lee Position einnehmen. Javal wei?, was er zu erwarten hat. Und der Leutnant hier - «, er deutete auf Pascoe - ,»sollte jetzt ein paar Stunden dienstfrei bekommen.»
        Farquhar nickte.»Jawohl, Sir.»
        Doch Pascoe sagte:»Ich bin schon wieder in Ordnung, Sir. «Er ruckte seinen Hut zurecht und wandte sich zur Leiter.»Ich mochte meinen Dienst wie immer machen, wenn Sie gestatten.»
        Farquhar verzog die Lippen zu einem Lacheln.»Dann geht das also klar.»
        Bolitho ging mit ihnen zur Reling. Die Matrosen standen bereits an den Brassen und Fallen bereit.
        Pascoe hielt inne, einen Fu? in der Luft uber dem Batteriedeck.»Eins noch, Sir. Wann soll er bestattet werden?»

«Bei Sonnenuntergang. «Er sah den Schmerz in Pascoes Augen.

«Es ist mir gerade eingefallen: mein Degen. Ich mochte, da? er ihn mitbekommt. Ich habe sonst nicht viel.»
        Bolitho wartete, bis Pascoe bei seinen Leuten war, und ging dann weiter zur Kampanjeleiter. Leise sagte Grubb:»Der wird mal ein feiner junger Offizier, Sir.»
        Bolitho nickte.»So wie er ist, ist er mir schon recht.»

«Aye. «Der Master beschattete seine rotgeranderten Augen und prufte den flatternden Wimpel hoch uber Deck.»Da gibt's welche, die konnen befehlen, aber lernen konnen sie uberhaupt nichts. Gott sei Dank ist er keiner von denen.»
        Bolitho stieg die Leiter hoch und trat nach achtern an die vergoldete Heckreling. Unter der Kampanje horte er den Rudergast aussingen:»Kurs Ost, Sir.»
        Geschwind schob sich die schlanke Fregatte an den massigen Linienschiffen vorbei; aber diesmal beneidete Bolitho sie nicht um ihre Freiheit. Sein Platz war hier; und nur von der Richtigkeit seiner Entscheidungen hing es ab, ob er ihn behielt.
        Er dachte an Pascoe und Herrick, an Allday, der unten in der Kajute herumwerkte.
        Diesmal mu?te er richtig entschieden haben, und sei es auch nur um solcher Menschen willen wie diese.



        XI Der Brief

        Schreiber Moffitt, den schmachtigen Oberkorper tief uber den Tisch gebeugt, blickte Bolitho von unten herauf an und fragte:»Ist das alles fur heute, Sir?»

«Ja, danke. «Bolitho lehnte sich in seinem Sessel zuruck und lok-kertesein Halstuch.»Sagen Sie Ozzard, er soll die Lampen anzunden. «Er blickte durch die Heckfenster in den feurigen, gelbroten Sonnenuntergang.
        Wieder ein langweiliger Tag. Zwei Wochen war es her, da? er sich mit seinen Schiffen nach Suden gewandt hatte; und praktisch hatten sie das Mittelmeer fur sich allein. Tag um Tag segelten sie bei leichten Winden die italienische Kuste entlang, und dann westwarts die dunstigen Strande Siziliens entlang. Jetzt waren sie wieder auf Ostkurs, und die Insel Sizilien lag etwa drei?ig Meilen an Backbord voraus. Au?er einigen arabischen Fahrzeugen mit ihren fremdartigen Lateinersegeln waren sie mit keinem Schiff in Kontakt gekommen. Sie hatten zwar ein paar Segel gesichtet, aber die waren verschwunden, ehe die langsamen Vierundsiebziger nahe genug herankommen konnten, um zu sehen, was es mit ihnen auf sich hatte.
        Bolitho starrte auf die leere Tischplatte. Wozu eigentlich hatte er wieder so einen inhaltlosen Tagesbericht diktiert - blo? damit Mof-fitt etwas zu tun bekam? Unwichtiges Geschreibsel und zu nichts gut, es sei denn als eventuelles Beweismaterial bei seiner Kriegsgerichtsverhandlung.
        Was machte wohl die Buzzard? Hatte sie Gluck gehabt und etwas uber die verschwundenen Franzosen herausbekommen? Javal segelte nicht mehr unter den Augen seines Kommodore; so empfand er vielleicht dessen Wunsche in der Entfernung als nicht mehr so dringlich und hatte sich davongemacht, um seinen eigenen Vorteil zu suchen. Doch Bolitho wu?te, da? er damit Javal Unrecht tat und da? nur seine eigene Depression ihn auf solche Gedanken brachte.
        Er stand auf und schritt zur Tur. Solange er sich erinnern konnte, war er gewohnt, beim Anblick des Sonnenuntergangs Frieden, ja sogar Antwort auf seine Fragen zu finden. Rasch stieg er die Leiter zum Kampanjedeck hinauf und lie? den Nordwest durch sein Hemd blasen, damit er etwas von der Hitze, der Schalheit dieses Tages fortnahm. Er ging zur Luvseite, fa?te in die Webleinen und musterte den breiten Streifen aus Kupfer und Gold, der, sich mehr und mehr vertiefend, den ganzen Horizont uberzog. Es war schon, ehrfurchtgebietend sogar; kein Wunder, da? ihm dieser Anblick immer noch das Herz bewegte. Er hatte die Pracht der scheidenden Sonne auf jeder Art von Schiff erlebt und auf allen Meeren, von den kalten Wasserwusten des Atlantik bis zur uppigen Glut der Sudsee.
        Die Nicator, im Kielwasser der Osiris, nahm eben eine leichte Kursanderung vor; ihre Fock flatterte kurze Zeit leer und fullte sich dann wieder. Wie unbekummert diese Schiffe wirken mu?ten - wenn jemand dagewesen ware, der sie hatte vorbeisegeln sehen. Nichts deutete auf das brodelnde Leben in ihren runden Bauchen hin oder auf die Reparaturen der Sturmschaden, die auch jetzt noch weitergingen. Wachwechsel, Segel- und Geschutzexerzieren, Essen, Schlafen - das war ihre Welt. Seine Welt. Und doch, nach einem ganzen Tag dieses anstrengenden Dienstes, einem Zwillingsbruder des gestrigen und vermutlich auch des morgigen Tages, fanden diese Manner noch Zeit fur allerlei Privatbeschaftigungen: Knochen- und Holzschnitzereien, verzwickte Flechtarbeiten aus Schnuren und Metallstucken - es war schwer zu begreifen, wie solche zierlichen, feingearbeiteten Gegenstande unter den verhornten Handen britischer Seeleute entstehen konnten. Schnupftabaksdosen, aus getrocknetem Salzfleisch geschnitzt und poliert, erzielten bei den jungeren Offizieren hohe Preise. Solche Dosen waren hart und glanzend wie aus Mahagoni und
zeugten nicht nur von der Handfertigkeit des Herstellers, sondern auch von seinem gesunden Magen.

«An Deck! Land in Lee voraus!»
        Bolitho schritt zur Leeseite und spahte zur anderen Kimm hinuber, die schon tiefpurpurn war. Das mu?te eine der kleinen Inseln vor Malta sein, vielleicht Gozo.
        Unter der Kampanje horte er einen Steuermannsmaaten schimpfen:»Du da, wie hei?t du? Larssen, nicht wahr?«Eine gemurmelte Antwort, und dann dieselbe Stimme:»Ich hab's dir immer wieder gesagt! Pa? auf den Kompa? auf, und wie die Segel stehen! Steh nicht da und glotz und la? das Schiff laufen, wohin es will! Jesus, du wirst niemals Steuermannsmaat werden, nicht in hundert Jahren!»
        Jetzt eine andere Stimme. Bolitho erkannte das hochnasige Sauseln von Leutnant Fitz-Clarence.»Was schimpfen Sie denn so lasterlich, Mr. Bagley?»

«Ach, nichts Besonderes«, entgegnete der Steuermannsmaat.»Blo? da? das arme alte Schiff voll lausiger Auslander ist, denen man alles zweimal sagen mu?!»
        Langsam schritt Bolitho auf und ab. Bagley hatte naturlich recht. Wie viele Schiffe des Konigs hatte die Lysander eine gute Portion fremder Seeleute an Bord. Schweden und Spanier, Hannoveraner und Danen. Auch elf Neger waren dabei und ein Kanadier, der besser franzosisch sprach als Farquhar.
        Er mu?te plotzlich an den amerikanischen Kapitan denken, John Thurgood. Nicht nur er wurde eine freudige Heimkehr erleben. Die Mutter und Frauen der spanischen Matrosen, die Bolitho ihm von der Segura auf seine Barkentine geschickt hatte, wurden weinen und lachen vor Freude, wenn Thurgood die Manner in ihrem He i-matland absetzte.
        Er blieb an der Reling stehen und sah nach achtern. Aber die Segura war von den anderen Schiffen verdeckt und nicht zu sehen. Er seufzte. Einen Teil ihrer Mannschaft hatte er auf die amerikanische Barkentine geschickt, und eines ihrer Boote hatte er irgendwelchen franzosischen Fischern gegeben, beides im Austausch gegen Informationen. Informationen, die er nicht nutzen konnte. Wegen des Sturmes? Oder weil er die Lage nicht erkannt und deswegen seinem Geschwader nicht voll Genuge getan hatte?
        Er horte Schritte auf der Leiter; der Midshipman der Wache kam zogernd naher.

«Ja, Mr. Glasson?»
        Der Midshipman fa?te an den Hut.»Mr. Fitz-Clarence la?t mit Respekt melden, Sir, da? der Ausguck in Sudosten Land gesichtet hat. Der Master sagt, es ware Malta, Sir.»

«Danke.»
        Bolitho sah ihn nachdenklich an. Glasson war siebzehn und hatte nach Luces Tod den Signaldienst ubernommen. Sonnst gab es keine Ahnlichkeit zwischen den beiden. Glasson hatte scharfe Zuge, eine scharfe Zunge und hielt streng auf Disziplin. Er wurde einen schlechten Leutnant abgeben, wenn er so lange lebte. Es war ebenso merkwurdig wie bedauerlich, wie viele von Glassons Sorte es in der Flotte gab: junge Leute, die nichts aus den scheu?lichen Meutereien gelernt hatten, bei denen die Machtigen des Achterdecks im Handumdrehen zu einer kleinen, isolierten und gefahrdeten Gruppe geworden waren. Zwischen den Kriegen war die Sache mit Captain Blighs Bounty passiert; der ganzen Nation war dieser Vorfall unter die Haut gegangen. Zivilisten waren stets bereit, mit gro?tem Eifer uber das Gut und Bose bei Vorfallen zu urteilen, an denen sie nicht beteiligt waren und die fur sie weder gefahrlich noch unbequem wurden. Und dann die gro?en Revolten in der Nore-Flotte und bei Spithead,[siehe Kent: Der Stolz der Flotte] beides Folgen des jahrzehntelangen Hundelebens, das die Seeleute hatten fuhren mussen. Kurz
bevor Bolitho seinen Kommodorestander auf der Lysander gehi?t hatte und nach Gibraltar ausgelaufen war, hatte er mit Schrecken und Abscheu vernommen, was es fur Konsequenzen haben konnte, wenn Manner uber das Ertragbare hinaus gequalt wurden. Die Fregatte Seiner Majestat Hermione hatte einen spanischen Hafen angelaufen und sich dem Feind ergeben. Ihre Offiziere waren auf scheu?lichste Weise abgeschlachtet worden, und von den loyal gebliebenen Matrosen und Unteroffizieren hatten einige das gleiche Schicksal erlitten. Die Meuterer hatten ihr Schiff dem Feind im Austausch fur ihre Freiheit angeboten. Bolitho wu?te von der Vorgeschichte der Meuterei nicht viel mehr, als da? der Kommandant ein furchtbarer Leuteschinder gewesen war. Wenn er diesen Glasson ansah, dessen Selbstvertrauen ubrigens unter dem starren Blick seines Kommodore sichtbar welkte, konnte er sich nur wundern, da? solche Lehren immer noch unbeachtet blieben.

«Was erhoffen Sie sich von der Zukunft?»
        Glasson richtete sich stramm auf.»Meinem Konig zu dienen, Sir, und einmal ein eigenes Schiff zu kommandieren.»

«Hochst lobenswert«, sagte Bolitho trocken.»Und haben Sie aus Ihrem Dienst auf der Prise etwas gelernt?»
        Der Midshipman fuhlte sich etwas erleichtert.»Die Dons sind lauter Strohkopfe. Sie haben keine Ahnung, und das Fahrzeug ist ein Saustall.»
        Aber Bolitho horte kaum hin. Ihm war der Brief eingefallen, den die Segura dem franzosischen Agenten namens Yves Gorse hatte bringen sollen. Angenommen, der Franzose wu?te nicht, auf welchem Schiff die Instruktionen aus Toulon kamen? Nachrichtenubermittlung war schwierig, und die Franzosen behandelten ihr Endziel immer noch als Geheimnis; da wurde er vermutlich kaum vorherwissen, aufweiche Art ihn seine Anweisungen erreichen sollten.

«Mein Kompliment an Flaggkapitan Farquhar«, sagte er zu Glas-son,»und er mochte bitte zu mir auf die Kampanje kommen.»
        Als Fraquhar funf Minuten spater erschien, schritt Bolitho auf und ab, die Hande auf dem Rucken, in tiefes Nachdenken versunken.

«Sie haben eine Idee, Sir?«tippte Farquhar an.
        Bolitho blieb stehen und sah ihm ins Gesicht.»Ich glaube, die habe ich. Ich war so tief in meine Befurchtungen verstrickt, da? ich nicht sah, was auf der Hand lag.»

«Sir?»

«Ich horte Steuermannsmaat Bagley einen Ruderganger beschimpfen, weil der ihn nicht gleich verstanden hatte.»
        Farquhar zog die Brauen zusammen.»Das mu? Larssen gewesen sein, Sir. Ich kann ihn ablosen lassen.»

«Nein, nein! Darum geht es nicht«, sagte Bolitho und starrte ihn immer noch an. Und dann noch etwas, das Glasson eben uber die Segura sagte.»

«Ich verstehe, Sir. «Farquhar war vollig verwirrt.»Das hei?t, ich glaube zu verstehen.»
        Bolitho lachelte.»Diese Segura. Wir haben sie mitgeschleppt und wu?ten nicht, warum. Aus Eitelkeit? Als Beweis, da? wir nicht nur Mi?erfolge hatten? Mit der Zeit haben wir vergessen, da? sie uberhaupt da ist.»
        Farquhars Augen, die Bolitho mit tiefem Zweifel betrachteten, glommen in der sinkenden Sonne.»Aber sie ist zu langsam zum Rekognoszieren - ich dachte, daruber waren wir uns einig.»
        Bolitho nickte.»Stellen Sie eine neue Prisenmannschaft zusammen und verteilen Sie die Spanier, die noch auf der Segura sind, auf das Geschwader. Suchen Sie einen geeigneten Offizier und sagen Sie ihm, die Prisenbesatzung soll so auslandisch wirken wie nur moglich.»

«Aye, Sir. «Farquhar zeigte sich nicht einmal mehr uberrascht. Wahrscheinlich glaubte er, die standige Anspannung und Verantwortung hatten Bolitho schlie?lich doch um den Verstand gebracht.

«Und zwar sofort! Geben Sie dem Geschwader Signal zum Beidrehen, solange noch Tageslicht ist!»
        Farquhar wollte schon wegeilen, fragte aber noch:»Was soll dieser Offizier fur eine Aufgabe ubernehmen, Sir?»

«Aufgabe, Captain?«Er wandte sich ab, um seine aufsteigende Erregung zu verbergen. Er soll die Segura unter falscher Flagge nach Malta segeln. Am besten unter amerikanischer. Und dort soll er fur mich einen Brief abliefern.»

«An den franzosischen Agenten?«rief Farquhar.

«Genau. «Wieder ging er auf und ab.»Fangen Sie gleich an!»
        Doch Farquhar blieb noch stehen.»Das ist aber riskant, Sir.»

«Das haben Sie mir schon mal gesagt. Und Thomas Herrick auch. Haben Sie denn nie was riskiert?»
        Farquhar lachelte.»Die Matrosen werden wahrscheinlich desertieren, sobald sie in Malta sind. Und der betreffende Offizier wird gefangengenommen und gehangt werden. Die Malteser wissen nur zu gut, wie gefahrlich es fur sie ist, Frankreichs Mi?fallen zu erregen. Fruher waren sie uns freundlich gesinnt, aber jetzt sind ihnen die franzosische Armee und Flotte viel naher als damals«, schlo? er achselzuckend.

«Stimmt. Das ist auch keine Arbeit fur einen Juniorleutnant. «Jetzt ging Farquhar ein Licht auf.»Sie beabsichtigen, selbst auf der Segura mitzufahren.«»Unter allen Umstanden.»
        In einem hatte Midshipman Glasson recht gehabt, fand Bolitho: die Segura war nicht nur dreckig, sie stank auch nach so vielen Unerfreulichkeiten von unterschiedlichem Alter und Gehalt, da? man unter Deck von standigem Brechreiz geplagt wurde.
        Als die neue Mannschaft im Austausch gegen die Spanier herubergerudert wurde, war es stockfinster. Mit zwei tuchtigen Matrosen am Ruder und unter gerefften Segeln wurde sie Segura fur die Nacht sich selber uberlassen.
        Bolitho sa? in der winzigen Kajute und kaute an Salzfleisch und eisenhartem Schiffszwieback herum, den er mit dem Rotwein, den das Schiff reichlich geladen hatte, aufzuweichen versuchte.
        Farquhar hatte Leutnant Matthew Veitch zu seiner Begleitung ausgesucht. Veitch hatte bereits bewiesen, da? er sich ebenso gut darauf verstand, ein ihm unbekanntes Schiff zu fuhren, wie die Achtzehnpfunder der Lysander im Ernstfall zu kommandieren. Er war Mitte Zwanzig, sah jedoch erheblich alter aus und war erfahrener, als man bei seiner Jugend glauben mochte. Er kam aus dem Norden Englands, aus Tynemouth, und wirkte durch seinen harten Akzent im Verein mit seiner meist strengen Miene viel reifer als seine Jahre. Doch sein schnell bereites Lacheln konnte diesen Ernst jederzeit wegwischen; und Bolitho hatte gemerkt, da? seine Matrosen ihn schatzten und respektierten.
        Plowman, der Steuermannsmaat, war auch diesmal wieder dabei, und mit Midshipman Arthur Breen, einem rotblonden Siebzehnjahrigen, in dessen Gesicht man vor lauter Sommersprossen kaum noch die Haut sah, war das Offizierskorps der Segura komplett.
        Sie waren so damit beschaftigt gewesen, sich auf ihrem neuen Schiff einzurichten, da? die uberschatteten Marssegel der drei Vierundsiebziger in der sich vertiefenden Dunkelheit verschwunden waren, ehe irgend jemand die Zeit gefunden hatte, etwas zu bedauern.
        Bolitho blickte auf, als Veitch in die vollgestopfte Kajute trat.»Vorsicht!»
        Zu spat. Veitch krachte mit dem Kopf heftig gegen einen Decksbalken und fluchte.
        Bolitho deutete auf eine Kiste.»Setzen Sie sich hin und passen Sie auf Ihren Schadel auf!«Er schob ihm die Weinflasche zu.»Ist alles belegt?»

«Aye, Sir. «Veitch warf den Kopf zuruck und leerte den Blechbecher.»Ich habe Zweiwachenstropp[Statt des ublichen Drei-Wachen-Turnus] angeordnet. Da haben sie zu tun, und wir werden nicht so leicht von einer feindlichen Patrouille uberrascht.»
        Bolitho horchte auf die ungewohnten Gerausche des Schiffes, das Schlagen der Segel, die Bewegungen des sehr nahen Ruders. Die Segura war plump gebaut und bis ans Schandeck mit Fracht und Schie?pulver vollgepackt. Ihre Besegelung war sehr knapp und mit einem Minimum an Matrosen zu bedienen. Auch das zeigte, da? sie hochstwahrscheinlich hollandischer Bauart war. Mit ihrem profitablen Verhaltnis von Schiffsraum zu Mannschaft hatte sie zweifellos jede Kuste zwischen der Ostsee und Afrika abgeklappert. Aber sie war alt, und ihre spanischen Kapitane hatten sie schwer vernachlassigt. Plowman hatte schon uber den schlimmen Zustand des stehenden Gutes berichtet; manche Stage waren, wie er es ausdruckte,»so dunn wie eine Seemannsborse».
        Aber Plowman war eben Grubbs rechte Hand. Wie der Master, so konnte auch er unverla?liches Material nicht leiden.
        Bolitho verbarg ein Lacheln. Wenn Plowman sich Sorgen machte, so war das bei den als Prisenbesatzung ausgesuchten Matrosen keineswegs der Fall; im Gegenteil. Schon als er an Bord der Lysander, bevor sie in die Boote kletterten, kurz zu ihnen gesprochen hatte, bemerkte er, wie sie einander grinsend in die Rippen stie?en, weil ihnen ihre neue Rolle Spa? machte. Das sie die Langeweile loswurden, einmal von der Routine wegkamen, oder vielleicht auch die Tatsache, da? sie alle besonders ausgesucht worden waren, trug zu dieser frohlichen, sorglosen Atmosphare bei. Da? man sie in erster Linie ausgewahlt hatte, weil sie Auslander waren, hatten sie offenbar noch gar nicht gemerkt.
        Bolitho horte jemanden eine fremdartige Weise trallern; die Freiwache unter Deck fiel ein, und es wurde ein richtiger Chor. Auch ein ungewohnter Kuchengeruch in der feuchten Luft des Zwischendecks war ein Zeichen ihrer neuen Identitat.

«Die haben sich ganz gut eingerichtet«, grinste Veitch.»Das ist Larssen, der da singt, und der Koch ist ein Dane. Wei? der Himmel, was wir heute zu essen kriegen.

        Jetzt kam Plowman.»Ich habe Mr. Breen die Wache ubergeben, Sir. «Erfreut nahm er einen Becher Wein entgegen.»Oh, danke,
        Sir.»
        Bolitho musterte ihn zufrieden. Jeder von ihnen, auch er selbst, trug einen einfachen blauen Rock; ein schabigeres Trio ware schwer zu finden gewesen. Typisch, wie er hoffte, fur die Hunderte von Handelsschiffen, die unter jeder Flagge fuhren und jede Fracht ubernahmen, an der etwas zu verdienen war.

«Morgen also laufen wir Malta an«, sagte Bolitho und sah interessiert zu, wie sich Plowman eine lange Tonpfeife mit schwarzem Tabak stopfte.»Ich bin der Kapitan, Richard Pascoe. Sie konnen Ihre Namen behalten. Mr. Veitch ist erster Maat, Mr. Plowman zweiter. Allday macht den Bootsmann.»
        Nach kurzem Zogern schob Plowman den gro?en Tabaktopf uber den wackligen Tisch zu Bolitho hin.»Wenn Sie mal probieren wollen, Sir? Er ist, na ja, ganz anstandig.»
        Bolitho nahm sich eine Pfeife aus dem Sandelholzgestell uber dem kleinen Kartentisch und reichte auch Veitch eine.

«Man mu? alles mal probieren, Mr. Plowman. «Dann wurde er ernst.»Ich gehe mit Allday und einer Bootsbesatzung an Land. Sie tun so, als ob Sie Vorbereitungen treffen, die Ladung zu loschen.
        Aber halten Sie sich bereit, die Ankertrosse zu kappen und sofort auszulaufen, wenn etwas schiefgeht. Falls das passiert, konnen Sie noch zwei Nachte in Landnahe bleiben. Ich habe die Stelle auf der Karte markiert. Wenn Sie dann noch kein Signal von mir haben, mussen Sie zuruck zum Geschwader, nach Syrakus. Captain Farqu-har hat entsprechende Anweisungen.»
        Der Tabakrauch in der Kajute wurde immer dicker; Bolitho sagte:»Holen Sie noch Wein aus dem Spind. Wie unsere Leute da oben fuhle ich mich merkwurdig gemutlich. Heute nacht zumindest.»
        Oben horte man Schritte, und Veitch lachelte.»Der junge Breen macht allein oben Wache. Kommt sich bestimmt wie'n Fregattenkapitan vor.»
        Eine angenehme Schlafrigkeit uberkam Bolitho. Er dachte an Pascoe, an seine dunklen, eifrigen Augen, als er gebeten hatte, mitkommen zu durfen. Er beruhrte den alten Degen, der am Tisch lehnte. Vielleicht hatte er ihn lieber auf der Lysander lassen sollen. Passierte ihm etwas, so war der Degen wahrscheinlich fur immer verloren. Und auf irgendeine seltsame Weise war es ihm wichtig, da? Pascoe ihn bekam. Eines Tages.
        Er sah nicht, da? Veitch dem Steuermannsmaaten zublinzelte, worauf dieser aufstand und sagte:»Ich will lieber Mr. Breen ablosen, Sir.»
        Veitch nickte.»Und ich mu? im Vorschiff noch nach dem Rechten sehen. «Beim Aufstehen stie? er sich wieder den Kopf.»Hol der Teufel diese geizigen Handelsreeder, Sir«, grinste er entschuldigend.»Ein Linienschiff mag ja vollgepackt sein, aber man behalt doch wenigstens den Kopf auf den Schultern!»
        Wieder allein, beugte sich Bolitho uber die Karte und studierte sie unter der kreisenden Laterne. Er zog seinen blauen Rock aus und lockerte die Halsbinde. Der Schwei? rann ihm den Rucken hinunter. Es war hei? und stickig, und der Wein hatte seinen Durst keineswegs geloscht.
        Allday kam herein.»Ich bringe Ihnen gleich was zu essen, Sir«, sagte er und krauste die Nase.»Dieser alte Eimer stinkt wie ein Mullkasten.»

«Die Hitze macht es noch schlimmer«, erwiderte Bolitho.»Ich gehe gleich an Deck, ein bi?chen frische Luft schnappen.»

«Wie Sie wollen, Sir. Ich lasse Ihnen Bescheid sagen, sobald das Essen fertig ist.

        Allday sah sich in der unordentlichen Kajute um und zuckte die Achseln. Feucht, dreckig und stinkend war sie ja tatsachlich. Aber nach der druckenden Hitze des Tages war es hier beinahe kuhl.
        Dann sah er die leeren Weinflaschen und lachte in sich hinein. Die Hitze des Kommodore kam wahrscheinlich von innen.

«Gei auf die Fock!»
        Bolitho beschattete die Augen und sah hinuber auf die planlos in die Gegend gebauten Bastionen, die alle Einfahrten des Hafens von La Valetta schutzten. Als sie langsam naher kamen und die Sonne hinter Maltas verwitterten Mauern aufgehen sahen, wirkte der Hafen auf sie wie eine richtige Festung.

«Recht so - Kurs halten!«Breitbeinig stand der untersetzte, muskulose Plowman neben dem Ruderganger, die Pfeife im Mund.
        Bolitho wu?te, da? es ihm wie den meisten anderen schwerfiel, sich nach der strengen Disziplin auf einem Kriegsschiff so locker und lassig zu geben. Aber der Eindruck, den ein Schiff beim Einlaufen in den Hafen machte, war immer der ausschlaggebende.
        An Deck lungerten Matrosen herum, lehnten am Schanzkleid, deuteten auf die Gebaude an Land, manche mit echtem Interesse, andere mit ubertriebener Schauspielerei.
        Midshipman Breen sagte:»Ich habe viel von dieser Insel gehort, Sir; aber ich dachte nie, da? ich sie jemals zu sehen bekame.»
        Plowman grinste.»Aye. La Valetta hei?t nach dem Gro?meister der Malteserritter, der die Insel gegen die Turken verteidigt hat.»

«Waren Sie damals hier?«fragte Breen und glotzte den Steuermannsmaaten mit unverhohlener Ehrfurcht an.

«Kaum, Mr. Breen. Das war vor mehr als zweihundert Jahren. «Er sah Veitch an und schuttelte den Kopf.»Ob ich dabei gewesen bin, fragt er - mein Gott!»
        Die vorderste Bastion glitt jetzt querab vorbei; ihre obere Brustwehr wimmelte von bunten Gestalten. Offenbar diente sie nicht nur zur Verteidigung, sondern auch als Durchfahrt. Hinter ihr offnete sich das glitzernde Hafenbecken, um die Segura zu empfangen. Winzige Ruderboote schossen zwischen den Schiffen und der Pier hin und her wie Wasserkafer. Ein paar Schoner ankerten hier, auch schlanke arabische Dhaus, und die Felukken mit den gro?en Lateinersegeln. Zwei farbenfreudige Galeassen mit vergoldetem Schnitzwerk lagen an den Steinstufen des Kais wie aus einem historischen Gemalde stammend. Als die Romer England eroberten, waren solche Schiffe nicht besonders aufgefallen, dachte Bolitho. Die Malteserritter hatten sie jahrhundertelang mit gro?em Erfolg benutzt, um Hafen und Schiffe der Turken zu attackieren, und hatten auf diese Weise viel dazu beigetragen, den turkischen Einflu? zu verdrangen - auf immer, wie zu hoffen stand.
        Aber jetzt hatte Malta seine Rolle wieder gewechselt. Es hatte sich auf seine eigene Kraft besonnen, erhob Abgaben von den Schiffen, die den Hafen in Geschaften anliefen oder dort vor Sturmen oder Piraten Schutz suchten.

«Klar zum Ankern!»
        Bolitho trat an den Fu? des Gro?mastes und wartete auf irgendeinen Anruf. Aber die Segura erregte wenig Interesse; er nahm daher an, da? sie nicht das erste Schiff war, das hier unter amerikanischer Flagge einlief.
        Allday flusterte grinsend:»Bei Gott, Mr. Gilchrist wird ein Jahr brauchen, bis er diese Burschen wieder auf Draht hat!»
        Eben spuckte einer unbekummert an Deck, grinste aber dann seine Kameraden etwas schafsma?ig an. Auf der Lysander hatte ihm Spucken ein Dutzend Hiebe eingebracht.

«Aufschie?en!«schrie Veitch.
        Bolitho nahm ein Messingteleskop und richtete es auf den langsten der steinernen Kais: Boote, bis ans Dollbord mit Fruchten und Korbwaren beladen - und vermutlich auch mit Weibern. Denn christliche Sitte und Moral waren in diesen Steinmauern schon langst angekrankelt, und es hie?, selbst die Malteserritter seien mehr den weltlichen als den himmlischen Freuden zugetan.

«Ruder hart Backbord!»
        Die Segura dumpelte uber ihrem Schatten, die geflickten Segel bewegten sich kaum noch im Wind, und der rostige Anker klatschte ins Wasser.

«Mr. Veitch, wenn Sie diese Marketender schon langsseit kommen lassen, dann geht aber immer nur einer von den Handlern an Bord! Sonst gibt es eine riesengro?e Wuling!»
        Allday stellte bereits eine kleine, aber furchteinflo?ende Ankerwache zusammen. Jeder Mann hatte einen Entersabel und dazu eine lange, kraftige Handspake.

«Boot aussetzen!»
        Bolitho wischte sich Gesicht und Hals. Im Hafen war es noch stickiger als unter Deck.
        Das erste Boot lag bereits langsseit. Handler und Ruderer priesen in vielsprachiger Konkurrenz ihre Waren an.
        Veitch kam wieder nach achtern.»Alles klar, Sir. Ich habe zwei Drehgeschutze mit gehacktem Blei geladen; unter dem Vorderkastell, wo man's nicht sieht, ist ein Muskentengestell. Die Hafenbatterien sind nur auf See hinaus gerichtet; also sind wir furs erste sicher.»
        Bolitho nickte.»Festungsbauer machen oft diesen Fehler. Sie denken niemals an einen Angriff von der Landseite. Und das ist auch ganz gut so.»

«Ihr Boot wartet, Sir. «Allday trat ans Schanzkleid bei den Gro?wanten. Dort versuchte soeben ein kleiner, dunkelhautiger Mann mit Turban, der sich eine Auswahl von Schmuckperlen, Flaschen und exotischen Dolchen um den Hals gehangt hatte, an Bord zu klettern.»Warte, bis zu gerufen wirst, Mustafa!«sagte Allday, setzte dem Mann die offene Hand unters Kinn und gab ihm einen Schubs, da? er rucklings ins Wasser fiel. Seine Kumpane brachen in Gelachter und frohliches Geschrei aus; vermutlich dachten sie, der Skipper dieses Fahrzeugs sei vielleicht ein harter Mann, aber gerecht und bevorzuge keinen.
        Veitch kam zu Bolitho an die Reling.»Wenn irgendein Behordenmensch an Bord kommt, Sir, soll ich versuchen zu bluffen?»
        Bolitho war fruher schon in Malta gewesen. Er lachelte grimmig.»Halten Sie sich an Mr. Plowman. Ich nehme an, er kennt die etwas unorthodoxen Geschafte hier. Die Hafenbehorden werden vielleicht abwarten, ob wir loschen wollen. Aber wenn sie kommen und nach Papieren fragen, dann sagen Sie ihnen das, was wir besprochen haben: das wir die Papiere uber Bord werfen mu?ten, weil wir von einem unbekannten Schiff gejagt wurden. In der Kajute finden Sie einen Beutel Goldmunzen, falls Sie ein bi?chen schmieren mussen.»
        Plowman grinste uber die Unsicherheit des Leutnants.»Du lieber Gott, Mr. Veitch! Hafenbeamte sind uberall gleich; und immer mehr amerikanische Schiffe segeln ins Mittelmeer. Hier wartet ein neues Geschaft auf sie, das sie sich bestimmt nicht entgehen lassen wollen!»
        Bolitho stieg uber die Reling.»Und passen Sie auf die Mannschaft auf! Vielleicht gibt es auf diesen Marketenderbooten franzosische Spione. Es kann nicht schaden, wenn Sie unseren Leuten so etwas andeuten.»
        Er kletterte in den einen Kutter, den die Segura noch hatte.

«Ablegen!»
        Da sah er einen der Handler kraftig auf einen Sto? Teppiche klopfen; ein glatter runder Arm schob die Fransen beiseite. Kein Mannerarm. Der richtige Handel sollte anscheinend erst losgehen, wenn der Kapitan der Segura von Bord war.

«Da oben auf der Treppe«, murmelte Allday.»Zwei Mann. Irgendwelche Offiziere.»
        Doch die beiden nickten nur hoflich und kummerten sich nicht um sie, sondern beobachteten weiter das Schiff; vielleicht warteten sie auf den richtigen Moment, um an Bord zu gehen.
        Auf den hei?en Steinen des Kais wartete Bolitho auf Allday, der mit einem der Matrosen, dem Schweden Larssen, nachkam. Lars-sen hatte ein vergnugtes, zutrauliches Gesicht und die breitesten Schultern, die Bolitho je gesehen hatte.

«Fur den Fall, da? es Arger gibt«, kommentierte Allday. Plotzlich sah er Bolitho beunruhigt an.»Fuhlen Sie sich auch wohl,
        Sir?»

«Naturlich. Stellen Sie sich nicht so an«, erwiderte Bolitho und wandte sich ab. Schicken Sie das Boot zuruck. Wir wollen so wenig Aufsehen erregen wie moglich.»
        Er horte Allday mit der Bootsmannschaft sprechen und konnte sich kaum enthalten, das Hemd vom Korper abzuzupfen. Es war klatschna? vor Schwei?, und der Kopf war ihm so merkwurdig leicht. Der Wein? Oder das Abendessen? Tief in seinem Innern jedoch nahm bereits ein anderer Gedanke Gestalt an; und er hatte gro?e Muhe, seine aufsteigende Angst zu verbergen. Aber es war wohl unwahrscheinlich. Er bi? die Zahne zusammen. Wenn doch Allday endlich mit dem Boot fertig ware, damit er in den Schatten kame! Aber unmoglich war es nicht. Neun Jahre war es beinahe her, da hatte ihn in der Sudsee das Fieber fast umgebracht. Seitdem hatte er ein paar Anfalle gehabt, aber seit etwa einem Jahr nicht mehr. Beinahe hatte er laut geflucht. Ausgerechnet jetzt durfte es nicht passieren.»Fertig, Sir«, sagte Allday.

«Gut. Wir wollen das Haus suchen und die Sache erledigen. «Er schwankte und hielt sich an Alldays Schulter fest.» Verdammt!»
        Wahrend sie sich durch eine Gasse schwatzender Handler drangten, sah Allday ihn besturzt an.

«Der capitan?«fragte Larssen.»Nix gut?»
        Allday packte ihn heftig beim Arm.»Hor zu. Aber hor gut zu. Wenn es das ist, was ich denke, dann ist er in einer Stunde vollkommen fertig. Bleib dicht bei mir und tu genau, was ich tue, verstanden?»
        Hilflos hob der Schwede die Schultern.»Yessir, Mr. All-Day.»
        Zum Gluck war das Haus nicht weit von der Hafentreppe. Das wei?gekalkte Gebaude lehnte sich, als wolle es sich stutzen, an eine der Bastionen; auf dem breiten Balkon sah Bolitho ein gro?es Teleskop wie ein Geschutz auf die Hafenanlagen gerichtet.
        Er tastete unter seinem Rock nach der Pistole, ob sie auch so lok-ker sa?e, da? er sie notfalls blitzschnell ziehen konnte. Es war schon ein rechtes Hazardspiel. Vielleicht wu?te dieser franzosische Agent bereits vom Schicksal des Schiffes, dem der Brief anvertraut worden war. Das Geleit, das die Buzzard gejagt hatte und mit dem der Schoner gesegelt war, konnte Malta angelaufen, entsprechenden Bescheid gegeben und dann seinen Weg fortgesetzt haben.
        Doch das hielt er immer noch fur unwahrscheinlich. Wenn dieser Brief wirklich von so gro?er Wichtigkeit war, dann hatte ihn eine der Fregatten an Bord gehabt und ihn, wahrscheinlich bei Nacht, mit einem Boot an Land gebracht.

«Los, weiter«, sagte er kurz.»Wir mussen schnell machen.»
        Das Erdgescho? des Hauses stand voller Weinfasser und Strohballen, wohl zum Verpacken der Flaschen. Ein paar Malteser Arbeiter rollten leere Fasser uber eine Rampe in den Keller hinunter, ein gelangweilter Mann in zerknittertem Hemd und senffarbener Kniehose machte Eintragungen in ein Buch, das auf einem hochgestellten Fa? lag. Mi?trauisch sah er auf. »Si?»
        Schwer zu sagen, was er fur ein Landsmann war - er konnte ebensogut Grieche sein wie Hollander.
        Bolitho sagte:»Ich spreche nur englisch. Ich bin der Skipper des amerikanischen Schiffes, das eben vor Anker gegangen ist.»
        Der Mann antwortete nicht gleich, aber in seinen Augen war zu lesen, da? er alles verstanden hatte. Schlie?lich sagte er:»Amerikaner. Ja, verstehe.»
        Bolitho rausperte sich und gab sich Muhe, mit fester Stimme zu sprechen.»Ich mochte M'sieur Gorse sprechen.»
        Wieder der unbewegte Blick. Doch er gab kein Alarmzeichen, seine Leute arbeiteten weiter, ohne sich um die Besucher zu kummern.
        Endlich sagte er:»Ich wei? nicht, ob ich das arrangieren kann.»
        Allday ruckte ihm dicht auf den Leib und starrte ihn wutend an.»Der Kapt'n sagt, er will ihn sprechen, und damit hat sich's, Kerl! Wir sind mit diesem gottverdammten Brief nicht so weit hergekommen, da? wir noch Lust hatten, stundenlang zu warten!»
        Der Mann lachelte dunn.»Ich mu? vorsichtig sein. «Er sah bedeutsam zum Hafen hin. Und Sie auch!»
        Er klappte das Buch zu und winkte sie zu einer engen Steintreppe.

«Bleiben Sie mit Larssen hier, Allday«, sagte Bolitho. Sein Mund war vollig trocken, der Gaumen brannte wie hei?er Sand. Abwehrend schuttelte er den Kopf. Keine Widerrede! Wenn's jetzt noch schiefgeht, haben drei auch nicht mehr Chancen als einer. «Er versuchte, beruhigend zu lacheln.»Ich rufe Sie schon, wenn Not am Mann ist.»
        Damit drehte er sich um, ging hinter dem Angestellten die Treppe hinauf und trat dann durch eine Tur in einen langen Raum, der zum Hafen hin offen war. Schiffe und Hauser schimmerten in der Sonne wie ein riesiger Gobelin.

«Ah, capitaine!«Ein wei?gekleideter Mann kam vom Balkon herein.»Ich habe mir beinahe gedacht, da? Sie es sind.»
        Yves Gorse war klein und rundlich. Er hatte zierliche, ruhelose Hande und wie zum Ausgleich fur seine vollstandige Kahlheit einen dichten schwarzen Bart.
        Bolitho musterte ihn gelassen.»Ich wollte schon fruher einlaufen, aber ich bin einer britischen Fregatte begegnet. Mu?te meine Papiere uber Bord werfen; aber dann konnte ich den Bastard in einem Sturm abschutteln.»

«Aha. «Gorse deutete mit seiner zierlichen Hand auf einen Stuhl.»Bitte nehmen Sie Platz. Sie sehen nicht wohl aus, capitaine?»

«Mir geht's gut.»

«Vielleicht. «Gorse ging zum Fenster und sah aufs Wasser hinaus.»Und wie ist Ihr Name?«»Pascoe. Ein Name aus Cornwall.»

«Das ist mir bekannt, capitaine.«Mit uberraschender Leichtigkeit drehte er sich um.»Aber ein capitaine Pascoe ist mir nicht bekannt - eh?»
        Bolitho zuckte die Achseln.»Bei diesem Spiel mu? man lernen, einander zu vertrauen, nicht wahr?»

«Spiel?«Gorse tat ein paar Schritte durchs Zimmer.»Das ist es nie gewesen. Doch Ihr Land ist wohl noch zu jung, um die Gefahr richtig zu sehen.»
        Argerlich entgegnete Bolitho:»Haben Sie unsere Revolution vergessen? Mir ist doch, als hatte sie ein paar Jahre vor der Ihren stattgefunden!»

«Touche«, sagte Gorse und zeigte lachelnd kleine, aber makellose Zahne.»Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Nun - dieser Brief. Kann ich ihn haben?»
        Bolitho zog ihn aus der Tasche.»Sie sehen, M'sieur, ich vertraue Ihnen.»
        Gorse offnete den Brief und las, indem er ihn in einen Flecken Sonnenlicht hielt. Bolitho versuchte, nicht hinzusehen, nicht nach einem Anzeichen zu suchen, ob Gorse gemerkt hatte, da? der Brief neu versiegelt worden war. Aber Gorse schien zufrieden zu sein. Nein, erleichtert war das passendere Wort.

«Gut«, sagte er.»Vielleicht mochten Sie ein Glas Wein? Etwas
        Besseres als dieses Zeug, das Sie nach - ah - wohin wollten Sie doch?»
        Bolitho pre?te die Finger in der Tasche zusammen, um das Zittern seiner Beine zu beherrschen. Er hatte das Gefuhl, sie zitterten so stark, da? Gorse es bemerken mu?te. Jetzt war der Augenblick. Versuchte er, mit irgendwelchen Spiegelfechtereien etwas aus Gorse herauszulocken, so wurde der Mann sofort Bescheid wissen. Gorse war ein erfahrener Agent des Feindes. Sein Schiffsbedarfsund Weinhandel war eine in langen Jahren sorgfaltig aufgebaute Tarnung. Offenbar hatte er nicht den Wunsch, nach Frankreich zuruckzukehren, das er schon vor langer Zeit verlassen haben mu?te. So mancher, der Kaufmann gewesen war wie er, hatte seine letzten Atemzuge getan, als er in einen blutverschmierten Korb hinunterstarrte und auf das Niedersausen des Fallbeils wartete.
        Malta stand wie eine Schildwache zwischen dem westlichen und dem ostlichen Mittelmeer. Gorses nachrichtendienstliche Tatigkeit wurde ihm gut zustatten kommen, besonders wenn die franzosische Hauptflotte Toulon verlie?, was sie schlie?lich eines Tages tun mu?te.
        Beilaufig erwiderte Bolitho:»Nach Korfu naturlich. Daran hat sich nichts geandert. Ich dachte, mein Freund John Thurgood ware hier mit seiner Santa Paula vor Anker gegangen. Er wollte auch nach Korfu, wie Sie sicher wissen.»
        Gorse lachelte bescheiden.»Ich wei? vieles.»
        Bolitho versuchte sich etwas zu lockern und Befriedigung daruber zu empfinden, da? sein Schwindel akzeptiert wurde. Aber er fuhlte sich immer schlechter; er merkte, da? sein Atem rascher ging. Allerlei Vorstellungen zuckten durch sein Hirn, wie Stucke aus einem Alptraum: die hellen, mit wehenden Palmen bestandenen Strande Tahitis und anderer ferner Inseln; Bilder von Menschen, die qualvoll am Fieber starben, und von Uberlebenden, die sich zu einem erschreckten, verzweifelten Hauflein zusammendrangten.
        Wie von fern horte er sich sagen:»Und der Brief - gute Nachrichten?»

«Ja, capitaine. Die Malteser werden allerdings vielleicht anderer Ansicht sein, wenn die Zeit kommt. «Er schien besorgt:»Sie mussen sich aber wirklich ausruhen, capitaine! Sie sehen gar nicht wohl aus.»

«Fieber«, entgegnete Bolitho.»Alte Geschichte. Kommt immer wieder. «Er mu?te in ganz kurzen Satzen sprechen.»Aber deswegen - kann ich trotzdem segeln.»

«Sie haben keine Eile. Sie konnen bei mir…«Doch auf einmal machte er ein ganz erschrockenes Gesicht.»Oder ist es etwa - ansteckend?»
        Bolitho stand auf und stutzte sich auf die Stuhllehne.»Nein. Rufen Sie meine Leute. Auf dem Schiff wird mir besser.»

«Wie Sie wunschen. «Er schnippte mit den Fingern - ein Zeichen fur jemanden, der drau?en vor der Tur stand.
        Trotz seiner Benommenheit wurde Bolitho klar, da? Gorse ein paar Manner drau?en vor die Tur postiert hatte, um Bolitho umbringen zu lassen, falls er Verdacht geschopft hatte.

«Wunschen Sie, da? ich Briefe von Ihnen mit nach Korfu nehme, M'sieur?«konnte Bolitho gerade noch fragen.

«Nein. «Gorse sah ihn besorgt an.»Meine nachsten Briefe gehen auf direkterem Weg.»
        Allday und der Schwede erschienen an der Tur.»Ihr Kapitan ist krank!«rief Gorse.
        Allday fa?te Bolitho am Arm.»Ist schon gut, Sir. Wir bringen Sie an Bord. «Die Stufen wieder hinunter und hinaus in die gnadenlose Sonne. Sie trugen ihn mehr, als da? sie ihn stutzten; undeutlich sah er, da? ein paar Malteser uber die drei Seeleute grinsten, die so schwankend aus einer Weinhandlung kamen.

«Renn voraus, Larssen«, befahl Allday,»und signalisiere schon dem Boot! Und wenn du nicht am Kai bist, wenn wir kommen - ich krieg dich, ganz egal, wie lange es dauert!»
        Er fuhrte Bolitho an eine schattige Stelle. Der Schwei? lief ihm in Stromen hinab, doch zum Unterschied von vorhin war es eiskalter Schwei?. Schuttelfrost befiel ihn.

«Mu?. weiter.«, keuchte er; aber es hatte keinen Zweck, die Krafte schwanden ihm schnell.»Mu?. dem Geschwader. Bescheid sagen. «Dann brach er zusammen.
        Larssen kam mit vier Matrosen vom Hafen heraufgerannt und starrte Allday hilflos an.

«Los, bringt ihn zum Boot!«stie? Allday hervor, ri? sich den Rock herunter und hullte Bolitho darin ein.»Und la?t euch von keinem aufhalten!»
        Die Strecke vom Kai bis zum Schiff schien endlos; die ganze Zeit hielt Allday ihn fest an sich gepre?t, starrte voller Ungeduld die festgemachten Segel der Segura an, die nicht schnell genug naherkommen wollten.
        Seinetwegen konnten das Geschwader, die Franzosen, die ganze verdammte Welt zum Teufel gehen. Wenn Bolitho etwas zustie?, war ihm alles andere egal.



        XII Treue und Pflicht

        Im flimmernden Dunst sahen die drei Schiffe, die eine Kabellange vor der Kuste still vor Anker lagen, beinahe gleich aus.
        Captain Thomas Herrick ging zur Backbordseite des Achterdecks der Osiris und starrte auf die unbekannten Berge, das uppige Grun, die schroff abfallenden Klippen der Landspitze. Die hochgelegene Stadt Syrakus, deren Schatten beinahe feindselig auf die gemachlich dahinziehenden kleinen Kustenfahrzeuge fiel, unterstrich noch den fremdartigen Eindruck dieser Landschaft.
        Herrick bi? sich auf die Lippen und spielte mit dem Gedanken, wieder unter Deck zu gehen. Aber die gro?e Heckkajute kam ihm jedesmal wie eine Falle vor; wie ein Stuck von Farquhar. Sein Blick schweifte zur Lysander hinuber, die alte verzweifelte Sehnsucht stieg wieder hoch und verstarkte seine unterschwelligen Befurchtungen.
        Sie lagen jetzt zwei Wochen vor Anker. Der Garnisonskommandant von Syrakus war mehrfach an Bord der Lysander gewesen; jedesmal von einem rundlichen, besorgt aussehenden Englander begleitet, der John Manning hie? und, wie Herrick gehort hatte, hier einer der letzten offiziellen Reprasentanten Seiner Britannischen Majestat war. Denn es gab zwar keinerlei Anzeichen dafur, da? Sizilien Frankreich unterstutzte; doch es war ebenso bemuht, jeden Anschein von Freundschaft fur Konig George zu vermeiden.
        Ruhelos ging Herrick auf dem Achterdeck hin und her, so in Gedanken versunken, da? er kaum die sengende Hitze auf seinen Schultern fuhlte, wenn er unter einem der Sonnensegel heraustrat.
        Als er von Bolithos Absicht gehort hatte, einen franzosischen Agenten in Malta aufzusuchen, war es fur seinen Protest schon zu spat. Die Dunkelheit hatte die Segura bereits verschluckt; von diesem Moment an war Herrick die Sorge nicht mehr losgeworden. Und jetzt war es drei Wochen her, da? sich die Segura vom Geschwader getrennt hatte. Kein Lebenszeichen kam von ihr, auch kein Wort von dem britischen Konsul in Syrakus uber ihr Ein- oder Auslaufen in La Valetta.
        John Manning interessierte allerdings mehr die Frage, warum die drei Vierundsiebziger so lange in einem offiziell neutralen Hafen lagen. Reparaturen, Proviant- und Wasserubernahme, alle diese normalen Grunde und Vorwande waren erledigt. Doch immer noch hatten sie keine Nachricht.
        Bolitho mu?te von den Malteser Behorden festgenommen worden sein. Diese hatten vor den Franzosen noch mehr Angst als die Sizilianer, falls auch nur die Halfte von dem stimmte, was Herrick gehort hatte. Oder vielleicht hatte ihn auch der franzosische Agent uberwaltigt und getotet. Herrick starrte auf die offene See, bis ihm die Augen tranten. Bolithos Platz war hier, in der Welt, die er verstand. Bei der Flotte, wo ihn fast alle, wenn auch nicht personlich, so doch dem Name n nach kannten. Plotzlich kam ihm Javal in den Sinn, und Zorn stieg in ihm auf. Javal war uberhaupt nicht nach Syrakus gekommen. Er hatte Befehl gehabt, selbstandig die Stra?e von Messina zu passieren und dann vor Malta wieder zum Geschwader zu sto?en. Fur den Fall, da? er das Geschwader dort nicht antraf - denn Bolitho zog immer mehrere Moglichkeiten in Betracht - , sollte er hier vor Anker gehen und die weitere Entwicklung abwarten. Vielleicht war auch er dem Feind in die Hande gefallen?
        Wenn Javal doch nur kame. Dann konnte Farquhar gar nicht anders - er mu?te die Buzzard losschicken, um nach der Segura und ihrer zusammengewurfelten Mannschaft zu suchen.
        Mehrmals war Herrick ohne Aufforderung an Bord der Lysander gewesen, um zu erfahren, was Farquhar zu tun beabsichtigte. Aber immer war es gewesen, als rede er gegen eine Wand - eine Haltung, die ihn jedesmal aufbrachte und verwirrte. Er wurde nicht klug aus Farquhar. Wenn dieser uber Bolithos Abwesenheit beunruhigt war, dann wu?te er das in der Tat sehr gut zu verbergen.
        Die Besuche auf seinem alten Schiff wurden noch schmerzlicher durch die offensichtliche Freude, mit der die Manner herbeieilten und ihn begru?ten. Unter ihnen Leroux, der alte Grubb, und Yeo, der Bootsmann. Gilchrist jedoch hatte sich seit Farquhars Kommandoubernahme verandert. Er war fast wie ein Fremder. Standig in nervoser Spannung, standig auf dem Sprung, ruhelos.
        Ganz anders als der Erste der Osiris, dachte Herrick bitter. Leutnant Cecil Outhwaite, ein wenig bedeutender junger Mann von Mitte Zwanzig, sah eigentlich aus wie ein Frosch. Niedrige Stirn, sehr breiter Mund, dunkle, feuchte Augen. Er lispelte etwas, und seinen Dienst versah er, als langweile ihn das Ganze. Wie Farquhar kam er aus einer einflu?reichen Familie; doch warum er ausgerechnet Marineoffizier geworden war, konnte Herrick uberhaupt nicht begreifen.
        Aber die beiden Schiffe unterschieden sich auch stark. Auf der Lysander waren die Matrosen von der Freiwache vergnugt und fanden stets Zeit - wenn nicht gerade der Teufel los war - , um uber ihr hartes Los noch Witze zu machen. Auf der Osiris kam solche Stimmung nicht auf. Nach dem Beispiel Outhwaites taten die Matrosen ihre Arbeit wie auf Katzenpfoten, und unter Deck waren sie so still wie die Monche.
        Herrick hatte versucht, diesen ungemutlichen Zustand zu andern; aber genauso wie bei Farquhar stie? er auch hier gegen eine Wand. Farquhar hatte sein Schiff auf den hochsten Standard gebracht, was Seemannschaft, Sauberkeit und au?ere Erscheinung betraf. Doch die Menschen, ohne die das alles nicht ging, waren ihm ganz gleichgultig. Und doch zollten ihm manche, und ganz besonders Outhwaite, bereitwillig Anerkennung und Respekt.»Fur Dummkopfe hat er kein Verstandnis, wissen Sie«, hatte der Leutnant gesagt und ihn dabei mit seinen Froschaugen neugierig angesehen;»und bei Widersetzlichkeit haut er verdammt hart dazwischen.»

«Schiff rundet die Landspitze«, rief der Offizier der Wache unvermittelt. Und als er Herrick sah, befahl er scharf:»Schreiben Sie den Ausguck auf, weil er es nicht fruher gemeldet hat!»
        Herrick griff sich ein Glas und rannte an die Netze. Ein Weilchen noch ritten die Segel des Unbekannten leblos uber dem driftenden Dunststreifen; dann kamen Bugspriet und Galion heraus - Herrick erkannte die Schaluppe Harebell.
        Er schlug sich mit der Faust in die Handflache. Die Augen wasserten ihm vor Anstrengung. Endlich! Francis Inch, ihr Kommandant, wurde fur Bolitho alles tun. Und seine kleine Schaluppe eignete sich noch besser zum Suchen als die Fregatte.

«Ah, Sir, ich sehe, Sie haben sie gesichtet. «Outhwaite, den Hut flott uber einem Auge, trat zu ihm an die Reling.
        Komischer Vogel, dachte Herrick. Sein mattbraunes, im Nacken zusammengebundenes Haar reichte ihm bis zum Gurt. Die meisten Seeoffiziere trugen das Haar kurzer, nach der neuen Mode in der Armee; Outhwaite jedoch wollte anscheinend beim Alten bleiben.

«Die Harebell.».
        Herrick bemerkte, wie es an Bord der Lysander auf einmal lebendig wurde. Signale stiegen auf und wehten trage an der Rah. Farquhar wurde wissen wollen, was andernorts geschah, und zwar so schnell, wie es Inchs Gigbesatzung nur schaffen konnte.

«Die Harebell hat Anker geworfen, Sir. «Outhwaite schien allerdings nur milde interessiert zu sein.»Sie ist so schnell wieder da, da? sie nicht in England gewesen sein kann. Da werden wir also nicht erfahren, wie es zu Hause steht.»
        Doch Herrick war es ganz egal, wie es in England stand.»Ich gehe nach unten, Mr. Outhwaite. Melden Sie mir sofort, wenn die Lysander nach den Kommandanten signalisiert.»

«Aye, Sir. «Lachelnd tippte Outhwaite an den Hut. Er schatzte Captain Herrick durchaus. Ungefahr so, wie sein Vater einen guten Wildhuter oder Reitknecht schatzte. Verla?lich, aber ein bi?chen wunderlich. Wie er sich zum Beispiel so offensichtlich um das Verschwinden des Kommodore Sorgen machte! Die beiden mu?ten ja ganz unvorstellbare Gefahren und Abenteuer miteinander bestanden haben, da? eine so starke Bindung zwischen ihnen bestand. Eine Bindung, die sogar Bolithos Entscheidung uber den Kommandowechsel nicht hatte zerstoren konnen.
        Outhwaite sah zu, wie das Boot, in dem Inchs goldbetre?ter Hut blinkte, von der Harebell ablegte und zum Flaggschiff pullte. Herrick ist da ganz anders als Farquhar, dachte er. Der betrachtet den Ausfall eines Vorgesetzten als Chance fur sein eigenes Fortkommen. Und das ist auch ganz richtig so, fand Outhwaite.
        Doch der Nachmittag verstrich, Herrick sa? in Farquhars schon eingerichteter Kajute oder rannte ruhelos herum, und kein Signal kam, nichts verlautete davon, was die Harebell mitgebracht hatte.
        Mehr als einmal hatte er die Schaluppe von seiner Galerie aus im Teleskop gehabt, hatte die gro?en Streifen nackten Holzes am Rumpf gesehen, wo die See die Farbe weggefressen hatte, und die Flicken in den lose aufgegeiten Segeln, denen man ansah, da? Inch es sehr eilig mit seinen Depeschen gehabt hatte.
        Ein Stampfen oben am Skylight. Er sah hoch. Zur Holle mit diesem Farquhar! Der dachte gar nicht daran, die Geschwaderkommandanten zu informieren!
        Scharfes Klopfen an der Tur - ein Midshipman sah aufgeregt herein.»Entschuldigung, Sir, Mr. Outhwaite la?t bestellen - »
        Herrick sprang auf.»Ach nein? Geruht das Flaggschiff endlich, nach mir zu signalisieren?«Er versuchte gar nicht erst, seinen Sar-kasmus zu verbergen.
        Der Midshipman starrte ihn mi?trauisch an.»No, Sir. Captain Farquhar kommt zu uns an Bord.»
        Herrick griff nach seinem Hut.»Ich komme an Deck.»
        Er versuchte sich vorzustellen, was los war. Auf jeden Fall sah sich Farquhar endlich veranla?t, schnell zu handeln.
        Spater, als die Pfeifen trillerten und die Musketen krachend prasentiert wurden, suchte Herrick in Farquhars gutgeschnittenen Zugen nach einem Hinweis. Aber da war nichts, allenfalls ein leichtes Lacheln um die Mundwinkel.

«Kajute!«sagte er kurz und schritt Herrick voran, ohne den angetretenen Marine-Infanteristen auch nur einen Blick zu schenken.
        In der Kajute drehte er sich um und sah Herrick fest ins Gesicht.»Die Harebell hat Depeschen von Gibraltar gebracht. «Suchend sah er sich in der Kajute um.»Ein Glas Wein ware wunschenswert.»

«Dann haben Sie also keine Nachricht vom Kommodore?«fragte Herrick.
        Farquhar starrte ihn an.»Habe ich davon etwas gesagt? Wirklich, Thomas, Sie sind ein furchtbarer Dickschadel!»

«Ich dachte, die Harebell hatte vielleicht etwas gesichtet.»

«Kommander Inch hat wichtigere Nachrichten gebracht. «Herricks Unterbrechung schien ihn zu irritieren.»Admiral St. Vincent ist vollkommen im Bilde. Anscheinend haben ihn die schweren Geschutze, die wir erobert haben, uberzeugt. Er hat Vize-Admiral Sir Horatio Nelson eine Flotte unterstellt, die gro? genug ist, um wieder im Mittelmeer prasent zu sein und die Franzosen hinauszuwerfen, ein fur allemal.».
        Herrick blickte zur Seite. Das war naturlich eine gute Nachricht oder sollte es wenigstens sein. Bolitho hatte die Voraussetzungen fur diesen Plan geschaffen. Aber jetzt, da seine Ideen sehr schnell Wirklichkeit wurden, war er nicht da und hatte nichts von seiner Muhe.

«Ich habe meine Depeschen fur den Admiral geschrieben«, sagte Farquhar kalt.»Die Harebell geht wieder in See, sobald sie Trinkwasser ubernommen hat.»
        Erstaunt blickte Herrick ihn an.»Aber Sie werden doch die Schaluppe vorher nach Malta schicken?»

«Da sind Sie im Irrtum.»

«Aber.»
        Farquhar fuhr ihm uber den Mund.»Als Sie Flaggkapitan waren, hatten Sie Gelegenheit, Ihre humanen Ideale in die Tat umzusetzen. Jetzt ist es zu spat. Also machen Sie mir keinen Vorwurf, Captain. Wenn jemand den Kommodore im Stich gelassen hat, dann waren Sie das!»
        Herrick starrte zu Boden, auf die Schottwand, und sah nichts. Was Farquhar gesagt hatte, war richtig. Alles.
        Gelassen fuhr Farquhar fort:»Das Geschwader bleibt hier, bis wir neue Order bekommen. Ich habe Mr. Manning davon uberzeugen konnen, da? weitere >Reparaturen< unumganglich sind. «Herrick horte die Worte, aber es dauerte Sekunden, bis er verstand, was sie bedeuteten.

«Aber Sie durfen doch nicht alles, was der Kommodore herausgefunden hat, einfach ignorieren. Die Prise, die Informationen. Das alles deutet doch auf Korfu!«Herrick horte selbst, wie flehend seine Stimme klang, aber es war ihm gleich.»Sie konnen doch nicht einfach hierbleiben und gar nichts tun!»
        Farquhar zuckte die Achseln.»Geruchte. Ich kann es mir nicht leisten, das Geschwader in alle Himmelsrichtungen zu verstreuen. Sobald die ersten Verstarkungen eintreffen, beabsichtige ich - »
        Angewidert starrte Herrick ihn an.»Sie zu begru?en, nicht wahr? Personlich bei Nelson vorzusprechen - das wollen Sie doch, ja?»
        Farquhar runzelte die Stirn.»Treiben Sie es nicht zu weit! Ich bin hergekommen, weil ich Ihnen die Lysander zuruckgeben will.»
        Herrick sah sich in der schonen Kajute um. Ja, die pa?te besser zu einem Flaggschiff als die der Lysander.
        Farquhar sprach weiter:»Die Harebell hat noch andere, weniger weltbewegende Nachrichten mitgebracht. Zwei Tage, nachdem ich England verlie?, ist mein Vater, Sir Edward, gestorben.»
        Herrick konnte ihn nur anstarren. Langsam wurde sein Kopf klarer, der Schmerz starker. Jetzt hatte Farquhar alles, was er brauchte. Von Trauer, von dem Bewu?tsein eines Verlustes, war ihm nicht das Geringste anzumerken. Endlich hatte er seinen Adelstitel, die Landguter, die damit verbunden waren. Und wenn Nelson ins Mittelmeer kam, wurde er einen neuen Kommodore fur das Geschwader ernennen: Sir Charles Farquhar.
        Heiser vor Erregung sagte Herrick:»Haben Sie Captain Probyn schon informiert?»

«Alles zu seiner Zeit. «Farquhar schien weit weg zu sein; seine Augen waren jenseits von Sizilien.»Probyn benimmt sich, als sei Dummheit eine Tugend. Sie mu?ten das doch wissen. «Er schritt zum Heckfenster.»Ich habe meinen Steward angewiesen, meine Sachen noch vor Sonnenaufgang heruberzuschaffen. Sobald Sie meine schriftliche Order bekommen, konnen Sie auf die Lysander umziehen. Das freut Sie doch sicherlich.»

«Mir ist im Augenblick nicht sehr nach Freuen zumute, Sir Charles. «Er wartete auf eine Reaktion; aber Farquhar hatte sich schon bei Empfang der Nachricht ganz selbstverstandlich auf seinen Titel eingestellt. Er wandte sich ab, damit Farquhar seine plotzlich aufsteigende Erregung nicht sehen sollte.»Ich mochte Sie um etwas bitten. Und es fallt mir nicht leicht.»

«Nun?»

«Ich glaube, da? der Kommodore recht hatte.«»Vielleicht. Das wird sich eines Tages herausstellen.»
        Herrick lie? nicht locker.»Sie konnten ein Schiff abordnen. Wenn Sie hier unter dem Schutz Siziliens liegenbleiben wollen, so wurde ein Schiff weniger die Tauschung noch plausibler machen.»

«Weiter«, sagte Farquhar gelassen.»Wo soll dieses eine Schiff hin, wenn ich fragen darf?»

«Das wissen Sie doch, Sir Charles. Nach Korfu. Und feststellen, was die Franzosen dort machen.»

«Aha. «Farquhar ging die paar Schritte bis zum Tisch und blickte mit Widerwillen auf Herricks Karte mit den vielen hingekritzelten Berechnungen nieder.

«Bitte!«Verzweifelt blickte Herrick ihn an.»Ich habe Sie noch nie um etwas gebeten. Jetzt bitte ich Sie.»

«Na schon. Aber aus Ihrer Segelorder wird hervorgehen, da? Sie auf eigene Initiative handeln.»

«Ich danke Ihnen.»
        Farquhar hob die Brauen.»Sie danken mir? Sie haben um Ihren eigenen Ruin gebeten. Korfu ist bedeutungslos. Die gro?e Schlacht wird vor Toulon stattfinden oder an der agyptischen Kuste. «Betrubt schuttelte er den Kopf.»Als ich Midshipman auf der Phala-rope war und Sie endlich Erster Offizier wurden, da horte ich die Matrosen uber Sie reden. Da? Sie sich immer fur sie eingesetzt hatten. «Er wandte sich ab. Ich hoffe nur, jemand wird sich fur Sie einsetzen, wenn es so weit ist. Aber das bezweifle ich.»
        Farquhar wurde ungeduldig und schlug heftig an die Tur.»Posten! Der Erste Offizier soll kommen!»
        Dann wandte er sich wieder an Herrick.»Gehen Sie gleich auf Ihre geliebte Lysander. Ehe ich es mir anders uberlege. Ich schicke Ihnen sofort Ihre Order.»
        Herrick nickte.»Und wenn Sie Gelegenheit dazu haben, Sir.»

«Ja. Ich werde versuchen herauszufinden, was mit dem Kommodore ist, obwohl…«Er sprach den Satz nicht zu Ende.
        Outhwaite erschien an der Tur.»Sir?»

«Captain Herrick kehrt auf sein Schiff zuruck.»
        Das Froschgesicht blieb ausdruckslos.»Auf wessen Befehl, Sir?»
        Farquhar lachelte dunn.»Auf meinen.»
        Als Herrick sich zum Gehen wandte, hielt er ihn zuruck.»Eins noch. Ich brauche einen guten Signaloffizier, also werde ich Ihren Sechsten Offizier behalten.»
        Herrick seufzte. Pascoe wenigstens brauchte nicht mit. Obgleich er den Verdacht hatte, da? Farquhar das nicht tat, weil Pascoe ein so guter Signaloffizier war, sondern eher, um seine Menschlichkeit zu demonstrieren, indem er den Jungen vor einem sinnlosen Tod bewahrte.
        Herrick trat unter der Kampanje hervor in die Sonne. Es schien sich bereits herumgesprochen zu haben, da? er von Bord ging. Trube Gesichter, neugierige Blicke, die ihm folgten, als er zur Fallreepspforte schritt. Vielleicht sahen sie ihn doch nicht gern gehen?
        Outhwaite eilte ihm nach.»Ich lasse Ihre Seekisten gleich hinuberschicken, Sir. Ihr Bootssteurer ist bereits in der Gig. «Er streckte die Hand aus.»Ich bezweifle, da? wir uns wiedersehen, Sir. Aber ich mochte die Zeit unter Ihrem Kommando nicht missen.»
        Herrick sah ihn nachdenklich an und wurde auf einmal ganz ruhig.»Fur mich gilt dasselbe. Ich habe hier viel gelernt. Und das sollte ich wohl auch.»

«Gelernt, Sir?«fragte Outhwaite uberrascht.»Tatsachlich?»

«Ja. Uber Menschen. Am meisten uber mich selbst.»
        Er tippte kurz an den Hut und ging zu der offenen Pforte.
        Outhwaite wartete, bis das Boot abgelegt hatte, und befahl kurz:»Wegtreten lassen, Mr. Guthrie! Keine Bummelei!»
        Er dachte an Herricks Gesicht in diesen letzten Minuten. Halb und halb hatte er erwartet, man wurde ihm ansehen, da? er sich gedemutigt fuhlte; aber es hatte eher so ausgesehen, als hatte er Mitleid. Mitleid mit ihm vielleicht? Er blickte uber das breite Achterdeck und spurte eine seltsame Beunruhigung. Es schien nicht mehr dasselbe Schiff zu sein.
        Bewegungslos stand Herrick am offenen Kajutfenster und blickte in das wirbelnde Wasser unter dem Achtersteven. Die Sterne glitzerten darin, und wenn er sich etwas uber das Fenstersull beugte, konnte er die Laterne und die helle Fensterreihe der Offiziersmesse im unteren Deck sehen. Das Schiff wirkte ungewohnlich still, als hielte es den Atem an. Die Stille war nur einmal unterbrochen worden, und das war bei seinem Anbordkommen gewesen, vor zwei Stunden. Irgend jemand - niemand wu?te, wer - hatte damit angefangen, und dann war das ganze Schiff wie auf Signal, und trotz Gilchrists Arger, in Hochrufe ausgebrochen. Die Pfeifen und Trommeln der Marine-Infanterie waren in dem Geschrei vollkommen untergegangen, und selbst der alte Grubb hatte seinen Hut heruntergerissen, in der Luft geschwenkt und dabei gebrullt:»Hurra, Jungs, der Kapt'n is' wieder da!«Knallrot war sein verwittertes Gesicht dabei gewesen.
        Herrick trat vom Fenster zuruck und warf einen kurzen Blick auf das leere Degengestell an der Schottwand. Bolitho hatte den Degen eigentlich nicht mitnehmen wollen. Ozzard hatte ihm das erzahlt. Vielleicht hatte er irgendein Vorgefuhl gehabt. Eine Ahnung.
        Er seufzte. Farquhar hatte Wort gehalten; die Formulierung der Segelorder fur die Lysander machte vollkommen klar, wer den Kopf hinhalten mu?te, wenn es schiefging. Herrick mu?te sich jedoch eingestehen, da? Farquhar nur korrekt handelte, da? er selbst es genauso gemacht hatte. Aber ein ungutes Gefuhl blieb.
        Ein schuchternes Klopfen an der Tur. Es war Pascoe, den Hut vorschriftsma?ig unterm Arm. Selbst im schwachen Licht der einzelnen Lampe konnte Herrick sehen, wie angespannt er aussah, wie fiebrig seine Augen glanzten.

«Ja?»

«Sir. Manning ist an Bord gekommen, Sir«, antwortete Pascoe.»Er hat eine Dame bei sich. Sie wollten sich von Captain Farquhar verabschieden, da sie mit der Harebell nach Gibraltar segeln, sobald der Wind auffrischt.»
        Herrick nickte. Es war vollig windstill. Und das verstarkte noch sein Vorgefuhl drohenden Unheils.

«Sagen Sie Ozzard, er soll mehr Lampen holen. Dann bringen Sie den Besuch her. Ich werde ihnen wegen Captain Farquhar Bescheid sagen.»
        Er dachte wieder an seine Segelorder. Unterzeichnet: Kommodore Stellvertreter.

«Ich ware gern hier auf der Lysander geblieben, Sir«, sagte Pas-coe.

«Ich wei?. Aber Sie mussen morgen bei Sonnenaufgang auf die
        Osiris. Es ist wahrscheinlich am besten so. Mir ist der Gedanke angenehm, da? wenigstens Sie hier sind, wenn.»
        Pascoe unterbrach ihn.»Segeln Sie nur deshalb nach Korfu, um zu zeigen, da? er recht hatte, Sir?»

«Ja. Das ist alles, was ich zur Zeit tun kann. Passen Sie gut auf sich auf, Adam. Es kann jetzt sehr viel von Ihnen abhangen.»
        Pascoe machte gro?e Augen.»Sie sprechen, als ob mein Onkel schon tot ware.»

«Ich bin mir da nicht sicher. Jetzt nicht mehr. «Er sah sich in der stillen Kajute um.»Aber eins wei? ich genau. Gewisse Leute in England, die keine Ahnung haben, werden versuchen, seinen Namen mit Dreck zu bewerten. Das passiert den Helden unseres Vaterlandes sehr oft, und Ihr Onkel ist ein Held, vergessen Sie das nie.
«Seine Stimme wurde lauter; jetzt mu?te er sich endlich einmal aussprechen.»Ich habe seinen Vater gekannt, wu?ten Sie das? Ihren Gro?vater. Ein feiner Mann, ein Mann von stolzer Tradition. Sie werden es nicht leicht haben, sich seiner wurdig zu erweisen, und viele werden aus Ha? und Neid versuchen, Ihnen Knuppel zwischen die Beine zu werfen. Also denken Sie an diesen Tag, Adam, und halten Sie ihn hoch.
«Er drehte sich kurz um.»Jetzt bringen Sie diese verdammten Zivilisten her!»
        Pascoe ging, und Herricks Herz schlug im Takt mit den sich entfernenden Schritten.
        Ozzard kam und hangte ein paar Lampen auf; es wurde hell um Herrick, und zusammenfahrend sah er, da? Manning in der Kajutentur stand, eine Dame im schwarzen Bootsmantel mit Kapuze neben sich.

«Ich bedaure die Storung, Captain«, sagte Manning formell.»Anscheinend habe ich meine Zeit verschwendet und mich umsonst bemuht. Ich werde Sie leider um ein Boot zur Osiris bitten mussen.»
        Herrick konnte nur mit Muhe ein hofliches Lacheln aufbringen, weil sein Gesicht ganz gefuhllos war.»Das tut mir leid, Mr. Man-ning. «Naturlich, das war typisch Farquhar, ihn nicht vorzuwarnen.»Sie waren sicher morgen fruh uber den Kommandantenwechsel informiert worden.»
        Manning sah ihn forschend an und erwiderte trocken:»In der Tat, das mochte ich annehmen. «Und zu der Dame gewandt, die stumm geblieben war, fuhr er fort:»Wir werden gleich zur Osiris hinuberfahren. Ich habe noch einiges mit Captain Farquhar zu besprechen, bevor du abreist.»

«Vor Sonnenaufgang kommt kein Wind auf«, warf Herrick ein,»darauf konnen Sie sich verlassen.»

«Aha. «Manning war anscheinend irritiert.»Das ist ubrigens meine Schwester - Mrs. Boswell.»
        Sie warf die Kapuze zuruck und lachelte fluchtig.

«Ja, dann wollen wir lieber gehen«, sagte Manning.
        Doch sie erwiderte: «Ich segle mit der Harebell, Captain Herrick, aber mein Bruder bleibt zunachst noch in Sizilien. Wie der Arme ohne mich fertig werden wird, kann ich mir gar nicht vorstellen«, schlo? sie mit einem mitleidigen Blick auf Manning.

«Kommst du jetzt, Dulcie?«fragte dieser ungeduldig.

«Nein. «Mit wehendem Bootsmantel trat sie ein paar Schritte weiter in die Kajute hinein.»Ich werde mich noch genugend mit wackligen Booten und engen Quartieren herumargern mussen, bis ich in England bin. Und von Captain Farquhar habe ich sowieso genug. «Sie lachelte Herrick an.»Ich mochte hierbleiben, bis du deine Angelegenheiten mit ihm erledigt hast, John - vorausgesetzt, da? der Captain nichts dagegen hat.»
        Herrick schuttelte eifrig den Kopf.»Keineswegs, Ma'am. Es ist mir ein Vergnugen.»
        Sie war eine sehr nett aussehende junge Frau, mit den frischen Wangen und blanken Augen des Landkindes. Wieso lebte sie uberhaupt hier in Sizilien? Vielleicht war ihr Mann so einer wie Man-ning, der seinem Konig diente, ohne offen des Konigs Rock zu tragen?
        Manning stie? ein paar unbestimmte Laute aus und sagte dann:»Na schon. Ich bin in einer Stunde zuruck.»
        Verlegenes Schweigen - Herrick kam sich auf einmal viel zu gro? fur die Kajute vor.
        Nachdenklich betrachtete Mrs. Boswell ihn, loste den Bootsmantel und setzte sich grazios in einen Sessel.

«Sie sind also Captain Herrick. Ich habe von Ihnen gehort. Einer
        Ihrer Manner sagte, da? Sie bald auslaufen. Ich hoffe, Sie haben eine sichere Fahrt.»
        Herrick war furchtbar verlegen. Sie sollte ihn in Ruhe lassen! - Nein, sie sollte bleiben!

«Aye, Ma'am. Auf Schiffen gibt es immer viel Gerede. «Er wollte das Thema wechseln.»Sie segeln von Gibraltar weiter nach England, wenn ich recht verstanden habe?»

«Ja. Wir wohnen. «Sie senkte die Lider.»Das hei?t, mein Mann ist vor zwei Jahren gestorben, und ich kehre jetzt wieder nach Canterbury zuruck. Ich hatte in mancher Hinsicht Angst davor. Deswegen bin ich nach Sizilien gekommen, um bei John zu leben. Er hat nie geheiratet, der Arme. Doch jetzt meint er, der Krieg kame jeden Tag naher. Da mu? ich eben wieder nach Hause«, seufzte sie.
        Herrick nahm ihr gegenuber Platz.»Ma'am, auch ich stamme aus Kent. Ich wohne in Rochester. «Er lachelte verlegen.»Aber wohl nicht so fein wie Sie.»
        Nachdenklich sah sie ihn an. Ihre Haut schimmerte bla? unter dem Lampenlicht. Dieser junge Offizier, der uns in Ihre Kajute brachte. «Sie senkte die Augen.»Ich konnte nicht vermeiden mitanzuhoren, was Sie zu ihm sagten.»
        Herrick wurde rot.»Ma'am, ich bitte sehr um Entschuldigung«, stotterte er, denn ihm fiel ein, wie wutend er gewesen war. Bringen Sie diese verdammten Zivilisten her!. »Wenn ich gewu?t hatte…»

«Nein, Captain, vorher. Sie waren sehr erregt, und ich glaube, dieser gutaussehende junge Mann ebenfalls.»
        Langsam nickte Herrick.»Er ist der Neffe des Kommodore.»

«Ich habe auch von Ihrem Kommodore gehort. Es tut mir sehr leid um ihn. Er war, glaube ich, au?erordentlich beliebt.»

«Aye, Ma'am. Keiner war besser. Keiner tapferer.»

«Und es besteht keine Hoffnung?»

«Nicht viel. Ihr Bruder mu?te inzwischen etwas gehort haben.«»Erzahlen Sie mir von sich selbst, Captain. Haben Sie Familie in England?»
        Und so hatte es angefangen. Herrick sprach seine Gedanken und Erinnerungen laut aus, und sie sa? ruhig da und horte zu. Drau?en ertonte ein Anruf, ein Boot kam langsseit. Herrick konnte kaum glauben, da? die eine Stunde so rasch vergangen war. Besturzt stand er auf.

«Wenn ich Sie gelangweilt habe, Ma'am…»
        Sie strich ihm uber den Armel und lachelte ihn an.»Ich wurde gern Ihre Schwester aufsuchen, Captain, wenn ich darf. Dann sind wir beide etwas frohlicher, bis. «Sie knopfte ihren Mantel zu.». bis Sie wieder in Kent sind. «Sie blickte auf und ihm direkt in die Augen.»Ich hoffe, Sie werden uns nicht vergessen.»
        Herrick ergriff ihre Hand. Sie war klein und fest, und er kam sich wieder so plump und ungeschickt vor.»Ich werde nie vergessen, wie freundlich Sie zu mir waren, Ma'am.»
        Drau?en kam Mannings Stimme naher.»Ich wurde mich sehr freuen, wenn wir uns wiedersehen, aber.»

«Kein Aber, Captain. «Sie trat zuruck.»Ich kann jetzt verstehen, warum Ihr Kommodore so schmerzlich vermi?t wird. Wenn er solche Freunde hat wie Sie, mu? er wirklich ein beachtlicher Mann sein.»
        Herrick brachte sie zum Achterdeck, wo ihr Bruder mit Major Leroux sprach.»Boot ist klar, Sir«, rief Pascoe.

«Bringen Sie die Dame zur Harebell, Mr. Pascoe. Mein Kompliment an Commander Inch, und er soll gut auf sie aufpassen.»
        Sie beruhrte seinen Arm.»Inch? Noch ein Freund?»

«Aye. «Behutsam fuhrte er sie um die Geschutzlafetten herum.»Sie werden in guten Handen sein.»
        Sie druckte seine Hand leicht mit ihrem Ellbogen.»Nicht in besseren als jetzt, denke ich.»
        Wieder erreichte der Alptraum einen Hohepunkt. Springende, dunkelrote Muster wie Flammen, festere Formen dazwischen, menschliche und andere, unkenntliche und daher noch furchterregendere.
        Bolitho wollte aufspringen, schreien, der saugende Umklammerung entfliehen. Einmal sah er vor der Feuersglut eine Frauengestalt, wei? wie der Tod, die ihre Arme winkend nach ihm ausstreckte und mit ihren Lippen lautlose Worte formte. Er versuchte, zu ihr zu gelangen, aber er hatte keine Beine mehr; ein Schiffsarzt war auf einmal da und lachte ihn aus.
        Aber dann verschwand alles. Nur Stille blieb und eine Dunkelheit, die nicht wirklich sein konnte; er krampfte seine Muskeln in Erwartung eines neuen furchtbaren Alptraumes zusammen.
        Da merkte er, da? er seine Beine doch noch fuhlen konnte und den Schwei?, der ihm uber Hals und Schenkel rann. Langsam und angstvoll wie ein Mann, der von den Toten zuruckkehrt, suchte er seine Gedanken zu sammeln, die Wirklichkeit von dem zu trennen, was er durchgemacht hatte, seit.. Er stutzte sich muhsam auf die Ellbogen und starrte in die Finsternis. Seit wann?
        Seine Sinne gehorchten ihm wieder; er empfand eine trage Bewegung unter sich, das Schwanken eines Schiffes in Fahrt. Blocke und Stage quietschten, und etwas Neues fiel ihn an: Angst. Er erinnerte sich an den Ruckfall des Fiebers, die Anzeichen, die er kannte und nicht hatte wahrhaben wollen. Alldays Gesicht uber ihm, voller Sorgenfalten, Hande, die ihn trugen, die umhullende Dunkelheit. Er tastete nach seinen Augen und holte erschreckt Luft, als er sie fuhlte. War er blind? Vollige Schlaffheit uberkam ihn; erschopft fiel er in die Koje zuruck. Lieber tot! Ware er doch immer tiefer in die Abgrunde des Fiebers gesunken, bis alles zu Ende war! Er dachte an die nackte Frau: Catherine Pareja. Sie hatte ihm wieder helfen wollen wie damals, als er beinahe gestorben ware. Keuchend kampfte er sich in sitzende Stellung hoch. Da drang ein fadendunner Lichtstrahl ihm gegenuber durch die Dunkelheit, verbreiterte sich - und dann erschien ein Gesicht, von einer Laterne angeleuchtet, aber unkenntlich. Dort im Gang hinter der geoffneten Tur.
        Das Gesicht verschwand, er horte einen Ruf:»Er ist wach! Er ist wieder zu sich gekommen!»
        Die nachsten paar Minuten waren in gewisser Hinsicht die schlimmsten. Allday stutzte ihn gegen die Schiffsbewegungen ab. Leutnant Veitch sah auf ihn herunter und grinste breiter denn je. Midshipman Breens mohrrubenblonder Schopf tanzte auf und ab; noch andere drangten sich in die enge Kajute und schnatterten in allerlei fremden Zungen.

«Macht, da? ihr rauskommt, Jungs!«befahl Veitch.
        Allday druckte Bolitho sanft auf die Koje zuruck und sagte:»Schon, da? Sie wieder bei sich sind, Sir. Mein Gott, Ihnen ging's vielleicht elend!»
        Bolitho versuchte zu sprechen, aber seine Zunge kam ihm doppelt so gro? vor wie sonst. Er konnte nur krachzen.»W. wie lange?«Er sah Veitch und Allday rasche Blicke wechseln.»M. mu? es wissen!»

«Ziemlich genau drei Wochen, Sir«, sagte Veitch behutsam;»da sind Sie.»
        Bolitho wollte Allday beiseite sto?en, aber er war hilflos. Kein Wunder, da? er sich so schwach und ausgehohlt fuhlte: drei Wochen!

«Was war los?«flusterte er.
        Veitch berichtete.»Als wir Sie in La Valetta wieder an Bord hatten, dachten wir, es ware besser, noch etwas vor Anker zu bleiben. Gefahr von seiten der Malteser bestand anscheinend nicht; und ich hatte Bedenken, mit Ihnen in diesem Zustand auf hoher See zu sein.»
        Allday stand langsam auf, den Kopf gebeugt, um nicht an den Decksbalken zu sto?en. So schlimm war's bei Ihnen noch nie, Sir. «Er mu?te ganz erschopft sein.»Wir wu?ten uberhaupt nicht mehr, was wir tun sollten.»
        Bolitho blickte von einem zum anderen; und ein Teil seiner Angst verwandelte sich in Warme. Drei Wochen lang, wahrend er hilflos in den Banden des Fiebers lag, hatten sie sich durchgeschlagen, so gut sie konnten. Hatten ihn gepflegt, ohne Rucksicht auf sich selbst, ohne daran zu denken, was diese Verzogerung sie kosten konnte. Seine Augen hatten sich an das Halbdunkel gewohnt, und er sah die tiefen Schatten in Alldays Gesicht, die Stoppeln am Kinn. Auch Veitch sah elend aus, wie ein Mann von einer Gefan-genenhulk.

«Ich habe nur an mich selbst gedacht«, sagte er.»Gebt mir die Hande - alle beide!»
        Alldays Grinsen leuchtete wei? in dem gebraunten Gesicht.»Gott sei Dank, Mr. Veitch, es scheint ihm ein bi?chen besser zu geh n.»

«Erzahlen Sie weiter«, sagte Bolitho.»Ich will versuchen, geduldig zuzuhoren und nicht zu unterbrechen.»
        Es war eine seltsame Geschichte, die Veitch und Allday abwechselnd berichteten. Seltsam, weil sie ein Stuck seines Lebens darstellte, das ihm abhanden gekommen war. Das er nie wiederbekommen wurde.
        Gleich am ersten Morgen nach seiner Ruckkehr waren zwei Beamte an Bord gekommen und hatten verkundet, die Segura sei unter Quarantane und solle liegenbleiben. Veitch war wegen Bo-lithos verzweifeltem Zustand besorgt, und zwei von seinen Mannern waren desertiert. Das mochte Zufall sein, aber. Sofort hatte er sich uberlegt, wie er auslaufen konnte, bevor irgendwelche we i-teren untragbaren Beschrankungen einsetzten. Ein paar Tage lang kummerte sich anscheinend niemand um die Segura; die gelbe Quarantaneflagge wehte am Mast, die Moral der kleinen Mannschaft ging in die Bruche, der Proviant wurde immer knapper.
        Beim Zuhoren fragte sich Bolitho, ob Yves Gorse, der franzosische Agent, etwas davon gehort hatte, da? die Segura unter falscher Flagge segelte. Anscheinend hatte er dafur gesorgt, da? sie bleiben mu?te; mehr jedoch konnte er kaum tun, um sie aufzuhalten, bis er der zustandigen Stelle Nachricht geben konnte, da? Frankreichs Feinde nicht mehr in Gibraltar oder vor Toulon lagen, sondern in Malta. Setzte er sich starker ein, so lief er Gefahr, sich als franzosischer Spion zu stark zu exponieren.
        Dann nahm Allday die Erzahlung auf.»Als nachstes kamen zwei Mann als Wache an Bord. Mr. Plowman meinte, jetzt sei es Zeit abzuhauen, denn die an Land wurden nicht mehr so scharf aufpassen, wenn jemand von der Behorde verantwortlich war.»
        Bolitho gelang ein schwaches Lacheln. Als ehemaliger Sklavenhandler mu?te Plowman mit dergleichen Bescheid wissen.

«Eines Nachts kam Wind auf, kraftig. Jetzt oder nie, sagte Mr. Plowman; also kappten wir das Ankertau und setzten Segel.»

«Und die Wachen?»
        Allday grinste.»Wir trafen zwei Tage spater ein Genueser Handelsschiff, dem gaben wir sie mit. «Dann wurde er wieder ernst.»Mit dem hatten wir Gluck. Wir horten bei der Gelegenheit, da? ein franzosisches Kriegsschiff in der Nahe sei. Eine Korvette, der Beschreibung nach. Ob sie auf der Suche nach uns war oder mit dem Agenten in Malta Verbindung aufnehmen wollte, wu?ten wir nicht. «Er strich die Decke glatt.»Wir hatten ja auch andere Sorgen.»
        Bolitho fuhr sich durchs Haar.»Bringt mehr Licht. Ich mu? aufstehen. Aber wieso drei Wochen?»

«Wir haben in einer kleinen Bucht an der Sudkuste von Sizilien gelegen. Die Sturmbo, die uns beinahe wieder in das verdammte La Valetta hineingefegt hatte, war ziemlich stark, aber sie hat nicht lange gedauert. Nur Sie waren uns beinahe gestorben, Sir.»
        Jetzt brachte Breen die zweite Laterne. Er war besser dran als die anderen; er brauchte sich nicht standig zu bucken.
        Bolitho schwang die Beine uber die Koje und lie? sich von All-day zu dem zerbrochenen Spiegel fuhren. Er sah seine hohlen Wangen, den fiebrigen Glanz der Augen, das befleckte Hemd.

«Ich will euch nicht sagen, was ihr hattet tun sollen«, bemerkte er bedeutsam.
        Veitch zuckte die Achseln.»Wir wu?ten ja nicht, was sich zwischen Ihnen und dem Franzosen abgespielt hatte, Sir. Aber das war mir auch ganz egal«, betonte er grimmig.»Mir ging es zuallererst um Ihr Leben.»
        Bolitho sah Veitchs Spiegelbild in die Augen.»Ich danke Ihnen dafur.»
        Allday berichtete weiter:»Wir sichteten die Korvette ein paarmal, aber sie kam nicht naher an unseren kleinen Ankerplatz heran. Auf jeden Fall segeln wir jetzt mit Nordkurs auf Syrakus. Mr. Veitch sagt, wir sollen lieber bei Nacht segeln. Dieser alte Eimer kann sich mit keiner franzosischen Korvette einlassen.»

«Gewi?.»
        Bolitho rieb sich das Kinn. Rasieren und ein Bad - das war jetzt sein hochster Wunsch.

«Gestern fruh«, fuhr Allday fort,»flo?te ich Ihnen ein bi?chen Brandy ein, und da sprachen Sie zum erstenmal. Jetzt brauchen Sie einen richtigen Arzt.»
        Bolitho ve rzog das Gesicht.»Das Geschwader ist bestimmt schon lange weg. Auch ohne das, was ich auf Malta erfahren habe, wird Farquhar inzwischen ausgelaufen sein.»

«Sie hatten also recht, Sir?«fragte Veitch.

«Ich glaube, das wu?ten wir alle von Anfang an, Mr. Veitch. «Er dachte wieder an die kuhle Weinhandlung, und wie der hei?e Schwei? auf seinem Rucken plotzlich eiskalt geworden war.»Gorse hat angedeutet, da? die Franzosen auf dem Weg nach Agypten Malta einnehmen werden.»

«Das uberrascht mich nicht, Sir. «Veitch schien sehr mude zu sein.»Die Verteidigungsanlagen von Malta sind, nach allem, was ich gesehen habe, nur noch Ruinen.»

«Wenn die Franzosen Malta mit seinen Waffen- und Proviantlagern in Handen haben, dann besitzen sie alles, was sie brauchen, um auf Korfu eine unaufhaltbare Invasion vorzubereiten. «Er a-chelte mude.»Also mussen wir dem Admiral Nachricht geben. Wenn nicht anders, dann mit diesem alten Kasten.»
        Veitch ging zur Tur.»In einer Stunde geht die Sonne auf, Sir. Wenn wir Gluck haben und das bi?chen Wind uns nicht im Stich la?t, dann erreichen wir Syrakus im Laufe der Nachmittagswache. «Er blieb an der Tur stehen.»Ich mu? Mr. Plowman ablosen, Sir.»
        Allday wartete, bis die Tur wieder zu war, und sagte dann:»Der wird mal ein guter Kommandant, Sir.»

«Finden Sie?»

«Aye, Sir. «Allday half ihm in den Stuhl.»Er hat ein besseres Temperament als mancher andere.»
        Bolitho sah ihm zu. Er war zufrieden, da? er sa?, trotz der drangenden Gedanken in seinem Hirn. Er brauchte Allday nur anzusehen, um zu wissen, was diese Tage und Wochen gekostet hatten. Bestimmt hatten er und die anderen nie langer als nur ein paar Minuten schlafen konnen.

«Ich habe in einer Lade ein spanisches Hemd gefunden«, sagte Allday munter.»Das hab ich gewaschen, und Larssen hat Ihre Kniehosen gereinigt. «Mit dem Rasiermesser in der Hand kam er in den Lichtschein der Laterne.»So, und jetzt wollen wir Sie ein bi?chen prasentabler machen.»
        Spater, als der rote Morgenschein durch das schmutzige Skylight drang, stand Bolitho mit seinem fremden Hemd vor dem Spiegel und sah sich an.
        Allday wischte das Rasiermesser an einem Stuck Flaggentuch ab.»Sie wissen Bescheid, Sir, und ich auch; aber die Jungs werden denken, Sie sind wieder obenauf.»
        Die Hand mit dem Rasiermesser erstarrte.

«An Deck! Segel in Luv voraus!«ertonte eine Stimme von oben.
        Allday fa?te Bolitho beim Arm.»Sachte, Sir! Mr. Veitch macht das schon.»
        Bolitho sah ihn ernsthaft an.»Mr. Veitch hat das ein bi?chen zu lange machen mussen. Und Sie auch. «In seinen Ohren brauste und lautete es.»Helfen Sie mir an Deck!»
        Fur ein so kleines Schiff kam ihm der Weg bis zum Kampanje sehr lang vor.
        Die See war ganz ruhig und hatte im schwachen Schein der noch dicht auf der Kimm stehenden Sonne einen seltsam rotlichen Ton, in dem die undeutlichen Buckel der Kuste beinahe ha?lich wirkten. Bolitho hielt sich an der Reling fest und sog gierig die Luft ein. Nach der stickigen Kajute war sie wie Wein. Er sah zu den lose killenden Segeln hoch. Kaum genugend Wind, um das Schiff auf Kurs zu halten. Er nickte Veitch und Plowman zu; seiner Stimme traute er nicht. Wenn die Sonne erst hoch stand, wurde er die Kuste Siziliens hinter den Backbordschanzkleid deutlicher sehen konnen und ungefahr wissen, wo sie waren.
        Da! Der rote Schein betupfte das kleine Quadrat eines Segels, weit drau?en an Backbord voraus. In dem unsicheren Licht sah es aus, als ware es sehr weit weg; aber die Entfernung wurde sich machtig schnell verringern.
        Er wandte sich um und sah Veitch an.»Einer von uns, vielleicht?»
        Veitch schob sein Teleskop mit einem Klicken zusammen.»Nein, Sir. Das ist wieder diese verdammte Korvette!»
        Bolitho horte die bittere Verzweiflung in Veitchs Stimme. Trotz aller Anstrengungen und Muhen hatten sie die Korvette immer noch auf dem Hals! Da stand sie wie ein Hecht zwischen einem hilflosen Entenkuken und dem schutzenden Rohricht.
        Er dachte an die Bewaffnung der Segura. Aber das war sinnlos. Zwei, drei Drehbassen und die Musketen. Aussichtslos.

«Wie weit sind wir vom Land?«fragte er und war uberrascht, wie fest seine Stimme klang.

«Sechs Seemeilen, Sir«, sagte Plowman,»nicht mehr, meiner Schatzung nach. «Er sah ihn zweifelnd an.»Das Wasser ist hier sehr tief; ich hatte gehofft, naher an die Kuste zu kommen, aber bei diesem Schei?wind - entschuldigen Sie, Sir.»
        Bolitho ware gern auf und ab gegangen, um seine Gedanken zu ordnen, doch er wu?te, da? ihn seine Krafte augenblicklich verlassen wurden. Sechs Meilen vor der Kuste! Es hatten ebensogut sechshundert sein konnen.
        Er horte, wie Breen angstvoll sagte:»Mit all dem Schie?pulver in der Last - da fliegen wir ja beim ersten Schu? in die Luft!»
        Bolitho wandte sich um und blickte dem Jungen ins Gesicht.»Das haben Sie sehr richtig erkannt, Mr. Breen. «Muhsam ging er zum Rad und hielt sich daran fest. Allday, lassen Sie das Boot zu Wasser!»

«Ist schon geschehen, Sir. Unterm Heck vertaut. «Er sah Bolitho besorgt an.

«Gut, sehr gut. «Er mu?te weitersprechen, damit sich ihm nicht wieder der Kopf zu drehen anfing.»Riggen Sie darin einen Behelfsmast auf und verholen Sie es an die Leeseite, damit der Franzose es nicht sehen kann.»

«Wir konnen doch nie einer Korvette entkommen, Sir!«rief Veitch aus.

«Habe ich auch nicht vor. «Er bleckte die Zahne - es sollte ein Lacheln sein. Macht eine lange Lunte zurecht und setzt sie in der Pulverlast an. «Er sah Veitchs unglaubiges Gesicht und sprach rasch weiter:»Wir lassen die Korvette herankommen und Enterhaken einschlagen; dann machen wir uns im Kutter davon.»
        Plowmann rausperte sich erschrocken.»Aber wenn uns die Frogs nicht entern, Sir? Vielleicht schicken sie blo? ein Prisenkommando an Bord?«Er blickte Veitch bedeutsam an, als furchte er, da? Bo-litho immer noch im Fieber rede.
        Bolitho nahm ihm das Glas aus der Hand und richtete es uber die Reling. Die Korvette war schon viel deutlicher zu erkennen. Sie hatte den Windvorteil und setzte bereits die Bramsegel, um ihn voll auszunutzen. Er gab das Glas zuruck und sagte langsam:»Das mussen wir abwarten, Mr. Plowman. Jetzt macht die Lunte zurecht, und zwar schnell!»
        Als Allday gehen wollte, fa?te Bolitho ihn beim Arm und fragte:»Als ich im Fieber sprach - habe ich da nach jemandem gerufen?»

«Ja, Sir«, antwortete Allday und sah in die aufgehende Sonne.»Nach Cheney. Nach Ihrer Frau.»
        Bolitho nickte.»Danke.»
        Midshipman Breen eilte Allday nach und flusterte nervos:»Aber die Frau vom Kommodore ist doch tot?»

«Aye. «Er blieb uber dem dumpelnden Kutter stehen und sah sich nach Bolitho um. Und das ist sehr schade.»



        XIII Verfolgung

        Uber das abgewetzte Hauptluk der Segura gebuckt, kritzelte Bolitho hastig etwas auf ein Stuck Papier. Er wu?te wohl, da? es rasch heller wurde, und spurte nach der ersten kuhlen Morgenluft auch schon einen Anflug von Warme, aber er mu?te sich konzentrieren. Sowieso mu?te er immer wieder innehalten und Krafte sammeln, damit das Fieber nicht wiederkam.
        Einmal, als er sich halb aufrichtete und uber die Backbordreling spahte, sah er die Rahen und Segel der franzosischen Korvette uberkommen; der schlanke Bugspriet verriet deutlich, da? sie ihre Beute einfach auf konvergierendem Kurs packen wollte.
        Nicht viel mehr als eine Meile trennte das schmucke Kriegsschiff von der alten, klapprigen Segura. Bolitho faltete das Papier sorgfaltig zusammen und trat zu Veitch.»Nehmen Sie das mit«, sagte er und schob es dem Leutnant in die Tasche.»Da steht alles drin, was ich wei?. «Was ich vermute, hatte er sagen sollen.»Wenn ich falle, mussen Sie das, so gut Sie konnen, an hohere Stellen weiterleiten.»
        Heiser rief Plowman dazwischen:»Der Franzose nimmt Segel weg, Sir.»
        Veitch nickte.»Er wird uns bald haben.»
        Bolitho lie? den Blick uber das Deck schweifen. Es krangte jetzt noch weniger; die leichte Brise konnte kaum alle Segel fullen. Sein Plan stand fest. Und etwas anderes kam ja auch gar nicht in Frage, dachte er grimmig.
        Allday kam nach achtern.»Lunte gelegt und klar zum Zunden, Sir. Mu?te uns 'ne Viertelstunde Zeit lassen.»
        Bolitho richtete das Teleskop auf die Korvette.»Zu lange.
        Schneiden Sie sie so kurz, wie Sie es nur riskieren konnen. Funf Minuten.»
        Er horte sie erschrocken Luft holen, behielt aber die Korvette im
        Auge. Sie kam stetig naher, die Rahen so gebra?t, da? sie den Wind voll fa?ten. Sie zeigte ihren Bauch, als sie sich flink auf den anderen Bug legte.

«Sehen Sie sich den Kupferbeschlag an«, bemerkte Plowman.»Die ist noch nicht lange auf See.»
        Ein Schauer der Erregung uberkam Bolitho. Eins von Brueys Schiffen vielleicht? Gehorte sie zu der verstreuten Kundschafterlinie, welche die machtige Flotte des franzosischen Admirals in die offene See und schlie?lich nach Agypten geleiten wurde? Er dachte an alle die Informationen, gesicherte und ungesicherte, die schlie?lich viel mehr bedeuteten als diese eine Korvette, die ihren Weg zum schutzenden Hafen bedrohte. Wie ein riesiges Seeungeheuer wurde Brueys Flotte aus Transportern und Linienschiffen mit Malta als Sprungbrett auf die agyptische Kuste zustreben. Und von da aus nach Indien, zu all den Besitzungen und Handelsverbindungen, die England beinahe in jenem anderen Krieg verloren hatte.

«Alle Mann ins Boot!»
        Er wartete, ob Veitch oder Plowman etwas einzuwenden hatten. Aber der Leutnant sagte nur:»Ich lege nicht ohne Sie ab, Sir. Und das ist mein letztes Wort.»
        Bolitho lachelte.»Sie wollen Ihrem Kommodore den Gehorsam verweigern, Mr. Veitch? In Kriegszeiten konnten Sie dafur gehangt werden!»
        Beide lachten; dann entgegnete Veitch:»Das Risiko will ich gern eingehen, Sir.»
        Schon kletterten die Matrosen uber Bord, und Bolitho hoffte nur, auf dem franzosischen Schiff wurde niemand bemerken, da? hier etwas Ungewohnliches vor sich ging. Es hatte schlie?lich wenig Sinn, schneller sein zu wollen als ein so bewegliches Kriegsschiff. Und der Versuch, in einem Kutter uber das offene Mittelmeer zu entkommen, ware purer Irrsinn gewesen.
        Schwer atmend kam Allday nach achtern.»Lunte ist verkurzt, Sir. «Er spahte nach der Korvette hinuber. Die Geschutze waren ausgerannt, kleine Sechspfunder. Sie wurden fur die alte Segura ausreichen, auch ohne ihre todliche Fracht.»Nur wir beide sind noch an Bord. Und dieser verruckte Schwede.»
        Larssen grinste mit kindlicher Furchtlosigkeit.»Aye, Sir.»
        Ein scharfes Krachen. Sie fuhren herum und sahen eine Rauchwolke von der Korvette aufsteigen; eine einzelne Kugel fuhr durch die Takelage des Fockmasts und warf weit an Steuerbord eine dunne Fontane hoch.
        Bolitho lachelte gelassen.»Signal verstanden. «Er nickte Allday zu.»Gehen Sie nach vorn und brullen Sie ihre unsichtbare Mannschaft an.»
        Bestimmt beobachtete der franzosische Kommandant personlich die Segura. Bolitho warf einen raschen Blick auf den Kutter, der langsam von der Leeseite der Segura abstie?, bis ans Dollbord voll mit Mannern und Riemen und dem Gewirr aus Segel und Mast, den Veitch jetzt aufzurichten begann. Eine Heckleine verband sie noch mit dem Schiff, an der das Sprengkommando spater eingeholt werden sollte.
        Bolitho griff in die Speichen und sagte:»Setzen Sie die Flagge, Larssen!»
        Der Schwede grinste, und Sekunden spater flatterte die amerikanische Flagge von der Gaffel.
        Die Antwort kam augenblicklich: eine neue, scharfe Detonation; diesmal schmetterte die Sechspfundkugel wie ein machtiger Hammer in den Rumpf der Segura und erschutterte das Schiff heftig.
        Bolitho hatte auch nicht erwartet, da? sich die Korvette zum Narren halten lassen wurde. Aber alles brauchte seine Zeit; aus dem Augenwinkel sah er, da? Veitch seinen Hut schwenkte zum Zeichen, da? er fertig war.
        Ein dumpfer Schlag im Vorschiff; er sah Allday mit einer Axt zur Seite springen; der braunliche Kluver kam rauschend herunter und hullte ihn in einen fallenden Haufen Leinwand. Damit schien der Franzose zufrieden zu sein, denn der Kommandant brachte die Korvette bereits herum auf einen fast parallelen Kurs, so da? die Segura in Lee von ihm lag, und lie? auch schon Segel wegnehmen, um langsseit zu kommen. Schon enterten Matrosen mit Wurfankern in die Wanten, Stahl glitzerte auf, ein Enterkommando rannte bereits zum Vorschiff, wo der erste Kontakt erfolgen wurde.
        Bolitho fuhlte, wie das Ruder unter seinen Handen bockte, denn ohne Vorsegel gierte die Segura wild, und die Segel schlugen heftig.

«Lunte zunden!»
        Er horte Allday unter Deck rennen und ubergab dem Schweden wieder das Rad. Auf der Gro?rah der Korvette sah er einen Matrosen heruberdeuten und heftig gestikulieren; wahrscheinlich hatte er von oben den Kutter gesehen und wollte es den Offizieren auf dem Achterdeck melden, doch konnte er sich offenbar nicht verstandlich machen: denn achtern quietschten Blocke und Taljen, schlugen Segel, brullten die Manner, begierig nach Kampf, mochte er auch nur einseitig sein.
        Bolitho blieb noch am Ruder stehen. Machte er sich zu fruh davon, wurde der Franzose immer noch abdrehen konnen. Und unter Deck zischte die Lunte - hoffentlich war Allday nicht zu erschopft gewesen, um die Lange richtig zu bemessen.

«Lunte brennt!»
        Allday war voller Heuhalme, als hatte er sich eben durch eine Scheune gewuhlt. Wahrscheinlich hatte er die Lunte, damit es keine vorzeitige Explosion gab, sorgfaltig um die Viehfutterlast herumfuhren mussen.

«Uber Bord! Packt die Achterleine!»
        Er wartete, bis Allday mit seiner Axt am Schanzkleid war.»Du auch, Larssen! Schnell!«Er sah einen Schatten zu seinen Fu?en sich bewegen, blickte darauf zur amerikanischen Flagge hoch und verzog das Gesicht.»Diese Flagge ist fur heute genug mi?braucht worden; ich werde sie kappen. «Doch als er nach seinem Degen tastete, merkte er, da? er vergessen hatte, ihn mit an Deck zu nehmen.
        Allday sah Bolithos besturztes Gesicht und druckte dem Matrosen die Axt in die Hand.»Halt mal! Ich geh 'runter, den Degen holen!»

«La? ihn!«schrie Bolitho.
        Eine Kugel zischte an ihm vorbei, und dann ri? ein ganzer Hagel von Schussen Splitter aus den Planken, die wie Pfeile in alle Richtungen flogen. Bolitho horte Larssen aufschreien und sah ihn in die Knie brechen; verzweifelt versuchte er, das Blut zu stillen, das reichlich aus seinem Oberschenkel rann. Bolitho ordnete seine rasenden Gedanken. Die verdammte Lunte! Funf Minuten. Die mu?ten doch schon vorbei sein!
        Er zog den Matrosen an die Reling, und da horte er auch schon Allday herankeuchen.

«Halt ihn! Wir springen zusammen!«stie? er hervor.
        Dann standen sie auf der Reling, deren Holz noch feucht von der Nachtluft war: Allday kappte die lange Achterleine, und alle drei platschten wie Lumpenbundel ins Wasser, von der Leine zusammengehalten.
        Tiefer, immer tiefer; das Sonnenlicht verdammerte in einem rotlichen Nebel - das mu? Larssens Blut sein, dachte Bolitho - , die Leine schnurte ein wie eine Vogelschlinge: Veitchs Manner ruderten wahrscheinlich wie die Wilden. Seltsamerweise mu?te er an die beiden Matrosen denken, die auf Malta desertiert waren. Die wurden nie erfahren, was sie fur Gluck hatten, da? sie nicht mehr an Bord gewesen waren. Denn in dem einen noch vorhandenen Boot ware kaum fur sie Platz gewesen.
        Es wurde heller uber Bolithos Kopf, er kam an die Oberflache, schuttelte sich das nasse Haar aus den Augen, schnappte nach Luft und sah den Kutter; das Segel war gesetzt, die Manner winkten und schrien - vielleicht schrien sie sogar hurra.
        Larssen war bewu?tlos: Allday und Bolitho konnten gerade noch seinen Kopf uber Wasser halten und sich dabei an die Leine klammern, die jetzt, Hand uber Hand, gegen den Druck der Stromung eingeholt wurde.

«Herrgott«, japste Allday,»so was mochte ich wirklich nicht ofter machen!»
        Bolitho wandte den Kopf, um zu antworten; da platzten ihm beinahe die Trommelfelle bei der ohrenbetaubenden Explosion, von der die stille Morgenluft zerrissen wurde. Die Druckwelle schlug ihnen gegen Brust und Beine, pre?te ihnen die Luft aus den Lungen und wirbelte sie mitsamt der Leine herum wie hilflose Puppen.
        Holzstucke, Taufetzen, Heubundel regneten auf sie nieder. Eine lange Planke fiel direkt neben Allday ins Wasser und scho? wie ein Rammbock wieder hoch, nur ein paar Zoll von seinem Kopf entfernt.

«Jesus«, krachzte Allday,»das war knapp!«Bolitho konnte sich herumwerfen; wassertretend sah er sich nach den beiden Schiffen um. Aber da war nur noch eins; von der Segura sah man weiter nichts als einen wachsenden Kreis aus Schaum, Blasen, Treibgut und Heu, das nun kein franzosisches Kavalleriepferd mehr fressen wurde.
        Es war, als verblute die Segura beim Sinken, denn der immer noch wild wirbelnde Schaum farbte sich jetzt rot: Die Weinfasser mu?ten von der Explosion zerrissen worden sein.
        Auch die Korvette war ubel dran. Auf den ersten Blick mochte man meinen, sie sei dem Schlimmsten entgangen, doch als sie sich in dem aufgewuhlten Wasser schrag legte, sah er in dem unsicheren Licht einen tiefen Ri? im kupfernen Rumpfbeschlag wie den aufgerissenen Bauch eines Haifisches leuchten. Tauwerk und Segel waren zerfetzt, hingen wie Algen uber Bord und verbargen das Leck, durch das jetzt die See einstromte. Da? sie nicht Feuer gefangen hatte, war ein reines Wunder; der Kommandant wurde alle Hande voll zu tun haben, um seine Uberlebenden zu retten, und konnte froh sein, wenn sein Schiff nicht hinter der Segura her in die Tiefe ging.
        Ein Schatten uber ihm, Hande unter seinen Achseln - andere Fauste ergriffen den bewu?tlosen Schweden und brachten ihn in Sicherheit.
        Grinsend sah Veitch zu, wie Bolitho und Allday unzeremonios ubers Dollbord gehievt wurden.»Wie Sie sehen, habe ich gewartet, Sir.»
        Bolitho sank zuruck und starrte in den Himmel.»Das war wirklich knapp.»
        Allday wrang sein Hemd uber Bord aus.»Ich hatte die Lunte auf zehn Minuten geschnitten. Sonst…«Er schwieg.
        Schwer und schmerzhaft atmend, wandte Bolitho sich um und sah ihn an. Er sah die Narben auf Alldays Rucken, wo die Peitsche des maurischen Reiters ihn getroffen hatte. Sie waren immer noch blutrot und wurden nie vollig verschwinden. Es kam ihm merkwurdig vor: Allday hatte den gro?ten Teil seines Lebens bei der Marine gedient und es doch die ganze Zeit vermeiden konnen, ausgepeitscht zu werden. Das war in der Marine schon eine beachtliche Leistung. Und jetzt, wegen seines Mutes und seiner unwandelbaren Treue, wurde er jene Narben bis an sein Lebensende tragen.
        Spontan legte er ihm die Hand auf die Schulter.»Gut gemacht. Ihre Narben da - tut mir leid.»
        Allday drehte sich auf der Ducht um und sah ihn an.»Mit Ihnen komme ich noch lange nicht mit, Sir«, grinste er, und seine Mudigkeit schien teilweise zu schwinden. Ich schatze, Sie haben mehr Narben, als eine Katze Leben hat.»
        Auch Bolitho lachelte. Dieser Augenblick gehorte nur ihnen beiden.»Aber keine ist ehrenvoller, mein Freund.»
        Veitch hustelte diskret.»Wohin jetzt, Sir?»
        Bolitho zog sich muhsam auf die Heckducht, sah zum schlaffen Segel hoch und dann zur Korvette hinuber. Dort feuerte jemand einen Schu? ab; ein Matrose in ihrem Kutter stand auf und schuttelte die Fauste hinuber.
        Bolitho sagte gelassen:»Sachte, Jungs. Ich wei? ja, wie euch zumute ist. Aber diesmal haben sie nicht auf uns geschossen. Die Besatzung will die Boote sturmen.»
        Langsam schien Veitch zu begreifen, was das hie?: ein paar hilflose Offiziere und die entsetzte, rebellische Mannschaft. Bolitho kannte das aus eigener Erfahrung. Hoffentlich hatte Veitch Gluck und wurde so etwas nie erleben.

«Sie sinkt.»
        Die kleine Korvette begann zu kentern; stumm sahen sie zu, wie sich die Decks leerten. Wei?e Schaumfedern markierten die Stellen, wo Wrackteile, von der Explosion abgerissen, ins Meer fielen; an der hochstehenden Deckseite hatte sich ein Sechspfunder losgerissen, durchbrach auf der unteren Seite das Schanzkleid und ri? verzweifelt um sich schlagende Manner mit ins Meer.
        Uber die blaue See heruber konnten sie schwach das Schreien horen und das triumphierende Rauschen des einstromenden Wassers. Fast gleichzeitig schlugen die Masten ins Meer, schmetterten zwischen die Schwimmenden und schnitten das eine Boot, dem das Absto?en gelungen war, in zwei Halften.

«Fur die konnen wir nichts mehr tun, Sir«, sagte Plowman heiser.
        Bolitho schwieg. Der Steuermannsmaat hatte naturlich recht. Ihr Kutter ware sonst gesunken oder bestenfalls von den zahlenma?ig viel starkeren Franzosen erobert worden. Das zu wissen, war eins.
        Doch daruber einfach zur Tagesordnung uberzugehen, war etwas anderes.
        Er horte Midshipman Breen laut aufschluchzen; als er sich umschaute, sah er, da? der Junge auf einem Fa? hockte und Larssen, der schwedische Matrose, mit dem Kopf in seinem Scho? lag.
        Plowman kletterte zu ihm hin.»Was ist?»
        Der Junge sah starr nach achtern zu Bolitho hin und murmelte:»Er ist tot, Sir.»

«Armer Kerl«, sagte Allday und seufzte.»Werft ihn uber Bord, Jungs!»
        Doch der Midshipman lie? den Schweden nicht los und starrte Bolitho immer noch an. Aber… Sir… Konnten wir nicht - ein Gebet fur ihn sprechen?«Tranen stromten ihm uber das sommersprossige Gesicht; er war anscheinend der einzige an Bord, der von dem in geringer Entfernung sinkenden Schiff vollig unberuhrt blieb und nur an den Mann dachte, der soeben an seiner Seite gestorben war.
        Langsam nickte Bolitho.»Tun Sie das, Mr. Breen. «Er wandte sich zu Veitch um und horte Breens Knabenstimme unsicher durch den Text eines Gebets stolpern, das er einmal gelernt hatte, wahrscheinlich von seiner Mutter. Neben ihm hockte ein Matrose, ein hartgesottener, vielbefahrener Stuckfuhrer; er hatte das Halstuch, das er als Sonnenschutz um den Kopf trug, abgenommen und wischte sich die Augen.

«Eine harte Lektion, Mr. Ve itch«, sagte Bolitho leise.

«Aye. «Der Leutnant beruhrte seinen Arm, aber so vorsichtig, als furchte er, Breen bei seinem Gebet zu storen.»Da geht sie hin!»
        Die Korvette glitt unter die Wasserflache; einige Uberlebende schwammen bereits zielstrebig auf den Kutter zu.
        Das Wasser spritzte auf, und Bolitho sah Larssens Gesicht, sehr bleich und verschwommen, zwischen den Wellen. Langsam trieb der Leichnam weg vom Boot.

«Achtung! Rudert an!»

«Verflucht und verdammt!«schrie ein Mann im Boot.»Da kommt noch eine!»
        Aus dem Schatten der Kuste, aus dem Morgennebel heraus, tauchte ein kleines Rechteck heller Leinwand auf und stand unvermittelt im hellen Sonnenlicht. Ein paar Franzosen, die sich an Wrackstucken und gebrochenen Spieren festklammerten, schrien hurra; doch im Kutter herrschte Totenstille.
        Bolitho ri? das Kutterteleskop aus der Halterung und richtete es auf das Schiff. Vielleicht stoppte es und nahm die Uberlebenden an Bord? Vielleicht kam auch noch rechtzeitig eine Brise auf, die ihnen das Leben rettete.
        Plotzlich wurde sein Mund trocken. Dann sagte er:»Beruhigt euch, Jungs. Das ist die Harebell.»
        Druben sammelte Inch das bi?chen Wind, das noch da war, sorgfaltig unter seinen Rockscho?en und brachte die Schaluppe stetig heran; und auch die Boote lie? er bereits klarmachen zum Aussetzen.
        Die Korvette war jetzt praktisch gesunken; nur Heck und Trikolore waren noch sichtbar.
        Jetzt drehte die Harebell in den Wind, die Boote lagen schon langsseit, und sie naherte sich langsam dem ersten Pulk Schwimmer. Eine Jolle hielt rasch auf den Kutter zu; ein junger Leutnant erhob sich im Heck, um sie anzurufen, das Gesicht rot vor Wut.

«Sie sind ein verdammter Feigling, M'sieur! Haben noch ein Boot und lassen Ihre Leute absaufen!»
        Die Jolle kam naher; Allday, kaum fahig, sein breites Grinsen zu verbergen, rief durch die hohlen Hande:»So begru?en Sie Ihren Kommodore? Achtung, da im Boot!»
        Eifrige Hande streckten sich aus, um die Boote aneinanderzuzie-hen, und Bolitho kletterte hinuber zu dem jetzt aus Verlegenheit errotenden Leutnant.»Vor ein paar Minuten hatte ich sogar noch ein ganzes Schiff, Mr. McLean«, sagte er ruhig und klopfte ihm auf den Arm.»Aber ich kann mir denken, wie das fur Sie ausgesehen hat!

        Als sie langsseit der Schaluppe waren, sah Bolitho, was sein plotzliches Erscheinen fur Aufregung verursacht hatte. Der ganz verwirrte Leutnant McLean hatte ihm bereits erklart, da? die Hare-bell mit Depeschen fur den Admiral nach Gibraltar unterwegs sei. Commander Inch hatte anscheinend auf eigene Faust einen Umweg gemacht - es hatte ja sein konnen, da? er die Segura sichtete - , auch wenn das nur eine schone Geste war und man die Hoffnung langst aufgegeben hatte.
        Bolitho schwang sich uber das Schanzkleid und wurde von dem strahlenden Inch begru?t, dessen Stimme aber im Chor der jubelnden Matrosen vollig unterging. Er druckte Bolithos Hand; sein Pferdegesicht glanzte vor Freude und Erleichterung, und alle drangten sich heran, um ihrem wiedergefundenen Kommodore auf die Schulter zu klopfen.
        Aber Veitch mischte sich ein:»Erst ist der Kommodore beinahe am Fieber gestorben - und jetzt hab ich Angst, er wird mir totgeschlagen!»
        Zappelnd vor Aufregung ging Inch mit Bolitho nach achtern. Uberrascht sah dieser, da? sich eine Frau in der kleinen Kajute befand, die offensichtlich ebenso uberwaltigt war wie Inch.

«Das ist Mrs. Boswell, Sir«, sagte Inch.»Unterwegs nach England. Ich soll sie bis Gibraltar mitnehmen.»
        Bolitho nickte gru?end.»Ich mu? sehr um Entschuldigung bitten, Ma'am. «Er sah Inch bedeutsam an.»Wir segeln schleunigst nach Syrakus zuruck.»

«Ja, naturlich, ich verstehe. «Sie tupfte sich die Augen.

«Nun, Commander Inch«, sagte Bolitho,»erzahlen Sie mir alles. Das ganze Geschwader liegt also noch vor Anker?»
        Inchs Freude verbla?te etwas.»Bis auf die Lysander und die Buzzard, Sir. Javal ist in besonderer Mission unterwegs, und die Ly-sander segelt, wie ich hore, nach Korfu.»
        Bolitho setzte sich hin und zupfte an seinem plissierten spanischen Hemd.»Also will Captain Farquhar selbstandig handeln,
        eh?»
        Diese Frage war Inch offensichtlich unangenehm.»Nein, Sir. Captain Herrick hat die Lysander wieder ubernommen. Sir Charles Farquhar, das ist er namlich jetzt, befehligt das Geschwader in Syrakus. Er will dort warten. «Verlegen wand er sich unter Bolithos wutendem Blick.»Bis eine Flotte unter dem Befehl von Sir Horatio Nelson eintrifft.»
        Bolitho stand auf und ging mit eingezogenem Kopf unter den niedrigen Decksbalken hindurch zum offenen Heckfenster.
        Herrick war also weg, allein. Der Rest war ihm so klar wie das Wasser unter dem Heckbalken.

«Captain Herrick ist ein guter Mann. Ich habe ihn kennengelernt, bevor er auslief«, horte er Mrs. Boswell sagen.
        Er wandte sich zu ihr um.»Ja, das ist er, Ma'am.»

«Als wir die Explosion horten«, sagte Inch,»glaubten wir, da ware ein gro?es Schiff in die Luft geflogen.»

«Die Ladung der Segura. Dieser Korvettenkapitan hatte sich das anders vorgestellt.

        Alles stand ihm wieder vor Augen: Midshipman Breens trauriges Gesicht; der Schwede, der so vergnugt Befehle entgegengenommen hatte, die er manchmal gar nicht verstand; Alldays narbiger Ruk-ken.

«Also, dann zuruck zum Geschwader«, sagte er schroff,»und so schnell Sie konnen!»
        Der Erste Offizier der Harebell erschien im Turrahmen; er mied Bolithos Augen, als er meldete:»Wir haben drei?ig Franzosen aufgefischt, Sir. Der Kommandant ist nicht dabei. Und der Master sagt, der Wind hat aufgefrischt und nach Suden gedreht.»
        Stirnrunzelnd nickte Inch. Zu Bolitho sagte er:»Ich glaube, Sir, Sie kennen meinen Ersten, Mr. McLean?»

«In der Tat. Er war einmal zusammen mit Ihnen an Bord der Lysander. Bei der Marine ist es anscheinend immer dasselbe: Leutnants erkennen einen Vorgesetzten niemals wieder; aber sogar ein Kommodore erinnert sich an einen Leutnant.»
        Inch sah seinen Ersten mi?billigend an.»Pfeifen Sie >Alle Mann zum Segelsetzen<. Es wird eine Schinderei, aber ich will die Hare-bell bis zum Spatnachmittag in Syrakus vor Anker haben!»
        Bolitho wurden plotzlich die Knie weich, und er setzte sich hin.

«Ich gehe an Deck, Sir, wenn Sie gestatten«, sagte Inch. Nach kurzem Zogern fuhr er fort:»Ich bin wirklich froh, da? ich Sie gefunden habe. Captain Herrick hatte sich gefreut, wenn. «Er ging rasch hinaus.
        Mrs. Boswell sagte leise:»Wir haben uns lange unterhalten. Ich fand seine Geschichte, seine Lebensgeschichte meine ich, faszinierend.»
        Jetzt erst betrachtete Bolitho sie genauer. Eine nett aussehende
        Frau, vielleicht Anfang Drei?ig. Sie hatte einen guten Teint und dunkelbraune Augen, die zu ihrem Haar pa?ten. Die Art, wie sie von Herrick sprach, war aufschlu?reich. Vielleicht hatte sie sich in ihn verliebt?
        Er entgegnete:»Ich habe vor, ihn zu suchen, Ma'am. Wenn ich mit Captain Farquhar gesprochen habe, wei? ich bestimmt eine ganze Menge mehr als jetzt.»
        Er hatte den letzten Satz in ungewohnlich scharfem Ton gesprochen; und sie antwortete:»Ich wei?, da? Captain Farquhar ein au?erordentlich ehrgeiziger Mann ist.»
        Ihre rasche Auffassungsgabe und auch sie selbst gefielen ihm.»Au?erordentlicher Ehrgeiz ist nicht immer mit au?erordentlicher Einsatzbereitschaft verbunden, Ma'am«, antwortete er lachelnd.»Ich hatte das eher merken mussen. Viel eher. Und ich kann nur zu Gott beten, da? ich diese Lektion nicht zu spat gelernt habe.»
        Erschrocken hob sie die Hand.»Zu spat fur Captain Herrick?»

«Fur Thomas noch viel mehr, Ma'am.»
        Allday schaute herein.»Konnten Sie ihn dazu kriegen, da? er sich hinlegt, Ma'am? Er hat heute so viel geschafft wie ein ganzes Regiment.»

«Ja, das tue ich«, nickte sie. Allday verschwand, und sie fragte:»Ist das ein alter Kamerad von Ihnen?»
        Bolitho lehnte sich in seinem Sessel zuruck. Mit der Spannung wichen auch seine Krafte.»Nein, mein Bootssteurer. Und ein guter Freund. Wenn er ein Offizier meines Jahrgangs ware, dann ware er, glaube ich, bald mein Vorgesetzter. Und das ware dann doch zuviel.»
        Und dann fielen ihm die Augen zu, und sein Kopf geriet mit den leichten Schiffsbewegungen ins Nicken. Mrs. Boswell stellte fest, da? Bolitho gar nicht so war, wie sie es nach Herricks Erzahlungen erwartet hatte. Fur jemanden, der so viel geleistet, so viel durchgemacht hatte, kam er ihr ziemlich jung vor. Er schien auch feinfuhlig zu sein, was er offensichtlich als einen Fehler empfand und durch Strenge zu verbergen suchte.
        Sie lachelte nachdenklich. Unsinn: Er war genauso, wie Herrick ihn beschrieben hatte.
        Regungslos stand Farquhar an der Kajutwand und sah zu, wie Bo-litho sorgfaltig die Depeschen des Admirals durchlas.
        Bolitho sa?, die Ellbogen auf die Knie gestutzt, vorgebeugt auf der Fensterbank; die Papiere hatte er vor sich auf den Boden gebreitet. Neben ihm auf der Fensterbank lagen ein Stuck frisches Brot und eine Butterkruke; beides hatte Manning morgens an Bord geschickt. Bolitho hatte fast den ganzen Laib aufgegessen und dazu nach Farquhars Schatzung sieben Becher Kaffee getrunken.
        Jetzt hob Bolitho den Kopf und sah Farquhar forschend an.»Sie wollten also hierbleiben, ja? Und das hier - «, er tippte auf die Papiere - ,»bedeutet Ihnen gar nichts?»
        Gelassen erwiderte Farquhar seinen Blick.»Wenn meine Einschatzung der Lage von der Ihren abwich, Sir, so.»
        Mit blitzenden Augen sprang Bolitho auf.»Halten Sie mir keine Reden, Captain Farquhar! Sie haben diese Papiere gelesen, die Feststellungen in dem Bericht uber die von uns gekaperte Artillerie, und trotzdem haben Sie nichts daraus geschlossen!«Er buckte sich, nahm zwei Blatter auf und warf sie mit wutendem Schwung auf den Tisch.»Lesen Sie das! Die Geschutze sind Funfundvierzig-pfunder! Und unsere Armee hat eines davon ausprobiert, obwohl sie vermutlich auch so Bescheid wu?ten. «Im Takt zu seinen Worten klopfte er mit dem Finger auf das Papier.»So eine Kanone schie?t eine Funfundvierzig-Pfund-Kugel funftausend Yards weit. Wenn Sie das fur bedeutungslos halten, mussen Sie ein Narr sein! Wie weit schie?t das schwerste Schiffsgeschutz?«Zornig trat er ans Fenster.»Ich werde Ihr Gedachtnis auffrischen: ein Zweiunddrei-?igpfunder besitzt eine Reichweite von dreitausend Yards. Wenn man Gluck hat und einen guten Stuckfuhrer, hei?t das.»
        Argerlich erwiderte Farquhar:»Ich sehe nicht, was das mit uns zu tun hat, Sir.»

«Nein, das merke ich. «Er fuhr herum und sah ihm ins Gesicht.»Das franzosische Volk wartet auf einen gro?en Sieg. Nach dieser blutigen Revolution konnen sie so etwas verlangen. Und wenn die Franzosen Agypten erobern und noch weiter daruber hinaus wollen, dann mu? zunachst ihre Flotte die Meere beherrschen. Unter dem Schutz solch schwerer Kanonen konnen die Franzosen eine ganze Armada, mehrere sogar, verankern und sicher sein, da? jedes englische Schiff zu Kleinholz geschossen wird, ehe es auch nur herankommt!»
        Farquhar bi? sich auf die Lippen.»Kustenbatterien!«»Na endlich, Captain«, sagte Bolitho kalt.»Jetzt merken anscheinend auch Sie, was gespielt wird. «Ein Schlag an die Tur, der Posten brullte:»Offizier der Wache,
        Sir!»

«Soll eintreten«, sagte Farquhar, vermutlich heilfroh uber die Unterbrechung.
        Der Leutnant blieb an der Tur stehen.»Wir haben soeben die Buzzard gesichtet, Sir. Im Norden.«»Danke, Mr. Guthrie.»
        Bolitho setzte sich wieder hin und rieb sich die Augen.»Rufen Sie meinen Schreiber. Ich will eine Depesche diktieren, die Inch nach Gibraltar mitnehmen soll. «Er konnte seine Wut nicht verbergen.»Sie wird etwas anders lauten als Ihre.

        Farquhars Gesicht blieb ausdruckslos.»Ich werde Ihnen meinen Schreiber schicken, Sir. Ihrer ist noch auf der Lysander.»

«Gut, er genugt mir furs erste. «Er ging zur Tur.»Wenn ich mein Flaggschiff wiederhabe, dann habe ich auch meinen Schreiber.»
        Farquhar starrte ihm nach.»Aber ich habe doch Ihren Stander hier auf der Osiris hissen lassen, Sir!»
        Bolitho lachelte grimmig.»Habe ich gesehen - Ihren oder me inen. Waren Sie denn so sicher, da? ich tot war?»
        Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er durch die Tur.
        Auf der Kampanje fand er Mrs. Boswell im Gesprach mit Pascoe. Das Wiedersehen mit seinem Neffen hatte ihm klargemacht, wie verzweifelt notig es war, da? er Herrick fand, wie sehr sie einander brauchten.
        Wenn er zu Herrick allzu verstandnisvoll gewesen war, so war er selbst daran schuld. Mehr noch als Herrick selbst. Er hatte bei Far-quhar etwas anderes gesucht; Herricks wirklicher Wert dagegen lag so offen zutage, da? er ihn nicht gesehen hatte.
        Mrs. Boswell wandte sich um und lachelte schuchtern.»Ich bin mit dem Boot herubergekommen, um adieu zu sagen, Captain«, sagte sie und hangte sich bei Pascoe ein.» Wir beide haben uns sehr gut verstanden.»

«Das glaube ich gern«, nickte Bolitho. Er durchschaute ihre falsche Munterkeit und fuhr fort:»Sobald ich mit dem Kommandanten der Buzzard gesprochen habe, lasse ich das Geschwader, oder was noch davon ubrig ist, Anker lichten.»
        Sie verstand, was er damit sagen wollte, und ging mit ihm zur Kampanjeleiter.»Ich gehe jetzt. Es freut mich, da? Sie sich wieder erholt haben.»
        Ein Boot wartete an den Rusten, und Bolitho sah den froschahnlichen Ersten der Osiris ungeduldig an der Fallreepspforte stehen.

«Ich mochte Ihnen einen Rat geben, Mrs. Boswell. «Er fuhrte sie uber das sonnenwarme Deck, unbekummert um die neugierigen Augen und sein merkwurdiges Aussehen.»Wenn Sie etwas fur Thomas Herrick empfinden, dann sagen Sie es mir bitte.»
        Es kam ihm vor, als wolle sie ihm ihre Hand entziehen. Doch statt dessen fragte sie:»Merkt man das so deutlich?»

«Daran ist nichts Unrechtes. «Er blickte sinnend auf die grunen Abhange an der Kuste.»Meine eigene Liebe war zu kurz, und heute tut es mir um jede versaumte Sekunde leid. Au?erdem - «, erzwang sich ein Lacheln ab - ,»ich wei? genau, wenn Sie nichts sagen, dann bleibt Thomas Herrick so stumm wie eine Nonne in einer Seemannskneipe!»

«Ich will daran denken. «Sie sah zu Pascoe hinuber.»Passen Sie gut auf alle auf. Ich habe das seltsame Gefuhl, da? etwas Gro?es passieren wird. «Sie erschauerte. Und vielleicht nichts Gutes.»
        Bolitho sah ihr nach, als sie mit dem Bootsmannsstuhl ins Boot abgefiert wurde, und ging dann nach achtern. Langsam, schmerzhaft langsam kamen die Marssegel der Buzzard um das nordliche Vorland.

«Eine nette Dame, Sir«, sagte Pascoe.»Bi?chen wie Tante Nancy.»

«Aye. «Bei dieser Bemerkung stand ihm seine Schwester in Fal-mouth, die ihn immer zu bemuttern versuchte, obwohl sie junger war als er, ganz deutlich vor Augen.
        Pascoe sprach weiter.»Es hei?t, Lord Nelson segelt ins Mittelmeer, Sir?»

«Gott sei Dank merkt endlich jemand, da? hier eine ernsthafte Bedrohung entsteht. Die Schlacht, und es wird eine Schlacht geben, kann entscheidend sein. Deswegen haben wir noch eine Menge Arbeit zu erledigen, bevor die Sonne untergeht.»
        Er sah Pascoes betroffenes Gesicht und mu?te lacheln.»Was ist denn, Adam? Hast du was dagegen, da? Nelson kommt? Er ist der Beste, den wir haben, und der Jungste. Das allein mu?te dir doch schon zusagen!»
        Lachelnd schlug Pascoe die Augen nieder.»Wei?t du, was vorhin ein Matrose zu mir gesagt hat? Wir haben unseren eigenen Nelson!»

«Blodsinn! Du bist ja ebenso schlimm wie dieser Allday!«sagte Bolitho und ging zur Leiter.
        In der Nacht sa? er in der ungewohnt eleganten Kajute der Osiris, schrieb einen Bericht uber seine Vermutungen zur Lage und horchte auf das Knirschen und Murmeln am Schiffsrumpf. Der Wind hatte leicht aufgefrischt und bereits nach Nordwest gedreht. Die Schaluppe Harebell, die kurz vor dem Dunkelwerden ausgelaufen war, wurde schwer vorankommen und standig kreuzen mussen, hin und her, um wenigstens die Hohe zu halten.
        Er dachte an Javals dunkles Gesicht, der an Bord gekommen war, uberrascht, den Kommodorewimpel auf der Osiris zu sehen, und dann erleichtert, weil Farquhar noch nicht Kommodore war. Er hatte die Schiffe an dem verabredeten Treffpunkt nicht gefunden und von einem Fischer erfahren, sie lagen in Syrakus vor Anker. Daraufhin hatte er eine zweite Patrouille in der Stra?e von Messina gefahren und war bei wechselndem Wind noch weiter nordwarts gesegelt, in der Hoffnung, weitere Nachrichten zu bekommen.»Ich will mich nicht herausreden, Sir«, hatte er gesagt. Ich bin Unabhangigkeit gewohnt, aber ich mi?brauche sie nicht. Ich lief Neapel an und suchte den dortigen britischen Gesandten auf. Schlie?lich mu?te ich ja Informationen mitbringen. «Seine harten Zuge hatten sich bei diesen Worten etwas entspannt.»Hatte ich gewu?t, da? Sie auf einer eigenen, ah, Expedition waren, Sir, dann ware ich nach La Valetta gesegelt und hatte Sie 'rausgeholt, trotz aller Malteserritter.»
        Javal kannte Bolithos weiche Stelle. Auch er war Kommandant einer Fregatte gewesen, und wenn er ubersturzt gehandelt hatte, indem er Yves Gorse aufsuchte, so deswegen, weil ihm jene Zeit immer noch im Blut lag. Vielleicht hatte Javal diesen Punkt angetippt, um Bolitho nachsichtiger zu stimmen.

«Sir William Hamilton mag ja ein alter Herr sein«, hatte Javal weiter berichtet, aber er besitzt ausgezeichnete Verbindungen und wei? sehr gut, was vorgeht.»
        Bolitho unterschrieb seinen Bericht und starrte auf die Schottwand. Sein gebraunter, abgewetzter Degen wirkte seltsam fremd an diesem reichgeschnitzten Paneel.
        Sir William hatte uber sein Netz von Mittelsmannern und Spionen in Erfahrung gebracht, da? der einzige Mann, der uber die nachsten Wochen und Monate entscheiden konnte, schon auf dem Weg nach Toulon war. Und dieser Mann verschwendete seine Zeit nicht mit leeren Gesten.
        Sein Name war Bonaparte.



        XIV Am Ziel

        Jede Hoffnung auf eine schnelle Reise nach Korfu, oder darauf, da? Javals Ausguck die Lysander irgendwo weit vor dem verminderten Geschwader sichten wurde, zerschlug sich innerhalb weniger Tage nach dem Ankerlichten. Der Wind drehte nach Norden und frischte stark auf; alle Mann waren mit fieberhafter Eile beim Segelbergen, und sogar der Master der Osiris war uberrascht von dem unberechenbaren Wetter. Der Wind fegte jetzt von der Adria herunter und verwandelte die sanfte blaue Dunung in eine Wuste schaumkopfi-ger, steiler Wogen; der Himmel uber den schwankenden Masten war eine einzige dichte Wolkenbank.
        Tag um Tag trotzten die beiden Linienschiffe mit ihren schweren Rumpfen dem Sturm, und hinter den dichtgemachten Stuckpforten qualten sich die Mannschaften mit dem ewigen Rollen und Stampfen des Schiffs herum, jeden Moment gewartig, da? die Bootsmannspfeifen schrillten und es hie?:»Alle Mann auf zum Marssegelreffen!«Und dann kampften sie oben den gefahrvollen Kampf gegen den Wind, auf den Fu?pferden stehend, den Leib gegen die schwankende Rah gepre?t, Hand uber Hand, Zoll fur Zoll, die morderische Leinwand einholend.
        Die Buzzard, die solchem Wetter nicht gewachsen war, wurde aus dem Verband entlassen und konnte vorm Wind davonsegeln, so da? die verbleibenden Schiffe mit dem Heulen des Sturmes und dem Donnern der uberkommenden, alles durchweichenden See alleinblieben wie in einer Arena, die noch dazu immer kleiner wurde. Denn stundlich verschlechterte sich die Sicht, kaum noch waren Regen und Spritzwasser voneinander zu unterscheiden, und aus welcher Richtung sie der Wind in der nachsten Minute anfallen wurde, wu?te keiner vorauszusagen.
        Bolitho selbst kam sich in diesen endlosen Tagen vor, als ginge die Osiris ihn im Grunde gar nichts an. Die Gesichter, die er an Deck sah, waren ihm fremd; die Gesprachsfetzen, die sein Ohr erreichten, bedeuteten ihm nichts. Auch Farquhar kam ihm ganz anders vor. Mehrfach hatte der Kommandant Ausbruche von Jahzorn gehabt, die selbst den toleranten Outhwaite erschreckten; einmal hatte er einen Bootsmannsmaaten angeschnauzt, weil dieser nicht hart genug zugeschlagen hatte, als ein Mann in einer Sturmbo nicht aufentern wollte. Der Bootsmannsmaat hatte erklaren wollen, da? der Betreffende kein richtiger Seemann sei, sondern ein Kufersmaat. Denn bei dem Sturm hatten so viele Matrosen Verletzungen erlitten, da? der Bootsmannsmaat, genau wie die Offiziere, die Leute hernehmen mu?ten, wo er sie kriegen konnte.

«Keine Widerrede!«hatte Farquhar gebrullt.»Sie haben ja schon selbst Leute gepeitscht! Wenn Sie mir noch einmal wiedersprechen, dann werden Sie selbst spuren, wie das tut!»
        Und der Mann wurde mit Schlagen hinaufgetrieben, rutschte vom Fu?pferd ab und fiel uber Bord, ohne da? man auch nur einen Schrei horte.
        Wie mochte wohl Herrick diesen Sturm abwettern, und wo mochte er in diesen schrecklichen Tagen sein? fragte sich Bolitho immer wieder.
        Farquhar jedoch meinte:»Wenn dieses Mistwetter nicht ware, hatte ich die Lysander schon langst eingeholt!»
        Bolitho hielt das fur leeres Gerede.»Glaube ich kaum«, hatte er erwidert.»Die Lysander ist das schnellere Schiff. Und sie wird gut gefuhrt.»
        Das mochte Farquhar gegenuber unfair sein; doch dem war Herricks Schicksal anscheinend so gleichgultig, da? Bolitho sich alle
        Muhe geben mu?te, um nicht noch ofter solche bissigen Bemerkungen zu machen. Wie die vorwurfsvolle Stimme des Gewissens vernahm er in seinem Innern immer wieder die Worte: Es war deine Entscheidung. Du hast Herrick zu hart angefa?t. Du warst zu ungeduldig. Es ist deine Schuld.
        Und dann, eine Woche nach Syrakus, flaute der Sturm ab und drehte auf Nordwest; doch als der Himmel wieder klar und die See tiefblau war, wu?te Bolitho, da? es tagelanges muhsames Kreuzen kosten wurde, die Distanz wieder aufzuholen, die sie wahrend des Sturmes eingebu?t hatten.
        Jedesmal, wenn er an Deck war, fiel ihm auf, da? die Offiziere der Wache ihm auswichen und sorgfaltig vermieden, ihm bei seinen einsamen Gangen auf der Kampanje naher zu kommen. Seine selbstgewahlte Einsamkeit gab ihm Zeit zum Nachdenken; aber ohne neue Informationen war das, als pfluge man altes Land um, weil man nichts zu saen hatte.
        Am Vormittag des neunten Tages studierte er in seiner Kajute die Karte und trank einen Krug Ingwerbier dazu - Farquhar hatte sich davon einen guten Vorrat zum eigenen Verbrauch mitgenommen.
        Farquhar wurde sich ins Faustchen lachen, wenn in Korfu schlie?lich doch nichts zu Tage kam, was Bolithos Theorien bestatigte! Naturlich wurde er sich nichts anmerken lassen, aber innerlich wurde er lachen. Denn dann hatte er nicht nur korrekt gehandelt, sondern auch bewiesen, da? er einen weit besseren Kommodore abgeben wurde als Bolitho.
        Sir Charles Farquhar. Komisch, da? ihn der neue Titel dieses Mannes so irritierte. Er wurde vielleicht schon so wie Herrick. Nein, es sa? tiefer. Es war, weil Farquhar sich den Titel nicht verdient hatte; jetzt, da er ihn besa?, konnte ihm nichts mehr entgehen. Man brauchte nur in die Rangliste der Marine zu schauen, dann wu?te man, wo die Beforde rungen hinfielen. Bolitho dachte an Pascoes Worte und mu?te lacheln. Die >Nelsons< dieser Welt holten sich ihren Titel auf dem Schlachtfeld oder angesichts einer feindlichen Breitseite. Die mehr Gluck hatten und an Land sa?en, bewunderten zwar ihren gefahrvollen Aufstieg, hatten sich aber kaum ernstlich an ihre Stelle gewunscht.
        Ruhelos wanderte Bolitho in der Kajute umher. Uber sich horte er die Matrosen an und uber Deck arbeiten. Splei?en, nahen, kalfatern - nach einem Sturm war das doppelt so wichtig wie sonst. Er mu?te wieder lacheln. Die mehr Gluck hatten und an Land sa?en. Im tiefsten Herzen wu?te er: mit allen Mitteln hatte er sich gegen einen Posten in der Admiralitat oder in einem Marinehafen gestraubt.
        Er trat zur Karte und studierte sie aufs neue: Korfu. Eine lange, spindelformige Insel, die aussah, als wolle sie sich in die Buchten und Vorsprunge der griechischen Kuste fugen. Eine enge Zufahrt von Suden, etwa zehn Meilen breit - knapper Seeraum fur ein Vollschiff. Im Norden waren es noch weniger. Hatten die Franzosen tatsachlich Artillerie auf der Steilkuste plaziert, so war ein Passieren der reine Selbstmord. Zwischen der Insel und dem Festland lag zwar eine Art Binnensee - zehn Meilen breit, zwanzig Meilen lang - , aber das wirkliche Risiko waren die beiden engen Durchfahrten im Norden und im Suden. Au?erdem lag der einzige gute Ankerplatz an der Ostkuste; also war keine wie immer geartete Uberraschungsaktion moglich. Das mu?te Herrick ebenfalls wissen. Er war dickkopfig und zu allem entschlossen, aber kein Dummkopf und war auch nie einer gewesen.
        Bolitho mu?te plotzlich an die junge Witwe denken, Mrs. Bos-well. Seltsam - nie hatte er sich Herrick als Ehemann vorstellen konnen. Aber sie war genau die Richtige fur ihn. Sie wurde bestimmt nicht tatenlos dabeistehen, wenn andere seine Gutmutigkeit ausnutzten. Sie hatte es nie geduldet, da? er vor den Aufgaben eines Flaggkapitans kapitulierte.
        Er richtete sich auf und wunderte sich, da? er jetzt an solche Dinge denken konnte. Er verfugte nur uber zwei Schiffe, und vielleicht fand er die Lysander uberhaupt nicht. Aber was auch geschehen mochte - er war im Begriff, in die Verteidigung des Feindes einzudringen, und das in einem Seegebiet, das ihm fast unbekannt war, abgesehen von dem, was er aus Seekarten und Navigationshandbuchern entnehmen konnte.
        Es klopfte, und der Posten meldete:»Midshipman der Wache, Sir!«Der rothaarige Breen trat ein.

«Nun, Mr. Breen?«fragte Bolitho freundlich. Seit der Rettung durch die Harebell hatte er noch nicht wieder mit ihm gesprochen.

«Kommandant la?t mit allem Respekt melden, Sir, da? der Ausguck ein Segel in Nordwest gesichtet hat. Ist aber noch nicht zu identifizieren.»

«Aha.»
        Bolitho blickte auf die Karte. Selbst unter Berucksichtigung der Abdrift durch den Sturm konnte ihre Position nicht allzusehr von der Berechnung abweichen. Der Bug der Osiris zeigte ungefahr nach Nordost, und bei etwas Gluck wurden sie die hochste Bergkette an der Sudspitze von Korfu noch vor Einbruch der Dunkelheit in Sicht bekommen. Die Buzzard war vor dem Sturm davongesegelt. Javal wurde sich also beeilen, wieder zum Geschwader zu sto?en, und konnte sogar schon an diesem Tag auftauchen; er mu?te jedoch von Suden kommen, nicht von Nordwesten wie dieses unbekannte
        Schiff.

«Wie gefallt es Ihnen im Midshipmanslogis der Osiris?«fragte Bolitho.
        Der Junge sah an ihm vorbei auf den hohen Umri? der Nicator, die achtern etwa drei Kabellangen entfernt segelte.»N… nicht besonders, Sir. Man behandelt mich ja soweit ganz anstandig, aber.»
        Bolitho nickte nachdenklich. Ebenso wie die Leutnants kamen auch die meisten Midshipmen der Osiris aus guten Familien. Es war deutlich zu merken, da? sich Farquhar Offiziere wie Kadetten sehr sorgfaltig ausgesucht hatte. Da? ein Kommandant den Sohn eines alten Freundes als Midshipman einstellte oder jemandem aus anderen Grunden einen Gefallen tun wollte, war durchaus ublich. Farquhar hatte anscheinend fur sein Schiff von diesem Gewohnheitsrecht ausgiebig Gebrauch gemacht.
        Breen schien sich verpflichtet zu fuhlen, noch etwas zu sagen.»Ich denke dauernd an diesen Matrosen, Larssen. Aber ich bin schon wieder in Ordnung, Sir. Tut. tut mir leid, da? ich mich damals so angestellt habe.»

«Das braucht Ihnen nicht leid zu tun. Ein Degen mu? sich biegen konnen. Wenn er zu starr ist, bricht er gerade dann, wenn man ihn am notigsten braucht.»
        Warum versuchte er, Breen vor dem Unvermeidlichen zu bewahren? Jeder mu?te das fruher oder spater durchmachen. Er erinnerte sich, was er seinerzeit als junger Leutnant nach einer Seeschlacht empfunden hatte. Wenn die Kanonen donnerten und der wilde Kampf tobte, blieb keine Zeit, den Toten Achtung zu erweisen oder sich um die Verwundeten zu kummern. Die Toten, ob Freund oder Feind, gingen uber Bord, und die Schreie der Verwundeten verstarkten nur den Kampfeslarm. Wenn die Kanonen dann schwiegen und die Schiffe auseinandertrieben, so zerschossen, da? keiner wu?te, war er Sieger oder Besiegter, dann war die See mit treibenden Leichen bedeckt. Manchmal, wenn der Wind wahrend des Gefechtes abflaute, als hatte er Angst vor der Wildheit des Kampfes, schwammen sie noch zwei Tage lang um das Schiff, und man mu?te mit ihrem Anblick leben. An dergleichen dachte er oft und wurde es nie vergessen.

«Hier - trinken Sie ein Glas Ingwerbier«, sagte er freundlich. Der arme Breen mit seinen rauh geschrubbten Handen und seinem schmuddeligen Hemd glich eher einem Schuljungen als einem Offizier des Konigs. Aber wer in seinem Stadtchen oder seinem Dorf hatte Malta gesehen? Hatte ein Seegefecht mitgemacht? Und wie viele hatten uberhaupt eine Ahnung von der Starke und Reichweite der Flotte, von ihrem Material und ihren Mannern?
        Farquhar, ein Teleskop in der Hand, stand im Turrahmen und warf einen kalten Blick auf den Jungen, der eben genu?lich einen Schluck nahm.

«Das Segel ist wieder au?er Sicht, Sir.»

«Die Lysander kann es nicht gewesen sein?»

«Zu klein. «Farquhar scheuchte Breen mit einer kurzen Kopfbewegung hinaus und fuhr fort:»Eine Brigg, meint der Ausguck. Ein guter Mann. Irrt sich kaum.»
        Jetzt, da der Sturm vorbei war, hatte sich Farquhar wieder besser in der Gewalt. Vielleicht spielte er das alte Wartespiel: danebenstehen und sehen, was aus Bolitho wurde.
        Dieser ging ans offene Heckfenster, lehnte sich hinaus und blickte in die kleinen, blasenwerfenden Wirbel, die um das Ruder spielten. Ein schoner klarer Himmel, und die scharfe Kimm hinter dem dicken Rumpf der Nicator blieb leer. Die Brigg mu?te mehr von den beiden Linienschiffen gesehen haben als diese von ihr.

«Sagen Sie den Ausgucks, sie sollen besonders gut aufpassen. Schicken Sie ihnen auch Teleskope hinauf.»

«Sie halten die Brigg fur ein franzosisches Schiff, Sir?«fragte Farquhar neugierig.»Sie kann uns doch wenig schaden.»
        Er sah Farquhar unbewegt an.»Vielleicht. Mein Schwager in Falmouth besitzt eine gro?e Farm und viel Land. Er hat auch einen Hund. Wenn ein Wilderer oder Vagabund sich auf seinem Grund und Boden sehen la?t, spurt der Hund ihn auf. Aber er bellt nicht und bei?t nicht - bis der Fremde in Schu?weite einer Flinte kommt.»
        Farquhar starrte auf die Karte nieder, als gabe es da etwas Besonderes zu sehen. Sie meinen, sie verfolgt uns, Sir?»

«Schon moglich. Die Franzosen haben hier viele Freunde. Die sind nur zu gern bereit, Nachrichten zu ubermitteln, denn das konnte ihnen das Leben erleichtern, wenn die Trikolore ihren Besitz erst vergro?ert hat.»
        Unsicher erwiderte Farquhar:»Und selbst wenn dem so ist, Sir, konnen die Franzosen doch nicht wissen, wie stark wir in Wirklichkeit sind.»

«Sie sehen jedenfalls, da? wir keine Fregatte haben. Wenn ich ein franzosischer Admiral ware, fande ich diese Information sehr wertvoll.»
        Er ging zur Tur. Aus der Tiefe seines Hirns stieg eine Idee auf.»Rufen Sie doch mal Ihren Segelmacher, ja? Ich komme gleich nach oben.»
        Auf dem Achterdeck hielten mehrere Matrosen neugierig mit der Arbeit inne und werkten dann mit vermehrtem Eifer weiter. Vielleicht dachten sie, Bolitho sei von seinem Fieber noch etwas durcheinander. Er lie? sich von der leichten Brise abkuhlen und lachelte vor sich hin. Immer noch trug er sein spanisches Hemd und hatte es abgelehnt, sich von Farquhar etwas zum Anziehen zu leihen. Seine Sachen waren noch auf der Lysander. Wenn er Herrick fand, bekam er auch seine Sachen. Und Herrick wurde er finden.

«Sir?«Der Segelmacher trat herzu und beaugte ihn ebenso neugierig wie mi?trauisch.

«Wieviel Ersatzleinwand haben wir? Ausbesserungsmaterial meine ich, keine neuen Segel.»
        Nervos blickte der Mann Farquhar an, doch dieser befahl kurz:»Sag schon, Parker!»
        Der Segelmacher zahlte eine lange Liste von Rollen, Stucken und Abschnitten auf - erstaunlich, was der Mann alles im Kopfe hatte.

«Danke, ah, Parker. «Bolitho ging zur Steuerbordlaufbrucke und sah von dort aus zum Vorschiff.»Ich will fur jede Bordwand eine lange Bahn Leinwand, die langs der Webleinen gespannt wird. Zusammengenaht aus Segeltuch oder dergleichen, irgendwelchen Stucken, die wir vielleicht fur Sonnensegel oder als Windschutz aufgehoben haben. «Er sah ihm unbewegt in das verwirrte Gesicht.»Konnt ihr das hinkriegen?»

«Ja, das hei?t, es ginge schon, wenn. «Hilfeflehend blickte er seinen Kommandanten an.
        Der lie? ihn nicht im Stich.»Wozu das, Sir? Ich glaube, wenn der Mann wu?te, was Sie vorhaben, und, nebenbei bemerkt, ich auch, dann wurde es die Sache sehr erleichtern.»
        Bolitho lachelte sie beide an.»Wenn wir Vorschiff und Achterschiff auf diese Weise verbinden und dann die Leinwand in der Farbe des Schiffsrumpfes bemalen, mit schwarzen Quadraten in regelma?igen Abstanden - «, er lehnte sich uber die Reling und deutete auf die Stuckpforten der Achtzehnpfunder - ,»dann konnte die Osiris als Dreidecker durchgehen, nicht wahr?»
        Erstaunt schuttelte Farquhar den Kopf.»Verdammt, Sir, das mag klappen. Aus einiger Entfernung wurden wir wie ein Erster-Klasse-Schiff aussehen, ganz bestimmt! Dann werden die Frogs sich die Kopfe daruber zerbrechen, wie viele Schiffe wir eigentlich hier haben.»
        Bolitho nickte.»Unter Land segelnd, hatten wir vielleicht eine Chance. Aber auf eine Schlacht im offenen Gewasser konnen wir uns nicht einlassen, ehe wir nicht genau uber die Starke des Feindes Bescheid wissen. Ich mochte bezweifeln, da? die Franzosen viele Linienschiffe hier haben. Brueys wird sie sich aufheben, um seine Transporter zu schutzen. Aber wissen mu? ich es.»

«An Deck! Segel an Backbord achteraus!»

«Da ist unser Irrlicht wieder«, sagte Bolitho.»Sowie es Abend wird, fangen wir mit der Verkleidung an. In der Nacht konnen wir uber Stag gehen und unserem wi?begierigen Freund vielleicht entwischen.»
        Wieder kam ein Ruf, und sie sahen hoch.»Segel in Lee voraus!»

«Kriegen wir noch mehr Gesellschaft?«Bolitho stie? den Segelmacher in die Rippen. Fangen Sie mit Ihren Maaten an, Parker! Ihr seid vielleicht die ersten in der Marinegeschichte, die ein Kriegsschiff aus Leinwandstreifen bauen!»
        Pascoe enterte eilig zu dem Ausguck auf, der die letzte Meldung gemacht hatte. Das gro?e Teleskop, das an einer Schnur uber seiner Schulter hing, behinderte ihn etwas, doch er kletterte die Wanten hoch wie eine Katze.
        Sekunden spater rief er hinunter:»Es ist die Buzzard, Sir!»

«Wird auch Zeit«, murmelte Farquhar.

«Signal an die Buzzard«, sagte Bolitho. »Die Spitze des Geschwaders ubernehmen!»

«Es wird noch ein Weilchen dauern, bis sie auf Signaldistanz ist, Sir. Sie mu? sich Zoll fur Zoll gegen den Wind herankampfen«, wandte Farquhar ein.

«Sie kann das Signal noch nicht sehen, Captain. Aber die Brigg kann das. Dann wei? der Kommandant, da? noch mindestens ein anderes Schiff in der Nahe ist. Daran hat er was zu kauen.»
        Bolitho legte die Hande auf dem Rucken zusammen. Der Bootsmann und einige Matrosen ruhrten bereits Farbe an; andere zerrten die Leinwand auf das Oberdeck.
        Langsam ging Bolitho in Luv auf und ab und beschwor im Geiste die Marssegel der Buzzard, sie mochten schneller uber die Kimm steigen. Drei Schiffe statt zwei. Er dankte Gott, da? Javal sich solche Muhe gegeben hatte, ihn zu finden. Schwach mochten sie ja sein, aber blind waren sie jetzt nicht mehr.
        Wahrend die Osiris und die Nicator mit Langsamstfahrt nach Nordost zogen und Javals Fregatte in endlosem Zickzackkurs zu ihnen aufkreuzte, war das verwischte Stuckchen Leinwand des Spahers kaum jemals au?er Sicht.
        Den ganzen Nachmittag, wahrend der Segelmacher und seine Maaten mit gekreuzten Beinen auf jedem freien Stuck Deck sa?en, die Kopfe gebeugt, mit blitzenden Nadeln und metallenen Handschutzern arbeitend, lief Bolitho auf der Kampanje herum. Manchmal ging er auch in die Kajute, um sich ein paar Minuten auszuruhen.
        Bis zur zweiten Hundewache,[Damals die beiden Wachen von 16 bis 18 und von 18 bis
20 Uhr. Die geteilte Wache sollte den Wachrhythmus andern, damit nicht immer dieselben Leute die unangenehme Wache von 0 bis 4 Uhr hatten.] als der Ausguck» Land in Sicht «aussang, nahm Bolitho an, da? die spionierende Brigg jetzt uberzeugt sei, das Geschwader, ob nun gro? oder klein, segle tatsachlich nach Korfu.
        Durch die Wanten musterte er eindringlich den purpurnen Schatten, das Land, und stellte sich die Insel vor. Der Kommandant der Brigg hatte sich zu starr an seine Order gehalten und war zu lange geblieben. Jetzt kam ihm die Nacht uber den Hals, und er mu?te bis zum Morgen warten, um seine Meldung an den Mann zu bringen. An seiner Stelle, dachte Bolitho, hatte er das Mi?fallen des Admi-rals riskiert und die Jagd schon lange vorher abgebrochen. Er konnte dem Admiral weit mehr nutzen, wenn er neben dem Flaggschiff lag, statt sich die ganze Nacht an dieser gefahrlichen Kuste herumzutreiben. Die Brigg war zu neugierig gewesen. An sich nichts Schlimmes, aber in diesem Falle vielleicht entscheidend.
        Bolitho ging wieder in die Kajute. Dort wartete Farquhar mit Veitch und Plowman auf ihn.

«Sie wollten diese beiden sprechen, Sir?«sagte Farquhar.
        Bolitho wartete, bis der Steward eine Laterne uber der Karte aufgehangt hatte.

«Also, Mr. Plowman. Ich brauche einen tuchtigen Freiwilligen, der an Land rekognosziert.»
        Der Steuermannsmaat beugte sich uber die Karte und studierte die Klippen und Untiefen der Westkuste. Dann grinste er bedachtig.»Aye, Sir. Wei? schon, was Sie meinen.»
        Farquhar fuhr dazwischen:»Was denn, Sir, Sie wollen Leute bei Nacht an die Kuste schicken?»
        Bolitho gab keine direkte Antwort. Er sah einfach Plowman an und fragte:»Trauen Sie sich das zu? Wenn es nicht so wichtig ware, wurde ich es Ihnen nicht zumuten.»

«Hab schon Schlimmeres gemacht. Einmal in Westafrika. «Er seufzte.»Aber das ist 'ne andere Geschichte, Sir.«»Gut.»
        Bolitho sah ihn ernst und nachdenklich an. Vielleicht forderte er zu viel, schickte Plowman und andere in den Tod. Er spielte mit dem Gedanken, selbst mitzugehen; doch er wu?te, das ware so oder so sinnlos gewesen. Weder personliches Geltungsbedurfnis noch verzweifelte Tollkuhnheit oder die qualende Ungewi?heit durften eine Rolle spielen. Er wurde hier gebraucht, und das sehr bald.
        Zu Farquhar sagte er:»Sie brauchen einen Kutter und eine verla?liche Mannschaft.
«Dann wandte er sich an Veitch:»Sie befehligen die Landeabteilung. Suchen Sie sich Ihre Leute sorgfaltig aus. Manner aus dem Bergland, die ein bi?chen klettern konnen und nicht gleich von jeder Klippe fallen.»
        Der Leutnant hatte erst sehr ernst dreingesehen; jetzt anderte sich das: Befriedigung, Stolz sogar, weil er eine so schwierige Mission selbstandig ausfuhren sollte. Wenn Bolitho Zweifel hegte, dann lagen sie bei ihm selbst. Veitch hatte bereits seinen Wert und sein Konnen unter Beweis gestellt.
        Plowman studierte immer noch die Karte.»Das hier - «, er stie? mit einem dicken Finger zu - ,»konnte passen. Und Mond haben wir heute auch. Wir konnen bis dicht unter Land segeln, nur das letzte Stuck rudern wir.»

«Sie haben die ganze Nacht Zeit, um an Land zu kommen«, sagte Bolitho.»Aber morgen mussen Sie zu erfahren versuchen, was da vor sich geht. An der Stelle, die Sie ausgesucht haben, ist die Insel ungefahr funf Meilen breit. Die Berge sind tausend Fu? hoch oder mehr. Von dort oben mu?ten Sie so viel sehen konnen, wie fur uns wichtig ist.»
        Nachdenklich sagte Veitch:»Es wird vielleicht schwierig sein, den Kutter zu verstecken, Sir.»

«Sehen Sie zu, was sich tun la?t. Notfalls mussen Sie ihn versenken. Ich lasse Sie dann spater abholen.»
        Farquhar rausperte sich laut.»Uber eines mu? man sich klar sein, Sir: Die ganze Abteilung kann auch sofort bei der Landung gefangengenommen werden.»
        Bolitho nickte grimmig. Also raumte selbst Farquhar jetzt ein, wie ernst die Lage hier in Wirklichkeit war - der Feind war auch fur ihn eine Tatsache, kein Schatten.

«Ubermorgen, bei Sonnenaufgang, greifen wir von Suden her an. Wenn Mr. Veitch herausfinden kann, wo die Kustenbatterien stehen, wird es leichter fur uns. «Er mu?te uber ihre grimmigen Gesichter lacheln.»Unser Besuch wird ihnen auf jeden Fall unwillkommen sein, furchte ich.»
        Veitch atmete gerauschvoll aus.»Wir werden unser Bestes tun, Sir. Hoffentlich haben die Franzosen keine von ihren neuen Geschutzen langs der Kuste plaziert.»

«Das bezweifle ich. «Bolitho stellte sich vor, wie diese weitreichende Artillerie seine kleine Streitmacht zerschmettern konnte, ehe sie uberhaupt zum Einsatz kam. Die hebt sich Bonaparte fur wichtigere Dinge auf.»
        Veitch und Plowman gingen, um ihre Mannschaft zusammenzustellen und auszurusten. Ich mochte meinen Signaloffizier sprechen«, sagte Bolitho zu Farquhar.»Morgen segeln wir in unserer neuen Verkleidung nordwarts; aber die Buzzard bleibt in Luv. Vielleicht hat Javal Gluck und schnappt diese Brigg oder einen anderen Spion, wenn er gerade an der richtigen Stelle ist. Ein weiteres Schiff unter unserer Flagge ware mir hochst willkommen.»
        Er sah sich im Geiste wieder in Spithead auf das Boot warten, das ihn zur Fregatte bringen sollte. Und dann die Fahrt nach Gibralter, zur Lysander, und all die zahllosen Stunden, die er seitdem gesegelt war. Hierher. In einem Kreuzchen auf der Karte. Ihn frostelte trotz der druckenden Hitze. Es war beinahe symbolisch. Und gerade jetzt hatte er Herrick am notigsten gebraucht: seine Treue, seine Anhanglichkeit. Was mochte wohl Farquhar wirklich uber diese Unternehmung denken? Sah er sie als eine Chance, seinen neuen Adelstitel mit Ruhm zu bekranzen? Oder nur als das Ende all seiner Hoffnungen?
        Sie spielten das Risiko herunter, das taten sie vorher immer. Aber er verlangte viel von jedem einzelnen. Zuviel. Wenn die Schlacht erst in Gang war, zahlten die Sache und die gro?en Ideale wenig. Es kam darauf an, wie schnell man feuern und nachladen konnte. Wieviel Kraft man in sich hatte, um den furchtbaren Anblick, den ohrenbetaubenden Donner auszuhalten.
        Er schuttelte die lastende Depression ab.»Nun, Captain Farquhar - «, auch der schreckte aus tiefen Gedanken hoch - ,»wir werden es zusammen schaffen, und wenn einer von uns fallt, wird der andere weitermachen. So oder so - getan werden mu? es.»
        Farquhar blickte sich in der stillen Kajute um.»Ja - das sehe ich jetzt ein.»
        Ein paar Stunden bevor es ganz hell war, erschienen die Obersegel der Brigg aufs neue, beruhrten die Kimm, blieben aber vorsichtig weit in Luv. Entweder hatte der Kommandant in der Nacht ein Boot mit seiner Meldung an Land schicken konnen, oder ihm lag sehr viel daran, mehr uber Bolithos Schiffe zu erfahren.
        Und Bolitho sorgte dafur, da? der Spaher moglichst viel zu sehen bekam und scharf aufpassen mu?te. Pascoes Signalgasten hi?ten allerlei sinnlose Flaggen, die von der Nicator und der Buzzard ebenso eifrig bestatigt wurden. Und dann, als Bolitho ein echtes Signal gab, um seine Kommandanten an Bord zu rufen, spielte er seine andere Karte aus: Mit backgestellten Segeln drehte die Osiris in den Wind, prasentierte dem fernen Schiff ihre Breitseite und den falschen, aber eindrucksvoll hohen Rumpf eines Dreideckers.
        Als Javal in seiner Gig eintraf, rief er bewundernd:»Ich dachte schon, ich sehe Gespenster, Sir. Oder St. Vincent ware mit seinem Flaggschiff da! Von meiner Gig aus sieht sie Zoll fur Zoll aus wie ein Erster-Klasse-Schiff!»
        Probyn war nicht so begeistert.»Eine originelle Idee, das ist richtig. Aber mit bemalter Leinwand konnen Sie nicht schie?en!»
        Und wieder einmal musterte Bolitho in der gro?en Kajute seine Kommandanten. Javal sah zwar nach seinem langen Kampf gegen See und Wind ziemlich mitgenommen aus, war aber sonst guten Mutes. Farquhar war bleich und hatte schmale Lippen, aber jedes Haar, jeder Knopf sa?en genau richtig. Probyn war so unordentlich und mi?gelaunt wie stets. Er konnte die Augen kaum offenhalten, und auf seinen Wangen glomm eine dunkle Rote, die nicht nur von Wind und Wetter stammte. Er trank anscheinend wieder, und zwar starker als sonst. Seltsamerweise hatte Bolitho ganz vergessen, da? Probyn schon damals trank, als sie beide noch Leutnants waren. Mehr als einmal war er fur ihn Wache gegangen oder hatte ihm sonst eine Gefalligkeit erwiesen. Erledigen Sie das mal, Dick«, hatte der Erste genaselt,»der arme alte George ist mal wieder blau.»
        Er wartete, bis jeder ein Glas von Farquhars Rotwein vor sich hatte, und sagte dann gelassen:»Morgen, Gentlemen, machen wir unser Spielchen. Ich werde hoffentlich Mr. Veitch und seine Abteilung heute nacht wohlbehalten abholen. Was er mir berichtet, kann unsere Taktik andern, aber der Zeitpunkt unseres Angriffs bleibt derselbe.»
        Probyn blickte vor sich nieder.»Und wenn er nicht zuruckkommt?«»Dann tappen wir eben im dunkeln.»
        Er dachte an Veitch druben auf Korfu. Die Bauern, wenn er das Pech hatte, auf welche zu sto?en, wurden ihn und seine Leute vielleicht fur Franzosen halten. Schwer zu sagen, ob das gunstig war oder nicht. Veitch hatte sich bereits als ein Mann von Intelligenz und Geistesgegenwart erwiesen. Falls er die Aktion auf der Insel uberlebte, wollte Bolitho dafur sorgen, da? er zur au?erplanma?igen Beforderung vorgeschlagen wurde. Er hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, ihm das vorher zu sagen, hatte es aber dann doch nicht getan. So ein Versprechen konnte einen Ehrgeizigen zu vorsichtig, einen Eifrigen zu tollkuhn machen.

«Wir haben den Feind merken lassen, da? ein Angriff bevorsteht. Er kennt unsere Starke immer noch nicht, aber da er jetzt wahrscheinlich glaubt, da? wir einen Dreidecker bei uns haben, mu? er sich uber seine Verteidigung klarwerden. Oder uber einen Gegenangriff.»
        Probyn klopfte mit seinem leeren Glas auf den Tisch und sah den Steward bedeutsam an. Dann fragte er:»Warum warten wir nicht lieber ab, Sir? Aufpassen und abwarten, bis wir Unterstutzung bekommen - ware das nicht besser?«Er warf einen Blick aus den Augenwinkeln auf Farquhar.»Ja - wenn die Lysander hier ware, dann wurde ich anders reden. «Und ergo? ein neues Glas Rotwein hinunter.

«Warten? Dazu wissen wir nicht genug«, erwiderte Bolitho.»Jeden Tag kann der Feind versuchen, von Korfu auszulaufen; und wenn er zahlenma?ig so stark ist, wie ich annehme, dann haben wir keine Aussicht, ihn zuruckzuhalten. «Da er sah, da? Probyn immer noch nicht uberzeugt war, fuhr er fort:»Au?erdem kann die franzosische Flotte bereits nach Korfu unterwegs sein, um ihre Versorgungsschiffe von hier anderswohin zu eskortieren. «Er klopfte mit dem Glas auf die Karte.»Dann sitzen wir vor einer Leekuste fest, oder noch schlimmer, zwischen der Ostkuste der Insel und dem Festland - welche Chance haben wir dann?»
        Er behielt Probyn im Blick, wie um sein Einverstandnis zu erzwingen. Denn Captain George Probyns Aufgabe bei der Aktion konnte unter Umstanden die wichtigste sein. Morgen - es handelte sich nicht mehr um Tage, sondern nur noch um Stunden - war seine Nicator vielleicht das einzig uberlebende Schiff.
        Ruhig sprach er weiter:»Die Osiris wird in der Morgendammerung unbedingt in die sudliche Einfahrt vordringen. Die franzosischen Versorgungsschiffe ankern irgendwo funfzehn bis zwanzig Meilen weiter nordlich, und wenn wir erst einmal zwischen ihnen sind, wird es ein hei?er Tag fur alle Beteiligten. «Er sah, wie Javal sein hartes Gesicht zu einem Lacheln verzog.»Ich nehme an, die Franzosen sehen sich in einer starken Position. Sie wissen, da? wir kommen, und werden ihre vorhandene Artillerie an die Kuste verlegen, um unsere Annaherung zu verhindern.»
        Javal nickte.»Aye, das ist logisch. Einen Dreidecker mussen sie als echte Bedrohung ansehen.»
        Bolitho dachte an Grubb und wunschte, er ware hier. Der Master der Osiris war ein fahiger Mann, aber er besa? nicht Grubbs We t-terfuhligkeit. Er war Steuermann auf einem Indienfahrer gewesen, bevor er auf einem Schiff des Konigs angemustert hatte; bei der Handelsschiffahrt bedeutete schlechte Navigation nur Zeitverlust und allenfalls Gewinneinbu?e durch verdorbene Fracht. Sosehr es darauf ankam, was seine Besatzungen morgen leisten konnten - der Wind war beinahe ebenso wichtig.
        Er lie? diesen Gedanken fallen und sagte zu Probyn:»Sie segeln vor Morgengrauen an der Westkuste nach Norden. Zu gegebener Zeit nehmen Sie die nordliche Einfahrt - wie ich hoffe, ohne auf Widerstand zu sto?en. Die Verteidiger werden denken, die wirkliche Bedrohung komme von Suden, von uns. Wenn Fortuna - er hielt inne und sah im Geiste die Lachfaltchen um Herricks blaue Augen bei der Erwahnung seines Lieblingsausdrucks - »uns hold ist, dann werden wir dem Feind an der Stelle, wo es unserer Sache am meisten nutzt, einen harten Schlag versetzen. Und nun - Gott mit Ihnen!»
        Damit war die Besprechung zu Ende. Sie standen auf und gingen stumm hinaus. Dann horte Bolitho, wie Farquhar Anweisung gab, die Boote fur die Kommandanten heranzurufen.
        Zur anderen Kajutentur kam Allday herein und fragte:»Soll ich Ihnen nicht irgendwoher einen Uniformrock besorgen, Sir?«Anscheinend machte ihm Bolithos Aussehen mehr Kummer als das bevorstehende Gefecht.
        Von einem Heckfenster aus sah Bolitho das Boot Probyns in rascher Fahrt zur Nicator pullen. Er dachte an sein Schiff, die Osiris, und an die Manner, die sie in die Durchfahrt segelten, die auf ihr kampfen und notfalls sterben wurden. Sie war kein gluckhaftes Schiff. Osiris - Richter der Toten. Ihm wurde eiskalt.

«Das ist unwichtig, Allday. Morgen werden die Leute aufs Achterdeck schauen - Sie sagen ja immer, im Gefecht tun sie das. «Allday nickte.»Und dann sollen sie mich sehen - als einen der Ihren, nicht als einen weiteren Popanz in Paradeuniform. Dieses Schiff hat keine Warme. Disziplin, Seemannschaft, ja, aber…«Er zuckte die Achseln.

«Die Leute werden gut kampfen, Sir. Sie werden schon sehen.»
        Aber Bolitho konnte das uble Vorgefuhl nicht abschutteln.»Wenn mir etwas passieren sollte. «Er drehte sich nicht um, spurte aber, da? Allday zusammenfuhr.»Ich habe Vorsorge fur Sie getroffen, in Falmouth. Sie werden dort immer ein Zuhause finden, und es wird Ihnen an nichts fehlen.»
        Allday konnte sich nicht mehr beherrschen.»Ich will nichts davon horen, Sir! Nichts wird Ihnen passieren - es kann Ihnen gar nichts passieren!»
        Bolitho drehte sich um und sah ihn an.»So? Wollen Sie es verhindern?»

«Wenn ich kann. «entgegnete Allday bedruckt.

«Ich wei?. «Er seufzte tief auf.»Vielleicht kommt alles zu schnell hintereinander.


«Der Arzt hat recht, Sir. Ihre Wunde ist noch nicht richtig ausgeheilt, das Fieber hat Sie starker gepackt, als Sie zugeben wollen.
        Und Captain Farquhars Schiffsarzt ist nicht blo? ein Schlachter!«fuhr er bedeutsam fort.»Der ist ein richtiger Doktor. Dafur hat Mr. Farquhar gesorgt!»
        Bolitho lachelte nachdenklich. Das sah Farquhar ahnlich.»Mr. Pascoe soll zu mir kommen. Ich will Signale vorbereiten lassen.»
        Wieder allein, setzte er sich an den Tisch und starrte auf seine Karte, ohne etwas zu sehen. Er dachte an Catherine Pareja. Was sie jetzt wohl in London machte? Wenn sie auch schon zweimal verwitwet war, so hatte sie doch mehr Leben in sich als die meisten jungen Madchen, die frisch aus den Armen ihrer Mutter kamen. Niemals hatte sie vom Heiraten gesprochen, nicht einmal eine Andeutung gemacht. Irgend etwas schien sie davon abzuhalten. Eine unausgesprochene Ubereinkunft?
        Er knopfte sein spanisches Hemd auf und betastete das kleine Medaillon an seinem Hals. Kate hatte sich nie daran gestort. Vorsichtig offnete er es und betrachtete die kastanienbraune Locke. Im Sonnenlicht, das durch die Fenster fiel, glanzte sie so blank wie an dem Tag, als er Cheney zum erstenmal gesehen hatte. Damals noch die Verlobte seines Admirals. Cheney Seton, das Madchen, das er erkampft und geheiratet hatte.[s. Kent: Nahkampf der Giganten] Er schlo? das Medaillon und knopfte das Hemd wieder zu. Nichts hatte sich geandert. Er liebte sie noch immer. Kein Wunder, da? er im Fieber nach ihr gerufen hatte.
        Pascoe kam herein, Hut unterm Arm, Signalbuch in der Hand. Bolitho sah ihn an und versuchte seine plotzliche Niedergeschlagenheit zu verbergen, so gut er konnte.

«Na, Adam, nun wollen wir mal sehen, was wir fur neue Tricks erfinden konnen, eh?»

«Kurs Nordost zu Nord, Sir! Liegt an!»
        Bolitho horte den Master mit seinem Ruderganger flustern, eilte aber zu den Netzkasten an der Reling, in denen jetzt die sauber gepackten Hangematten verstaut waren. Seltsam bleich schimmerten sie im Mondschein.
        Farquhar trat zu ihm und meldete:»Wind ist stetig, Sir. Wir sind etwa zwanzig Meilen sudwestlich der Insel. Die Buzzard steht in Luv, Sie konnen ihre Marssegel in der Mondbahn ausmachen.»

«Nichts von einem Boot zu sehen?»

«Nichts. Vor drei Stunden habe ich den anderen Kutter unter Segel losgeschickt. Ob Veitch ihn gesehen hat, wei? ich nicht - jedenfalls hat er weder durch Pistolenschu? noch mit der Laterne Signal gegeben.»

«Na schon. Wie lange, denkt der Master, konnen wir auf diesem Kurs bleiben?»

«Hochstens eine Stunde, Sir. Dann mu? ich meinen Kutter zuruckrufen und wenden. Sonst kommen wir zu dicht unter Land; und wenn wir noch einen gro?en Bogen schlagen mussen, sind wir bei Morgengrauen weiter von der Durchfahrt entfernt, als mir lieb ist.»

«Einverstanden«, sagte Bolitho zogernd.»Also eine Stunde noch.»

«Halten Sie es wirklich fur richtig, die Nicator in die nordliche Einfahrt zu schicken, Sir? Wenn Probyn nicht zur rechten Zeit angreift, gibt es eine Katastrophe.»

«Die Durchfahrt ist eng, ich wei?, aber bei einigerma?en gunstigem Wind kann es die Nicator schaffen.»

«Ich rede nicht von der Passage oder von der Gefahr, Sir. «Far-quhars Gesicht lag jetzt im Schatten, aber seine Epauletten schimmerten hell auf dem dunklen Uniformrock.»Ich mu? Ihnen gestehen, da? ich kein Vertrauen zum Kommandanten der Nicator habe.»

«Wenn er einsieht, wieviel beim Gelingen der ganzen Aktion von ihm abhangt, wird er seine Pflicht tun.»
        Doch Bolitho dachte an Probyns rotes Gesicht, sein Drumherumreden, seine standigen Bedenken. Aber was konnte er tun? Wenn es so kam, wie er voraussah, wurde die Osiris hier das Schlimmste abbekommen und mu?te am langsten durchhalten. Er konnte Javal nicht zumuten, seine leichte Fregatte einem schweren Artilleriebeschu? auszusetzen; dessen Anteil an der Aktion war ohnehin schon schwierig genug. Ohne Hilfe der Lysander blieb das Uberraschungsmoment eben Sache der Nicator. Anders ging es nicht. Vermutlich war Farquhar jetzt wutend uber sich selber, weil er Herrick ohne Unterstutzung losgeschickt hatte und nicht nach den Regeln der Geschwadertaktik vorgegangen war. Und dabei hatte er sich schon als Oberkommandierender gefuhlt!

«An Deck! Lichtsignal in Luv voraus!»
        Eilends trat Bolitho auf der Backbordlaufbrucke und spahte uber die bemalte Leinwand.

«Das Signal, bei Gott!«rief Farquhar aus.»Mr. Outhwaite, drehen Sie bei und machen Sie alles klar zum Einholen der Boote!»
        Das Schiff wurde lebendig. Wie Gespenster huschten die Matrosen im Mondschein an die Brassen und Fallen.
        Hochrufe ertonten, als der erste und gleich danach der zweite Kutter an die Bordwand stie? und Matrosen hinunterkletterten, um mit zuzufassen.
        Unter Segeln und Riemen zugleich - das mu?te eine zermurbende Fahrt gewesen sein, dachte Bolitho. Er wartete an der Achterdecksreling, die Hande hinterm Rucken fest verschrankt, um seine Ungeduld zu zugeln und nicht mit den anderen zur Fallreepspforte zu rennen. Er sah einen untersetzten, hinkenden Mann und erkannte ihn sofort.

«Mr. Plowman! Hierher!»
        Der Steuermannsmaat lehnte sich an die Finknetze und versuchte, zu Atem zu kommen. Bin ganz schon froh, da? ich hier bin, Sir!«Er deutete nach dem unsichtbaren Land, und Bolitho sah, da? er einen fleckigen Verband um die eine Hand trug; das Blut sickerte durch wie schwarzes Ol.

«Haben das zweite Boot kommen sehen, mu?ten uns aber verstecken. Die Gegend wimmelt von Patrouillen. Einer sind wir in die Arme gerannt. Das gab eine Keilerei. «Kritisch betrachtete er seine verbundene Hand.»Haben sie aber fertiggemacht.»

«Und Mr. Veitch?«Er wartete auf das Unvermeidliche.

«Dem geht's gut, Sir. Er ist an Land geblieben. Hat mir befohlen, ich soll das Schiff suchen und Ihnen berichten.»
        Nach dem dammrigen Mondschein an Deck wirkten die Kajutlaternen viel zu hell. Bolitho sah, da? Plowman von Kopf bis Fu? vor Schmutz starrte; Gesicht und Arme waren von Steinen und Dornen zerkratzt und zerschrammt.

«Hier, trinken Sie. Was Sie wollen. «Inzwischen waren Farquhar, sein Erster Offizier und hinter ihnen Pascoe in die Kajute getreten.
        Plowman seufzte dankbar.»Dann hatte ich gern einen ordentlichen Brandy, wenn ich bitten darf, Sir.»

«Sie haben ein ganzes Fa? voll verdient«, lachelte Bolitho. Stumm wartete er, bis Plowman einen Becher von Farquhars gutem Brandy ausgetrunken hatte.»Jetzt erzahlen Sie, was los ist.»
        Plowman wischte sich den Mund mit dem Handrucken.»Nichts Gutes, Sir. «Er schuttelte den Kopf.»Wir haben's so gemacht, wie Sie sagten, und Mr. Veitch hat 'n ganz schonen Schreck gekriegt. Genau wie Sie sich dachten, Sir, blo? noch schlimmer.»

«Schiffe?«fragte Farquhar hastig.

«Aye, Sir. Mindestens drei?ig. Und davor ankert ein Linienschiff, ein Vierundsiebziger. Und 'ne Fregatte, noch 'ne Fregatte, und ein paar Korvetten - wie der Franzmann, den wir mit der Segu-ra erledigt haben.»

«Donnerwetter!«sagte Farquhar leise.»Das ist ja eine kleine Armada!»
        Plowman ging nicht darauf ein.»Aber das ist noch nicht alles, Sir. Die haben zwei von den neuen Geschutzen auf die Landspitze geschafft. «Er beugte sich ungelenk uber die Karte und stie? mit dem Daumen auf die Stelle.»Da! Wir dachten erst, die loschen alle Schiffe, aber sie haben blo? diese zwei Schonheiten an Land gebracht. Bei Sonnenaufgang trafen wir 'n Schafer; einer von den Jungs, der ein bi?chen Griechisch kann, ist mit ihm ins Gesprach gekommen. Die Inselbewohner sind nicht sehr fur die Frogs. Die haben die Insel rein abgegrast. Und die Weiber auch, nach allem, was man hort. Jedenfalls machen die Schiffe seeklar, hat er gesagt. Wollen nach Kreta oder so, da sammeln sich noch mehr.»

«Brueys. Aber warum ist Leutnant Veitch an Land geblieben?«fragte Bolitho ernst. Dabei hatte er die Antwort schon erraten.

«Mr. Veitch denkt, Sie wollen trotzdem angreifen, Sir. Er sagte, Sie werden die Nicator vorschicken. «Grimmig zog er die Brauen zusammen.»Hatte ich nicht die kaputte Hand, ich ware bei ihm geblieben.»

«Da? Sie zuruckgekommen sind, ist mir wichtiger. Und ich danke Ihnen.»
        Veitch hatte es von Anfang an erkannt: da? Bolitho, da er nicht mehr Schiffe besa?, keine Verbindung mit der Nicator haben konnte und sie auch vor Morgengrauen, wenn der Zeitpunkt zum Angriff gekommen war, nicht erreichen konnte.
        Bolitho go? Plowman wieder ein. Der grinste melancholisch und fuhr fort:»Mr. Veitch sagte, er will versuchen zu helfen, Sir. Er hat drei Freiwillige bei sich - alle drei so verruckt wie er, wenn Sie entschuldigen. Mehr kann ich nicht sagen.»
        Er schwankte vor Mudigkeit, und Bolitho befahl:»Allday soll ihn auf die Krankenstation bringen, damit die Hand verbunden wird. Und sorgen Sie dafur, da? beide Bootsmannschaften belohnt werden.»
        Er sah ihnen in die Gesichter: Farquhar hatte grimmig die Brauen zusammengezogen; Outhwaite starrte ihn mit seinen feuchten Augen sprachlos und fasziniert an. Und Pascoe fiel das schwarze Haar uber ein Auge, als hatte auch er eine Narbe zu verbergen.

«Nun, Captain Farquhar«, fragte Bolitho,»was halten Sie jetzt von der Sache?»
        Farquhar zuckte die Achseln.»Ware nicht die Nicator schon unterwegs, so wurde ich Ihnen raten, sich zuruckzuziehen, Sir. Es hat keinen Sinn, Ihre Ehre hoher einzustufen als den Verlust eines ganzen Geschwaders. Wir haben darauf gesetzt, da? die Franzosen ihre kostbare schwere Artillerie eingepackt lassen und sich mit konventionellen Geschutzen begnugen wurden. «Er warf einen kurzen Blick auf Plowman, der erschopft in seinem Stuhl eingeschlafen war.»Aber wenn Kerle wie er und Leutnant Veitch bereit sind, ihr Leben durch die Ankerkluse zu schmei?en - ja, dann werde ich wohl desgleichen tun!»
        Gelassen blickte er seinen Ersten Offizier an.»Befehl vom Kommodore: eine warme Mahlzeit und eine doppelte Portion Rum fur alle Mann, Mr. Outhwaite. Danach konnen Sie das Kombusenfeuer loschen und das Schiff gefechtsbereit machen lassen. Die Leute werden heute nacht neben den Kanonen schlafen - wenn sie schlafen konnen. Und nun, Sir, bitte ich, mich zu entschuldigen. Ich habe Briefe zu schreiben.»
        Als sie allein waren, sagte Bolitho zu Pascoe:»Adam, ich wunschte, du warst auf einem anderen Schiff. Uberall anderswo als hier.»
        Pascoe sah ihn forschend an.»Mir ist es ganz recht so, Onkel. «Bolitho trat ans Fenster und blickte auf den silbernen Glanz im Wasser hinaus. Wie auf gekrauselter Seide wechselten die Muster unaufhorlich. An wen schrieb Farquhar wohl? An die Admiralitat? An seine Mutter?

«Mein Verwalter in Falmouth«, sagte er,»hat einen Brief in Verwahrung, Adam. Fur dich.»
        Pascoe trat neben ihn; er sah sein Spiegelbild in der dicken Scheibe. Wie Bruder sahen sie aus in dem seltsamen Licht.

«Sag nichts. «Bolitho legte ihm den Arm um die Schulter.»In dem Brief steht, was du zunachst tun mu?t. Alles andere ist dann deine Sache.»

«Aber Onkel«, sagte Pascoe mit zitternder Stimme,»du darfst nicht so sprechen.»

«Es mu? aber gesagt werden. «Lachelnd wandte er sich zu ihm um.»So wie es auch mir einst gesagt worden ist. Und jetzt«-, er verdrangte den Schmerz aus seinen Gedanken - ,»mussen wir Mr. Plowman nach unten bringen.»
        Doch als sie sich umdrehten, sahen sie, da? Plowman schon weg war.



        XV Die Katastrophe

        Farquhar stand beim Ruder und sah zu Bolitho hinuber.»Steuern Sie Nordnordost«, sagte er zum Master.»Wir runden die Landspitze so dicht es irgend geht, verstanden, Mr. Bevan?»

«Aye, Sir«, entgegnete der Master nervos,»aber es ist eine schlechte Einfahrt. Sandbanke vor der Spitze, und vor der Kuste auch; auf der Karte sind sie nicht genau eingezeichnet.»
        Farquhar ging zur Achterdecksreling.»Noch ruhrt sich nichts.»
        Bolitho hob sein Teleskop und suchte langsam den unregelma?igen Kamm der Landspitze ab, die etwa eine Meile vor ihnen an Backbord lag. Alles ruhte noch in tiefem, purpurnem Schatten; nur dicht unter dem bleichen Himmel waren die Hohen und Tiefen verschwommen auszumachen. Ganz vorn konnte er bewegtes Wasser erkennen; dort brach sich die See schaumend uber einem steil abfallenden Strand mit gezackten Riffen. Ihm fiel auf, wie schroff Farquhar plotzlich mit seinem Master sprach - vermutlich wollte er nur seine innere Spannung abreagieren. Aber es war verkehrt, sich dazu ausgerechnet den Master auszusuchen. Bevan, ehemaliger
        Steuermann auf einem Indienfahrer, brauchte jetzt seine Nerven, seinen Verstand und zumindest das unbedingte Vertrauen seiner drei Ruderganger, wenn schon der Kommandant an all und jedem seine schlechte Laune auslassen mu?te.

«Das habe ich auch nicht erwartet. «Bolitho erstarrte, als uber dem nachsten Landbuckel etwas Schwarzes vorbeizog. Erst dachte er, es ware Rauch; aber es war nur eine einzelne fedrige Wolke. Sie zog schrag auf das Wasser hinter dem Landarm zu, das immer noch im Halbdunkel lag. Der vordere Teil der Wolke hatte die Farbe bleichen Goldes; es war der Widerschein der Sonne, die den Blik-ken der Manner auf beiden Schiffen noch verborgen war.
        Er stieg auf einen Neunpfunder und spahte uber die Kampanje achteraus. Zwei Kabellangen weiter lag die Buzzard auf ihrer Position, Gro?- und Bramsegel aufgegeit, die machtige Fock so gebra?t, da? sie die leichte sudliche Brise erfa?te. In dem verschwommenen Licht sah sie sehr schlank und zierlich aus; er stellte sich vor, wie Javal und seine Offiziere das gleiche vorspringende Land beobachteten, die Zeit beschworen, schneller zu verstreichen, damit es endlich losging.
        Aber, dachte er, eine Weile wird es noch dauern. Die Franzosen wurden abwarten und es nicht riskieren, den Feind durch vorzeitige Feuereroffnung entwischen zu lassen.
        Er sprang von der Kanone herunter und fiel beinahe hin. Trotz des auf dem Achterdeck uberall reichlich gestreuten Sandes waren die Planken glitschig vom nachtlichen Tau. Ein Matrose fa?te ihn beim Ellbogen und grinste ihn an.»Sachte, Sir! Sonst hei?t es, ausgerechnet unser Geschutz hat den Kommodore umgeschmissen!»
        Bolitho mu?te lacheln. Samtliche Kanonen an Bord waren geladen und voll bemannt. Um feuerbereit zu sein, brauchten nur noch die Stuckpforten geoffnet und die Rohre ausgerannt zu werden. Doch wenn an Land Beobachter sa?en, hatte es keinen Sinn, schon jetzt zu zeigen, da? die oberen Stuckpforten der Osiris nur schwarze Karos auf Leinwand waren.

«Und es soll auch keiner sagen, da? ich betrunken bin und nicht stehen kann, eh? entgegnete er.
        Sie lachten - selbstverstandlich. Im Umkreis der Kanonen hing trotz des kuhlen Windes ein schwerer Rumgeruch in der Luft; wahrscheinlich hatte jeder Mann weit mehr als die doppelte Ration gefa?t. Oder manche hatten mit ihren Rationen alte Schulden beglichen oder sie als Tauschmittel verwendet. Hochstwahrscheinlich hatten auch einige ihre Rationen als Wettkapital zuruckbehalten. Um was sie wohl wetteten? Wer fallen und wer uberleben wurde? Wieviel Prisengeld es geben wurde? Welcher von den Offizieren am langsten die Nerven behielt? Bestimmt wurde viel und um die verschiedensten Dinge gewettet.
        Er ging wieder nach vorn zur Reling und starrte uber das verschattete Hauptbatteriedeck. Ruhelose Gestalten bewegten sich um die schwarzen Kolosse. Wie Sklaven pruften sie jedes Stuck fur ihre spatere Arbeit. Die Geschutzfuhrer hatten das Ihre getan, hatten fur die erste Salve Kugeln ausgesucht, die vollkommen rund und glatt waren, deren Gewicht genau stimmte, und hatten darauf geachtet, da? auch die Kartuschen fehlerlos waren. Darauf kam es vor allem bei den ersten Schussen an; nachher im blutigen Kampfgetummel war fur solche Feinheiten keine Zeit mehr.
        Oben in den Masten sa?en bereits die Scharfschutzen der MarineInfanterie; auch im Vorschiff standen sie in gro?er Zahl lassig neben ihren langen Musketen oder schwatzten mit den Bedienungen der Karronaden.

«Hier ist Ihr Degen, Sir«, vernahm er Alldays Stimme.
        Er streifte den Bootsmantel ab, den er seit drei Stunden vor dem Morgengrauen trug, und lie? sich von Allday den Degen umschnallen.
        Der sagte leise, doch mit merkbarer Mi?billigung:»Sie sehen aber eher wie ein Seerauber als wie ein Kommodore aus, Sir! Mocht' nicht wissen, was sie in Falmouth dazu sagen wurden!»
        Bolitho lachelte.»Einer meiner Ahnen war doch Seerauber, All-day. «Er schnallte das Koppel enger, denn durch seinen Fieberanfall hatte er an Gewicht verloren. Aber das war selbstverstandlich damals ein respektabler Beruf.»
        Er wandte sich um, denn eben eilte Farquhar vorbei.»Haben Sie zusatzlich Leute fur die Pumpen und Eimer eingeteilt?»

«Jawohl, Sir. «Farquhar fuhr sich mit dem Finger in die Halsbinde.»Auf gluhende Kugeln bin ich vorbereitet. «Er musterte die
        Schutznetze uber dem Hauptdeck, die schlafferen vor den Wanten, die Enterer aufhalten sollten. Die Posten an jedem Luk, die Leute des Bootsmanns, deren Aufgabe es war, gebrochene Spieren zu kappen oder die Toten von einer umgesturzten Kanone wegzuraumen.
        Bolitho beobachtete, wie Farquhar jede Einzelheit an Bord seines Schiffes auf Fehler oder Schwachstellen uberprufte. Unter ihren Fu?en, unter dem menschenwimmelnden Geschutzdeck, warteten schu?bereit die Zweiunddrei?igpfunder der Zwischendecksbatterie. Unter diesen jedoch standen, im Lichtkreis der Laternen wie Kirchhofsgespenster anzusehen, der Schiffsarzt und seine Helfer neben dem noch leeren Tisch, den blinkenden Messern und Sagen. Bo-litho dachte wieder an Luces todbleiches Gesicht, sein Flehen, seinen wilden Aufschrei. Er sah zu Pascoe hinuber, der an der Leeseite bei den Gro?wanten stand, im Gesprach mit einem Unteroffizier und einem Midshipman. Ob er wohl auch an Luce gedacht hatte?
        Achtern, auf der Kampanje, wartete das Gros der MarineInfanteristen in drei Linien bei den Netzen; wenn die Osiris mit der Backbordseite angriff, wurden sie in drei Gliedern feuern, wie Landsoldaten im Karree.
        Bolitho versuchte, bekannte Gesichter herauszufinden, aber solche gab es fur ihn kaum. Anonym waren sie, doch vertraut. Typen, doch keine Individuen. Seesoldaten und Matrosen, Leutnants und Midshipmen. Leute wie sie hatte er auf einem Dutzend Schiffen und in ebenso vielen Geschwadern gesehen.
        Das silberne Achselstuck eines Leutnants der Marine-Infanterie gluhte plotzlich auf, wie von innen erleuchtet. Bolitho wandte den Kopf nach Steuerbord und sah den Rand der Sonne uber die Kimm steigen; die Strahlen flossen uber das leichtgekrauselte Wasser auf ihn zu wie geschmolzenes Metall.

«Wird ein schoner Tag«, bemerkte Allday.
        Leutnant Outhwaite stand am Hauptniedergang. Auch erstarrte in die aufgehende Sonne, und seine Augen glitzerten wie kleine Quarzsteine. Wie sein Kommandant war er tadellos gekleidet; sein Hut sa? genau vorschriftsma?ig, das lange, im Nacken zusammengebundene Haar hing den Rucken hinunter.
        Farquhar trug seinen Hut noch nicht; ein Midshipman stand mit Hut und Degen in der Hand neben ihm wie der Garderobier eines Schauspielers vor dessen allerschwierigstem Auftritt. Bolitho konnte erkennen, da? Farquhar tatsachlich die Lippen bewegte. Sprach er mit sich selbst oder probte er eine Rede an seine Manner? Sein wei?blondes Haar hatte er im Nacken mit einem eleganten schwarzen Schleifchen gebunden. Was in den nachsten Stunden auch geschehen wurde - Farquhar war gut angezogen.
        Er schien Bolithos forschenden Blick zu spuren und wandte sich zu ihm um.»Eine neue Garnitur, Sir«, erlauterte er mit zogerndem Lacheln.»Ich dachte daran, wie Sie es vor einem wichtigen Gefecht zu halten pflegten - und da Ihre Garderobe nicht verfugbar ist, meinte ich, es ware an mir, das Reprasentieren zu ubernehmen.


«Sehr freundlich von Ihnen«, erwiderte Bolitho und blickte wieder auf die gro?er gewordene Landmasse, die beinahe schon den Bugspriet zu beruhren schien.

«Der Feind wird das Feuer erst eroffnen, wenn er ein sicheres Ziel hat. Seine Kanoniere haben die Sonne direkt in den Augen; aber wenn wir erst einmal vor der Ostkuste segeln, wird uns das nicht viel nutzen. Hinter der Bucht liegt, glaube ich, eine kleine Senke. Eine gute Stellung fur weitreichende Artillerie.»
        Angestrengt spahte er uber den Bug; da sang jemand aus:»Brecher an Backbord voraus!»

«Das wird das verdammte Riff sein, Sir«, sagte der Master gepre?t.

«Fallen Sie einen Strich ab, Mr. Bevan. Steuern Sie Nordost zu Nord. «Farquhar blickte seinen Ersten Offizier an.»Haben Sie einen guten Lotgasten in den Rusten?»

«Aye, Sir«, bestatigte der mit einem fragenden Ausdruck auf seinem Froschgesicht. Ich habe ihm selbst noch mal klargemacht, wie wichtig seine Aufgabe ist.»
        Zu seiner Uberraschung konnte Bolitho trotz der nagenden Ungewi?heit des Wartens lacheln. Farquhar und Outhwaite pa?ten gut zueinander. Also hatte Farquhar vielleicht doch recht mit seinen Auswahlmethoden.
        Jetzt sickerte das Licht uber die kleinen Strande und hob sie hell von den Hugeln und waldigen Buchten ab. Auch die Meeresoberflache wurde klarer; die winzigen wei?en Katzenpfotchen an Steuerbord verschwanden und mischten sich bis zur Kimm mit der kupferrot aufgehenden Sonne.
        Vielleicht hat auch der wirkliche Lysander die See hier so gesehen, dachte Bolitho, damals als die Triremen und Galeeren ine i-nanderkrachten und der Himmel von Pfeilen verdunkelt und von Brandern durchzuckt war.
        Achtern horte er unvermittelt das Quietschen und Rumpeln ausfahrender Geschutze: Javal machte sich fertig.

«Drei Strich Kursanderung: Kurs genau Nord!«befahl Farquhar knapp.
        Er beugte sich uber die Netze, um zu beobachten, wie eine Sandbank, ein Felsen am Heck vorbeiglitt. Kreischend stiegen ein paar Mowen von ihrem kleinen Eiland hoch, blendend wei? gegen das zurucktretende, dunkle Land. Sie umkreisten die Masten, auf Futter hoffend, larmend, gierig. Dicht neben seinem Stander tauchte eine Mowe mit wutendem Geschrei im Sturzflug nieder. Der schlug trager, druben das Land hielt den Wind ab. Bolitho dachte an Pro-byn. Hoffentlich hatte er sein Schiff rechtzeitig in Position gebracht und die Zeit eingerechnet, die ihm durch ungunstigen Wind, durch die tuckische Stromung in der engen Einfahrt verlorengehen konnte. Er zog seine Uhr und konnte das Zifferblatt jetzt bereits ganz deutlich sehen, sogar die feine, schongeschwungene Schrift Mudge and Dutton of London. Er lie? den Deckel zuschnappen und sah, wie Midshipman Breen bei dem scharfen Laut zusammenzuckte.»Gut«, sagte er,»wir sind am Vorland vorbei.»
        Outhwaite fuhr herum und hob die Sprechtrompete an den Mund:»Mr. Guthrie, geben Sie durch: Geschutze ausrennen!»
        Die Stuckpforten offneten sich quietschend; dann gab es eine kurze Pause. Jetzt sahen die Matrosen im unteren Batteriedeck das Land zum erstenmal. Eine Pfeife schrillte, das ganze Schiff erzitterte: die Osiris fuhr ihre Geschutze aus.

«Gei auf die Fock!»
        Farquhar sah zu, wie das machtige Segel gebandigt und aufgegeit wurde. Er schnippte mit den Fingern, und der Midshipman reichte ihm erst den Degen, dann den Hut, den er sich sorgfaltig zurechtruckte. Dann schritt er nach vorn zur Luvlaufbrucke.
        Die Fock hatte sich tatsachlich wie ein Vorhang gehoben: die Szenerie war aufgebaut, die Schauspieler standen bereit.
        Bolitho zog den Degen und legte ihn vor sich auf die Reling. Glatt und kuhl fuhlte der Stahl sich unter seiner Handflache an.

«Hi?t die Flagge!»
        Er horte den Block quietschen und sah den gro?en Schatten der Flagge uber der Laufbrucke und die leichte Bugwelle gleiten.

«Jetzt klar zum Feuern, Jungs; und da? mir jede Kugel trifft!»
        Er warf einen raschen Blick auf das nachste Geschutz: so sahen alle Geschutzbedienungen in der ganzen Flotte aus. Ein Matrose, direkt unterhalb des Achterdecks bei einem Sechzehnpfunder stehend, stutzte sich auf seinen Rammstock, das Halstuch um die Ohren gewickelt, damit ihm das Krachen des Schusses nicht die Trommelfelle zerri?. Manner wie dieser waren mit Drake[Sir Francis Drake,
1540-1596, englischer Seefahrer und Freibeuter.] auf seiner Revenge gesegelt und hatten Hurra gerufen, als die Armada[Flotte Philipps II. 1588 im Armelkanal auseinandergetrieben.] >aus dem Kanal getrommelt< wurde. Aber diesmal gab es kein Hurrageschrei, nicht einmal einen einzigen Ruf. Grimmig schauten die Manner durch die offenen Stuckpforten oder standen so dicht beieinander, als wollten sie sich gegenseitig stutzen. Far-quhars Finger schlossen und offneten sich nervos um seinen Degengriff, mit hocherhobenem Haupt starrte er auf die dunstige Kustenlinie, von der das feindliche Feuer kommen wurde.
        Auf dem Kamm des nachstgelegenen Hugels blinkte etwas auf, doch nur dieses eine Mal. Eine zerbrochene Flasche, die den ersten Strahl der Morgensonne reflektierte? Oder ein Lichtstrahl auf der Linse eines Teleskops? Bolitho stellte sich vor, wie das Signal uber die Berge an die wartende Artillerie weitergegeben wurde: Die Englander kommen. Wie erwartet und vorausbedacht. Grimmig zog er die Brauen zusammen. Was auch kommen wurde, sie mu?ten die Aufmerksamkeit des Feindes so lange auf sich ziehen, bis Probyn sich von der nordlichen Einfahrt her auf die ankernden Schiffe sturzen konnte. Ein paar schwere Breitseiten in die volle Reede, und ihre Chancen wurden sich betrachtlich bessern.
        Plotzlich fiel Bolitho wieder ein, was ihm sein Vater einst gesagt hatte: Uberraschungsangriffe gibt es nicht. Uberraschung liegt nur dann vor, wenn ein Kommandant das, was er von Anfang an gesehen hat, falsch auslegt.
        Er blickte zu Pascoe hinuber und lachelte fluchtig. Jetzt erst wu?te er genau, was sein Vater damals gemeint hatte.
        Bolitho ging wieder zur anderen Seite des Achterdecks und richtete das Glas auf eine vorgeschobene Landzunge. Ein paar winzige Hauser waren am Fu? eines Steilhangs zu erkennen, eingekuschelt zwischen Gebusch und Strand: Fischerhutten. Doch die Boote lagen verlassen auf dem groben Kies; nur ein Hund verteidigte seine Heimstatte und bellte wutend die langsam vorbeiziehenden Schiffe an.

«Die nachste Bucht ist es«, sagte Farquhar gespannt.
        Outhwaite drehte sich um und rief:»Feuern erst auf Befehl und bei sich hebendem Schiff!»

«Von wegen heben«, murmelte Allday verachtlich.»Ehe wir nicht klar von diesem Vorland sind und ein bi?chen Wind kriegen, hebt sich gar nichts!»

«An Deck!«Die Stimme des Ausgucks klang ungewohnlich laut.»Schiffe vor Anker hinter der Landspitze!»
        Bolitho atmete langsam aus.»Signalisieren Sie diese Meldung weiter an die Buzzard!

        Sekunden spater flatterte bereits die Bestatigung von der Rah der Fregatte. Javal ging es offenbar genauso wie ihnen allen: er war gespannt bis zum Au?ersten.
        Bolitho sah auf seine Uhr. Die Nicator mu?te jetzt die nordliche Durchfahrt passiert haben und mehr Segel setzen, um den entsche i-denden Teil ihrer Aufgabe in Angriff zu nehmen. Selbst wenn die franzosischen Feldwachen sie gesichtet hatten, war es fur einen Stellungswechsel der Landbatterie zu spat.
        Die Detonation kam wie ein abgehackter Donnerschlag. Bolitho sah weder Mundungsfeuer noch Rauch, nur die Spur des Geschosses auf der Wasserflache. Es mu?te ein ganz flacher Schu? sein, denn er konnte unter den Bahn eine Linie winziger Wellen sehen - wie von einer gespenstischen Bo oder einem angreifenden Hai.
        Die Kugel schlug im Vorschiff ein. Die Matrosen brachen in Gebrull aus, und Bolitho sah den Zweiten Offizier von Geschutz zu Geschutz eilen, um die Mannschaft zu beruhigen.

«Sehen Sie, Sir! Soldaten!«Allday deutete mit seinem Entersabel hin.
        Bolitho beobachtete die winzigen blauen Gestalten, die jetzt unter den Baumen hervor zur Landspitze hasteten. Vielleicht glaubten sie, da? noch ein zweiter Verband kommen und eine Landung versuchen wurde, die sie abwehren mu?ten. Bolitho leckte sich die trockenen Lippen. Wenn es doch einen zweiten Schiffsverband gegeben hatte!

«Drehen Sie einen Strich ab, Captain«, sagte er,»damit die obere Batterie besseres Schu?feld hat!»
        Farquhar protestierte:»Achtzehnpfunder gegen Infanterie, Sir?»
        Gelassen erwiderte Bolitho:»Dann haben die Leute zu tun und kommen nicht auf unnutze Gedanken. Au?erdem kann es das Selbstvertrauen des Feindes dort oben erschuttern. Sie sind auf ein ganzes Geschwader gefa?t, vergessen Sie das nicht!»
        Er zuckte zusammen, denn wieder hallte ein Abschu? uber das Wasser; hoch oben sauste die Kugel bosartig uber die Masten.

«Steuerbordbatterie klar!«Outhwaite deutete auf die rennenden Soldaten.»Bei der Hebung!«Er stie? die Sprechtrompete hoch.

«Feuer!»
        Die lange Linie der Rohre glitt im Rucksto? binnenbords; wirbelnd zog der Rauch uber die Finknetze. Bolitho hielt das Glas auf das Land gerichtet; die Kugeln peitschten durch Baume und Gebusch, warfen Erde und Steine auf und verursachten ein wustes Durcheinander. Die Soldaten hatten offenbar ahnliche Bedenken wie Farquhar gehabt, denn viele erwischte es im offenen Gelande; Bolitho sah Menschen, Musketen und Trummer durch die Luft fliegen.
        Es hatte nicht viel zu sagen, machte aber doch den Geschutzbedienungen etwas mehr Mut. Er horte Hochrufe und aus der unteren Batterie Schreie der Enttauschung, weil sie nicht feuern durfte.
        Outhwaite war von der Erregung angesteckt.»Schneller, Jungs! Neu laden! Mr. Guthrie eine Guinea[Goldmunze, 21 Shilling nach alter Wahrung] fur das Geschutz, das zuerst ausrennt!»
        Aus dem Augenwinkel sah Bolitho das Vorland achtern weggleiten; die erste Gruppe der ankernden Schiffe schimmerte im schwachen Morgenlicht auf; die Segel waren festgemacht, und die Unbeweglichkeit der Rumpfe lie? erraten, da? jedes Schiff mit seinem Nachbar fest verbunden war, so da? sie eine starre Schranke bildeten. Er hatte erwartet, da? die Franzosen auf diese Weise ankern wurden. Es war eine bevorzugte Form der Verteidigung, schon lange, bevor man von der Revolution auch nur getraumt hatte.
        Dann sah er Mundungsfeuer aufblitzen. Es kam aus einem tiefen grunen Sattel zwischen zwei Hugeln. Bis jetzt hatten sich die dortigen Kanoniere nur auf die Entfernung eingeschossen. Nun wurde es ernst.
        Die Kugel schlug mittschiffs in den Rumpf der Osiris, ziemlich tief, dicht uber der Wasserlinie. Noch dort, wo Bolitho stand, federten die Planken so stark, als sa?e der Treffer dicht unter seinen Fu?en, nicht zwei Decks tiefer. Er sah die Angst in Farquhars Gesicht, als der Bootsmann mit seinen Leuten auf ein Luk zusturmte, und sah auch die Faden dunklen Rauchs, die uber den Netzen hochwirbelten und zeigten, wie genau die Kugel sa?.
        Achtern horte er das regelma?ige Krachen von Geschutzen: Javal folgte seinem Beispiel und bescho? die nachstliegenden Hange in der Hoffnung, einen lohnenden Treffer anzubringen.

«An Deck! Franzosisches Linienschiff vor Anker hinter den Transportern!»
        Bolitho lie? sein Glas uber der Reling entlang hingleiten. Gesichter huschten wie Geister durch die Linse, dann fand er den franzosischen Vierundsiebziger und stellte das Glas genauer ein. Wie die dichtgedrangten Transporter lag auch er noch vor Anker. Doch die Segel waren nur lose aufgegeit, und die Ankertrosse war schon kurzstag, bereit zum Aufholen. Dahinter glitt eine Fregatte langsam vor dem Wind dahin; eben wurde ihre Fock gesetzt und leuchtete kurz im Sonnenlicht auf. Die beiden kleineren Begleitschiffe, Korvetten laut Plowman, mu?ten anderswo liegen. Das war nicht verwunderlich. Denn die Masten und Rahen der Transportschiffe uberschnitten sich in einem scheinbar hoffnungslosen Gewirr. Grimmig musterte Bolitho sie durch sein Glas. Schwer beladen. Kanonen, Pulver, Kugeln, Zelte, Gewehre, Proviant fur eine ganze Armee.
        Wieder schlug eine Kugel dicht beim Rumpf ein und lie? das Deck erbeben.
        Das einzige Mittel, der langsamen Vernichtung durch die weitreichende Artillerie zu entgehen, war, mehr Segel zu setzen, anzugreifen und so nahe an die ankernden Schiffe heranzusegeln, da? der Feind nicht mehr genau schie?en konnte.

«Wo bleibt blo? die Nicator?«fragte Farquhar erregt.»Herrgott, sie mu?te doch jetzt in Sicht kommen!»

«Der franzosische Vierundsiebziger hat Anker gelichtet, Sir!»
        Bolitho blickte zu Farquhar hin, doch der hatte die Meldung offenbar nicht gehort.

«Danke«, sagte Bolitho,»Mr. Outhwaite, Steuerbordbatterien feuerbereit!»
        Dann sah er, da? der Bootsmann unter dem Achterdeck hervorkam und etwas zu melden hatte.»Zwei Durchschusse, Sir. Aber bis jetzt kein Schaden unter der Wasserlinie. Wenn's nicht schlimmer wird, geht's noch.»

«Danke«, sagte Farquhar kurz und nickte.

«Setzen Sie die Fock, Captain«, sagte Bolitho zu ihm.»Und Signal an die Buzzard:
>Breche in Kurze durch die feindliche Li-nie         Farquhar starrte ihn an.»Wir konnten uns in ihren Festmachern verfangen, Sir! Ich wurde vorschlagen.»
        Beide duckten sich, denn wieder flog eine Kugel niedrig uber ihre Kopfe hinweg, und Bolitho fuhlte ihren Atem an seinen Schultern wie das Sausen einer Sabelklinge.

«Die Nicator mu?te jetzt schon in Sicht sein«, sagte er.»Mindestens fur den Ausguck. Probyn mu? also auf Widerstand gesto?en sein. Wenn weder er noch wir zum Angriff kommen, wurden wir alle beide fur nichts und wieder nichts kaputtgeschossen!»
        Er ging zur Leeseite. Weit vorn sprang eine dunne Wassersaule hoch. Die Franzosen und ihre neuen Geschutze waren sehr gut. Auf diese Entfernung konnten sie kaum noch danebenschie?en, und dennoch warteten sie ab. Sparten ihre Munition fur die Hauptmasse des Geschwaders, das sie erwarteten; oder sie wollten sich erst uber die Taktik der Englander klarwerden.
        Nein, das konnte nicht stimmen. So vertrauensselig konnte kein Artillerieoffizier sein.
        Er horte, wie das Ruderrad uberkam, die neugesetzte Fock erst killte und dann zog, wie die Brassen dichtgeholt, die Rahen getrimmt wurden. Auf dem Achterdeck, das sich nach Lee neigte, ruckte einer der Neunpfunder heftig an seinen Zugen. Auf diese plotzliche Segelverstarkung wurde die franzosische Artillerie wahrscheinlich reagieren.
        So gelassen wie moglich schritt er zur anderen Seite und spahte uber das wimmelnde Batteriedeck nach dem franzosischen Zwe i-decker. Unter geringster Besegelung stand er in etwa zwei Meilen Distanz. Schon das war ein Fehler. Sein Kommandant befehligte das starkste der anwesenden Kriegsschiffe, seine erste Pflicht war es, die Transportflotte zu schutzen, ganz gleich, was kam.
        Noch eine halbe Meile; durch sein Glas konnte Bolitho die winzigen Gestalten auf den Decks der nachstliegenden Transporter herumrennen sehen. Die glaubten wahrscheinlich immer noch, die Osiris sei ein Dreidecker und sie wurden die erste volle, vernichtende Breitseite abbekommen.

«Einen Strich anluven, Captain!»

«Aye, Sir. Kurs Nord zu West.»
        Bolitho sah Pascoe fragend an.»Ist die Nicator zu sehen?»

«Nein, Sir. «Pascoe deutete auf den Pulk der Schiffe.»Sie la?t sich ein vielversprechendes Ziel entgehen.»
        Doch Bolitho kannte Adam gut genug, um diese kuhle Bemerkung zu durchschauen. Er sah auch, wie Midshipman Breen, der Pascoe beim Signaldienst half, diesen anstarrte, als flehe er um die Bestatigung, alles sei in Ordnung.
        Die nachsten, an der Spitze zweier getrennter Reihen ankernden Transporter eroffneten das Feuer mit ihren Buggeschutzen; winselnd flogen die Kugeln hoch uber das Schiff; eine nur schlug ein sauberes Loch ins Gro?marssegel.
        Plotzlich rief der Master:»Untiefen an Backbord voraus, Sir!»
        Unwillig erwiderte Farquhar:»Von denen sind wir doch klar! Was soll ich denn dagegen tun, Mann? Fliegen?»
        Von dem, was jetzt kam, horte Bolitho uberhaupt nichts, wie in einem Fiebertraum: an Backbord barst das Schanzkleid auseinander, mit einer Eruption umherfliegender Splitter rissen die Decksplanken in schiefer Linie auf, Trummer und das ganze Rohr eines Neunpfunders landeten auf der anderen Deckseite. Das geladene Geschutz ging los, seine Kugel ri? eine andere Kanone um, die auf ihre Bedienung sturzte; die Schreckens- und Schmerzens-schreie gingen im Getose unter.
        Das schwere Gescho?, eine doppelte Ladung wahrscheinlich, hatte auch das Ruderrad zertrummert. Zwei Rudergasten lagen tot oder besinnungslos daneben, ein dritter war nur noch ein blutiger Brei. Der explodierte Neunpfunder hatte Bevan, den Master, fast entzweigeschnitten, sein Blut ergo? sich uber das gesplitterte Deck; eine Hand krallte sich in die herausquellenden Eingeweide, als wolle sie allein sich noch ans Leben klammern.
        Plowman tauchte aus dem driftenden Qualm auf.»Ich ubernehme, Sir!«Er zerrte einen verangstigten Matrosen unter einem Sto? Hangematten hervor.»Auf! Komm mit nach achtern, wir schlagen eine Talje am Ruderkopf an!»
        Wieder ein Krachen, diesmal seitlich am Achterdeck. Mehrere Marine-Infanteristen sturzten von der Leiter, und Bolitho horte die schwere Kugel die Bordwand durchschlagen und durch das menschenwimmelnde Geschutzdeck pflugen.

«Segel weg, Captain!«schrie er und hob den Degen.»Die Franzosen haben sich eingeschossen!»
        Er konnte weder Angst noch Bitterkeit empfinden, nur Wut. Die jetzt steuerlose Osiris drehte schwerfallig vor den Wind - Bevan, der tote Master, hatte die Gefahr geahnt, ohne zu begreifen, was sie bedeutete. Jetzt war es zu spat. Der Druck des Windes gegen Segel und Rumpf reichte aus, um die Osiris auf jene Sandbank zuzutreiben.
        Der Feind hatte sein Eroffnungsfeuer benutzt wie einen Stachelstock gegen streunendes Vieh. Ein Sto? hier, ein Stich dort, um das hilflose Rind in eine sorgfaltig aufgebaute Falle zu treiben.
        Die beiden verborgenen Geschutze feuerten jetzt mit neuer Kraft. Die Kugeln krachten in den Schiffsrumpf oder schlugen gefahrlich nahe bei der Buzzard ein, die immer noch auf die ankernden Schiffe zuhielt. Jetzt rief Pascoe:»Die feindliche Fregatte setzt mehr Segel, Sir! Und eine Korvette kommt vom Ankerplatz klar!»
        Bolitho richtete sein Glas durch den driftenden Rauch zuerst auf die Fregatte. Lang und schlank. Achtunddrei?ig Kanonen gegen Javals zweiunddrei?ig. Vorausgesetzt, da? er bisher der schweren Artillerie entgangen war, wurde er eine ganz gute Chance haben. Wenn er die Korvette abwehren konnte. Wenn, wenn, wenn, klang es hohnend durch sein Hirn.
        In der Linse erschien ein dunkler Fleck, und Bolitho schwenkte sie weiter, um den franzosischen Vierundsiebziger ins Blickfeld zu bekommen. Auch jetzt noch fuhr er nur unter den notwendigsten Segeln und naherte sich der Osiris ganz langsam auf konvergierendem Kurs. Die Geschutze waren ausgerannt, aber noch im Schatten. Er dachte daruber nach. Im Schatten? Also legte der Kommandant keinen Wert darauf, die Luvposition zu behalten. Sie hielt von Steuerbord auf die Osiris zu, die gerefften Marssegel dicht angebra?t; Vorderkastell und sogar Galion wimmelten von Matrosen und blinkenden Waffen. Er konnte den Namen deutlich ablesen: Immortalite.

«Was ist mit dem Ruder, Mr. Outhwaite?«brullte Farquhar heiser.»Haben Sie ein Notruder fertig?»
        Bolitho beobachtete das gekrauselte Wasser hinter der Sandbank. Noch funfzig Yards, knapp. Selbst wenn sie Anker warfen, konnten sie jetzt nicht mehr freikommen und schon gar nicht den Transportschiffen irgendwelchen Schaden zufugen.
        Er beobachtete den Zweidecker mit der im Sonnenschein leuchtenden Trikolore und zuckte zusammen, als er noch eine zweite Flagge am Gro?mast entdeckte: einen langen, gespaltenen Wimpel.
        Pascoe sah ihn an und versuchte zu grinsen.»Ein Kommodore, Sir. Fur uns gehorte sich eigentlich ein richtiger Admiral!»
        Eine Kugel fuhr donnernd durch eine der unteren Stuckpforten; Bolitho horte Schreie und Rufe nach den Maaten des Schiffsarztes.
        Er wandte sich wieder dem franzosischen Schiff zu. Langst hatte Probyn hier sein und eine volle Breitseite in die ankernden Transporter feuern mussen, die jetzt vollkommen unverteidigt waren, da der Zweidecker und seine kleineren Gefahrten an der Kuste entlangsegelten, um das Gefecht zu beginnen. Die Nicator ware auf keinen Widerstand gesto?en. Zorn wallte brennend in ihm auf.
        Wieder erbebte das Deck, und mit einem Knall wie von einem Pistolenschu? kam die Vormaststenge herunter und sturzte uber Bord, ein schlangengleiches schwarzes Gewirr von gebrochenen Stangen und Wanten mit sich rei?end.

«Aufgelaufen!«schrie Farquhar mit wildem Blick. Er trat ein paar Schritt zur Seite und rutschte dabei in einer Blutlache aus.»Gottverdammt!«Er schutzte sein Gesicht mit dem gebogenen Arm, denn wieder schlug eine Kugel ins Schanzkleid und ri? zwei Manner nieder, die einen verwundeten Kameraden von der Stuckpforte zuruckzogen.

«Ihre Befehle, Sir?«fragte Farquhar mit ausdrucksloser Stimme.
        Bolitho lie? die Transporter nicht aus dem Auge; sie schienen sich jetzt zu bewegen, schienen in einem riesigen Pulk am Bug vorbeizuziehen. Doch das sah nur so aus, weil die Osiris unter dem Druck des Windes sehr langsam drehte, wahrend ihr Vordersteven im harten Sand festsa?.

«Ich glaube«, sagte er langsam,»wir werden bald die Steuerbordbatterien abfeuern konnen.»
        Pascoe nickte dazu. Sein Gesicht war aschfahl, denn weitere Explosionen schleuderten Schlamm und Spruhwasser uber die Netze. Der bemalte Streifen Leinwand, der den Feind eine Zeitlang getauscht hatte, war langst vom hei?en Sturmwind der Kanonen weggerissen. Schmerzhaft fest packte Bolitho mit der Rechten seinen linken Arm, um sich nicht die Verwustungen und das noch drohende Unheil auszumalen.

«Da - jetzt setzt der Franzose mehr Segel, Captain!»
        Mit weit aufgerissenen Augen starrte Farquhar hinuber.»Mein Gott!»
        Langsam, unerbittlich, sich um den festsitzenden Bug drehend, schwang die Osiris weiter vom Land weg. Kein Wunder, da? der franzosische Kommandant abgewartet hatte. In etwa drei?ig Minuten, wenn er die Sandbank und das in der Falle sitzende Schiff in Lee passierte, hatte er freies Schu?feld auf das ungeschutzte Heck der Osiris. Kein Kommandant konnte sich ein besseres Ziel erhoffen; seine Breitseite mu?te vom Heck bis zum Bug durch den ganzen Rumpf fegen.

«Wir sind erledigt«, keuchte Farquhar.
        Bolitho schritt an ihm vorbei.»Weitergeben: Feuer aus allen noch intakten Rohren! Wenn wir nur ein bi?chen Gluck haben, versenken wir noch ein halbes Dutzend von denen!»
        Der Befehl lief weiter, die Zuge quietschten, die Geschutzfuhrer richteten die Rohre, soweit es irgend moglich war, auf die Transportschiffe: eine letzte Breitseite noch sollte treffen.
        Diese Manner, das wu?te Farquhar, sahen nur den Feind; und selbst wenn sie ahnten, in was fur einer Klemme sie sa?en, erkannten sie wahrscheinlich nicht in vollem Umfang, was das bedeutete.

«Feuer!»
        Die Achtzehnpfunder fuhren im Rucksto? binnenbords, ihre Bedienungen arbeiteten wie die Irren, putzten aus, rammten neue Ladungen hinein.
        Bolitho warf einen raschen Blick auf den Kommandanten. Sein Gesicht verzerrte sich beim Krachen jedes Abschusses, denn der Rucksto? so vieler Geschutze trieb die Osiris immer tiefer in den Sand. Farquhar wu?te, da? sein Schiff bereits erledigt war, und da? Bolitho trotzdem weiterkampfte. Bis zuletzt.
        Heiser sagte Allday:»Der Hang druben brennt anscheinend, Sir!»
        Bolitho rieb sich die Augen mit dem Armel und starrte nach Backbord voraus. Jetzt hatte sich die Osiris ganz gedreht, und er konnte die dichte Rauchwand sehen. Feuerzungen schossen heraus, sie rollte auf die See zu und machte das Chaos noch schlimmer.
        Allday sprach es statt seiner aus.»Das mu? Mr. Veitch gewesen sein. Hat den Hang angesteckt. Da ist vermutlich alles durr wie Zunder. «Er seufzte.»Ein tapferer Mann. Bei der Kustenbatterie konnen sie jetzt bestimmt nichts mehr sehen vor Qualm. Da hat er ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht!»
        Eine heftige Detonation rollte ubers Wasser, und Bolitho sah, da? der dicke Rauch einen gluhendroten Kern bekam.
        Pascoe hustete vom Qualm.»Wir haben einen Transporter getroffen, Sir. Mu? Pulver geladen haben!»
        Trummer klatschten ins Wasser. Auch hinter dem Rauch war das Krachen leichterer Geschutze zu horen - das mu?te Javal sein, der sich wahrscheinlich mit zwei Gegnern auf einmal herumschlug.
        Der Ausguck uberschrie das Getose:»Ein paar Franzosen laufen aus!»

«Haben wohl ihre Trossen gekappt«, sagte Bolitho.
        Er konnte es ihnen nicht verdenken. Wenn einer oder mehrere von ihnen in Brand oder manovrierunfahig geschossen wurden, dann hatten sie nur Nachteile, wenn sie an Ort und Stelle blieben.
        Er betastete mit der Schuhsohle das Deck. Es war leblos, abgesehen von dem heftigen Vibrieren beim Schie?en. Keiner konnte sie mehr aufhalten.
        Etwas sauste an ihm vorbei und krachte in einer jaulenden Woge von Splittern gegen einen Neunpfunder. Manner fielen um sich schlagend und schreiend: Blut spritzte auf Bolithos Kniehose.
        Er wandte sich um und sah Farquhar an der Achterdecksreling lehnen. Er blickte starr zur untersten Rah empor und pre?te beide Hande auf die Brust.
        Bolitho eilte zu ihm.»Ich bringe Sie unter Deck!»
        Langsam wandte Farquhar ihm den Blick zu. Vor Anstrengung entblo?te er die Zahne und formte jedes Wort einzeln, um die Schmerzen zu unterdrucken.»Nein. Lassen - Sie mich. Mu? - hierbleiben. Mu?.»
        Er hatte das Vorderteil seines Uniformrocks zu einem festen Knauel zusammengedreht, das jetzt schon leuchtend rot war.

«Ich bringe ihn hinunter«, sagte Allday.
        Wieder erzitterte das Schiff, als die untere Batterie ihre Wut an den noch verankerten Transportern auslie?. Mehrere Masten waren dort gefallen, die beiden vordersten Schiffe lagen gefahrlich schief, das eine wurde beinahe uberspult, das andere war ein rauchgeschwarztes Wrack.
        Farquhar versuchte, den Kopf zu schutteln.»La?t die Pfoten von mir!«Schwankend fiel er gegen Bolitho.»Mr. Outhwaite!»
        Aber der Erste Offizier sa? gegen eine verlassene Kanone gelehnt, den Kopf auf die Brust gesunken; das Deck um ihn herum war blutuberstromt.

«Allday!«rief Bolitho.»Holen Sie Mr. Guthrie! Alle Verwundeten sollen aufs Hauptdeck gebracht werden, auf die Backbordseite! Aber machen Sie rasch!»
        Der Rauch am Hang mischte sich mit dem der Kanonen. Wenigstens hatte Veitchs Kuhnheit den Verwundeten eine Chance gegeben. Ohne den Rauchschirm hatten die beiden Belagerungsgeschutze jeden Versuch, Boote auszusetzen, vereitelt. Nun feuerten die Franzosen blind uber das Wasser, und das unheimliche Heulen der schweren Kaliber mischte sich mit den Schreien der Sterbenden und Verwundeten.
        Ein kleiner Mann tauchte aus dem Qualm auf - der Schiffsarzt.
        Trotz Farquhars Protest ri? er ihm den goldbetre?ten Uniformrock auf. Das Haar wurde ihm von einer tieffliegenden Kugel ins Gesicht geweht, wahrend er einen dicken Verband uber den hellroten Fleck legte.

«Gehen Sie nach unten, Andrews!«keuchte Farquhar.»Kummern Sie sich um die Leute!»
        Verzweifelt sah der Arzt zu Bolitho auf.»Ich bringe die Verwundeten an Deck, Sir.
«Verwirrt starrte er das zerschmetterte Schanzkleid an und die hingemahten Toten. Selbst nach der grauenvollen Arbeit, die er tief unten im Orlopdeck zu verrichten hatte, mu?te ihm das hier oben wie die Holle vorkommen.»Werden Sie die Flagge streichen, Sir?»
        Farquhar horte es und keuchte: «Streichen? Scheren Sie sich weg, Sie verdammter Idiot! Eher will ich Sie in der Holle sehen, als da? ich meine Flagge streiche!»
        Bolitho winkte Pascoe.»Kummere dich um den Captain! Auch Sie bleiben hier, Allday!

        Er scherte sich nicht um ihre Besturzung, sondern rannte zur Reling, starrte mit schmerzenden Augen durch den Rauch, bis er den Bootsmann entdeckt hatte. Er wu?te seinen Namen nicht mehr, aber er rief ihn an; endlich sah der Mann zu ihm auf, das Gesicht von Pulverrauch und verkohlten Trummern so schwarz wie das eines Negers.

«Bringen Sie den Kutter an Steuerbord zu Wasser! Auch ein Flo?, wenn Sie es schaffen konnen!»
        Auf einen Ruf Pascoes wandte er sich um und sah ein bleiches Segeldreieck durch den Rauch naherkommen; der Rumpf war noch nicht zu sehen.
        Seine Degenspitze beruhrte das Deck, denn ihm sanken hilflos die Arme hinunter. Die Frist war verronnen, der Franzose war da. Hatte sich wie ein Jager, der ein waidwundes Tier verfolgt, zum Heck der Osiris geschlichen.
        Bolitho sah auch, wie der Kommodorestander sich im ablandigen Wind hob, und er fragte sich fluchtig, ob man von druben auch seinen Wimpel uber diesem Chaos aus Blut und Vernichtung noch flattern sah. Eine Bo trieb den Qualm himmelwarts; nur an den gelbroten Flammenzungen, die aus dem Rauch schossen, sah man, da? dieser Windsto? Menschenwerk war.
        Deck um Deck, immer paarweise, hammerten die Geschutze des Vierundsiebzigers ihre Kugeln ins Heck der Osiris.
        Das nahm kein Ende! Schon sah Bolitho die blindlings rennenden, sturzenden, zuckenden, sich walzenden Gestalten kaum noch als Menschen, nur noch als formlose, sinnlose Schreckensbilder mit lautlos klaffenden Mundern.
        Atemlos wankte er zur Reling, soweit sie noch vorhanden war. Dort standen noch immer Pascoe und Allday und hielten, jeder von einer Seite, den Kommandanten aufrecht. Allday hatte eine tiefe Wunde im Arm. Pascoe eine dunkle Beule an der Stirn, wo ihn ein Holzstuck getroffen hatte. Bolitho hatte noch nicht wieder Atem genug, um sprechen zu konnen, aber er hielt sich irgendwo fest und nickte ihnen zu.
        Auf dem Oberdeck stand kein Mensch mehr; achtern, vorn und auf den Laufgangen hauften sich gebrochene Spieren, Stage und Wanten. Uberall wallte Rauch auf. Unter den Trummern schrien Menschen nach Hilfe, riefen Namen, fluchten Sinnloses.

«Der Besan kommt jeden Moment von oben, Sir«, keuchte All-day mit letzter Kraft. Er hangt nur noch an den Wanten!»
        Durch das Getose der fallenden Spieren und brullenden Menschen horte Bolitho fernes Hurrarufen: das Siegesgeschrei der Franzosen.
        Farquhar stie? Pascoe zuruck und wankte zu den zerrissenen Webleinen. Seine Uniform hing in Fetzen, mehrere Holzsplitter staken wie Pfeile in seinen Schultern. Blut aus seiner Brustwunde bezeichnete seinen Weg zum Schanzkleid; als Bolitho ihn endlich auffing, waren seine Augen fast geschlossen.

«Haben wir die Flagge gestrichen, Sir?«keuchte er.
        Bolitho hielt ihn fest im Arm, auch Pascoe kam herbei. Den Mast mit Wimpel, Stagen und Wanten hatte eine Breitseite weggefegt.

«Nein, das haben wir nicht.»
        Mit weitgeoffneten Augen sah Farquhar ihn an.»Das ist gut, Sir. Tut mir leid, da?… Offenbar uberwaltigte ihn eine neue Schmerzwelle, dennoch stie? er wutend hervor: Probyn soll in der Holle faulen - er hat uns auf dem Gewissen!»
        Bolitho stutzte Farquhar. Pascoe beobachtete dessen Gesicht, als konne er darauf die Antwort auf alle seine Fragen ablesen.
        Undeutlich murmelte Fraquhar:»Lassen Sie mich, Sir. Ich kann schon wieder allein stehen. Dieser Idiot von Outhwaite soll. «Ein letzter Schimmer von Bewu?tsein blitzte in seinen Augen auf und erstarrte.
        Der Zweite Offizier stolperte durch den Rauch, blieb aber reglos stehen, als Bolitho sagte:»Hier, halten Sie Ihren Kommandanten, Mr. Guthrie. «Er wandte den Blick ab.»Sir Charles Farquhar ist tot.»



        XVI Der Kommandantenbericht


«Nur die Verwundeten in die Boote!»
        Bolitho war bereits heiser, weil er den Kanonendonner uberschreien mu?te. Von einigen Transportern kam Geschutzfeuer durch den Rauch; freilich mu?ten die Kugeln meist die eigenen Schiffe treffen, denn die Ordnung auf der Reede hatte sich aufgelost. Unbeschreibliche Panik herrschte dort; drei Schiffe brannten lichterloh, ihre Trossen waren gekappt oder verbrannt, sie trieben zwischen die anderen.
        Bolitho hatte keine Ahnung, wie viele Kanonen auf der Osiris noch feuerten, denn in der unteren Batterie waren nur noch wenige Geschutze bemannt; unmoglich, den Rucksto? eines Zweiunddrei-?igpfunders vom Einschlag einer feindlichen Kugel zu untersche i-den.
        Er blickte von der Laufbrucke hinunter; direkt unter ihm lagen die Boote, bereits uberfullt mit Verwundeten; andere klammerten sich noch an die Bordwand oder trieben im Wasser ab, weil sie nicht schwimmen konnten oder zu erschopft waren. Manche kletterten vom Schiff an Tauen uber Bord - Seesoldaten, Matrosen, Kufer, Segelmacher; hier und da versuchte ein Offizier, Ordnung zu schaffen.
        Pascoe kam herbeigerannt.»Was jetzt, Sir?»
        Bolitho antwortete nicht direkt.»Schau dir das da unten gut an, Adam. So sieht eine Niederlage aus. So stinkt sie. «Er wandte sich ab.»Gib durch: Feuer einstellen. Das Schiff kann jeden Moment in Brand geraten, wenn eins von diesen Wracks dagegentreibt.»
        Wieder ein heftiges Krachen: endlich, von den letzten Wanten befreit, sturzte der Besanmast uber Bord und stak in der Sandbank wie ein riesiges Seezeichen.
        Bolitho tat ein paar Schritte uber Deck, blieb mit den Schuhen in Splittern und dem gro?en schiefen Ri? hangen, wo die Franzosen mit ihrem Volltreffer das Ruder zerstort hatten.
        Ein paar Manner rannten vorbei, ohne ihn auch nur anzusehen. Wohin sie rannten, und was sie da sollten, wu?ten sie wahrscheinlich gar nicht.
        Rauch rollte das Deck entlang und wirbelte durch die Locher in den Planken hoch. Es war, als gehe man durch die Holle. Tote rechts und links, Waffen, allerlei personliche Gegenstande lagen herum, wo sie wahrend der Schlacht hingeworfen worden waren. Ein Marine-Infanterist starrte in den Himmel, Kopf und Schultern im Scho? eines Kameraden. Sein bester Freund vielleicht. Aber auch er war tot, von einem Eisensplitter getroffen, wahrend er seinen Freund sterben sah.
        Der tote Farquhar war nicht mehr an Deck. Sie hatten ihn wohl gleich nach unten geschafft, in die zerstorte Kajute mit ihrer einst so eleganten Einrichtung.
        Unter der Kampanje tauchte eine kleine Gestalt auf: Midshipman Breen, der Bolitho anstarrte, aber uberhaupt nicht zu erkennen schien.»Gehen Sie mit Mr. Pascoe«, sagte Bolitho,»und seien Sie vorsichtig.»
        Der Junge nickte und brach in Tranen aus.»Ich bin weggelaufen, Sir. Ich bin weggelaufen!».
        Bolitho legte ihm die Hand auf die Schulter.»Viele erwachsene Manner haben das heute getan, Mr. Breen. Hier konnten Sie doch nicht mehr helfen.»
        Pascoe kam mit dem Zweiten Offizier, der totenbleich und vollig erschopft aussah.

«Die Boote sind voll, Sir.»
        Er zuckte zusammen, denn eine Kugel flog an ihm vorbei und schlug hinter ihm in etwas Festes im Rauch, der so dicht war, da? von dem anderen Schiff uberhaupt nichts zu sehen war.
        Langsam und eingehend sah sich Bolitho auf dem verlassenen Deck um. Unter diesem ungeheuren Gewirr von Tauwerk und Holztrummern lagen bestimmt noch viele Manner eingeklemmt, horchten, warteten, hofften auf Hilfe.

«Ja«, sagte er dann,»sagen Sie durch: Alle Mann von Bord! Wir setzen die Verwundeten an der Kuste ab. «Er blickte Pascoe bedauernd an.»Tut mir leid um dich, Adam. Zweimal gefangen in so kurzer Zeit.»
        Pascoe zuckte die Achseln.»Wenigstens sind wir diesmal zusammen, Onkel.»
        Allday, der sich mit seinem verwundeten Arm beschaftigt hatte, stie? plotzlich von der Reling ab und sagte: «Horen Sie!»
        Uberrascht sahen sie ihn an; Bolitho legte ihm den Arm um die Schulter - er machte sich Vorwurfe, da? er sich in seiner Verzweiflung nicht um Allday gekummert hatte.
        Breen rieb sich die Augen mit den Handknocheln und sagte:»Ich hore es auch! Ergriff nach Alldays Hand.»Ich hor's tatsachlich!»
        Bolitho schritt uber die geborstenen Planken und horchte auf das lauter werdende Hurrageschrei. Es wurde von unregelma?igen Kanonenschussen unterbrochen, denen eine viel lautere und starkere Breitseite folgte. Dann stieg das Hurrarufen wieder auf, lauter und wilder, wie mit einer einzigen machtigen Stimme.

«Das sind keine Franzosen«, sagte Allday heiser.

«Hurra!»
        Wieder rollte Rauch auf die gestrandete Osiris zu, doch eine neue Breitseite ri? ihn auseinander.»Die Buzzard«, mutma?te Pascoe.

«Ach wo«, sagte Allday mit einem Blick auf Bolitho.»Horen Sie nicht, Sir?»

«Ja. «Bolitho steckte den Degen in die Scheide, ohne zu wissen, warum.»Eine so starke Besatzung hat keine Fregatte.»
        Der Zweite Offizier lie? den Kopf sinken.»Diese verfluchte Ni-cator! Jetzt kommt sie endlich - viel zu spat, um uns zu retten.»
        Sonne stach durch den Rauch; Bolitho sah Flammen auflodern und horte das Prasseln brennenden Holzes. Ein entmasteter Rumpf, verlassen, aufgegeben, lag knapp funfzig Yards achteraus. Doch als der Rauch hochwirbelte, starrte er auf ein Schiff, das eben jetzt wieder eine Breitseite auf ein unsichtbares Ziel in Lee feuerte.
        Da war kein Zweifel moglich: die Lysander segelte an den versprengten Transportern vorbei und feuerte auf sie. Und die Batterien ihrer anderen Bordseite schossen offensichtlich auf den franzosischen Vierundsiebziger; daher die ersten Hurrarufe und die vollen Breitseiten.
        Bolitho sah das alles und nahm es in sein Bewu?tsein auf, aber den Sinn begriff er nicht.
        Nur eins zahlte: die Lysander! Thomas Herrick war da. Es war ein phantastischer Glucksfall, fast ein Mirakel. Er war in die Nordpassage eingelaufen und hatte aus dem Ankerplatz der Franzosen eine Abwrackwerft gemacht!
        Pascoe sagte:»Aber jetzt ist es, glaube ich, die Buzzard, Sir. «Seine Augen gluhten, er atmete heftig vor Erregung.»Ja, das ist sie. Und ihre Segel sind so zerlochert, da? sie kaum noch Fahrt macht!»
        Bolitho rieb sich die Augen. Dicht hinter der Lysander kam eine Korvette. Sie lag stark schrag, doch ihre Segel waren nicht so beschadigt wie die von Javals siegreicher Fregatte. Und uber der Trikolore fuhrte sie einen gro?en Union-Jack, die britische Flagge.
        Widerstrebend wandte Bolitho die Augen ab.»Sie setzen Boote aus. Sagt unseren Leuten, da? Hilfe kommt.»
        Gespannt beobachtete er einen driftenden Transporter und betete, er moge keins von den Pulverschiffen sein.
        Eine Bo fuhr ubers Wasser, und er sah, da? viele Transporter gesunken waren. Kein Wunder, da sie diese schweren Geschutze geladen hatten.
        Boote ruderten auf die Osiris zu; er horte ermutigende Rufe. Mit harten Gesichtern starrten die Ruderer das zerschossene, durchlocherte Wrack an, das einst Farquhars Schiff gewesen war.
        Plowman hinkte vorbei, den Schiffschronometer unterm Arm. Als er Bolitho sah, grinste er muhsam.»War' doch schade drum, Sir. Den kann man noch gebrauchen.
«Eilig hinkte er zur Bordwand.»Freut mich, da? Sie nichts abgekriegt haben, Sir!»
        Es waren noch zahlreiche Boote in der Nahe, manche mit bewaffneter Marine-Infanterie an Bord und Drehbassen im Bug; andere beteiligten sich am Rettungswerk. Und noch etwas sah er: einige dieser Boote waren rot gestrichen, stammten also von der Nicator. Probyns Schiff war offenbar irgendwo hinter den versprengten Transportern und brennenden Wracks, um nachzusehen, was die Schlacht gekostet hatte.
        Ein Leutnant kam ubers Deck, trat zu Pascoe und fa?te gru?end an den Hut.»Keine uberlebenden Offiziere au?er Ihnen?«In dieser Holle von Schrecken und Todesnot sah er merkwurdig sauber aus.

«Ich bin auch noch da«, sagte Bolitho.
        Der Leutnant starrte ihn mit offenem Munde an.»Pardon, Sir«, sagte er schlie?lich, ich habe Sie nicht erkannt in diesen - »

«Spielt auch keine Rolle«, entgegnete Bolitho mude.»Daran habe ich mich allmahlich gewohnt.»
        Der Offizier blinzelte verlegen.»Ich komme von der Nicator, Sir. Wir haben gedacht, es ist keiner ubriggeblieben in diesem…«Die Worte fehlten ihm; er machte eine unbestimmte Handbewegung.
        Guthrie, der Zweite Offizier der Osiris, kam plotzlich von der Kampanje herangesturmt und packte den jungen Offizier beim Rockaufschlag.»Sie elender Feigling! Sie verdammte, kriechende Krote! Sehen Sie blo?, was Sie - »
        Bolitho zog ihn von dem besturzten Leutnant weg; Guthrie brach zusammen und schluchzte so heftig, da? es ihn schuttelte.
        Besturzt und beschamt uber Guthries Anschuldigungen erklarte der Leutnant:»Die Nicator ist auf Grund gelaufen, Sir. Aber auf einmal kam die Lysander, keiner wu?te woher, und schleppte uns frei. Ohne Captain Herrick waren wir noch spater eingetroffen, furchte ich. «Er war ganz au?er Atem.

«Ja, bestimmt noch viel spater. «Bolitho ging uber die halb zerstorte Laufbrucke. Jetzt konnen wir das Schiff verlassen.»
        Er blieb stehen und sah sich um. Die Osiris war bereits ein Wrack; ohne Masten, ohne Segel, und ihre Besatzung bestand nur noch aus Toten, unter Trummern Verschutteten und Verkruppelten. Der Schiffsrumpf erzitterte, als wolle er sich gegen die Niederlage wehren. Aber das brennende Transporterwrack war an der anderen Seite angetrieben. Bolitho horte die Flammen prasseln und triumphierend aufbrullen, als sie das geteerte Tauwerk der Osiris erfa?ten, das in wirren Haufen an Deck lag.
        Mochten die Franzosen, oder wer wollte, einige ihrer Geschutze bergen, vielleicht auch die Schiffsglocke zum Andenken. Nur Kiel und Spanten wurden noch lange nach dem Erloschen der Flammen im Sand liegen, bis Zeit und See endgultig gesiegt hatten.

«Legt ab!«Er sa? im Heck, das Boot um sich voll von stummen Mannern, teils verwundet, teils nur betaubt von dem, was sie gesehen und durchgemacht hatten. Rudert an!»
        Bolitho sah sich nach den anderen Booten um. Alle waren uberfullt. Doch von den sechshundert Mann der Osiris waren nur knapp die Halfte gerettet. Er pre?te die Lippen zusammen; die Augen schmerzten ihn vor Anstrengung. Ein sehr hoher Preis. Es war nur zu hoffen, da? ihr Opfer irgendwann von irgend jemandem gewurdigt wurde.
        Er horte einen Ruf und dann Alldays heiseres Krachzen:»Herrgott, seht doch mal die Gig da!»
        Es war Leutnant Veitch, kohlschwarz von Kopf bis Fu? und beinahe nackt; dennoch winkte er ihnen zu und grinste dabei von einem Ohr zum anderen.

«So'n verrucktes Aas«, murmelte Plowman,»er hat gesagt, er schafft's! Hat er tatsachlich!»
        Bolitho hatte jeden Sinn fur Zeit und Entfernung verloren. Als die Boote, von driftendem Rauch verfolgt und eingehullt, die Ly-sander erreichten, war er fast uberrascht, den hohen, schwarz und rotbraun bemalten Rumpf aufragen zu sehen wie eine Klippe. In den Stuckpforten drangten sich freudestrahlende Gesichter, die Laufbrucke war voller Matrosen und Seesoldaten, und alle schrien hoch und hurra.
        Er packte die nachste Sprosse des Fallreeps und zog sich von seiner Ducht hoch. Ihm war, als gehorchten ihm die Arme nicht mehr, als wurden sie aus den Gelenken gerissen. Rauhe Matrosenfauste packten seine Hande, Manner umdrangten ihn, zogen ihn hoch, starrten ihn an.
        Herrick nahm ihn beim Arm und fuhrte ihn nach achtern.»Gott sei Dank«, sagte er leise und sah Bolitho sekundenlang ins Gesicht.»Gott sei Dank!»
        Bolitho fuhr herum: eine brausende Flamme scho? hoch uber den Rauch hinaus. Der Scheiterhaufen der Osiris loderte.»Sorgen Sie fur die Manner der Osiris«, sagte er.»Sie haben gut gekampft, Thomas, besser, als ich je zu hoffen wagte. «Muhsam hob er die Schultern.»Aber waren Sie nicht gekommen, alles ware umsonst gewesen, die Verluste zu gro? fur das, was wir erreicht haben.»
        Er nickte Pascoe zu, der eben vorbeikam.»Auch Adam ist unverletzt.»
        Herrick spahte suchend durch den Rauch.»Und Kapitan Farqu-har?»

«Im Kampf gefallen, als ein tapferer Mann«, entgegnete Bolitho, in die lodernden Flammen starrend.
        Der ferne Kanonendonner wurde von neuen Hurras ubertont, und jemand schrie aufgeregt:»Der Franzmann streicht die Flagge, Sir!»
        Fragend sah Bolitho Herrick an.»Der Vierundsiebziger?»

«Aye. Wir haben ihm das Ruder weggeschossen und ihn zweimal beharkt, ehe er freikommen konnte. Ich glaube, der Kommandant hatte mit der Osiris zu viel zu tun, da? er uns uberhaupt nicht gesehen hat. «Schuchtern legte er Bolitho die Hand auf die Schulter.»In ihm haben Sie Ersatz fur das verlorene Schiff.»
        Leutnant Kipling kam nach achtern und fa?te an den Hut.»Prisenkommando hat Schiff ubernommen, Sir. Mr. Gilchrist meldet, da? der franzosische Kommodore und fast alle hoheren Offiziere schwer verwundet sind.»

«Danke«, nickte Herrick.»Mr. Gilchrist soll einen Austausch arrangieren. Ihre Offiziere und Matrosen gegen alle von der Osiris, die an Land schwimmen konnten. Und das Schiff behalten wir.»
        Bolitho musterte Herrick erstaunt. Wie er sich verandert hatte! Wie selbstsicher, wie unbeirrt er sprach! Und er hatte nicht einmal um Erlaubnis oder Rat gefragt.
        Herrick wandte sich ihm wieder zu.»Ich mochte ankern, Sir. Wie ich hore, stellen alle Franzosen das Feuer ein. Javal hat ihre Fregatte auf die Sandbanke gejagt, dort sitzt sie bombenfest. Er hat eine hubsche kleine Korvette als Prise genommen, und ich glaube, die andere ist nach Suden geflohen, so schnell sie konnte.»

«Einverstanden«, entgegnete Bolitho.»Aber das haben Sie als Flaggkapitan zu entscheiden.»
        Herrick lachelte melancholisch.»Was Captain Farquhar anlangt,
        Sir.»

«Fur ihn ist alles vorbei, Thomas. Er starb, weil ihm die Fakten wichtiger waren als die Ideen. Vielleicht war ihm auch seine eigene Zukunft zu wichtig. Aber er starb als tapferer Mann.»
        Herrick seufzte.»Das habe ich nicht anders erwartet.»
        Da kam jemand unter die Kampanje gelaufen und rief:»Sie sind wieder da, Sir, heil und gesund?«Es war Ozzard, und er lachelte, was er selten tat.»Bitte kommen Sie nach unten, Sir!»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Spater. Ich mu? mir das hier ansehen.»
        Jetzt kamen die Boote mit den Geretteten langsseit; und druben lag die Buzzard mit den zerfetzten Segeln und der hubschen kleinen Prise dicht neben sich. Das franzosische Linienschiff fuhr jetzt nicht mehr den gespaltenen Wimpel, dafur aber britische Flaggen an allen Masten: Immortalite. Der Name pa?te. Sie hatte es uberstanden und wurde, wenn alles gut ging, ein wertvoller Zuwachs fur sein kleines Geschwader sein.
        Ein furchtbares Krachen ertonte, Wrackstucke regneten herab. Das Feuer mu?te endlich die Pulverkammer der Osiris erreicht haben. Die offenen Stuckpforten gluhten auf wie eine Reihe roter Augen; jetzt fra?en die Flammen das Schiff von innen, Deck um Deck, Planke fur Planke.
        Bolithos Kopf schmerzte, er wollte gehen, weit weg von allem. Tief unten im Schiff sein, keinen Menschen horen, kein Wasser mehr sehen.
        Und doch blieb er an den Webeleinen stehen und sah zu, wie auf der Lysander gearbeitet wurde, sah die emsigen Manner und die vielen bekannten Gesichter. Nickend sagte der alte Grubb irgend etwas von Ehre; Major Leroux kam herbeistolziert und wollte etwas au?ern, doch er sah, wie Bolitho zumute war, und drehte im letzten Moment ab.
        Fitz-Clarence und Kipling, auch der kleine Midshipman Saxby mit seinem zahnluckigen Grinsen, der alte Mariot, der Geschutzfuhrer, der schon unter Bolithos Vater gedient hatte - alle waren sie da.

«Das mu? schneller gehen, Mr. Steere«, horte er Herrick rufen.

«Der Wind ist jetzt gunstiger, und ich will noch vor Mittag weiter!»
        Vor Mittag? War seit dem Morgengrauen erst so wenig Zeit vergangen? Mude starrte Bolitho aufs Wasser, auf dem verkohlte Balken und tote Menschen trieben. Nur ein paar Stunden, mehr nicht. Aber viele waren gestorben und noch mehr wurden noch sterben.
        Er griff in die Netze und tat ein paar tiefe Atemzuge. Und gerade er war fest uberzeugt gewesen, da? er als einer der ersten fallen wurde. Das war das Allermerkwurdigste. In seiner Zeit auf See war er oft genug dem Tode nahe gewesen. Manchmal so nahe, da? er ihn neben sich gespurt hatte wie eine Realitat. Noch nie war das Gefuhl so stark gewesen wie an diesem Tag.
        Herrick trat wieder zu ihm.»Tut mir leid, da? ich Sie allein lassen mu?, Sir. Aber bei diesem Betrieb und da die Leute alle noch ganz verruckt vom Sieg sind, bleibt keine Minute Zeit, auch wenn man sie notig brauchte.»

«Ich danke Ihnen, Thomas. «Bolitho sah zu der brennenden Osi-ris hinuber.»Fur das, was Sie fur die dort getan haben - und fur mich selbst.»

«Wenn ich es nur fruher gewu?t hatte, Sir!«sagte Herrick und blickte bedauernd zur Seite.»So dachte ich nur, es hatte keinen Zweck, untatig vor Anker zu liegen, wenn Sie fur das Geschwader so viel getan haben.»
        Ernst und nachdenklich sah Bolitho ihn an.»Und da sind Sie einfach losgesegelt, Thomas? Mit einem Stuck Papier von der Hand Ihres stellvertretenden Kommodore, das ihn gegebenenfalls von aller Verantwortung befreit, Sie aber aufs schwerste belastet hatte. Dienstlich waren Sie hochstwahrscheinlich erledigt gewesen.»
        Er sah die scharfen Falten in Herricks vertrautem Gesicht; vermutlich hatte er geglaubt, Bolitho sei tot oder gefangen. Da? er allein von Syrakus ausgelaufen war, sollte eine personliche Demonstration sein; das hatte ja schon Inch gesagt.
        Mehrere Boote kamen von vorn; vorsichtig mieden sie den brennenden Zweidecker, der vielleicht noch einmal, und dann sogar schlimmer, explodieren konnte.

«Das sind die gefangenen Franzosen, Sir. Sie haben gut gekampft, aber wir haben sie besiegt, ohne einen einzigen Mann zu verlieren. Wir haben sie eben uberrascht. Aber wir selbst waren mindestens ebenso uberrascht, glaube ich.»
        Bolitho beugte sich uber die Bordwand und sah einen hageren Offizier, einen Arm in der Schlinge, die Uniform blutuberstromt, der mit schmerzverzerrtem Gesicht zu ihm aufschaute.

«Der Kommodore. «Er hob die Hand, und der Begleiter des franzosischen Offiziers erwiderte den Gru?.»Ich wei?, wie es ist, wenn man verloren hat. Und was er in diesem Augenblick denkt. «Schroff wandte er sich ab.»Sobald wir klar zum Auslaufen sind, wunsche ich einen ausfuhrlichen Bericht von Captain Probyn.»

«Aye. «Herrick spurte Bolithos Verbitterung, seinen Zorn.
        Wieder sah Bolitho ihn an.»Aber jetzt soll mir nichts mehr die Freude an unserem Wiedersehen verderben, mein Freund!«Er lachelte, weil er sich in seiner Erschopfung so hilflos vorkam.»Ich habe Ihnen ubrigens Gru?e auszurichten, Thomas. Von einer entzuckenden Frau, die sich schon jetzt darauf freut, Sie in Kent willkommen zu hei?en.»
        Herrick geriet ins Stottern.»Verflucht - Pardon, Sir - ich…»
        Dann grinste er.»Sie haben sie also kennengelernt?»

«Das sagte ich ja gerade, Thomas. «Er nahm ihn beim Arm.»Ich hoffe bei Ihrer Hochzeit dabei zu sein, so wie Sie bei. «Er hielt inne und wandte den Blick ab.

«Es wird mir eine gro?e Ehre sein, Sir - falls es dazu kommt.»
        Jetzt sturmte Veitch auf das Achterdeck, das Lachen und die Spa?e, die seinen wilden Auftritt begru?ten, mit frohlichem Grinsen erwidernd.
        Herrick freute sich.»Noch ein alter Lysander ist wieder zu Hause, Sir. Aber wenn Sie nichts dagegen haben, mochte ich ihn sofort zum Ersten Offizier befordern. Mr. Fitz-Clarence kann die Korvette ubernehmen und Mr. Gilchrist den franzosischen Vierundsiebziger. Jedenfalls bis zu einer endgultigen Regelung.»

«Wie gesagt, Thomas, Sie sind der Flaggkapitan. Ihre Ansichten sind auch die meinen, wir haben es beide nur nicht gewu?t, glaube ich. Aber was wird Captain Javal hinsichtlich seiner Offiziere dazu sagen?»
        Herrick lachelte.»Wir haben uns nach dem Gefecht von Bord zu Bord verstandigt, Sir. Er ist ohne Verluste durchgekommen, aber - «, er sah Bolitho in die Augen - , wir haben nur die eine Fregatte. Sie mu? besser sein als jede feindliche Fregatte, auf die sie treffen konnte. Und Javal ist sowieso zufrieden, wenn er Prisengeld kriegt.»
        Er wurde wieder ernst, als Fitz-Clarence eilig herbeikam und offensichtlich eine Menge Fragen hatte.»Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen, Sir?«sagte er.
        Dann trat Pascoe herzu.»Ein seltsames Gefuhl, wieder hier zu sein«, sagte er nachdenklich.
        Bolitho nickte.»Fur dich ganz besonders, Adam.»
        Uberraschung sprach aus Adams dunklen Augen.»Wieso gerade fur mich?»

«Gilchrist und Fitz-Clarence sind vorlaufig Prisenkommandanten - «, jetzt erhellte sich Pascoes Miene, denn er begriff - ,»da ruckst du gleich zwei Stufen auf und bist Vierter Offizier. Mit achtzehn ist das ganz beachtlich.»
        Guthrie fiel ihm dabei ein, Farquhars Zweiter. Wenigstens verdankte Pascoe seine Beforderung nicht dem Tod eines anderen oder war in eine solche Lucke getreten, wie sie Guthrie hinterlassen hatte, dessen Geist sich im Grauen der Schlacht verdunkelt hatte. Bolitho dachte auch an Probyn, der schon als Leutnant ein Trinker gewesen war. Wenn der am Tod all jener schuld war, die heute umgekommen waren, dann gab es keine Entschuldigung und keine hohere Stelle, die ihn retten konnte.
        Er sah Pascoes veranderte Miene und wu?te, da? man ihm seinen Zorn auf Probyn ansah.»Du hast es verdient und noch viel mehr«, sagte er und wandte sich um, denn eben kam ein Boot der Lysander mit der wei?en Parlamentarsflagge vorbei.»Dein Vater ware stolz auf dich gewesen.»
        Damit ging Bolitho zu Herrick hinuber, der am Decksgang stand. Pascoes Gesicht konnte er nicht sehen, doch er wu?te, da? er ihm soeben eine gro?ere Belohnung gegeben hatte, als es die Beforderung war.
        Bolitho sa? in seiner Kajute am Arbeitstisch und schrieb, als Herrick eintrat. Es war jetzt eine volle Woche her, da? sie Korfu mit seinen bitteren Erinnerungen hinter sich gelassen hatten. Auf Sudund Ostkurs waren sie durch die zahllosen griechischen Inseln gesteuert und hatten schlie?lich einen sicheren Ankerplatz gefunden, wo sie die Schaden reparieren konnten.
        Fur die Jahreszeit war das Wetter uberraschend schlecht. Wenn Bolitho mit intaktem Geschwader nach Syrakus zuruckkehren wollte, dann mu?te er dafur sorgen, da? seine Schiffe die Reise auch aushielten.
        Die Buzzard war erheblich beschadigt; sie hatte mehrere Einschusse unter der Wasserlinie. Einmal, in einer heftigen Sturmbo, als das Segelbergen besonders schwierig gewesen war, hatte er gedacht, sie wurde sinken. Aber Javal hatte seine Fregatte unter ungeheuren Strapazen fur Schiff und Besatzung retten konnen.
        Der eroberte Zweidecker, die Immortalite, hatte in den Boen ebenfalls einiges durchgemacht. Den Hauptteil ihrer Besatzung bildeten die Uberlebenden der Osiris. Der Rest kam von allen anderen Schiffen des Geschwaders, und die Manner hatten noch keine Zeit gehabt, zu einer Einheit zusammenzuwachsen. Die behelfsma?ige Ruderanlage war zweimal gebrochen, bevor das Schiff wieder steuerbar wurde, und Bolitho konnte die Entschlossenheit und Ausdauer Gilchrists, ihres vorlaufigen Kommandanten, nur bewundern. Herrick hatte sicherlich die richtige Wahl getroffen. Man konnte sich nur schwer vorstellen, wie das Schiff bei den Schaden und Materialverlusten, die es im Kampf erlitten hatte, ohne Gilchrist uberhaupt durchgekommen ware.
        Lachelnd sah Bolitho auf, als Herrick hereinkam.»Setzen Sie sich, Thomas, und trinken Sie ein Glas Wein.»
        Herrick nahm Platz und wartete, bis Ozzard ihm einen Becher gebracht hatte.

«Ich bin bei meinem Bericht«, sagte Bolitho.»Sobald das Wetter besser wird, soll Fitz-Clarence nach Syrakus und dann nach Gibraltar segeln. Meinen Sie, da? er das schafft?»
        Herrick grinste uber seinem Glas.»Der findet den Weg schon, Sir. «Er verzog das Gesicht, denn eben klatschte ein Gu? Spritzwasser gegen die Fensterscheiben.»Aber das kann noch eine Weile dauern. Gott sei Dank, da? wir diese kleine Insel gefunden haben. Major Leroux hat Patrouillen an Land geschickt und sie anscheinend unbewohnt gefunden. Hier haben wir wenigstens Schutz, bis Gilchrist und Javal mit ihren Reparaturen ein Stuck weiter sind.»
        Bolitho sah auf seinen dicken Bericht hinunter.»Mr. Gilchrist macht sich sehr gut, Thomas. «Versonnen blickte er in der Kajute umher; ihm war, als sahe er allerlei Gesichter.»Ich habe empfohlen, ihm bei erster Gelegenheit ein eigenes Schiff zu geben. Eine Brigg am besten, da lernt er die menschlichere Seite eines Kommandos kennen: ein kleines Schiff, auf dem es sehr viel zu tun gibt!»

«Danke, Sir, das freut mich. Ich wei?, Sie konnten ihn nicht ausstehen, und das war mir sehr unangenehm. Aber er hatte schwer zu klettern, bis er da war, wo er jetzt ist, und seine Zahigkeit imponiert mir.»

«Gewi?.»
        Bolitho dachte an die Briefe, die er fur den Depeschenbeutel geschrieben hatte. An Farquhars verwitwete Mutter und an andere, die in absehbarer Zeit erfahren wurden, da? ein Ehemann oder Vater nicht mehr heimkehren wurde.
        Nach kurzem Schweigen sagte Herrick:»Mr. Grubb furchtet, da? der Wind noch tagelang so ungunstig bleibt, vielleicht noch Wochen. Wir liegen aber hier ganz gemutlich, und da dachte ich, Sie wollten vielleicht jetzt die andere Angelegenheit erledigen.»

«Sie tun recht daran, mich zu erinnern«, erwiderte Bolitho. Vielleicht hatte er es blo? vor sich hergeschoben, weil er die Konfrontation scheute.»Captain Probyn soll morgen an Bord kommen, wenn wir nicht gerade Sturm haben.»
        Herrick war offensichtlich erleichtert.»Ich habe seinen Bericht gelesen, Sir: in einer auf der Karte schlecht ausgezeichneten Durchfahrt ist er auf Grund gelaufen. Als ich die Nicator erreichte, sa? sie auf einer Sandbank. Nicht schlimm, aber wir mu?ten immerhin einen Warpanker verwenden.»
        Bolitho stand auf und ging zu seinem Weinschrank. Wieder und wieder hatte er uber Herricks unvermutetes und entscheidendes Auftauchen in der Schlacht nachgedacht. Mit Hilfe des Logbuches der Lysander, den ausfuhrlichen Erlauterungen des Masters und den Einzelheiten, die er aus Herrick herausholen konnte, hatte er sich ein Bild von den Bewegungen des Schiffes gemacht, seit es
        Syrakus verlassen hatte. Herrick war, von dieser seltsamen inneren Verbundenheit getrieben, nicht direkt nach Korfu gesegelt, sondern viel weiter sudlich auf die afrikanische Kuste zu. Dann nach Osten, immer weiter nach Osten auf der Suche nach einem Schiff, oder, besser noch, nach einer Flotte. Wenn er sich daran erinnerte, wie verzweifelt Herrick vorher gewesen war, wie unfahig, den Posten eines Flaggkapitans auszufullen, kam ihm das Ganze noch unglaublicher vor.
        In diesen vielen endlosen Meilen, bis er schlie?lich Alexandria und die Bucht von Abukir gesichtet hatte, an der entlang er bis zum Mundung des machtigen Nil gekommen war, mu?te er ein ganz anderer Mensch geworden sein.
        Bolitho hatte ihm seine Anerkennung ausgesprochen, weil er mit einer so unbeugsamen Entschlossenheit, mit einem so unerschutterlichen Glauben an die Richtigkeit der Schlu?folgerungen Bolithos losgesegelt war. Darauf hatte Herrick nur erwidert:»Sie hatten mich uberzeugt, Sir. Und als ich das den Leuten sagte, waren sie bereit, zu segeln, wohin ich wollte. «Er war etwas verlegen geworden, als Major Leroux einmal au?erte:»Captain Herrick hat vor der ganzen Besatzung eine Ansprache gehalten, bei der Ihnen die Ohren geklungen haben mussen, wo Sie auch waren!»
        Da von der franzosischen Flotte nichts zu sehen war, hatte sich Herrick schlie?lich entschlossen, Kurs auf Korfu zu nehmen. Uberzeugt davon, da? dort die Versorgungsschiffe warteten, das britische Geschwader aber noch immer in Syrakus vor Anker lag, war er direkt in Bolithos Angriff hineingesegelt. Von Norden nach Suden, so erlauterte er, ware die Uberraschung leichter gewesen, au?erdem hatte er dann die breite Sud-Passage als Fluchtweg gehabt.
        So war er auf die Nicator gesto?en. Zwei Schiffe trafen sich wie nach einem festen Zeitplan und genau in der Stunde des Angriffs.
        Durch denselben Sturm, der damals Bolithos vermindertes Geschwader zerstreut hatte, war die schnellere Lysander bis zum Nil und wieder uber das Mittelmeer bis nach Korfu getrieben worden.
        Bolitho schenkte neu ein und kam wieder an den Tisch.»Wenn nicht gro?e Veranderungen stattgefunden haben, Thomas, konnen wir nur annehmen, da? die Franzosen bald zum Angriff ansetzen werden. Die Korvette, die bei Korfu entwischen konnte, ist vielleicht dorthin zuruckgesegelt; viel wahrscheinlicher ist aber, da? sie Kurs auf Frankreich genommen hat. «Er warf einen Blick auf die salzgestreiften Fenster und horchte auf den Wind, der jaulend durch die Wanten und festgemachten Segel fuhr.»Sie wird schwer zu kampfen haben, und doch mussen wir damit rechnen, da? sie eher als jemand anderer einen Hafen erreicht.»
        Nachdenklich nickte Herrick.»Dann konnte sich der franzosische Admiral dazu entschlie?en, herauszukommen. Wenn er wei?, da? seine schwere Artillerie auf dem Meeresgrund liegt, wird er sich auf ein bewegliches Gefecht einstellen. Das ist logisch.»

«Wir liegen hier schlecht«, erwiderte Bolitho.»Bei diesem Wind mu?ten wir viel weiter westlich liegen, wo wir von Nutzen sein konnten, we nn die Flotte eintrifft.»

«Falls sie eintrifft«, seufzte Herrick.»Aber immerhin haben wir getan, was wir konnten.»

«Ja. «Er dachte an die Bestattungen auf See, wie sie stets am Tag nach einer Seeschlacht stattfanden.»Und man wird sich auch weiterhin auf uns verlassen konnen.»
        Es klopfte, und Midshipman Saxby sagte angstlich:»Mr. Glasson la?t respektvoll fragen, Sir, ob Sie an Deck kommen konnen.»
        Bolitho blinzelte Herrick zu. Zwei Leutnants fehlten; auf ihre Posten waren zwei andere nachgeruckt. So gab es also zwei Fehlstellen, und diese hatten die beiden dienstaltesten Midshipmen bekommen. Glasson, scharfgesichtiger und anscheinend sauerlicher denn je, holte dabei heraus, was er konnte. Er ging kaum eine Wache, ohne da? er Herrick oder Veitch rufen lie?, weil er sich uber irgendeine dienstliche Nachlassigkeit eines Matrosen bis zur Wei?glut aufregte.
        Herrick stand auf.»Ich komme schon. «Zu Bolitho sagte er leise:»Wenn dieser ha?liche kleine Streber nicht aufhort, meine Geduld zu strapazieren, lege ich ihn vor versammelter Mannschaft ubers Knie!»

«Unsere Offiziersmesse wird eben von Tag zu Tag junger, Thomas«, erwiderte Bolitho melancholisch lachelnd.

«Oder wir werden alter. «Herrick schuttelte den Kopf.»Diese jungen Kerle! Wenn ich als Leutnantstellvertreter meinen Kommandanten an Deck gerufen hatte, ohne da? das Schiff praktisch am Absaufen war, dann hatte er mich in kleine Stucke gerissen!»
        Uber die Schiffs- und Windgerausche horte Bolitho einen schwachen Anruf:»Boot ahoi?«Und von irgendwo achteraus die Antwort: «Nicator!»
        Herrick sah ihn fragend an.»Diesmal scheint Mr. Glasson wirklich einen Grund zu haben. «Er griff nach seinem Hut.»Captain Probyn kommt an Bord, ehe Sie ihn gerufen haben!»

«Sieht so aus. «Bolitho horte die Marine - Infanteristen zum Fallreep rennen. Bringen Sie ihn her, Thomas. Dann werden wir ja sehen.»
        Schweren Schrittes trat Captain George Probyn in die Kajute, Mantel und Hose na? und fleckig von der bewegten Fahrt. Sein Gesicht war roter denn je. Angriffslustig blickte er sich um und sagte:»Ich nehme an, Sie wollen mich sehen, Sir?»

«Sie sind ja schon da. «Bolitho deutete auf einen Stuhl.»Nun?»
        Probyn sank in den Sessel und stierte ihn an.»Ich will nicht drumherumreden, Sir. Ich habe allerlei gehort. Uber mein Schiff und uber das, was vor Korfu passiert ist. Ich habe keine Lust, dabeizustehen, wenn mein guter Name in den Dreck gezogen wird, und zwar von Schurken, die nicht wert sind, des Konigs Rock zu tragen!«Er deutete auf die Papiere auf dem Tisch.»Ich habe Ihnen vollstandigen und detaillierten Bericht erstattet. Er wird jeder Nachprufung standhalten, sogar einer durch ein blutiggottverdammtes Kriegsgericht, wenn's notig ist!»
        Gelassen sagte Bolitho:»Etwas Wein fur den Captain, Ozzard! Oder mochten Sie vielleicht lieber Brandy?»
        Probyn nickte.»Brandy. In diesen verdammten Gewassern bekommt er einem besser. «Er ri? Ozzard den Becher fast aus der Hand und go? den Schnaps in einem Zug hinunter. Wenn Sie gestatten, Sir?«Er hielt Ozzard das Glas zum Nachschenken hin.
        Trotz des standigen Windes, der durch die kleine Bucht fegte und von Schaum gekronte Wellen zwischen die ankernden Schiffe jagte, war die Luft in der wetterdichten Kajute warm und feucht. Bolitho hatte zum Empfang Probyns seinen Uniformrock angelegt, aber jetzt wunschte er, er ware wieder in Hemdsarmeln. Der Brandy stieg Probyn in Augen und Stimme. Undeutlich und stockend, aber sehr ausfuhrlich berichtete er, wie sein Master und der Wachoffizier, so einen jungen Dussel gibt's nicht ein zweites Mal, Sir, und der Lotgast in den Rusten, den habe ich verdammt schnell greifen und auspeitschen lassen, kann ich Ihnen sagen, und noch einige andere Leute Fehler gemacht hatten, so da? das Auflaufen nicht mehr zu vermeiden gewesen war.
        Bolitho wartete, bis Probyn eine Pause machte, in der Ozzard den Becher nachfullte. Der Steward hielt die Augen gesenkt, konnte aber sein Interesse nicht verbergen. Es mochte wohl an seiner fruheren Tatigkeit als Rechtsanwaltsschreiber liegen, da? er seine sonstige Zuruckhaltung verga?.

«Sie waren also nicht direkt dabei, als es passierte?«fragte Bo-litho ernst.

«Dabei?«Die rotgeranderten Augen blickten ihn muhsam an.»Naturlich war ich dabei! schrie Probyn fast.

«Ich darf Sie ersuchen, hoflich mit mir zu sprechen, Captain. «Bolithos Tonfall war gleichma?ig, fast freundlich; aber Probyns rotem Gesicht war doch anzusehen, da? er die Warnung verstanden hatte.

«Ja. Jawohl. Bitte um Entschuldigung. Aber es beunruhigt mich die ganze Zeit, da? Sie mir die Schuld geben konnten fur das, was.»

«Also, Captain, wo an Bord der Nicator befanden Sie sich, als sie auflief?»

«Augenblick mal. «Nachdenklich schob er die Lippen vor.»Da mussen wir ganz genau sein, eh? Wie in alten Zeiten auf der Trojan, als wir beide noch Leutnants waren.»
        Reglos beobachtete Bolitho, wie sich die sentimentale Erinnerung auf Probyns verschwommenen Zugen spiegelte.»Das ist lange her«, sagte er schlie?lich.
        Probyn beugte sich vor und warf dabei mit dem Armel den leeren Becher um.»So sehr lange doch auch nicht, wie? Mir kommt's blo? vor wie 'ne Hundewache. War'n feines altes Schiff.»

«Die Trojan!«Bolitho nickte Ozzard zu, der daraufhin Kapitan Probyn einen neuen Becher hinstellte.»Ein hartes Schiff, das gro?e Anforderungen stellte, soweit ich mich erinnere. Eine gute Schule fur alle, die was lernen wollten, aber die Holle fur Bummler. Captain Pears war nicht der Mann, der mit Dummkopfen Geduld hatte.»
        Mit verglasten Augen sah Probyn ihn an.»Naturlich war ich ein bi?chen dienstalter als Sie. Wu?te 'n bi?chen besser Bescheid, sozusagen. Hab' Ihr kleines Spiel durchschaut.»

«Spiel?»
        Probyn klopfte sich verschmitzt an den Nasenflugel.»Sehen Sie? Sie hatten nicht einmal eine Ahnung davon. Der Erste Offizier hatte was gegen mich; er war der Speichellecker des Kommandanten. Und dieser andere Leutnant, der spater umgekommen ist, der war blo? ein Kriecher.»
        Bolitho stand auf und ging zum Weinschrank. Er sah im Geiste Kates Gesicht und horte ihr aufreizendes Lachen. Auch jetzt hatte sie ihn ausgelacht. Sie besa? keinen Sinn fur Autoritat.
        Er antwortete scharf:»Dann waren also, abgesehen von dem sehr jungen Vierten, Sie und ich die einzigen Offiziere an Bord, die Ihrer Ansicht nach etwas taugten. «Er winkte Ozzard hinaus und go? sich selbst ein Glas Rotwein ein.»Ich erinnere mich an vieles auf diesem Schiff, aber woran ich mich am deutlichsten erinnere und woran ich im Laufe der letzten Woche wieder denken mu?te, das ist Ihre Trunksucht.
«Er fuhr herum und sah die plotzliche Besturztheit Probyns.»Ich wei?, da? mehrmals Matrosen ausgepeitscht wurden, weil Sie etwas falsch gemacht hatten. Und erinnern Sie sich noch an die Wachen, die andere fur Sie gehen mu?ten, weil Sie so betrunken waren, da? Sie nicht an Deck kommen konnten? Der Speichellecker, den Sie vorhin erwahnten, sorgte dafur, da? der Kommandant nichts davon erfuhr. Aber bei Gott, Probyn, wenn ich Ihr Kommandant gewesen ware, ich hatte dafur gesorgt, da? es nicht zum zweiten Mal geschehen ware!»
        Schwankend stand Probyn auf; sein gro?er Schatten kam auf Bo-litho zu wie ein Theatervorhang.»Bestimmt hatten Sie das getan! Wie damals, als wir die zwei Prisen nahmen! Ich wurde Prisenkommandant auf der ersten. Ein verfaulter, wurmzerfressener, uralter Kasten war das! Ich hatte darum nicht die geringste Chance, als der Feind mich verfolgte. Das war Absicht, um mich loszuwerden!«Er schielte vor Wut, der Schwei? rann ihm uber Gesicht und
        Hals.

«Sie waren der Dienstaltere. Die Prise stand Ihnen zu. Und wie war das mit einer, die wir kurz vorher nahmen? Dem kleinen Schoner? Die sollten eigentlich Sie nach New York segeln, aber statt Ihrer mu?te sie ein Steuermannsmaat ubernehmen!»
        Ziellos irrten Probyns Augen in der Kajute herum, wie auf der Suche nach einer Antwort - daran merkte Bolitho, da? seine Worte gesessen hatten.»Betrunken waren Sie, als Sie aufliefen!«sagte er schroff. »Geben Sie es zu, Mann!»
        Sehr langsam setzte sich Probyn wieder hin. Seine Hande zitterten auf den Armlehnen.»Ich gebe gar nichts zu, Sir!«Mit roten, ha?erfullten Augen sah er hoch.

«So haben Sie mir also nichts weiter uber das Auflaufen der Ni-cator zu sagen?»
        Diese Frage brachte Probyn anscheinend einen Moment aus der Fassung. Dann erwiderte er:»Ich habe einen vollstandigen und wahrheitsgetreuen Bericht abgegeben. «Er verbarg die Hande unter der Tischplatte.»Und ich habe von denen, die auf Wache waren und damit zu tun hatten, beeidigte Aussagen zu Protokoll genommen. «Er beugte sich vor und legte sein Saufergesicht in verschmitzte Falten. Und falls es zu einer kriegsgerichtlichen Untersuchung kommt, werde ich diese Aussagen geltend machen. Eine davon konnte, nebenbei bemerkt, den Offizier der Wache, den Neffen eines Admirals, schwer belasten. Vielleicht konnte auch jemand denken, Sie waren nicht unvoreingenommen, Sir, und wurden alte Rechnungen dadurch begleichen, da? Sie meinen guten Ruf beschmutzen.»
        Erschrocken lehnte er sich zuruck, denn Bolitho stand auf, und seine Augen blitzten vor Verachtung.»Schachern Sie gefalligst nicht mit mir! Vorige Woche haben wir einen Schlag gegen den Feind gefuhrt, aber die Verluste, die wir hatten, waren sehr schwer. Ware Lysander nicht erschienen, und hatte Buzzard nicht eingegriffen, dann ware Ihr Schiff heute das einzige, das noch schwimmt! Wenn Sie das nachste Mal von Voreingenommenheit oder von Ehre reden, dann denken Sie daran!

        Er rief nach Ozzard. Dann fuhr er fort:»Sie konnen sich jetzt wieder auf Ihr Schiff begeben. Aber vergessen Sie nicht: was nicht zu beweisen ist, steht dennoch zwischen uns. Das Geschwader ist personell unterbesetzt, die meisten Offiziere sind jung und unerfahren. Nur aus diesem Grunde sehe ich vorerst von einer offiziellen Untersuchung Ihres Falles ab.»
        Herrick erschien mit Ozzard an der Tur, blieb jedoch stehen, denn Bolitho sprach noch weiter.»Aber horen Sie gut zu, Captain Probyn: Falls ich jemals herausbe komme, da? Sie uns absichtlich nicht zur Hilfe gekommen sind, oder wenn Sie in Zukunft jemals gegen die Interessen dieses Geschwaders handeln, will ich Sie dafur hangen sehen!»
        Probyn ri? Ozzard seinen Hut aus der Hand und stolperte aus der Kajute. Als Herrick zuruckkam, stand Bolitho immer noch da wie vorher und starrte mit Ekel auf Probyns leeren Stuhl.

«Da haben Sie mich einmal von einer ha?lichen Seite gesehen, Thomas«, sagte er. Aber bei Gott, es war mein Ernst, jedes Wort.»



        XVII Sturmwolken

        Es dauerte beinahe zwei Wochen, bis Bolitho das Signal Anker lichten hissen und das schutzende Eiland verlassen konnte. Selbst dann gab es noch schwere Sturmboen, und bald stellte sich heraus, da? Javals Havarie schwerer war als gedacht. Pausenlos arbeiteten seine Manner auf jeder Wache an den Pumpen, und bei den begrenzten Reserven an Bord brauchte er seinen ganzen Vorrat an Ersatzplanken und Leinwand, um die schwersten Lecks abzudichten.
        Nach der wilden Schlacht, dem Hochgefuhl beim Anblick der Lysander, die ihren Bug durch Pulverqualm und Spruhwasser stie?, war dieses schlechte Wetter, bei dem man trotz gro?ter Anstrengung nur langsam vorankam, um so deprimierender. Die Schiffe gerieten aus der Formation und mu?ten auf verschiedenen Kursen kreuzen, um uberhaupt vorwartszukommen, wobei sie einen starken Sudwestwind gegen sich hatten, und Bolitho mu?te noch dankbar sein, da? kein feindliches Geschwader ihren Weg kreuzte. Seine Mannschaften waren von dem standigen schweren Dienst erschopft, jedes Schiff war wegen der Toten und Verwundeten unterbesetzt, so hatte er es mit keinem Gegner aufnehmen konnen.
        Die Perle, die eroberte franzosische Korvette, eilte mit seinen
        Depeschen voraus; er wu?te, da? Herrick immer noch seine Zwe i-fel hatte, ob Leutnant Fitz-Clarence bis zum Hafen kommen und der Admiral in Gibraltar seine Depeschen auch erhalten wurde. Vielleicht hatte er die Perle direkt nach Gibraltar beordern sollen. Doch da seine Informationen moglichst schnell und umfassend bekannt werden mu?ten, war es unbedingt notig, da? Fitz-Clarence zuerst Syrakus anlief.
        Das Kinn auf der Brust, mit dem Oberkorper die Schiffsbewegungen ausgleichend, ging er nervos in der Kajute auf und ab. Da horte er den Ruf:»An Deck! Segel in Nordwest!»
        Diesmal konnte er sich nicht beherrschen und eilte, ohne auf Meldung vom Achterdeck zu warten, hinaus zu Herrick und den anderen Offizieren.
        Herrick fa?te an den Hut.»Sie haben es gehort, Sir?»

«Aye, Thomas.»
        Prufend uberschaute Bolitho das obere Batteriedeck. Einen ganzen Monat war es schon her, da? die franzosischen Versorgungsschiffe unter ihrem Beschu? gesunken und verbrannt waren; kein Wunder, dieser Zeitverlust bei dem schlechten Wetter und den unumganglichen Verzogerungen durch die Reparaturen. So lange war es schon her, da? Farquhar und die vielen Manner gefallen waren. Und da? die Nicator aufgelaufen war.
        Die Manner am Schanzkleid, auf den Laufbrucken und in den Wanten, die nach dem fremden Schiff ausspahten, sahen zaher und kraftiger aus als vorher, fand Bolitho. Herrick hatte gut gearbeitet. Fur einfache Matrosen war es nicht leicht zu begreifen, was jenseits ihrer eigenen Bordwand im Geschwader vorging. Manche Kommandanten machten sich nicht erst die Muhe, es ihnen zu sagen. Herrick jedoch hatte ihnen, wie er das grundsatzlich tat, Sinn und Ziel der Operation zu erklaren versucht. Ware Farquhar damals seinem Beispiel gefolgt, so ware es besser fur ihn gewesen. Dann hatten seine Manner, als das Schiff mit zerschossenem Ruder und ohne Masten auf die Sandbank zutrieb, wirklich ihr Allerau?erstes gegeben, und alles ware vielleicht anders gekommen.
        Bolitho fuhr hoch, denn jetzt rief der Ausguck:»Die Harebell,
        Sir!»
        Herrick grinste erleichtert.»Der gute alte Inch! Ich habe mich ohnehin gefragt, wo er so lange bleibt!»
        Die Segel der Schaluppe wuchsen aus der Kimm empor; unter allen Segeln, gefahrlich schragliegend, eilte sie auf das Geschwader zu. Bolitho sah die veranderten Schatten auf ihren Marssegeln und flehte zu Gott, der Wind moge sich nicht ausgerechnet jetzt gegen sie wenden oder abflauen. Der Gedanke, in der Flaute zu liegen, wenn Inch wichtige Nachrichten hatte, aber so weit entfernt war, da? kein Kontakt aufgenommen werden konnte, lie? sich kaum ertragen. Und der Wind hatte sich schon mehrmals so launisch benommen, seit sie aus dem Schutz der griechischen Insel heraus waren. Aufbrisend bis zur Sturmstarke, dann wieder zum Nichts verhauchend, so da? die klatschnassen Decks in der hei?en Sonne dampften und die Schiffe reglos lagen wie Manner, die nach einer Prugelei bewu?tlos sind.

«Was meinen Sie, Sir?«fragte Herrick leise.»Gute oder schlechte Nachrichten?»
        Bolitho bi? sich auf die Lippe. Inch war lange weg gewesen. Da das kleine Geschwader wichtige Informationen uber Starke und Bewegungen des Feindes gesammelt hatte, konnten inzwischen alle moglichen Entscheidungen getroffen worden sein.

«Meiner Ansicht nach«, entgegnete er,»wird man jetzt eine Blockade der franzosischen Hafen aufbauen. Wenn Brueys erfahren hat, da? seine Versorgungsflotte und seine schwere Artillerie bei Korfu vernichtet worden sind, durfte er uber eine Invasion Englands etwas anders denken. Unsere Leute haben hart gearbeitet, Thomas. Ich hoffe, damit haben sie der Flotte wenigstens genug Zeit verschafft, da? eine entscheidende Unternehmung vorbereitet werden kann.»
        Als die Harebell nahe genug heran war, um ein Boot auszusetzen, hing fetter Kombusenrauch in der Luft. Es fiel Bolitho auf, da? die meisten der wachfreien Matrosen an Deck blieben, statt ihr Mittagessen zu fassen. Sie wollten Inch ankommen sehen und erfahren, was jetzt geschehen sollte.
        In der gro?en Kajute setzte Bolitho Commander Inch ein Glas Wein vor, damit er erst einmal zu Atem kame.
        Dabei kam ihm der Gedanke, da? es nach den Schlachten und ihren schweren Verlusten oftmals Mannern wie Inch zufiel, Nachrichten von hochster Wichtigkeit zu uberbringen. An Land hatte man ihn kaum bemerkt. Schlaksig, mit langem Pferdegesicht und standig aufgeregt zappelnd, schien er kaum aus dem Stoff zu sein, aus dem die Helden gemacht waren, wie sie sich das Publikum gern vorstellte. Doch Bolitho wu?te es besser und hatte Inch nicht fur ein Dutzend anderer eingetauscht.

«Ich habe die Depeschen abgeliefert«, berichtete Inch,»und - «, er warf einen raschen Blick auf Herrick - ,»meinen Passagier ebenfalls, Sir. Dann geriet ich in ungeheuer hektischen Betrieb. «Er runzelte die Stirn, um seine Gedanken zu sammeln.»Vizeadmiral Sir Horatio Nelson passierte Anfang Mai mit seinem Flaggschiff Gibraltar und nahm Kurs auf Toulon.»
        Herrick atmete tief auf.»Gott sei Dank!»
        Inch starrte ihn an.»Nein, Sir, so ist das leider nicht. Wir hatten einen starken Sturm, Nelsons Schiffe wurden zerstreut, sein eigenes entmastet und beinahe auf Strand geworfen. Er mu?te einen Nothafen anlaufen, um seine Schaden zu reparieren: die Insel San Pietro vor Sardinien.»

«Verdammtes Pech«, stohnte Herrick.
        Inch schuttelte den Kopf.»Na ja - teils, teils, Sir.»

«Los, Mann«, sagte Bolitho ungeduldig,»spucken Sie's schon aus!»
        Inch grinste entschuldigend.»Die Reparaturen haben Nelsons Plane verzogert, aber ge rade dadurch konnte die Verstarkung ihn noch erreichen. Jetzt befehligt er vierzehn Linienschiffe, aber - «, Inch sah, da? sich Herricks Miene erhellt hatte, und fuhr eilig fort:»Die Sache ist die, Sir, derselbe Sturm, der die Vanguard entmastete, hat den Franzosen Gelegenheit gegeben, zu entwischen. «Er blickte von einem zum anderen.»Die Franzosen sind ausgelaufen, Sir.»
        Bitter sagte Herrick:»Genau wie damals unsere Transporter. Verdammtes Dreckwetter!


«Ist das alles, Commander Inch?«Bolitho bemuhte sich, gleichmutig zu sprechen, doch er fuhlte die Enttauschung in sich hochsteigen.
        Inch hob die Schultern.»Die Franzosen haben Malta kampflos genommen, Sir. Nelsons Schiffe haben Brueys' Flotte nicht aufgespurt. Er ist durch das ganze Ligurische Meer hinter ihnen hergefahren und hat sogar in mehreren Hafen gesucht, wo franzosische Schiffe mit Reparaturen liegen mochten.»

«Das haben Sie sehr gut gemacht, Inch«, sagte Bolitho und bedeutete Ozzard, Wein einzuschenken.»Und haben Sie Depeschen fur mich?»
        Inch nickte.»Der Admiral hatte mich nach Neapel beordert, Sir. Dort traf ich dann endlich unsere Flotte. «Er grinste verlegen.»Und Nelson auch.»

«Was, zum Teufel, den?«Herrick starrte ihn an.»Das hatte ich sehen mogen!»

«So sind Sie also nicht auf die Perle gesto?en«, sagte Bolitho nachdenklich.
        Herrick erlauterte Inch, wie ihr Gefecht verlaufen war, und da? sie Prisen hatten. Bolitho horte nicht hin. Seine Gedanken waren anderswo. Wenn Fitz-Clarence nun in Gibraltar war, mu?te er zu spat gekommen sein; Bolitho konnte mit seinem Geschwader auch nicht mehr umkehren und Nelson suchen. Er machte sich Vorwurfe, weil er nicht geglaubt hatte, da? auf seine durftigen Informationen hin die ganze britische Flotte so schnell auslaufen wurde.
        Aufgeregt fragte Inch:»Wo sind denn nun die Franzosen? Nelson suchte vor Elba und Civita Vecchia und Neapel und hat keinen einzigen Franzosen gesehen. Sie dagegen kommen von Osten und haben auch keinen gefunden. Ich verstehe das nicht.»
        Bolitho wandte sich ihnen wieder zu.»Hat Nelson Sie gut aufgenommen?»

«Gewi?, Sir, jawohl. «Inch runzelte die Stirn.»Er war ja nicht ganz so, wie ich erwartet hatte, aber ich fand ihn sehr gewinnend, obwohl er offenbar Sorgen hatte.

        Bolitho fragte sich, was wohl hinter diesen einfachen Worten stecken mochte. War Nelson wutend auf ihn, weil er die Franzosen ebenfalls verloren hatte? Weil er eine britische Flotte, die anderswo dringend gebraucht wurde, ins Leere geschickt hatte?
        Inch fuhr fort:»Ich bekam Order, da? ich Ihnen, falls ich Sie finde, bestellen soll, so schnell wie moglich in Alexandria zur Flotte zu sto?en. «Er bemerkte Bolithos Uberraschung.»O ja, Sir, Nelson hat volles Vertrauen in Ihre Schlu?folgerungen. Er glaubt, die Franzosen nehmen Kurs auf Agypten oder sind schon da. «Anscheinend dachte Inch, diese Nachricht wurde Bolitho in helle Aufregung versetzen.
        Doch Bolitho erwiderte:»Captain Herrick ist in eigener Initiative nach Alexandria gesegelt. Bis auf ein paar uralte turkische Kriegsschiffe und die gewohnten Kustenfahrzeuge war der Hafen dort leer. Und das wird auch der Fall sein, wenn Nelson eintrifft. «Er sah Herrick an.»Stimmen Sie mir bei, Thomas?»
        Herrick nickte.»Ich furchte, ja. Nach allem, was wir in Korfu gesehen und gehort haben, sollten die Versorgungsschiffe erst einen anderen Hafen ansegeln, ehe sie zur Hauptflotte stie?en. «Unmutig studierte er die Karte auf Bolithos Tisch.»Also wird Nelson, wenn er nach Osten segelt, Brueys' Flotte um hundert Meilen oder mehr verfehlen. Die Franzosen werden sich versammeln. «Er tippte auf die Karte. Hochstwahrscheinlich vor Kreta. Wahrend wir zwischen diesen Inseln mit Reparaturen beschaftigt lagen, segelte die gro?te Flotte seit der spanischen Armada nur ein paar Meilen sudlich von uns vorbei, und wir haben nichts davon gemerkt!»
        Zweifelnd fragte Inch:»Was wird Brueys machen, Sir?»
        Bolitho musterte konzentriert die Karte.»Ware ich in seinen Schuhen, ich wurde sammeln, was von den Transportern noch ubrig ist, und dann auf die warten, die vielleicht noch zwischen den Inseln und in den Buchten verstreut sind. Dann wurde ich nach Sudosten segeln. Nach Agypten.»

«Alexandria, Sir?«fragte Herrick gespannt.

«Ja. Doch dort wird seine Flotte vor dem Hafen liegen bleiben. Irgendwo, wo sie eine bessere Verteidigungsposition hat.»
        Herrick nickte verstandnisvoll.»Die Bucht von Abukir. Die ware am besten - fur Brueys. «Er verzog das Gesicht.
        Bolitho ging zum Heckfenster, breitbeinig, denn das Schiff lief eben durch ein tiefes Wellental.

«Und Nelson segelt jetzt wieder nach Westen. «Er sprach wie zu sich selbst.»Er mu? annehmen, da? Brueys ihn uberlistet und schlie?lich doch irgendwo anders angegriffen hat.»
        Er hatte oft von Nelsons plotzlichen Depressionen gehort, von seiner Neigung zur Selbstkritik, wenn seine kuhnen Ideen nicht gleich zum Erfolg fuhrten.
        Drau?en scho? etwas am Fenster vorbei: eine Mowe, die sich unter dem Heckuberhang einen arglosen Fisch aus dem Wasser holte.
        Ein paar hundert Meilen nur, doch bedeuteten sie den Unterschied zwischen Erfolg und Nichts. Er wu?te, wo die Franzosen ihre Kampfverbande sammeln wurden, die mit oder ohne schwere Artillerie sehr rasch die Walle und Batterien Alexandrias einnehmen konnten. Er wu?te es, konnte es aber dem Vizeadmiral nicht rechtzeitig mitteilen. Ware er doch nur wie jene Mowe, konnte doch seine Nachricht so schnell reisen wie ein Vogel! Die Mowe mochte heute nacht auf einer der griechischen Inseln schlafen; doch seine Schiffe wurden, in welche Richtung auch immer, kaum vorwartskommen.
        Nachdenklich sagte er:»Rufen Sie alle Kommandanten sofort zu mir an Bord, Thomas! Wir mussen von unserer Unabhangigkeit Gebrauch machen, sonst nutzen wir Nelson gar nichts.»
        Inch fuhr hoch.»Sie wollen nicht zu Nelson sto?en?»
        Bolitho mu?te uber Inchs Betroffenheit lacheln.»Doch. Aber nachher.»
        Herrick machte Inch ein Zeichen mit dem Kopf.»Ich lasse das Signal hissen. Kommen Sie mit, Commander. «Er warf einen Blick auf Bolithos nachdenkliches Gesicht, denn er wu?te aus Erfahrung, wann dieser mit seinen Gedanken allein sein wollte.
        Zwei Stunden spater waren alle Kommandanten in der Kajute versammelt: Javal, hohlaugig von vielen schlaflosen Nachten, in denen er mit seiner geschwachten Mannschaft gegen See und Wind gekampft hatte. Probyn, Mi?trauen auf den groben Zugen, der Bolithos Blick mied und sich einen Platz im Schatten suchte. Leutnant Gilchrist, verlegen unter so vielen Vorgesetzten, doch selbstsicherer, als Bolitho ihn je gesehen hatte. Das Kommando uber einen Vierundsiebziger veranderte einen Mann eben in vieler Hinsicht. Gilchrist hatte es offenbar gutgetan.
        Au?er Herrick und Inch waren noch Moffitt und Ozzard anwesend. Der Schreiber hockte mit Papier und Feder abseits an einem kleinen Tisch, wahrend der Steward aufmerksam beim Weinschrank stand.

«Gentlemen«, sagte Bolitho ernst,»ich habe Ihnen zu eroffnen, da? wir erneut auf die Suche nach den Franzosen gehen mussen. Brueys ist wieder auf hoher See und hat bis jetzt unsere Flotte abschutteln konnen, die den Auftrag hatte, ihn festzuhalten. «Javals Mudigkeit war auf einmal verschwunden; alle tauschten interessierte Blicke.»Wir mit unserem kleinen Geschwader mussen alles tun, was wir konnen, um die Plane des Feindes zu durchkreuzen. Sie haben bereits viel mehr getan, als die Befehle uns vorschrieben, oder - «, er lachelte - ,»ungesagt lie?en.»
        Herrick grinste versteckt und nickte Inch mit schweigendem Einverstandnis zu.

«Ich will Ihnen nichts vormachen«, fuhr Bolitho fort.»Wenn wir Feindberuhrung bekommen, ist das Risiko gro?. Zu gro? vielleicht. «Er sah Javal direkt ins Gesicht:»Und von Ihnen, Captain, mu? ich ebenfalls volle Aufrichtigkeit verlangen.

        Javal fuhr hoch.»Sir?»

«In bezug auf Ihr Schiff. Wie stehen die Chancen der Buzzard in ihrem augenblicklichen Zustand?»
        Die anderen sahen auf die Karte nieder oder zur Decke auf. Uberall hin, nur nicht Javal ins Gesicht.
        Javal wollte aufstehen, sank aber wieder in den Stuhl zuruck.»Noch einen solchen Sturm, wenn er nicht starker ist, kann ich zur Not abwettern, Sir. Aber Sie wollen ja eigentlich etwas anderes wissen, nicht wahr? Kampfen kann ich mit der Buzzard nicht. Sie ist zu stark zerhammert worden. Noch ein paar Treffer in den Rumpf - dann sinkt sie, furchte ich. «Er starrte auf einen Punkt uber Bolithos linker Epaulette.»Sie ist ein gutes Schiff, Sir, und ich wurde mir kein…«Er verstummte.
        Bolitho sah, was diese Worte Javal gekostet hatten und wie tief bekummert er war. Ruhig erwiderte er:»Ich habe selbst eine Fregatte gefuhrt und wei?, wie Ihnen zumute ist. Aber ich bin Ihnen dankbar fur Ihre Offenheit, auch weil ich wei?, was die Buzzard Ihnen bedeutet. «In dem gleichen ruhigen Ton fuhr er fort:»Die schwersten Geschutze der Buzzard mussen sofort uber Bord geworfen werden. Wenn das nicht genugt, mussen Sie das Schiff aufgeben. «Er wandte die Augen nicht von Javal ab, der mit tief gesenktem Kopf dasa?.»Ich gebe Ihnen die franzosische Prise, die Immortalite. Ihre Matrosen konnen Sie zum gro?ten Teil nach eigenem Ermessen auf die anderen Schiffe des Geschwaders verteilen. In Kurze werden wir jeden Mann brauchen. Wie ich hore, ist Ihr Erster Offizier verwundet?»
        Javal nickte, und Bolitho wandte sich an Gilchrist.»Sie ubernehmen die Buzzard und segeln sie mit einer Notmannschaft nach Gibraltar. Wenn Sie vorsichtig sind, werden Sie schon hinkommen. Ich gebe Ihnen noch schriftliche Order, au?erdem eine Empfehlung an den Admiral, da? Sie bei erster Gelegenheit zum Commander befordert werden sollen.»
        Gilchrist, der bisher mit offensichtlichem Mi?behagen zugehort hatte, sprang auf. Danke, Sir. Es tut mir nur leid, da?…«Er setzte sich wieder hin, ohne seinen Satz zu beenden.

«Wir haben drei Linienschiffe«, sprach Bolitho weiter.»Sie mussen von Mannern befehligt werden, die Erfahrung besitzen. «Er warf einen kurzen Blick auf Probyn, aber der sah durch ihn hindurch.»Und Mut.»

«Soll ich die Schwerverwundeten auf die Buzzard bringen lassen, Sir?«fragte Herrick.

«Wenn Captain Javal sie nach Abwerfen der Geschutze fur seetuchtig halt, dann sollten wir das tun. «Lauschend hob er den Kopf.»Der Wind hat nachgelassen, glaube ich. Dann also los!«Er klopfte Inch auf den Arm.»Und Sie, Commander Inch, konnen jetzt die Nachricht von dem, was wir herausgefunden haben, unserem neuen Freund, Sir Horatio Nelson, uberbringen.»
        Sie schickten sich zum Hinausgehen an, als Herrick sagte:»Farquhar ware bestimmt gern dabeigewesen.»

«Aye, Thomas. Begleiten Sie die Kommandanten zu den Booten, und dann sagen Sie Pascoe, er soll dem Geschwader wegen der Verwundeten signalisieren.»
        Bolitho hatte gesehen, da? Gilchrist noch etwas auf dem Herzen hatte, und wandte sich ihm jetzt zu.»Nun? Stimmt etwas nicht? Ich dachte, Sie sind mit Ihrem Kommando zufrieden, auch wenn es nur zeitweilig ist.»

«Das bin ich auch, Sir. «Gilchrist sah verlegen zu Boden.»Ich bin kein reicher Mann; meine beste Aussicht ist Karriere im Dienst des Konigs. Jetzt haben Sie mir meine erste wirkliche Chance gegeben - «, er schien nahe am Zusammenbrechen zu sein - ,»und ich kann sie nicht annehmen.»

«Warum?«fragte Bolitho unbewegt.»Wegen Captain Probyn? Weil er Sie veranla?t hatte, die Moral im Flaggschiff zu unterminieren?«Er sah Gilchrists Erstaunen und fuhr fort:»Ich wu?te, da? an Bord etwas nicht in Ordnung war. Ein Mann, der bei der Marine Karriere machen und au?erdem die Schwester seines Kommandanten heiraten will, wurde auf keinen Fall so idiotisch handeln, wenn er nicht vor etwas Angst hatte.»

«Jawohl, Sir. Das ist eine alte Geschichte. Mein Vater sollte wegen Schulden ins Gefangnis. Er war ein kranker Mann, ich wu?te, er wurde es nicht aushalten. Er hatte gewisse Schwachen, und niemand half ihm. Da entlieh ich mir Geld aus dem Messefond, den wir fur Wein und frischen Proviant eingerichtet hatten. Ich wollte es zuruckerstatten, sobald ich konnte. Der Erste Offizier aber hat es gemerkt. Ich mu?te ein Gestandnis unterschreiben; er drohte mir, wenn ich noch eine Pflichtverletzung beginge, wurde er es benutzen.»

«Er hat unrecht getan, Mr. Gilchrist. Ebenso wie Sie.»
        Gilchrist schien das nicht zu horen.»Als ich auf die Lysander kam und hier Erster Offizier wurde, glaubte ich mich in Sicherheit. Ich bewunderte Captain Herrick und fand seine Schwester au?erordentlich liebenswert, obwohl sie gelahmt ist. Dann kamen wir zum Geschwader unter Ihre Flagge, Sir. Und dazu gehorte die Nicator mit Captain Probyn.»

«Der seinerzeit Ihr Erster Offizier gewesen war.»

«Aye, Sir.»
        Das war es also. In all den Jahren seit seiner Gefangennahme hatte Probyn seinen Ha? gegen Bolitho genahrt, den einzigen aus seiner Vergangenheit, den er treffen und verwunden konnte. Und als er wieder auf Gilchrist stie?, hatte er ihm mit dieser alten Sache gedroht, um einen Keil zwischen Bolitho und Herrick zu treiben.
        Fur Herrick hatte sich das letzten Endes gunstig ausgewirkt. Doch andere hatten teuer dafur zahlen mussen, und indirekt war es die Ursache fur Farquhars fruhen Tod.
        Verzweifelt sagte Gilchrist:»Auf keinen Fall darf ich Ihre Gute noch weiter ausnutzen, Sir. «Er lachte bitter auf.»Und mein Vater ist sowieso gestorben. Alles war umsonst.»
        Bolitho betrachtete durch das salzfleckige Fenster die anderen Schiffe. Die Buzzard wurde jetzt in sicheren Handen sein, dachte er. Leichter ohne ihre Kanonen und auch starker, weil jeder Kampf, jedes nicht unbedingt notwendige Manover vermieden werden konnte. Sie wurde bestimmt durchkommen.
        Gelassen erwiderte er:»Ich gebe Ihnen den Schiffsarzt der Osiris mit, er soll ein tuchtiger Arzt sein. Sorgen Sie gut fur die Verwundeten, sie haben genug durchgemacht. Lassen Sie nicht zu, da? sie in Gibraltar liegenbleiben, sondern setzen Sie durch, da? sie nach England gebracht werden. «Er sah die dankbare Uberraschung in Gilchrists Zugen.»Ich verlasse mich in dieser Hinsicht auf Ihre Geschicklichkeit.»
        Tiefbewegt nickte Gilchrist.»Sie haben mein Wort, Sir.»

«Dann gehen Sie an Ihren Dienst. Sie haben eine Menge zu tun.»
        Bolitho konnte Gilchrists Erschutterung nicht mit ansehen. Hier war ein Mann von einer gro?en Sorgenlast befreit worden. Vom Schatten des Galgens sogar.
        Gilchrist ging zur Tur, unsicher auf seinen langen Beinen, ohne seinen gewohnten Springschritt. Er wandte sich noch einmal um, das Gesicht im Schatten.»Ich werde in der Heimat davon berichten, Sir. Was wir leisteten.»

«Berichten Sie nur, da? wir es versucht haben, Mr. Gilchrist. «Dann horte er ihn langsam zum Achterdeck gehen.
        Mit ernstem Gesicht kam Allday aus der Schlafkajute.»Darf ich Ihnen ein Glas Wein eingie?en, Sir?«fragte er mit einem drohenden Blick zur geschlossenen Tur.»Sie waren viel zu milde mit dem, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten.»

«Er hat die Lektion hart gelernt, Allday. Und ich glaube, eines Tages wird es anderen zugute kommen.»
        Allday sah zu, wie Bolitho an seinem Wein nippte.»Und was wird mit Captain Probyn, Sir?»
        Bolitho lachelte melancholisch.»Berechtigte Frage. Aber er wird kampfen, wenn er mu?. Drei Kapitane, mehr haben wir nicht. Personliche Differenzen mussen da eben warten.»
        Allday grinste.»Aber einen Kommodore haben wir auch noch, Sir. Und mit allem Respekt, der ist nicht schlecht.»
        Bolitho sah ihn lachelnd an.»Geh zur Holle, Mann!»

«Aye, Sir. Bestimmt komme ich eines Tages hin. «Allday druckte sich zur Tur.»Wenn da vor lauter Admiralen uberhaupt noch Platz ist.»
        Bolitho schritt zum Fenster und lehnte sich an das warme Holz. Diese wochenlangen Verzogerungen, die zerstorten Hoffnungen - jetzt bekam das alles einen Sinn.
        Was hatte er zu Gilchrist gesagt? Berichten Sie nur, da? wir es versucht haben. Es klang wie ein Grabspruch.
        Er ri? sich zusammen und stellte das Glas weg. In funf oder sechs Stunden ging die Sonne unter, dann mu?te er unterwegs sein. Der Wind behinderte sie jetzt nicht mehr, sondern half; und diesmal wurde das Ziel viel zu gro? sein, um es zu verfehlen.
        In den nachsten Tagen segelte das Geschwader nach Osten und dann nach Suden; jede Woche verlief wie die andere. Bolitho formierte seine kleine Streitmacht in breiter Front, die Lysander am nordlichen, die Immortalite am sudlichen Flugel.
        Der Wind wurde faul und launisch, kam aber meist von Norden, so da? Bolitho, obwohl wahrend der Nacht die Formation aufbrach, in breiter Linie weitersegeln konnte. Probyns Nicator lief in der Mitte, als standige Erinnerung an Gilchrists Aussage: das schwachste Glied der Kette, aber doch unter einem Mann, der unersetzlich war, weil er genugend Erfahrung besa?, um einen Zweidecker in der Schlacht zu fuhren. Fast drei Meilen lagen zwischen jedem Schiff; mit guten Leuten im Ausguck war zu hoffen, da? man auf so breiter Front die feindliche Flotte oder wenigstens eine streifende Patrouille sichten wurde.
        Bolitho hatte Inch dem Geschwader vorausgeschickt, weil die schnelle, wendige Schaluppe lange vor den schwerfalligeren Linienschiffen in Alexandria sein konnte.
        Mit jedem Tag brannte die Sonne hei?er, und die erste Begeisterung ging nach und nach in eine realistischere, resignierende Haltung uber. Sooft es moglich war, wurde Geschutzexerzieren angesetzt; nicht nur um die Leute zu beschaftigen, sondern auch, um die Neulinge in ihre Gruppen zu gewohnen. Herrick hatte ihm berichtet, da? der Zahlmeister bereits bei den letzten Reihen der Salzfleischfasser angelangt war. Obst gab es nicht, und auch das Trinkwasser wurde knapp, vom Waschwasser gar nicht zu reden.
        An Bord der Lysander tat Herrick sein Bestes, um die Manner nicht nur auf Wache zu beschaftigen, sondern sie auch etwas zu ihrer eigenen Unterhaltung beitragen zu lassen, sobald die Sonne am Ende jedes langen Tages unterging: Hornpipe,[ein Matrosentanz] Ringkampfe, eine Doppelration Rum als Pramie fur die originellste Knupfarbeit. Sich auf diesem Gebiet immer wieder etwas Neues einfallen zu lassen, war schwieriger, als den taglichen Borddienst aus Segel-und Geschutzubungen zu absolvieren.
        Bolitho hoffte, da? Javal und Probyn sich ebensoviel Muhe gaben, um ihre Mannschaft in Form zu halten. Denn auch, wenn sie diesmal den Feind nicht fanden, war es noch nicht zu Ende. Dann kam der lange, ruhelose Weg zuruck nach Syrakus oder nach einem anderen Punkt auf der Karte, den der Kommodore angekreuzt hatte, weil er ihn fur aussichtsreich hielt.
        Mehrmals hatte Javal signalisiert, da? er die Nordkuste Afrikas gesichtet hatte, aber sonst schienen sie die See fur sich allein zu haben.
        Streit brach aus; bei einer Messerstecherei wurde einer der Kampfer schwer verwundet, und der andere wurde ausgepeitscht, bis er bewu?tlos war - eine grimmige Erinnerung an die Borddisziplin.
        Dann, als Bolitho schon begann, sich wegen der Harebell ernsthaft Sorgen zu machen, sichtete der Ausguck die Schaluppe, die sich von Sudosten herankampfte. Inch brauchte einen vollen Tag, um aufzuschlie?en. Und als er endlich an Bord kam, wirkte die Nachricht, die er brachte, wie ein Schlag ins Gesicht.
        Er war an der Halbinsel Pharos vorbei moglichst nahe an Alexandria herangesegelt. Doch wie schon vorher, war der Hafen leer bis auf das alte turkische Kriegsschiff. Ratlos hatte Inch gewendet und war zufallig auf ein kleines Genueser Handelsschiff gesto?en. Der Kapitan hatte bestatigt, was Bolitho von Anfang an vermutet hatte: Von Neapel aus war Nelson direkt nach Alexandria gesegelt; doch als er da nichts vorfand, hatte er sich mit seiner Flotte wieder nach Westen gewandt. Wie weit und in welcher Absicht, das konnte Bolitho nur vermuten; doch er vermochte sich vorzustellen, wie enttauscht der Admiral gewesen war, als er weder in Neapel noch in Syrakus Informationen vorgefunden hatte und trotzdem seine Entscheidungen treffen mu?te.
        Dieser Genueser hatte Inch und seinem Enterkommando erzahlt, da? er von schweren franzosischen Kriegsschiffen gehort hatte, die vor der Kuste Kretas liegen sollten. Aber das war schon viele Tage her. Trotz aller Fragen, Kartenvergleiche, sogar Drohungen war aus dem Handler nichts Genaueres herauszubekommen gewesen.
        Es war schon fast dunkel, als Inch seinen Bericht schlo?. Herrick und Grubb hatten seine durftigen Angaben auf die Karte ubertragen.
        Bolitho wollte am Morgen die Harebell wieder losschicken, um die Flotte zu suchen. Er an Inchs Stelle ware froh gewesen, wieder von den schwerfallig manovrierenden Zweideckern wegzukommen. Doch Inch protestierte:»Ein Tag mehr oder weniger spielt keine Rolle, Sir. Die Franzosen sind irgendwo nordlich von uns. Es ware besser, wenn ich bei Ihnen bliebe und vielleicht etwas Definitives fur Nelson erfahren konnte. Wenn ich seine Flotte finde und ihm nur Geruchte zu bieten habe, hat das nicht viel Zweck.»
        Bolitho hatte dem halbherzig zugestimmt. Bei besserem Wetter und ohne den gro?en Zeitverlust durch die Schlacht vor Korfu hatten sie vielleicht mehr Gluck gehabt.
        Als er mit Herrick uber seine Sorgen sprach, hatte dieser ebenso entschieden protestiert wie Inch.

«Sie konnen nichts weiter tun, Sir. Sogar Vizeadmiral Nelson hat beim Sturm die Masten verloren und die Frogs aus Toulon entwischen lassen. Das ist, als suche man ein Kaninchen in einem gro?en Bau und hatte nur ein Frettchen. Die Chancen sind nicht sehr gro?.»
        Bolitho sah die beiden an und lachelte.»Wenn ich euch befehlen wurde, ihr sollt die Klippen von Dover hinaufsegeln - ich glaube, ihr wurdet auch das machen!»

«Nur auf schriftlichen Befehl, Sir«, grinste Inch.
        Sie gingen zusammen an Deck, und wahrend Inch auf sein Boot wartete, starrte Bolitho in den gluhenden Ball der untergehenden
        Sonne, deren Widerschein bereits wie buntes Fensterglas auf dem Wasser lag.»Also dann morgen.»
        Er ging nach achtern, sah auf den Kompa? und nickte dann Plowman zu, der Steuermannsmaat der Wache war.»Wie ist der Wind?»

«Ziemlich stetig, Sir. «Plowman sah mit zusammengekniffenen Augen zu dem langen Wimpel hoch, der gleichma?ig vor dem Sonnenuntergang flatterte.»Morgen wird wieder so ein Tag wie heute.»
        Bolitho blieb noch stehen, denn Herrick kam soeben vom Fallreep zuruck.»Geben Sie Signal an alle: Nachts in engem Kontakt bleiben«. sagte Bolitho zu ihm. Ein Schauer uberlief ihn, und er verschrankte die Arme vor dem Leib.
        Betroffen sah Herrick ihn an.»Ist Ihnen nicht wohl, Sir? Geht es etwa wieder mit dem verdammten Fieber los?»

«Keine Angst«, lachelte Bolitho.»Es war nur so ein dummes Gefuhl. «Er wandte sich zur Kampanje.»Ich habe einen Brief zu schreiben. Inch kann ihn mit seinen Depeschen uberbringen.»
        Spater, in der gro?en, knarrenden Kajute, unter dem schwankenden Schein der Tischlampe, den Kopf in die Hand gestutzt, starrte Bolitho auf den Brief an seine Schwester in Falmouth nieder.
        Er sah Nancy deutlich vor sich. Dunkelaugig, stets vergnugt, hatte sie ihm immer nahergestanden als Felicity, seine andere Schwester, die er seit sechs oder sieben Jahren nicht mehr gesehen hatte. Sie lebte mit ihrem Mann, einem Armeeoffizier, in Indien. Nancy dagegen war als Frau des Gutsbesitzers und Ratsherrn Lewis Rox-by in Falmouth geblieben, der, wenigstens nach Bolithos Ansicht, ein aufgeblasener, langweiliger Kerl war. Einst hatten sie zusammen im Schatten der Mauern von Pendennis Castle gelebt. Mit Hugh, und dann, drei Jahre spater, mit Nancys beiden Kindern Helen und James. Jetzt war Hugh tot und Felicity auf der anderen Seite der Erde, und sie hatte keine Ahnung, da? die franzosische Flotte uber das blaue Meer nach Agypten segelte und dann zu ihr nach Indien wollte.
        Nancys Kinder waren erwachsen, fast in Adams Alter. Es war eine andere Welt. In Falmouth hing die Luft jetzt bestimmt voller
        Blutenduft. Kuhgebrull, Pferdewiehern, Schafsbloken und die Kneipen voll lachender Menschen, die sich freuten, weil die We ide- und Fischgrunde wieder so ausgiebig gewesen waren.
        Er schrieb weiter: >… und der junge Adam ist gesund und munter; er macht seinen Dienst mit einem Schwung, uber den sich Vater gefreut hatte.
        Es ist noch nicht ganz sicher, liebe Nancy, aber ich glaube, Thomas hat endlich die Richtige getroffen. Ich hoffe es wirklich sehr, denn einen besseren Ehemann konnte es kaum geben.<
        Oben beim Skylight horte er Schritte und Stimmen. Er blickte hoch. Aber sie entfernten sich, und er zermarterte sich den Kopf, was er seiner Schwester noch schreiben konnte. Jedenfalls nichts von der Kehrseite der Medaille. Von den Gesichtern der Mannschaft, wenn sie sich unbeobachtet glaubten und an ihre eigenen Familien dachten, von denen sie sich mit jeder Stunde immer weiter entfernten. Ebensowenig konnte er ihr erklaren, was er vorhatte, und wie gering die Erfolgschancen waren. Dennoch wurde sie sich das eine oder andere denken konnen. Schlie?lich war sie die Tochter eines Kapitans und Enkelin eines Admirals. Nancy wurde Bescheid wissen.

>. Du wirst Dich an Francis Inch erinnern<, schrieb er weiter, >seit er Sir Horatio Nelson gesehen hat, fuhlt er sich dreimal so gro? und dreimal so bedeutend. Er war machtig beeindruckt; ich habe allerdings den Verdacht, er hat sich Our Nel als eine Art Riesen vorgestellt und nicht als einen eher kleinen, schmachtigen Mann mit nur einem Arm und dem Temperament eines Kohlenschiffers!
        Liebe Gru?e an Dich und die Kinder, auch von Adam, der immer noch denkt, Du bist so eine Art Engel. Er kennt Dich eben nicht so gut wie ich.<
        Lachelnd stellte er sich vor, wie Nancy diese Stelle des Briefes freuen wurde. Damals, als er auf See gewesen und Adam plotzlich unbekannt und hilflos aus dem Nichts aufgetaucht war, war er zu ihr gekommen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte keiner in der Familie, nicht einmal sein Vater Hugh gewu?t, da? Adam uberhaupt existierte. Unehelich geboren, hatte er bis zu seinem vierzehnten Lebensjahr bei seiner Mutter in Penzance gelebt, und als sie gestorben war, hatte er sich zu Fu? auf den Weg gemacht, zu der Familie, der er in Wirklichkeit angehorte. Ja, an diese Tage wurde sich Nancy erinnern, wenn sie den Brief las. Er schlo?: >Denke manchmal an uns! Dein Dich liebender Bruder Dick.<
        Da trat Allday ein und sah ihn neugierig an.»Moffitt hat Ihre Befehle fur die Harebell fertig Sir. «Er sah zu, wie Bolitho seinen Brief versiegelte und adressierte.»Nach Falmouth, Sir?»

«Ja. Ich habe meiner Schwester geschrieben, da? Sie so widerborstig sind wie immer.»
        Ozzard kam herein, und Allday fuhr herum.»Na?»
        Ozzard zog sich zuruck.»Wunscht der Kommodore noch etwas zu essen oder zu trinken?

        Bolitho stand auf, ging unschlussig zur Schottwand und betastete seinen Degen.

«Legen Sie mir morgen meine Gala-Uniform zurecht, Ozzard. «Langsam drehte sich Allday zu ihm um.»Dann glauben Sie also.»
        Bolitho sah an ihm vorbei.»Ja. Ich spur's in den Knochen. Morgen oder nie.»

«Auf diese Nachricht brauche ich einen Rum, damit ich schlafen kann. «Aber er grinste.»Mehrere, hochstwahrscheinlich.»
        Noch bis eine Stunde nach Mitternacht lief Bolitho in der Kajute auf und ab, dachte an allerlei Menschen und daran, was er mit ihnen gemeinsam erlebt hatte.
        Endlich gab er der Deckwache Order, ihn morgen bei Sonnenaufgang zu wecken, und legte sich in die Koje.
        Uberraschenderweise fuhlte er sich ruhiger als jemals seit seinem Fieberanfall, und kaum hatte er die Augen geschlossen, da schlief er auch schon ein.
        Eine Hand an seiner Schulter weckte ihn. Herrick stand mit einer abgeblendeten Laterne vor ihm. Das Skylight ergluhte im rotlichen Schein.

«Was ist, Thomas?»
        Ganz schwach kam es wie ein Echo uber die See: Hurrarufe. »Harebell hat beim ersten Licht signalisiert, Sir«, sagte Herrick ernst. »Feindin Sicht.»



        XVIII Im Schlachtgetose

        Zusammen mit Herrick schritt Bolitho uber das Achterdeck. Schattenhafte Gestalten wichen ihnen aus, und Grubb meldete:»Kurs Ost zu Nord, Sir.»
        Veitch, der die Wache hatte, kam ihnen entgegen und fa?te gru?end an den Hut.
»Harebell hat eben wieder signalisiert, Sir: Schiffe in Nordwest.«Mi?billigend blickte er zu den Signalgasten hinuber.»Mr. Glasson hat seine Manner nicht richtig im Schwung; ich furchte, ein paar Signale sind uns entgangen.»
        Bolitho nickte.»Die Schiffe, die Inch gesehen hatte, waren zweifellos die Vorhut eines gro?eren Verbandes. Sonst waren sie naher herangekommen.»
        Er spahte zu seinem Stander empor. Der glanzte im Licht des neuen Tages, wahrend die unteren Rahen und Wanten noch im Schatten lagen.

«Also - Signal an Geschwader: Vorbereiten zum Gefecht. Haben Ihre Leute gefruhstuckt, Mr. Veitch?»

«Aye, Sir. «Mit einem Blick auf Herrick stotterte er:»Jemand hat mir erzahlt, der Kommodore hatte wegen heute so ein Gefuhl. Da habe ich sie eine Stunde fruher wecken lassen.»
        Bolitho rieb sich das Kinn.»Ich gehe mich jetzt rasieren und Kaffee trinken, wenn noch welcher da ist. «Die Leinen schnurrten, die Signalflaggen stiegen hoch.»Ich hoffe, die auf der Nicator schlafen nicht und geben das Signal an Javal weiter.»
        Er wandte sich um und schaute nach dem schlanken Rumpf der Harrebell aus, doch sie zeigte ihnen nur das Heck und ihre gerefften Marssegel, die sich hell vom Himmel abhoben.

«Wir mussen die Schiffe moglichst vorteilhaft verteilen, Thomas. Andern Sie gleich den Kurs auf genau Nord und segeln Sie uber Steuerbordbug.»
        Uber die bewegte See drang das Stakkato der Trommeln an sein Ohr: Matrosen und Marine-Infanteristen des Geschwaders rannten auf Gefechtsstationen.
        Herrick nickte.»Aye, Sir, das ist ratsam. Ich lasse signalisieren, sowie die Nicator das letzte Signal bestatigt hat.»

«Hat schon bestatigt, Sir!«Glassons sonst so scharfe Stimme klang gedampft.

«Melden Sie's gefalligst sofort, Mr. Glasson«, schnauzte Veitch ihn an.»Sonst bleiben Sie fur immer Stellvertretender!»
        Bolitho horte diesen Wortwechsel nicht, er dachte nach. Wie stark auseinandergezogen mochte die feindliche Flotte segeln? Hatte sie nur ein Flaggschiff oder mehrere?

«Lassen Sie die Barkasse aussetzen, Captain Herrick«, sagte er.»Sie soll die Depeschen zur Harebell bringen… Und Briefe nach England, falls jemand welche hat.»
        Rufe hallten uber das Deck, die Bootsmannschaft rannte nach achtern, von Yeo, dem Bootsmann, und seiner machtigen Stimme angetrieben.
        Nochmals sah Bolitho nach seinem Stander. Es war jetzt heller, doch immer noch ziemlich windstill. Auf dem neuen Kurs und Bug wurden sie etwas mehr Fahrt machen, aber es konnte trotzdem noch eine Ewigkeit dauern, bis sie Feindberuhrung hatten.
        Pascoe, den schweren Depeschenbeutel unterm Arm, kam herbeigerannt.»Boot ist klar, Sir.»

«Dann ab mit dir, Adam. Halte dich druben nicht auf und sage Commander Inch, er soll versuchen, die Flotte so schnell wie moglich zu erreichen.»

«Werden wir uns die Luvposition sichern konnen?«- fragte Herrick.

«Das la?t sich noch nicht sagen, Thomas. «Bolithos Magen zog sich zusammen. Hunger? Angst? Er war sich nicht daruber klar.»Aber wenn der Verband so ist, wie ich ihn mir vorstelle, dann ist er bestimmt so gro?, da? wir ihn rechtzeitig sehen.»
        Veitch kam wieder nach achtern.»Boot hat abgelegt, Sir. Die pullen wie die Teufel.


«Danke. «Er zog die Uhr.»In funfzehn Minuten konnen Sie gefechtsklar machen lassen. Inzwischen geben Sie Signal an Geschwader: Kurs Nord. Und wenn der Befehl ausgefuhrt ist, neues Signal: Gefechtslinie formieren.»
        Als Bolitho ging, schrillten bereits die Bootsmannsmaatenpfeifen, und die Manner rannten auf ihre Stationen. Alles das und noch mehr konnte er Herrick uberlassen. Jetzt.
        Automatisch zog er unter der Kampanje den Kopf ein. Grubb brullte:»Klar bei Brassen!«Das Ruder schwang herum, die losen Segel knallten und bespritzten die Manner mit gro?en Tropfen.
        Die Kajute kam ihm sehr kuhl vor; er sa? fast reglos in seinem Sessel, wahrend Allday ihn schnell rasierte und Ozzard ihm schwarzen Kaffee servierte.»Das war der letzte, Sir«, sagte er dabei klaglich.

«Macht nichts«, murmelte Allday,»wir holen uns welchen von den Franzosen.»
        Von oben kam das Stampfen vieler Fu?e, das Quietschen der Blocke und Taljen. Dazu Veitchs Stimme, hohl verfremdet durch das Sprachrohr:»Lebhafter dort druben! Belegt die Brassen, Bootsmann!»
        Im dammrigen Laternenlicht war die Kajute besonders dunkel. Im Geiste sah er das Schiff auf Nordkurs vor sich, die anderen in Linie dahinter. Nun mu?te es bald soweit sein.
        Dann war es auf einmal still; aber schon Sekunden spater wirbelten die Trommeln scharf, nervenzerrei?end. Leroux' kleine Trommeljungen mu?ten direkt beim Skylight stehen.
        Das Schiff erzitterte. Jedes Deck reagierte auf seine Weise und mit seinen eigenen Gerauschen; Trennwande wurden niedergelegt, Kisten und nicht benotigtes Schiffsgeschirr nach unten geschafft; jeder Geschutzfuhrer lief um seine Mannschaft herum wie die Henne um ihre Kuken.
        Allday trat zuruck und wischte das Rasiermesser ab.»In acht Minuten gefechtsklar, Sir. Mr. Veitch hat gelernt, wie Sie's haben wollen.»
        Bolitho stand auf und lie? sich von Ozzard in den Galarock helfen.»Letztes Mal hat Captain Farquhar dem Gegner diese Ehre erwiesen«, sagte er, und ihre Augen trafen sich.»Nun noch den Degen.»
        Ozzard wartete, bis Allday das Koppel geschlossen hatte, sturzte dann wieder herzu und band Bolithos schwarzes Haar mit einer Schleife im Nacken zusammen.
        Bolitho mu?te daran denken, wie Farquhar ihm damals vorgekommen war: wie ein Schauspieler.
        Wieder ertonten Rufe an Deck, das Scheuern von Riemen an der Bordwand - ein Boot legte an.
        Er blickte zu Allday hin - ob der wohl dasselbe dachte? Jetzt waren sie alle da: Herrick und Pascoe, Allday und er selbst.»Es wird Zeit«, sagte Bolitho.
        Er ging mit Allday durch die Zwischentur in die Hauptkajute, wo statt E?tisch und polierten Stuhlen nur noch die nackten Planken, die finster lauernden Kanonen und ihre Bedienungen waren; dann weiter unter der Kampanje hervor in den schon heller werdenden Morge n hinaus.
        Am Fu? des machtigen Besanmastes stehend, versuchte er, nicht an die Breitseite zu denken, die wie eine blutige Lawine das Heck der Osiris aufgerissen hatte.
        Hier und da wandten sich die Leute an den Geschutzen um und sahen ihm nach; wei? schimmerten ihre Augen hinter den geschlossenen Stuckpforten. Einer rief sogar: Sie haben sich aber feingemacht, Sir!«Die Dunkelheit ermutigte den Mann wohl, er horte nicht auf die groben Drohungen des Deckoffiziers.
        Bolitho lachelte, den Tonfall kannte er: der Mann stammte aus Cornwall wie er selbst. Vielleicht hatte er ihn sogar als Kind einmal gesehen. Jetzt, vor dem Gefecht, fuhlte er sich ihm naher.
        Er ging am Doppelrad und den unerschutterlichen Rudergasten vorbei, am Master, seinen Maaten und dem Midshipman der Wache, dem kleinen Saxby, weiter bis zur Mitte des Achterdecks.
        Dort stand Pascoe, Haar und Schultern von Spritzwasser durchweicht, und flusterte eifrig mit Glasson, der den Signaldienst ubernommen hatte.
        Pascoe luftete den Hut vor Bolitho und sagte:»Ich gehe gleich nach unten, Sir.»
        Bolitho nickte, denn er wu?te, da? einige Matrosen ihn und den jungen Leutnant neugierig beobachteten. Pascoe war jetzt dem unteren Batteriedeck mit den gro?en Zweiunddrei?igpfundern zugeteilt. Sein Vorgesetzter dort war Leutnant Steere; au?erdem gehorte noch ein Midshipman als Laufer dazu. In den Batterien der Lysander dominierte wirklich die Jugend.

«Gott mit dir, Adam.»

«Und«, erwiderte dieser zogernd,»mit dir auch, Onkel. «Er lachelte Herrick zu und eilte den Niedergang hinunter.»An Deck! Segel Backbord voraus!»

«Hinauf mit Ihnen, Mr. Veitch!«befahl Bolitho.»Ich brauche heute ein klares Urteil.»
        Er starrte in den Himmel, der jetzt bla?blau und wolkenlos war; auf die roten Uniformen der Scharfschutzen und der Kanoniere an den Drehbassen, auf die gro?en Rahen und die schwarzen, geteerten Stage. Eine lebendige, kraftvolle Kriegswaffe, die komplizierteste, harteste Anforderungen stellende Erfindung des Menschen. Die Lysander besa? in diesem gedampften Licht eine wirkliche Schonheit, die auch durch ihre Gro?e und Tonnage nicht beeintrachtigt wurde.
        Bolitho ging zur Backbordseite und packte die sauber gestauten Hangemattsnetze. Die Harebell kampfte sich bereits durch den Wind zur Wende, die Marssegel schlugen, Bram- und Gro?segel wurden soeben gesetzt.
        Achtern konnte er die schwarzen Linien der luvseitigen Wanten der Nicator sehen, doch ihr Rumpf, ebenso wie jener der Immorta-lite, waren hinter dem schragen Heck der Lysander verborgen.
        Leichtfu?ig rannte Major Leroux eine Leiter hinunter und gru?te schwungvoll mit gezogenem Degen.

«Ich habe meine Leute wie befohlen verteilt, Sir. Die besten Scharfschutzen dort, wo sie von den weniger guten nicht behindert werden. «Er lachelte, doch seine Augen sahen in die Ferne.»Vielleicht erwarten die Franzosen, mit Nelson zusammenzutreffen.»
        Herrick hatte es gehort und lachte.»Unser tapferer Admiral mu? warten, bis er an der Reihe ist.»
        So leichtfu?ig wie ein zwolfjahriger Midshipman kam Veitch an einem Backstag aufs Deck gerutscht.»Es ist tatsachlich die feindliche Flotte, Sir. Anscheinend auf Sudostkurs, und das Gros liegt noch weit in Luv. «Er zogerte etwas und fuhr dann fort:»Direkt vor unserem Bug segelt ein zweites Geschwader auf konvergierendem Kurs, Sir. Ich habe es genau studiert und bin sicher, da? mindestens ein Schiff davon auch in Korfu war - oder sogar mehrere. Eins war rot und schwarz bemalt. Ich habe es eben ganz deutlich gesehen.»
        Bolitho sah Herrick an und schlug sich mit der Faust in die Handflache.»Brueys halt seine Hauptmacht westlich von uns, Thomas! Offenbar rechnet er immer noch damit, auf unsere Flotte zu treffen.»
        Herrick nickte und entgegnete bitter:»Wenn der wu?te, da? sie gar nicht mehr hier ist!»
        Bolitho fa?te ihn beim Arm.»Mr. Veitch irrt sich nicht. «Er sah die beiden an - sie mu?ten das doch begreifen!» Brueys la?t seine anderen Versorgungsschiffe ostlich segeln, im Schutz seiner Gefechtsformationen!»

«Dann wird unsere Anwesenheit hier allerhand Aufregung verursachen. «Herrick stieg mit seinem Teleskop in die Luvwanten.»Ich kann gerade noch ein paar Segel an der Kimm ausmachen. Doch Sie mogen durchaus recht haben, Mr. Veitch. Unsere franzosischen Freunde schirmen ihre Transporter nach der falschen Seite ab!«Etwas nuchterner fuhr er fort:»Aber noch haben sie reichlich Zeit, ihre Verteidigung umzustellen.»
        Bolitho spielte mit dem Gedanken, selbst aufzuentern und sich die Lage anzusehen.

«Wir haben nur drei Schiffe, Thomas. Die Franzosen werden inzwischen die Harebell gesichtet haben und annehmen, da? sie unsere Signale an die Hauptflotte weitergibt.»
        Leise sagte Leroux:»Dann mochte ich aber nicht in Commander Inchs Schuhen stecken!

        Mehrere Geschutzbedienungen hatten ihre Kanonen verlassen, standen auf der Laufbrucke und beobachteten den langsam naherkommenden Feind. Wie Kavallerie mit wei?en Federbuschen uber einen stahlblauen Hugelkamm, so traten die Masten und Segel immer deutlicher uber die Kimm, jetzt sogar fur die Manner auf dem Batteriedeck sichtbar. Mehr, immer mehr, bis der ganze Horizont hinter lauter Segeln verschwand.

«Was fur eine Flotte, Thomas!»
        Bolitho ruckte den Hut schief, damit ihm die Sonne nicht direkt in die Augen schien. Er konnte sie auf der rechten Wange spuren, auf dem durchfeuchteten Rock. Bald wurde es noch hei?er werden, in mehr als einer Hinsicht.
        Stunde um Stunde verrann, und je hoher die Sonne stieg, um so mehr gewannen die Schiffe an Realitat und Individualitat. Die sachlichen Konstruktionslinien der franzosischen Vierundsiebziger wurden erkennbar, alle beherrscht von einem machtigen Erster-Klasse-Schiff, dem gro?ten, das Bolitho je gesehen hatte. Es mu?te Brueys' Flaggschiff sein. Er fragte sich, was der franzosische Ad-miral wohl denken mochte, wie klein ihm und seinen Offizieren die Formation der britischen Schiffe vorkommen mu?te. Und er fragte sich, ob Bonaparte wohl bei ihm an Bord sein, ihre tapfere Geste sehen und sich voll Verachtung daruber lustig machen mochte. In Bonapartes Anwesenheit lag ihre einzige Hoffnung. Denn Brueys selbst war ein tapferer und erfahrener Marineoffizier, der von der britischen Flotte wahrscheinlich mehr verstand als alle anderen dort druben. Seine Intelligenz und sein taktisches Konnen waren wohlbekannt und wurden respektiert. Aber wurde Bonaparte noch auf seinen Rat horen, jetzt, da Agypten beinahe in Sicht war und nur noch drei feindliche Schiffe ihn davon trennten?

«Lassen Sie Ihren Musikzug aufspielen, Major Leroux«, sagte Bolitho.»Dieses Warten stumpft ab und macht schlapp.»
        Gleich darauf schmetterten Trommler und Pfeifer das Lied The Old East India man, und die Trommeljungen marschierten im Paradeschritt das Achterdeck auf und ab; nur stolperten sie hier und da uber einen Beschlag oder ein ausgestrecktes Matrosenbein.
        Grubb sah das verschmitzte Grinsen seiner Maaten und zog nach einigem Zogern seine legendare Zinnflote aus der Manteltasche; damit stimmte er in die Weise ein.

«An Deck! Feindliche Fregatte auf Sudkurs voraus, Sir!»

«Die jagt die Harebell, Sir!»
        Bolitho pre?te die Hande auf dem Rucken zusammen. Eine starke Fregatte mit immer hoher wachsender Segelpyramide schor aus der endlosen Schiffsformation aus und nahm die Verfolgung der Schaluppe auf.
        Inch hatte einen guten Vorsprung. Bei diesem ma?igen Sudwest wurde der franzosische Kommandant Muhe haben, ihn einzuholen; und wenn er die Harebell nicht mit einem Weitschu? aus seinem Buggeschutz manovrierunfahig schie?en konnte, mu?te sie eigentlich klarkommen.
        Dumpf hallte ein Kanonenschu? uber das glitzernde Wasser, und eine dunne wei?e Gischtfontane sprang empor. Der Schu? lag erheblich zu kurz, und die Ausgucks in den Masten quittierten ihn mit Hohnrufen.
        Als die Lysander heftig uberholte, fielen die marschierenden Trommeljungen beinahe der Lange nach hin.
        Grubb steckte seine Flote wieder in die Manteltasche und brummte:»Wind frischt auf, Sir!«Seinen Rudergasten rief er zu:»Pa?t gut auf, Kinder!»
        Bolitho sah Herrick an.»Jetzt konnen Sie laden und ausrennen lassen.»
        Das Schiff hob sich und tauchte dann in ein tiefes Wellental. Wie Glassplitter flogen Schaum und Spruhwasser an der Galion hoch.

«Mr. Veitch!«rief Herrick durch die hohlen Hande.»Geben Sie durch: Laden und ausrennen!»
        Leroux sagte zu seinem Leutnant:»Tatsachlich, Peter, ich glaube, die Franzosen behalten ihre Formation bei.»
        Nepean sah verstandnislos drein.»Aber dann geraten wir doch direkt zwischen die zweite Gruppe, Sir? Die Versorgungsschiffe scheinen auch gut geschutzt zu sein.
«Er schluckte muhsam und blinzelte den Schwei? aus den Augen.»Tatsachlich, ich glaube, Sie haben recht!»
        Der Major sah zur Kampanje hin.»Sergeant Gritton! Scharfschutzen auf beide Seiten verteilen! Bei diesem Tempo sind wir mitten unter den Feinden, bevor sie uberhaupt wissen, was los ist!»
        Bolitho horte das alles. Das geschaftige Klappern der Rammstok-ke und Handspeichen und die schrillen Pfiffe beim Ausrennen der Geschutze - auf der einen Seite schimmernd wie Zahne, auf der anderen nur purpurne Schatten.
        Bolitho dachte an Pascoe und seine schweren Kanonen, drei Decks tief unter seinen Fu?en. Er hatte ihn lieber bei sich gehabt; aber im unteren Deck war er vielleicht weniger gefahrdet.

«Ausgerannt, Sir.»
        Bolitho nahm Midshipman Saxby ein Teleskop aus der Hand. Beinahe ware es auf die Planken gefallen, denn der Junge zitterte furchtbar und versuchte, es nicht sehen zu lassen. Bolitho stieg die Kampanjeleiter hinauf und richtete das Glas achteraus.

«Signal an Nicator, Mr. Glasson«, sagte er scharf. »Mehr Segel setzen.»

«Wir durfen keine gro?e Lucke in unserer Formation entstehen lassen«, erlauterte er, als er wieder auf dem Achterdeck war. Da fiel ihm Saxby wieder ein, und er sagte zu ihm:»Nehmen Sie das Glas, mein Junge, und gehen Sie nach achtern zu den MarineInfanteristen. Behalten Sie bis auf weiteren Befehl die Nicator im Auge!»
        Herrick tupfte sein Gesicht mit dem Taschentuch ab.»Machen Sie sich Sorgen um den jungen Saxby, Sir?»

«Nein, Thomas. «Er dampfte die Stimme.»Um Probyn.»

«Nicator hat bestatigt. «Glasson gab sich jetzt sehr eifrig.
        Bolitho nickte und stieg, sich mit einer Hand auf die blo?e Schulter eines Matrosen stutzend, auf einen Neunpfunder. Backbord voraus von der Lysander formierten sich die franzosischen Kriegsschiffe, um das lockere Geleit ihrer Transporter zu schutzen.
        Er zahlte sorgfaltig: vier Linienschiffe. Zahlenma?ig uberlegen, aber nicht allzusehr. Hinter den sich uberlappenden Rumpfen der Transporter sah er die Rahsegel einer Fregatte; wie ein Schaferhund beim Auftauchen eines Fuchses die Lammer zusammentreibt, so sa? sie den lebenswichtigen Versorgungsschiffen auf den Fersen.
        Veitch stand bereit, aber Bolitho sah ihn gar nicht. Hochstens noch eine Stunde, dann mu?te der franzosische Admiral wissen, da? keine weiteren britischen Schiffe in unmittelbarer Nahe waren. Was dann? Vernichtung des kleinen Geschwaders? Oder segelte der Admiral gleich weiter nach Alexandria, fur den Fall, da? er dort notiger gebraucht wurde?
        Bolitho sah zwischen den feindlichen Formationen etwas Rotes schimmern - das Versorgungsschiff aus Korfu. Begreiflich, da? Veitch es gleich wiedererkannt hatte. Er hatte reichlich Gelegenheit gehabt, es sich genau anzusehen, ebenso wie die anderen verstreuten Transporter, als er damals den Berghang in Brand gesetzt hatte, um die Osiris vor den Kanonen zu schutzen. Aber dieses Schiff wurde noch mehr solch schwerer Kanonen geladen haben. Die brauchte Admiral Brueys, sonst konnte er es nicht riskieren, innerhalb der engen Hafeneinfahrt von Alexandria zu ankern. Er brauchte ihren Schutz fur seine Schiffe und das Ausladen so vieler Soldaten und Kriegsguter. Ohne sie mu?te er in der Bucht von Abukir ankern, wie Herrick gesagt hatte. Und wenn Nelson Gluck hatte, wurde er ihn dort finden. Und dann - ja, das Weitere war dann seine Sache.
        Schweren Herzens blickte Bolitho uber das Deck der Lysander. Und was ist dann mit uns? Wir haben unser Bestes getan.
        Mehrmals krachte es dumpf, und von dem franzosischen Zweidecker trieben Rauchwolken davon. Mehrere Kugeln peitschten niedrig durch die Wellen wie fliegende Fische, aber alle schlugen ziemlich weit weg von der Lysander ein.
        Das war nur Wut. Ein Zeichen, da? die Franzosen zum Kampf bereit und nach den langen Vorbereitungen hinter ihren Sperren und Hafenbatterien sogar begierig darauf.

«Buggeschutz, Mr. Veitch!«befahl Herrick.»Auf die Entfernung einschie?en - zwei, drei Kugeln!»
        Beim Krachen des Backbordgeschutzes ertonten ein paar Hurras von denen, die vorhin die Kraftdemonstration des Gegners nicht gesehen hatten.
        Unter dem Achterdeck wickelten die Kanoniere bereits ihre Halstucher um die Ohren und legten Sabel und Enterbeile zurecht.

«Halbe Kabellange zu kurz!«sagte Glasson. Doch niemand antwortete ihm.
        Das vorderste franzosische Schiff kam stetig von Backbord auf die Lysander zu. Es segelte so hart am Wind wie moglich; jedes Segel an den dichtgebra?ten Rahen war deutlich sichtbar.
        Bolitho beobachtete genau, schatzte Zeit und Entfernung ab. Kam es zur Kollision, oder wurde er die feindliche Formation durchbrechen? Er mu?te unbedingt zwischen die feindlichen Versorgungsschiffe gelangen.
        Ein Stakkato aufblitzender gelbroter Feuerzungen beim ersten Schiff; und diesmal war die Breitseite besser gezielt. Der Rumpf der Lysander bebte und schwankte; jaulend flog das Eisen uber die Kampanje hinweg.
        Gelassen schritt Kipling, der Zweite Offizier, an den Achtzehn-pfundern und ihren reglosen Bedienungen auf und ab. Seinen blanken Degen trug er gegen die Schulter gelehnt wie einen Spazierstock.»Schon ruhig, Jungs!«Er sprach beinahe sanft, als wolle er ein Pferd beruhigen.»Aufpassen und nach vorn sehen!»
        Bolitho musterte die Breitfock des Franzosen, gefullt und hart an ihrer Rah; es sah tatsachlich so aus, als hinge sie an Bugspriet und Kluverbaum der Lysander.

«Zwei Strich abfallen!«befahl er. Grubbs Manner drehten das Rad, und er nickte Herrick zu.»Feuer frei!»
        Vom Vorschiff bis achtern feuerten die Backbordgeschutze der Lysander, wurden neu geladen und feuerten wieder. Rauch und Flammen spuckten ihre Stuckpforten, die Zuge quietschten, wenn die Mannschaften die Kanonen fur die nachste Breitseite ausfuhren.
        Bolitho spurte das wilde Aufbaumen des Decks beim Rucksto? der Geschutze. Die Augen schmerzten ihn, als er sein Glas uber den Backbordbug richtete: die Segel des Franzosen zuckten und rissen dann unter der Salve.
        Nicht alle Kanonen der Lysander hatten genug Reichweite fur das fuhrende Schiff, doch hoffte er, wenigstens die schweren Zwei-unddrei?igpfunder wurden Heck und Achterschiff treffen.

«Gegner hat Kurs geandert, Sir«, brullte Herrick. Dann fluchte er lasterlich, denn der Franzose feuerte wieder, und seine Breitseite, wenn auch ungenau gezielt und zeitlich schlecht berechnet, war gleichwohl gefahrlich. Die Lysander erbebte unter den Einschlagen, und im Gro?marssegel erschienen zwei Locher.
        Jetzt schwangen die Rahen des ersten Schiffs herum, so da? sich der Umri? der Segelflache verminderte, wahrend das Schiff etwas abdrehte. Damit sollten die Kanoniere besseres Schu?feld bekommen und das Schiff manovrierfahiger werden, als es vorher, so hart am Wind, gewesen war.

«Jetzt wieder Kurs andern!«befahl Bolitho scharf.»Auf Nord zu West!»
        Er hatte seine ersten Breitseiten nicht vergeudet. Sie hatten den franzosischen Kommandanten so verunsichert, da? er eine Wende fuhr, nur um zuruckschie?en zu konnen. Aber er wurde viel zu lange brauchen, um das Schiff wieder so hoch an den Wind zu bringen.
        Mit aller Kraft zogen die Manner an den Brassen; die Rahen knirschten; jetzt fiel auch mehr Sonnenlicht auf das rauchverhullte
        Deck.

«Feuer!»
        Krachend fuhren die Backbordgeschutze im Rucksto? zuruck, eins nach dem anderen; wild schreiend putzten die Kanoniere die Rohre aus und luden neu.
        Bolitho sah, wi e das zweite franzosische Schiff aus dem rollenden Rauch auftauchte: sein Kommandant war auf die Begegnung nicht gefa?t; und gerade vor diesem Schiff, noch vom eigenen Qualm der Lysander verhullt, befand sich die Lucke zwischen den beiden Schiffen, das Loch in der feindlichen Formation.

«Breitfock setzen!»
        Bolitho horte die Kugeln heulend durch die Takelage fliegen und sah an beiden Seiten hohe Wassersaulen aufspringen. Das Deck ruckte scharf, und mehrere gebrochene Wanten fielen in die aufgespannten Netze.

«Stutzruder, Mr. Grubb!»

«Achtung, Marine-Infanterie!«brullte Leroux, den Sabel hoch erhoben.»Beide Divisionen - Feuer!»
        Das scharfere Knallen der Musketen, das hohle Krachen des Drehgeschutzes im Hauptmast mu?te die Manner der unteren Batterie darauf aufmerksam machen, da? der Franzose schon sehr nahe war. Die Lysander, nun mit mehr Fahrt durch die vergro?erte Segelflache, schob knapp am Heck des fuhrenden Schiffs vorbei; die Mannschaft rief hurra, blinzelte in die Sonne und stob dann zur Seite, denn auf Leutnant Steeres schrillen Pfiff hin schlugen die Kugeln der ganzen Reihe Zweiunddrei?igpfunder krachend in den Feind.
        Bemaltes Schnitzwerk, Glasscherben, Bretter und Holzstucke wirbelten hoch uber den Rauch, und Bolitho konnte sich die Panik auf den Versorgungsschiffen vorstellen, als die wildaugige Galions-figur der Lysander durch die Formation brach und auf sie zukam.

«Feuer!»
        Der zweite Franzose, auch ein Vierundsiebziger, machte eine blitzschnelle Kursanderung, drehte nach Backbord hinter der Ly-sander her und feuerte dabei. Kugeln streiften ihren Rumpf oder zischten uber die schwitzenden Geschutzbedienungen hinweg; vom ersten franzosischen Schiff folgten die etwas schwacheren Kaliber eines Heckgeschutzes und ein paar Kartatschen. Mehrere Seesoldaten waren gefallen, aber Sergeant Gritton hielt die Division zusammen. Ladestocke gingen auf und ab, rammten die Kugeln in die
        Laufe, und dann stand die rote Reihe der Manner wieder an den Netzen und scho?.
        Bolitho rannte nach Lee und spahte durch den Rauch. Das fuhrende franzosische Schiff hatte die Gro?maststenge verloren und trieb stark ab; entweder war auch das Ruder weg, oder es wurde von den nachschleppenden Spieren und Segeln so schwer behindert, da? das Schiff zeitweilig manovrierunfahig war.

«Noch mal, Mr. Veitch! Volle Breitseite!»
        Mit lautem Gebrull, mit Fausthieben sogar trieben die Geschutzfuhrer die vom Krachen und Pulverrauch vollig kopflosen Kanoniere an die Geschutze zuruck; ein Rohr nach dem anderen fuhr wieder aus, worauf der Geschutzfuhrer eine schwarze Hand hochhielt.

«Feuer!«brullte Veitch.
        Die untere Batterie fing an, dann kamen die Achtzehnpfunder und schlie?lich die Neunpfunder vom Achterdeck; jedes einzelne der schwarzen Rohre spie Tod und Verderben.
        Der Rauch rollte zur Seite, und Bolitho versuchte, den Feind zu erkennen. Seine Augen tranten heftig, sein Mund war wie Sand. Der Himmel war nicht mehr da, sogar die Sonne war weg; die Welt schien nur noch ein Alptraum aus Donner, Flammen und ohrenzerrei?endem Getose.
        Der Schiffsrumpf erschauerte; erstickte Schreie ertonten aus der Tiefe, denn eine Kugel war durch eine Stuckpforte geflogen und durch das mit Menschen uberfullte Batteriedeck. Bolitho versuchte, nicht daran zu denken, da? Pascoe vielleicht verwundet oder zum Kruppel geschossen dort unten lag; sich nicht die Schrecknisse vor Augen fuhren, die ein schweres Gescho? in so engem Raum anrichten konnte!
        Der kleine farbige Fleck einer Flagge hob sich aus dem Rauch; und ihm wurde klar, da? kein anderer Mast au?er diesem mehr in der Nahe war. Ein paar Geschutzbedienungen riefen hurra; nach dem Krachen der vollen Breitseite klangen die Rufe seltsam gedampft. Grimmig sah Bolitho zu, wie das feindliche Schiff durch den Qualm stie?, Heck und Achterdeck beinahe bis zur Unkenntlichkeit zerschmettert. Nur der Fockmast stand noch, und ein tapferer Mann riskierte die gefahrliche Klettertour, um eine neue Trikolore daran zu befestigen.
        Unglaubig rief Herrick:»Die Nicator folgt nicht!«Er fuhr zuruck, denn ein Mann wurde von einem Geschutz weggeschleudert und fiel in seine Arme; sein Schrei erstickte ihm in der Kehle. Herrick lie? ihn an Deck gleiten, seine Hande waren blutbespritzt. Er richtete sich wieder auf und stie? wutend hervor:»Probyn macht nicht mit!»
        Bolitho horte es, rannte nach Backbord und suchte die feindliche Formation. Die beiden hinteren Schiffe hielten noch ihren Kurs, wahrend das, welches der Lysander gefolgt war, immer noch versuchte, sie zu uberholen, und dabei mit den Buggeschutzen ihr Heck bestrich.

«Nehmt den da unter Feuer!«schrie er.
        Er fuhr zusammen, denn zuckend und um sich schlagend fielen mehrere Manner von einem Geschutz. Splitter und verkohltes Netzwerk barsten gegen ein Bootsgestell; ein Schiffsjunge, von einer zersplitterten Planke fast gekopft, wurde aufs Deck geschmettert.

«Feuer!«Leutnant Kipling marschierte immer noch auf und ab, doch sein Hut war weg, und sein linker Arm hing schlaff.»Stopfen! Ausputzen! Laden!«Er buckte sich und zerrte einen Verwundeten aus der Rucklaufbahn des Geschutzes.»Ausrennen!»
        Auf den Laufbrucken krachte und splitterte es: die feindlichen Scharfschutzen schossen sich ein.

«Feuer!»
        Ein heiseres Hurra. Die Vormaststenge des Feindes schwankte, stand still und sturzte dann in den Pulverqualm. Damit waren auch ein paar von den Scharfschutzen ausgefallen.
        Doch der Feind feuerte immer noch; Bolitho fuhlte die Kugeln in Bordwand und Kampanje einschlagen, horte ihr Heulen und Krachen, die furchtbaren Schreie, wenn sie trafen.
        Ein Midshipman, die Augen starr auf Bolitho gerichtet, kam ubers Deck gerannt. Sir! DieImmo… Immor… - <, er gab es auf - ,»Captain Javals Schiff bricht durch, Sir! Mr. Yeo meldet, er hat gesehen, wie sie am Bugspriet des dritten Franzmanns vorbeistie?!»
        Bolitho packte ihn bei der Schulter; der Junge fuhr erschrocken zusammen, denn eine Kugel schmetterte ins Achterdeckschanzkleid und totete zwei Manner an einem Neunpfunder. In einem blutigen Haufen fielen sie dem Midshipman vor die Fu?e, und da erst sah Bolitho, da? der Midshipman Breen war; seine roten Haare waren schwarz vom Pulverrauch.

«Danke, Mr. Breen. «Seine Hand umspannte immer noch fest die Schulter Breens, der daraufhin etwas ruhiger wurde.»Mein Kompliment an den Bootsmann. «Der Midshipman wollte schon zur Leiter rennen, doch Bolitho sagte:»Nehmen Sie sich Zeit, Mr. Breen!«Die Worte zugelten und beruhigten ihn noch mehr.»Unsere Leute achten heute sehr auf ihre jungen Offiziere!«Da grinste der Junge tatsachlich.
        Herrick rief:»Ich kann die Nicator sehen, Sir! Sie kampft immer noch nicht mit!»
        Bolitho uberlegte. Probyn hielt sich in sicherer Entfernung. Er konnte seine Kampfkraft auf den hintersten franzosischen Vierundsiebziger konzentrieren, der sich jetzt im Schu?wechsel mit der Immortalite befand. Oder er konnte mehr Segel setzen und der Lysander nachkommen.
        Er befahl:»Signal an alle: Nahkampf!»
        Herrick eilte fort; Bolitho wandte sich um und starrte uber die Netze. Er sah die Marssegel der Nicator, ihr Bestatigungssignal sehr farbig vor der Rauchwand. Qualm rollte durch die Pforten, Bolitho hustete wurgend.

«Mr. Glasson! Sagen Sie Ihren Mannern, das Signal bleibt stehen, ganz gleich, was kommt!»

«Glasson ist gefallen, Sir«, rief Herrick.
        Zwei Seesoldaten hoben soeben den toten Vizeleutnant von einer Kanone. Er hatte immer noch diesen vorwurfsvollen Gesichtsausdruck; sein Mund stand halb offen, als wolle er die beiden ausschimpfen, die ihn trugen.

«Ich mache das, Sir!»
        Bolitho drehte sich um. Da stand Saxby und starrte ihn an. Den hatte er ganz vergessen.

«Danke. «Er versuchte zu lacheln, aber sein Gesicht war steif und unbeweglich.»Ich will, da? man das Signal und unsere Flagge sieht. Und wenn Sie sie an den Bugspriet binden mussen!»
        Er horte das Stohnen brechenden Holzes, und dann rief Major
        Leroux von der Kampanje her:»Captain Javal hat schwer zu kampfen, Sir! Sein Besan ist weg, anscheinend will er entern!»
        Bolitho nickte. Die Franzosen hatten sicher Javals Schiff als eins ihrer eigenen erkannt. Sie wurden zuallererst versuchen, es wieder zu erobern. Das war nur naturlich.

«Mehr Segel, Thomas!«sagte er.»Setzen Sie Bramsegel! Ich will zwischen die Versorgungsschiffe!»
        Von einer Rah fiel ein Matrose herunter ins Netz; sein Arm stieg durch die Maschen: der Tote griff nach den Lebenden.
        Doch andere reagierten auf die Befehle. Unter mehr Segeln uberholte die Lysander den franzosischen Zweidecker.
        Herrick wischte sich das verschmierte Gesicht mit dem Armel und grinste.»War schon immer ein Schnellsegler, Sir!«Kampfeswut in den Augen, schwenkte er seinen Hut. Hurra, Jungs! Trefft gut, Jungs!»
        Wieder brach eine lange Reihe Mundungsfeuer aus dem Rumpf der Lysander, mit einer vollen Schwenksalve der unteren Batterie brachten Leutnant Steeres Geschutzfuhrer mehrere Treffer an. Der Franzose hatte keine Maststengen mehr, und das Vorschiff war ein wustes Chaos aus gebrochenen Spieren und Wanten. Mehrere Stuckpforten waren schwarz und leer wie blinde Augen; dort waren die Kanonen umgesturzt, die Bedienungen tot oder verwundet.
        Aber er folgte immer noch, der Bugspriet, drohend wie ein Sto?zahn, auf gleicher Hohe mit der Lysander, nur eine halbe Kabellange querab.
        Leroux' Scharfschutzen feuerten pausenlos und mit grimmig verzerrten Gesichtern auf die Ziele, die ihr langer Sergeant ihnen aussuchte.
        Aber auch die Franzosen waren nicht faul - die Luft uber der Kampanje schwirrte von Musketenkugeln. Splitter flogen von Planken und Laufbrucken auf und schlugen bosartig in die gestauten Hangemattsnetze. Hier und da sturzte ein Mann vom Geschutz oder aus den Wanten, und das Getose der Salven wurde unertraglich. Auf dem Kurs der Lysander lagen mehrere Transporter; zwei von ihnen, die beim hastigen Fluchtversuch kollidiert waren, hingen noch zusammen. Kipling stand zwischen seinen vorderen Geschutzen, trieb die Karronadenkanoniere und alle, die in seiner
        Nahe waren, zu hochster Eile an. Die vordersten Geschutze auf beiden Decks mischten schon heftig mit, beharkten die beiden ineinander verhedderten Transporter, die bereits wie durres Gras brannten.
        Wild brullte Veitch durch sein Sprachrohr:»Mr. Kipling! Ziel an Steuerbord!»
        Er deutete mit der Sprechtrompete hin, und ein Matrose packte Kipling beim Arm: dort kam das schwere Transportschiff aus Kor-fu mit den charakteristischen, rotbemalten Bordleisten durch den dichten Rauch; die Rahen angebra?t, ihr Vorsegel prall gefullt, versuchte es, den brennenden Schiffen auszuweichen.

«Feuer!»
        Bolitho schritt umher wie im Alptraum, feuerte die Manner an, sprach ihnen Mut zu, wu?te dabei gar nicht, ob sie ihn erkannten oder auch nur horten, was er sagte. Uberall schufteten die Manner an den Kanonen, feuerten, starben. Andere lagen stohnend da und hielten sich ihre Wunden. Manche sa?en auch nur herum und starrten auf nichts - vielleicht war ihr Verstand fur immer verstort.
        Das Tageslicht schien vollig geschwunden zu sein. Und doch wu?te Bolitho, sosehr sich ihm der Kopf auch drehte, da? es nicht spater als acht oder neun Uhr morgens sein konnte. Das Atmen war schwer und schmerzhaft, denn alle Luft schien von den Kanonen ausgespien und von den verschmorten Mundungen angeheizt zu sein, ehe sie die Lungen erreichte.
        Eine Kartatsche fegte uber die Netze; er sah, wie Veitch herumgerissen wurde, seinen Arm beim Ellbogen packte und mit schmerzhaft verzerrtem Gesicht auf das Blut starrte, das ihm vom Handgelenk auf die Hose stromte. Ein Matrose wollte ihm zur Leiter helfen; aber Veitch knurrte:»Bind's ab, Mann! Deswegen geh' ich nicht unter Deck!»
        Die Kanonen der Lysander feuerten nach beiden Seiten, suchten die verschwommenen Ziele, die im Rauch auftauchten und wieder verschwanden; im Krachen der Breitseiten konnte Bolitho die Schusse heraushoren, die ihre Ziele trafen und Masten, Segel, Manner im tobenden Anprall niedermahten.

«Da geht sie hin!«brullte Herrick und zeigte nach vorn.
        Das Transportschiff mit den roten Bordkanten holte steil uber;
        der Rumpf war von mehreren Einschussen durchlochert. Das Gewicht der Ladung tat das ubrige. Die machtigen Belagerungsgeschutze lockerten sich in den Zurrings; obwohl kein Ton den Kanonendonner durchdrang, glaubte Bolitho zu horen, wie die See ins Schiff stromte. Schon kampfte sich die Mannschaft zum Oberdeck durch. Bald mu?te der Transporter sinken.
        Die franzosische Fregatte, in der Feuerkraft hoffnungslos unterlegen, hatte versucht, die Versorgungsschiffe vor dem Angriff abzuschirmen. Sie kam jetzt, aus allen Rohren schie?end, aus dem Rauch hervor, unter dem Druck ihrer Segel stark krangend. Sie fegte am Bug der Lysander vorbei, ihre Kugeln schlugen in Galion und Kluver ein, warfen eine Karronade von ihrer Lafette und toteten Leutnant Kipling auf der Stelle.
        Als sie an Steuerbord vorbeikam, hockten die Bedienungen der vorderen Geschutze mit roten, brennenden Augen hinter den Pforten. Auf ihren pulvergeschwarzten Rucken zog der Schwei? glanzende Bahnen. Sie beobachteten die Fahrt der Fregatte und warteten auf Kiplings Pfiff, der nicht kam. Statt seiner brullte Bootsmann Yeo durch die hohlen Hande:»Feuer!»
        Und dann fiel auch er, blutuberstromt, sterbend, und konnte ebensowenig wie Kipling sehen, da? die schweren Geschutze aus der stolzen Fregatte ein entmastetes Wrack gemacht hatten.
        Eine heftige Explosion lie? die Segel wie unter einem hei?en Windsto? erzittern. In Sekundenschnelle hullte eine machtige Rauchwolke die kampfenden Schiffe ein, und die Sonne war nur noch wie eine Laterne im Nebel.
        Das vorderste franzosische Schiff trieb noch vor dem Wind, in seiner Umgebung schwammen Treibgut und Leichen. Achtern fiel das zweite zuruck; es besa? nur noch ein intaktes Buggeschutz. Doch auf der Immortalite mu?te eine Pulverkammer explodiert sein. Javal hatte einen der Franzosen an den Enterhaken, und wahrend der andere versuchte, an seinem Heck vorbeizukommen und ihn in Langsrichtung zu beschie?en, war Feuer ausgebrochen. War eine Laterne vom Haken gefallen, hatte ein von Panik gepackter Mann durch einen unglucklichen Zufall das Pulver entzundet - niemand wurde es je erfahren. Von dem eroberten Schiff war nicht mehr viel zu sehen. Die Masten waren gefallen; es schien nur noch aus einer Flammenwand zu bestehen, die mit jeder Sekunde wuchs und sich ausbreitete. Der Wind wehte Funken auf das langsseit liegende Schiff, dessen Segel bereits loderten; Segel und Laufbrukken brannten ebenfalls - auch dieses Schiff war verloren.
        Bolitho wischte sich die Augen, die nicht nur vom Rauch, sondern auch vom Schmerz uber den Tod Javals und seiner Manner voller Tranen standen.
        Dann, als der Rauch wegwirbelte, horte er Grubb rufen:»Das Ruder, Sir!»
        Er ging quer ubers Deck und kummerte sich nicht um die Kugeln, die hier und da zu seinen Fu?en in die Planken schlugen. Er starrte nur auf die Rudergasten, die das machtige Rad im Leerlauf herumwirbelten.

«Der Mistkerl hat uns mit seinem Buggeschutz die Ruderzuge weggeschossen!«keuchte Grubb wutend.»Wir treiben ab!«Und er zeigte auf die Fock.

«Einige Mann nach achtern!«brullte Bolitho.»Neue Leinen anschlagen, so schnell wie moglich!«Plowman holte bereits Leute von den nachsten Geschutzen zusammen.
        Verzweifelt starrte Herrick auf die killenden Segel.»Wir mussen sofort Segel wegnehmen!»

«Aye, Thomas.»
        Nur nicht an den Franzosen denken, der hinter ihnen herkam! Mit einem Gluckstreffer hatte er das Steuer der Lysander beschadigt; und jetzt, da sie langsam abtrieb, drehte der Wind sie quer und bot dem Feind ihr Heck. Genau wie damals die Osiris! Beinahe hatte Bolitho laut geflucht. Diesmal war keine Lysander da, die sie retten konnte.
        An Backbord und Steuerbord trieben, brennend oder schwer beschadigt, die franzosischen Versorgungsschiffe. Brueys' Hauptflotte mochte reichlich Infanterie und bespannte Artillerie an Bord haben, aber kein einziges von den schweren Belagerungsgeschutzen, die nun alle versenkt waren!
        Damals wie heute hatte sich die Nicator herausgehalten. Das tat ein Mann, der so verbittert war, so besessen von seinem Ha?, da? er lieber seine eigenen Landsleute sterben sah, als ihnen zu Hilfe zu kommen.
        Unten krachte es noch mehrmals; unter einem Chor von wilden Schreien kam die Gro?bramstenge der Lysander splitternd durch den Rauch gesturzt und schleuderte Manner und Segel mit machtigem Aufklatschen ins Meer.
        Matrosen rannten mit Axten herzu, um sie zu kappen; Bolitho sah Saxby zu den Wanten rennen, einen neuen Kommodorestander wie eine Scharpe um den Leib gewickelt.»Sehen Sie, Sir«, schrie er, als er in die Webeleinen griff,»hab ich mir doch gedacht, da? ich heute noch einen extra brauchen wurde!«Er lachte und weinte zugleich; seine Angst war unter den Schrecknissen verschwunden, die ihn umgaben. Spater wurde er, falls er am Leben blieb, um so schwerer daran zu tragen haben.
        Bolitho sah uber ihn hinaus auf Marssegel und Galion des Franzosen, die an Backbord turmhoch uber ihrem Heck standen. Immer noch zerhammerten sie einander mit den Kanonen, und es gab tatsachlich noch Manner, die hurra schrien, wenn die Lysander einen Treffer anbrachte.
        Doch es hatte alles keinen Zweck mehr. Hilflos trieb die Lysander quer, durch die zerfetzten Segel stromte der Qualm, die Geschutze feuerten kaum noch, weil keine Bedienungen mehr vorhanden waren. Der wirbelnde Rauch farbte sich rot. Bolitho mu?te sich irgendwo festhalten, denn die erste feindliche Kugel schmetterte in die Kampanje. Seesoldaten und Matrosen fielen tot oder sterbend auf seinen Weg. Leutnant Nepean lie? seinen Sabel fallen und sturzte, an seinem Blut erstickend. Leroux schrie nach seinem Sergeanten, aber der meldete sich nicht mehr. Er sa? am Boden und hielt sich den Leib, und seine Augen verglasten, wahrend er versuchte, seinem Major zu antworten, wie er ihm immer geantwortet hatte.
        Allday ri? seinen Entersabel heraus und stellte sich vor Bolitho, um ihn mit seinem eigenen Korper zu schutzen.

«Noch eine Breitseite«, knirschte er,»und die versuchen, uns zu entern. «Er schob einen sterbenden Seesoldaten beiseite und deutete mit dem Entersabel durch den Rauch.»Es gibt nur einen Mann, den ich heute lieber umbringen mochte als jeden Franzosen!»
        Mit steinernem Gesicht, die Hande auf dem Rucken, schritt Herrick vorbei.»Mr. Plowman sagt, gut zehn Minuten dauert es noch,
        Sir.»
        Es konnte ebensogut eine Stunde dauern, dachte Bolitho.
        Herrick wandte sich nach Allday um.»Und wer ist das?»

«Dieser blutiggottverdammte Probyn, den meine ich!»
        Das franzosische Schiff war schon dicht an ihrem Heck. Was die Rohre hergeben wollten, feuerte der Franzose in die Kampanje und den unteren Rumpf der Lysander, und vom Bugspriet und der Vormarsrah schossen Scharfschutzen, so schnell sie laden konnten, auf das Achterdeck der Lysander.

«Was ist mit den Versorgungschiffen, Thomas?«schrie Bolitho.
        Herrick zeigte die Zahne.»Sechs sind zerstort, und vielleicht ebenso viele manovrierunfahig.»
        Bolitho wandte sich um, denn soeben wurde ein Toter von der Kampanje weggezerrt: Moffitt, sein Schreiber, einen hellroten Fleck in dem dunnen grauen Haar, wo ein Splitter ihn getroffen hatte. Wie Gilchrists Vater hatte er das Elend der Schuldgefangnisse kennengelernt. Und jetzt war er tot.
        Bolitho brachte die Worte kaum heraus.»Ich befehle Ihnen hiermit, unsere Flagge niederzuholen, Thomas.»
        Mit fest zusammengepre?ten Lippen starrte Herrick ihn an.»Die Flagge streichen, Sir?»
        Bolitho schritt an ihm vorbei. Allday war dicht hinter ihm und schutzte ihn. Wie immer.

«Aye. «Er sah die umgesturzten Kanonen, das Blut, das bis auf den zerfetzten Kluver gespritzt war.»Wir haben erreicht, was wir uns vorgenommen hatten. Ich lasse keinen Mann mehr sterben, nur um meiner Ehre Genuge zu tun!»

«Aber, Sir!»
        Herrick zogerte noch, denn Veitch kam herbeigerannt, sein Armel war blutdurchtrankt, das Gesicht wachsbleich.»Wir konnen doch noch kampfen, Sir«, keuchte er,»wir haben immer noch ein paar tuchtige Jungs!»
        Mude sah Bolitho ihn an.»Ich wei?, da? Sie kampfen wurden. Aber dann fallen unsere Manner fur nichts. «Er drehte sich zum
        Feind um und hielt dann nach Saxby Ausschau. Der kniete am Schanzkleid.

«Holen Sie die Flagge ein!«rief er laut.»Das ist ein Befehl!»
        Die Kanonen schwiegen jetzt, und uber dem Prasseln eines brennenden Versorgungsschiffes horte man zogernde franzosische Hurrarufe.
        Sie machen sich fertig zum Entern. Bolitho stie? den Degen in die Scheide und sah sich unter seinen Leuten um. Wenigstens die, die noch am Leben waren, brauchten jetzt nicht mehr zu sterben.
        Wieder stieg der Rauch hoch, und mit ihm ein furchtbarer Kanonendonner; Bolitho glaubte eine Sekunde lang, da? die Franzosen ihren Sieg durch eine letzte morderische Breitseite auf allerkurzeste Entfernung besiegeln wollten. Ein paar Wanten der Lysander wurden von Kugeln, die uber das Deck fegten, weggefetzt wie Gras.
        Wild schrie Herrick:»Das ist die Nicator, Sir! Sie feuert von der anderen Seite auf den Franzosen!»
        Wegen des Pulverqualms und wegen der treibenden Transporter, die zum Teil brannten und die Rauchwand noch verstarkten, hatte niemand das langsame, vorsichtige Naherkommen der Nicator bemerkt. Sie scho? aus allen Rohren auf den Franzosen, der hilflos zwischen dem sparlichen Feuer aus den SteuerbordHeckgeschutzen der Lysander und den wutenden Breitseiten der Nicator lag und nicht entkommen konnte.

«Laufbrucken freimachen!«befahl Bolitho; er horte Kugeln der Nicator durch die Takelage fegen.
        Herrick zeigte auf Saxby, der wild um das Stag herumtanzte, an dem Bolithos Kommodorestander hing. Weder dieser noch die Kriegsflagge waren eingeholt.
        Bald war es vorbei; als die hurra brullenden Matrosen und Seesoldaten auf das Deck des Franzosen sturmten, ging die Trikolore nieder und verschwand im Rauch.
        Eine Viertelstunde spater erschien ein Leutnant der Nicator an Bord, wahrend alle drei Schiffe, ineinander verstrickt, vorm Wind dahindrifteten und Sieger wie Besiegte sich einmutig der Verwundeten annahmen.
        Der Leutnant sah sich an Deck um und nahm den Hut ab.»Es - es tut mir leid, Sir. Wir sind wieder zu spat gekommen. So einen
        Kampf wie den Ihren habe ich noch nie gesehen. «Er blickte zu Kampanje hinuber, wo verwundete Marine-Infanteristen weggetragen wurden.

«Und Captain Probyn?«fragte Herrick schroff.

«Gefallen, Sir. «Der Leutnant reckte das Kinn hoch.»Im Scharfschutzenfeuer. War sofort tot.»
        In hellem Schrecken schrie ein Mann, der zum Orlopdeck geschafft wurde; Bolitho dachte an Luce und Farquhar und Javal. Und an so viele andere.

«War das, bevor Sie uns zu Hilfe kamen - oder nachher?«fragte er.
        Der Leutnant machte ein sehr verlegenes Gesicht.»Vorher, Sir. Aber ich bin sicher, da?…»
        Bedeutsam blickte Bolitho Herrick an. Die Nicator war viel zu weit entfernt gewesen, unerreichbar fur jede franzosische Musketenkugel. Bei einer Untersuchung wurde der wahre Sachverhalt schwer aufzuklaren und unmoglich zu beweisen sein. Aber jemand hatte, von Scham und Seelenqual getrieben, Probyn niedergeschossen, der dastand und ohne zu helfen zusah, wie Lysander und Immortalite vernichtet wurden.
        Mit ernstem Lacheln sah er den bleichen Leutnant an.»Nun, Sie sind jedenfalls noch rechtzeitig gekommen.»

«Wir mu?ten doch, Sir«, sagte der junge Offizier und sah zur Seite.»Wir haben das Signal gesehen: Nahkampf. Das war uns genug«, sagte er leise.
        Da erschien Pascoe auf dem Achterdeck, und Bolitho eilte hinuber und schlo? seinen Neffen in die Arme. Der fremde Leutnant wandte den Blick von dieser Szene ab und sah hoch in einen Fleck blauen Himmels auf das immer noch wehende Signal.

«Sto?en Sie von dem Franzosen ab, Thomas, sobald Mr. Grubbs Leute mit dem Ruder fertig sind«, sagte Bolitho.»Er hat gut gekampft, aber noch eine Prise kann ich nicht gebrauchen, wenn Brueys mit seiner ganzen Flotte in der Nahe ist.»
        Herrick ging zur Reling und gab den Befehl an Leutnant Steere weiter, der aus dem unteren Batteriedeck gekommen war.
        Grubb schlurfte unter der Kampanje hervor. Sein verwittertes Gesicht war schwarz von Rauch und Pulverschmiere.

«Sie reagiert jetzt aufs Ruder, Sir. Klar zum Ablegen!»
        Herrick sagte leise:»Er hort Sie nicht, Mr. Grubb. Er starrt nur auf das Signal und denkt an alle, die es nicht mehr sehen konnen und nie mehr sehen werden. Ich kenne ihn.»
        Stumm ging der Master zu seinen Rudergasten hinuber, und Herrick sagte zu dem tief erschutterten Pascoe:»Bleiben Sie bei ihm, Adam. Ich komme furs erste schon ohne Sie zurecht. Versuchen Sie, ihm das zu erklaren: Sie haben es nicht fur irgendein Signal getan - sondern fur ihn.»



        Epilog

        Captain Thomas Herrick trat in die Kajute und wartete, bis Bolitho von seinem Schreibtisch aufblickte.

«Der Ausguck hat soeben den Felsen von Gibraltar in Nordwest gesichtet, Sir. Mit einigem Gluck konnen wir noch vor Sonnenuntergang dort vor Anker gehen.»

«Danke, Thomas. Ich habe es gehort. «Das klang etwas abwesend.»Sie konnen schon den Salut fur den Admiral vorbereiten.»

«Und dann gehen Sie von Bord, Sir«, erwiderte Herrick melancholisch.
        Bolitho stand auf und trat langsam zum Fenster. Die Nicator segelte etwa eine halbe Meile achteraus; Marssegel und Kluver standen sehr bleich im Sonnenlicht. Dahinter konnte er die unordentliche Formation der gekaperten Versorgungsschiffe ausmachen; au?erdem eine franzosische Fregatte im Schlepptau, die schwer havariert und reparaturbedurftig war.
        Von Bord gehen. Die Lysander verlassen. Das war es eben. Alle diese Wochen und Monate voller Enttauschung, Hochstimmung, Stolz. Die schwere Knochenarbeit. Die Schrecken der Schlacht. Jetzt lag das alles hinter ihm. Bis zum nachsten Mal.
        Er horte die Hammerschlage und den scharfen Ton der Zimmermannsaxte. Da ging die Arbeit am Schiff weiter, die in dem Moment begonnen hatte, als Grubb meldete, da? die Lysander wieder auf das Ruder reagiere und sie von dem franzosischen Zweidecker losgekommen seien. Es kam ihm immer noch wie ein Wunder vor, da? das Gros der franzosischen Flotte weiter auf Sudostkurs nach
        Agypten gesegelt war. Vielleicht hatte Brueys immer noch geglaubt, dieses kleine Geschwader Bolithos hatte seinen wohlverteidigten Versorgungskonvoi nur aus taktischen Grunden, namlich der Verzogerung wegen, angegriffen, und eine andere Flotte sammle sich bereits, um ihm den Weg nach Alexandria zu verlegen.
        Zerschossen und durchlochert, auf jeder muhsamen Meile Wasser ubernehmend, war die Lysander vor dem Wind gesegelt; provisorische Reparaturen wurden unterwegs ausgefuhrt, die Toten bestattet, die zahlreichen Verwundeten versorgt.
        Dann waren sie mit der Nicator zusammen wieder westwarts gelaufen und hatten dabei vor einer Serie starkerer Boen ebenso Angst gehabt wie vor einem feindlichen Angriff. Aber die Franzosen hatten andere Sorgen; und einige Tage spater, als der Ausguck der Lysander eine kleine Segelpyramide sichtete, hatten Bolitho und die Mannschaften beider Schiffe mit einer Mischung aus Ehrfurcht und innerer Bewegung der Fregatte entgegengesehen, die auf sie zukam, und in deren Kielwasser, schwarz und braun in der hellen Sonne, nicht ein Geschwader folgte, sondern eine ganze Flotte. Ein Zufall, gewi?; aber es war schwer vorzustellen, da? nicht auch Wunder dabei mitgespielt hatten.
        Leutnant Gilchrist war mit der schwer havarierten Fregatte Buz-zard nicht wie befohlen direkt nach Gibraltar gesegelt, sondern hatte, aus Grunden, die bisher noch nicht ans Licht gekommen waren, in Syrakus Station gemacht. Und dort, enttauscht und nach dem fruchtlosen Streifzug nach Alexandria aller Illusionen beraubt, ruhte sich die britische Flotte aus, mit Nelsons Flaggschiff Vangu-ard in der Mitte.
        Aber Gilchrists vager Bericht genugte Nelson offenbar, um sofort wieder auszulaufen. Und zwar nach Alexandria, wo er die ubriggebliebenen franzosischen Transporter angetroffen hatte, die im Hafen Schutz suchten. Aber nordostlich, ungefahr dort, wo Bolitho es vorausgesagt hatte, lag die franzosische Flotte vor Anker, in guter Ordnung und mit starken Kraften.
        Die Lysander, deren Mannschaft zur Halfte tot oder verwundet war, hatte sich am Rande des Kampfes gehalten: der >Battle of the N-le<, wie sie spater in England hie?.[bei uns: Seeschlacht von Abukir] Sie hatte am Abend begon-
        nen und die ganze Nacht getobt; und als die Morgenrote kam, gab es so viele Wracks, da? Bolitho sich nur daruber wundern konnte, welcher Kampfeswut der Mensch fahig war.
        Nelson hatte sich weder von der franzosischen Formation abschrecken lassen, noch von der Tatsache, da? viele Schiffe mit Trossen verbunden waren, um einen Durchbruch zu verhindern; er hatte die franzosische Verteidigung umsegelt und von der Landseite her angegriffen. Denn an der Kuste gab es keine schwere Artillerie, die ihn hatte daran hindern konnen, und so vermochte er seine taktische Geschicklichkeit und seine Energie ganz auf seinen ebenso entschlossenen Gegner zu konzentrieren.
        Obwohl die franzosische Flotte gro?er war, hatte er bei Morgengrauen Brueys' samtliche Schiffe bis auf zwei vernichtet. Diese beiden waren in der Nacht entkommen, nachdem sie das schrecklichste Ereignis der ganzen Schlacht mitangesehen hatten: die l'Orient, Brueys' gro?es Hundertzwanzig-Kanonen-Schiff, war in die Luft geflogen und hatte dabei mehrere Schiffe schwer beschadigt; der Eindruck auf beiden Seiten war so uberwaltigend gewesen, da? eine Feuerpause einsetzte.
        Brueys starb mit der l'Orient, aber seines Mutes, seiner Ausdauer wurde in der britischen Flotte mit ebensoviel Stolz gedacht wie in der franzosischen. Als ihm schon beide Beine abgeschossen waren, hatte er sich, die Stumpfe mit Aderpressen abgebunden, aufrecht in einen Stuhl setzen lassen, hatte seinem alten Feind ins Auge gesehen und seine Flotte bis zum bitteren Ende weiterkommandiert.
        Bonapartes Traum war vorbei. Er hatte seine ganze Flotte verloren, dazu uber funftausend Mann, sechsmal so viel wie die Englander. Seine Armee stand an der Nilmundung, unverteidigt, isoliert.
        Es war ein gro?er Sieg, und als Bolitho die letzte Phase mitansah, das bose rote Blitzen am Himmel uber der See, da hatte er gerechtfertigten Stolz empfunden, weil auch die Lysander dazu beigetragen hatte.
        Spater, als er seinen Bericht abgeschickt hatte, wartete er gespannt auf die Reaktion des Admirals. Mit gewohntem Elan war Nelson bereits wieder dabei, seine Flotte seeklar zu machen; doch hatte er Zeit gefunden, einen Offizier mit einem kurzen, warmen Antwortschreiben heruberzuschicken:
        Sie sind ein Mann nach meinem Herzen, Bolitho! Der Erfolg rechtfertigt das Risiko!
        Er hatte Bolitho angewiesen, einige Prisenschiffe nach Gibraltar zu bringen, dort Fahrgelegenheit nach England zu suchen und sich wieder auf der Admiralitat zu melden. Captain Probyns Tod hatte Nelson uberhaupt nicht erwahnt - und das war, wie Herrick betonte, auch ganz gut so.
        Bolitho wandte sich wieder um und sah Herrick an.»Merkwurdig, Thomas, von uns allen ist Francis Inch immer noch der einzige, der Our Nel personlich kennengelernt hat.»

«Aber sein Einflu? ist dennoch vorhanden, Sir«, nickte Herrick.»Dieser Brief von ihm und die Tatsache, da? der Kommodorestander immer noch uber diesem Schiff weht, ist viel mehr wert als sein Handedruck.»

«Nach allem, was wir durchgemacht haben, werde ich die Lysan-der sehr vermissen, Thomas.»

«Aye. «Herricks rundes Gesicht wurde traurig.»Sobald wir vor Anker liegen, lasse ich die gro?eren Reparaturen in Angriff nehmen. Aber ich furchte, in einem Gefecht wird sie nie mehr bestehen konnen.»

«Wenn Sie wieder in England sind, Thomas - aber das besonders zu erwahnen, erubrigt sich, nicht wahr? - , werde ich stets einen treuen Freund brauchen.»
        Herrick drehte sich um und beobachtete einen Hochseekutter, der an den Heckfenstern vorbeizog. Die Mannschaft winkte und schrie zudem schwer mitgenommenen Vierundsiebziger hinauf, doch ihre Stimmen drangen nicht durch die dicken Glasscheiben.»Keine Angst, Sir. Wenn ich kann, komme ich.»
        Ozzard erschien und inspizierte die beiden gro?en, abholfertig gepackten Seekisten.

«Ich habe viel Fehler gemacht, Thomas. Zu viele.»

«Aber zum Schlu? haben Sie immer die Losung gefunden, Sir. Nur darauf kommt es an.


«Tatsachlich?«lachelte er.»Ich wei? nicht recht. Auf jeden Fall habe ich eins gelernt: uber Leben und Tod zu entscheiden ist ke ineswegs leichter, wenn am Schlu? die eigene Flagge uber dem Endergebnis weht.»
        Er warf einen Blick auf den polierten Weinschrank, den soeben zwei Matrosen in Sackleinwand einnahten. Ob er Kate wohl in London sehen wurde? Und wenn ja - wurde es dann zwischen ihnen weitergehen?
        Ein paar Stunden spater, nach dem hallenden Donner der Salutschusse, dem Ankern, den notwendigerweise zu leistenden Unterschriften, ging Bolitho zum letztenmal an Deck.
        In der untergehenden Sonne sah Gibraltar wie ein riesiger Korallenblock aus; auch die Werften, die Schiffe mit den aufgegeiten Segeln schimmerten rotlich.
        Langsam schritt er die Reihen der Angetretenen ab, schuttelte hier eine Hand, nannte dort jemanden bei Namen und versuchte, moglichst unbewegt auszusehen. Major Leroux, den Arm in der Schlinge. Der alte Ben Grubb, der so wust aussah wie eh und je.»Alles Gute, Sir«, murmelte er. Zahlmeister Mewse, Leutnant Stee-re, die Midshipmen - nicht mehr so angstlich, sondern gebraunt und in den Monaten auf See merklich gereift.
        Er blieb bei der Fallreepspfortestehen und sah hinunter. Allday stand im Boot, sehr stramm in seinem blauen Rock und der Nankinghose, und kommandierte die Ruderer. Auch sie sahen anders aus. Sie hatten sich seinetwegen feingemacht: saubere, karierte Hemden, frisch geteerte Mutzen.
        Auch Ozzard sa? im Boot, ein kleines Bundel mit seinen Habseligkeiten im Arm, die Augen zum Schiff emporgerichtet. Als Bo-litho ihn gefragt hatte, ob er als Diener bei ihm bleiben wolle, da war er keiner Antwort fahig gewesen. Er hatte nur genickt; er konnte nicht gleich fassen, da? dieses Leben des Sichversteckens jetzt vorbei war.
        Bolitho wandte sich um und sah Pascoe an.»Leb wohl, Adam. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder. «Rasch druckte er dem Jungen die Hand und nickte Herrick dabei zu. Pa?t gut aufeinander auf, eh?»
        Dann luftete er den Hut vor der Ehrenwache und kletterte ins Boot hinunter. Wahrend es mit kraftigen Schlagen ablegte, drehte er sich noch einmal nach dem machtigen, dunklen Rumpf der Lysander um.
        Allday beobachtete ihn, sah sein Gesicht bei den Hochrufen, die von Deck und aus den Wanten der Lysander erschallten.

«Eine Menge Gesichter fehlen«, sagte Bolitho nachdenklich.

«Nur keinen Kummer, Sir. Wir haben's den Franzosen gezeigt, und das ist die Hauptsache.»
        Wahrend sich das Boot zwischen den vor Anker liegenden Kriegsschiffen hindurchschlangelte, stieg Herrick, der Bolitho nachgeblickt hatte, bis er nicht mehr zu sehen war, langsam zum Kampanjedeck hinauf. Seine Schuhsohlen blieben an manchem Splitter hangen, an Stellen, die noch reparaturbedurftig waren. Er wandte sich um, denn Pascoe kam hinter ihm her, den fleckigen, ausgefransten, breiten Kommodorestander uber der Schulter. Er lachelte, doch seine dunklen Augen waren noch von Trauer uberschattet.

«Ich dachte, Sie wurden ihn vielleicht gern haben wollen, Sir?»
        Herrick blickte uber sein Schiff. Nachdenklich, voller Erinnerungen.»Ich habe das hier alles, das ganze Schiff, Adam«, sagte er.»Ich werde ihn an Captain Farquhars Mutter schicken. Die hat jetzt gar nichts mehr.»
        Pascoe lie? ihn bei den durchlocherten Netzen allein und ging auf die andere Seite. Aber das Boot war nicht mehr zu sehen, und der Felsen von Gibraltar lag schon in tiefem Schatten.
        Ende


        notes

        Ïðèìå÷àíèÿ


1

        Pressen = gewaltsame Rekrutierung fur die Kriegsmarine

2

        Seekadett oder Fahnrich zur See

3

        Der hintere Aufbau eines Schiffes, auch Hutte oder Pupp (poop)

4

        siehe Kent: Der Stolz der Flotte

5

        auch Segelmeister genannt; etwa einem Navigationsoffizier vergleichbar. Einer der wichtigsten Manner an Bord, obwohl nur im Deckoffiziersrang.

6

        siehe Kent: Zerfetzte Flaggen

7

        Spitzname fur die Spanier

8

        Ma? fur die Wassertiefe: l Faden = 1,829 m

9

        siehe Kent: Der Stolz der Flotte

10

        Dick: Kurzform fur Richard

11

        Hulk = abgetakelter, au?er Dienst gestellter Schiffsrumpf

12

        l Kabellange = 0,1 Seemeile oder 185.3 m

13

        Spitzname fur Franzosen (von frag eater = Froschesser)

14

        Deck unter der Wasserlinie, wo der Schiffsarzt die Verwundeten behandelte.

15

        an der australischen Ostkuste, sudlich von Sydney

16

        Insel nordwestlich von Brest; franzosische Schreibweise Ouessant

17

        Seeschlacht in der Karibik; siehe Kent: Zerfetzte Flaggen

18

        Manxman: Einwohner der Insel Man.

19

        rechtsdrehend (auf den Kompa? bezogen) geworden

20

        Dreimaster, zwei Masten mit Gaffelsegeln, der vorderste mit Rahsegeln

21

        siehe Kent: Der Stolz der Flotte

22

        Statt des ublichen Drei-Wachen-Turnus

23

        Damals die beiden Wachen von 16 bis 18 und von 18 bis 20 Uhr. Die geteilte Wache sollte den Wachrhythmus andern, damit nicht immer dieselben Leute die unangenehme Wache von 0 bis 4 Uhr hatten.

24

        s. Kent: Nahkampf der Giganten

25

        Sir Francis Drake, 1540-1596, englischer Seefahrer und Freibeuter.

26

        Flotte Philipps II. 1588 im Armelkanal auseinandergetrieben.

27

        Goldmunze, 21 Shilling nach alter Wahrung

28

        ein Matrosentanz

29

        bei uns: Seeschlacht von Abukir


 
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